Grundverständnis frühkindlicher Kultureller Bildung – eine kurze Einführung
Zentrale Grundbegriffe ästhetischer und Kultureller Bildung für die Arbeit in Kindertagesstätten und für das Programm Kulturkita Hessen
Abstract
Der ästhetische Zugang von Kindern zur Welt ist eine wichtige Grundlage für frühkindliche kulturelle Bildungsprozesse. Von der ästhetischen Erfahrung bis hin zu einem breiten Konzept Kultureller Bildung haben sich viele Fachbegriffe etabliert, die eng miteinander verbunden sind und zugleich unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Das umfasst z. B. die Begriffe der Ästhetik, Kultur und Kunst, aber auch die Differenzierung zwischen Erziehung und Bildung. Die zentralen Begriffe werden in diesem Beitrag vorgestellt und damit eine Orientierung insbesondere für die ästhetisch-kulturelle Praxis von Kindertageseinrichtungen gegeben. Denn Kindertageseinrichtungen, die Kulturelle Bildung stärken oder ein Profil Kulturkita entwickeln möchten, sollten nicht nur auf ihrer kindheitspädagogischen Expertise aufbauen, sondern ein fachliches Grundverständnis für Kulturelle Bildung entwickeln. Der Beitrag ist im Rahmen des Modellprojekts Kulturkita Hessen entstanden, mit dem die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung Kindertageseinrichtungen darin begleitet, Konzepte für kulturelle Teilhabe zu erarbeiten, zu erproben und zu transferieren.
Kontext für Kulturelle Bildung in Kindertageseinrichtungen und das Programm Kulturkita Hessen
Von der UNESCO als auch in der UN-Kinderrechtskonvention wird Kulturelle Bildung als Menschenrecht definiert, das befähigen soll, den eigenen kulturellen Interessen zu folgen, künstlerisch-ästhetische Wahrnehmung und Urteilsvermögen zu entwickeln und am kulturellen Leben teilzunehmen und teilzuhaben (vgl. Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung 2021; Bulander 2020:18). Auch der Hessische Bildungs- und Erziehungsplan stellt die sinnlichen Wahrnehmungs- und Entwicklungsprozesse ins Zentrum frühkindlicher Bildung: „Von Geburt an erkundet und erschließt das Kind die Umwelt mit all seinen Sinnen. Diese sinnliche Wahrnehmung und die Erlebnisfähigkeit der Kinder werden in der Begegnung mit Kunst gestärkt und ausgebildet” (BEP 2019:71, vgl. auch Schulze 2021). Die damit verbundenen Herausforderungen insbesondere an pädagogische Fachkräfte und Kulturschaffende greift nun das landesweite Pilotprojekt Kulturkita Hessen auf. Ziel ist es, für 0- bis 6-jährige Kinder einen nachhaltigen Zugang zu frühkindlicher Kultureller Bildung und Erziehung zu schaffen. Und dies möglichst unabhängig von soziokultureller Herkunft, konzeptioneller Ausrichtung der Kita oder örtlichen Infra- und Angebotsstrukturen. Eine wesentliche Gelingensbedingung liegt in einem gemeinsamen Verständnis von frühkindlicher Kultureller Bildung und den damit verbundenen Zieldimensionen. Dies ist insofern besonders relevant, da „die fehlende definitorische Einigkeit, was unter Kultureller Bildung zu verstehen ist, eine entscheidende Barriere“ (Kühne & Maaz 2023:9) in der Etablierung dieses nun viel beachteten Bildungsbereichs darstellt. So sollen die weiteren Ausführungen nicht die akademische Diskussion um verschiedene Begriffe und Erklärungsansätze aufzeigen, sondern vielmehr entlang tragender begrifflicher Setzungen eine gemeinsame Orientierungsgrundlage schaffen.
