Local Art – Transformative Perspektiven in der partizipativen Museumsarbeit
Abstract
Die Beteiligten partizipativer Vermittlungsangebote in Museen erleben häufig wenig Resonanz innerhalb der Institution, somit stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit dieser Vermittlungspraxis. Auf der Suche nach einer langfristigeren Wirksamkeit, also nach transformativen Effekten, wurde aus der Perspektive der Kritischen Kunstvermittlung das partizipative Projekt Local Art analysiert. Adressiert an das Aufsichtspersonal des Museums, lag die Ausgangsidee in der Realisierung eines kommunikativen Ausstellungsangebots, um damit Formen der partizipativen Bildungsarbeit, nicht nur über, sondern mit den Teilnehmer*innen zu entwickeln. Deren ganz eigener Zugang zu Kunst und Vermittlung wird sowohl innerhalb vermittlungspraktischer, als auch raumsoziologischer Kontexte aufgezeigt.
Soziologische Konzepte des Sozialraums gehen nicht nur davon aus, dass der Raum durch hegemoniale Strukturen geprägt ist und durch implizite Regeln bestimmt wird, die In- und Exklusionen festlegen, sondern setzen auch voraus, dass er ein durch die räumliche Praxis gestaltetes und gestaltbares Phänomen ist. Der Beitrag analysiert hegemoniale Strukturen und gesellschaftliche Ausschlussmechanismen im musealen Kontext, also: wer darf was wie und vor allem wo tun? Dabei geht es vor allem um das Ausloten nachhaltiger Transformationsmöglichkeiten innerhalb des Sozialraumes Museum im Zusammenhang mit partizipativen Vermittlungsprozessen.
Partizipative Strategien im Museum
Der Terminus Partizipation bestimmt, ebenso wie die Begriffe kulturelle und soziale Inklusion, derzeit inflationär unterschiedlichste Praxisfelder, sei es in Politik, Soziologie, Pädagogik, Unternehmensstrategien oder auch im Bereich Kunst und Kultur. Partizipation ist positiv konnotiert und wird daher in vielen Bereichen als gesellschaftliches Handlungsgerüst angewendet. Das Faktum, dass sich Partizipation multilateral auslegen und verwirklichen lässt, macht sie derzeit als Universal-Problemlösungsstrategie, beispielsweise in Bezug auf Inklusionsprozesse so populär. Das gilt auch in nicht geringem Maße für Museen.
Museen sind heute gezwungen, sich als identitätsstiftende Institutionen zu legitimieren, d.h. gesellschaftliche Bedingungen und Prozesse abzubilden, die sich in Themen wie Globalisierung, Migration, Beschleunigung, Künstliche Intelligenz etc. zeigen. Der Nachweis ihrer gesellschaftlichen Relevanz manifestiert sich daher aktuell in vielen Museen in der Verwendung partizipativer Strategien mit Bezug zu Gegenwartsthemen.
Allerdings erleben die Beteiligten partizipativer Vermittlungsangebote häufig wenig Resonanz innerhalb der Institution, stattdessen erfahren sie eine eher ‚stiefmütterliche’ Behandlung: kaum jemand weiß etwas von der Existenz dieser Projekte, geschweige denn, wer die Durchführenden, wer die Teilnehmenden sind oder was dort gemacht wird. Ergebnisse werden, wenn überhaupt, nur im kleinsten Rahmen präsentiert und die entstandenen Produkte verschwinden in der Versenkung.
Somit stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit dieser Vermittlungspraxis in Bezug auf die Anliegen der Kunst- und Kulturvermittlung und nach möglichen Veränderungsprozessen in ihrer Folge, denn auf der anderen Seite können durchaus reflexive bzw. transformative Momente bei den Beteiligten initiiert werden.
Vermittlungstheoretischer Hintergrund
Das Museum hatte, obwohl der Terminus heute vollständig mit dem Begriff der Öffentlichkeit assoziiert wird, lange Zeit, bis ins 19. Jahrhundert hinein, eine ausschließlich private und exklusive Funktion (Baur 2010:21).
Der Prozess der aktuellen Entwicklung deutscher Museen ist u.a. im Kontext der sich in den 1970er Jahren im anglo-amerikanischen Raum, in Lateinamerika sowie in einigen europäischen Ländern entwickelnden New Museology-Bewegung zu sehen. Historisch befasst sich die Museologie mit der Entwicklung der Institution Museum im gesellschaftlichen Kontext. Dazu gehört die Geschichte des Sammelns von Natur- und Kulturerzeugnissen, die Entstehung von Sammlungskonzepten, die Geschichte der Museumsgebäude, Fragen des Umgangs mit der Öffentlichkeit und systematische und strukturelle Aspekte des Museumswesens.
Als Anlass für die Formierung der New Museology-Bewegung kann die Konferenz des Internationalen Museumsbundes (ICOM), die im Jahr 1972 in Chile stattfand, angesehen werden (vgl. Jannelli 2012:59f). Auf der Konferenz wurde deutlich, dass sich in den Fachgebieten innerhalb und außerhalb der Museen eine allgemeine Unzufriedenheit mit der traditionellen Museologie herausgebildet hatte, weil diese sich zu wenig mit den gesellschaftlichen Zielen des Museums und zu viel mit methodologischen Überlegungen beschäftigte. Die New Museology-Bewegung ging von dem Ansatz aus, dass die Museumspraxis sich mehr mit gesellschaftlichen Entwicklungen und weniger mit Museumsobjekten beschäftigen sollte: „Instead of being there for the objects, museum should be there for people“ (Varin 1976:131).
