Zukunft Land? Perspektiven für einen kulturellen Umgang mit Transformationsprozessen und Chancen kreativer und partizipativer Kooperationen zwischen Stadt und Land
Abstract
Das Land steht wieder im Fokus und Stadt-Land-Beziehungen werden aktuell neu geordnet. Zwischen romantischen Bildern vom idyllischen Land und dem gelebten Alltag auf dem Land tun sich Klüfte auf. Seit Jahrzehnten bröckelt das Gemeinwesen in den meisten Dörfern und die ehrenamtlichen Akteure der Breitenkultur werden immer älter und weniger. Ein scheinbar weites, fruchtbares Feld eröffnet sich für Kulturakteure aus den städtischen Räumen. Doch zwischen dem Agieren der professionellen Kulturakteure aus der Stadt und ehrenamtlichen Akteuren der Breitenkultur tauchen Fragen und Irritationen auf. Aus der vielschichtigen Beschreibung der unterschiedlichen Stadt-Land-Perspektiven heraus, zeigt der Beitrag Möglichkeiten auf, wie partizipative Kooperationen der Kulturellen Bildung gelingen können. Dabei werden unterschiedliche Handlungsstrategien und -muster genau so formuliert wie Herausforderungen und Stolpersteine in den Kooperationen sowie Forderungen an die (Kultur)Politik.
Stadt-Land-Kooperationen
Von Pampaparadiesen bis zum Feldkulturerbe, von Amateurtheaterstudien bis zum Weißbuch Breitenkultur, vom hochglanzbebilderten Landleben Magazin bis zum Demografiebericht – der ländliche Raum ist neu in den Fokus gerückt. Aber so ganz eindeutig lässt es sich gar nicht fassen – dieses Land. Für die einen mag es den fast schon paradiesischen Sehnsuchtsort stressgeplagter Städter*innen darstellen, für die anderen einen Gestaltungsraum an dem sich der Kunst so vielfältige Experimentierfelder, der Kultur so vielfältige Möglichkeitsräume eröffnen. Für Dritte mag das Leben auf dem Land aber auch Synonym für Bildungsabwanderung und Leerstand, Überalterung und desolate Infrastruktur sein. Ein Ort, in dem einem fruchtbaren Gedeihen von Kunst und Kultur der Nährboden schon längst entzogen zu sein scheint.
Fest steht, dass Kooperationsprojekte, die die Stadt-Land-Beziehungen in den Fokus nehmen, derzeit europaweit Konjunktur feiern. Vom dänischen Dorfentwicklungsprogramm Rethink the Village bis zum zypriotischen The Akamas Project, das die Kulturelle Bildung im Spannungsfeld zwischen Ökologie, Kulturerbe und Tourismus verortet, vom österreichischen Querbeet-Projekt rund um Digitalisierung und Diversität auf dem Lande bis hin zum ursprünglich bulgarischen und mittlerweile internationalen Bread House Network mit seinem inklusiven Partizipationscharakter, gibt es zahlreiche Projekte, deren grundlegende Ideen und Erfahrungen in den Prozessen trotz aller Heterogenität gar nicht so weit voneinander entfernt zu sein scheinen. Was die Projekte verbindet, ist zum einen die Suche nach einem gelingenden Umgang mit Transformationsprozessen in ländlichen Räumen und nach den Aktivierungsmöglichkeiten der lokalen Bevölkerung zur zukunftsweisenden Gestaltung des sich verändernden Lebensumfelds. Zum anderen gleichen sich die Kooperationsprojekte auch in zahlreichen Herausforderungen, die sich aus der Begegnung der zuweilen doch recht unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten der Akteure in Land und Stadt ergeben.
Auf den ersten Blick scheint tatsächlich eine große Anzahl gelungener Kooperationen zwischen Stadt und Land zu fruchtbaren und innovativen Leuchtturmprojekten geführt zu haben. Gelingende Kooperationen zwischen Stadt und Land scheinen letztlich gar nicht so schwierig zu sein, wenn davon auszugehen ist, dass die kulturvernachlässigten Menschen auf dem Land geradezu lechzen nach dem urbanen Kultursegen, der dank derartiger Kooperationsprojekte zu erwarten scheint. Glaubt man den medial aufbereiteten Projektberichten und Presseartikeln und den in ihnen zitierten Akteuren, mag sich für Mitwirkende und ihr Publikum Unvergessliches ereignet haben und obendrein die künstlerischen Experimente im ländlichen Raum das Experimentierfeld gefunden haben, dass so im Urbanen kaum möglich gewesen wäre. Und doch wird in der näheren Betrachtung und in feldforschenden Gesprächen mit den Beteiligten immer wieder deutlich, das längst nicht alles so reibungslos lief, dass gerade die Kooperationsvorhaben von Akteuren aus Stadt und Land durchaus auf steinigen Pfaden unterwegs sind und waren.
Wir wollen die Kultur aufs Land bringen
Diese Absichtserklärung ist in dieser und ähnlicher Form zu finden in zahllosen Flyern, Websites und Artikeln der urban-ländlichen Kulturkooperationen. Im weiteren wird dann zuweilen lobend hervorgehoben, wie das vermeintlich „kulturarme“ und damit per se „bedürftige“ Land durch ein großzügig ausgeschüttetes Füllhorn urbaner Kunst- und Kulturvermittlung so wunderbar neu belebt werde. Allein schon die Sprache verrät hier schnell, wo Skepsis angebracht erscheint. Wird hier womöglich ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Dorfbewohner*innen per se bereits als benachteiligte Spezies zu betrachten seien, die es durch partizipative Kunst- und Kulturangebote wahlweise zu irritieren oder zu beglücken gelte, um sie durch Teilhabe an der innovativen Idee der urban sozialisierten Raumpioniere nun endlich zur tatkräftigen Gestaltung des eigenen Lebensraumes zu befähigen?
