„Verschleierte Blicke durch rosarote Brillen" - Berufsbezogene Rollenzuschreibungen in einer Weiterqualifizierung zur transprofessionellen Zusammenarbeit von MusikerInnen und ErzieherInnen-Tandems in der Kita

Artikel-Metadaten

von Lars Oberhaus, Ragnhild Eller

Erscheinungsjahr: 2018

Abstract

Der folgende Beitrag thematisiert Rollenzuschreibungen in einer berufsfelderweiternden Weiterqualifizierung und untersucht professionsbezogene Sichtweisen von Personen aus zwei unterschiedlichen Berufen: ErzieherInnen und MusikerInnen. Sie haben in Tandems im Bereich ‚Musikalisch-kulturelle Bildung in der Kita‘ zusammen gearbeitet, um wechselseitig voneinander zu lernen. Im Rahmen der Evaluation der Weiterbildung wurden Einstellungen rekonstruiert, wie sich die Teilnehmenden wahrnehmen bzw. wahrgenommen werden. Die im Titel verwendeten Metaphern „verschleierte Blicke“ und „rosarote Brillen“ verdeutlichen, dass insbesondere die Perspektiven auf den anderen Beruf von stereotypen Berufsbildern und Rollenzuschreibungen bestimmt sind. In dem Beitrag werden diese Sichtweisen und Blickwinkel systematisiert und im Bereich der Praxistheorie (Subjektivierung) kontextualisiert.

ErzieherInnen und MusikerInnen im Bereich musikalisch-kultureller Bildung

Zahlreiche Studien belegen, dass Musik in der Ausbildung von ErzieherInnen nur eine untergeordnete Rolle spielt (OECD 2006). Die Mehrheit fühlt sich „instrumental und gesanglich schlecht ausgebildet und stuft ihre musikalische Kompetenz als gering ein“ (Rechlin 2009:14; Brünger 2003). Ein Hauptgrund liegt weniger in der Motivation der ErzieherInnen, als vielmehr in der schlechten Ausbildungssituation, denn mehr als 60 Prozent der dort arbeitenden Personen fühlen sich nur mittelmäßig bis schlecht im Bereich Musik ausgebildet und sehen großen Fortbildungsbedarf (vgl. Dartsch 2017:3). Als Konsequenz werden Weiterbildungen angeboten, in denen ErzieherInnen mit Musiklehrkräften kooperieren. Das bekannteste Beispiel aus dem Grundschulkontext ist Jedem Kind ein Instrument (JeKi) (Kranefeld 2015). Aber auch im frühkindlichen Bereich finden sich Tandemprojekte, in denen ErzieherInnen mit Musiklehrkräften zusammen arbeiten, etwa Singen macht Sinn (SMS) (Forge & Gembris 2012), Kita macht Musik (Soretz & Carstensen 2008), Musik im Kita-Alltag (MiKA) (Heye et al. 2015) oder Musikalische Bildung für Kinder und Jugendliche in Nürnberg (MuBiKiN) (Lehmann-Wermser et al. 2014). Solche Konzepte bieten nicht nur ErzieherInnen eine berufsbezogene Weiterentwicklung. Auch für Kunst- und Kulturschaffende öffnen sich neue Arbeitsfelder, da aufgrund grundlegender sozio-kultureller Veränderungen (z.B. geringer werdende Auslastungszahlen von Konzerthäusern oder Musikschulen) alternative Einsatzmöglichkeiten in pädagogischen Institutionen relevant werden, wie z.B. Schule oder Kindergarten (vgl. Pfeffer 2006; Mertens 2012; Smilde 2017). Evaluationen solcher Musikalisierungsprojekte verdeutlichen allerdings, dass die Umsetzung des gemeinsamen Unterrichtens nicht als Tandem in Form von Teamteaching erfolgt, da die Musikfachkraft den Unterricht durchführt, während die Grundschullehrkraft für die Organisation zuständig ist und die Kinder diszipliniert (Lehmann et al. 2012). Dies wiederum hat zur Folge, dass kein wechselseitiger Austausch und keine Erweiterung berufsbezogener Handlungsspielräume erfolgt, weil das Angebot arbeitsteilig umgesetzt wird. Zudem wird auch keine neue Perspektive auf ein anderes Berufsfeld angebahnt, da die Teilnehmenden aus ihrer gewohnten Rolle heraus agieren.