Weil die Neue Museologie als handlungsorientiertes Konzept auch aktuell noch keine einheitliche Linie aufweist, versuchen ihre Vertreter*innen im Diskurs die heterogenen Einzelkriterien zu identifizieren und systematisch zu verknüpfen (vgl. dazu: Hauenschild 1988:475; Sandell 1998:401-418; Macdonald 2010:49f). Einer der Kernpunkte ist die Publikumsorientierung und die Perspektive der Besucher*innen: d.h. die Wahrnehmung von Museen und Ausstellungen aus Sicht der Besucher*innen.
Die Kritische Kunst- und Kulturvermittlung
Bis in die 1960er Jahre herrschte im musealen System die Meinung vor, dass alles, was im Museum an Wissen vermittelt werden kann, sich allein durch den Bestand erschließt, also durch die Objekte und deren Klassifizierung. Man ging von der tradierten Vorstellung der „Allgemeingültigkeit musealen Wissens“ (Sternfeld 2013:74) aus, die mittels der gebräuchlichen Präsentationsweisen affirmiert wurde:
„Klassische Formen kulturhistorischer Themenausstellungen bestehen etwa in einem chronologischen, motivischen oder geografischen Aufbau. Sie reproduzieren allerdings zumeist den Kanon mit seinen Schulen, Zeitaltern und Grenzziehungen. […] Eine solche Praxis stellt die AutorInnenschaft der AusstellungsmacherInnen ins Zentrum“ (ebd.).
Der reflexive turn, die skeptische Betrachtungsweise gegenüber öffentlichen Gedächtniskonstruktionen und Geschichtsauffassungen, führte spätestens in den 1970ern zu der Schlussfolgerung, dass es unmöglich sei, ein Exponat unabhängig von seinem historischen Zusammenhang oder isoliert von seinem gegenwärtigen Bezug auszustellen. Und es hatte auch Konsequenzen für die Kunst- und Kulturvermittlung, als mit der Etablierung der Neuen Museologie deutlich wurde, dass Objekte nicht für sich selbst sprechen können. Nun ging es nicht mehr darum, das Publikum über feststehende Tatsachen zu belehren, sondern es wurde mehr und mehr in partizipativen Vermittlungsangeboten gedacht, in denen transparent gemacht wurde, dass mit der Präsentation eine bestimmte subjektive und nicht unantastbare Weltsicht einherging, die seitens der Besucher*innen durchaus hinterfragt werden konnte.
Inhaltlich agierten Museumspädagog*innen bis zu dieser Zeit als affirmierende und reproduzierende ‚Expert*innen’ von hegemonialen Bildungskonzepten. Die früher geläufige Berufsbezeichnung für Museumspädagog*innen wurde im Verlauf der Entwicklung der Neuen Museologie in Kunst- bzw. Kulturvermittler*innen geändert, um im Museumskontext eine Abgrenzung zum pädagogischen Bereich zu schaffen, der hauptsächlich über die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wahrgenommen wurde. Seither bestimmt der Versuch einer Neupositionierung innerhalb der Schnittstelle zwischen Institution und Öffentlichkeit, zwischen reflexiven gesellschaftskritischen Vermittlungspraktiken und kulturpolitischen Rahmenbedingungen die Rolle der Kunst- und Kulturvermittler*innen (vgl. Höllwart 2013:37). Eine zentrale Forderung ist es, die Kunst- und Kulturvermittlung als obligatorische Komponente im Museums- und Ausstellungswesen zu begreifen.
Aus diesem Diskurs hervorgegangenen ist die Perspektive der Kritischen Kunstvermittlung. Carmen Mörsch arbeitete gemeinsam mit ihrem Forschungsteam nach der documenta 12, die existierenden vier Vermittlungszugänge (Diskurse) aus. Diese beziehen sich auf die Interaktionen zwischen den sozialen Akteuren und auf eine kritische Distanz zum Museum als Institution. In diesem Zusammenhang werden folgende Aspekte zu zentralen Themen im Vermittlungsprozess:
- Kommunikationsabläufe zwischen Institution, Vermittlung und Publikum
- das Produzieren von Gegenerzählungen zum etablierten Kanon
- das Infragestellen des gesamten ‚Systems Museum‘.
Nach Mörsch ermöglicht ein transformativer Vermittlungszugang die Produktivität und Nachhaltigkeit partizipativer Bildungsprozesse. Sie definiert ihn als „die Praxis, Dritte einzuladen, um Kunst und ihre Institutionen für Bildungsprozesse zu nutzen: sie zu analysieren und zu befragen, zu dekonstruieren und gegebenenfalls zu verändern. Und sie dadurch auf die eine oder andere Weise fortzusetzen“ (Mörsch 2009:9).
Forschungsfokus
Ausgehend von der These, dass nachhaltigere Bildungsarbeit möglich ist, wenn Museen als veränderbare Institutionen begriffen, und in der Vermittlungspraxis interaktive, demokratische Strukturen gewählt werden, ergeben sich folgende Fragestellungen:
- Was bedeutet Transformation in diesem Zusammenhang?
- Wie können partizipative Projekte aussehen, die transformativ wirken?
- Gibt es Kriterien für transformative Effekte? Ist Transformation planbar?
