Methoden der künstlerischen Arbeit und künstlerische Interventionen für die Kulturelle Bildung produktiv machen
Abstract
Der Beitrag thematisiert die Frage, welche besonderen Potenziale die Künste für kulturelle Bildungsprozesse bieten, wie Künstler*innen ihre künstlerischen Positionen in die Kulturelle Bildung einbringen können, auf welche Weise sich Methoden aus den eigenen künstlerischen Konzepten heraus entwickeln lassen, und welche Herausforderungen und welche Potenziale es für Künstler*innen gibt, die ihre Arbeit in soziale Kontexte erweitern. Grundlagen bieten beispielsweise die Fundierungen und Erkenntnisse des Pilotkurses „Künstlerische Interventionen in der Kulturellen Bildung. Qualifizierung und Zertifikat für Künstler:innen in der Kulturellen Bildung“ (2021/22). Für Künstler*innen bedeutet die Arbeit in Kontexten Kultureller Bildung nicht, dass sie die Künste funktionalisieren für soziale und pädagogische Zwecke, sondern dass sie deren gesellschaftlichen Mehrwert, jenseits des Kunstbetriebs, produktiv werden lassen.
„To be an artist in the 20th century you have to be an educator, too“ (Simon Rattle)
Einführung
Wie können Künstler*innen ihre künstlerische Arbeit in soziale und Bildungskontexte ausweiten? Was sind die Besonderheiten künstlerischer Methoden in der Kulturellen Bildung, was zeichnet eine kunstnahe Vermittlung aus?
Die Kunst- und Kulturvermittlung hat sich als Feld Kultureller Bildung zunehmend ausdifferenziert, und auch in den einzelnen Kunstdisziplinen hat sich ein vielfältiges theoretisches und praktisches Repertoire an Konzepten und Methoden, die in der Kulturellen Bildung Anwendung finden bzw. finden können, entwickelt. Spartenübergreifend lässt sich Kunstvermittlung sowohl verstehen als „Vermittlung der Künste bzw. bestimmter Kunstformen“ wie auch als „Vermittlung in und mit den Künsten“ (Mandel 2016). Kulturvermittlung geht über die Künste hinaus und bezeichnet Prozesse der Auseinandersetzung sowohl mit Kunst, Kulturen, ästhetischen Phänomenen einschließlich alltags- und soziokultureller Formen. Im schulischen Kontext wird „Kunstvermittlung“ häufig als „Kunstpädagogik“ bezeichnet, während in einem außerschulischen Kontext entsprechend der jeweiligen Disziplin spezieller z.B. von Museumspädagogik, Theater- oder Tanzpädagogik, Musikpädagogik, Konzertpädagogik, Literaturvermittlung gesprochen wird (Mandel 2016).
Während es in der Kunstvermittlung oft um die Vermittlung bestimmter Kunstformen und professioneller künstlerischer Arbeiten geht, möchte die Vermittlung mit und in den Künsten im Prozess mit Teilnehmenden etwas entstehen lassen, was nicht vorhersehbar ist. Der nachfolgende Beitrag fokussiert sich auf die besonderen Potenziale und die spezifischen Ansätze und Methoden für Kulturelle Bildung, wenn Künstler*innen selbst als Vermittler*innen handeln und ihre künstlerische Arbeit in soziale Kontexte ausweiten.
Wie individuelle künstlerische Verfahren in handhabbare Methoden für die Arbeit mit unterschiedlichen Gruppen umgesetzt werden können, ist eine zentrale Frage für Kunstschaffende, die kulturelle Bildungsprozesse initiieren wollen. Dabei geht es um die Herausforderung, wie sich Methoden aus der eigenen künstlerischen Arbeit entwickeln lassen, jenseits eines standardisierten Sets von Tools, um die Offenheit und Unplanbarkeit solcher Prozesse und damit die spezifischen Potenziale künstlerischer Verfahren zu erhalten. Und zugleich um die Frage, inwiefern es dabei zusätzlich Knowhow und Methoden aus pädagogisch-didaktischer Perspektive braucht.
Die Beschäftigung mit Methoden scheint auch deswegen notwendig, um zu zeigen, dass künstlerisch-vermittelnde Arbeit lernbar und lehrbar ist und nicht ein Geniestreich einer charismatischen Künstler*innen- bzw. Vermittler*innenpersönlichkeit. Methoden geben einen Handlungs- und Orientierungsrahmen, und in ihnen bündelt sich Erfahrungswissen.