Inter- und transprofessionelle Zusammenarbeit

Um arbeitsteilige Arbeit im Tandem nicht entstehen zu lassen, wurde in dem durch das vom BMBF im Rahmen der Weiterbildungsförderung für Kunst- und Kulturschaffende eingebundene Projekt Musikalisch-kulturelle Bildung in der Kita (MuBiKi) besonderer Wert darauf gelegt, dass MusikerInnen und ErzieherInnen gemeinsam für die Gestaltung von Musikangeboten in Kitas weitergebildet werden und dort auch gemeinsam ein musikalisches Angebot gestalten.

Maßgebend für die gesamte Konzeption ist die Unterscheidung zwischen inter- und transprofessioneller Zusammenarbeit. Interprofessionelle Zusammenarbeit basiert auf einer wechselseitigen Ergänzung von Kompetenzen bzw. Einstellungen und wird als Teamteaching verstanden (Franz-Özdemir 2012). Dabei wird auf die „Zusammenarbeit zwischen zwei unterschiedlichen Professionen“ abgehoben und „das gemeinsame Unterrichten […] als interprofessionelles Teamteaching“ bezeichnet (ebd.:133). Transprofessionelle Zusammenarbeit basiert dagegen auf der übergreifenden Erweiterung und Überschreitung von Kompetenzen und zielt auf die damit einhergehende Bewusstmachung und Veränderung stereotyper Rollenmuster im Sinne der Weiterentwicklung und Hybridisierung unterschiedlicher Handlungsformen ab. Der Begriff Transprofessionalität wird in Forschungen zur Kooperation im amerikanischen Gesundheitsweisen (Reilly 2001) verwendet und thematisiert die Erweiterung von Rollen durch Teamarbeit (role extension). Vor diesem Hintergrund strebte die MuBiKi-Weiterbildung eine erweiterte Professionalität durch Adaption bzw. Übernahme von Fähigkeiten und Kenntnissen von ErzieherInnen bzw. MusikerInnen an. Die Bewusstmachung stereotyper Rollenmuster sowie eine kritische Reflexion des eigenen Rollenverhaltens sind zentrale Schwerpunkte in der transprofessionellen Zusammenarbeit. Eine stereotype Haltung basiert z.B. auf der Annahme, ErzieherInnen können keine musikalischen Lernprozesse initiieren, weil sie nicht im Bereich Instrumentalpädagogik ausgebildet sind und Unterstützung durch einen MusikexpertIn benötigen. Eine kritische Reflexion dieser Einstellung erweitert den gewohnten musikalischen Horizont, da neue Vermittlungstechniken durch eine MusikerIn gelernt und adaptiert werden.

Interprofessionelle Zusammenarbeit

 

  • Wechselseitige Ergänzung berufsbezogener Kompetenzen;
  • Austausch von Erfahrungen auf Basis kooperativen Lehrens und Lernens (think, pair, share)
  • Qualität durch Einbindung unterschiedliche Expertise
  • Kooperative bzw. wechselseitige Professionalität

Transprofessionelle Zusammenarbeit

 

  • Erweiterung berufsbezogener Kompetenzen und Überschreitung von Berufsgrenzen
  • Bewusstmachung, Reflexion und Veränderung stereotyper Rollen- und Berufsmuster
  • Weiterentwicklung und Hybridisierung normierter Handlungsformen
  • Adaption von Kompetenzen aus anderen Professionen
  • Berücksichtigung biographischer Elemente
  • Qualität durch Erwerb gemeinsamer Expertise
  • erweiterte Professionalität