Werden Veränderungsprozesse in Folge von partizipativen Projekten wissenschaftlich untersucht, beschrieben und dokumentiert, so geschieht dies in der Regel zeitnah nach der Durchführung. Somit bestand eine Lücke in der Begleitforschung zur Kunstvermittlung in Bezug auf langfristige Transformationen.
Um diese Lücke zu schließen wurde das Projekt Local Art ausgewählt, das 2011/12 im ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe) durchgeführt wurde. Partizipative Projekte mit Transformationspotential, wie oben beschrieben, sind in der Realität nur schwer auffindbar. Local Art erfüllte die Voraussetzungen des transformativen Diskurses, denn die Ausgangsidee lag in der Realisierung eines kommunikativen Ausstellungsangebots, um damit Formen der partizipativen Bildungsarbeit, nicht nur über, sondern mit den Teilnehmer*innen zu entwickeln.
Auf der Basis dieser explorativen Fallstudie wurden vermittlungspraktische und raumsoziologische Zusammenhänge inhaltlich und methodologisch analysiert. Das Ziel der Untersuchung bestand darin, Kriterien zur Feststellung und Definition von Transformation zu entwickeln, die als methodische Basis für die Vermittlungspraxis dienen können, um Transformationsprozesse konzeptuell plan- und realisierbar zu machen.
Datenerhebung
Für die Analyse des Projekts Lokal Art wurden verschiedene Methoden der Datenerhebung verknüpft. Zum einen bestand das empirische Datenmaterial aus narrativen Interviews, die mit den Feldmitgliedern (Museumsmitarbeiter*innen verschiedener Berufsgruppen, Projektleiter*innen, Kunstvermittler*innen und Projektteilnehmer*innen) durchgeführt wurden, um Perspektiven von Personen aus unterschiedlichen Statuslagen zu erhalten. Dabei wurde Wert auf Ausführlichkeit und (Selbst-)Reflexion gelegt, mit dem Fokus auf die Alltagspraxis in der konkreten Museumsarbeit und auf die Wahrnehmung des Projekts Local Art und dessen Konsequenzen.
Neben auditivem Material wurde visuelles Material zur Erhebung und zur Analyse verwendet, d.h. einbezogen wurden die im Verlauf von Local Art entstandenen künstlerischen Produkte, wie Fotos und Videos von Installationen und Performances, ebenso wie wissenschaftliche Begleittexte (Sack 2012; Plegge 2012 unveröff.; Plegge 2014a; 2014b; 2014c) und darüber hinaus Quellen wie Architekturpläne, Grundrisse, Internetpräsenz und Aushänge.
Beschreibung des Projekts Local Art
Local Art wurde als 3-monatiges Workshop-Projekt durchgeführt. Das Kunstvermittlungsprojekt lief als Begleitprogramm zur großen Ausstellung The Global Contemporary. Kunstwelten nach 1989 im ZKM. Zwei Kunstvermittler*innen, die mit dem Ansatz der Kritischen Kunstvermittlung bzw. des transformativen Diskurses arbeiten, führten das Projekt überwiegend mit den Museumsaufsichten des ZKM durch.
Thema
Ausgangsidee war, dass insbesondere die Museumsaufsichten zwar mehr Zeit als alle anderen Museumsbediensteten in den Ausstellungen verbrachten und am häufigsten von den Besucher*innen auf die Exponate angesprochen wurden, gleichzeitig aber an den Inhalten der Ausstellungen nicht teilhaben durften. Laut Dienstanweisung war es ihnen nicht erlaubt, sich zu den jeweiligen Exponaten zu äußern, selbst wenn sie angesprochen wurden. Wenn sie sich nicht daran hielten und mit dem Publikum diesbezüglich kommunizierten, begaben sie sich damit in eine arbeitsrechtliche Grauzone.
Mit dem Projekt Local Art wurden Fragen nach der ambivalenten Funktion des Aufsichtspersonals im Museum, und damit auch nach dem in Museen erwünschten Verhaltenskanon überhaupt, aufgeworfen. Im Rahmen von Local Art entstanden institutionskritische Videos, Installationen und Performances, die dieses Spannungsfeld thematisieren. Sie wurden über mehrere Monate im ZKM ausgestellt.
Transformativer Ansatz
Inhaltlich wurde frei gearbeitet, die Themen wurden ausschließlich von den Teilnehmer*innen eingebracht.
- Die Teilnehmenden machten sogar über die verabredeten Termine hinaus „Hausaufgaben“, indem sie z.B. eigene Videoperformances schufen.
- Die Anzahl der Teilnehmer*innen wechselte ständig bis auf einen harten Kern von neun Personen.
- Im Rahmen von Local Art wurde eine Vielzahl an Werken produziert und im Anschluss in einer kleinen Vernissage offiziell im ZKM präsentiert.
