Theorien kulturell-medialer Vermittlung: Bestehende Ansätze, Herausforderungen und Entwicklungspotenziale der Konzeption einer Kultur- UND Medienpädagogik
Abstract
Im akademischen Diskurs zur Kulturellen Bildung ist häufig das Beklagen eines „Theoriedefizits“ zu vernehmen – eine Kritik, die auf das Querschnittsfeld der Kultur- und Medienpädagogik keinesfalls zutrifft. Denn zwecks der Begründung der Notwendigkeit und der Darstellung der Hintergründe sowie Ziele des Zusammenwirkens beider Perspektiven wurden seit den 1970er Jahren innerhalb der Medienpädagogik und auch der schulischen Kunstpädagogik zahlreiche Konzepte vorgelegt. Ab der Jahrtausendwende beteiligt sich ebenfalls die (außerschulische) Kulturelle Bildung intensiv an dieser Diskussion. Nach der Präsentation mehrerer entsprechender Argumentationslinien werden im vorliegenden Artikel die Herausforderungen bzw. Dilemmata aufgezeigt, die aus der Auseinandersetzung mit gesellschaftskritischen Aspekten resultieren, die heute im Rahmen sowohl der Kultur- als auch der Medienpädagogik (wieder) intensiv stattfindet. Anschließend erfolgt die Vorstellung einiger darauf bezogener theoretischer und praktischer Lösungsansätze sowie Entwicklungspotenziale, die sich aus aktuellen kultur- und medienpädagogischen Diskussionen sowie Zugängen ergeben. Der Artikel schließt mit dem kritischen Hinterfragen dessen ab, wozu wissenschaftliche Theorien benötigt werden und einem darauf basierenden Vorschlag dafür, wie praxisrelevante Konzepte ‚kulturell-medialer Vermittlung‘ (weiter-)entwickelt werden können.
Einleitung
Die Kulturpädagogin Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss veröffentlichte im Jahre 2019 einen Artikel unter dem Titel „Kulturelle Bildung und Digitalisierung – zwei Gegensätze?“ (Reinwand-Weiss 2019). Darin schreibt sie, dass im Diskurs um die Kulturelle Bildung das Wörtchen „und“ immer häufiger zu vernehmen ist – nicht zuletzt in der Kombination „Kulturelle Bildung und Digitalisierung“ (ebd.). Dabei seien das Reinwand-Weiss zufolge „zwei Begriffe, die […] theoretisch betrachtet so weit entfernt scheinen wie die Erde vom Mond“ (ebd.).
Der Ausdruck „theoretisch“ kann in diesem Kontext im doppelten Sinne interpretiert werden: Erstens in der alltagssprachlichen Verwendung, nach der etwas, das in der Theorie in einer bestimmten Art und Wiese zu sein scheint, sich in der Praxis gänzlich anders erweist. Denn von der Perspektive der Praxis aus betrachtet, sind die Kulturelle Bildung und die Medienpädagogik (v.a. in Form der – im Verlauf des vorliegenden Artikels behandelten – ‚Aktiven Medienarbeit‘) so intensiv miteinander verknüpft, dass eine Unterscheidung zuweilen kaum möglich und sinnvoll ist. Das wird z.B. dann deutlich, wenn die langjährige Leiterin eines Kölner Medienzentrums Gerda Sieben (2017:11) schreibt, dass in „medienpädagogischen Einrichtungen […] Kinder und Jugendliche Medien nutzen, um ihre kreativen Ideen umzusetzen […]. Sie gestalten und bewerten, durchaus mit künstlerischem Anspruch, Bild, Ton, Film, Games und multimediale Installationen“. Jedoch steht im eingangs zitierten Artikel die zweite Bedeutung des Theoriebegriffs im Fokus – Theorie als epistemologische Erklärung der (Hinter-)Gründe und Ziele praktischer Tätigkeiten sowie Erfahrungen. Reinwand-Weiss argumentiert ihre These der großen Distanz zwischen kulturpädagogischen Positionierungen und den aktuellen auf die Medien bezogenen Bildungsdiskursen mit der „Reduzierung auf Eins und Null“, die mit dem Digitalisierungsbegriff häufig impliziert ist. Ihrer Beobachtung nach wird der Terminus Digitalisierung davon ausgehend oft in Opposition zur „analogen Seite“ der Kulturellen Bildung gesetzt (Reinwand-Weiss 2019).
Daran könnte festgemacht werden, dass die Feststellung eines „Theoriedefizits“, welches innerhalb der Kulturellen Bildung im Allgemeinen oft beklagt wird (siehe z.B. Zacharias 2001a:21), auf die praktische Arbeit an den Schnittstellen zwischen der Kultur- und der Medienpädagogik im besonderen Maße zutrifft. Diese Aussage ist jedoch insofern zu relativieren, als Wissenschaftler*innen zu Beginn ihrer Publikationen derartige Klagen häufig dazu nutzen, um ein bestimmtes Forschungsdesiderat hervorzuheben und davon ausgehend selbst Theorien zum von ihnen untersuchten Thema aufzustellen. Im Zuge dessen bleibt manchmal unberücksichtigt, dass diesbezüglich bereits einige Vorarbeiten existieren. Im vorliegenden Artikel werden mehrere bestehende sowohl historische als auch aktuelle Theorien (im Sinne von Begründungen und Zielorientierungen) hinsichtlich jenes Querschnittsfeldes vorgestellt, in dem die Kultur- und die Medienpädagogik zusammenwirken und das hier als ‚kulturell-mediale Vermittlung‘ bezeichnet wird. Dabei kommen auch damit zusammenhängende Probleme und mögliche Lösungsansätze zur Sprache.
Im Vorfeld gilt es zu erläutern, warum hier auf den Einsatz des (zum Teil gut etablierten) Begriffes ‚Kulturelle Medienbildung‘ für das genannte Querschnittsgebiet weitgehend verzichtet wird. Dieser Terminus entstammt der Kulturpädagogik und wird innerhalb des medienpädagogischen Fachdiskurses aus zwei Gründen kaum verwendet: Erstens, weil damit Vereinnahmungstendenzen seitens der Kulturellen Bildung einhergehen. Zum Beispiel definiert der Kulturpädagoge Max Fuchs (2021:7) „Medienpädagogik als Teil von Kulturpädagogik und Medienbildung daher als spezifische Form von kultureller Bildung“. Dass so eine Aussage kaum ein*e Medienpädagog*in unterschreiben würde, liegt auf der Hand. Zweites existiert innerhalb des medienpädagogischen akademischen Feldes eine Strömung, die mit ‚Medienbildung‘ bezeichnet ist (Tulodziecki 2017). Bei Berücksichtigung ihres Vorgängerkonzepts der ‚Medienerziehung‘ steht sie seit ca. 50 Jahren in einem Konkurrenzverhältnis zu anderen Entwicklungslinien in diesem Bereich – und hier vor allem zur ‚Handlungsorientierten Medienpädagogik‘, in deren Praxisfeld der ‚Aktiven Medienarbeit‘ kulturelle und ästhetische Aspekte einen sehr hohen Stellenwert aufweisen. Vor solch einem Hintergrund ist der Begriff Kulturelle Medienbildung einerseits missverständlich und andererseits birgt er wiederum die Gefahr, vereinnahmt zu werden – diesmal seitens einer einzelnen medienpädagogischen Strömung. Da es im vorliegenden Artikel wichtig ist, die Perspektiven der Kulturellen Bildung und der Medienpädagogik (in all ihren Facetten) gleichwertig zu integrieren, wird der viel weniger gebräuchliche und folglich unbelastete Terminus ‚kulturell-mediale Vermittlung‘ genutzt – ein Ausdruck, der auch frei von all dem historischen Ballast ist, den der deutsche Bildungsbegriff aufweist (siehe dazu z.B. Fuchs 2008:30f, 35). Jedoch ist einzuräumen, dass ebenso die Bezeichnung „kulturell-mediale Vermittlung“ keinesfalls unproblematisch ist, was sich z.B. an der ihr inhärenten Tautologie zeigt, die daraus resultiert, dass Medien häufig als (Ver-)Mittler definiert werden.
