Museale Interventionen als Aktualitätsbeschleuniger — Am Beispiel des Badischen Landesmuseums
Abstract
Die Dauerausstellungen von Museen haben teilweise eine Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten. Die gesellschaftliche Entwicklung schreitet jedoch wesentlich schneller voran. Daraus folgt für viele Häuser, dass ihre Objekte heute teilweise nicht mehr so wie vor 20 Jahren ausgestellt werden können. Die Objekte sind materielle Zeugnisse ihrer Zeit und verfügen womöglich über antisemitische, rassistische, koloniale, ableistische, exotisierende, sexistische Aussagen, die eine neue Kommentierung und kritische Einordnung benötigen. Eine Intervention ist hier eine einfache und kostengünstige Möglichkeit, auf diese Problematiken hinzuweisen und sie (ansatzweise) zu lösen. Zusammen mit externen Partner*innen können neue Inhalte und Perspektiven erarbeitet werden, die vorher im Museum so nicht verortet waren. Zu beachten ist jedoch, dass eine Intervention immer nur eine temporäre Lösung ist. Daher kann eine Intervention nur ein erster Schritt zu einem kritischen Hinterfragen der eigenen musealen Deutungsmacht sein. Das Ziel sollte sein, eine nachhaltige institutionelle Veränderung der Museen zu schaffen.
In der Museumswelt lässt sich schon seit längerer Zeit und verstärkt in den letzten Jahren ein Trend zur Intervention erkennen, um zeitaktuell neue Perspektiven in bestehende Ausstellungskonzeptionen einzubringen. Dabei bietet dieses Format eine vergleichsweise unaufwändige wie auch kostengünstige Möglichkeit, museale Veränderungen aufzugreifen, gesellschaftliche Missstände anzuprangern und eine „direct response“ zu schaffen. Die Durchführung von Interventionen wird oft durch Projektmitarbeiter*innen oder Volontär*innen umgesetzt, die sich mit einem neuen Blick dem jeweiligen Museum, der Sammlung und Präsentation nähern. In vielen Museen sind es die Kurator*innen mit Festanstellung, die kontinuierlich an ihrem Sammlungsbereich arbeiten und für die entsprechenden Ausstellungsbereiche, wie etwa Sammlungspräsentationen, verantwortlich sind. Oft sind diese Mitarbeiter*innen so stark in das Alltagsgeschäft im Museum involviert, dass eine andere Perspektive durch „neue“ mitunter temporär angestellte Museumsmitarbeiter*innen einen Mehrwert bringen kann.
Eine Intervention setzt an und für sich keinen grundlegenden Wandel der Institution voraus, sie kann zum Nachdenken anregen, ist aber an sich performativ. Das bedeutet, dass eine Intervention nur über eine begrenzte Laufzeit verfügt und für ein ansonsten eher veränderungsunwilliges Museum nach deren Abbau, alles wieder wie zuvor sein kann. Der wichtigste Vorteil und Gewinn durch eine Intervention kann somit auch ihr großer Nachteil sein. Im Idealfall wird aber durch dieses Format mit neuen Perspektiven experimentiert und mit dem Einholen von Feedback externer Akteur*innen, Besucher*innen und Museumsmitarbeiter*innen evaluiert, welche Ansätze und Diskurse im Museum künftig weiterverfolgt werden.
Wenn es um die Aktualität von musealen Ausstellungen geht, lässt sich neben der Intervention auch das „partizipative Sammeln“ nennen, das von der Museumskritikerin Susan Kamel als „derzeit prominente Strategie, einen Gegenkanon zu schaffen […], sei es in Kollaboration mit aktivistischen Gruppen, mit bisher marginalisierten Personen oder unbequemen Positionen“ (Kamel 2020:136) bezeichnet wird. Beide Ansätze können diesen dringend notwendigen Gegenkanon in den Ausstellungen sichtbar machen. Eine Kombination beider Strategien, Interventionen und kollaboratives Arbeiten sowie partizipatives Sammeln, können damit auf bestehende Ausstellungen einwirken und institutionell zu einer dringend notwendigen Auseinandersetzung führen.