Konzeption der Weiterbildung

In der Weiterqualifizierung MuBiKi arbeiteten insgesamt 40 Teilnehmende in Tandems (MusikerIn & ErzieherIn) zusammen. Sie wurde von einem sechsköpfigen Expertenteam konzipiert. Eine Besonderheit war die lange Dauer von ca. 14 Monaten, in der in Lehrgangswochen und -wochenenden folgende neun Module absolviert wurden: Grundlagen der frühkindlichen musikalischen Bildung, Professionelle Verständigung, Labor & Co- Formate mit Freiraum, Beobachtung und Interaktion (Kommunikation), Repertoire, Erfahrung in Musik und Bewegung, Gestalten musikalischer Angebote, Zusammenarbeit und Interdisziplinarität/Projekte. Die Lernphasen gliederten sich pro Lehrgang in sechs Wochenendlehrgänge und zwei Lehrwochen. Neben Kita-Hospitationen wurde ein Praxisprojekt im Tandem geplant, durchgeführt und reflektiert. Zudem stand ein Coach bei Konflikten im Tandem beratend zur Seite. Die Teilnehmenden wurden pro Standort von einer Lehrgangsleitung begleitet und erhielten bei bestandener Abschlussprüfung ein Zertifikat zur ‚Fachkraft für musikalisch-kulturelle Bildung an Kindertageseinrichtungen‘.

Evaluation – Design und Methodik

Im Rahmen der Längsschnitt-Evaluation kamen unterschiedliche Verfahren der qualitativen und quantitativen Datenerhebung und -auswertung zum Einsatz. Hierzu gehörten aus qualitativer Sicht Leitfadeninterviews zu zwei verschiedenen Zeitpunkten (sechs Tandems, Lehrgangsleitungen und Gruppe), teilnehmende Beobachtungen und Video-Stimulated Recalls). Dabei wurden die Teilnehmenden zur kooperativen Zusammenarbeit unter besonderer Berücksichtigung der Sichtweisen auf ihren eigenen und fremden Beruf (des Tandem-Partners) befragt. Die qualitative Auswertung erfolgte als kategorienbasierte Inhaltsanalyse, wobei ein Schwerpunkt auf Gruppeninterpretationen im Forscherteam lag, das gemeinsam ein Kategoriensystems durch regelmäßigen Austausch entwickelte (ausführlich hierzu vgl. Oberhaus et al. 2018 sowie Oberhaus/Kivi 2018). Im Bereich der quantitativen Evaluation wurden an beiden Standorten Tests und Befragungen zu drei Erhebungszeitpunkten (mit Kontrollgruppe) durchgeführt. Im Folgenden werden primär die Ergebnisse der Interviews dargestellt, da dort stereotype Berufszuschreibungen am deutlichsten zur Geltung gelangten.

Grundkonstellation der Beziehung zwischen ErzieherInnen und MusikerInnen

In MuBiKi gab es grundlegende Hemmschwellen in der Zusammenarbeit, welche die Rollenzuschreibungen leiteten: Die ErzieherInnen hoben hervor, dass sie wenig Kenntnisse über Musik besitzen. Das geringe Selbstwertgefühl wurde auffallend oft nur im Hinblick auf Musik geäußert, wobei Stärken im Bereich der frühkindlichen Bildung nicht thematisiert wurden.

„Ich habe halt einen wahnsinnigen Respekt vor Musikern; was die alles können, was die alles wissen und wo ich so denke: Boah. Deswegen hatte ich so persönlich nur die Sorge, dass ich vielleicht nicht gut genug für den Bereich bin“ (Helmine, E1v, 524-526).

Die MusikerInnen boten ihrerseits Hilfe und Unterstützung an. Dieses ‚Helfersyndrom’ war dahingehend problematisch, da das negative Selbstgefühl nicht hinterfragt, sondern akzeptiert wurde. Für diese stereotypen Zuschreibungen lassen sich unterschiedliche Gründe anführen. Seitens ErzieherInnen wird die künstlerische Tätigkeit – nach der romantischen Vorstellung des Künstlers als Genie – bewundert. Ein Grund für das geringe Selbstbewusstsein der ErzieherInnen könnte das eher negative Prestige des Berufs sein, das mit diversen Vorurteilen einhergeht (z. B. wenig vielfältige und anspruchsvolle Tätigkeitsbereiche). Auch wenn die hohe Wertschätzung gegenüber den MusikerInnen und ihren Fähigkeiten seitens der ErzieherInnen im Verlauf der Weiterbildung bestehen blieb, betrachteten die MusikerInnen ihre eigene Expertise zum Teil mit Skepsis. Sie bezeichneten klassische Musik als Einzwängung und sahen die Weiterqualifizierung im Bereich Elementare Musikpädagogik (EMP) als eine Möglichkeit der „Befreiung“ (Jessica, M1v, 75-78). Die ErzieherInnen bezeichneten sich dagegen als offen gegenüber Musik und hoben ihre autodidaktischen Fähigkeiten hervor.