Beispiele der künstlerischen Produkte
Videoperformance „Prozession der Gebote und Verbote“
Bei ihrem einführenden Rundgang, auf der Suche nach einem Thema in Resonanz zur Ausstellung, fiel die Wahl der Teilnehmer*innen von Local Art auf die Werke des Performance-Künstlers Meschac Gaba (*1961 in Cotonou/Benin, lebt und arbeitet in Rotterdam/NL und Cotonou). In seiner Arbeit untersucht er die In- und Exklusionsmechanismen im Kunstkontext in Bezug auf zeitgenössische afrikanische Kunst. Mit der für die Ausstellung The Global Contemporary geschaffenen Arbeit Musée de l’Art de la Vie Active hatte Gaba ca. 30 Perücken aus Kunsthaar angefertigt, die wie fantasievolle Hüte anmuteten. Sie waren mit universell nachvollziehbaren Symbolen aus globalen gesellschaftlichen Zusammenhängen versehen und symbolisierten historisch bedeutende Personen der amerikanischen, europäischen und afrikanischen Gesellschaft. Der erste Teil von Meschac Gabas Performance bestand aus einer Prozession mit den Perücken in Cotonou/Benin, der zweite Teil fand im Verlauf der Ausstellung The Global Contemporary in der Karlsruher Innenstadt statt.
Bei der Auswahl von Gabas Werken für Local Art spielte bei den Teilnehmer*innen auch eine ganz profane Situation eine Rolle: Als die Perücken in der Ausstellung The Global Contemporary präsentiert wurden, waren sie offenbar für die Besucher*innen und speziell für die Kinder so interessant, dass sie von den Aufsichten außerordentlich streng bewacht werden mussten, damit sie von niemandem angefasst oder aufgesetzt wurden. Unter anderem durch die Aufmerksamkeit, die das Wachpersonal diesen Exponaten widmen musste, entstand die Idee im Projekt Local Art eigene Hüte/Perücken zu bauen und sie mit Symbolen der zentralen Themen der Aufsichtskräfte zu versehen. Die Themen, die jedem Wachpersonal täglich präsent sind, wie Rauch-, Ess-, Trink- oder Taschenverbote, wurden eingearbeitet, denn laut Wachpersonal gibt es vergleichsweise häufig Besucher*innen, die gern in Ausstellungen einen Imbiss einnehmen oder fordern, ihre Taschen mit „lebenserhaltenden“ Medikamenten bei sich zu tragen. Bei diesen Diskussionen geraten die Aufsichtskräfte, je nach Einsicht der Besucher*innen, gelegentlich in unangenehme Grenzsituationen.
Auf den selbstgebauten Hüten, die die Teilnehmer*innen von Local Art trugen, wurden alle typischen Verbotszeichen in einem Museum dargestellt wie z.B. ‚nicht berühren, nicht rauchen, nicht trinken’ etc. Gleichzeitig hielten die Teilnehmer*innen während der Prozession Schilder in der Hand, die ihre Wünsche für die Besucher*innen repräsentierten, mit Aufschriften wie ‚bitte genießen, bitte kritisch sein, bitte erforschen etc.’. Folgerichtig wurde auch in der Performance von Local Art eine Prozession durchgeführt und zwar durch die Ausstellungsräume. Ziel war, das Publikum zu einem freieren Verhalten im Museum anzuregen und dazu aufzufordern, sich vom üblichen Verhaltenskodex im Museum zu distanzieren.
Installation „Aufsicht in Residence“
Ein weiteres Produkt bestand aus der Installation Aufsicht in Residence, von der nur noch Fotos existieren. Zu sehen ist hier ein Stuhl, darauf ein Mobiltelefon, womit die beiden typischen Symbole der Museumsaufsichten im ZKM dargestellt sind. Diese Arbeit bezog sich auf ein Gastkünstler*innenprogramm, das während der Dauer von The Global Contemporary im ZKM stattfand. Die Werke, die in diesem Kontext entstehen würden, sollten später in die Ausstellung integriert werden. Bis dahin wiesen lediglich Schilder am Boden auf die zukünftigen Standorte hin: „coming soon [artist-in-residence]“. Daraus entwickelte sich die Idee zu dieser Installation.
Ein Aufkleber am Boden wies in der Installation, mit völlig gleich gestalteten Schildern, auf die scheinbare Abwesenheit einer diensthabenden Aufsicht hin. Und statt artist-in-residence war dort eben Aufsicht-in-Residence zu lesen.
Raumsoziologischer Hintergrund
Übereinstimmend basieren raumsoziologische Konzepte auf der Überlegung, dass Raum nicht lediglich als Container oder Hintergrund für soziale Prozesse fungiert, sondern dass er einerseits von gesellschaftlichen Handlungen konstituiert wird und diese Prozesse und Systeme abbildet, sie aber andererseits gleichzeitig (re-)konstituiert, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Mikro- oder Makroräume handelt.
Raum als Ordnungsdimension zur Analyse gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen und kulturellen Handelns wird in der Raumsoziologie als das relevante „soziale und politische Werkzeug gesellschaftlicher Transformation“ verstanden (Deffner 2010:47). Räumliche Ordnung ermöglicht soziale Stabilität, Mobilität sowie Teilhabe oder Exklusion, sie bestimmt die soziale Position und die gesellschaftliche Praxis.
Da die Raumsoziologie, als soziologisches Teilgebiet, sich einerseits mit der Erschaffung von Räumen durch soziales Handeln und andererseits mit der Beziehung zwischen Raum und gesellschaftlichem Agieren befasst, ist sie gut geeignet, um Transformationsprozesse sichtbar zu machen. Folgt man also der These, dass Räume durch Handeln konstituiert werden, so ist es auch möglich, durch neuartige Handlungsweisen neue gesellschaftliche Strukturen entstehen zu lassen: Das ist die Bedeutung von Transformation.