Einführung und Orientierung in zentralen Begriffen frühkindlicher Kultureller Bildung
Ästhetisch-kulturelle Bildung wird, wenngleich sich die verkürzte Form „Kulturelle Bildung“ durchgesetzt hat, von einer Grundannahme her begründet: „dass Wahrnehmung (aisthesis) eine unhintergehbare Gegebenheit des Menschen sei, um Zugang zur Welt durch die Sinne nicht nur zu finden, sondern das Wahrgenommene zu deuten, zu ordnen, schließlich der Welt wahrnehmungsgeleitete Gegenstände hinzuzufügen“ (Treptow 2017:139). Von Anfang an nehmen Kinder die Welt um sich herum wahr, sammeln ästhetische Erfahrungen und begeben sich so auf ihren kulturellen Weg in die Welt.
Ästhetik
Am Anfang steht nicht das Wort oder die Tat, sondern die Sinnlichkeit. Denn die erste Reaktion eines jeden Menschen ist eine sinnlich-ästhetische Reaktion (vgl. Liebau & Ziefas 2011:9). Zwar wird im Alltagsverständnis zumeist etwas Schönes als ‚ästhetisch‘ bezeichnet, doch geht der traditionsreiche Begriff der Ästhetik (gr. Aistheis = Wahrnehmung) weit darüber hinaus (vgl. Buschkühle 2022:45). In unserem heutigen Verständnis von Ästhetik sind mindestens drei Perspektiven verbunden: Die Diskurse über die Schönheit (1), über die Künste und die Kunstschaffenden (2) sowie die Diskurse über die außergewöhnliche menschliche Leistungsfähigkeit zur sinnlichen Wahrnehmung (3). Diese Aisthesis allerdings muss durch ästhetische Erziehung und frühkindliche Kulturelle Bildung geschult und trainiert werden, damit z. B. aus dem bloßen optischen Reiz ein staunendes Sehen oder aus dem Wahrnehmen von Geräuschen ein erhebendes Klangerlebnis wird (vgl. Bilstein 2022:50).
Ästhetische Erfahrung
Nicht jede Sinneswahrnehmung zieht eine ästhetische Erfahrung nach sich. Erst wenn die Aufmerksamkeit eines Kindes auf eine bestimmte sinnliche Erfahrung fällt und sie anschließend ins Bewusstsein gelenkt wird, verstärkt sich die Konzentration auf diese besondere Wahrnehmung und der Moment gewinnt an spezifischer Bedeutung. Dieser Prozess, in dem wir irritiert und dadurch aufmerksam werden, wird als ästhetische Erfahrung bezeichnet. In diesem Moment der ‚Irritation‘ löst Mensch sich von gängigen Wahrnehmungsformen und inkorporierten Geschmacksurteilen, von bedeutsamen Phantasien und gewohnten Ausdrucksweisen. Daher haben insbesondere ästhetische Erfahrungen das Potenzial, Transformationen und Bildungsprozesse anzuregen. Ästhetische Erfahrungen sind Ausgangspunkt und Grundlage Kultureller Bildung und beziehen sich auf die individuelle Wahrnehmung und Bewertung von beispielsweise Alltagssituationen oder auch von Kunstwerken. Hier geht es darum, wie beispielsweise Situationen des Alltags oder Kunstwerke (ein Gemälde, ein Musik-, Theater- oder Tanzstücke oder eine Zugfahrt, eine Wolkenkonstellation oder eine Erzählung) wahrgenommen werden und welche Emotionen, Gedanken und Motivationen sie hervorrufen. Ästhetische Erfahrung bezieht sich also eher auf die subjektive Empfindung und Interpretation von Kunst und ästhetischen Erfahrungen. Jörg Zirfas und Leopold Klepacki (2021) bringen dies folgendermaßen ins Wort: „Ästhetische Erfahrungen sind in ausgezeichneter Weise Prozesse (…), in denen Menschen sich über sich selbst aufklären können. Sie können als Leitmedien ganzheitlicher Selbsterfahrung verstanden werden. Denn die Begegnung mit dem Fremden, Unsinnigen und Andersartigen zwingt zur ästhetischen Positionierung. Die ästhetische Erfahrung ist somit im Grunde eine liminale Erfahrung, eine Grenz-, Übergangs- oder auch Unterbrechungserfahrung“ (ebd.:363). Die Bildung durch ästhetische Erfahrungen, so konstatiert die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2016), „ist keineswegs etwas, was der kindlichen Entwicklung ergänzend hinzugefügt oder aber weggelassen werden könnte. Vielmehr ist sie die Grundbedingung dafür, dass das Kind seine Welt aus eigener Erfahrung deuten kann“ (ebd.:5).