Bestehende/historische Ansätze
Zunächst liegt der Fokus auf Theorien und Konzepten der ‚kulturell-mediale Vermittlung‘, die von den späten 1960er- bis Anfang der 2010er-Jahre im deutschsprachigen Raum entwickelt wurden. Diese medien-, kunst-, und kulturpädagogischen Ansätze werden in vier Strömungen unterteilt dargestellt: Erstens Gesellschafts- und Medienkritik, zweitens Kultur- und Technologieeuphorie, drittens Anthropologie und Lebenskunst sowie viertens Postulate, dass die Künste selbst als (Kommunikations-)Medien zu betrachten seien, die eng mit dem Thema Bildungsbenachteiligung bzw. -diskriminierung zusammenhängen. Die Besprechung folgt größtenteils einer zeitlichen Chronologie, wobei sich die jeweiligen Epochen teilweise auch überschneiden.
1. Linie: Gesellschafts- und Medienkritik
Die erste Linie ist historisch betrachtet die älteste. Gemäß Niesyto und Moser (2018) gehörte „Medienkritik […] schon immer zu den zentralen Aufgaben der Medienpädagogik“. Einen ersten Höhepunkt erreichte die entsprechende Art der (akademischen) Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Implikationen der Medienentwicklungen im Rahmen des Konzepts der ‚Ideologiekritischen Medienpädagogik‘ Ende der 1960er/Anfang der 1970er-Jahre. Dieser Ansatz basierte auf der ‚Kritischen Theorie‘ der ‚Frankfurter Schule‘ (Hauptvertreter Theodor W. Adorno und Max Horkheimer). Dieter Baacke – der als „Vater“ der ‚Handlungsorientierten Medienpädagogik‘ betrachtet wird (Ruge 2017:116) – bezeichnet die Anlehnung daran als „einen gewaltigen Fortschritt im konzeptionellen Diskurs“ im Vergleich zu vorangehenden medienpädagogischen Zugängen, die ihm zufolge vorrangig auf das Bewahren von Kindern und Jugendlichen vor (vermeintlich) schädlichen Medieneinflüssen ausgerichtet waren (Baacke 1997:47). In der Praxis äußerte sich der entsprechende Anschluss erstens in Versuchen, gemeinsam mit Adressat*innen die Inhalte sowie die Ästhetik medialer Produktionen auf ihren kapitalistischen „Verblendungszusammenhang“ hin zu analysieren (ebd.:48) und andererseits im Aufschwung der ‚Alternativen Medienarbeit‘. Innerhalb des letzteren Ansatzes ging es um die Herstellung von „Gegenöffentlichkeit“ mit dem Ziel, „dem verkrusteten Massenmedium Fernsehen ein audiovisuelles Medium ‚von unten‘ entgegenzusetzen“ (Schell 2003:37). Schwarz (1997:83f.) zufolge lief das hauptsächlich auf das Drehen von „Amateur-Avantgardefilmen“ hinaus. Im Rahmen späterer medienpädagogischer Konzeptionen wurden beide ideologiekritische Methoden massiv angegriffen. Die analytische soll ihr „Hauptaugenmerk auf die Gefährdung des Menschen durch mediale Inhalte“ gerichtet haben (Schorb 1995:47) und die produktionsorientierte soll „im Grunde elitär“ gewesen sein, weil dabei ein Anknüpfen an den damaligen Ausdrucksformen der zeitgenössischen (Medien-)Kunst stattgefunden habe (Vollbrecht 2001:48; siehe auch Niesyto 2018:60). In Bezug auf beide Herangehensweisen habe die ‚Ideologiekritische Medienpädagogik‘ die „Bedürfnisartikulation als Zielkategorie“ formuliert, „ohne die eigentlichen Bedürfnisse ihrer Zielgruppen zum Ausgangspunkt zu nehmen“ (Hüther/Podehl 1997:124).
Die Entwicklungen der schulischen Kunstpädagogik dieser Zeit waren untrennbar mit den medienpädagogischen (Theorie-)Diskursen und (Praxis-)Zugängen verbunden bzw. beeinflussten sie sich gegenseitig. Baackes (1997:47) Ansicht nach ging im Hinblick auf die Umbrüche im medienpädagogischen Feld Ende der 1960er Jahre „ein besonderer Impuls […] von der Reformdiskussion im Kunstunterricht aus“ – gleiches kann auch umgekehrt festgestellt werden. Das damals im Fokus der akademischen kunstpädagogischen Diskussion stehende Konzept trug die Bezeichnung ‚Visuelle Kommunikation‘, wobei diese Bezeichnung den Verfechter*innen des Ansatzes zufolge die bisherige Benennung des Kunstunterrichts bzw. der Kunsterziehung ersetzen sollte. Der Herausgeber des gleichnamigen 1971 erschienenen Sammelbandes Hermann K. Ehmer postulierte in seinem Vorwort dazu, dass die zentrale Aufgabe dieses Schulfaches fortan in der „Vermittlung der Einsicht in die Bedingungen der Abhängigkeit unseres Bewusstseins von der Bewusstseinsindustrie“ zu bestehen habe (Ehmer 1971:8). Die (visuelle) Kunst, auf der bis dahin der Fokus lag, sei hingegen „als ein Mittel zur Erhaltung von Herrschaft zu ‚diskriminieren‘“ (Niehoff 2017:481). Anstatt einer Auseinandersetzung damit sollte die ‚Visuelle Kommunikation‘ auf „die Befähigung zu kritischem Medienkonsum und emanzipatorischem Mediengebrauch“ ausgerichtet werden (Möller 1971:23). Dazu sollten sowohl Analysen von Comics, Illustrierten, Werbungen sowie kommerziell erfolgreichen Filmen und Serien als auch Eigenproduktionen von Fotos und Videos zum Einsatz kommen (ebd.). Das kann als ein Versuch gewertet werden, bisherige Inhalte eines etablierten Unterrichtsgegenstandes aus diesem zu „verbannen“, um medienpädagogische Zugänge innerhalb des öffentlichen Bildungssystems umzusetzen (Pasuchin 2005:90). Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass das Konzept der ‚Visuellen Kommunikation‘ fachintern auf größten Widerstand stieß und nicht lange Bestand hatte. Bereits Mitte der 1970er-Jahre galt es als gescheitert, wobei sich selbst seine Hauptvertreter*innen, wie Ehmer, von ihren eigenen Ideen distanzierten (Griffhorn 1979:64).
2. Linie: Kultur- und Technologieeuphorie
Im Verlauf der 1970er Jahre fand innerhalb der Medienpädagogik eine Abkehr von ideologiekritischen Ansätzen statt. Bei der zentralen Praxismethode wurde der Begriff „alternativ“ ausgetauscht – inzwischen wird sie als ‚Aktive Medienarbeit‘ bezeichnet (Schell 2003). Theoretisch knüpfte dieser Hauptzugang der ‚Handlungsorientierten Medienpädagogik‘ zunächst an den Positionen von Hans Magnus Enzensberger an – und hier v.a. an seinem 1971 zuerst erschienenen Essay „Baukasten zu einer Theorie der Medien“. Darin distanzierte sich Enzensberger (1997:119) von der „Medienfeindschaft der neuen Linken“ (zu der er Adorno und Horkheimer zählte) und forderte ebenso ein Umdenken hinsichtlich ästhetischer Aspekte. Der – innerhalb der ideologiekritischen Auseinandersetzungen – üblichen Abwertung der entsprechenden Vorlieben der Bevölkerungsmehrheit stellte er den Entwurf einer radikal-demokratischen „allgemeinen Medien-Ästhetik“ gegenüber. Diese würde gemäß Enzensberger (ebd.:125–130) auf dem Zurückdrängen normativer Regeln, auf dialogischen Prinzipien und offenen Formen, auf dem Entlarven von Widersprüchen sowie auf dem Überschreiten von Grenzen zwischen Fiktivem und Realem basieren.