Wie können eigene künstlerische Arbeitsweisen in Formate für die Arbeit mit Gruppen umgesetzt werden? Wie können dabei möglicherweise auch übergreifende künstlerische Verfahren und Erkenntnisse aus der Kunst- und Wissensgeschichte Formate in der Kulturellen Bildung anregen?
„Seit der Romantik existiert eine unüberschaubare Vielzahl künstlerischer Konzepte. Jeder Künstler erarbeitet konkrete Kunstwerke aus einem persönlichen, umfassenderen bewusst-unbewussten Konzept. Es ist wichtig für die pädagogische Arbeit, sich die wesentlichen Schlüsselvorstellungen, die das eigene Kunstverständnis bestimmen, einsichtig zu machen, wie z. B. Material-, Medien-, Form-, Transformations- und Bildverständnis“ (BBK 2011:10).
Künstler*innen entwickeln Ansätze und Methoden für die Vermittlung aus ihren eigenen künstlerischen Arbeitsweisen, die sie im Laufe ihres Studiums und ihrer praktischen Arbeit herausgebildet haben. Diese stehen wiederum in einer langen Tradition künstlerischen Arbeitens. Grundsätzliche künstlerische Verfahren sind zum Beispiel: Archivieren, Ausstellen, Arrangieren, Bauen, Collage/Montage, Dekonstruktion, Entwerfen, Experimentieren, Improvisation, Installation, Intervention, Inszenierung, Komponieren, Notieren, Performen, Storytelling, Recherche, Reenactment, Serielles Arbeiten, Verfremdung. Zentrale Gestaltungsparameter sind Material, Zeit, Licht, Ton, Raum, Körper/Akteur*innen (Mandel 2022:101f.).
Der Methodenbegriff soll hier nicht nur darauf ausgerichtet sein, „wie durch planmäßiges Vorgehen ein Ziel erreicht werden kann, sondern auch die Frage nach dem „warum“ einschließen: Methoden sollten „immer in Abhängigkeit von Problemlagen, Zielsetzungen und Rahmenbedingungen diskutiert werden“ (Galuske 2002:41). Fasst man den Methodenbegriff weiter, so kann dafür auch der Begriff des „Konzepts“ geeignet sein, der die inhaltliche Begründung für das Handeln einschließt (vgl. ebd.:24f.).
Was kann nur Kunst? – Besondere Potenziale der Künste für Interventionen in Alltagsräumen und für kulturelle Bildungsprozesse
„Die einzig revolutionäre Kraft ist die Kraft der menschlichen Kreativität und die Kunst. Aber erst unter den Bedingungen einer radikalen Begriffserweiterung gerät Kunst in die Möglichkeit zu beweisen, dass sie die einzig evolutionäre Kraft ist, die fähig wird, repressive Wirkungen eines vergreisten und auf der Todeslinie weiter wurstelnden Gesellschaftssystems zu entbilden, um zu bilden: Einen sozialen Organismus als Kunstwerk, die soziale Plastik, die sich durch jeden einzelnen Menschen hindurch vollzieht“,
so plädierte Joseph Beuys für eine radikale Erweiterung des Begriffs von Kunst, die sich nicht mehr nur als Artefakt, sondern auch in sozialen Handlungen als künstlerische Gestaltung widerspiegeln kann (Beuys 1987). Erst wenn Kunst sich nicht in musealen Objekten genüge, sondern sich als gestaltende gesellschaftliche Kraft begreift, könne sie ihr großes Potential für ein gutes gesellschaftliches Zusammenleben entfalten.
Beuys selbst setzte seine Überzeugung, dass Kunst auf besondere Weise in soziale und politische Kontexte intervenieren kann, in vielen Kunstaktionen um. So u.a. in seiner ökologischen Aktion „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ auf der documenta 1982, wo er 7.000 Steine aufhäufte, die jeweils symbolisch dafür standen, dass 7.000 Eichen im Stadtgebiet von Kassel neu gepflanzt wurden.