Henri Lefebvre
Soziologische Konzepte des Sozialraums (Bourdieu 1995 [orig. 1985]; Lefebvre 1991; Löw 2001) gehen nicht nur davon aus, dass der Raum durch hegemoniale Strukturen geprägt ist und durch implizite Regeln bestimmt wird, die In- und Exklusionen festlegen, sondern setzen auch voraus, dass er ein durch die räumliche Praxis gestaltetes und gestaltbares Phänomen ist. Im Zusammenhang mit marxistischen Raumkonzeptionen gilt der Soziologe und Philosoph Henri Lefebvre (1901 – 1991) als einer der antikapitalistischen Pioniere der Raumsoziologie und als einflussreicher Protagonist des französischen Neomarxismus. Er fasst Raumvermessung und -strukturierung als ein Kennzeichen der kapitalistischen Produktionsweise zur Kontrolle über den Raum auf: „(Social) space is a (social) product“ (Lefebvre 1991 [orig. 1974]:30).
Raum ist für ihn das Produkt von sozialer Ordnung und gesellschaftlicher Praxis, die aus Wahrnehmung, Bewertung und konkreten Handlungen besteht. Lefebvre fasst den sozialen Raum nicht als Metapher, sondern als materielles, als historisches und als politisches Produkt auf und analysiert daher folgerichtig nicht den Raum selbst, sondern die Prozesse, die den Raum generieren. Dazu entwickelte er das Konzept der drei Raumdimensionen, deren Trennung allerdings ideell ist, da sie sich in der Realität durchdringen.
Die räumliche Praxis, der (physisch) wahrgenommene Raum (espace perçu) – (re-)produziert im unreflektierten Alltagsverhalten den materiell wahrnehmbaren Aspekt des Raumes. Die räumliche Praxis ist der am einfachsten nachzuvollziehende Aspekt, denn es ist das, was wir beispielsweise in unseren Wohnungen, Büros, Straßen etc. tun, ohne darüber Nachzudenken. Wir schlafen im Schlafzimmer, essen am Esstisch, fahren Auto auf der Straße und gehen auf dem Bürgersteig, wir arbeiten im Büro und schauen uns Kunst im Museum an.
Individuen und Kollektive bewegen sich im espace perçu durch die Handlungen innerhalb ihrer sozialen Praxis mit ihren Körpern im physischen Raum. Infolgedessen wird der materielle Raum von ihnen durch konkrete Wege, Zimmer, Wände, Türen, Häuser, Straßen, Abstände, Begrenzungen oder Absperrungen und Blockierungen sinnlich erlebt. D.h. die Handlungsmöglichkeiten der sozialen Akteure werden räumlich vorgegeben als subjektiver und kollektiver Handlungsrahmen oder als strukturell konstituierte Bedingung. Auf der anderen Seite wird der materielle Raum, den die gesellschaftlichen Individuen wahrnehmen, von ihnen in ihrer räumlichen Praxis physisch in Anspruch genommen, organisiert und damit beeinflusst.
Die Repräsentation des Raumes, der (gedanklich) konzipierte Raum (espace conçu) – (re-)produziert kognitiv Bilder und Symbolisierungen des Raumes, wie z.B. in der Mathematik, Architektur oder Stadtplanung, auf Schildern, aber auch in Diskursen über den Raum.
Die Repräsentation des Raumes ist unsere Vorstellung vom Raum, die sich zum einen in architektonischen Grundrisszeichnungen (für Küche, Diele, Bad, in Stadtplänen oder Landkarten) zeigt, aber auch im Konsens darüber, wie Raum genutzt wird bzw. werden darf: so ergibt es für die meisten gesellschaftlichen Akteure Sinn, dass Autos auf der Straße fahren und Fußgänger*innen auf dem Bürgersteig gehen, oder dass man sich nackt in der Öffentlichkeit beispielsweise in der Sauna aufhalten darf, jedoch nicht in der Fußgängerzone. Im Museum hat man ebenfalls einen entsprechenden Verhaltenskodex zu erfüllen (nicht anfassen, nicht laufen, nicht schreien), der z.T. durch Schilder vorgegeben wird.
Die Räume der Repräsentation, der (gesellschaftlich) gelebte, erlebte, erlittene Raum (espace vécu) – (re)produziert die Bedeutung des erlebten und gelebten Raumes, der selbst nicht durch Zeichen oder Symbole, sondern durch Bedeutungszuweisungen konstruiert wird. Dieser letzte Aspekt ist der abstrakteste, denn er verweist nicht auf den Raum selbst, sondern repräsentiert die Codes gesellschaftlicher Bedeutungsproduktion. Die Räume der Repräsentation entsprechen einer Synthese aus den beiden anderen Raumaspekten, dem gesellschaftlich erfahrenen bzw. erlittenen Raum und den gedanklichen Repräsentationen des Raumes.
Sie sind die räumliche Konkretisierung historischer Prozesse, kollektiver Erfahrungen, gesellschaftlicher Traditionen und Werte und weisen auf etwas Drittes hin: die Bedeutung des Raumes, die über die Praxis und die Darstellung hinausgeht. So gibt es in einer Stadt bessere und schlechtere Adressen, also begehrte und weniger begehrte Quartiere, die auf die gesellschaftliche Stellung der Akteure verweisen. Auch bestimmte Bauten, wie etwa Museumsgebäude wirken auf manche Menschen einschüchternd, weil dem Museum die Deutungsmacht über Kunst und Wissen zugestanden wird. Andere gesellschaftliche Akteure fühlen sich dort wohl, weil sie die entsprechenden Verhaltens- und Sprachcodes beherrschen, was wiederum auf ihre Position im Bildungssystem oder im Kunstbetrieb rekurriert.