In den 1980er-Jahren erfolgte eine zunehmende Orientierung der ‚Handlungsorientierten Medienpädagogik‘ an der Lebens- und Alltagswelt der Individuen, mit der eine höchst positive, wenn nicht sogar euphorische Einstellung zur damals zeitgenössischen Massenkultur und der populären Ästhetik einherging. Mit dem Ziel, entsprechende Ausprägungen theoretisch zu fundieren, gaben Dieter Baacke und Franz Josef Röll 1995 einen Sammelband heraus, dessen Untertitel „der ästhetisch organisierte Lernprozess“ lautete (Baacke/Röll 1995). Dabei wurde vorrangig auf Positionierungen aus dem Postmoderne-Diskurs zurückgegriffen, was nicht zuletzt daran ersichtlich ist, dass ihr wichtigster Vertreter im deutschsprachigen Raum, Wolfgang Welsch, dazu eingeladen wurde, einen Beitrag zu diesem Buch zu verfassen (Welsch 1995). Im Editorial greifen die Herausgeber Welschs Aussage auf, dass sich die Realität heutzutage über ästhetische Kategorien konstruiere, weswegen ästhetisches Denken „längst zum eigentlich realistischen Denken geworden“ sei (Baacke/Röll 1995:15). Die Querverbindung zu den Medien stellen Baacke und Röll (ebd.:15) mit Hilfe der Feststellung her, dass sich im Rahmen technologisch vermittelter Wirklichkeiten „die Gewichtungen vom begrifflichen Denken hin zur bildhaften Kommunikation [verschieben], die am ehesten als ästhetische […] Erfahrung beschrieben werden kann“. Solche Erfahrungen würden Kinder und Jugendliche den Herausgebern zufolge vorrangig im Zuge des Konsums und der Beteiligung an der Herstellung populärkultureller Produktionen machen. Deswegen grenzt sich Baacke (1995:39) in seinem eigenen Beitrag massiv vom „pädagogischen Blick“ ab, der derartige kulturelle Ausprägungen geringschätzt und plädiert für die Anerkennung der „Faszination“ als zentrales Moment der Auseinandersetzung junger Menschen mit den Medien. Der letztere medienpädagogische Zugang stelle seiner Ansicht nach eine Chance für die „Befreiung der Sinne im ‚optischen Zeitalter‘“ dar, weswegen es ein „radikal demokratisches“ Konzept sei (Baacke 1995:42). Ausgehend von ähnlichen Argumenten appelliert Röll (1998:64), „den ästhetischen Lernprozess in das Zentrum des (medien)pädagogischen Lernprozesses [zu] stellen.“
Innerhalb des kulturpädagogischen Praxisfeldes werden Medientechnologien bereits seit den 1970er-Jahren intensiv berücksichtigt und in Projektarbeiten integriert (vgl. Hoffmann 2013:27). Insofern wird die „Medienpädagogik […] seit vielen Jahrzehnten als integraler Bestandteil im Kanon der kulturellen Kinder- und Jugendbildung verstanden“ (Bürgermeister 2017:6). Eine theoretische Auseinandersetzung der (akademischen) Kulturpädagogik mit dem Medienthema begann jedoch erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Der Anlass bestand in der Ausschreibung des deutschlandweiten Programms „Kulturelle Bildung im Medienzeitalter“ (KuBiM), in dessen Rahmen von 2000 bis 2005 die „Entwicklung und Erprobung innovativer Modelle für den kreativen und kompetenten Umgang mit den neuen Medientechnologien“ in diesem Bereich finanziell gefördert wurde (Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation o.J.). In der Einleitung des im Vorfeld dieser Initiative vorgelegten Positionspapiers schrieb Pazzini (1999:5): „Ohne den Bezug zu den Künsten können die Chancen der neuen Medien nicht ausgeschöpft werden. Im Gegenteil, es besteht […] die Gefahr der Verdummung und eine schon deutlich wahrnehmbare Disqualifikation von Arbeitskräften.“ Daran und an der Koppelung der Höherqualifikation von Werktätigen an die Steigerung ihrer kreativen Kompetenzen (ebd.) wird die Bemühung um den Anschluss der Kulturpädagogik an die Diskussion um die Informations-, Wissens- und die Netzwerkgesellschaft deutlich, die an der Jahrtausendwende allgegenwärtig war. Vertreter*innen derartiger sozio-ökonomischer Konzepte sagten voraus, dass die überwiegende Mehrheit der zukünftigen Werktätigen Probleme mit Hilfe der Datenverarbeitung identifizieren sowie kreativ lösen würde und deswegen als Wissensarbeiter*innen oder als Symbolanalytiker*innen zu betrachten sei. Damit befände sich der Großteil der Menschen im Besitz jenes (intellektuellen) Kapitals, das die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts prägen würde (Reich 1991:85, 178). Solche – als untrennbar an den technologischen Fortschritt gekoppelt erachteten – (potenziellen) Entwicklungen wurden in den 1990er-Jahren von zahlreichen Vertreter*innen der Sozialdemokratie lautstark begrüßt, was dieser Bewegung einen Anschluss an den neoliberalen Zeitgeist und davon ausgehend Wahlerfolge ermöglichte (Pasuchin 2012:148ff.). Kurze Zeit schien es, als würde auch innerhalb des kulturpädagogischen Diskurses in Deutschland der Versuch stattfinden, von der allgemeinen Technikfaszination und der mit ihr einhergehenden (vorrangig ökonomisch orientierten) Kultureuphorie zu profitieren.
3. Linie: Anthropologie und Lebenskunst
Dagegen, sich bei der Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Kultur- und die Medienpädagogik zusammenhängen, auf technologische und wirtschaftliche Aspekte zu fokussieren, verwehrten sich an der Jahrtausendwende einige der wichtigsten deutschen Vertreter*innen der Kulturellen Bildung mit Nachdruck. Einer von Ihnen, Wolfgang Zacharias, formulierte Anfang des 20. Jahrhunderts den Begriff der ‚Kulturellen Medienbildung‘ – ein Ausdruck, den die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) sofort aufgriff und seitdem immer wieder in zahlreichen Publikationen und Positionspapieren hervorhebt (siehe z. B. BKJ 2011, BKJ 2017). Im Jahre 2001 veröffentlichte Zacharias in einer medienpädagogischen Sammelpublikation einen Artikel, in dem er sich um eine theoretische Fundierung dieses Terminus bemühte. Der entsprechende Schwerpunkt wird bereits am Untertitel des Beitrags deutlich: „Plädoyer für eine kulturell akzentuierte und anthropologisch begründete Medienbildung“. Zacharias (2001b:70) zufolge ist im Begriff der ‚Kulturellen Medienbildung‘ das dialektische Wechsel- bzw. Spannungsverhältnis zwischen Menschen/Kultur und Medien/Technologien impliziert. Denn die Menschen machen zwar „die Medien bzw. ihre Inhalte, aber die Medien als neue erweiterte Wirklichkeiten formen über die Kraft symbolischer und massenhafter Vermittlung auch wiederum die Menschen“ (ebd.:68). Ausgehend von solchen Überlegungen zielt das Konzept der ‚Kulturellen Medienbildung‘ sowohl darauf ab, innerhalb der Kulturpädagogik die „Medienwirklichkeit […] als vitale[n] und alltagsentscheidende[n] Teil der Kultur […] aufzuwerten.“ Andererseits ist es gleichzeitig darauf ausgerichtet, die „kulturelle Akzentuierung einer Medienbildung […] zu forcieren“ (ebd.:70). Gemäß Zacharias (ebd.:74) setzt sich eine so verstandene ‚Kulturelle Medienbildung‘ vorrangig mit den „gestaltenden, symbol- und bedeutungsproduzierenden, den ästhetisch-kommunikativen […] Möglichkeiten“ von Technologien und folglich mit den „menschlichen Gebrauchsweisen der Medien“ auseinander.