Auch die künstlerisch-soziale Initiative „Die Neuen Auftraggeber“ interveniert mit Mitteln der Kunst in soziale Kontexte: Bürger*innen kleiner Gemeinden können über einen öffentlichen Fonds Künstler*innen beauftragen, Lösungen für ein bestimmtes Problem in ihrem Zusammenleben zu suchen. So engagierten z.B. Bewohner*innen aus dem Dorf Steinhöfel die Künstler-Gruppen Rimini Protokoll und Construct Lab zum Thema: „Gut gemeinsam alt werden“. Diese befragten zum Einstieg die Bewohner*innen des Dorfes zu Rezepten, mit denen sie jeden Tag ihr Leben meistern (von Käsekuchen über Zwiebelsuppe), bis zum Singen und mediativem Unkrautjäten. Über ein filmisches Essay zu den Dorfbewohner*innen, die gemeinsame Gestaltung eines Festes und die Entwicklung von Hinweisschildern auf die Sehenswürdigkeiten des Ortes gab es neue Impulse für die Gestaltung des Dorflebens (vgl. Homepage der Initiatve).
Künstlerische Interventionen sind temporäre künstlerische Eingriffe in alltägliche Kontexte mit dem Ziel, durch Verschiebungen, Irritationen und neue ästhetische Erfahrungen Routinen zu durchbrechen und zu hinterfragen (Borries et al. 2012). Sie eröffnen Freiräume und Zwischenräume für nicht Vorhersehbares und können Menschen aus ihrem alltäglichen Kontext entrücken, produktive Distanz schaffen, unerwartete Erkenntnisse und Einsichten über Nachbarschaften, über Organisationen und Teams ermöglichen. Dabei schaffen sie im besten Falle, wenigstens temporär, auch Unabhängigkeit von bestehenden Systemlogiken etwa in Bildungseinrichtungen wie Schulen. „Eine künstlerische Intervention im sozialen und physischen Kontext einer Organisation regt dazu an, Routinen zu durchbrechen und Einstellungen zu verändern. Sie schafft einen Raum, in dem neue Formen des Sehens, Denkens und Handelns erprobt werden können“ (Berthoin Antal 2019:2).
Die Künste sind offensichtlich gerade in ihrer Zweckfreiheit in der Lage, Wahrnehmung und Perspektiven auf Leben und Alltag zu verändern. Kunst kann sinnliche und emotionale Spiel- und Erfahrungsräume generieren ohne den Anspruch, die Welt zu erklären und schnelle Lösungen parat zu haben. Kunst hat keine eindeutigen Antworten, aber öffnet den Blick für ungewohnte Sichtweisen. Kunst schafft einen „Bedeutungs- und Wahrnehmungsüberschuss“ (van den Berg / Omlin / Tröndle 2012:21). Damit kann Kunst dazu anregen, „unterschiedliche Zugangsweisen zu einem Phänomen zu erproben: u. a. sinnlich, emotional, ästhetisch“ (Sieben 2003:232).
Künstlerische Interventionen als Methode zeichnen sich also durch folgende Strategien aus:
Sie sind temporär und oft überraschend
Sie wirken durch eine „ästhetische Differenzerfahrung“, die sich deutlich von alltäglicher und routinierter Wahrnehmung unterscheidet
Diese Erfahrung ist auch durch „embodied knowledge“ gekennzeichnet, die über kognitives Einordnen hinaus auf einer körperlichen und emotionalen Ebene wirkt.
Sie basieren auf einer Recherche und Erforschung der jeweiligen Situation mit ungewissem Ausgang. Es geht darum, das „nicht Gesuchte“ zu finden, wofür auch der englische Begriff der „Serendepity“ steht.
„Künstler:innen überwinden die Dualität von Analysieren und Handeln, indem sie Ausprobieren, Reflektieren und Konzeptualisieren miteinander verflechten. Sie beurteilen Nichtwissen positiv, weil es die Entstehung von etwas Neuem ermöglicht. Während Widerstand in Organisationen üblicherweise als problematisch angesehen wird, neigen Künstler:innen dazu, Widerstand als ein Zeichen dafür zu sehen, dass eine Energiequelle vorhanden ist, die sie sich als Ressource zunutze machen können“ (Berthoin Antal 2019), so beschreibt Berthoin Antal nach ihrer Analyse unterschiedlicher Künstlerischer Interventionen in Wirtschaftsunternehmen die Besonderheiten künstlerischer Methoden.