Die drei Raumaspekte sind untrennbar miteinander verwoben, da sie gleichzeitig wirksam werden, denn Raum wird von den sozialen Akteuren zeitgleich wahrgenommen, konzipiert und gedeutet.
Local Art und Transformation
In der Analyse von Local Art ging es vor allem um das Ausloten von räumlichen Transformationsmöglichkeiten innerhalb des Sozialraumes Museum im Zusammenhang mit (Kunst-)vermittlungsprozessen. Dazu wurden die hegemonialen Strukturen und gesellschaftlichen Ausschlussmechanismen im musealen Kontext untersucht, also: Wer darf was wie mit wem und vor allen Dingen wo tun?
Zu diesem Zweck wurden die Äußerungen der sozialen Akteure im ZKM hinsichtlich des Zeitraums während und nach der Durchführung von Local Art zusammengetragen und auf ihren transformatorischen Gehalt hin untersucht. Die von den Mitwirkenden formulierten, durch Local Art initiierten Veränderungsprozesse wurden darauf hin analysiert, ob sie nicht nur eine zeitweilige direkte Folge des Projekts waren, sondern auch eine langfristig transformierende Wirkung in Bezug auf die Teilnehmer*innen und auf die Institution hatten, respektive haben.
Dazu werden einzelne exemplarische Aspekte beschrieben, die sich jeweils auf eine der drei Raumkategorien von Lefebvre beziehen.
Transformationen in der räumlichen Praxis
Ein transformativer Effekt in der räumlichen Praxis betrifft die Arbeitsplatzbeschreibung der Aufsichtskräfte.
Ausgangssituation: Die Aufsichten hatten keine Erlaubnis sich gegenüber dem Publikum zu den Exponaten zu äußern. Ihnen wurde, da sie ihr Wissen über Kunst nicht auf anerkanntem Wege, wie z.B. einem Studium, erlangt hatten, die fachliche Expertise abgesprochen. Das bedeutet, sie waren aus dem Sprachraum der Akademiker*innen ausgeschlossen. Als Konsequenz zogen sie sich bei Bedarf in einen Schutzraum zurück, den sie als Grauzone bezeichneten. Dort gingen sie heimlich ihren kommunikativen Neigungen nach, denn wenn sich die Aufsichtskräfte in der Grauzone bewegten, befanden sie sich in einem vielseitig interpretierbaren Bereich, in dem sie aufgrund seiner Beschaffenheit und Qualität vor Maßregelungen von Vorgesetzten besser geschützt waren, als im offensiven Umgang mit Regelverstößen.
Veränderungsprozesse: Im Verlauf von Local Art verbalisierten die Aufsichten erstmals öffentlich ihre Unzufriedenheit mit der Situation und formulierten sie auch in ihren künstlerischen Produkten. In direkter Folge des Projekts wurde das Wachpersonal erstmals zu den allgemeinen Mitarbeiterführungen im ZKM, die immer vor Ausstellungseröffnungen stattfinden, eingeladen. Bis dahin waren diese den direkten Mitarbeiter*innen des ZKM vorbehalten. Darüber hinaus wurde ein Konzept geschrieben, um einzelne interessierte Aufsichten zu schulen, über bestimmte Artefakte zu reden (nicht auf Expert*innen-Niveau, aber für das durchschnittliche Museumspublikum). Somit besteht jetzt die Regelung, dass das Wachpersonal nicht mehr seine Aufsichtsplicht verletzt, wenn es sich mit Gästen unterhält, sondern, im Gegenteil, der Kontakt zu den Besucher*innen soll in diesem Fall Priorität haben und erst in zweiter Linie die Bewachung der Werke. Zudem wurden die Fachgespräche extra honoriert.
Transformation: Durch die neue gesellschaftliche Sichtbarkeit der Aufsichten und durch die Anerkennung ihres spezifischen Wissens, erhielten sie eine neue Position im Sozialraum Museum. Das bedeutet räumlich: die Aufsichten konnten ihren Schutzraum (Grauzone) verlassen, weil sie zumindest einen partiellen Zugang zum Sprachraum über das Thema Kunst erhielten.
Transformationen in der Repräsentation des Raumes
Ein transformativer Aspekt in der Repräsentation des Raumes betrifft die architektonische Struktur des Museums.
Ausgangssituation: Kunstvermittlung fand in den dafür vorgesehenen Räumlichkeiten, in der dritten Etage statt, die abseits des Ausstellungsgeschehens lokalisiert waren. Lediglich Führungen wurden in den Ausstellungsräumen durchgeführt.
Veränderungsprozesse: Im Zusammenhang mit der Ausstellung The Global Contemporary wurde das so genannte studio, ein Raum eigens für die Kunstvermittlung, konzipiert. Das studio war architektonisch in die laufende Ausstellung integriert und konnte in Resonanz dazu frei bespielt werden. Das studio konnte für die jeweiligen Bedürfnisse der Projektbeteiligten jederzeit verändert werden. Es besaß keine Türen und konnte auch von den Ausstellungsbesucher*innen betreten werden, sodass diese das Kunstvermittlungsgeschehen unmittelbar beim Besuch der Ausstellung verfolgen konnten; auch im Verlauf von Local Art entstanden viele Produkte dort. Außerdem wurden die künstlerischen Ergebnisse der Projekte an den Wänden des studios in einer kleinen Vernissage vor Publikum präsentiert.
