Transferwirkungen von Kultureller Bildung in die Wirtschaft:
Eine Untersuchung des ‚Bronnbacher Stipendiums – Kulturelle Kompetenz für künftige Führungskräfte‘
Abstract
Die Forschungsarbeit ‚Transferwirkungen von Kultureller Bildung in die Wirtschaft‘ beschäftigte sich mit der Frage, inwiefern durch das ‚Bronnbacher Stipendium – Kulturelle Kompetenz für künftige Führungskräfte‘ kulturelle Kompetenz im Sinne der Veranstalter*innen vermittelt beziehungsweise welche persönlichen Wirkungen von den Teilnehmenden und Alumni/ae selbst beschrieben werden. In diesem Beitrag werden die zentralen Ergebnisse der Studie vorgestellt, vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstandes diskutiert und Implikationen für Förderung und Einsatz von Kultureller Bildung in der Führungskräfteentwicklung herausgearbeitet. Der Artikel basiert auf einer Masterarbeit der Autorin bei Prof. Dr. Birgit Mandel, Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim.
Das Bronnbacher Stipendium
Das Bronnbacher Stipendium ist ein einjähriges Stipendienprogramm für vorrangig Studierende und Promovierende im Bereich der Wirtschafts-, Rechts- sowie Naturwissenschaften. Ins Leben gerufen durch den Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e. V., wird es seit 2004 an der Universität Mannheim und seit 2017 zusätzlich am Karlsruher Institut für Technologie angeboten. Neben der Universität Mannheim wurde das Stipendium von 2007 bis einschließlich 2012 ebenfalls an der Universität Bochum ausgeschrieben. In circa sieben Wochenendworkshops und sieben Abendveranstaltungen wird den Stipendiat*innen die Möglichkeit gegeben, künstlerische Denkansätze und Arbeitsweisen kennenzulernen sowie die Schnittstelle von Kunst und Wirtschaft neu zu denken. Die Auseinandersetzung mit Künstler*innen verschiedener Kunst- und Kultursparten, verschiedenen Expert*innen und Führungskräften aus der Wirtschaft wird während dieser Wochenendworkshops von einem Kurator begleitet. Dabei steht nicht die Vermittlung von kulturellem und künstlerischem Fachwissen im Vordergrund, sondern „herausragende Studierende [...] im Rahmen eines Stipendiums mit künstlerischen Bereichen bekannt zu machen, ihnen dadurch einen Zugang zu kreativen Prozessen und Problemlösungen zu verschaffen und das Bewusstsein dafür zu wecken, dass Kunst und Kultur wichtige Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft sind“ (Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e. V. o.J.:1). Durch die Vermittlung von kulturellen Kompetenzen sollen künftige Führungskräfte kreative Lösungswege beschreiten und „Verantwortung in Kultur und Gesellschaft [...] übernehmen, um damit als Multiplikatoren und Innovatoren zu wirken“ (Gross/Krukies/Schwemmle 2016:99).
Während erste Artikel von Alumni/ae des Stipendiums darauf hinweisen, dass das Stipendium individuell verschieden stark Kompetenzen wie Perspektivwechsel, Ambiguitätstoleranz, Innovationsfähigkeit und Mut anregt, ist die breite Wirkung bislang unerforscht (vgl. Gross/Krukies/Schwemmle 2016:108ff.). Vor dem Hintergrund aktueller Wirkungsstudien zu Kultureller Bildung und kunstbasierter Führungskräfteentwicklung wird in der vorliegenden Studie untersucht, welche Wirkungsdimensionen von den Stipendiat*innen rückwirkend identifiziert werden (vgl. Stern et al. 2017; vgl. Rodh et al. 2017; vgl. Thole et al. 2017; vgl. Frederking et al. 2017; vgl. Puppe et al. 2017; vgl. Baumgarth 2016; vgl. Romanowska et al. 2013; vgl. Theorell et al. 2013).
Die Versprechungen von Kultureller Bildung und kunstbasierten Führungskräfteentwicklungsprogrammen
Dem heutigen Verständnis von Kultureller Bildung liegt nach Reinwand-Weiss ein weiter und enger Kulturbegriff zugrunde, der sich zusammensetzt aus dem „anthropologischen Kulturbegriff (Kultur ist vom Menschen gemacht), de[m] ethnologischen Kulturbegriff (Kultur als Lebensweise), de[m] soziologischen Kulturbegriff und normativen Kulturbegriff (Kultur als Werte- und Normengerüst und Kultur als Idee der Humanisierung und Sozialisierung) sowie eine[m] engen Kulturbegriff, der die Künste beschreibt“ (Reinwand 2012:112). Die, in dem Konzept Kulturelle Bildung enthaltene, Grundfrage betrifft dabei nicht nur die erzieherischen und bildenden Einrichtungen in unserer Gesellschaft, sondern auch unter anderem ökonomische und ökologische: „Wie wollen wir als Menschen im 21. Jahrhundert zusammen leben, wie wollen wir unsere Kultur(en) gestalten und welche Aufgabe kommt dem einzelnen Subjekt dabei zu?“ (Reinwand 2012:113).