Veränderungen von Selbst- und Fremdzuschreibungen

Im Verlauf der Weiterbildung änderten sich diese Selbst- und Fremdzuschreibungen. Die MusikerInnen respektierten die ErzieherInnen hinsichtlich ihrer pädagogischen Qualifikationen im Bereich der frühkindlichen Bildung. Insbesondere im Modul ‚Beobachtung’ ergaben wich Entwicklungsprozesse:

„Also, wenn es jetzt um Beobachtung geht, da sind dann wiederum die ErzieherInnen wesentlich fitter! Wir kennen ganz viele Musik-Methoden nicht, haben wir nie gelernt in unserem Studium“ (Kerstin, M1v, 219-222).

Auch die ErzieherInnen schätzten im Verlauf ihre eigenen Fähigkeiten zunehmend und revidierten ihr überhöhtes Bild von den MusikerInnen. Im Rahmen der Zusammenarbeit wurde oft der Begriff Selbsterfahrung genannt. Er lässt sich hinsichtlich der transprofessionellen Zusammenarbeit interpretieren, indem hierunter die Reflexion über das Erleben der eigenen Person in herausfordernden Situationen verstanden wird. Diese Selbsterfahrung lässt sich auch anhand der gemeinsamen Übewindung von Schwierigkeiten und des Wachsens erkennen:

„Also zu Beginn hatte ich für mich immer so die Schwierigkeiten, dass ich gedacht habe, wenn da Tanzmodule kommen […], aber merke ich auch, bin ich auch dran gewachsen“ (Frieda, E2n, 49-60).

Auffallend ist, dass sich ein Wandel hinsichtlich der Form der Zusammenarbeit und des Stellenwerts des Tandempartners ergab. Wünschten sich die Teilnehmenden zu Beginn vor allen Anregungen, Unterstützung und Austausch, so kamen gegen Ende weitere Äußerungen hinzu, welche Input und Feedback seitens des Partners hervorhoben:

„[…] wünsche ich mir, dass ich auch von ihr [= MusikerIn] noch ganz viel Input bekomme, dass ich mich noch weiterbilde und dass sie mir dann auch so ein Feedback gibt und sagt: Probiere das doch mal so und mache doch mal das“ (Alexa, E2v, 147-152).

Diese Äußerungen lassen sich auch auf das Konzept des transprofessionellen Zusammenarbeitens beziehen, da Fähigkeiten adaptiert wurden (Input). Auch in der Beschreibung des Stellenwerts der Lerngruppe entstand ein Wandel. Wurde zunächst die Fortbildung als Zusammensetzung von ErzieherInnen und MusikerInnen betrachtet, konnte im Verlauf der Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl verstärkt werden:

„Es gab für mich ab September eine echte Wende, wo ich einmal für mich glaube ich eine andere Haltung gefunden habe dazu, aber wo ich auch das Gefühl habe, da ist in der Leitung auch was passiert. […] Wir haben uns ganz engagiert, dass wir jetzt endlich zueinander finden“ (Katharina, M2n, 542-551).

Diese deutliche Veränderung der Einstellung hing mit den spezifischen Herausforderungen zusammen, die während der Tandemarbeit entstanden. So gab es bei einigen Teilnehmenden Schwierigkeiten, die Planung der Zusammenarbeit zu organisieren, da sie weit auseinander wohnten. Immer wieder gab es kritische Stimmen, die mit dem Wunsch nach einer getrennten Weiterbildung in Verbindung standen.

„Künstler und Erzieher trennen. Erzieher: Notenlehre; Künstler: Beobachtung, das hatten alle Erzieher als Schwerpunkt in ihrer Ausbildung“ (Fragebogenerhebung, B212).

Die transprofessionelle Zusammenarbeit in heterogenen Gruppen besitzt besondere Herausforderungen, da das starke Bedürfnis der Teilnehmenden nach einer Aufteilung der Seminarinhalte nach Beruf nicht unmittelbar erfüllt werden soll. Vielmehr müssen musikpädagogische Defizite und stereotype Verhaltensweisen gemeinsam erkannt und reflektiert werden, um die Einstellung zu entwickeln, voneinander zu lernen.