Ästhetische Erziehung
Um eine ausgeprägte Sensibilität für die eigenen ästhetischen Erfahrungen aufbauen zu können, benötigen Kinder Unterstützung in Form von ästhetischer Erziehung. Erziehung kann allgemein aufgefasst werden als intentionales und zielgerichtetes Einwirken einer erziehungsberechtigten Person auf das zu erziehende Kind. Erzieherisches Handeln steht im Spannungsfeld von Anpassung und Freiheit bzw. von Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse, Techniken oder Praktiken und Förderung von Individualität, Autonomie und Selbstbestimmung. Erziehung als zeitlich begrenzter und teils fremdbestimmter Prozess findet ihren Abschluss ab einem gewissen Grad an Mündigkeit und Selbstständigkeit und geht in den selbstbestimmten Prozess der Bildung über. So kann mit Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss (2013) als ästhetische Erziehung „die Vermittlung dessen durch eine erwachsene Person aufgefasst werden, dass es dem zu Erziehenden ermöglicht, sich autonom mit ästhetischen Inhalten auseinanderzusetzen“ (ebd.:575). Im Prozess der durch Erziehung angeregten „ästhetischen Alphabetisierung“ (Mollenhauer 1990:485) erlernen Kinder ästhetische Codes, Symbole und Zeichen. Die ästhetische Erziehung umfasst die Vermittlung von Kenntnissen über kulturelle Symbole und Traditionen, um eine angemessene Rezeption und Interpretation von Kunst und Kultur zu ermöglichen (beispielsweise die Interpretation einer weißen Taube in einem Theaterstück als Friedenssymbol). Ästhetische Erziehung verfolgt dabei die Doppelstruktur von Erziehung zur Kunst und Kultur und Erziehung durch Kunst und Kultur. Erziehung zur Kunst und Kultur meint die Hinführung und Vorbereitung auf eine schöpferische und künstlerische Ausdrucksform, etwa durch das Vermitteln einer bestimmten Technik beim Erlernen eines Instruments oder einer Schrittfolge im Tanz und ist eher der reproduktiven Seite von Erziehung zuzuordnen. Erziehung durch Kunst und Kultur zielt dabei auch und insbesondere auf persönlichkeitsbildende ästhetische Erfahrungen, welche die künstlerische Dimension verlassen und sich vorrangig auf die allgemeine Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit hin zu Individualität und Selbstbestimmung auswirken (vgl. Obermaier & Bernal Copano 2024:531f.). So ist mit Ursula Frost (2019) an die begriffliche Untrennbarkeit der Konstrukte Erziehung und Bildung zu verweisen, denn die Perspektiven von Erziehung und Bildung sind keinesfalls Alternativen oder je nach Modetrend beliebig wechselbare Wordings, sondern Erziehung ermöglicht erst Bildung. Erst durch ästhetische Erziehungsprozesse werden die Prozesse Kultureller Bildung angeregt und ermöglicht.
