Freiwilligendienste Kultur und Bildung – Bildungsauftrag und Kulturspezifik
Abstract
Die Freiwilligendienste Kultur und Bildung sind eine besondere Form freiwilligen Engagements. Laut Gesetz als Bildungsjahr deklariert, verstehen sie sich als Ort non-formaler und informeller Bildung, der Persönlichkeitsentwicklung, Partizipation, Interessenorientierung und Selbstwirksamkeit der Freiwilligen in den Vordergrund stellt. Die Freiwilligendienste Kultur und Bildung sind eng rezeptiv wie produktiv mit der Teilhabe am kulturellen Leben und mit künstlerischer Praxis verknüpft und orientieren sich für die Ausgestaltung der verschiedenen Lerngelegenheiten und Bildungsangebote an den didaktischen Prinzipien der Kulturellen Bildung. Träger, in Zusammenarbeit mit Einsatzstellen vor Ort, sind für die Umsetzung dieses Bildungsmix verantwortlich. So werden Freiwillige mit ihren Kompetenzen gesehen und in ihrer persönlichen Entwicklung gestärkt. Um dieses biografisch stärkende Angebot auch Menschen zugänglich zu machen, die von gesellschaftlicher Marginalisierung betroffen sind, setzt sich der Trägerverbund Freiwilligendienste Kultur und Bildung seit nunmehr zehn Jahren für eine inklusive Öffnung seiner Freiwilligendienste ein.
Freiwilligendienste – Begriffsbestimmung und Einordnung
Freiwilligendienste sind eine besondere Form freiwilligen Engagements, vor allem junger Menschen im Alter zwischen 16 und 27 Jahren. Definiert werden sie im Gesetz zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten (JFDG) sowie im Gesetz über den Bundesfreiwilligendienst (BFDG). In beiden Gesetzen wird das kulturelle Einsatzfeld ausdrücklich benannt (vgl. JFDG§3, Abs.1, BFDG §3, Abs.1). Dauer und Umfang, Inhalt, Aufgaben, Ziel, Ort und Art der freiwilligen Tätigkeit sind festgelegt, ebenso der finanzielle und organisatorische Rahmen, die rechtliche wie soziale Absicherung. Seit 2011 ist es auch Menschen über 27 Jahren möglich, einen gesetzlich geregelten Freiwilligendienst zu leisten.
Freiwilligendienste sind eine besondere Form des freiwilligen Engagements, in dem Freiwillige sich für eine bestimmte Dienstzeit von meist einem Jahr verpflichten, eine vereinbarte Anzahl von Bildungstagen besuchen sowie eine pauschale Aufwandsentschädigung pro Monat für ihre Tätigkeit erhalten (Taschengeld). Freiwilligendienste sind ein Angebot für Menschen, die die Zeit für sich nutzen und gleichzeitig etwas für Andere bzw. für die Gemeinschaft tun wollen. Sie verknüpfen freiwilliges Engagement mit der Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln, Orientierung zu erhalten und sich persönlich weiterzuentwickeln.
Menschen, die sich über einen Freiwilligendienst engagieren, bilden eine eher kleine Gruppe in der gesamten Engagementlandschaft: Jährlich sind das etwa 100.000 Menschen – das entspricht weniger als einem Prozent der engagierten Menschen in Deutschland. Aus engagementpolitischer Sicht sind sie interessant, weil Freiwilligendienste zum Teil die erste Engagementerfahrung von Personen darstellen und als Anstoß für weiteres freiwilliges Engagement wirken können (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2017). Vor allem positive Erfahrungen und Erlebnisse in einem Freiwilligendienst regen weiteres freiwilliges Engagement im Anschluss an den Freiwilligendienst oder im späteren Leben an.
Die Freiwilligendienste Kultur und Bildung
Gesetzlich geregelte Freiwilligendienste junger Menschen gibt es in Form des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) seit 1964 (vgl. BMFSFJ 1998). Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) startete 2001 das FSJ Kultur – einen Jugendfreiwilligendienst speziell im Bereich Kultur. Im Laufe der letzten über 20 Jahre erweiterte sich das Spektrum der Freiwilligendienste der BKJ um weitere Bereiche wie z.B. Politik, Schule und Beteiligung sowie um das Format Bundesfreiwilligendienst für Personen jeden Alters. Aktuell absolvieren im Trägerverbund Freiwilligendienste Kultur und Bildung unter dem Dach der BKJ etwa 3.000 Freiwillige pro Jahr(gang) einen Freiwilligendienst.