Im Gespräch mit Akteuren kultureller Bildungsprojekte lässt sich in der Tat immer wieder ein an den Defiziten ausgerichteter Blick auf die ländlichen Räume feststellen. Viele Akteure beschreiben ihre Zielsetzung als einen Auftrag, die Kultur aufs Land zu bringen. Dementsprechend und vielerorts auch nicht realitätsfern wird dabei ein Bild gezeichnet, das geprägt ist von zerfallenden Dorfkernen. Gern wird dabei das Bild der verlassenen Bushaltestelle als Sinnbild für die desolate Lebenssituation der jungen Dorfbewohner*innen gewählt. Im jeweiligen Vorhaben sollen – zumindest für die Dauer der Projektlaufzeit – genau hier kulturelle Bildungsoffensiven gestartet werden, die diejenigen Menschen erreichen, deren Lebensverhältnisse als benachteiligt gelten, weil sie längst nicht mehr mit denjenigen der urbanen Räume gleichwertig zu nennen sind. Und tatsächlich sind lange Anfahrtswege zu Schul- und Arbeitsorten, mangelnde kulturelle Infrastruktur und die zunehmende Abwanderung von Bildungsträgern, Impulsgeber*innen und Netzwerker*innen in den entlegeneren Dörfern Faktoren, die einer im Vergleich zur Stadt angestrebten Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen vielerorts entgegenstehen. Oftmals geht es daher in den Projekten um Impulssetzungen und Beteiligungsformen, die zu einem Querdenken, zu einem „Trotz-alledem“ herausfordern. Es geht um Anreize zu zeitgemäßem Umgang mit kulturellem Erbe oder ganz generell um das Mutmachen, sich mit der Gestaltung der eigenen Zukunft in den sich verändernden ländlichen Räumen auseinanderzusetzen. Es geht um neue Ideen, um den Kontakt nach außen, um ein neues Miteinander der verbliebenen Einwohner*innen, der Zugezogenen und Alteingesessenen, um das spielerische Erproben auch dorfübergreifender Gemeinschaft. Für diese Schwerpunktthemen und die kreative Problemlösung scheinen Artists-in-residence-Programme eine beliebte Lösung darzustellen. Diesen Programmen wohnt die Hoffnung inne, dass allein durch den engen Kontakt von Künstler*innen und Dorfbevölkerung vor Ort künstlerische Partizipation und entsprechende Impulssetzungen erfolgen, die auf nicht näher definierte Form nachhaltig wirken. Andere Projekte arbeiten in Kooperationen von urbanen Trägern mit etablierten kulturellen Bildungseinrichtungen und Initiativen, die bereits jenseits des Urbanen beheimatet sind und versuchen dort, an bereits bestehende Strukturen Kultureller Bildung anzuknüpfen und diese weiterzuentwickeln.
Seltener mögen hingegen die Projektkooperationen sein, die die Benachteiligungen des urbanen Raumes thematisieren und diesen mit den Potenzialen des ländlichen Raumes bereichern wollen. Dabei ist die Suche nach dem, was dörfliches Miteinander ausmacht, durchaus auch in den Kulturinitiativen und -projekten urbaner Räume offensichtlich. Ob in der Wiederentdeckung ländlicher Lebens- und Arbeitsformen wie der Do-ocracy – eine Arbeitsstruktur, in der Vorschläge von denjenigen eigenverantwortlich ausgeführt werden, die die Idee in eine Gemeinschaft eingebracht haben, der Philosophie des Gegenseitigkeit der Share-Communities oder dem Trend der do-it-yourself Bewegungen folgend, als alternative Wohnformen in Mehrgenerationenprojekten, im Urban Gardening oder auch in der Begeisterung für den gepflegten Landhausstil der Besserverdienenden – in den Metropolen scheint die Hinwendung zu dem, was einst das dörfliche und zugleich überschaubare Miteinander ausmachte, gleichermaßen angesagt zu sein. Nur selten wird das entsprechende Know-How dazu aus Land-Stadt-Kooperationen initiiert. Ein Zusammenführen der Akteure in Stadt und Land wäre sicherlich ein spannender Projektansatz.
Andererseits: Was kann noch als Feldkulturerbe identifiziert und in urbane künstlerische und kulturelle Projekte eingespeist werden? Ist Breitenkultur, einst das Bindeglied jeglicher dörflicher Sozialgemeinschaft, nicht längst in affirmativen Wiederholungen verstaubt? Gibt es nicht einen dringenden Bedarf an kultureller Entwicklungshilfe dort, wo durch demografischen Wandel und andere Transformationsprozesse Impulse und ihre Impulsgeber*innen zunehmend altern oder das Dorf verlassen?
Pampaparadiese, ein programmatisch gewählter Tagungs- und Buchtitel, brachte als geradezu sprechender Begriff die durchaus ambivalente Haltung vieler Akteure und Entscheider*innen sowie die Gratwanderung zwischen möglichen Handlungsansätzen auf den Punkt. Vielleicht ist es doch nicht alles so einfach mit der Kulturellen Bildung in Zusammenarbeit von Stadt und Land? Vielleicht können nur wenige Projekte als so gelingend gelten, dass sie als ausgewogene Kooperation „auf Augenhöhe“ zu beschreiben sind.
Wie aber lassen sich Gelingensbedingungen für Stadt-Land-Kooperationen formulieren, in denen trotz aller Landliebe und Landlust weder eine Romantisierung noch eine Abwertung des Ländlichen als des Provinziellen die Oberhand gewinnt, in denen Synergieeffekte möglich werden und eine Kooperation auf Augenhöhe nachhaltig Wirkung zeigt?