In diesem Essay plädiert Zacharias für einen Anschluss an den – an der Jahrtausendwende im kulturpädagogischen Feld intensiv geführten – Diskurs um die kulturpädagogische Förderung von Lebenskompetenzen (ebd.:73, 75, 80). Daran zeigen sich Parallelen seiner Positionierungen zu den Standpunkten von Max Fuchs. In seiner Rolle als langjähriger Vorsitzender des wichtigsten kulturpädagogischen Dachverbandes in Deutschland – der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) – forcierte Letzterer Anfang der 2000er-Jahre den Begriff bzw. das Konzept der ‚Lebenskunst‘. „Das gute, glückliche und gelungene Leben“ bezeichnete Fuchs (2008:13) als ein zentrales „Ziel für den Einzelnen und für die Gesellschaft“ und plädierte davon ausgehend für eine Orientierung der Kulturellen Bildung am „Topos der künstlerischen oder ästhetischen Praxis als Modell des Lebens‘“ (ebd.:21). Fuchs und Zacharias teilen auch den anthropologischen Zugang zur Begründung von Ansätzen in der Art von ‚Kultureller Medienbildung‘. Dass Fuchs bis heute eine solche Perspektive vertritt, ist an der Betitelung eines seiner neuesten Bücher mit „Der Mensch und seine Medien“ erkennbar (Fuchs 2021). In seinen auf dieses Thema bezogenen Publikationen beruft sich Fuchs vorrangig auf die „Philosophie der symbolischen Formen“ von Ernst Cassirer aus den 1920er-Jahren. Die Querverbindungen zwischen der Kultur- zur Medienpädagogik ergeben sich Fuchs (2017:12) zufolge aus Cassirers Postulat, dass „der Mensch niemals […] unvermittelt mit sich und der Welt umgehen kann“ – um seine Umgebung sowohl reflexiv zu erfassen als auch kreativ zu gestalten, benötigt das Individuum also immer (nicht zuletzt technische) Mittel bzw. Werkzeuge.
Im Bereich der schulischen Kunstpädagogik wurden zu dieser Zeit ähnliche Diskussionen geführt. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass das Medienthema (vor dem Hintergrund der negativen Erfahrungen mit dem Zugang der ‚Visuellen Kommunikation‘) in diesem Feld zunächst jahrzehntelang gemieden wurde, während der Kunstunterricht „als sinnlich-ästhetisches Refugium außerhalb des Technisch-Digitalen“ galt (Peez 2002:60). Erst gegen Ende der 1990er-Jahre entstand ein kunstpädagogisches (Gesamt-)Konzept, in dessen Rahmen eine viel positivere Sicht auf Medien zu verzeichnen war. Zwecks theoretischer Fundierung dieses als ‚Künstlerische Bildung‘ benannten Ansatzes griff Carl-Peter Buschkühle (1997) auf den erweiterten Kunstbegriff von Joseph Beuys zurück. Von der Perspektive des Letzteren aus könne das Künstlerische „nahezu immer und überall im Spiele sein […] nicht zuletzt bei der Gestaltung des eigenen Lebens und des Zusammenlebens mit anderen“ (Regel 2003:138). Von solchen Gedanken leitete Beuys seinen berühmten Slogan „Jeder Mensch ist ein Künstler“ ab, mit dem Buschkühle argumentiert, dass es im Kunstunterricht um die „Ausbildung jedes Menschen zum Künstler durch Aktivierung seiner kreativen Vermögen“ gehen solle (Buschkühle 1997:53f.). Eine derartige Aktivierung könne seiner Ansicht nach auch durch die intensive Auseinandersetzung mit Medien erreicht werden. Im Rückgriff auf die philosophischen Positionierungen von Vilém Flusser bezeichnet Buschkühle (1997: 358) den Computer als „Welterzeugungsmaschine“, die den Menschen zum „Erschaffer der Wirklichkeit“ avancieren lässt (Buschkühle 2007:36).
4. Linie: Künste als Medien und Bildungsbenachteiligung/-diskriminierung
Im vorangehenden Abschnitt standen kultur- und kunstpädagogische Theorieansätze im Fokus, weil medienpädagogische Diskurse zu ästhetischen Aspekten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts andere Schwerpunktsetzungen aufwiesen. Neben den (vorhin bei der Behandlung der kultur- und technologieeuphorischen Linie beleuchteten) Konzepten von Baacke und Röll entstand zu dieser Zeit ein alternativer und z.T. oppositioneller Diskussionsstrang. Der entsprechende Zugang, der als ‚milieusensibel-ästhetische Medienbildung‘ bezeichnet werden kann, wurde von Horst Niesyto ausgearbeitet und von ihm gemeinsam mit seinen Doktorand*innen im Rahmen mehrerer empirischer Forschungsprojekte umgesetzt sowie weiterentwickelt. Der erste Teil dieses Begriffs knüpft an Niesytos (2009:11) – vorrangig mit der Habitustheorie von Bourdieu fundierten – Forderung an, die Medienpädagogik sowohl im Hinblick auf die Theorie als auch die Praxis „milieusensibel“ auszugestalten. Dieser Appell basiert auf seiner Kritik an der „Mittelschichtlastigkeit der Medienpädagogik“ – d.h. seiner Beobachtung, dass die Medienpädagogik einseitig auf die Zielgruppe und ebenfalls auf die Interessen von Kindern und Jugendlichen fokussiert sei (bzw. bis zur Jahrtausendwende war), die eher aus wohlhabenden Verhältnissen stammen (Niesyto 2014:182). Stattdessen ruft Niesyto dazu auf, entsprechende Konzepte sowie Maßnahmen an divergierenden Lebenslagen und mit ihnen einhergehenden Bedürfnissen von Menschen aus unterschiedlichen Schichten auszurichten – und hier vorrangig jenen, die von (Bildungs-)Benachteiligungen betroffen sind (Niesyto 2009:3ff.). Der zweite Teil der Konzeptbezeichnung hängt insofern unmittelbar mit dem ersten zusammen, als Niesyto vor diesem Hintergrund für eine medienpädagogische Schwerpunktsetzung auf ästhetische Aspekte plädiert. Dabei argumentiert er dieses Ansinnen aber keinesfalls (wie Pazzini) mit den Anforderungen der Wirtschaft und auch nicht (wie Baacke und Röll) mit der technologisch bedingten Ästhetisierung der Lebens- und Alltagswelt. Vielmehr geht es Niesytos Ansicht nach darum, dass „Hauptschüler in Bereichen Theater, Video, Musik sich nicht so schwertun wie im rein verbalen, kognitiven Bereich“, weswegen bezogen auf diese Zielgruppe eine Schwerpunktsetzung der Medienpädagogik auf kreative Ausdrucksformen notwendig sei (Niesyto 2000: 13). Im Hinblick auf die theoretische Fundierung greift Niesyto im Zuge dessen auf Susanne Langers 1942 vorgelegte „Philosophie auf neuem Wege“ zurück. Darin postuliert sie, dass es „eine noch unerforschte Möglichkeit echter Semantik jenseits der Grenzen der diskursiven Sprache“ gebe, die von ihr als „präsentative Symbolik“ bezeichnet wird (Langer 1965:92; siehe dazu Niesyto 2003:19; Niesyto 2014:183). Künstlerische Ausdrucksformen können folglich als Mittel bzw. Medien der Kommunikation erachtet werden, die mit dem sprachlichen und schriftlichen zwischenmenschlichen Austausch gleichwertig sind.