Die Freiwilligendienste Kultur und Bildung sind ein Programm der BKJ und der ihr im Verbund angeschlossenen 19 Träger. Gefördert wird das Programm bundesweit vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Träger arbeiten zur Umsetzung der Freiwilligendienste Kultur und Bildung mit Einrichtungen der Kultur und Bildungsarbeit in ganz Deutschland zusammen. Diese sogenannten Einsatzstellen umfassen das Spektrum aller künstlerischen Sparten sowie verschiedener (kultur-)pädagogischer Angebote in den Bereichen der Kultur- und Bildungsarbeit. Das sind zum Beispiel Theater, Musikschulen und -vereine, Gedenkstätten, Jugendkunstschulen, Museen, Kultur- und Medienzentren, Bibliotheken, Bildungsstätten sowie Kunst- und Kulturvereine. Die Einsatzstellen müssen spezielle Qualitätsstandards erfüllen und werden von den (regional oder inhaltlich) zuständigen Trägern auf ihre Eignung hin geprüft, bevor sie als Einsatzorte im Trägerverbund aufgenommen werden. Die Qualitätsstandards für Einsatzstellen sind Teil des Qualitätskonzepts der Freiwilligendienste Kultur und Bildung. Mit ihnen werden die konkreten Aufgaben der Einsatzstellen für die individuelle Begleitung der Freiwilligen festgelegt (wie beispielsweise Einarbeitung, Ansprechbarkeit bei Fragen und Problemen der Freiwilligen, Reflexionsgespräche, Mitsprachestrukturen sowie Feedback- und Wertschätzungskultur). Ziel ist die Sicherung eines einheitlichen Qualitätsniveaus in der konkreten Ausgestaltung des Freiwilligendienstes als Engagement- und Bildungsjahr für die Freiwilligen. Freiwillige sind in den Einsatzstellen vor Ort tätig und werden dort von ausgewählten Personen individuell begleitet. Die Träger wiederum beraten die Einsatzstellen in allen Fragen zum Freiwilligendienst.
In 2023/24 waren in den Freiwilligendiensten Kultur und Bildung etwa 3.000 Freiwillige deutschlandweit in 1.700 Einsatzstellen tätig, davon absolvierten 90 Prozent einen Jugendfreiwilligendienst. Laut Statistik der BKJ positionieren sich von den jungen Freiwilligen 66 Prozent als weiblich, 25 Prozent als männlich und 9 Prozent als non-binär. Etwa 15 Prozent der Freiwilligen waren zu Beginn ihres Freiwilligendienstes jünger als 18 Jahre.
Freiwillige, Träger und ein besonderer Bildungsmix
Menschen, die sich für einen Freiwilligendienst im Bereich Kultur und Bildung interessieren, haben ganz unterschiedliche Beweggründe: Die meisten jungen Freiwilligen wollen Erfahrungen in einem neuen Bereich sammeln, häufig auch, um sich beruflich zu orientieren. Die Mehrheit sieht in ihrem Freiwilligendienst außerdem eine gute Chance, sich persönlich weiterzuentwickeln. Diese Erwartungen erfüllen sich bei fast allen Freiwilligen in der Zeit ihres Freiwilligendienstes. So ist die Zufriedenheit der Freiwilligen mit ihrem Freiwilligendienst Kultur und Bildung sehr hoch. Viele der ehemaligen Freiwilligen betonen zudem, dass ihr Freiwilligendienst dazu beigetragen habe, dass die Bedeutung von Kunst und Kultur in ihrem Leben gewachsen sei (vgl. BKJ 2022). Einen sehr wichtigen Einfluss schreiben die Freiwilligen dabei ihrer Tätigkeit in der Einsatzstelle, aber auch der begleitenden Träger- und Seminararbeit zu (vgl. BKJ 2017).