Interventionen, wie die Bezeichnung als solche schon andeutet, verfügen durch ein aktives Eingreifen in Bestehendes häufig über eine politische oder aktivistische Dimension. Es gibt jedoch auch etabliertere Formate zum Beispiel zu Sonderausstellungen oder Jubiläen, die „nur“ aktuelle thematische Aspekte oder Schwerpunkte in bestehende Präsentationen einbringen sollen. Kritische Interventionen hingegen bringen zwar auch einen neuen thematischen Aspekt ein, dies geschieht jedoch häufig aus einer anderen Motivation heraus. Hierbei handelt es sich meist um eine erkannte Notwendigkeit, dass bisherige Arten der Präsentation in dieser Form nicht mehr gezeigt werden können und/oder kritisch kommentiert werden müssen, da sie nicht mehr zeitgemäß und inhaltlich auch nicht mehr vertretbar sind.
Die Ausgangslage: Zur Rolle von Objekten und Dauerausstellungen
Das Dilemma von Dauerausstellungen erwähnte Roswitha Muttenthaler bereits im Jahr 2012. Einerseits kann eine Dauerausstellung in der modernen Welt als ein Ort der Beständigkeit und Entschleunigung fungieren, andererseits gebe „es eine [museale] Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit aktuell zu sein“ (Muttenthaler 2012:356). Bei einer genaueren Betrachtung dieser Aktualitätsverpflichtung sind zwei Aspekte zu berücksichtigen, einerseits die Objekte und andererseits der Präsentationsrahmen. Den gezeigten Objekten kann eine Art Eigenleben oder Agency zugesprochen werden. Sie sind historische Zeugnisse der Epoche, in der sie hergestellt wurden und geben so ein Bild wieder, das mit einem heutigen Blick auch problematische oder schmerzhafte Aspekte beinhalten kann. Ihre Betrachtungsweise, Bedeutung und Beurteilung hängt neben dem materiellen Speicher von dem Kontext und der Interpretation der zeitgenössischen Betrachter*innen sowie deren Ideen, Meinungen und Auffassungen ab. Joachim Baur formuliert dies in seiner Auseinandersetzung mit dem Museum im postfaktischen Zeitalter wie folgt: „Der Blick, die spezifische Perspektive der Betrachtung durch Wissenschaftler*innen, Kurator*innen und Besucher*innen prägt, welches Wissen gefunden beziehungsweise als Wissen anerkannt und in der Konsequenz als ‚Wahrheit‘ proklamiert wird“ (Baur 2018:27). Für Museen ist die sich daraus ergebende Perspektive entscheidend dafür, welche Informationen sie den Besucher*innen zugänglich machen, um ein Objekt zu interpretieren und zu verstehen. Dabei sind die museale Präsentation und die Szenografie der Ausstellung der ausschlaggebende vermittlerische Rahmen.
Aus dieser Ausgangslage ergibt sich für viele Museen folgendes Problem: Dauerausstellungen haben mitunter eine Lebensdauer von teilweise mehreren Jahrzehnten. Zu berücksichtigen ist dabei auch die jahrelange Planungs- und Konzeptionszeit, die Dauerausstellungen schon bei Eröffnung nicht mehr gegenwärtig machen (vgl. von Bose 2020:270). Auch unterliegt die Gestaltung musealer Ausstellungen verschiedenen Konjunkturen und Moden. Je nach Jahrzehnt lassen sich unterschiedliche Schwerpunkte in Szenografie oder Thematik festmachen. Der gesellschaftliche Wandel außerhalb des Museums schreitet jedoch viel schneller als der Lebenszyklus einer Dauerausstellung voran, und es ist auch zukünftig von einer immer größeren Beschleunigung auszugehen. Wenn das Museum, wie Ulrike Lorenz es formuliert, als „systemrelevanter Ort der Verständigung einer sich transformierenden Zivilgesellschaft“ (Lorenz 2020) fungieren will, muss es sich diesem Wandel öffnen. Dies bedeutet eine Entwicklung hin zu neuen kritischen Fragestellungen, denen sich Museen stellen müssen, wenn sie weiterhin relevant sein möchten. Dieser Prozess ist nicht nur auf Museen beschränkt. Die Öffnung und Publikumsorientierung von Kulturinstitutionen sind ein breites Bestreben der letzten Jahre, das häufig auch politisch und finanziell durch die jeweiligen Träger*innen gefördert wird.