Mit dem Verweis von Reinwand-Weiss auf die Selbstreflexivität von Kultureller Bildung und ihrem Ziel der lebenslangen und somit nachhaltigen Aktivierung des Subjekts und dessen ästhetische Weltgestaltung, kann Kulturelle Bildung nach Gieseke zusammenfassend definiert werden als: „[...] alle Angebote und Praktiken, die reflexiv-rezeptiv, kreativ-selbsttätig und interkulturell-kommunikativ mit Erschließung und Interpretation von Welt, Sinn und Ästhetik operieren und diese für bestimmte Teilnehmergruppen aufbereiten und arrangieren. Dabei geht es um Sensibilisierung, Differenz-Wahrnehmung, Einsicht in blinde Flecke, neue Wahrnehmung und neue veränderte Ausdrucksformen“ (Gieseke 2005b:30). Der Definition von Kultureller Bildung liegt dabei ein humanistisches Bildungsverständnis zugrunde, das in der Wechselwirkung von Selbst und Welt und einer ganzheitlichen Bildung von Herz, Kopf und Hand die Ausbildung der individuellen und persönlichen Fähigkeiten zum Ziel hat (vgl. Reinwand 2012:109; siehe: Hildegard Bockhorst „Lernziel Lebenskunst in der Kulturellen Bildung").
Kultureller Bildung werden sowohl auf der individuellen als auch organisationalen Ebene zahlreiche Transferwirkungen nachgesagt (vgl. Gross 2016:19; vgl. Darsø 2004:49ff.): So weisen aktuelle Ergebnisse der Studien im Rahmen des Forschungsfonds Kulturelle Bildung. Studien zu den Wirkungen Kultureller Bildung der Stiftung Mercator darauf hin, dass sich Tanz und Theater sowie Jugendkunstschulen positiv auf Kreativität, Persönlichkeitsentwicklung und das künstlerisch-ästhetische Selbstkonzept von Kindern und Jugendlichen auswirken (vgl. Stern et al. 2017:81ff.; vgl. Rodh et al. 2017:72ff.; vgl. Thole et al. 2017:24ff.). Daneben wurde der positive Einfluss von literarischen Texten auf Emotionalität und von Bildhauerei auf Wahrnehmung und individuelle, kreative Gestaltungsfähigkeit von jungen Menschen festgestellt (vgl. Frederking et al. 2017:45ff.; vgl. Puppe et al. 2017:33ff.). Diese Wirkungen von Kultureller Bildung werden durch den internationalen Diskurs bestätigt und ausdifferenziert: Nach Anne Bamford kann festgestellt werden, dass eine Bildung mit künstlerischem Schwerpunkt zu größerem Erfolg des Kindes oder der*s Jugendlichen in der Schule beiträgt sowie Problemlösungsfähigkeiten, kritisches Denken und kollaborative Fähigkeiten fördert (vgl. Bamford 2006:113ff.). Daneben ist nach Ellen Winner et al. die Wirkung von Kultureller Bildung auf Eigenschaften wie Selbstvertrauen und Selbstkonzept, Kommunikations- und Kooperationskompetenzen, Empathie, Perspektivwechsel und Emotionsregulierung mehr vorläufig als endgültig bewiesen (vgl. Winner et al. 2013:10. Zur Kritik an Wirkungsstudien von kulturellen Bildungsprogrammen siehe Liebau 2016; Keuchel 2012; Rittelmeyer 2017; siehe: Burkhardt Hill, Stephanie Richter „Die biografische Bedeutung von Kultureller Bildung. Potentiale von Biografieforschung zum Verständnis von kulturellern Bildungsprozesse“ und Antje Klinge „Transferwirkungen: Kulturelle Bildung als ‚Allheilmittel‘?").
Kultureller Bildung werden insbesondere Wirkungen im persönlichen Kompetenzbereich zugeschrieben. Im Gegensatz zu Max Fuchs‘ kulturpädagogischer Definition von Kultureller Kompetenz mit dem Ziel einer individuellen Selbstbefreiung bedeutet Kompetenz dem wirtschaftspädagogischen Verständnis nach die Ausbildung von Selbstorganisationsdispositionen, also der Fähigkeit, selbstorganisiert und kreativ zu handeln und mit Unsicherheit umzugehen (vgl. Fuchs 2008b:47, vgl. Erpenbeck et al. 2017:XVIIf.). Diesem Ziel, das gemäß Fuchs‘ Definition in der Auseinandersetzung mit Kultur im weiten und den Künsten im engen Sinne angestrebt werden kann, liegt auch aus wirtschaftspädagogischer Perspektive ein humanistisches und ganzheitliches Verständnis zugrunde (vgl. Fuchs 2008b:47; vgl. Erpenbeck et al. 2017:XVIIf.). Indem die Bundesvereinigung für Kinder- und Jugendbildung (BKJ) auf dieses Bildungsverständnis aufbaut, gleichzeitig Kompetenz als Selbstorganisationsdispositionen versteht und deren Ausbildung durch die Beschäftigung mit den Künsten im Kompetenznachweis Kultur festhält, lässt sich dieses Kompetenzverständnis an der Schnittstelle der berufs- und kulturpädagogischen Definition verorten (vgl. Erpenbeck 2009:263). Dabei sind Kompetenzen nach John Erpenbeck et al. durch individuelle und selbstorganisierte Lernprozesse erlernbar, wobei nach Lang-von Wins bestimmte Merkmale der Persönlichkeit als Voraussetzung für die Entwicklung von bestimmten Kompetenzen gelten können (vgl. Erpenbeck et al. 2017:XVIIf.; vgl. Lang-von Wins 2007:776).
Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen wie Globalisierung, Technisierung und Individualisierung werden neue Schlüsselkompetenzen bei Führungskräften als richtungsweisende Personen in Unternehmen gefordert (vgl. Enste et al. 2013:3ff.). Dabei wird Führung definiert als Prozess, bei dem die Führungskraft die Mitarbeitenden durch Visionen und Strategien motiviert und inspiriert sowie Innovationen und Veränderungen anregt (vgl. Scharmer 2015:47ff.; vgl. Zaleznik 2004; vgl. Kotter 1990:5). Indem sie so Neues schafft, wird der Führungsprozess, so unter anderem der MIT-Forscher Otto Scharmer, mit dem Künstlerischen gleichgesetzt: „Alle Führungspersonen und Innovatoren, sei es in Unternehmen, in lokalen Projekten, in gemeinnützigen Organisationen oder im Staatsdienst, tun etwas, was Künstler auch tun: Sie schaffen etwas Neues und bringen es in die Welt“ (Scharmer 2015:49). Die im 21. Jahrhundert entscheidende Haltung für einen erfolgreichen Führungsprozess beschreibt er als eine authentische, bei der sich Menschen durch Perspektivwechsel mit ihrer tieferen Kreativität und ihrem authentischen Selbst verbinden und so beginnen, ihrer Intuition gemäß zu handeln. Diese Verbindung mit dem Selbst, die Scharmer als Presencing betitelt, ermögliche Führungskräften, neue Zusammenhänge und Perspektiven wahrzunehmen, der Intuition zu folgen, den eigenen Willen zur Verantwortung zu stärken und so eine größere Bereitschaft auszubilden, Ängste zu überwinden, Risiken einzugehen und Fehler zuzulassen (vgl. Scharmer 2015:34ff.). Indem so unter anderem die Kompetenzen angesprochen werden, die als Wirkung von kulturellen Bildungsprogrammen nachgewiesen sind (Kreativität, emotionale Eigenwahrnehmung, positive Persönlichkeitsentwicklung), gleichzeitig die traditionelle Führungskräfteentwicklung durch rezeptähnliche Vorschläge und rein kognitive Wissensvermittlung für die Ausbildung von zukunftsrelevanten Kompetenzen bei Führungskräften als unzulänglich kritisiert wird, werden verstärkt Hoffnungen in kunstbasierte Führungskräfteentwicklungsprogramme für die ganzheitliche Ausbildung der heute geforderten Führungskompetenzen oder -haltungen gesetzt: „[Arts-Based Learning Programmes] have the potential to create an environment directly enhancing the capacity for creativity and innovation in an organization [...]“ (Skope-Pilley/Schiuma 2016:95; vgl. Dobiéy/Köplin 2018:2ff.; vgl. Gross 2016:22; vgl. Ladkin/Taylor 2010b:235-240; vgl. Hon et al. 2014:919-940; vgl. Romanowska et al. 2013:1004ff.; vgl. Sieben 2003b:220; vgl. Wagner 2003:203).
Während in der Wirkungsforschung von Kultureller Bildung zahlreiche – wenn auch teils stark kritisierte – Studien zu den Transferwirkungen von Kultureller Bildung erschienen sind, wurden bislang wenige Studien zu den Versprechungen von kunstbasierter Führungskräfteentwicklung veröffentlicht (vgl. Baumgarth 2016:51ff.): Eine empirische Studie von Julia Romanowska et al. deutet eine verbesserte Belastbarkeit von Führungskräften an, die im Gegensatz zu einem traditionellen Führungskräftetraining ein kunstbasiertes Programm absolviert haben, sowie ein verbessertes Sozialverhalten und eine erhöhte Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme (vgl. Romanowska et al. 2013:1004). Daneben wurden von Ariane Berthoin Antal und Anke Strauß eine verstärkte Offenheit, Reflexionsfähigkeit und Selbstaktivierung als Wirkungsdimensionen festgehalten (vgl. Berthoin Antal/Strauß 2013:37, zit. nach Baumgarth 2016:66.).
Der Frage, ob daneben noch weitere oder auch gänzlich verschiedene Wirkungen durch kunstbasierte Führungskräfteentwicklungsprogramme bei deren Teilnehmenden festgestellt werden können, wird im Folgenden anhand des Beispiels des Bronnbacher Stipendiums nachgegangen.
Methodik
Vor dem Hintergrund der Hoffnungen in kunstbasierte Führungskräfteentwicklungsprogramme sowie den ersten, nachgewiesenen Wirkungen von Kultureller Bildung und kunstbasierten Programmen wurden die Zieldimensionen und insbesondere die Wirkung des Bronnbacher Stipendiums untersucht: Anhand von Expert*innenmeinungen der Verantwortlichen wurde das Ziel der kulturellen Kompetenzvermittlung zunächst spezifiziert. Darauffolgende Selbsteinschätzungen der Stipendiat*innen und Alumni/ae gaben Aufschluss darüber, ob und inwiefern kulturelle Kompetenz im Rahmen des Stipendiums vermittelt wird. Im Rahmen eines Mixed-Methods-Ansatzes wurden die gesamten Daten mittels einer Dokumentenanalyse von 66 Erfahrungsberichten, einer standardisierten Querschnitt-Befragung mittels leitfadengestützten und episodischen Interviews (Zeitraum Mai 2019) sowie einer anschließenden quantitativen Vollerhebung (Zeitraum Juni 2019) erhoben (vgl. Kuckartz 2014:30f.).