Freiwilligendienste können als Orte der aktiven (Selbst-)Bildung verstanden werden (vgl. Liebig 2009), sie ermöglichen non-formale und informelle Bildungsprozesse (vgl. Hilf 2024). Die Träger ermöglichen in den Freiwilligendiensten Kultur und Bildung vor allem non-formale Bildungsgelegenheiten, d.h. zielgerichtete Lernanlässe, die durch Offenheit, Mitsprachemöglichkeit, Prozessorientierung und Selbstwirksamkeitserfahrung geprägt sind. Dafür organisieren die Träger begleitende Bildungstage für die Freiwilligen, ermöglichen Wissens- und Erfahrungsaustausch, bestärken selbstorganisierte Projekte der Freiwilligen und stellen sicher, dass die Ansprechpartner*innen vor Ort den praktischen Einsatz der Freiwilligen lernförderlich begleiten. Auf der Grundlage eines pädagogisch subjektorientierten Ansatzes (vgl. Thimmel/Klöckner 2024) wollen sie Selbstbildungsprozesse der Freiwilligen initiieren und unterstützen, die die Fähigkeit zur Teilhabe, Selbstbestimmung und Emanzipation zum Ziel haben.
Im Gegensatz zu non-formalem Lernen, bei dem das Lernen von pädagogischen Fachkräften unterstützt wird, findet informelles Lernen durch die Beschäftigung mit oder Bewältigung von alltäglichen Arbeits- oder Alltagsanforderungen statt. In den Freiwilligendiensten Kultur und Bildung sind die Träger dafür verantwortlich, die Rahmenbedingungen für informelles Lernen im praktischen Einsatz bestmöglich zu gestalten. Sie vereinbaren mit Einsatzstellen das Angebot anregender Tätigkeiten, das regelmäßig durch Feedbackschleifen mit Freiwilligen geprüft wird, und unterstützen die informellen Bildungsprozesse der Freiwilligen durch regelmäßige Reflexionsangebote auf Seminaren und in der individuellen Begleitung.
Die Selbstbildungsprozesse des*der Einzelnen können durch die Träger nur initiiert und moderiert als Schritt für Schritt geplant werden. Sie sind durch Stagnation und Fortschritte, Unsicherheiten und Widerstände, frustrierende und bereichernde Umwege gekennzeichnet (vgl. Hübner/Maedler 2015). Bildungsprozesse werden dann sichtbar, wenn Menschen ihre Erfahrungen reflektieren und in Handlungen umsetzen. Reflexivität erfordert dabei die Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen, Gedanken, Gefühlen.
Als Orte non-formaler als auch informeller Bildung unterscheiden sich Freiwilligendienste in Setting und Ansatz deutlich von formalem Lernen wie in Schule oder Ausbildung. Dennoch bewegen sich Bildungsprozesse in den Freiwilligendiensten in einem stark strukturierten und formalisierten Rahmen (vgl. Hilf 2024). So werden Freiwilligendienste vom Gesetz als Bildungs- und Orientierungszeit deklariert (vgl. JFDG §1 und BFDG §1) und eine pädagogische Begleitung der Freiwilligen gesetzlich gefordert, „mit dem Ziel, soziale, ökologische, kulturelle und interkulturelle Kompetenzen zu vermitteln und das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl zu stärken“ (BFDG §4, Abs. 1 und ähnlich JFDG §3, Abs. 2).
Das den Freiwilligendiensten Kultur und Bildung zugrundeliegende Bildungsverständnis geht über ein rein funktionales Verständnis eines beruflichen und normativen Kompetenzerwerbs hinaus und stellt die individuelle, eigensinnige Persönlichkeitsentwicklung der Freiwilligen in den Vordergrund. Bildung beinhaltet demnach sowohl Persönlichkeitsbildung – die eigene Identität ausbilden, selbständig werden, individuelle Ziele und Lebensentwürfe verfolgen (vgl. BMFSFJ 2018) – als auch eine auf Gesellschaft bezogene soziale Bildung – sprach- und handlungsfähig werden, gesellschaftlich geltende Regeln kennen, aber auch hinterfragen und verändern lernen. Bildung als lebensbegleitendes Lernen, wird als lebenslange aktive Auseinandersetzung des Individuums mit seiner kulturellen und sozialen Umwelt angesehen (vgl. BKJ 2024).