Hilfreich wäre sicherlich, genau das unter die Lupe zu nehmen, was nicht so wunderbar geklappt hat und zu ermitteln, wo die Haken lagen. Hilfreich wäre eine unabhängige prozessbegleitende Evaluation verschiedener Kooperationsmodelle. Der Erfolgs- und Zeitdruck von Projekten mit ihrer Abhängigkeit von weiteren Fördermitteln und zielorientierten Verwendungsnachweisen generiert, wie die Praxis zeigt, allerdings nur selten ehrlich-kritische Selbstreflexionen, die auch aus den Analysen des Scheiterns fruchtbare Ergebnisse ziehen. So speisen sich die hier thematisierten Erkenntnisse im Feld weniger aus Projektauswertungen der Akteure, denn aus den Ergebnissen jahrzehntelanger Feldforschung, aus qualitativen Interviews und teilnehmender Beobachtung sowie den Forschungsergebnissen jüngerer Studien zu Soziokultur aus dem unveröffentlichten Datenmaterial der Forschung zum Dissertationsvorhaben, zu Freilichtbühnen und Amateurtheater (Kegler 2018, Götzky/Renz 2014) und Breitenkultur (Schneider 2014), zur Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen (Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitische Gesellschaft 2015, Kegler 2016) und europäischen Suchbewegungen zur Identifizierung der Rolle partizipativer Kulturarbeit für ländliche Entwicklung (Schneider/Kegler/Koß 2017).
Aus den so gewonnenen Daten und Erkenntnisse lassen sich einige besonders relevante Faktoren ausmachen, die für einen potenzialorientierten Umgang mit Transformationsprozessen in ländlichen Räumen und gelingende Kooperationen zwischen Stadt und Land maßgeblich zu sein scheinen.
»Den« ländlichen Raum gibt es nicht
Entscheidend für ein gelingendes Kooperationsprojekt mit Akteuren aus ländlichen Räumen ist zunächst die Kenntnis über das, was die Lebenswelt der Akteure bestimmt. Das beginnt bei der Definition der Kategorie „Land“. Welche Regionen und Gebiete dieser Kategorie zugeordnet sind oder auch wie viele Unterkategorien dazu gebildet werden können, darüber kursieren zahllose Varianten. Je nach Sichtweise finden sich Zuordnungen, die bereits alle Gebiete außerhalb der Metropolregionen als ländlichen Raum definieren – inklusive ihrer Klein- und Mittel- und Großstädte, andere wiederum begrenzen die Begriffszuordnung auf Gebiete, die sich durch eine geringe Bevölkerungsdichte und eine entsprechende Pendlerdistanz zu Schul- und Arbeitsorten ermitteln lassen. Ausschlaggebend für das Attribut „ländlich“ kann der Grad der Entfernung zum nächsten Mittel- oder Oberzentrum sein, die Siedlungsstruktur oder auch der Grad an landwirtschaftlicher Prägung. Einigkeit herrscht allenfalls in der Feststellung, dass es den ländlichen Raum nicht gibt. Doch allein ein Bewusstsein über die Heterogenität der ländlichen Räume und damit ihrer Akteure als Kooperationspartner sowie ihrer Bewohner*innen als potentielle Zielgruppen kultureller Bildungskooperationen kann helfen, eine entsprechende Sensibilität für eine passgenaue Gestaltung der Kooperationsprozesse zu entwickeln.
Jenseits des Speckgürtels sieht das Landleben anders aus
Grob können Unterschiede vor allem zwischen den Kategorien der ländlichen Räume in Speckgürteln, den ländlichen Räumen, deren Bevölkerung über eine Stunde Pendlerdistanz zum nächsten Schul- oder Arbeitsort in Kauf nehmen muss und dem ländlichen Raum zwischen diesen beiden Extremen identifiziert werden. Die Folgen des demografischen Wandels sind besonders in den sehr peripheren Gebieten spürbar. Bildungs- und Arbeitsabwanderung, Überalterung, Leerstand, zunehmende Armut, desolate Infrastruktur und leere Gemeindekassen sind die Schlagworte, die die problemzentrierte Seite der entlegenen ländlichen Räume beschreibt. Günstiger Wohnraum und naturnahe Möglichkeitsräume wären Umschreibungen eher positiver Konnotationen. Im ballungsnahen Bereich scheinen die steigenden Immobilienpreise für eine hohe Attraktivität ländlich anmutenden Wohnens vor den Toren der Stadt zu sprechen. Die Speckgürtel der Metropolen sind das Zuzugsgebiet von Familien und bildungsbürgerlich geprägter Besserverdiener*innen. Sie bilden dort häufig ihre eigenen Communities, die oftmals wenig gemein haben mit denen der ursprünglichen Dorfbevölkerung. In diesen ländlichen Räumen finden sich eine Vielzahl von Angeboten Kultureller Bildung, die allerdings in der Regel sowohl ein bildungsaffines Publikum finden als auch die Fachkräfte, die in der Lage sind kulturelle Bildungsprozesse zu generieren. Je weiter die Entfernung vom Zentrum als kulturellem Hot Spot, desto schwieriger wird es, Akteure Kultureller Bildung außerhalb der Breitenkultur zu identifizieren. Neben dieser sind es mit wachsender Entfernung zu den Zentren mehr und mehr die soziokulturellen Einzelakteure oder Künstlerkollektive, die als Raumpioniere, wahlweise in den ländlichen Raum hineinwirken und partizipatives Kulturschaffen vor Ort ermöglichen wollen oder gerade die relative Abgeschiedenheit als Experimentierfeld für die eigene künstlerische Betätigung nutzen wollen. Es liegt nahe, dass Kooperationen mit Akteuren dieser heterogenen Räume und Ausrichtungen anderen Gelingensbedingungen unterliegen als Kooperationen urbaner Akteure untereinander. Kurz gesagt: Die Kooperation mit den bildungsbürgerlich geprägten Kulturinitiative vor den Toren Hamburgs steht vor anderen Herausforderungen als ein Kooperationsprojekt, das sich der Kulturellen Bildung in den Dörfern des Erzgebirges widmen will und dabei mit den örtlichen Traditionsvereinen kooperieren möchte. Die Kooperation mit einem ländlichen Akteur aus der basisdemokratischen Alternativszene im Wendland sähe sicher anders aus als ein Projekt mit einem oberbayrischen Männergesangsverein.