Als Stichprobe für die qualitativen Leitfadeninterviews wurden der Initiator des Stipendiums, die aktuelle Geschäftsführerin des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft im BDI e. V., der begleitende Kurator sowie zwei mitwirkende Künstler aufgrund ihrer mehrjährigen Erfahrung mit dem Stipendium für die Expert*inneninterviews ausgesucht. Die drei, für die episodischen Interviews ausgewählten Alumni/ae des Stipendiums wurden nach dem Prinzip der maximalen Variation mit Blick auf Geschlecht, Jahrgang des Stipendiums sowie nach ihrer Position in Unternehmen selektiert. Voraussetzung war, Alumni/ae in Führungspositionen auszuwählen, um einen Einblick in mögliche Transferwirkungen des Stipendiums auf die Arbeitswelt einer Führungskraft zu erhalten. Im Rahmen der anschließenden quantitativen Online-Befragung wurden alle 304 Alumni/ae des Stipendiums befragt, wobei die Befragung einen Rücklauf von 80 Antworten hatte.
Die Leitfragen für die Expert*inneninterviews wurden vor dem Hintergrund der Forschungsfragen, Literatur und eigenen theoretischen Vorüberlegungen formuliert. Sie richteten sich auf die Ziel- und Wirkungsdimensionen des Stipendiums und insbesondere auf die Definition von Kultureller Kompetenz im Sinne der Verantwortlichen, auf die Methoden und Besonderheit der Kunst in der Vermittlung der Zieldimensionen, auf den Mehrwert von Kultureller Bildung in der Wirtschaft sowie auf die Auswahlkriterien der Bewerber*innen. Abgeleitet von den so spezifizierten Zieldimensionen des Bronnbacher Stipendiums wurden drei Hypothesen aufgestellt, die in den darauffolgenden Interviews mit den ausgewählten Alumni/ae und der quantitativen Befragung überprüft wurden:
- Das Stipendium fördert durch die Vermittlung von Kultureller Bildung vor allem persönliche und soziale Kompetenzen wie Verantwortungsbereitschaft, Kreativität, Mut und Wahrnehmungsfähigkeit.
- Die Kompetenzen werden von Stipendiat*innen im Transfer in Unternehmen eingebracht und tragen zum erfolgreichen Agieren im Unternehmen bei.
- Das Stipendium fördert Verständnis sowie nachhaltiges Interesse für die Künste.
Zur Überprüfung dieser Hypothesen wurden in den episodischen Interviews folgende Themen erfragt: Schlüsselerlebnisse und Wirkungen des Stipendiums sowie deren Transfer in den Unternehmensalltag, die Motivation für die Bewerbung auf das Stipendium und die Besonderheit der Kunst, die Relevanz verschiedener Persönlichkeiten als Bestandteil des Stipendiums und die vertretenen Werte als Führungskraft im Unternehmen. Die quantitative Online-Befragung ermöglichte eine Einschätzung der Generalisierbarkeit der Ergebnisse der qualitativen Alumni/ae-Befragung, der Dokumentenanalyse sowie der Hypothesen. Der Fragebogen basierte auf den Themen der qualitativen Alumni/ae-Befragung und umfasste die Themenbereiche persönliche Motivation und Vorerfahrung der Stipendiat*innen mit Kunst und Kultur, die Wirkung des Stipendiums und die dafür relevanten Persönlichkeiten respektive die Stipendien-Bestandteile, die Besonderheit der Kunst und den Transfer der Wirkungen in den Arbeits- und insbesondere Führungsalltag. Als Antwortmöglichkeiten wurden die herausgearbeiteten Kategorien der ersten zwei Erhebungen und der Dokumentenanalyse verwendet und durch Indikatoren der Kompetenzdefinitionen im Rahmen des Kompetenznachweises Kultur als Items in den Fragebogen eingefügt (vgl. Fuchs et al. 2009:53ff.).
Ergebnisse: Ziele und Kulturelle Kompetenz definiert durch die Verantwortlichen des Bronnbacher Stipendiums
Kulturelle Kompetenz wird nach den Verantwortlichen des Bronnbacher Stipendiums definiert als künstlerische Fähigkeit, die in einem unbekannten Feld beginnt und aus der Bewegung in dem Feld kreativ-innovativ schöpferisch wirkt, Neues entdecken, zusammenfügen und selbstverantwortlich gestalten lässt. Hierfür sind nach jenen weitere Kompetenzen Teil des Prozesses – so die Wahrnehmung des neuen Feldes beziehungsweise den Künsten als neues Feld, das Interesse und Verständnis für künstlerische Prozesse, Offenheit für unbekannte Situationen und Personen sowie die Bereitschaft, in Kontakt zu treten und sich auf diese einzulassen. Die Bewegung in dem unbekannten Feld und das Unwissen darin ermöglicht nach Angaben der Veranstalter*innen die Wahrnehmung von ungeahnten Methoden und Entscheidungen, die selbstbestimmt intuitiv und kreativ entwickelt werden:
„Also suchen [...] sich [Künstler*innen] künstliche Orte, an denen sie sich nicht gut auskennen und wofür sie noch keine perfekte Methode haben. [...] Genau darin entsteht dann etwas Besonderes und dieses Besondere kann nur aus dieser Freiheit, aus diesem selbstverantwortlichen Tun entstehen. [...] Mir geht es also darum, dass das Kognitive mit einem Intuitiven zusammenkommt. [...] Das Intuitive bezieht sich dann eher auf eine ungeahnte Methode, auf eine ungeahnte Entscheidung, auf [das], was man dann kreativ nennt [...].“ (Expert*in 2)
Durch Selbstreflexion und ein autonomes Aufbrechen der eigenen Denkmuster im selbsttätigen künstlerischen Schaffen geschehe so eine Individualisierung – die Stipendiat*innen lernen sich selbst tiefgreifender kennen – und entwickle sich ein Selbstvertrauen und die Bereitschaft, diese neuen Methoden und Entscheidungen anschließend umzusetzen:
„Es geht nicht darum, dass die Gruppe der Teilnehmenden alle die Kompetenz x haben, sondern [darum], dass sie alle in ihrer jeweiligen Besonderheit ankommen und sogar noch [...] individueller sind, als vorher, und damit auch eben bereiter sind, kommende Umstände mitzugestalten und mitzuverantworten“ (Expert*in 2).