Für die Ausgestaltung der verschiedenen Lerngelegenheiten und Bildungsangebote werden die individuellen Bildungsinteressen und Erfahrungen der Freiwilligen sowohl in der Einsatzstelle als auch in der Bildungsarbeit mit einbezogen. Mitsprache wird ermöglicht und Selbstbestimmung gefördert.
Persönlichkeitsbildung wird in den Freiwilligendiensten Kultur und Bildung unterstützt durch (vgl. BKJ 2024):
- Lebensweltorientierung: Inhaltlich wird die individuelle Lebenslage der Freiwilligen als Ausgangs- und Zielperspektive einbezogen. Die Freiwilligen werden nachhaltig in der Gestaltung ihrer Lebens-, Berufs- und Engagement-Wege unterstützt;
- Selbstbestimmung und Selbsterfahrung: Wenn Freiwillige Erfolge, Rollenflexibilität und Partizipation erleben, steigern sich ihr Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl;
- Ganzheitlichkeit: Lernprozesse werden als kognitive, praktisch-körperliche, emotionale und soziale Prozesse angelegt. Freiwillige werden in der Entfaltung ihrer gesamten Persönlichkeit und ihrer Potenziale durch Einsatzstellen und Träger unterstützt;
- Reflexion: Erlebnisse und Erfahrungen, Erkenntnisse und Fähigkeiten werden kontinuierlich auf die eigene Person und das eigene Handeln bezogen. Dieser Prozess der Bewusstwerdung beinhaltet Selbst- und Fremdreflexion und befördert Kompetenzerwerb, Teilhabe- und Mitbestimmungsfähigkeit;
- Handlungs- und Prozessorientierung: unterstützt das Selbstwirksamkeitserleben der Freiwilligen. Die reflektierende Bildungsarbeit unterstützt sie dabei, Handeln in Erkenntnis und Erkenntnis in Handeln zu überführen (Prozesse des Erfahrungslernens);
- Teilnehmer*innen-Orientierung: Die Stärken und Bedürfnisse der Freiwilligen* und ihre vielfältigen Persönlichkeiten sind Grundlage für die Bildungsarbeit;
- Nachhaltigkeit: Grundsätzlich zielen die Bildungsprozesse in den Freiwilligendiensten Kultur und Bildung auf langfristige Wirkungen.
In der Seminararbeit erhalten Freiwillige zudem Lernangebote, die ihnen helfen, gesellschaftliche Strukturen besser zu verstehen und Möglichkeiten der Mitgestaltung für sich zu entdecken. So wird soziale bzw. gesellschaftliche Verantwortung befördert (vgl. BKJ 2024):
- Partizipation als durchgängiges, handlungsleitendes methodisches Grundprinzip für alle Freiwilligen, unabhängig von Alter, individuellen Fähigkeiten, Geschlechtsidentität, sozialer oder geografischer Herkunft: Freiwillige* können aktiv ihre Interessen und Anliegen einbringen und haben die Möglichkeit, auf die Ausgestaltung ihres Freiwilligendienstes Einfluss zu nehmen;
- Teilhabemöglichkeiten in unterschiedlichen Strukturen werden vorgestellt und der*die Einzelne wird unterstützt, an diesen teilzunehmen;
- politische und gesellschaftliche Reflexion: kulturelle, pädagogische und politische Arbeit in den Einsatzstellen und Projekten wird zu gesellschaftlichen, ökologischen und sozialen Zusammenhängen und Realitäten in Beziehung gesetzt, Werte reflektiert, die Fähigkeit zu (politischer) Partizipation, z.B. durch Reflexions- und Kritikfähigkeit der*des Einzelnen, wird gefördert.