Seither wurden mindestens drei weitere Räume für die Kunstvermittlung in die jeweils laufenden Ausstellungen des ZKM installiert.
Transformation: Durch die Existenz des studios entstand eine größere Sichtbarkeit der künstlerischen Produkte und der Kunstvermittlung. Die traditionell hierarchisch unterschiedlich bewerteten Kernaufgaben des Museums Vermitteln und Ausstellen wurden gleichwertig verbunden. Es wurde ein spezifischer Raum mit eigenen Regeln innerhalb des Museumsraumes geschaffen, was als ausgeweiteter Handlungsraum für die Kunstvermittlung definiert werden kann.
Transformationen in den Räumen der Repräsentation
Ein weiterer transformativer Effekt in den Räumen der Repräsentation, betrifft Veränderungen, die den Verweis auf einen größeren Bedeutungszusammenhang implizieren.
Ausgangssituation: Die Aufsichten wurden von den anderen Museumsmitarbeiter*innen, wenn überhaupt, nur in dieser Funktion wahrgenommen.
Veränderungsprozesse: Zur Vernissage von Local Art waren nicht nur Museumsmitarbeiter*innen und Besucher*innen, sondern auch Fachpublikum und Künstler*innen, wie Karen Mirza und Brad Butler, gekommen. Das britische Künstlerpaar, das als Artists in Residence während The Global Contemporary vor Ort war, präsentierte während der Ausstellung die Installation Common Stage. Die Installation bestand u.a. aus Tafeln, die bemalt oder beschriftet werden konnten. Als eine weitere Folge ihres Projekts wurden nun die Teilnehmenden von Local Art eingeladen, daran mitzuwirken.
Transformation: Die Aufsichten griffen mit ihren künstlerischen Äußerungen (Prozession der Gebote und Verbote, Common Stage) aktiv in die bestehenden räumlichen Konfigurationen der Ausstellung ein, dadurch wurden die Räume (und die darin befindlichen Personen) mit einer anderen Bedeutung belegt und somit umgestaltet bzw. angeeignet.
Sie verließen für die Performances im Rahmen von Local Art sowie für die Installation Common Stage temporär ihre Funktion als ‚Bewacher*innen’ von Kunstwerken und betraten die Ausstellungsräume stattdessen in ihrer Eigenschaft als ‚Künstler*innen’. Dieser Prozess verweist auf das Kunstsystem, zu dem sie zumindest temporär einen offiziellen Zugang erhielten. Das spiegelte sich beispielsweise auch in ihrer namentlichen Nennung im Ausstellungskatalog. Den Aufsichten gelang es aus ihrer Sicht, sich in der Folge von Local Art auch ohne die entsprechende Ausbildung bzw. soziale Position im Kunstbetrieb, bis zu einem gewissen Grad als Kunstschaffende zu etablieren.
Transformationsebenen
Nach der Rekonstruktion der sozialen Realität und der transformativen Prozesse im ZKM aus der Akteur*innenperspektive mittels der drei beschriebenen Raumdimensionen konnten vier Ebenen differenziert werden, auf denen Transformation stattfand: die individuelle Ebene, die interaktive Ebene, die institutionelle Ebene und die externe Ebene (die sich notwendigerweise in der Realität durchdringen). Auf jeder dieser Ebenen, sind bestimmte Kriterien notwendig, um Transformation in der Vermittlungsarbeit zu ermöglichen.
Diese aus den Erkenntnissen über die Raumproduktion abgeleitete Theorie hinsichtlich der Definition und der Kriterien von Transformation kann als Orientierung für die Vermittlungspraxis dienen.
Individuelle Transformationsebene
Die individuelle Transformationsebene betrifft zum einen den Kompetenzzuwachs und zum anderen das Selbstbild der Teilnehmer*innen und der übrigen Beteiligten von partizipativen Projekten. Sie bezieht sich auf die Veränderungen in den praktischen und ideellen Kompetenzen der Akteure der Vermittlung. Das kann sich auf handwerkliche, methodische oder theoretische Fertigkeiten auswirken, ebenso wie in einer Erweiterung der persönlichen und sozialen Kompetenzen.
Im Fall der Teilnehmer*innen von Local Art, den Aufsichten im ZKM, zeigte sich dieser Kompetenzzuwachs z.B. durch die Steigerung des individuellen Selbstwertgefühls, ebenso wie im stärkeren Zusammenhalt in ihrer sozialen Gruppe. Das manifestierte sich u.a. in der Gründung eines eigenen Kunstkollektivs, den Chaos Artists. Bei ihren Treffen tauschen sie sich über Kunst und Gesellschaft aus und entwickeln bis heute eigene künstlerische Projekte.
Interaktive Transformationsebene
Die Interaktionsebene betrifft alle Formen der Transformation bezüglich der gesellschaftlichen Praxis der Protagonisten im Sozialraum Museum. Transformationen auf dieser Ebene beziehen sich auf das Arbeitsklima im Museum, Veränderungen in der Kommunikation und den Hierarchien zwischen Kunstvermittler*innen und Teilnehmer*innen, die Beziehung zwischen Projektmitwirkenden und Außenstehenden und kollektive Reflexionsprozesse. Themen der Veränderung können beispielsweise spezifische Einladungsstrategien, dialogische Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen, Prozessorientierung und Ergebnisoffenheit sein.