Teil dieses Prozess in dem unbekannten Feld ist laut nahezu allen Verantwortlichen des Stipendiums Mut, um sich zu öffnen, sich auf das Feld und sich selbst darin einzulassen, sich darin authentisch auszudrücken und diesen Ausdruck und die neuen kreativen Ideen anschließend nach außen zu tragen:
„Man [muss] den Mut [haben], mit neuen Sachen nach vorne zu gehen, innovativ zu sein, [und] das kann man vielleicht lernen, wenn man mit Künstlern zusammen ist [...]“ (Expert*in 1).
In diesem individuell-kreativen Weg liege das selbstverantwortliche Tun eines Menschen und einer Führungskraft, das für die ethische Gestaltung eines Unternehmens und so der Gesellschaft unabdingbar sei. Auf die Frage hin, warum ausgerechnet Führungskräfte die Zielgruppe des Stipendiums seien, wird entgegnet:
„Wenn diese Menschen in die Welt hinausgehen, haben sie hoffentlich genau in der Verantwortungsübernahme diese Begeisterung, die Kunst und Kultur sein [kann], kennengelernt, können die weiter tragen und können auch so ein Unternehmen in etwas gestalten, was nicht nur monetär ist, [sondern] was soziale und kulturelle Belange berührt.“ (Expert*in 4)
Wiederum Teil des selbstverantwortlichen Handelns ist den Befragten nach eine sensibilisierte Wahrnehmung der Mitmenschen ihrer individuellen Bedürfnisse und somit empathische Verantwortungsübernahme ihnen gegenüber.
Neben dem weiteren Ziel des Stipendiums, bei den Stipendiat*innen das Interesse für und die privatwirtschaftliche Förderung von Kunst und Kultur zu stärken, besteht nun die Frage, ob Kulturelle Kompetenz im oben beschriebenen Sinne vermittelt wird und deren Transfer in die Führungswelt geschieht.
Ergebnisse der Dokumentenanalyse sowie qualitativen und quantitativen Alumnie/ae-Befragung: Die Vermittlung von Kultureller Kompetenz auf persönlicher Ebene
Die Wirkung des Stipendiums auf deren Kompetenzentwicklung wird von den aktuellen Stipendiat*innen sowie Alumni/ae des Stipendiums ähnlich angegeben: So stärkt das Stipendium laut Selbstaussage bei 50 Prozent der Befragten eine erhöhte Selbstreflexion und das Aufbrechen bisheriger Denkmuster, das als Voraussetzung für Kreativität gilt (vgl. Hon et al. 2014:921); bei 57 Prozent Mut zu unbekannten Prozessen und Selbstüberwindung gegenüber Neuem sowie bei 37 Prozent Offenheit gegenüber unbekannten Menschen und Situationen. So wird vielmals auf die Frage hin, welche Momente während des Stipendienjahres bis heute in Erinnerung geblieben sind, die Erkenntnis des eigenen Vermögens und die Notwendigkeit des ersten Schrittes auf das Unbekannte zu als besonders bereichernd beschrieben:
„Zu erkennen, dass man sich überwinden muss, um weiterzukommen. Kunst [...] ist ein Prozess, in dem man manchmal etwas wagen und sich überwinden muss, um an das Ergebnis zu kommen. Diese Erfahrung hat sich an vielen der Wochenenden wiederholt und prägt mich auch heute noch, wenn ich vor einer Aufgabe stehe, in der es einfach nicht weitergeht.“ (Quantitativer Fragebogen, Antwort 52)
Teil des ersten Schrittes in das Unbekannte oder Neue ist den Verantwortlichen des Stipendiums nach die vorab notwendige Individualisierung und Auseinandersetzung mit der eigenen Person und den eigenen Wünschen, um die Richtung im Unbekannten zu bestimmen und Mut, um den ersten Schritt zu wagen. Während dieser Prozess bei über der Hälfte der Alumni/ae auf individuell verschiedene Art und Weise angeregt wird, werden etwas weniger ein gestärktes Verantwortungsbewusstsein beschrieben, eine sensibilisierte Wahrnehmung, ein erhöhtes Selbstvertrauen, Kritikfähigkeit und dezidiert Kreativität und Empathie. Indem lediglich 7 Prozent der Befragten keine Auswirkung auf ihre Persönlichkeitsentwicklung durch das Stipendium angeben, kann eine breite Wirksamkeit des Stipendiums festgehalten werden, die jedoch individuell unterschiedlich ausfällt.