- Thematisierung von freiwilligem Engagement und Zivilgesellschaft: Damit soll die Fähigkeit der Freiwilligen* über gesellschaftspolitische Strukturen nachzudenken, unterstützt werden. Dazu gehört, den eigenen zivilgesellschaftlichen Beitrag zu erkennen, der mit der Übernahme eines Freiwilligendiensts verbunden ist;
- Inklusive Bildungsarbeit: Die unterschiedlichen Bedürfnisse der Freiwilligen werden ernstgenommen. Bildungstage werden so gestaltet, dass eine Möglichkeit für alle besteht, ihr Potenzial zu entfalten. Die Vielfalt der Perspektiven und Erfahrungen werden genutzt, um gemeinsame Lern- und Bildungsprozesse zu ermöglichen;
- Auseinandersetzung mit Dimensionen von Identität (Geschlecht, Alter, Klasse, Herkunft, ...) sowie Sensibilisierung für bestehende Privilegien und Diskriminierungsformen;
- die Entwicklung einer diskriminierungskritischen bzw. inklusiven Haltung: Durch Nachdenken über eigene Gefühle und persönliches Handeln können Vorurteile und Stereotype sichtbar gemacht werden. Nur wenn diese bewusst sind, können sie verändert werden. Ziel ist es, eine Haltung zu entwickeln, die den Anspruch aller Menschen auf gleiche Chancen als zentralen Wert ansieht;
- Erlernen von Strategien zum Abbau von Diskriminierung;
- Unterstützung von Personen mit Diskriminierungserfahrungen durch Teilnahmemöglichkeit an Empowerment-Workshops;
- Förderung, Anerkennung und Wertschätzung von Diversität, z.B. durch das Angebot generationenübergreifenden und transkulturellen Austauschs und Lernens;
Ob bei Freiwilligen darüber hinaus das Interesse bestärkt wird, sich auch nach dem Freiwilligendienst weiter gesellschaftlich zu engagieren, hängt davon ab, ob sie ihre Tätigkeit als gesellschaftlich sinnvoll und wichtig wahrnehmen und ob sie bei der Ausgestaltung ihres Freiwilligendienstes ausreichend mitbestimmen dürfen (vgl. Krohn 2022).
Die Kombination non-formaler und informeller Bildungsprozesse trägt dazu bei, dass ein ganzheitlicher Bildungsauftrag umgesetzt wird. Dazu werden verschiedene Konzepte aus den Bereichen der Kulturellen Bildung, der sozialen Bildung, der politischen Bildung sowie der werte- und diversitätsorientierten Bildung genutzt.
Die Teilnahme an den Bildungsangeboten im Freiwilligendienst sowie der individuelle Kompetenzerwerb der*des Freiwilligen werden am Ende des Freiwilligendienstes durch ein Zertifikat dokumentiert und gewürdigt. Der Träger stellt dafür sicher, dass die Freiwilligen mitbestimmen können, welche Schwerpunkte in ihrem Zertifikat aufgenommen werden und dass das Zertifikat im Austausch zwischen Freiwilligen, Einsatzstelle und Träger entsteht.
Die Freiwilligendienste Kultur und Bildung als fachspezifisches Angebot in Kultur und Bildung
Die Freiwilligendienste Kultur und Bildung sind explizit ein Vorhaben im Kultur- und Bildungsbereich. Kulturnutzung und -gestaltung spielen eine wichtige Rolle im Leben von Menschen, bei Jugendlichen vor allem auch als informelle Betätigung (vgl. Albert et al. 2019, Rat für Kulturelle Bildung 2015). In den Freiwilligendiensten Kultur und Bildung können sie diesem Interesse nachkommen.
Der Schwerpunkt Kultur und Bildung zeigt sich sowohl in der Auswahl der Einsatzorte als auch im Bildungskonzept der Freiwilligendienste Kultur und Bildung. Freiwilligen wird durch eine große Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten ein facettenreiches Tätigkeitsspektrum mit ästhetischen, künstlerisch-kreativen, politischen, gesellschaftlichen, sozialen, historischen und bildenden Dimensionen angeboten.
Das Spektrum der etwa 1.700 Einsatzstellen umfasst dafür alle Kunstsparten sowie weitere Bildungsbereiche wie
- Theater, Musiktheater, Tanztheater, Zirkuskunst,
- Museen und Geschichte,
- Musik,
- Bildende Kunst,
- Medien,
- Bibliotheken und Literaturhäuser,
- Bildungsstätten und Volkshochschulen,
- Politik,
- Schulen,
- Orte der Begegnung etc.