Kennen und Kümmern
Ein intensiver Blick auf die Gegebenheiten des jeweiligen ländlichen Raumes und der damit verbundenen Zusammensetzungen, Herausforderungen, Entwicklungen und Konstellationen der jeweiligen lokalen Bevölkerung ist eine wichtige Voraussetzung dafür zu erkennen, welche Faktoren Einfluss auf das Gelingen eines möglichen Kooperationsprojektes haben werden. Eng verbunden mit der Gelingensbedingung des „Kennenlernens“ ist in Stadt-Land-Projekten vor allem im peripheren ländlichen Raum, die Nähe zu den Individuen der jeweiligen Zielgruppe, eine Gelingensbedingung die hier mit dem Begriff „Kümmern“ umschrieben werden soll.
„In einem modernen Konzept Kultureller Bildung steckt die ästhetische Grundfrage: Wie wollen wir als Menschen im 21. Jh. zusammen leben, wie wollen wir unsere Kultur(en) gestalten und welche Aufgabe kommt dem einzelnen Subjekt dabei zu?“ (siehe: Reinwand-Weiss „Künstlerische Bildung – Ästhetische Bildung – Kulturelle Bildung“). Dieser Frage folgend gelingt nachhaltige Kulturelle Bildung vor allem, wenn es gelingt, einen Rahmen zu schaffen, Menschen die Entwicklung intrinsischer Motivation für die spielerische Erprobung innovativer Ansätze der Gesellschaftsgestaltung zu ermöglichen und sie in diesem Erprobungsprozess unterstützend und impulsgebend zu begleiten. (vgl. Riehm/Häcker 2007:199ff)
Insbesondere die partizipative Dimension von Projekten, die die Zielgruppen auf breiter Basis in die Entwicklung der Projektinhalte und -prozesse einbeziehen, erscheint unter dieser Prämisse zielführend zu sein. Partizipative Prozesse benötigen weniger ein breites Angebot kultureller Bildungsmöglichkeiten, die im Kurssystem buchbar sind, als vielmehr die Impulse und Rahmensetzungen, die zu einem Gestaltungswillen und einer Schaffung von Gestaltungsmöglichkeiten führen. Kulturvermittler*innen in diesem Sinne sind Impulsgebende, schaffen den Rahmen und begleiten die entstehenden Prozesse. Wie die Akteure ländlicher Kulturarbeit betonen, sind es dabei gerade die Beziehungsarbeit und behutsame persönliche Begleitung der Teilnehmenden, die zum Gelingen der partizipativen Kooperationsprojekte beiträgt. Bereits der persönliche Kontakt bei der Bekanntmachung des Angebots entscheidet oftmals über die Zustimmung oder Ablehnung. Voraussetzung für ein Gelingen kann schon sein, dass die Akteure und ihr Vorhaben im Vorfeld eine Akzeptanz in der kollektiven Meinung der Dorfgemeinschaft oder zumindest zentralen Netzwerker*innen der Dorfgemeinschaft finden. Diese Akzeptanz benötigt ein Vertrauen in die Akteure, das wiederum in der Regel erst durch zeitintensive Beziehungsarbeit aufzubauen ist. Kooperationsprojekte mit etablierten Akteuren vor Ort sind gerade in dieser Hinsicht ein Türöffner und damit wesentlicher Gelingensfaktor.