Dass daraus keine unmittelbaren wirtschaftlichen Erfolge entstehen und die Wirkungen viel mehr in der Wahrnehmungsverschiebung der Beteiligten als in unmittelbarer Nützlichkeit für die Organisation liegen, machten mehrere Evaluationen dieser Prozesse in Organisationen deutlich (Helldorf 2020).
Die Besonderheiten künstlerischer Arbeit als Potenzial für soziale Kontexte und Bildungsprozesse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
Nicht die Vermittlung künstlerischer Techniken, sondern die Initiierung künstlerischen Denken und Handelns steht im Vordergrund. Es geht um eine differenzierte ästhetische Wahrnehmung: gesellschaftliche Kontexte werden als Bild wahrgenommen.
Dabei wird immer mit konkretem Material und performativ gehandelt im Sinne einer ästhetischen Erfahrung und „Embodied knowledge” - der Körper kann denken.
Im künstlerischen Handeln geht es darum, Fragen zu stellen, statt klare Zielvorgaben umzusetzen: Handeln mit ungewissem Ausgang
Mehrdeutigkeit und Bedeutungsüberschuss zeichnen die künstlerischen Aktionen und Handlungen aus: Es gibt nicht die eine richtige Lösung und Widersprüche können bleiben.
Im Prozess entwickelt sich die Erfahrung von Emergenz: Es tauchen unerwartete Möglichkeiten auf.
Zweckfreiheit und spielerisches Ausprobieren sind Leitprinzip: Alles ist möglich.
Über die Grenzen des Bestehenden hinaus gilt es utopisch zu denken: Alles könnte auch ganz anders sein. (vgl. u.a. Rat für Kulturelle Bildung 2014:44ff., Mandel 2022:25f.; Badura et al. 2012)
Wie können Künstler*innen ihre Arbeit produktiv werden lassen in Kontexten Kultureller Bildung?
Nana Eger hat im Rahmen einer Evaluation der Arbeit von Künstler*innen mit Schüler*innen im Museum daraufhin untersucht, wie es ihnen gelingt, kulturelle Bildungsprozesse zu initiieren (Eger 2015). Als Fazit hat sie folgende künstlerische Methodenperspektiven in Kontexten Kultureller Bildung identifiziert:
Bereitschaft der Künstler*innen, sich selbst als Lernende auf Neues einzulassen, eigene Vorannahmen zu hinterfragen und präzise wahrzunehmen
Gute Mischung aus genauer Planung und Flexibilität im Prozess
„Begin with the body“ – hohe Bedeutung der ästhetischen, leiblich-sinnlichen Wahrnehmung
„Sparkling moments“ – inspirieren, irritieren, involvieren – überraschende, außergewöhnliche ästhetische Erfahrungen schaffen
„Learning by noticing, experiencing and doing!“ Handelnd lernen und gestalten in projektbasierten Formaten
„In Loops and Spirals“ – künstlerische Prozesse mit ihren Suchbewegungen und Widerständigkeiten erfahrbar machen und dabei auch mit Überforderungen arbeiten
Diversity – bewusstes Arbeiten mit pluralen Perspektiven
„Uniqueness“ – Schülerperspektive als etwas Einzigartiges aufgreifen, Teilnehmende als Expert*innen in eigener Sache ernst nehmen
„Aware and Awake“ – die hohe Bedeutung der „Teaching Artist“-Persönlichkeit einbringen.
Damit werden vor allem die Körperlichkeit und Ästhetik, das eigene Tun und auch die „authentische“ Künstlerpersönlichkeit als zentrale Prinzipien künstlerischer Kulturvermittlung stark gemacht.
Künstler*innen und ihr (methodisches) Wirken
Nachfolgend werden einige konkrete Vorgehensweisen und Strategien genannt, die dazu beitragen können, genuin künstlerische Positionen für Kulturelle Bildungsprozesse mit verschiedenen Gruppen umzusetzen.