Umsetzung von Interventionen
Die konkrete Umsetzung einer Intervention in einem Ausstellungsbereich kann vielfältig sein. Eine der gängigsten Methoden ist es, „Störelemente“ im (Ausstellungs-)Raum einzubringen. Für diese wird oft ein auffälliges Design gewählt, das mit der bisherigen Ausstellungsgestaltung bricht. Grelle Neonfarben etwa fallen in den meisten Dauerausstellungsräumen auf und lenken den Blick der Besucher*innen auf die Intervention. Diese Störelemente verfügen häufig über eine textliche Kontextualisierung, die zu einer neuen Perspektive auf das Objekt oder das Thema anregt. Bei künstlerischen Intervention können auch Kunstwerke diese Rolle einnehmen und sich in Beziehung zu den bisherigen Ausstellungsobjekten setzen. Neben diesen gestalterisch auffälligen Ansätzen können schlichte Interventionen Objekte in einem neuen Kontext erscheinen lassen, wie beispielsweise in den Häusern der Klassik Stiftung Weimar. Für die Intervention in historischen Dichterhäusern wurde ein eigenes charakteristisches Interventions-Möbel gestaltet, welches sich sensibel in den bestehenden Raum einfügt. Den Besucher*innen werden zusätzliche Informationen zu den Objekten durch ein Handout vermittelt.
Bei der Umsetzung ist nicht nur die praktisch-materieller Ebene zu beachten, sondern ebenso die inhaltlichen Aspekte, die meist den Ausgangspunkt bilden. Die Entwicklung von Interventionen, auf inhaltlicher, aber auch gestalterischer Ebene, kann wie bereits erwähnt in Zusammenarbeit mit Betroffenen oder Aktivist*innen geschehen. Die Kurator*innen oder Interventionist*innen geben dabei die Deutungsmacht über Ausstellungen und Objekte ab, um gemeinsam mit weiteren Beteiligten Positionen zu erarbeiten, die bislang im Museum und in der eigenen Arbeit nicht repräsentiert werden. Sich als Museumsmitarbeiter*in der eigenen Deutungshoheit bewusst zu werden und diese aktiv abzugeben, ist ein wichtiger Schritt in Richtung eines demokratischen Institutionsverständnisses.
Ein Rahmenpunkt solcher Interventionen ist die Laufzeit. Diese kann variieren und muss nicht zwangsläufig im Vorfeld definiert werden. Mit der Zeit verliert eine Intervention jedoch ihren interventionistischen Charakter, geht immer mehr in die bisherige Ausstellungsgestaltung über und wird irgendwann Teil des „Etablierten“. In einer digitalisierten Museumswelt ist eine Anbindung an die Online-Angebote von Museen ebenfalls mitzudenken und kann genauso relevant wie die physischen Veränderungen im Museumsgebäude sein. Daher ist zu bedenken, wie im digitalen Raum derartige Entwicklungen und Prozesse kommuniziert und eingebunden werden können. In einem weiteren Schritt wäre zu überlegen, ob Interventionen auch nur im digitalen Raum stattfinden können, da die dortige schnellere Reaktionszeit und die anderen Verbreitungsmöglichkeiten einen Teil zur Argumentation von Interventionen beitragen können.
Praxisbeispiel Intervention: Die Dauerausstellung des Badisches Landesmuseums
Um die skizzierte Ausgangslage zu veranschaulichen, möchte ich ein Praxisbeispiel anführen: Im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe habe ich als wissenschaftlicher Volontär 2020 eine kritische Intervention durchgeführt. Der erste Anknüpfungspunkt, sich mit den problematischen Objekten einer volkskundlichen Dauerausstellung auseinanderzusetzen, entstand bei einem Thinktank am Museum der Alltagskultur in Waldenbuch, welcher sich mit der Neuausrichtung des Museums und dem Sammeln von Alltagskultur in der Gegenwart beschäftigte. Der dortige Austausch mit Akteur*innen der Museumswelt eröffnete mir neue Perspektiven auf die im Badischen Landesmuseum präsentierten Objekte.
Die volkskundliche Dauerausstellung „Baden und Europa 1789 bis 2000“ wurde Ende der 1990er Jahre geplant und auf einer ganzen Etage in drei Schritten zwischen 2000 und 2002 eingerichtet. Ausschlaggebend für die Idee, nach 20 Jahren in die bestehende Szenografie zu intervenieren, war für mich das Plakat der Badenia Fahrradwerke, welches in die Dauerausstellung ursprünglich als Beleg für die Industrialisierung Badens integriert wurde. Die rassistischen Motive, die sich auf diesem Plakat jedoch ebenfalls finden, werden vollkommen ausgeblendet und bleiben auch im Objekttext unerwähnt. Das Ziel dieser und fünf weiterer Interventionen war es daher, auf solche Ausblendungen aufmerksam zu machen.