Im Bildungskonzept der Freiwilligendienste Kultur und Bildung ist Kulturelle Bildung als Persönlichkeitsbildung in den Künsten und durch die Künste fest verankert (vgl. BKJ 2024). So übernehmen Freiwillige in ihrem Dienst künstlerisch-kreative Tätigkeiten, vermitteln Kunst und Kultur oder sie üben andere praktische Tätigkeiten aus wie Technikaufbau oder Verwaltung – letzteres aber in Einsatzstellen, die zur breiten Kultur- und Bildungslandschaft gehören. Konkret können Freiwillige in ihren Einsatzstellen beispielsweise
- künstlerisch / kreativ tätig sein: z.B. Texte schreiben, Kostüme schneidern, Flyer gestalten, eigene Veranstaltungen ausdenken;
- Veranstaltungen mit organisieren: z.B. Räume und Technik vorbereiten, Verpflegung absprechen, Anmeldungen erfassen, Verträge ausfüllen, vor Ort dabei sein und unterstützen;
- in der Öffentlichkeitsarbeit tätig sein: z.B. Veranstaltungskalender pflegen, Presseartikel sortieren, Ideen für Flyer sammeln, Texte in sozialen Medien veröffentlichen;
- mit Medien arbeiten: z.B. Menschen interviewen, Videoclips erstellen, anderen Personen Handy/ Computer / Tablet erklären;
- Menschen begleiten: z.B. bei Spiel und Kreativangeboten, bei Klassenfahrten, bei Begegnungen;
- handwerklich tätig sein: z.B. Bühnenbau, Holzarbeiten, Ausstellungen aufbauen, Reparaturen;
- für die Technik bei Veranstaltungen mit zuständig sein: z.B. Ton und Licht abstimmen, technische Geräte auf und abbauen, Stühle rücken;
- Verwaltungstätigkeiten mit übernehmen: z.B. telefonieren, Daten im Computer erfassen, Briefe verschicken.
Neben dem Praxiseinsatz legt die individuelle Begleitung der Träger ein besonderes Augenmerk darauf, dass in der begleitenden Bildungsarbeit künstlerisch-kreative Erfahrungen durch die Freiwilligen gesammelt werden können. In der Seminararbeit werden Freiwillige mit ästhetisch-künstlerischen Prozessen angeregt, ihre Umwelt mit kreativer und sozialer Fantasie zu deuten, sie sinnlich-konkret zu begreifen und zu gestalten. Tanz und Musik, Spiel und Theater, kreatives Schreiben, Bildende Kunst, Performance, Zirkus, Film, Hörspiel, digitale und interaktive Medien zählen dabei zu den Kommunikations- und Gestaltungsmitteln in der Auseinandersetzung mit persönlichen und gesellschaftlichen Fragestellungen. Dafür werden künstlerische Workshops angeboten, Reflexionseinheiten gestaltet, Exkursionen z.B. in Kulturhauptstädte durchgeführt oder künstlerische Aktionen im öffentlichen Raum initiiert. Dabei stehen zum einen Fragen nach der eigenen Identität, Positionierung und Zukunftsgestaltung im Zentrum und zum anderen Fragen nach gesellschaftlichen Zusammenhängern und Mitgestaltung. Kulturelle Bildung in den Freiwilligendiensten Kultur und Bildung fördert so künstlerisch-kreative Fähigkeiten sowie die Reflexions-, Kommunikations- und Handlungskompetenz der Freiwilligen.
Kulturelle Bildung wird als Möglichkeit betrachtet, Freiwillige in die Lage zu versetzen, die Welt zu interpretieren, sich in ihr zu positionieren, eigene Haltungen künstlerisch auszudrücken und in konkretes Handeln zu übersetzen. Handlungsleitend ist dabei die Idee, „subjektive Bedürfnisse zu respektieren (und zu entwickeln), ohne im rein Privaten zu verharren“ (Fuchs 1990:30). Kulturelle Bildung zeigt hier viele Berührungspunkte und Überschneidungen mit politischer Bildung. Gleichzeitig wird der Zusammenhang von Kultur und Bildung machtsensibel befragt und Multiperspektivität angeregt (vgl. Auma 2017). In diesem Sinne bemühen sich die Träger, den Freiwilligen in ihrem Freiwilligendienst transkulturellen Austausch und diversitätsbewusstes Lernen zu ermöglichen sowie für bestehende Privilegien und Diskriminierungsformen zu sensibilisieren.