Kulturelle Bildung
Im Unterschied zum Prozess der Erziehung stellt der Bildungsprozess eine über die Lebensspanne sich erstreckende, eigenaktive Auseinandersetzung mit sich und der Welt dar. In der Tradition der kritisch-emanzipatorischen Erziehungswissenschaft zielt Bildung als Resultat und Prozess auf die Ausformung von Individualität im Spannungsfeld von Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität. Bislang allerdings ist es wissenschaftlich ungeklärt, ob bereits bei unter Dreijährigen von Bildung gesprochen werden kann, oder ob Begriffe wie Lernen, Sozialisation oder Entwicklung passendere Zugänge darstellen (vgl. Zirfas 2009, Obermaier, Molzberger & Bernal Copano, 2023). Da es verschiedene Deutungsmuster und damit verbundene Begriffsbildungen gibt, die alle den gleichen Prozess zu fassen versuchen, sprachlich aber teils sehr sperrig sind, wird im Kontext des Programms Kulturkita von frühkindlicher Kultureller Bildung (FKB) gesprochen, wohl wissend, dass damit alle Aspekte und Grenzen der frühkindlichen ästhetisch-kulturellen Bildung und Erziehung angesprochen sind.
Weites Verständnis von Kultur und Kultureller Bildung
Bei der Näherung an den Kulturbegriff bieten sich zahlreiche Systematisierungen an (vgl. Klepacki 2024), einen griffige Vorschlag hat Thomas Schmidt-Lux (2022) vorgelegt, der zwischen einem weiten und einem engen Kulturbegriff unterscheidet: Ein weites Verständnis von Kultur beinhaltet alles vom Menschen Geschaffene und Hervorgebrachte: Sprache, Artefakte, Künste, ideelle Gebilde, Institutionen. Lebensweisen etc. Als Hintergrundfolie für dieses Verständnis dient die Kontrastierung von Kultur und Natur, welche jedoch nicht als polarisierendes Gegenstück gedacht wird, sondern als Entwicklung: Kultur verstanden als zweite Natur des Menschen. So gesehen ist der Mensch von Geburt an ein Mängelwesen und deshalb der Unterstützung durch Pflege, Erziehung und Bildung bedürftig. Zugleich eröffnet dieses „Unfestgelegtsein“ die schier grenzenlosen Optionen für die Gestaltung der je neu hervorzubringenden Kultur. Prinzipiell kann daher jeder Gegenstand oder Impuls zu einer ästhetischen Erfahrung führen. Kulturelle Bildung kann so als Auseinandersetzung mit als „ästhetisch qualifiziert“ verstandenen Gegenständen aufgefasst werden und ist somit nicht auf künstlerische Formen im engeren Sinne beschränkt. Damit sind Alltagshandlungen, Umgang mit Medien und sportliche Tätigkeiten eingeschlossen, vorausgesetzt die Auseinandersetzung mit diesen folgt einer reflexiven Handlung.
Enges Verständnis von Kultur und Kultureller Bildung
In einem engen Verständnis von Kultur wird damit ein spezifisches Feld des Sozialen verstanden, also „nicht mehr alles vom Menschen Geschaffene, sondern umfasst konkrete Manifestationen der Selbstreflexion und -thematisierung wie Kunst, Theater, Museen, Filme o. ä. Unterschieden wird Kultur damit von Bereichen wie der Politik oder dem Recht“ (Schmidt-Lux 2022:o. S.). Ein enges Begriffsverständnis von Kultureller Bildung bezieht sich dann allein auf künstlerische Tätigkeiten (z. B. klassische Hochkultur: Tanz, Theater, Bildende Kunst, Musik; vgl. Kröner, 2013:234). Klavierspielen, Zeichnen oder Tanzen will in seiner je spezifischen Formen- und Symbolsprache geübt sein und verlangt daher immer eine intensive, sich wiederholende Eigenaktivität des Subjektes. Dieses Verständnis findet man beispielsweise in den Ansätzen der künstlerischen Erziehung und künstlerischen Bildung wieder, wenn es „die jeweilige Kunstform in produktiver und rezeptiver Form (bis zur Perfektion) zu beherrschen und zu verstehen“ (Reinwand-Weiss 2012:109; online auch: kubi-online 2013/2012) gilt. Hier wird mit dem Fokus auf das „Künstlerische“ also eher eine konkrete, spezifische Praxis (z. B. Vermittlung von ) angesprochen (vgl. Obermaier, Steinberg & Obermaier 2024).