Um die Objekte in der Ausstellung zu identifizieren, habe ich die Präsentation in zahlreichen Begehungen kritisch betrachtet. Ebenfalls suchte ich in der Datenbank nach Begriffen und Schlagworten, die einen problematischen Kontext erahnen lassen. Hier ist zu erwähnen, dass viele Begriffe in den Beschreibungen und Objekttexten rassistisches oder diskriminierendes Vokabular verwenden. In der Konzeptionsphase habe ich die Ausstellung auch mit verschieden Akteur*innen wie der Antidiskriminierungsstelle Karlsruhe besichtigt und die ausgewählten wie auch weitere Objekte diskutiert.
Die Umsetzung eines solchen Projekts erfordert die Einbindung verschiedener Akteur*innen innerhalb der Institution. In erster Linie betrifft es die für den Ausstellungsbereich verantwortlichen Kurator*innen. In meinem Fall wurde mir ein umfangreicher und vertrauensvoller Handlungsspielraum durch die zuständige Kuratorin gewährt. Des Weiteren muss die Direktion von der Notwendigkeit eines solchen Eingreifens in die Ausstellungsgestaltung überzeugt, sowie die Finanzierung geklärt werden, wenngleich in diesem Fall die Kosten überschaubar waren. Die Vermittlungs- und Kommunikationsabteilungen können bei der Textredaktion unterstützen und das Projekt sichtbar machen. Eine solche Intervention kann neben der inhaltlichen Auseinandersetzung mit problematischen Objekten somit auch eine umfangreiche Koordinations- und Überzeugungsarbeit innerhalb der Institution erfordern.
Mit orangefarbenen Rahmen, die durch ergänzende kritische Objekttexte einen neuen Blick auf die Objekte bieten, wurde visuell und konzeptionell in das bestehende Ausstellungsdesign interveniert. Dabei werden die Objekte auch stärker in den Vordergrund gerückt. Exemplarisch wurden an sechs Objekten und Themenfeldern in der Dauerausstellung neue Kontexte und Informationen vermittelt und die Aspekte Antisemitismus, Rassismus, Ableismus, Kolonialismus, Exotismus und Sexismus aufgegriffen.
Das Thema Antisemitismus zeigt sich in der Dauerausstellung anhand einer Keramikfigur von Anton Sohn, die den Titel „Der Zollgardist und der Jude“ auf einer kleinen Papierbeschriftung trägt. Sie stellt Menschen jüdischen Glaubens stereotyp und abwertend dar: An einem Grenzposten wird das Reisegepäck zweier Juden von einem uniformierten Zollbeamten durchsucht. Sie sind durch antisemitische Überzeichnung kenntlich gemacht und werden negativ als Schmuggler und Kriminelle dargestellt. Diese Figur zeigt das in Europa weitverbreitete judenfeindliche Weltbild des 18. und 19. Jahrhunderts, ohne es in einem Objekttext kritisch einzuordnen. Das Plakat findet sich in einer Ausstellungseinheit, die sich mit der Industrialisierung Badens befasst, und wird als ein Beleg hierfür gezeigt. Dass ein Ausstellungsobjekt, je nach Perspektive der Betrachter*innen, mehrere Nachrichten transportieren kann, zeigt sich hier sehr deutlich.
Das bereits erwähnte Werbeplakat der Badenia Fahrradwerke aus Gaggenau arbeitet mit rassistischen Darstellungen: Angehörige einer indigenen Gemeinschaft, die zu dieser Zeit als „Eingeborene“ bezeichnet wurden, verfolgen einen weißen Mann in Uniform mit Tropenhelm. Dabei werden sie als „Primitive“ dargestellt: halb bekleidet, mit Speeren und weit aufgerissenen Augen und Mündern. Der Kolonialist hingegen ist vornehm gekleidet und fährt auf seinem Fahrrad unbeeindruckt mit einer Zigarette in der Hand davon. Dass solche rassistischen Motive im deutschen Kaiserreich sehr beliebt waren, weil sie Vorstellungen der eigenen Überlegenheit verstärkten, wurde in der Präsentation nicht deutlich.