Kulturelle Bildung als Bestandteil von Gemeinwesenarbeit
Grundlegende Unterschiede im Verhalten von Zielgruppen in Land und Stadt liegen nicht nur in den aktuellen Auswirkungen des demografischen Wandels begründet, sie wurzeln bereits in der Kulturgeschichte des ländlichen Raumes und seiner Sozialgemeinschaften. Anders als die Stadt, die historisch gesehen das Resultat von Wanderungsbewegungen und der damit per se stattfindenden Agglomerationen von Menschen unterschiedlicher Herkunft aus heterogenen Lebensformen ist, stehen die meisten Dörfer in einer Tradition sich über viele Jahrhunderte wenig verändernder Sozialbeziehungen, die zum großen Teil auf agrarisch strukturierte Arbeitsgemeinschaften zurückgehen. Dies betrifft vor allem abgelegene Dörfer. Auch in den Speckgürteln der Großstädte finden sich Wurzeln der einstigen Agrardörfer. Vor der industriellen Revolution in der Landwirtschaft waren die Mehrzahl von Dörfern nicht nur Ansammlungen von Menschen mit gleichem Wohnort und zahlreichen verwandtschaftlichen Bindungen, die Dorfgemeinschaften waren darüber hinaus durch ökonomische Bande gefestigt. Für die agrarisch geprägte sich nahezu selbstversorgende Gemeinschaft „Dorf“ war die Arbeitskraft der einzelnen Mitglieder ebenso überlebenswichtig wie das nachhaltige Funktionieren der ineinandergreifenden landwirtschaftlichen Arbeitsprozesse. Die Arbeitsprozesse bestimmten den Rhythmus des Dorflebens über das Jahr, eine Trennung von Arbeit und Freizeit, von Gemeinschaft und Privatleben war weitaus weniger relevant. Da nahezu alle Individuen der Gemeinschaft sich in unterschiedlicher Weise an den fortlaufenden Arbeitsprozessen beteiligten, kam der Stabilisierung der ökonomischen Bande eine große Bedeutung zu. Die Stabilisierung, letztlich die Ausprägungen dessen, was die corporate identity des Agrarbetriebs „Dorf“ ausmachte, wurde durch gemeinsame und gemeinschaftsgestaltende Betätigung erreicht. Die Breitenkultur findet hier ihre Wurzeln und kann auf eine jahrhundertealte und weltweite Tradition zurückblicken. Sä- und Erntelieder gaben den gemeinsamen Takt der Arbeit vor, die jahreszeitlichen Feste waren Höhepunkte agrarischer Produktion. Selbst das Amateurtheater wirkte (und wirkt teilweise bis heute) als Spiegel der lokalen Gesellschaft und lässt jeweils dasjenige Verhalten zum Schenkelklopfer werden, das im dörflichen Kanon als unerhört zu gelten hat und damit das gemeinsame Regelwerk einer funktionieren Gemeinschaft ins Bewusstsein rückt. Den breitenkulturellen Betätigungen gemein war und ist ihr Bezug auf die Orientierung an der Gestaltung der lokalen Gesellschaft. Bis zur industriellen Revolution wurde die Breitenkultur noch weitestgehend oral tradiert und war damit gleichzeitig auch anpassungsfähig für die Veränderungen, die das Leben und Arbeiten im Dorf mit sich brachte.
Die Breitenkultur war stets eine Kultur von allen für alle und bezog in ihrer Idealform jede und jeden der Dorfgemeinschaft inklusiv und intergenerativ mit ein. Besondere kulturelle Fähigkeiten und die Weiterentwicklung dieser wurden im intergenerativen Miteinander weitergegeben – in dem Tempo und der Intensität, wie es für genau diese Gemeinschaft mit ihren Gestaltungsprozessen dienlich erschien. Letztlich liegt die Vermutung nahe, dass sie damit über Jahrhunderte und weltweit im Grunde genommen das war, was Soziokultur im Kern ihrer ursprünglich urbanen Ausrichtung, der Unwirtlichkeit der Städte (vgl. Mitscherlich 1969:83) und ihrer Stadtgesellschaften entgegensetzen wollte.
Erst mit der industriellen Revolution änderte sich das Leben auf dem Dorf, die einstigen Agrargemeinschaften zerbrachen zusehends und mit ihnen veränderte sich die Breitenkultur. Mit den einsetzenden Abwanderungen und später mit dem Zuzug von bildungsbürgerlich geprägten Städter*innen in die stadtnahen Dörfer änderte sich nicht nur das Sozialgefüge der dörflichen Gemeinschaften. Einerseits bereicherten neue Impulse die Kultur sich verändernder Sozialgemeinschaften, und ermöglichten neue Formen kultureller Aktivität, andererseits führte die Sorge um einen Identitätsverlust der Dorfgesellschaften durch immer schnellere und umfassendere Veränderungen und der zunehmenden Entfremdung von Arbeitsprozessen zu einer Suche nach neuen Narrativen. Selbsternannte Chronist*innen, Heimatforscher*innen und Museumsgründer*innen, oftmals aus den Reihen der Zugezogenen, versuchten festzuhalten, was als kulturelles Erbe der gemeinsam gestalteten Kultur dieser Gemeinschaft bewahrt werden sollte. Eine Welle der Entstehung von Dorfchroniken begann, Heimatmuseen und Trachtenvereine feierten Konjunktur. Mit der Sicherung eines von diesen Akteuren definierten kulturellen Erbes wurden gleichzeitig aber auch viele der bis dahin noch frei gestaltbaren Kulturausprägungen festgeschrieben, damit ihres Veränderungspotentials und der einst lebendigen gesellschaftsgestaltenden Funktion beraubt. Was blieb, waren allzu häufig reproduzierbare Hüllen und die Abgrenzung des Wir gegenüber den Anderen, gegenüber dem Nachbardorf und noch viel mehr gegenüber der städtischen Bevölkerung. An diesem Wir festzuhalten schien das einzige Mittel, um an Konstanten gegenüber der umgreifenden Veränderung festzuhalten, die die Dorfgemeinschaften zu Verliererinnen in immer globaleren Prozessen zu machen schien. (vgl. Mak 2007: 24ff. und Kegler 2014: 59ff.).
Wir sind hier dööfer, rückständiger, langsamer. Und das ist unsere Chance, die Dinge anders zu machen.
Ich krieg ne Krise. Das braucht dort alles dreimal so lang. Okay, das ist auch nett, immer so mit Käffchen und Kuchen und so, aber man muss doch ‘mal zur Sache kommen. Und dann versteh ich auch nicht, warum da immer wieder geblockt wird, Leute aus unerfindlichen Gründen beleidigt sind.