Die Freiwilligendienste Kultur und Bildung sind eng rezeptiv wie produktiv mit der Teilhabe am kulturellen Leben und mit künstlerischer Praxis verknüpft. Sie orientieren sich für die Ausgestaltung der verschiedenen Lerngelegenheiten und Bildungsangebote an den didaktischen Prinzipien der Kulturellen Bildung, die wie die außerschulische kulturelle Jugendarbeit und Erwachsenenbildung Partizipation, Interessenorientierung und Selbstwirksamkeit in den Vordergrund stellt. Bildungsprozesse in den Freiwilligendiensten Kultur und Bildung können demnach nicht nur als Persönlichkeits- und soziale Bildung, sondern in diesem Setting ebenso als Kulturelle Bildung beschrieben werden.
Freiwilligendienste als Chance für mehr Diversität und Inklusion in Kultur und Kultureller Bildung
Seit 2014 beschäftigt sich der Trägerverbund Freiwilligendienste Kultur und Bildung mit Wegen zu mehr Inklusion und Diversität in seinen Freiwilligendiensten. Die Freiwilligendienste Kultur und Bildung richten sich an alle Menschen – unabhängig von Alter, individuellen Fähigkeiten, Geschlechtsidentität, sozialer oder geografischer Herkunft. Ziel ist es, in den Freiwilligendiensten gesellschaftliche Realität abzubilden, eine Realität, die geprägt ist durch eine Vielfalt an Menschen mit unterschiedlichen Biografien, Privilegien und Diskriminierungserfahrungen (vgl. Krohn/Schütze 2022).
Die Veränderung konkreter Rahmenbedingungen und Strukturen in den Freiwilligendiensten können dabei nachhaltige Auswirkungen auf Organisationen Kultureller Bildung haben. So öffnen sich mehr und mehr Einsatzstellen dem Gedanken, auch junge Menschen aus marginalisierten Gesellschaftsgruppen zu unterstützen und ihnen einen Freiwilligenplatz anzubieten. Laut einer Befragung der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2022) ist sich bereits die Hälfte der Einsatzstellen bewusst, dass sie mit der Auswahl der Freiwilligen zur Diversifizierung ihres Personals beitragen können. Viele Kultur-Freiwillige entdecken zudem durch ihren Freiwilligendienst ein für sich attraktives Berufsfeld (vgl. BKJ 2017). Freiwillige werden im Freiwilligendienst mit ihren Kompetenzen gesehen und in ihrer persönlichen Entwicklung gestärkt. Damit geht die Setzung (neuer) biografischer Ziele einher, die bei etwa einem Drittel der Freiwilligen in eine Ausbildung im Kulturbereich mündet. Das betrifft Ehemalige mit und ohne Diskriminierungserfahrungen. Dass schon damit eine Veränderung bewirkt wird, legen Sandrine Micossé-Aikins und Bahareh Sharifi (2017) nahe, die darauf hinweisen, dass Kunsthochschulen und kulturwissenschaftliche Studiengänge gesellschaftliche Vielfalt nicht widerspiegeln. Für die tagtägliche Arbeit der Kulturorganisationen wiederum kann der Freiwilligendienst ein erster Ansatzpunkt sein, um langfristig Zugänge zu neu gewünschten Personengruppen zu schaffen (vgl. Akkoyun u.a. 2020).
Auswirkungen zeigen sich auch für Kulturvereine, die ihre Arbeit zumeist durch die Leistungen freiwillig Engagierter vollbringen, bzw. für die gesamte Landschaft kulturellen Engagements. Denn auch für das freiwillige Engagement in und für Kultur gelingt es bisher weniger gut, gesellschaftlich marginalisierte Gruppen anzusprechen (vgl. Alscher 2022; BKJ 2019). Laut einer Befragung der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung engagieren sich zwei Drittel der nach ihrem Freiwilligendienst engagierten Freiwilligen mit Diskriminierungserfahrungen in Kultur und Bildung weiter und werden damit Teil der notwendigen Diversifizierung im Engagementbereich Kultur (vgl. Krohn 2022).