Die eigene künstlerische Arbeitsweise als Ausgangspunkt für die Entwicklung von Methoden für die Vermittlungs-Arbeit
Dass Künstler*innen ihre Arbeit im Zuge des „educational and social turns“ (Bishop 2006) in soziale Kontexte erweitern, öffnet neue Einsatzmöglichkeiten und wird von vielen als Chance begriffen, mit Kunst nachhaltige kulturelle Bildungsprozesse anzuregen. Gleichzeitig ist damit jedoch für die Kunstschaffenden auch die Herausforderung/Anspruch verbunden, den Status als autonome Künstler*in zu wahren und nicht „umdefiniert“ zu werden zur Pädagog*in, Sozialarbeiter*in. Denn das traditionelle Bild des autonomen Künstler-Genies wirkt noch immer auf die Anerkennungs-Hierarchie im Kunstfeld (Stutz 2019).
Die Herausforderung besteht darin, die partizipative Arbeit in sozialen Kontexten mit den eigenen künstlerischen Ansätzen produktiv zu verbinden, so dass diese genuiner Teil des autonomen Kunstschaffens bleibt und nicht ein zusätzlicher Vermittlungsjob ist. Folgende Fragen können dazu beitragen, sich über die eigene künstlerisch-professionelle Position und die damit verbundenen Methoden als Basis für Arbeiten in der Kulturellen Bildung bewusst zu werden:
Welche künstlerischen Prinzipien und Strategien liegen meiner künstlerischen Arbeit zu Grunde? Welche Inhalte und Themen interessieren mich besonders?
Welche sozialen Szenarien lassen sich aus meiner persönlichen künstlerischen Praxis ableiten?
Wie reagieren andere Personen auf meine Art, künstlerisch zu arbeiten? Was interessiert sie besonders?
Welche Ästhetik und welchen Wert haben Ergebnisse aus gemeinsamen ästhetisch-künstlerischen Gestaltungsprozessen mit Gruppen für mich? Begreife ich diese als Teil meiner Kunst? Inwiefern wirken diese Prozesse auch auf mein individuelles künstlerisches Arbeiten zurück und bereichern dieses?
Weitere Fragen, die den Transfer der eigenen künstlerischen Praxis in kulturelle und soziale Projekte betreffen, können sich auf die Teilnehmenden eines künstlerischen Projekts beziehen:
Welches Verständnis und welchen Zugang haben bestimmte Zielgruppen wie z. B. junge Menschen zur jeweiligen Kunstform? Welches Verständnis von künstlerischer Qualität haben sie?
Was können sie in den Projekten erfahren?
Welchen Mehrwert können die Projekte für die einzelnen Teilnehmer*innen oder die Gruppe haben?
Daneben ist es sinnvoll, sich über das Selbstbild als Künstler*in in der Öffentlichkeit Gedanken zu machen:
Welche Vorstellungsbilder haben Teilnehmende über den Künstler-Beruf?
Was können sie in diesen Projekt über den Beruf, die Arbeitsweise und die Haltung einer:s Künstler*in erfahren? (vgl. Mandel 2022:102f.)
Methoden für die Gestaltung künstlerisch-kultureller Vermittlungs-Settings
Im Rahmen des Modellprojekts „Kunstlabore“ der Stiftung Mercator wurden Strategien identifiziert für die Konzeption von künstlerischen Projekten Kultureller Bildung. Diese greifen künstlerische Grundprinzipien auf und entwickeln daraus übergreifende Methoden für die Gestaltung von künstlerischen Vermittlungssituationen. Die Strategien sind dabei nicht zwingend chronologisch und getrennt voneinander zu verstehen, nicht streng auf eine spezifische Sparte bezogen und lassen sich kombinieren (Heisig/Scharf/Schönfeld 2020):
Recherche und ästhetische Forschung als Inspirationsquelle
Zu Beginn eines gemeinsamen künstlerischen Projekts kann eine Recherche und der gemeinsame Austausch darüber als Impulsgeber dienen, um Verständnis für ein Thema, einen Gegenstand, eine bestimmte Arbeitstechnik oder Materialien zu schaffen. Die Recherche eröffnet einen gemeinsamen Denkraum und ermöglicht es ein Verständnis füreinander zu entwickeln, das die Interessen der Teilnehmenden mit den künstlerischen Möglichkeiten in Einklang bringt.
Lücken und Leerstellen produktiv nutzen
Das bewusste Arbeiten mit Lücken und Leerstellen regt Teilnehmende dazu an, eigene Interpretationen zu erschaffen und Geschichten zu erzählen, in die ihre persönliche Lebenswelt und -erfahrung einfließen können und durch die diese sichtbar werden.