Eine ähnliche Stoßrichtung wies das Konzept der ‚Künstlerischen Medienbildung‘ auf, das Iwan Pasuchin (2005) Mitte der 2000er Jahre vorlegte. Dabei stand das Ziel der Nutzung von Synergieeffekten zwischen medienpädagogischen und mediendidaktischen Herangehensweisen sowie Ansätzen jener schulischen pädagogischen Fachbereiche im Vordergrund, die sowohl auf visuelle Künste als auch auf die Musik bezogen sind. In der Publikation zum Forschungsprojekt „Intermediale Künstlerische Bildung“ fundierte Pasuchin (2007) die entsprechende Intention mit dem Zugang der Intermedialität, von dem ausgehend er – angelehnt an Higgins (1966) – für die besondere Berücksichtigung des Aufeinandertreffens und Ineinandergreifens verschiedener künstlerischer Ausdrucksformen plädierte. Diesen Ansatz kombinierte Pasuchin mit kulturorientierten Medientheorien, von deren Perspektive aus die Menschen selbst als „Primärmedien“ betrachtet werden (Faulstich 2004:23ff.). Sowohl Künsten (die von Anfang der Menschheitsgeschichte an bestanden) als auch technischen Werkzeugen (die im weiteren Verlauf entwickelt wurden) wird in ihrem Rahmen lediglich die Funktion der Unterstützung von Austauschprozessen und der Erweiterung menschlicher Kommunikationsmöglichkeiten sowie Erfahrungsräume zugeschrieben (Daniels 2002: 38ff). Davon ausgehend forderte Pasuchin, bei künstlerisch-medienpädagogischen Initiativen den Fokus keinesfalls auf den Einsatz medialer Tools zu legen und sich auch erst in einem zweiten Schritt mit der Auswahl künstlerischer Ausdrucksformen auseinanderzusetzen. Der erste Schritt sollte seiner Ansicht nach hingegen immer darin bestehen, sich zu fragen, was man ausdrücken will bzw. welche Inhalte man transportieren möchte (vgl. Pasuchin 2012b:16ff.). Mit dem Thema Bildungsbenachteiligung hängt dieses Konzept insofern unmittelbar zusammen, als es viele Jahre lang an Schulen umgesetzt wurde, die von Kindern und Jugendlichen besucht werden, die von sozioökonomischer Ausgrenzung betroffen sind. Zu den daraus resultierenden Erkenntnissen gehörte u.a., dass sich Pasuchin vom Begriff der Bildungsbenachteiligung distanzierte, da er ihm zufolge die Tatsachen verharmlose. Stattdessen verwendet er in solchen Kontexten inzwischen den Terminus Bildungsdiskriminierung, den er auch theoretisch untermauerte (Pasuchin 2019).
Kritische Kultur- und Medienpädagogik als Herausforderung
An den bisherigen Ausführungen wurde deutlich, dass die meisten kunst-, kultur- und medienpädagogische Konzepte als „Spiegel ihrer Zeit“ betrachtet werden können. Ansätze in der Art von ‚Visueller Kommunikation‘ und ‚Alternativer Medienarbeit‘ waren unmittelbar mit den sozialen Umbrüchen der 1970er-Jahre verknüpft. Die Umbenennung des letzteren Zugangs in ‚Aktive Medienarbeit‘ in den 1980er Jahren sowie die damit einhergehende Abkehr der Medienpädagogik von der Medien- und Gesellschaftskritik zugunsten einer technologie- und kultureuphorischen Haltung, die Mitte der 1990er-Jahre ihren Höhepunkt erreichte, hing eng zuerst mit der konservativen (Rück-)Wende der Politik und danach mit der neoliberalen Umgestaltung der Gesellschaft in dieser Epoche zusammen. Noch offensichtlicher wird der entsprechende Konnex an den Anlehnungen an Utopien des Aufkommens der Informations- und Netzwerkgesellschaft im Positionspapier zum Programm „Kulturelle Bildung im Medienzeitalter“ aus dem Jahre 1999. Die Schwerpunktsetzung auf das Thema Bildungsbenachteiligung bzw. -diskriminierung im Verlauf der 2000er Jahre kann schließlich als ein Anzeichen der Ernüchterung hinsichtlich der Verheißungen der entfesselten Marktwirtschaft interpretiert werden. Denn damit ging sowohl innerhalb der Medienpädagogik (siehe z.B. Schell 2008) als auch der Kulturpädagogik (siehe z.B. Fuchs 2008:91ff) eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage einher, wie sozial, ökonomisch und kulturell ausgeschlossenen Bevölkerungsschichten eine Partizipation an gesellschaftlichen Prozessen ermöglicht werden könnte.
Die 2010er Jahre waren von der kommerziellen Durchsetzung internetbasierter Technologien geprägt, wobei der finanzielle Erfolg so genannter „sozialer Medien“ vorrangig auf der Verwertung der Daten von Nutzer:innen basierte (Stichwort „Big Data Analytics“), weswegen auch vom Aufschwung des „Datenkapitalismus“ die Rede ist (Dander 2020). Die Abwehr gegen die damit zusammenhängenden Entwicklungen im Bildungs- und Kulturbereich mündete Mitte der 2010er in der Entstehung von Konzepten, die als ‚Kritische Kulturpädagogik‘ (Fuchs/Braun 2017) sowie ‚Kritische Medienpädagogik‘ (Niesyto 2017a) bezeichnet werden. Dabei ist es im Kontext der hier behandelten Thematik besonders bemerkenswert, dass in ihrem Zuge Kultur- und Medienpädagog*innen aufs Engste kooperieren. Das zeigt sich z.B. daran, dass einige der (meinungs-)führenden unter ihnen – und hier allen voran Max Fuchs sowie Horst Niesyto – im Jahre 2021 gemeinsam die Initiative „Bildung und digitaler Kapitalismus“ gründeten (Pohlmann o.J.a). Das Ziel dieser Plattform besteht darin, „digital-kapitalistische Formationsprozesse in kritischer Perspektive zu thematisieren und gleichzeitig alternative, nachhaltige Entwicklungspfade […] zu fördern“ (Pohlmann o.J.b). Von einem solchen Standpunkt aus betrachtet, stießen zahlreiche frühere kultur- und medienpädagogische Positionen auf Ablehnung. An den zentralen Diskurslinien der Medienpädagogik seit den 1980er-Jahren beanstandet Niesyto (2017b:5), dass in ihrem Rahmen „die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Veränderungsprozessen subjekttheoretisch verkürzt geführt“ wurde bzw. eine Vernachlässigung „analytische[r] Bezüge zu gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturfragen“ stattfand. Auch innerhalb der Kulturpädagogik wurden einige der vorhin behandelten Konzepte massiv angegriffen – nicht zuletzt jenes der ‚Lebenskunst‘, das an der Jahrtausendwende Hochkonjunktur hatte. Zum Beispiel bemängelt Zürner (2015) an dieser Ausrichtung, dass sie eine „Affirmation“ der politökonomischen Verhältnisse impliziert bzw. sogar das gesamte Feld der Kulturellen Bildung „vollends den […] ‚neoliberalen‘ Strukturen unterwirft“.