Praxistheoretische Kontextualisierung: Subjektivierung und Anerkennung

Um die Überwindung stereotyper Sichtweisen durch transprofessionelle Zusammenarbeit aus theoretischer Sicht zu präzisieren, ist es hilfreich, einen kulturwissenschaftlichen Ansatz aufzugreifen, der sich auf die Analyse sozialer Praktiken konzentriert (Alkemeyer et al. 2013; Campos 2015). Der Begriff Subjektivierung geht davon aus, dass Subjekte sich nicht im Austausch mit der Welt entfalten, sondern durch bestimmte gesellschaftliche Strukturen und Sinnzuschreibungen gemacht werden. Kritisiert wird ein neuhumanistisches Subjektverständnis, das durch Individualität, Reflexivität und (Selbst-)Bildung gekennzeichnet ist. Nach Judith Butler werden Individuen als bestimmte Subjekte (z.B. als Mann oder Frau) angesprochen und konstituieren sich als „Folgeerscheinung bestimmter regelgeleiteter Diskurse, die die intelligible Anrufung anleiten“ (Butler 1991:213). Ein Subjekt zu werden bedeutet dann, im Rahmen eines bestimmten Diskurses als ein Jemand anerkannt zu werden. Anerkennung kann nicht in bloßer Bestätigung oder positiver Wertschätzung aufgehen, sondern muss im Gegenteil Widerstand, Versagung und Unsicherheit als konstitutive Merkmale mitberücksichtigen.

Bezogen auf die MuBiKi ist die Weiterbildung erstens in dem Diskurs der frühkindlichen Bildung bzw. daran gebundener Berufsverständnisse eingebunden, durch die die Teilnehmenden als bestimmte Subjekte (der Musiker, die Erzieherin) adressiert werden. Zweitens erscheint Anerkennung als entscheidendes Kriterium der gelingenden Tandemarbeit, insofern diese nicht durch irgend jemanden erfolgt, der fehlende eigene Fähigkeiten ergänzt. Erst in der gemeinsamen Arbeit, die von Spannungen geleitet ist und nach Veränderungen eigener Haltungen verlangt, wird er als konstitutiver Partner anerkannt, der für das eigene Handeln mit verantwortlich ist.

Eine berufsspezifische Adressierung zog sich wie ein roter Faden durch die MuBiKi-Weiterbildung und war bereits in der Anlage als tandembezogende Qualifizierung vorgezeichnet, da zwei getrennte Berufsgruppen angesprochen wurden. Im Verlauf kam verstärkt eine Außenperspektive durch die Anerkennung durch den Anderen mit ins Spiel, so dass Rollenpositionen und -revisionen erfolgten. Das gilt insbesondere für die transprofessionelle Überschreitung von Berufsgrenzen. In solchen Prozessen durchkreuzen sich Gewohnheiten (habituelle Verhaltensweisen) im Sinne multiperspektivischer Sichtweisen auf eigene aber auch andere Berufsbilder. Dies hat auch zur Folge, dass in solchen transprofessionell angelegten Fortbildungen oftmals Spannungsfelder zur Geltung gelangen (Oberhaus/Kivi 2018).

Im Rahmen solcher Prozesse der Anerkennung und Subjektivierung spielt die Rolle von Praktiken eine wichtige Rolle. Sie sind ein Schauplatz des Sozialen („site of the Social“ (Schatzki 2002)) bzw. die „kleinste Einheit des Sozialen“ (Reckwitz 2003:290). Ein praktikentheoretisches Verständnis verdeutlicht, dass Subjekte sich durch ihre Eigenaktivität im intersubjektiven Kontext selbst hervorbringen. Dabei sind sie in gesellschaftliche Normen (Verhaltensregeln etc.) eingebunden, verfügen über Gestaltungsspielräume zu deren Umdeutung und zum widerständigen Verhalten. Sie bleiben in ihrer Selbst-Bildung also immer auf normative Rahmungen bezogen (Alkemeyer et al. 2013).