Diese Intersequenzen eines Akteurs aus dem ländlichen und städtischen Raum verdeutlichen: Das Unverständnis dieses urbanen Akteurs, der im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit dem Fokus auf den ländlichen Raum an der vermeintlichen Langsamkeit und persönlichen Befindlichkeit der ländlichen Akteure verzweifelte, mag verständlich sein. Das skizzierte Verhalten der ländlichen Zielgruppe wirkt jedoch für die Akteure im ländlichen Raum vor dem Hintergrund der geschichtlichen Dimension ländlicher Kulturgestaltung nicht überraschend. Kultur als Mittel und Mittelpunkt von Gemeinwesengestaltung auf dem Land ist keine Temposache. Geht es im Kern um die Gestaltung von Miteinander, um das Stärken von Beziehungsebenen, das Austarieren gemeinsamer Handlungsmöglichkeiten. Ein Höher, Schneller, Besser Einzelner würde den gemeinschaftlichen Gestaltungsprozessen eher entgegenstehen. Ländliche Impulsgeber*innen sind zwar gefragt, aber nicht als diejenigen, die das Füllhorn der guten Gaben Kultureller Bildung über die vermeintlich ahnungslosen Dorfbewohner*innen ausschütten, sondern vielmehr als diejenigen, die den Rahmen schaffen und den Boden bereiten, auf dem in gemeinsamem Austausch sich das entwickeln kann, was die Gemeinschaft als passend und förderlich erkennt. Wirksame Kulturelle Bildung im ländlichen Raum basiert auf echter Partizipation auch in der Prozessgestaltung, nicht nur in kreativitätsfördernden Möglichkeiten der angebotszentrierten Teilhabe. Schwieriger wird es dort, wo Impulsgeber*innen fehlen und eine regionale Identifikation schon längst der Resignation gewichen ist. Hier gilt es zuweilen auch Seelsorge zu betreiben, Zeit zu haben, sich auf das einzulassen, was die Menschen vor allem bewegt – und das ist in abgelegenen ländlichen Räumen nur selten das, was im städtischen Kulturbetrieb als bewegend verstanden wird. Es geht um Armut, Verlust der Autarkie, Mobilitätsprobleme, Abwanderung. Es geht um das, was war und die Trauer um das, was einst das Dorf ausmachte. Es geht um die Frage nach dem Wir und der Zukunft. Dabei steht die über lange Jahre erlebte Machtlosigkeit und zuweilen auch das Gefühl der Entmündigung der Bauern und Bäuerinnen im Raum, die sich als selbstständige Unternehmer*innen verstanden und nun nicht selten in Hilfsarbeiterjobs oder in der Arbeitslosigkeit ihr Dasein fristen, dem Zerfall des eigenen Hofes als Heimat von Generationen zuzusehen.
Ein ehemaliger Landarbeiter aus einem ostfriesischen Dorf erzählte im Interview – der plattdeutsche Ausspruch Wat blievt dor noch van ’t Leven lässt sich übersetzen mit Was bleibt da noch vom Leben:
„Ich war mal wieder in der Psychiatrie für ein paar Wochen. Da trifft man dann alle wieder, die ehemaligen Bauern, die ihre großen Höfe nicht halten konnten und jetzt nix mehr haben und uns Landarbeiter. Wir haben doch immer gut gearbeitet, jeden Tag im Jahr und jetzt? Interessiert niemanden mehr. Wat blievt dor noch van ‘t Leven?“
Zukunft Dorf?
Die Kinder und Jugendlichen, die die Zukunft im Dorf einmal gestalten sollen, erfahren früh, dass das was ihr Leben auf dem Dorf ausmacht, schon am Schulort wenig Relevanz hat. Ihre Lebenswelt ist die, die wahlweise belächelt, romantisiert oder gar als Makel gesehen wird. Das Leben findet anderswo statt. Zwischen dem Dorf und diesem anderswo liegen an Schultagen lange Busfahrten, in der schulfreien Zeit sind vielerorts öffentliche Verkehrsmittel rar und teuer oder haben den Betrieb eingestellt. Kulturelle Bildung bleibt folglich begrenzt auf das, was im Schulalltag vor Ort zu integrieren ist oder auf das, was das Dorf offeriert. Hinderlich für eine Teilhabe ist darüber hinaus der Mangel an Zeit, der durch die langen Schulwege entsteht. Wo, wie beispielsweise in so manchem Dorf der Uckermark, das heimische Dorf nach dem Ganztagsunterricht und einer mehr als einstündigen Busfahrt am Abend erreicht wird, da fehlt schlichtweg die Energie, sich noch im Kulturprojekt zu engagieren. Andererseits machen Befragungen unter Jugendlichen ländlicher Räume deutlich, dass die Teilhabe an passgenauen Kulturprojekten wiederum nicht an den Hürden der Mobilität scheitert, wenn es gelang, in diesen entsprechende Gruppenidentitäten auszubilden. Ein Jugendlicher einer Theatergruppe erzählte:
„Das wichtigste war da die Gemeinschaft, die Freundschaft, also dass das da total egal war, auf welcher Schule du warst oder das Alter, oder so. Und dann war das irgendwie auch nie ‘n Problem zur Probe zu kommen. Man fuhr halt mit dem Rad oder die Eltern haben mich gebracht oder ich hab halt gefragt im Dorf, ob jemand fährt und mich mitnehmen kann.“
Ohne Gerda läuft hier nix! - Professionalität und Ehrenamt
Breitenkulturelle Betätigung und Kulturelle Bildung waren und sind auf dem Land selbstverständlich unentgeltlich, die Initiator*innen und Kulturvermittler*innen nur selten bezahlt. Breitenkultur ist Ehrensache. Aus der Historie der Breitenkultur erscheint diese Haltung eine folgerichtige Konsequenz zu sein. Wenn die Dorfgemeinschaft sich in kultureller Betätigung zusammenfindet und sich gegenseitig befähigt, kulturelle Kenntnisse zu erwerben und gemeinsam zu neuen Gestaltungsformen findet, ist das ein Gegenseitigkeitsprozess der Dorfgemeinschaft, der eine Bezahlung einzelner oder eine Teilnahmegebühr der anderen geradezu absurd wirken lässt. Heute sieht die Demografieforschung genau in dieser Tradition ein großes Potenzial für die Entwicklung derjenigen Räume, die besonders stark von Transformationsprozessen betroffen sind und in denen auch auf Dauer eine Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen nicht mehr erreicht werden wird. Diese Prozesse waren und sind bis heute jedoch nicht ohne Impulsgeber*innen und pfiffige Netzwerker*innen denkbar. Ohne offizielle Website, ohne fachliche Ausbildung, Arbeitsvertrag oder Vergütung, zuweilen selbst ohne Handy oder PC gibt es in fast jedem Dorf diese Schlüsselpersonen, wie beispielsweise der Ekki oder die Gerda, die jede und jeden im Dorf kennen, die den Bauernmarkt ebenso organisieren wie die Verhandlung mit dem Bürgermeister über eine unbürokratische Hilfe für die Straßensperrung beim Dorffest führen, die wissen, wer noch schnell einspringen könnte für den Hauptdarsteller des Amateurtheaters und mal so nebenbei eine kleine Ortsführung auch für die Radtourist*innen machen können. Ohne sie läuft nichts im Dorf, mit ihnen kann selbst unmöglich Erscheinendes im Projekt gelingen. Akteure gelingender Projekte in ländlichen Räumen nehmen sich die Zeit für diese wichtigen informellen Schlüsselpersonen und pflegen einen wertschätzenden Umgang mit diesen unschätzbaren und selbstverständlich ehrenamtlich agierenden Expert*innen.