Gegebenes in andere Sinnzusammenhänge transformieren
Transformation im Sinne künstlerischer Strategien meint, Inhalte umzuwandeln oder umzuformen, sie in ein anderes künstlerisches Medium oder auch in andere Sinnzusammenhänge zu überführen. Dies ermöglicht Kindern und Jugendlichen, ihren individuellen Ausdruck für Themen und Inhalte zu finden.
Mit biografischen Elementen arbeiten
Biografische Elemente zum Inhalt der künstlerischen Auseinandersetzung zu machen, eröffnet für die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich selbst und ihre Lebenswelt einzubringen und zu reflektieren – kognitiv, sinnlich und emotional. Durch die Transformation und Verfremdung im künstlerischen Prozess bekommt das Persönliche gleichzeitig einen Schutzraum, welcher das Sich-Selbst-Zeigen ermöglicht. Ein sensibler Umgang mit den Themen und Geschichten der Kinder und Jugendlichen ist dabei unerlässlich, genauso wie die Abwägung, ob und in welcher Form das Ergebnis präsentiert wird.
Beschränken und Fokussieren
Ergebnisoffenheit spielt im künstlerischen Prozess eine wichtige Rolle. Um jedoch in der Vielfalt der Möglichkeiten eine Orientierungshilfe zu bieten, kann eine Beschränkung oder Fokussierung eine angemessene Strategie darstellen, z.B. in Form
>> einer Beschränkung des Prozesses auf ein bestimmtes Zeitfenster
>> einer Beschränkung der Ausdrucksmittel/des Handlungsspielraums
>> einer Fokussierung auf einen konkreten inhaltlichen Aspekt.
Interventionen, Störungen, Irritationen erzeugen und nutzen
Interventionen, Irritationen und Störungen, die Kunst- und Kulturschaffende bewusst einsetzen und inszenieren, können eine neue Erfahrung zu dem bisher Bekannten und Vertrauten ermöglichen und so Gegebenes und persönliche Annahmen infrage stellen und den Schüler*innen neue Impulse zum weiteren Handeln geben.
Sich Vorhandenes aneignen und neu arrangieren
Mit Gefundenem, bereits Bestehendem weiterzuarbeiten, es auseinanderzunehmen und zu etwas Neuem zu arrangieren, ist eine weit verbreitete künstlerische Strategie. Ob in Collagen, in denen Einzelteile neue Formen bilden, oder beim Remix in der Musik oder im Film, wo bestehendes Material neu verarbeitet wird.
Freiräume schaffen
Künstlerisches Arbeiten ermöglicht einen anderen Umgang mit Zeit und Raum im Schulalltag und bietet Freiräume für Schüler*innen und Lehrer*innen im Denken und im Handeln. Diese Freiräume können pro-aktiv geschaffen werden, indem z.B. über mehrere Wochen hinweg an einem Projekt gearbeitet wird, unabhängig vom 45-Minuten-Rhythmus der Schule oder indem die Teilnehmenden ihren individuellen Interessen nachgehen können und ihr Schaffen frei von Benotung und curricularen Vorgaben ist.
(Konkrete Anwendungsbeispiele für die Methoden sind abrufbar unter: https://kunstlabore.de/index.html).