Ableismus wird in der Intervention anhand einer historischen Postkarte thematisiert. Diese zeigt das „Krüppelheim Heidelberg“, das die Großherzogin Luise von Baden 1910 gründete. Sie wirbt auf der Postkarte für dessen Unterstützung. Aus heutiger Sicht ist es inakzeptabel, Menschen als „Krüppel“ zu bezeichnen. Der Begriff wird als abwertend und beleidigend verstanden. Heute sprechen wir von „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“. Die Bezeichnung hat sich zwar geändert, aber die negativen Konnotationen schwingen noch vielfach mit. Der Begriff Ableismus kommt aus dem Englischen („Ableism“) und bezeichnet die Diskriminierung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen.
In der Dauerausstellung „Baden und Europa 1789 bis 2000“ widmet sich eine kleine Ausstellungseinheit, bestehend aus nicht viel mehr als einer Vitrine und drei Schubladen, dem Kolonialismus und den badischen Verstrickungen darin. In einer der Schubladen findet sich eine Auswahl an Postkarten mit kolonialen Motiven. Für die Intervention wurde eine dieser Postkarten eines ehemaligen badischen Kolonialbeamten exemplarisch herausgegriffen, die eine Gruppe von Frauen zeigt. Die Frauen werden in diesem Postkartenmotiv regelrecht vorgeführt. Sie sind kaum bekleidet und tragen Hand- oder Halsfesseln. Das Bild ist in einem kolonialen Kontext entstanden, solche Postkarten waren zu der Zeit um 1900 weit verbreitet. Damals herrschte in der deutschen Bevölkerung ein großes Interesse an den kolonialen Bestrebungen des Kaiserreichs, was sich auch in zahlreichen Belegen aus der Populärkultur und Werbung widerspiegelt. Die deutsche Kolonialpolitik war für den Völkermord an den Herero und Nama im heutigen Namibia verantwortlich. Zwar ist die Problematik des Kolonialismus in der Präsentation durchaus berücksichtigt, trotzdem muss ein solches Motiv kritischer eingeordnet werden. Es stellt sich darüber hinaus die Frage, ob es überhaupt gezeigt werden sollte.
In der chronologischen Reihenfolge der Ausstellungskonzeption folgt nach dem Kolonialismus des Deutschen Kaiserreichs der Erste Weltkrieg, die Zwischenkriegszeit und der Zweite Weltkrieg. Die Verbrechen der NS-Zeit werden kritisch aufgearbeitet und umfangreich präsentiert. Die nächste Intervention befindet sich in der Zeit des westdeutschen Wirtschaftswunders und thematisiert den Exotismus. In einer großen Vitrine werden verschiedene dekorative Objekte der 1950er und 1960er Jahre präsentiert. Dabei zeigen unter anderem Salzstangen-Halter die Faszination der damaligen Bevölkerung für das Exotische. Stilisierte Figuren mit asiatisch anmutenden Kegelhüten ziehen das Gebäck mit Rikschas oder tragen es in Körben auf dem Rücken. Die Objekte lassen uns heute erkennen, wie ein Gefühl der westeuropäischen Überlegenheit in den Wohnzimmern reproduziert wurde. Auch einige Reise-Souvenirs in einer Vitrine daneben zeigen exotisierende Sichtweisen auf Menschen südlicher Länder. Bis heute finden sich solche stereotypen Darstellungen auch in anderen Medien, wie etwa in Urlaubskatalogen.
Auch Sexismus wird in der Ausstellung deutlich, wenngleich nur indirekt, und bleibt unkommentiert. In Form eines Merchandise-Tellers wird die ehemals populäre Fernsehserie Schwarzwaldklinik hier vertreten. Solche Serien schrieben und schreiben häufig tradierte Rollenbilder fort. In der Schwarzwaldklinik wird dies zum Beispiel in Folge 61 deutlich: Der Ärztin Dr. Christa Brinkmann wird vorgeworfen, dass ihr Sohn krank sei, weil sie berufstätig ist und sich nicht ausreichend um ihn kümmere. Ihr wird nahegelegt, ihren Job zu kündigen, um nicht weiter das Wohl des Kindes zu gefährden. Nicht nur aus heutiger Sicht wirkt dies sexistisch. Schon bei der Erstausstrahlung 1989 kam es zu heftiger Kritik, unter anderem von der damaligen Familienministerin Ursula Lehr.