Fazit
Die Freiwilligendienste Kultur und Bildung unter dem Dach der BKJ existieren seit 2001. Für die Umsetzung arbeiten 19 Träger mit Einrichtungen der Kultur und Bildungsarbeit in ganz Deutschland zusammen. Aktuell absolvieren im Trägerverbund Freiwilligendienste Kultur und Bildung etwa 3.000 Freiwillige pro Jahr(gang) einen Freiwilligendienst.
Der Schwerpunkt Kultur und Bildung zeigt sich sowohl in der Auswahl der Einsatzorte als auch im Bildungskonzept der Freiwilligendienste Kultur und Bildung. Freiwillige werden in Kultur- und Bildungsorganisationen tätig und übernehmen künstlerisch-kreative Tätigkeiten, vermitteln Kunst und Kultur oder üben andere praktische Tätigkeiten aus. Neben dem Praxiseinsatz legt die individuelle Begleitung der Träger ein besonderes Augenmerk darauf, dass in der begleitenden Bildungsarbeit künstlerisch-kreative Erfahrungen durch die Freiwilligen gesammelt werden können.
Die Freiwilligendienste Kultur und Bildung verstehen sich als Ort non-formaler und informeller Bildung. Das zugrundeliegende ganzheitliche Bildungsverständnis geht über ein rein funktionales Verständnis eines beruflichen und normativen Kompetenzerwerbs hinaus und stellt die individuelle, eigensinnige Persönlichkeitsentwicklung der Freiwilligen in den Mittelpunkt. Die Freiwilligendienste Kultur und Bildung orientieren sich für die Ausgestaltung der verschiedenen Lerngelegenheiten und Bildungsangebote an den didaktischen Prinzipien der Kulturellen Bildung, die Partizipation, Interessenorientierung und Selbstwirksamkeit in den Vordergrund stellt. So werden Freiwillige mit ihren Kompetenzen gesehen und in ihrer persönlichen Entwicklung gestärkt.
Als Teil eines lebensbegleitenden Lernens fördern die Freiwilligendienste Kultur und Bildung die selbstbezogene Entwicklung der Freiwilligen, aber auch die aktive Auseinandersetzung mit ihrer kulturellen und sozialen Umwelt. So setzen sich die Freiwilligen in den Seminaren mit persönlichen und gesellschaftlichen Fragestellungen auseinander und nutzen dafür Musik, Spiel, Theater, kreatives Schreiben, Bildende Kunst, Film, Hörspiel und andere Gestaltungsmittel Kultureller Bildung.
Als eine Form freiwilligen Engagements tun Freiwillige durch ihren Freiwilligendienst etwas für Andere bzw. für die Gemeinschaft und sammeln gleichzeitig Erfahrungen, erhalten Orientierung und entwickeln sich persönlich weiter. Durch die Zertifizierung des Dienstes erhalten sie einen formalen Nachweis über ihre Bildungs- und Engagementzeit. Damit kommen die Freiwilligendienste Kultur und Bildung dem aktuellen Interesse von jungen Menschen entgegen, die sich engagieren und ihre dabei erworbenen Kompetenzerwerb sichtbar machen wollen.
Freiwilligendienste sind Lernfelder und bieten (jungen) Menschen großartige Möglichkeiten, durch Freude an einer selbstgewählten Tätigkeit persönliche Entwicklung, Selbstwirksamkeitserleben und biografische Orientierung zu erfahren. Der Trägerverbund Freiwilligendienste Kultur und Bildung setzt sich seit nunmehr zehn Jahren dafür ein, dieses biografisch so stärkende Angebot noch mehr Menschen zugänglich zu machen, die von gesellschaftlicher Marginalisierung betroffen sind. Gemeinsam mit den Einsatzstellen vor Ort hat sich der Trägerverbund zum Ziel gesetzt, Ausschlüsse und Barrieren aufzudecken, die Personen daran hindern, einen Freiwilligendienst in einer Kultur- und Bildungseinrichtung zu absolvieren. Langjährige und neue Einsatzstellen in Kultur und Bildung sind herzlich willkommen, an diesem herausfordernden und sinnstiftenden Prozess mitzuwirken und dafür zu sorgen, dass interessierte Personen mit Benachteiligungserfahrungen einen Einsatzplatz in ihren Einrichtungen erhalten.