Die „Instauration des Kritikbegriffs“ (Ruge 2017:115) führte zu einer teilweisen Renaissance der Ideologiekritik der 1970er-Jahre. Zum Beispiel beklagen die Herausgeber*innen eines Sammelbandes, in dem es um „blinde Flecken“ der Medienpädagogik geht, dass sich dieser Bereich „nach dem Verschwinden der ‚Kritischen Theorie‘ und ihrer Auseinandersetzung mit der ‚Kulturindustrie‘“ zu wenig mit problematischen gesellschaftlichen Entwicklungen im Kontext der Medien beschäftigt habe (Kommer et al. 2017:vii). Gleichzeitig warnen sie jedoch vor einem „Rückfall in allzu plumpe Medienschelte semi-frankfurter Provenienz“ (ebd). Daran tritt eine enorme Ambivalenz zum Vorschein, die dem gesamten Diskurs um die Kritische Kultur- und Medienpädagogik innewohnt: Man will bzw. muss an der Tradition vor der Zeit des neokonservativen Rollbacks anknüpfen, erlebt aber zugleich viele der damaligen Konzepte als absolut nicht mehr zeitgemäß.
Das damit einhergehende Dilemma im Hinblick auf die Praxis wird bereits an den Positionierungen von Baacke erkennbar, die er 1999 (d.h. kurz vor seinem Tod) zum Thema Projektmethode veröffentlichte. Baacke, der in seinem eigenen Medienkompetenzmodell die Fähigkeit zur Medienkritik an die erste Stelle setzte (Baacke 1997:98), postulierte dabei einerseits, dass Medienkompetenz „nur und ausschließlich über Projektarbeit umzusetzen“ sei (Baacke 1999a:35). Andererseits räumte er aber auch ein, dass medienkritische Fähigkeiten im Rahmen von (Medien-)Projekten kaum erworben werden können. Er vertrat sogar die Meinung, dass „die Funktionslust, die Kinder und Jugendliche beim Umgang mit Kommunikations-Apparaten erleben, eine reflektierende Distanz […] eher ausschließt“ (Baacke 1999b:92). Abseits eines – weder innerhalb der Kultur- noch der Medienpädagogik erwünschten – Rückgriffs auf Zugänge in der Art der ‚Ideologiekritischen Pädagogik‘ und der ‚Visuellen Kommunikation‘ stellt der Bedarf der Förderung kritischer Kompetenzen für die kultur- und die medienpädagogische Praxis folglich eine enorme Herausforderung dar.
Aktuelle Querschnittsthemen und Entwicklungspotenziale
Trotz zahlreicher Vorarbeiten wird angesichts dieses Dilemmas deutlich, dass es auf dem Weg zur Entwicklung eines zeitgemäßen und v.a. praxisrelevanten Konzepts ‚kulturell-medialer Vermittlung‘ noch einige Hürden zu überwinden gilt. Erschwerend kommt hinzu, dass es nach wie vor einige gegenseitige Vorbehalte zwischen Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen gibt, die im Bereich der Kulturpädagogik auf der einen und auf dem Gebiet der Medienpädagogik auf der anderen Seite tätig sind. Die zwei wichtigsten, (bis) heute zu beobachtenden entsprechenden Vorurteile werden in den folgenden Abschnitten zuerst behandelt, wonach die Auseinandersetzung mit der gerade aufgezeigten Ambivalenz erfolgt. Diese Ausführungen beschränken sind jedoch nicht auf die Aufzählung der Probleme. Vielmehr sind sie auf das Darstellen von theoretischen und praktischen Lösungsansätzen sowie Entwicklungspotenzialen ausgerichtet, die sich aus aktuellen kultur- und medienpädagogischen Diskussionen sowie Zugängen ergeben und Möglichkeiten eröffnen, das Querschnittsfeld der ‚kulturell-medialen Vermittlung‘ konzeptionell auszubauen. Gleichzeitig resultiert daraus die Chance der Anbindung entsprechender Überlegungen sowohl an internationale als auch an künstlerische bzw. kunsttheoretische Diskurse.
1. Ansatz: Virealität/Postdigitalität
Das erste Problem wurde bereits an der – zu Beginn des vorliegenden Artikels zitierten – Aussage von Reinwand-Weiss (2019) erkennbar, der zufolge die Begriffe Kulturelle Bildung und Digitalisierung „so weit entfernt scheinen wie die Erde vom Mond“. Damit ist der Vorbehalt vieler Vertreter*innen der Kulturellen Bildung gegenüber der Medienpädagogik angesprochen, dass die letztere zu sehr auf Technologien bzw. das Virtuelle fokussiert sei und das Menschliche bzw. Reale vernachlässige. Als Gegenargument kann ins Feld geführt werden, dass die von Reinwand-Weiss (2019) erwähnte „Reduzierung auf Eins und Null“ (wie aus den bisherigen Ausführungen ersichtlich wurde) keinesfalls einen medienpädagogischen Schwerpunkt bildet und auch der Begriff der Digitalisierung sowie insbesondere der Ausdruck „Digitale Bildung“ in großen Teilen des medienpädagogischen Diskurses auf Ablehnung stößt (siehe z. B. Hartung-Griemberg/Schorb 2018; Allert/Richter 2017).). Andererseits ist es nicht von der Hand zu weisen, dass innerhalb der Medienpädagogik die Auseinandersetzung mit technischen Aspekten per se eine zentrale Rolle spielt.
Einen Ansatz, wie dem gegenseitigen Ausspielen des Digitalen/Analogen bzw. Virtuellen/Realen entgegengetreten werden kann, hat Wolfgang Zacharias bereits im Jahre 2001 in seinem vorhin zitierten Artikel zur anthropologischen Fundierung des Konzepts der ‚Kulturellen Medienbildung‘ vorgelegt. Darin plädierte er für das Anknüpfen am (vom Künstler sowie Kunst- und Medientheoretiker Peter Weibel Ende der 1990er-Jahre kreierten) Ausdruck „Virealität“. Dieser Begriff, den Zacharias (2001b:68) als „amalgamierte Ganzheit, als Mix aus Realität […] und Virtualität“ definiert, konnte sich innerhalb der Kultur- und Medienpädagogik nicht durchsetzen. Gegen Ende der 2010er-Jahre avancierte jedoch der Terminus „Postdigitalität“ (der analog zu „Virealität“ kunsttheoretischen Diskursen entstammt – siehe Cramer, 2014) in der akademischen Diskussion der beiden Felder und hier v.a. in jener zur Kulturellen Bildung in kürzester Zeit zu einem Leitbegriff. Jörissen (2017) zufolge diene „Postdigitalität“ als Beschreibung des aktuellen Zustands, „in dem die Digitalisierung so weit abgeschlossen ist, dass das Digitale eine omnipräsente, ubiquitäre Infrastruktur darstellt“. Genau mithilfe dieses Terminus argumentiert Reinwand-Weiss (2019), warum pädagogische Überlegungen im Hinblick auf die Kultur und die Medien doch nicht so weit auseinanderliegen, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. Denn ihrer Ansicht nach denken und handeln Menschen „mittlerweile in einem analog-digitalen Möglichkeitsraum, in dem das Digitale und Analoge ineinander übergehen, sich ergänzen, verschwimmen“ (Reinwand-Weiss 2019).
Reinwand-Weiss (2019) bindet den entsprechenden Diskurs explizit an anthropologische Ansätze, indem sie betont, dass die Digitalisierung ein „menschengemachter Wandel“ sei. Gleichzeitig fordert sie, „gegen eine digitale Bildungsideologie aufzubegehren, die pädagogisch verteufelt, was nicht digital daherkommt.“ Das korrespondiert mit der Interpretation vieler Kolleg*innen, die den hier behandelten Begriff in Opposition zu jenem der Digitalisierung setzen und die Meinung vertreten, dass die Perspektive der Postdigitalität „die Euphorie um das Digitale […] samt ihrer Heilsversprechen Künstlicher Intelligenz […] weitestgehend zurückweist“ (Ackermann/Egger 2021:6). Somit erscheint diese Diskussion im höchsten Maße anschlussfähig an jene zur Kritischen Kultur- und Medienpädagogik. Es ist jedoch zu bedenken, dass auch gegenteilige Begriffsauslegungen existieren. So berief sich der Komponist Kim Cascone (2000), der den Terminus Postdigitalität (abgeleitet von Beobachtungen zeitgenössischer Entwicklungen der Computermusik) bereits in einem Artikel aus dem Jahre 2000 einführte, dabei auf Negroponte. Letzterer postulierte, dass die Menschheit schon gegen Ende des 20. Jahrhunderts an der Schwelle zu einem „digital age“ stand, in dem die Technik unser gesamtes Leben durchdringt und folglich unser Dasein vollkommen (vorher-)bestimmt (Negroponte 1998).