Bei allen interventionistischen Eingriffen ging es nicht darum, dass solche Objekte nicht mehr im Badischen Landesmuseum gezeigt werden sollten. Das Ziel meiner Intervention ist vielmehr, Besucher*innen zum kritischen Nachdenken und einer Auseinandersetzung mit den Themen und mit der vermeintlichen Deutungshoheit des Museums anzuregen. Die Objekte können in der bisherigen Präsentationsform nicht für sich alleine stehen. Auch im Kontext der Ausstellung, die wichtige Ereignisse in der badischen Geschichte zeigt, darf es nicht zu einer idealisierenden Verklärung kommen, die heute als negativ zu betrachtende Aspekte, Praktiken und Auffassungen ausblendet.
Die Intervention im Badischen Landesmuseum beschränkt sich bisher auf die Abteilung „Baden und Europa 1789 bis 2000“ wäre jedoch auf weitere Dauerausstellungen ausweitbar. Beispielsweise zeigt das Gemälde einer Fürstin einen Schwarzen Menschen, der am Hof als Diener, als sogenannter „Hofmohr“ arbeitet, und im Bildarrangement unterwürfig im Hintergrund platziert ist. Oder ein Erdglobus aus dem 17. Jahrhundert in der Dauerausstellung zur Renaissance, dessen Ausstellungstext die Kolonisation, Ausbeutung und Vernichtung der Bevölkerung der beiden Amerikas euphemistisch als „Entdeckung“ und „Erschließung von Gold- und Silbervorkommen“ bezeichnet.
Eine ähnliche Intervention mit dem Titel „Weltkultur / GlobalCulture“ ist im Badischen Landesmuseum in Teilen noch sichtbar. Hier wurden kulturelle Verknüpfungen thematisiert und auf problematische Machtbeziehungen wie bei dem erwähnten Gemälde der Fürstin hingewiesen. Aufgrund von baulichen Veränderungen in den Ausstellungsbereichen wurde das dazugehörige Handout mit einer Laufroute jedoch entfernt und in den Ausstellungen sind nur noch vereinzelte Objektschilder der Intervention zu sehen; Interventionen sind eben keine dauerhafte Lösung.
Ausweitbar wäre eine Intervention auch auf weitere Aspekte oder Themen. So wird Migration und Migrationsgeschichte beispielsweise in einigen Objekten in der Dauerausstellung „Baden und Europa 1789 bis 2000“ sichtbar, aber nicht explizit als solche gekennzeichnet oder mit persönlichen Erzählungen sicht- und begreifbarer gemacht. Neben dem Werbeplakat der Fahrradwerke ist etwa eine Texttafel mit einer Grafik zum Eisenbahnbau in der Zeit der Industrialisierung Badens bedruckt. Hier ist keine kritische Einordnung notwendig, dennoch zeigt sich, wie mit einem neuen Blick auf die Dauerausstellung andere Zusammenhänge sichtbar werden können.
Kritik an der Kritik
In seinem Text „Krise der Repräsentationskritik? Über Deutungsmacht im postfaktischen Museum“ setzt sich Joachim Baur mit dem postfaktischen Museum auseinander. Über eine Inszenierung im Deutschen Historischen Museum Berlin sagt Baur in diesem Zusammenhang: „Ein Haus, in dem jedem Erstsemester, wenn man nur darauf hinweist, der ‚Konstruktionscharakter‘ musealer Darstellungen wie Schuppen von den Augen fällt: Stimmt, Fakten sind prekäre Bezugspunkte, sie entwickeln – wie die Dinge – nicht aus sich heraus eine Deutung oder Erzählung“ (Baur 2018:30). Hier wird noch einmal die Konstruiertheit einer Ausstellung, sei es in Bezug auf Daten, Fakten oder am Beispiel des Badischen Landesmuseums der Objekte, sichtbar, die zentral von den Ausstellungsmacher*innen beeinflusst wird. Darauf aufbauend argumentiert Baur, dass sich Museen dieser Rolle bewusstwerden und sich, vor allem im postfaktischen Zeitalter, klar positionieren müssen.