Im Fall von Local Art wurde durch das Projekt eine Art ‚Klassenbewusstsein oder Gruppenidentität’ unter den Aufsichten geschaffen. Seit der öffentlichen Vertretung ihrer Interessen durch ihre künstlerischen Produkte erfahren sie mehr Sichtbarkeit durch die anderen Museumsmitarbeiter*innen. Durch eine Veränderung der Kommunikationsstrukturen haben sie seitdem eine andere gesellschaftliche Position im Museum inne.
Institutionelle/Externe Transformationsebene
Die institutionelle Ebene bezieht sich auf die Transformationen, die die Rahmenbedingungen und das System des Museums betreffen. Dazu gehören Veränderungen in der Organisationsstruktur und in den institutionellen Werten, wie die Implementierung der Kunst- und Kulturvermittlung (Zeit-, Budget- und Raumzuteilung) oder qualitative Evaluationsstrategien. Bezüglich dieser Ebene sind diverse Evaluationsmodelle für die Institution notwendig, diese fangen bei einer grundsätzlichen Entscheidung des Museums zur Partizipation an, und enden bei der Dokumentation der Projekte und der dauerhaften Zugänglichkeit der entstandenen künstlerischen Produkte.
Das Beispiel für Transformationen im Rahmen von Local Art sind die o.g. Schulungen der Aufsichten, die ihnen nun ermöglichen, offiziell mit dem Publikum über die Exponate im ZKM zu sprechen.
Die externe Transformationsebene wurde in dieser Untersuchung vernachlässigt, weil kulturpolitische Rahmenbedingungen nicht der Hauptgegenstand dieser Untersuchung waren und deren präzise Analyse den Rahmen sprengen würde.
Transformative Perspektiven
Gibt es also Kriterien, um transformative Effekte in der Praxis zu planen und zu realisieren? Leider nein. Eine gezielte Transformation ist in der Praxis nicht planbar, denn es soll ja etwas möglichst Neues, Nicht-Gewusstes entstehen. Es gibt keine Patentrezepte, um Nachhaltigkeit in der partizipativen Vermittlungsarbeit zu garantieren. Es ist lediglich möglich, methodische Voraussetzungen, also ein setting zu schaffen, um Transformation zu evozieren und sie wahrscheinlicher zu machen, indem möglichst viele der mittels der Untersuchung von Local Art herausgearbeiteten Kriterien in der Vermittlungsarbeit beachtet und angewendet werden.
Dennoch konnte auf der Basis dieser explorativen Fallstudie, der spezifische Zugang des Aufsichtspersonals zu Kunst und Vermittlung innerhalb vermittlungspraktischer und raumsoziologischer Kontexte aufgezeigt und darüber hinaus nachgewiesen werden, dass eine partizipative Vermittlungspraxis durchaus Nachhaltigkeit und eine transformative Wirkung zeitigen kann.
Die langfristige Wirksamkeit des Projekts Local Art wurde möglich durch die Beachtung eines zentralen und wirklich neuen Aspekts in der Idee der Neuen Museologie: Die Expert*innenposition der Bevölkerung. Für einen transformativen Vermittlungsansatz sprechen alle Angebote, deren Referenzpunkt die Expertise der Teilnehmer*innen ist, und die deren jeweilige Lebenserfahrung einbeziehen. Statt nur Rezipient*innen zu sein, werden die Teilnehmenden als Sachverständige für Alltagsfragen angesehen, die ihr Wissen dem Museum zur Verfügung stellen.
Mit der Frage, welchen Stellenwert das Publikum bzw. die Projektteilnehmer*innen für das Museum haben, ging es beim Projekt Local Art nicht nur um kulturell interessierte Besucher*innen oder (marginalisierte) Bevölkerungsgruppen, die mit systematischen Einladungsstrategien ins Haus geholt werden sollten, sondern es wurde auch eine Aufgeschlossenheit innerhalb der Institution dafür benötigt, das Publikum viel breiter gefasst wahrzunehmen, also beispielsweise auch die Sicherheitskräfte als mögliche Partizipienten zu erkennen und ihre Position am unteren Ende der institutionellen Hierarchie zu reflektieren.
Meiner Erfahrung nach sind viele Mitarbeiter*innen sowie das Aufsichtspersonal in einer ganzen Reihe von Museen ohnehin sehr engagiert und kunst- bzw. kulturaffin und möchten ihr Wissen und ihre Perspektive in die Institution einbringen. Daher ist eine partizipative Vermittlungspraxis mit einer institutionellen Akzeptanz des Wissens von Nicht-Fachleuten (auch im eigenen Haus) eine gesellschaftspolitische Haltung, mit der Transformation möglich wird. Die Vorgehensweise, Meinungen und Perspektiven von Amateuren – Individuen oder Kollektive – als gleichwertig in den musealen Kontext einzubringen (und das möglichst ohne die Teilnehmer*innen zu instrumentalisieren) und nicht auf einer alleinigen Deutungsmacht des Museums zu bestehen, bedeutet, die Interpretationshoheit über die ‚Realität’ abzugeben. Damit werden die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung nicht mehr als sakrosankte Wahrheiten präsentiert, sondern stattdessen die Tatsache betont, dass mit einer bestimmten Ausstellungs- oder Vermittlungspraxis auch eine spezifische Form der Wissensproduktion präsentiert wird.