2. Ansatz: Medienkunst/(Post-)Digitale Kunstpraktiken
Ein Vorbehalt, der innerhalb des medienpädagogischen Feldes gegenüber jenem der Kulturellen Bildung häufig zu vernehmen ist, besteht darin, dass letzterer Bereich auf die Künste im Sinne elitärer Hochkultur fokussiert sei. Damit gehe der Anspruch einher, „das Schöne zum beherrschenden Gesetz“ zu machen (Meyer:1995:53), was in einem eklatanten Widerspruch zum offenen Ästhetikverständnis innerhalb der Medienpädagogik stehe. An den bisherigen Ausführungen zur Kulturpädagogik wurde zwar ersichtlich, dass im entsprechenden Diskurs ein sehr weiter Kulturbegriff vorherrscht, der über die Auseinandersetzung mit den Künsten im klassischen Sinne deutlich hinausgeht. Auf der anderen Seite ist es aber auch eine Tatsache, dass die Künste zum „Kern der kulturellen Bildungsarbeit“ gehören (Fuchs, 2015:131).
Der darauf bezogene (Lösungs-)Vorschlag, wie das Konzept der ‚kulturell-medialen Vermittlung‘ theoretisch fundiert, vor allem aber praktisch weiterentwickelt werden könnte, hängt noch enger mit künstlerischen und kunstwissenschaftlichen Diskursen zusammen, als es beim ersten Ansatz der Fall war. Denn er besteht in der Anregung eines Anschlusses an aktuelle Entwicklungen in letzteren Feldern. Diese Idee ist keineswegs neu. Wie zuvor angesprochen, wurde bereits in den 1970er Jahren im Rahmen der ideologiekritischen medien- und kunstpädagogischen Praxis versucht, an damaligen Zugängen der (Medien-)Kunst anzuknüpfen. Wie auch erwähnt, war dieses Ansinnen nicht von Erfolg gekrönt, was darauf zurückgeführt wird, dass sich derartige Ausdrucksformen an der Avantgarde ihrer Zeit orientierten, die ästhetisch in Opposition zum breiten Kulturgeschmack stand. Gleiches Schicksal ereilte ähnliche Bemühungen Anfang der 2000er-Jahre, als die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) eine Jahrestagung unter dem Motto „media art meets media education“ (ArtHist, 2003) veranstaltete und der Kulturpädagoge Ulrich Spormann (2003:382) postulierte, dass die „Medienkunst […] geradezu modelltypisch die Integration der verschiedenen Aspekte von Medienkompetenz darstellt“. Auch das könnte damit erklärt werden, dass die Medienkunst an der Jahrtausendwende noch größtenteils auf der Abgrenzung von der Populär- und der Alltagskultur basierte.
Das änderte sich im Verlauf der 2000er-Jahre beträchtlich, wobei innerhalb des Kunstdiskurses der Begriff der Medienkunst (selbst-)kritisch hinterfragt und größtenteils ad acta gelegt wurde. So bezeichnete der Kunst- und Medientheoretiker Stefan Heidenreich (nach Daniels 2011:1) im Jahre 2008 die Medienkunst als einen (inzwischen ausgestorbenen) „Dinosaurier“. Seiner Ansicht nach gebe es „genug gute Kunst, die ganz selbstverständlich Medien einsetzt. Aber es gibt keine Medienkunst“. Stattdessen ist heute vorrangig von „(post-)digitalen Kunstpraktiken“ die Rede, welche „die Computertechnik zum Ausgangspunkt nehmen, um durch sie bedingte und über sie hinausgehende Fragestellungen ästhetisch neu zu verhandeln“ (Ackermann et al., 2019, S. 173). Zu solchen Strategien zählt der Einsatz zahlreicher Ausdrucksformen, die zur aktuellen Alltagskultur junger Menschen gehören, wie aus verschiedenen (zumeist populären) Medienproduktionen zusammengestellte Collagen, in Eigenregie produzierte YouTube-Videos, Memes etc. (vgl. Jörissen/Unterberg 2019:18). Dass sich derartige Ansätze sehr gut in eine Praxis der ‚kulturell-medialen Vermittlung‘ integrieren lassen, die an den Interessen und Vorlieben von Kindern und Jugendlichen orientiert ist, wird nicht zuletzt am Aufschwung des „Creative Gaming“ erkennbar – ein Zugang, „der Gameskultur, Medienkunst und Medienpädagogik vereint und […] die Spiellust des Gamers, den Perspektivwechsel des Künstlers und den bewussten Einsatz des Medienpädagogen zusammenfasst“ (Hedrich, 2015).
Von der Warte der kritischen Kultur- und Medienpädagogik aus betrachtet, ist hinsichtlich dieses Punktes jedoch zu empfehlen, Lehren aus der Geschichte bisheriger Konzepte in der Art der ‚kulturell-medialen Vermittlung‘ zu ziehen. Denn die Anerkennung und Wertschätzung der Faszination, die Kinder und Jugendliche beim – wie es Baacke (1999b:92) formulierte – „Umgang mit Kommunikations-Apparaten“ erleben, darf keinesfalls in eine Affirmation sämtlicher Kontexte und Implikationen der Anwendungen solcher Technologien münden.
3. Ansatz: Differenzerfahrungen/Kreative Kollisionen
Eine Möglichkeit, mit dieser Ambivalenz (und damit mit dem im Abschnitt zur Kritischen Kultur- und Medienpädagogik angesprochenen Dilemma) produktiv umzugehen, kann mit dem Begriff der „kreativen Kollisionen“ gefasst werden. Letzterer Ansatz wurde ausgehend von einem empirischen Forschungsprojekt entwickelt, im Zuge dessen verschiedene Medienkünstler*innen längere Workshops an einer städtischen Mittel- bzw. Hauptschule durchführten, die manche von ihnen mehrmals wiederholten. Unter anderem kam dabei der Zugang des „Creative Gaming“ intensiv zum Einsatz. Im Verlauf der Auswertung der qualitativ erhobenen Daten erfolgte jedoch die Konzentration auf die Arbeit eines Künstlers, der die Schüler*innen mit Ausdrucksformen konfrontierte, die für sie höchst fremd waren, wovon ausgehend sie eigene (post-)mediale Produktionen gestalteten. Der Grund für die entsprechende Fokussierung bestand in den Beobachtungen, dass viele der Beteiligten mit enormer Begeisterung an diesen Workshops mitwirkten, obwohl die Projekte ästhetisch vorrangig an der Avantgarde angelehnt waren. Das war u.a. insofern überraschend, als es im Widerspruch zu den bisherigen Erklärungen für das Scheitern von Praxiskonzepten der ‚Alternativen Medienarbeit‘ und von sämtlichen früheren Bemühungen innerhalb der Kultur- und der Medienpädagogik stand, an der zeitgenössischen (Medien-)Kunst anzuknüpfen (vgl. Pasuchin 2021:226ff.).