Somit bestätigt sich die erste Hypothese größtenteils, wobei die Auswahlkriterien für das Stipendium sowie die Motivation der Bewerber*innen eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Wirkung zu spielen scheinen: Die Stipendiat*innen werden gezielt nach hervorragenden Studienleistungen und Persönlichkeitsmerkmalen wie Verantwortungsbereitschaft, Kommunikationsfähigkeit, Kreativität und Mut durch die Veranstalter*innen ausgewählt. Gleichzeitig bewerben sich die Stipendiat*innen zu 85 Prozent aus dem Wunsch nach persönlicher Entwicklung und etwas weniger dem Kennenlernen von Künstler*innen und Kunst sowie einem Ausgleich zum Studium auf das Stipendium. Auch das Treffen von Gleichgesinnten, das Interesse an der Verbindung von Kunst und Wirtschaft und die ‚Differenzierung im künftigen Berufsumfeld‘, heißt die Abgrenzung von Mitbewerber*innen und Kolleg*innen, sind Motive für die Bewerbung auf das Stipendium.
Durch die besondere Konzeption des Bronnbacher Stipendienprogramms werden diese bereits angelegten Kompetenzen weiterhin individuell gefördert und gestärkt, wobei laut der Befragten sowohl Künstler*innen als auch die Stipendiat*innengruppe, der Kurator und die Alumni/ae-Gruppe für die Erfahrungen und persönliche Entwicklung während des Stipendienjahres relevant sind: Die Künstler*innen werden dabei durch ihre Leidenschaft und ihr Engagement als beeindruckend und inspirierend beschrieben. Das Alumni/ae-Netzwerk wird als wesentlicher Faktor dafür genannt, nach Abschluss des Stipendiums an die eigenen Eindrücke erinnert zu werden. Als ebenfalls wesentlich für die Erinnerung an das Stipendium wird der Kurator genannt. Er wird als hilfreich und unterstützend in Bezug auf das Ausbrechen aus vertrauen Wahrnehmungsmustern und die Selbstreflexion beschrieben und als unabdingbarer Motivator während der Stipendienlaufzeit.
Ergebnisse der qualitativen und quantitativen Alumnie/ae-Befragung: Der Transfer von Kultureller Kompetenz in das Berufsleben
Die obigen Kompetenzen – eine erhöhte Selbstreflexion, Mut, Offenheit sowie ein gestärktes Selbstvertrauen, Kreativität, Verantwortungsbewusstsein, eine sensibilisierte Wahrnehmung und Empathie – werden nach Selbstaussage von 91 Prozent der Alumni/ae in Führungspositionen im Berufsalltag angewendet, allerdings zeichnet sich eine weniger deutliche Tendenz ab, als im Bereich der persönlichen Kompetenzentwicklung: Das Stipendium fördert laut Selbstaussage bei je etwa einem Drittel der Alumni/ae in Führungspositionen eine hohe Selbstreflexivität, Mut gegenüber unbekannten Prozessen und ein gestärktes Selbstvertrauen als Führungsperson. So schildert eine Person auf die Frage hin, in welchen Momenten sie sich im Berufsalltag an das Stipendium erinnert, „unvorhergesehene [...] Situationen [...], in denen [sie] über [ihren] Schatten springen muss [und] Situationen, in denen [sie] feststell[t], wie wenig sich andere Leute für Unbekanntes und Unkonventionelles öffnen können“ (Quantitativer Fragebogen, Antwort 42). Der eigene Mut, sich im Berufsalltag auf Unbekanntes einzulassen wird in Abgrenzung zu anderen Personen direkt auf das Stipendium zurückgeführt.
Etwa ein Viertel der Alumni/ae in Führungspositionen nennen eine Grundoffenheit sowie offene Kommunikation im Berufsalltag als Aspekte, die durch das Stipendium nachhaltig beeinflusst wurden. So wird auf die oben genannte Frage hin, in welchen Situationen im Berufsalltag die Erinnerung an das Stipendium eine Rolle spielt, beschrieben:
„Wenn ich einem ungewohnten Kommunikationsstil gegenüberstehe, fällt mir wieder ein, dass Menschen, die kreativ sind und sich ihr Leben lang nicht mit Wirtschaft und den darauf fokussierten Menschen umgeben haben, ganz einfach anders kommunizieren. Darauf muss man sich einlassen, sich Mühe geben, es zu verstehen – es lohnt sich, weil immer neue und interessante Blickwinkel auf einen warten.“ (Quantitativer Fragebogen, Antwort 1)
Ebenfalls wird von einem Viertel der Alumni/ae das Finden von unkonventionellen und kreativen Lösungsansätzen im Berufsalltag als durch das Stipendium bestärkt beschrieben, so in Situationen „wenn es darum geht, die eigenen Denk- und Handlungsmuster zu hinterfragen und zu unkonventionellen Lösungen zu gelangen [...].“ (Quantitativer Fragebogen, Antwort 44)
Über ein Drittel der Führungskräfte, beeinflusst durch das Stipendium, legt Wert auf Sinnhaftigkeit im Unternehmenskontext und auf Interdisziplinarität in Teams. So fühlt sich eine Person im Berufsalltag an das Stipendium erinnert, „wenn es um Team-Kompetenz geht; beispielsweise wenn neue Projekt-Teams zusammengestellt werden, denke ich oft daran, wie wichtig es ist, dass unterschiedliche Personen und Perspektiven an einem Tisch vereint werden.“ (Quantitativer Fragebogen, Antwort 50) Etwa ein Drittel betont den Wert einer partizipativen Entscheidungsfindung – und Personalführung durch den Einbezug von spezifischen Fähigkeiten der Mitarbeitenden. Zusammenfassend denken 66 Prozent der Alumni/ae, dass sie durch das Stipendium eine erfolgreichere Führungskraft im Unternehmen sind, während 11 Prozent ihren Erfolg als Führungskraft nicht auf das Stipendium beziehen. Indem die Mehrheit der Alumni/ae sich in ihrem Führungsalltag regelmäßig an das Stipendium erinnert fühlt und ihren Erfolg als Führungskraft durch das Stipendium unterstützt sieht, kann auch die zweite Hypothese weitgehend als bestätigt angesehen werden.