Verständnis von Kultur und Kultureller Bildung im Programm Kulturkita
Im Programm Kulturkita wird ein weites Verständnis von Kultur und Kultureller Bildung angeregt, Kulturelle Bildung ist Querschnittsthema und bietet vielfältige Zugangsweisen und Anknüpfungspunkte zu den verschiedenen Bildungsbereichen der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung und aktuellen gesellschaftlichen Themen und Diskursen. „Kulturelle Bildung vermittelt damit insgesamt nicht nur ein ästhetisches, sondern auch ein historisches, kulturelles, soziales sowie kritisches Bewusstsein“ (Rudi 2021:21). Nur ein weites Verständnis von Kultureller Bildung erlaubt die Realisierung der vom Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung aufgestellten „Sieben guten Gründe für frühkindliche kulturelle Bildung“. Kulturelle Bildung in diesem weiten Verständnis „vergrößert und differenziert die Vielfalt kindlicher Wahrnehmungs-, Handlungs- und Ausdrucksformen“, „ermöglicht Kindern mannigfaltige Erfahrungen mit sich selbst und von Selbstwirksamkeit“, „schafft Reflexions- und Dialoganlässe mit Kindern und unterstützt Sprachbildung“, „eröffnet Kindern vielfältige Zugänge zu Kunst, Kultur, Gesellschaft und Welt und fördert Teilhabe“, „stärkt das soziale Miteinander in einer durch Diversität geprägten Gesellschaft“, „vermittelt Strategien zur Erschließung von Welt jenseits bekannter Normen“ und „trägt zur Qualitätsentwicklung pädagogischer Praxis und Einrichtungen bei“ (Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung 2020:2f.).
Wie im Eingangszitat verdeutlicht, sind es gerade die unterschiedlichen Ausdrucksformen der verschiedenen Künste wie z. B. Tanz und Bewegung, Musik oder bildnerische Kunst, die sich durch ihre spezifischen Zugänge und Qualitäten ergänzen und dem Kind eine Erlebniswelt voller entwicklungsförderlicher Impulse und Bildungsmomente eröffnen. Die frühe Auseinandersetzung mit künstlerischen Prozessen in ihrer ganzen Vielfalt und Breite eröffnet dem Kind vielseitige ästhetische Erfahrungen, die es sonst im Alltag so nicht vorfindet. Durch die praktische Auseinandersetzung mit all den zur Verfügung stehenden kulturellen Ausdrucksformen entwickeln Kinder spielerisch ihr Imaginations- und Ausdrucksvermögen, schulen ihre Wahrnehmungsfähigkeit und erwerben künstlerische Fähigkeiten. Dies stärkt Kinder dafür, sich in ihrer Lebenswelt zu orientieren und sich mit ihr sowie mit anderen Menschen auseinanderzusetzen“ (Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung 2016:3).
Zusammengefasst, so das Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung (2020:3), „bietet frühkindliche kulturelle Bildung – auf konzeptioneller Ebene und in ihrer konkreten Bildungspraxis – Antworten auf zentrale Herausforderungen einer gegenwärtigen und zukunftsweisenden Pädagogik, wie die Förderung von Partizipation, Inklusion, Nachhaltigkeit, Resilienz, Diversität und Demokratiebildung. Sie leistet einen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit und eröffnet Kindern Zukunftschancen.“
Sieben Leitkriterien zur frühkindlichen Kulturellen Bildung in Kindertageseinrichtungen
Damit das Potenzial von Angeboten und Anlässen frühkindlicher Kultureller Bildung voll zu Geltung kommen kann, braucht es für alle Beteiligten verbindliche Leitkriterien, die abschließend skizziert werden. Sie führen die Diskurse und Konzepte aus der kinderrechtsbasierten Kindheitspädagogik und der Kulturellen Bildung zusammen.