Ein solches Vorgehen, wie beispielsweise in Form einer Intervention, kann auch mit einer starken Kritik und dem Vorwurf einer übersteigerten „political correctness“ einhergehen. Diesem Vorwurf des konservativen Lagers, gehorsam einer vermeintlichen Verbotsmanie zu entsprechen, kann entgegnet werden, dass die Objekte weiterhin präsentiert werden, nur um zusätzliche Informationen erweitert. Eine solche Kritik zeigte sich für die Staatliche Kunstsammlung Dresden in einem Shitstorm, der nach der Kontextualisierung bzw. oberflächlichen Ausblendung rassistischer Begriffe in einigen wenigen Werkbezeichnungen im digitalen Katalog über das Museum hereinbrach. Ein AfD-Abgeordneter sprach hier von „linker Bilderstürmerei“ (siehe dpa 2021, Frenzel 2021). Bei der Anpassung des digitalen Katalogs handelt es sich zwar nicht direkt um eine Intervention, sondern nur um eine zeitgemäße Korrektur, dennoch zeigen sich Kritik und Vorwürfe, mit denen Institutionen konfrontiert werden, wenn diese bestrebt sind, sich gesellschaftlich weiterzuentwickeln.
Eine anders gelagerte Kritik argumentiert strukturell, dass nämlich ein Objekt – auch wenn es kommentiert oder kritisch verfremdet wird – seine rassistische Aussage dadurch nicht verliert. Und diese Aussage ist weiterhin für alle Besucher*innen sichtbar, ob diese die Kontextualisierung annehmen oder auch nicht. Hier ist im genannten Praxisbeispiel des Badischen Landesmuseum kritisch zu hinterfragen, inwieweit ein orangener Rahmen ausreicht, um die teilweise sehr verletzenden Objekte zu kontextualisieren. Wäre hier ein stärkerer Eingriff notwendig gewesen? Im Vorfeld wurde u.a. in Betracht gezogen, die problematischen Ausschnitte der Objekte mit einer auf den Vitrinen angebrachten Milchgasfolie zu überdecken. Diese Idee wurde jedoch im Entstehungsprozess in internen Diskussionen verworfen. Wenn diskriminierende Darstellungen und Bezeichnungen sichtbar bleiben, wäre eine weitere Möglichkeit eine Trigger-Warnung zu Beginn der Ausstellung einzubringen, sodass Besucher*innen entscheiden können, ob sie sich dem aussetzen wollen.
Alle schwierigen Objekte aus den Ausstellungen zu verbannen würde jedoch auch zu weit gehen. Problematische Aspekte, seien sie historisch oder aktuell, sollten angesprochen aber nicht ausgeblendet werden. In der beidseitigen „Kritik an der Kritik“ zeigt sich einmal mehr ein virulentes politisches und gesellschaftliches Spannungsfeld, das sich im Museum spiegelt und das es als Museum aufzugreifen und konstruktiv umzusetzen gilt.
Zukunft und Relevanz
Durch „kritische“ Interventionen können Museen aktuelle Diskurse aus Gesellschaft und Forschung aufgreifen und in ihre Ausstellungen einbringen. Sie bieten den Besucher*innen damit einen Mehrwert an Wissen und zeigen gleichzeitig auf, dass sich vermeintlich faktisches, in Objekten materialisiertes Wissen immer weiterentwickelt und Museen kein allzeit gültiges, „objektives“ Wissen vermitteln können. Als Akteure dieses Prozesses können Museen mit selbstreflexiven Praktiken ihre gesellschaftliche Relevanz und Aktualität unterstreichen. Sie bieten eine Plattform für Diskussionen und können so zu einem öffentlichen Aushandlungsort gesellschaftlicher Fragen werden, statt veraltete Bilder unhinterfragt zu repräsentieren. Die Gefahr besteht, dass das Museum sich mit einem solchen Projekt als vermeintlich progressiv darstellt, es aber auf struktureller Ebene nur unzureichend zu Veränderungen kommt. Eine Intervention kann am Anfang eines Prozesses stehen, in dem sich das Museum der eigenen Ausstellungsmacht und bisheriger Nicht-Diversität in erzählten Narrativen bewusstwird und beginnt, diese kritisch zu hinterfragen. Ein solcher Prozess muss dann jedoch verstetigt und von den Mitarbeiter*innen des Museum getragen werden. Ein zeitgemäßes, zukunftsorientiertes Museum sollte sich nicht kurzzeitig mit einem solchen Projekt „brüsten“, sondern auch entsprechende Maßnahmen im alltäglichen Museumsbetrieb entwickeln und umsetzen.