Während so die verschiedenen Kompetenzen etwa gleich verteilt in den Berufsalltag transferiert werden, geben 30 Prozent der Berufstätigen an, sich im Berufsalltag nicht an das Stipendium zu erinnern. So erwähnt eine der Personen, dass der Abschluss des Stipendiums bereits zehn Jahre zurückliegt und sie daher keine Erinnerung an das Stipendium im Berufsalltag habe. Ausstehend bleibt an dieser Stelle die Frage, ob auch für die weiteren Personen die fehlende Erinnerung an das Stipendium im Berufsalltag mit einem zunehmenden Abstand zum persönlichen Abschluss des Stipendiums zusammenhängt.
Ergebnisse: Förderung des Interesses für Kunst und Kultur
Neben der erfolgreichen Vermittlung von Kultureller Kompetenz auf persönlicher Ebene und deren Transfer in den Berufsalltag zeigt die Studie, dass ein Großteil der Stipendiat*innen bereits vor Antritt des Stipendiums kunstaffin ist: So haben 81 Prozent der Stipendiat*innen vor dem Stipendium Erfahrungen mit Kunst und Kultureller Bildung sammeln können, beispielsweise durch eigene schauspielerische Tätigkeiten oder künstlerisch-kultureller Bildung als Bestandteil der elterlichen Erziehung. Die Häufigkeit des Besuches von kulturellen Veranstaltungen vor und nach Absolvierung des Stipendiums zeigt kaum Veränderungen und liegt bei über 40 Prozent der Alumni/ae bei ein- bis dreimal im Monat. Während sich also die Mehrheit der Alumni/ae bereits vor Antritt des Stipendiums grundsätzlich für Kunst und Kultur interessierte, kann kaum eine maßgebliche Veränderung des Interesses nach dem Stipendium – und somit dessen Einfluss auf das Interesse – festgestellt werden.
Dennoch geben 100 Prozent der Befragten an, dass das Stipendium ihr Verständnis für künstlerische Prozesse und den kreativen Schaffensprozess förderte sowie 70 Prozent, dass das Stipendium ihr Verständnis für künstlerische Perspektiven stärkte. Die weitere Unterstützung von Kunst und Kultur im Berufsleben erfolgt dennoch weniger. So geben 69 Prozent der Alumni/ae an, Kunst und Kultur nicht dezidiert zu unterstützen, beispielsweise durch Mitgliedschaften in Fördervereinen oder Sponsoring.
Implikationen für Förderung und Einsatz von Kultureller Bildung in der Führungskräfteentwicklung
Bei entsprechenden Persönlichkeitsmerkmalen und Motivation zu Veränderung und Persönlichkeitsentwicklung werden individuell bestimmte Kompetenzen durch kunstbasierte Führungskräfteentwicklungsprogramme wie dem Bronnbacher Stipendium gefördert. Die Querschnittstudie zeigt, dass insbesondere Kompetenzen wie Mut zu und Offenheit gegenüber neuen, unbekannten Situationen und Prozessen sowie Selbstreflexion, Perspektivwechsel und Selbstvertrauen durch das vielfältige Kunst- und Kulturprogramm angeregt werden können. Dabei erfolgt der Transfer dieser zugleich persönlichen als auch Führungskompetenzen in die Berufswelt nach Abschluss des studienbegleitenden Programms größtenteils – gleichzeitig ist eine graduelle Abnahme der Wirkung mit zunehmendem Zeitabstand möglich. Das Verständnis für Kunst, Kultur und künstlerische Prozesse wird zwar durch das Stipendium und insbesondere durch die Begegnung mit Kunstschaffenden unterstützt. Ein verstärktes Interesse und Engagement für die Künste im Vergleich zu den vorherigen Erfahrungen und dem vorherigen Besuchsverhalten von kulturellen Veranstaltungen kann nach Absolvierung des Stipendiums jedoch weniger festgestellt werden.