Der Begriff der „kreativen Kollisionen“ bildet die Quintessenz der durch derartige Beobachtungen ausgelösten theoretischen Auseinandersetzungen. Dieser Terminus wurde von der pragmatistischen Wissenschaftstheorie und hier vorrangig von John Deweys (in seinem Schlüsselwerk „Art as Experience“ aus dem Jahre 1934 aufgestelltem) Postulat abgeleitet, dass schmerzhafte Erlebnisse genossen werden können, wenn mit ihnen nachhaltige Erfahrungen verbunden sind (Dewey 1980:41). Von der Perspektive der ‚kulturell-medialen Vermittlung‘ aus betrachtet, geht es im Speziellen darum, ästhetische Kollisionen bis hin zu Schocks zu initiieren. Im Zuge dessen ist in Kauf zu nehmen, dass ein solcher Zugang – wie im Rahmen der untersuchten Workshops manchmal zu beobachten war – auch auf Ablehnung und massiven Widerstand der Adressat*innen stoßen kann. Denn im Falle, dass Menschen sich auf derartige Erfahrungen einlassen, können sie Pasuchin (2021:12) zufolge „zur Erweiterung persönlicher Denk- und Handlungsperspektiven führen […], wobei gerade Letzteres höchst positive Emotionen auszulösen vermag.“
Dieser Ansatz ist genau so wenig revolutionär, wie die bisher dargestellten Lösungsvorschläge für das angesprochene Dilemma. Vielmehr stellt er eine (zugespitzte) Weiterentwicklung von Ideen und Idealen dar, die im aktuellen Diskurs sowohl innerhalb der (schulischen) Pädagogik künstlerischer Fachbereiche als auch der Kultur- und Medienpädagogik unter Zuhilfenahme des Begriffs „Differenzerfahrung“ verhandelt werden. Die Musikpädagogin sowie Kulturtheoretikerin Ursula Brandstätter (2013) nutzt diesen Terminus, um die (ihrer Ansicht nach wesentliche) Funktion der Künste hervorzuheben, „traditionelle Wahrnehmungs- und Denkweisen aufzubrechen. Das Gewohnte wird in Frage gestellt, das Vertraute wird fremd gemacht, Irritationen sollen zu einer Umstrukturierung der Wahrnehmung und des Denkens führen.“ Auch einige Kultur- und Medienpädagog*innen verweisen auf das „bildungstheoretisch zentrale Ereignis der Aufhebung von Gewissheiten, Sichtweisen und Orientierungsmustern“ (Jörissen 2015:56; siehe auch Hartung-Griemberg/Schorb 2017:279f.).
Derartige Zugänge bergen das Potenzial, auf Faszination ausgerichtete und kritisch orientierte kultur- und medienpädagogische Ansätze miteinander zu verknüpfen. Dabei ist es nicht vorrangig anvisiert, problematische soziale Entwicklungen direkt zu thematisieren. Wie Susanne Keuchel (2018) – mit Verweis auf den (auch pädagogischen) Missbrauch der Kunst und Kultur im Nationalsozialismus – betont, „tut eine demokratische Gesellschaft gut daran, politische und kulturelle Bildung zu trennen“. Davon kann abgeleitet werden, dass gesellschafts- und medienkritische Kompetenzen im Rahmen des Konzepts der ‚kulturell-medialen Vermittlung‘ v.a. indirekt gefördert werden können und sollen – über den (Um-)Weg der Steigerung der Ambiguitätstoleranz. In Berufung auf eine Publikation des Rates für Kulturelle Bildung schreibt Reinwand-Weiss (2016), dass eine solche Fähigkeit sich im Rahmen ästhetischer Vermittlungsprozesse auf Basis dessen zu entwickeln vermag, dass „Kunstwerke überraschen, frustrieren und überfordern“ und damit die Chance bieten, „einen bis dahin ungeahnten Zugang zur Welt zu entdecken.“ Der Ansatz der „kreativen Kollisionen“ kann als eine Möglichkeit betrachtet werden, derartige Prozesse gezielt auszulösen.
Fazit zum Sinn und Unsinn von Theorieentwicklung
Vor dem Hintergrund der Einsicht in die unmittelbare Koppelung der zu Beginn des vorliegenden Beitrags dargestellten Theorien an allgemeine gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Tendenzen der jeweiligen Epoche ist das kritische Hinterfragen dessen angebracht, welchen Sinn es macht, sich um ihre Entwicklung zu bemühen. Häufig erscheint es, dass der Zweck wissenschaftlicher Theorien lediglich darin besteht, die Ausrichtung der Praxis an entsprechenden Bedarfen zu legitimieren, wozu auf philosophische Konstrukte, politische Postulate und/oder ökonomische Lehrmeinungen zurückgegriffen wird. Wenn das zutrifft, tragen sie kaum etwas zum Fortschritt sowohl des wissenschaftlichen Diskurses als auch zur Weiterentwicklung des Praxisfeldes bei und könnten folglich als entbehrlich betrachtet werden. Das tangiert zum Teil ebenso aktuelle Versuche, die ‚Kritische Kulturpädagogik‘ und die ‚Kritische Medienpädagogik‘ theoretisch zu fundieren. Auch die beste argumentative Untermauerung der Ansicht, dass der digitale Kapitalismus zahlreiche negative Auswirkungen aufweist, wird wenig dazu beitragen, sich neues Wissen und v.a. neue Handlungsoptionen zu erschließen. Ohne Reflexion ähnlicher Positionierungen und darauf aufbauender sowohl theoretischer als auch praktischer Konzepte der 1970er Jahre besteht vielmehr Gefahr, die Fehler zu wiederholen, die damals dazu führten, dass solche Ideen und Ideale schnell ad acta gelegt bzw. in ihr Gegenteil verkehrt wurden.
Einen möglichen Lösungsansatz bieten Zugänge in der Art der ‚hegemoniekritischen Kunst- und Kulturvermittlung‘, in deren Rahmen sich die Kritik nicht nur gegen gesellschaftliche Missstände, sondern auch gegen zahlreiche Axiome bzw. Legitimationsfiguren der internen Diskussion richtet. Nicht zuletzt befragen die Vertreter*innen dieses Konzepts die „Heroisierungen emanzipatorischer pädagogischer Ansätze“ – das heißt jene eigenen aktuellen Herangehensweisen, die in den Diskursen der 1970er-Jahre verankert sind – „auf ihre Anschlussfähigkeit an neoliberale Verhältnisse“ (Mörsch, 2012). Das korrespondiert mit der pragmatistischen Wissenschaftstheorie, die von Forschenden eine radikal-selbstkritische Haltung einfordert, um die eigene Kreativität anzuregen und somit zu (wenigstens für sie selbst) überraschenden und folglich neuen Erkenntnissen zu gelangen (vgl. Dewey 2008). Von der Perspektive des Pragmatismus aus besteht die Grundvoraussetzung für derartige Prozesse in der Erprobung der eigenen Hypothesen in der Praxis und in der Offenheit dafür, dass sie sich dabei als unhaltbar erweisen. Nur von den entsprechenden Kollisionen ausgehend wird das Ausarbeiten von Theorien im Sinne „intellektueller Werkzeuge“ zwecks Bewältigung konkreter Situationen als möglich erachtet (vgl. Dewey 1929:20f.). Ein konsequenter Einsatz dieses Zuganges birgt die Gefahr des Scheiterns und damit einhergehender Frustrationen, weswegen er von den Forschenden selbst eine hohe Ambiguitätstoleranz abverlangt. Jedoch kann er gerade bezogen auf das Querschnittsfeld der ‚kulturell-medialen Vermittlung‘, in dem Kompetenzen des produktiven Umgangs mit Ambivalenzen und Kontingenzen eine zentrale Rolle spielen, viel dazu beitragen, tatsächlich praxisrelevante Theorien (weiter) zu entwickeln und davon ausgehend diesen Bereich konzeptionell auszubauen.