Frühkindliche Kulturelle Bildung ist demnach …
- ko-konstruktiv: Kinder sind aktive Konstrukteur*innen ihrer Bildungsprozesse und Mitgestalter*innen ästhetisch-künstlerischer Entscheidungsprozesse.
- partizipativ: Die Kita-Gemeinschaft – Kinder, Eltern und Familien, Leitungs- und Fachpersonal – ist aktiv an der Auswahl, Gestaltung und Durchführung der kulturellen Bildungsangebote beteiligt.
- Diversitätsorientiert: Die Diversität der Kindergemeinschaft wird wahrgenommen und spiegelt sich in der Auswahl und Gestaltung kultureller Bildungsangebote wider, die an die vielfältigen Lebens- und Erfahrungswelten der Kinder anknüpfen.
- prozess-/bedarfsorientiert: Die Rahmenbedingungen des Programms Kulturkita bieten Flexibilität, um an individuelle Bedarfe und Ausgangslagen anzuknüpfen sowie Zeit und Raum für gemeinsame Lern- und Entwicklungsprozesse.
- praxisorientiert: Entsprechend dem Leitgedanken zur Bedeutung ästhetischer Erfahrungen stehen diese im Mittelpunkt aller Vermittlungs- und Qualifizierungsangebote.
- kooperativ: In der multiprofessionellen Zusammenarbeit begegnen sich Bildungs- und Kulturakteur*innen wertschätzend und befördern so gemeinsame Lern- und Entwicklungsprozesse.
- ressourcenbewusst: Die kulturelle Bildungspraxis in den Kitas und an den Kulturorten ist geprägt durch einen ressourcenbewussten Umgang mit Materialien und dem Anliegen, nachhaltige Bildungsaspekte in der Kulturellen Bildung zu stärken.
Frühkindliche Kulturelle Bildung ist Politische Bildung
Es ist gewiss: Die einzige Regierungsform, die erlernt werden muss, ist die Demokratie. Kulturelle Bildung ist so verstanden immer auch Politische Bildung, stellen doch die Prinzipien Freiheit, Kinder- und Menschenrechte sowie Bildung für nachhaltige Entwicklung die tragenden Zieldimensionen dar (vgl. auch zum Folgenden Obermaier et al. 2024:96f.). Daher mag gar absurd erscheinen, mittels einer eigenen politischen Vereinbarung, nämlich den Kinderrechten, darauf aufmerksam zu machen, dass die Menschenrechte auch für Kinder gelten. Dass es offenbar nötig ist, diesen Hinweis zu formulieren und in eine verbindliche, bislang aber kaum umgesetzte Rechtsform zu gießen, ist jedoch von sich her ein ernstzunehmender und bedenklicher Befund. Die Einlösung der Kinderrechte korreliert somit direkt mit einer diskriminierungssensiblen, partizipativen und am individuellen Bildungsprozess orientierten Haltung, wie dies der vorliegende Beitrag entlang tragender Grundbegriffe skizziert.
Dass ästhetische Erfahrungen im Kontext Kultureller Bildung bereits in frühester, präverbaler Kindheit die kindliche Selbstwirksamkeit dahingehend stärken, dass es möglich und nötig ist, sein Umfeld kreativ und nach eigenen Vorstellungen mitzugestalten, ist ein zentrales und perspektivenreiches Ergebnis, das uns motivieren und zur Veränderung auffordern sollte, die Kinderrechte im pädagogischen Alltag ernsthaft zu realisieren. Insofern stellt das Modellprojekt Kulturkita Hessen eine vielversprechende und wegweisende Chance dar, dieser Forderung professionell gerecht zu werden und die vielen Vorteile frühkindlicher Kultureller Bildung zu bündeln.