Methodische Limitationen der vorliegenden Studie beziehen sich auf das Querschnitt-Design, womit Wirkungstendenzen des Bronnbacher Stipendiums auf Basis von Selbstaussagen zum jetzigen Zeitpunkt erfasst wurden. Somit kann auf Grundlage dieser Arbeit weder eine objektive Aussage noch eine Kausalannahme über die Wirkungen beziehungsweise deren Transfer in den Berufsalltag getätigt werden. Für eine objektive Beurteilung der langfristigen mittel- und unmittelbaren Wirkungen des Stipendiums auf Stipendiat*innen und das Führungsverhaltens der Alumni/ae im Berufsalltag bietet sich eine Längsschnittstudie unter Einbezug der Alumni/ae in Führungspositionen an.
Gleichzeitig lässt der hohe Prozentteil der Stipendiat*innen mit hoher Affinität zu Kunst und Kultur bereits vor dem Stipendium Rückschlüsse auf ein relativ homogenes Milieu der Teilnehmenden zu und scheint vor dem Hintergrund der Freiwilligkeit der Stipendienteilnahme naheliegend: So sind nach Eckart Liebau Freiwilligkeit und Offenheit gegenüber „unvorhergesehene[n] Wirkungsweisen ästhetischer Erfahrungen“ (siehe: Eckart Liebau „Kulturelle Bildung für alle und von allen? Über Teilhabe an und Zugänge zur Kulturellen Bildung“) und die „Passung [des Programms] zu den eigenen Voraussetzungen“ (ebd.) wiederum Voraussetzung für die Programmteilnahme und den Bedarf nach ästhetischen Erfahrungen. Gleichzeitig beschreibt Thomas Lang-von Wins das Vorhandensein bestimmter Persönlichkeitsmerkmale als unabdingbare Voraussetzung für die Möglichkeit einer bestimmten Kompetenzentwicklung (vgl. Lang-von Wins 2007:776). Um in Bezug auf die Reichweite der Wirksamkeit der Kulturellen Bildung und des Bronnbacher Stipendiums eine explizitere Aussage treffen zu können wäre interessant, die neun Prozent der Teilnehmenden ohne Vorerfahrung mit Kunst und Kultur vertiefend zu befragen. Auch ein wohl selektiertes Vergleichsgruppendesign kann an dieser Stelle aufschlussreich sein.
Trotz dieser Limitationen kann auf Grundlage der Studie festgehalten werden, dass das Bronnbacher Stipendium durch seine Auswahl der Stipendiat*innen und das kunstbasierte Programm zukünftige Führungskräfte für die kommenden Herausforderungen im Berufsleben erfolgreich weiterbildet und in ihrer Persönlichkeit stärkt. So kann Kulturelle Kompetenz im Sinne des Bronnbacher Stipendiums mit Scharmers Prozess des Presencings als Schlüsselkompetenz für Führungskräfte analog gesetzt werden: Die Auseinandersetzung mit unbekannten Ausdrucksformen im Rahmen des Stipendiums regt (Selbst-)Reflexionsprozesse und ein Aufbrechen bisheriger Denkstrukturen an, was Scharmer als ‚Öffnung des Denkens‘ und ersten Schritt hin zum Presencing bezeichnet. Gleichzeitig wird durch die ganzheitliche Kulturelle Bildung ebenso die Aufgabe von kognitiver Kontrolle und eine verstärkte Wahrnehmung von Intuition und Emotion angeregt, was Scharmers zweiter Stufe, der ‚Öffnung des Fühlens‘, entspricht. Diese beiden Prozesse und die Auseinandersetzung mit dem selbstverantwortlichen Agieren von Künstler*innen führen unter anderem zu Kreativität sowie selbstverantwortlichem Handeln und so der ‚Öffnung des Willens‘ nach Scharmer als drittem und letztem Schritt hin zum Presencing (vgl. Scharmer 2015:67ff.).
Dabei wird von Seiten der Verantwortlichen Kunst und Kulturelle Bildung aufgrund der ganzheitlichen humanistischen Bildung, des individuellen Reflexions- und Interpretationsspielraumes und der Möglichkeit des exemplarischen und wertfreien Schaffens als geeignetes Medium für die Ausbildung jener Kompetenzen angesehen. Die Alumni/ae schreiben der Kunst als Medium für die Ausbildung von Führungskräften eine undefinierbare persönlich wertstiftende Funktion zu sowie die Fähigkeit, Perspektivwechsel durch Polarisierung und Reflexion auf einzigartige Weise zu provozieren. Auch die Begeisterung der Stipendiat*innen für die Person der Künstler*innen und des Kurators, deren Sichtweisen, gesellschaftliches Engagement und aktivierende Funktion während der Reflexionsprozesse deutet auf die Wichtigkeit des persönlichen Kontakts zu Kunstschaffenden und den Einbezug des Kurators im Rahmen des Stipendiums hin. Mit Blick auf weitere Fördervorhaben von kulturellen Bildungsprogrammen beziehungsweise Kultureller Bildung in der Führungskräfteentwicklung ist diese Dreieckskonstellation und die Berücksichtigung von sowohl jeweils einem*r Künstler*in und einem*r begleitenden Kurator*in daher empfehlenswert. Kunstbasierte Führungskräfteentwicklungsprogramme eignen sich somit angesichts der aktuellen Dynamisierung der Lebensverhältnisse, der zunehmend ungewissen Zukunft und der herrschenden Wertepluralität für die Ausbildung von zukünftigen Führungskräften und sollten verstärkt neben konventionellen Führungskräfteentwicklungsprogramme in Unternehmen und an Hochschulen beworben und eingesetzt werden.