Herausforderungen und Potenziale der künstlerischen Arbeit in Bildungskontexten
Dass die Künste das Potential haben, über sich selbst hinaus zu wirken, ist unbestritten. Und dennoch ist es für professionelle Künstler*innen nicht einfach, ihre Arbeit in außerkünstlerische Felder zu transferieren. Im Rahmen des Modellprojekts „Künstlerische Interventionen in der Kulturellen Bildung“ (Mandel 2022:435ff.) wurden von den beteiligten Künstler*innen folgende Probleme genannt:
Hohe Wirkungserwartungen im Sinne von Transferwirkungen, die aus solchen künstlerischen Projekten hervorgehen sollen
Bedeutungsverlust im Kunstfeld durch pädagogische und soziale Kontexte - Herabsetzung des Künstler-Habitus
Unzureichende Vorbereitung auf Tätigkeiten in Bildungskontexten (Vermittlung ist nicht integriert in Kunstakademien in Deutschland)
Sorge vor einer Funktionalisierung und Didaktisierung der Künste
Fehlende Zeit für individuelle künstlerische Tätigkeiten aufgrund des hohen Aufwandes, der mit solchen Projekten verbunden ist
Fremdbestimmung und enge Rahmen in Projekt-Kooperationen etwa mit Schulen oder sozialen Einrichtungen
Hoher administrativer Aufwand für geringe Honorare und temporäre Projekte
Dem stehen vor allem folgende Vorteile gegenüber, wenn die eigene Arbeit über das individuelle Schaffen hinaus in soziale Kontexte erweitert wird:
Neue Einkommensquelle (Durchschnittliches Jahreseinkommen von Künstler*innen liegt laut Künstlersozialkasse bei 15.000 Euro, nur 20% leben von ihrer Kunst)
Erhöhung der eigenen Sichtbarkeit
Erkenntnisse und Erfahrungen aus anderen gesellschaftlichen Feldern und Zusammenarbeit mit verschiedenen Teilnehmenden als Ressource für die eigene künstlerische Arbeit
Gesellschaftliche Räume sinnstiftend mitgestalten sowie Erhöhung der eigenen gesellschaftlichen Relevanz und Nutzung künstlerischer Potentiale für die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens.
Fazit: Potenziale der Künste in außerkünstlerischen Bereichen
Im Diskurs der Kulturellen Bildung gilt die Arbeit von Künstler*innen schon länger als unverzichtbar. Empirische Studien belegen, dass Künstler*innen gerade aufgrund ihrer „authentischen“, nicht pädagogischen Vermittlungsposition hohe Wirksamkeit in Kontexten kultureller Bildung entfalten können (Keuchel/Aescht 2007). Auch in anderen Gesellschaftsbereichen jenseits des Kultur- und Bildungsbereichs hat die Bedeutung ästhetischer, künstlerischer und kultureller Dimensionen zugenommen, so auch für den wirtschaftlichen Erfolg. Storytelling, Guerillamarketing, Design Thinking, künstlerische Interventionen in der Unternehmenskommunikation und im Teambuilding sind in Zeiten des „Kreativitätsdispositivs“ (Reckwitz 2012) unverzichtbarer Teil der Markenbildung und des Change Managements von Institutionen und Unternehmen. Künstlerische Kreativität gilt als zentrale Ressource für Innovationen. Und so werden Künstler*innen auch zunehmend als Berater*innen und Impulsgeber*innen in Wirtschaftsunternehmen engagiert. Dass sie damit keineswegs unmittelbar „nützlich“ sind und verwertbare Ergebnisse erzeugen und dennoch bleibende Erfahrungen auslösen können, ist eine Erkenntnis, die in einigen Studien genannt wird (Helldorf 2020; Berthoin Antal 2019).
Dabei benötigen auch Kunstschaffende Methoden, wenn sie mit unterschiedlichen Gruppen arbeiten. Diese Methoden sind nicht an einer spezifischen Didaktik und an „Lernzielen“ orientiert. Es geht ihnen weniger darum, etwas Bestimmtes über Kunst zu vermitteln oder bestimmte künstlerisch-gestaltende oder soziale Fähigkeiten herausbilden zu wollen. Was mit den individuellen Teilnehmenden in den künstlerischen Projekten passiert, ist nicht vorhersehbar. Das bedeutet jedoch nicht den Verzicht auf ethisch-normative Ziele und Anliegen, die Künstler*innen mit ihren Projekten verbinden.
Dazu gehört es auch, bei Menschen außerhalb des Kunstbetriebs das Verständnis dafür zu wecken, dass Kunst über bestimmte handwerkliche Methoden, aber auch über Kreativ-Tools, hinausgeht und eine gestaltende, Freiräume beanspruchende Art und Weise zu denken und zu handeln ist. Eng damit verbunden ist die Botschaft, dass künstlerisches Denken und Handeln keine exklusive Kompetenz von Kunstschaffenden ist, sondern dass eine künstlerische und gestaltende Perspektive auf die Welt, im Sinne Beuys, für jede*n möglich ist.
Für Künstler*innen bedeutet die Arbeit in Kontexten Kultureller Bildung nicht, dass sie die Künste funktionalisieren für soziale und pädagogische Zwecke, sondern dass sie deren gesellschaftlichen Mehrwert, jenseits des Kunstbetriebs, produktiv werden lassen.