Eine Übertragung dieser praxistheoretischen Überlegungen auf konzeptionelle Anlagen von Weiterbildungen macht deutlich, dass Subjekte (Teilnehmende) in übergeordnete Ordnungen und Rahmungen (Institutionen, Bildungspolitik) eingebunden sind, aber dennoch die Möglichkeit besitzen, sich und ihre individuelle Erfahrungen mit einzubringen. Weiterbildungen sollten demnach nicht zu viele Vorgaben machen (Modulhandbuch, Prüfungsleistungen), wie man sich zu verhalten hat, sondern Freiräume bieten, in denen sich die Teilnehmenden mit ihren spezifischen Fähigkeiten auch einbringen können. Dies gilt insbesondere für Weiterbildung im Kontext der Kulturellen Bildung, insofern hier ästhetische Praktiken eine zentrale Rolle spielen.

Zusammenfassend ermöglicht die praktiken- und subjektanalytische Sichtweise eine Deutung, Dechiffrierung und Systematisierung professionsbezogener Zuschreibungen im Kontext ästhetisch-kultureller Praxen.

Fazit & Ausblick

Ein zentrales Ergebnis der Weiterbildung und deren Evaluation ist der transprofessionelle Ansatz der Zusammenarbeit, der auch für andere Felder im Bereich der Kulturellen Bildung gewinnbringend sein kann. Dies gilt insbesondere für Projekte und Initiativen in denen Akteure aus unterschiedlichen Feldern zusammenarbeiten und auf eine Erweiterung des gewohnten Handlungsspektrums bzw. des berufsbezogenen Rollenverständnisses abgezielt wird. Wichtig erscheint dabei, dass Personen nicht ‚von außen’ in bereits bestehende Prozesse bzw. Systeme eingebunden werden, sondern ihre spezifische Expertise dazu dient, gewohnte Mechanismen aufzubrechen und das Feld selbst neu zu strukturieren. Nicht nur im Rahmen von Weiterbildungen, sondern auch vor dem Hintergrund der Diskussionen zum Quer- und Seiteneinstieg oder zur Erweiterung der Aufgabenfelder im Bereich der Kulturinstitutionen könnte die transprofessionelle Zusammenarbeit eine wichtige Zukunftsperspektive sein und größere Berücksichtigung erhalten. Sofern Künstler in Schulen bzw. in pädagogische Praxen eingebunden werden und Projekte gestalten, sind sie nicht Gäste, die eine andere Institution besuchen, sondern Partner, die ihre Kompetenzen in ein neues Feld einbringen und dieses modifizieren. Damit ergeben sich große Herausforderungen, denn der Austausch ist immer mit einer Reflexion und Veränderung der Rolle gebunden.Die MuBiKi-Weiterbildung verdeutlicht, dass ein Blickwechsel im Hinblick auf eigene oder fremde Rollen erfolgte. Dennoch hat insbesondere eine Tandem-Weiterbildung mit vielen Stereotypen und Mustern zu kämpfen, da diese im Bereich der Kulturellen Bildung verhärtet und nur schwer aufzubrechen sind. Diese Ergebnisse erfordern es, größere Freiräume zur Reflexion zu schaffen und die individuelle Perspektive der Teilnehmenden zu berücksichtigen. Für den Stellenwert musikalisch-kultureller Bildung in der Kita wäre es am besten, die Ausbildungssituation der ErzieherInnen grundlegend zu verändern, so dass der Bedarf an Weiterbildungen erst gar nicht entsteht. Wünschenswert wäre es, dass sich die Musik in der Kita an der Vielfalt musikalischer Professionen und Praxen orientiert und so auch der Bereich der Elementaren Musikpädagogik erweitert und gestärkt wird. Die Weiterbildungsmaßnahme MuBiKi und all die mit ihr hier dargestellten Erfahrungen gerade mit Perspektive auf berufswelterweiternde und transprofessionelle Zusammenarbeit könnten für einen solchen Prozess wichtige Impulse geben.

Verwendete Literatur

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Lars Oberhaus, Ragnhild Eller (2018): „Verschleierte Blicke durch rosarote Brillen" - Berufsbezogene Rollenzuschreibungen in einer Weiterqualifizierung zur transprofessionellen Zusammenarbeit von MusikerInnen und ErzieherInnen-Tandems in der Kita. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://kubi-online.de/index.php/artikel/verschleierte-blicke-durch-rosarote-brillen-berufsbezogene-rollenzuschreibungen-einer (letzter Zugriff am 16.07.2024).

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