Ehrenamt nervt! Wir brauchen Professionalität und die muss auch bezahlt werden!
Dieser vor dem Hintergrund professioneller Kulturarbeit im urbanen Zentrum nachvollziehbare Ausruf eines Akteurs macht einen weiteren Aspekt der Herausforderung von Kooperationsprojekten mit Akteuren in ländlichen und urbanen Räumen deutlich. Die Fokussierung auf das Ehrenamt als bestimmendes Element der Gemeinwesengestaltung im Ländlichen trifft nur zu häufig auf den Anspruch künstlerischer Professionalität im Urbanen – selbstredend findet sich auch in ländlichen Räumen künstlerische Professionalität, es geht jedoch hier darum generelle Haltungen zu verdeutlichen, die im Allgemeinen und vor allem jenseits der urbanen Speckgürtel als Unterschiede zwischen ländlicher und urbaner Kulturgestaltung spürbar werden. Beides zu vereinen, kann durchaus zu einer schwierigen Gratwanderung werden. Auf die Einbeziehung bestehender Strukturen aus Angst vor den Unwägbarkeiten des Ehrenamts zu verzichten, kann Projekte sowohl zum Scheitern bringen als auch ihres nachhaltigen Wirkungspotentials berauben. Eine Interviewpartner beschreibt das so:
„Da kommt dann so ein Künstler ins Dorf, macht schräge Sachen, ‘n paar Leute machen da dann auch mit. Aber dann geht der wieder und das war‘s. Was bleibt ist dann so ‘n Kunstdings am Ortseingang, wo dann das Efeu dran hoch wächst.“
Nachhaltig wirksame Kooperationsprojekte benötigen in der Regel verlässliche Strukturen vor Ort, deren Akteure nicht nur in der Vorbereitung bereits zentrale, bürgerschaftlich engagierte Akteure und Schlüsselpersonen in die Entwicklung einbeziehen und deren lokale Vernetzungskompetenz nutzen können, sie sind auch diejenigen, die die Beziehungen und neu entstandenen Gestaltungsansätze in der Gemeinschaft über das Projekt hinaus weiterführen können. Auch wenn die Professionalität der Trägerorganisationen auf dem Land längst noch keine Garantie für eine adäquate Bezahlung der Arbeit bietet und viele Projektträger zahlreiche unbezahlte Stunden aktiv sind, wissen Projektträger ländlicher Räume – vielleicht auch aus eigener Erfahrung – um die Herausforderungen des Umgangs mit freiwilligem Engagement und haben Modelle und Methoden entwickelt, die das Ehrenamt einbeziehen, pflegen und wertschätzen. Diese Kompetenzen nicht einzubeziehen und auf die Beteiligung zivilgesellschaftlich engagierter Dorfbewohner*innen zu verzichten, würde letztlich der Kulturellen Bildung in ihrer gesellschaftsgestaltenden Funktion diametral gegenüberstehen.
Ungleiche Paare?
Neben den bereits skizzierten Gelingensbedingungen, die sich auf die Unterschiedlichkeit der Herausforderungen und Potentiale der Ziele und Zielgruppen kultureller Kooperationsprojekte in ländlichen und urbanen Räumen beziehen, mag ein wesentlicher Faktor für das Gelingen die Gestaltung der Kooperationsbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Trägereinrichtungen in Stadt und Land zu sein. In vielfacher Hinsicht wirken die Trägereinrichtungen nicht nur in sich unterscheidenden systemischen Bezügen, sondern sind in Organisationsform, finanzieller, personeller und räumlicher Ausstattung, in der Programmgestaltung und zahlreichen weiteren Feldern häufig in verschiedenen Systemen beheimatet, die das Zusammenwirken in Kooperationsprojekten nicht leicht machen. Dabei bergen doch gerade diese Kooperationen ein unschätzbares Potential: Der ländliche Partner kennt die Verhältnisse vor Ort, er weiß um die Befindlichkeiten, er kennt die Personen, die es einzubeziehen gilt, die bespielbaren Orte und auch die unbürokratischen Wege sind ihm vertraut. Wenn schon länger am Ort aktiv, dann ist dieser Träger der Garant für die Akzeptanz des Projekts im Dorf und kann dieses bereits im Entwicklungsstadium auf die lokalen Bedarfe und Gegebenheiten gestalten. Der urbane Projektpartner hingegen kann auf ein professionelles Team zurückgreifen, das sein Know-How und seinen Blick von außen in das Projekt bereichernd einbringen kann. Er schafft den Austausch über die Dorfgrenzen hinaus, mag für die mediale Kommunikation zuständig sein und hat die professionell besetzte Verwaltung, die die bürokratischen Projektprozesse fachlich betreut. Vielleicht verfügt er gar über Equipment, Transportmittel und einen Aufführungsort, der zusätzliche urbane Projektpräsenz ermöglicht. Vielleicht gelingt die Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen im urbanen Schulort gar leichter durch einen ortansässigen Träger. Soweit sieht alles nach einer positiven Verbindung aus. Doch die Herausforderungen liegen zwischen diesen Offensichtlichkeiten.
Wie sollen wir das denn wuppen? - Strukturelle Herausforderungen ländlicher Kulturakteure
Kernpunkt zahlreicher Konflikte scheint immer wieder zu sein, dass sich Projektpartner kaum Vorstellungen vom Arbeitsfeld des jeweils anderen machen, dessen strukturellen Rahmen und Arbeitsweisen nicht gut kennen und die Existenz eines gänzlich anderen Systems gar nicht erst in Betracht ziehen. Aus dem urbanen Kontext klingt es so:
„Das nervt schon, wenn da der Verwaltungskram immer nur auf mehrfache Anfrage kommt und wir uns immer dies Gejammer anhören müssen, dass sie dafür einfach keine Zeit hätten.“
Verständlicher Unmut, doch spricht das Zitat ein Grundproblem vieler ländlicher Akteure Kultureller Bildung an. Viele der Kulturakteure in ländlichen Räumen sind entstanden aus Bürgerinitiativen oder wurden als Lebensmodell von Einzelakteuren gegründet. Sie mögen über ein breites Spektrum an künstlerischen Befähigungen, häufig gepaart mit kulturvermittelnder Expertise, verfügen, gleichzeitig sind die Akteure auch geschäftsführend, verwaltend und in der Öffentlichkeitsarbeit für den Kulturbetrieb verantwortlich, sind diejenigen, die die Plakate aufhängen, die den Anhänger reparieren und die Theaterscheune am Ende des Tages ausfegen. An die Einstellung von Personal ist in vielen Fällen kaum zu denken. Die Arbeit mit Ehrenamtlichen kostet bei aller Bereicherung viel Geduld und Einfühlungsvermögen. Institutionelle Förderungen sind selten. Je desolater die Lage der ländlichen Räume, je größer Abwanderung und Überalterung, desto spärlicher werden auch die Einnahmen der Gemeindekassen. Die Situation sieht dann so aus:
„Da sind dann vielleicht 200 € im Etat eingestellt für die Kultur. Da kann dann der Kulturausschuss, der ja zugleich der Schul- und Sportausschuss ist, allenfalls mal entscheiden, ob man für dieses Geld die Bank auf dem Dorfplatz nun dieses oder lieber nächstes Jahr streichen möchte.“
Erschwerend kommt hinzu, dass neben fehlenden Haushaltsmitteln für freiwillige kommunale Leistungen auch aus der Tradition der ehrenamtlichen Breitenkulturpraxis die Notwendigkeit institutioneller Unterstützung von kulturellen Träger*innen vielerorts auf Unverständnis stößt. Nur wenige der kulturpolitischen Entscheidungsgremien in ländlichen Räumen verfügen über eine entsprechende Fachkompetenz.
Kommunale Kulturpolitik im ländlichen Raum ist personenabhängig und damit strukturell nicht gesichert, sondern zufällig. Insgesamt fehlt es an konzeptionellen kulturpolitischen Überlegungen auf kommunaler Ebene. (Götzky 2012:277)
Wenn der Akteur also, wie viele Bürgerinitiativen es nach wie vor tun, nicht ganz auf das Ehrenamt setzt, können professionelle Kräfte allenfalls über Projektgelder oder ganz vereinzelt über ebenfalls zeitlich begrenzte Strukturfördermittel bezahlt werden: In Niedersachsen besteht beispielsweise für die Soziokultur die Möglichkeit über das Ministerium für Wissenschaft und Kultur auf kleinere Summen begrenzte Strukturfördermittel für kleine ländliche Einrichtungen zu beantragen, die zumindest die Einrichtung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse ermöglichen, oder aber eine „große Strukturförderung“ für maximal drei Jahre zu beantragen. Eine Arbeit, die nicht zuletzt nur deshalb kontinuierlich professionell weitergeführt wird, weil das Herzblut der Akteure für die Menschen im ländlichen Raum schlägt und die direkte Nähe und Wirkung der Arbeit tagtäglich erfahrbar wird.
Wo Akteure Kultureller Bildung aus Stadt und Land kooperieren wollen, tun sie gut daran, sich über die jeweiligen Arbeitssituationen und Zielsetzungen auszutauschen und Neugier zu entwickeln auf das vermeintlich gleiche und doch so verschiedene Arbeitsfeld. Eine tiefergehende Forschung durch prozessbegleitende Evaluation von Stadt-Land-Kooperationen wäre ein kulturpolitisches Desiderat, das möglicherweise zu weiteren Modellen und Handlungsempfehlungen insbesondere für die Entwicklung ländlicher Räume führen könnte.