Seniorenprogramme an Museen: Zur Konstruktion von Alter und der Herausforderung, ein überholtes Altersbild zu überwinden
Was suchen Senioren im Museum? Wissen, Unterhaltung oder viel mehr und ganz anderes? Die empirische Besucherforschung zeigt, dass die Programme zwar Informationen zu Exponaten und Themen vermitteln, aber auch Möglichkeiten der Alltagsstrukturierung bereithalten. Gleichzeitig dienen sie der Distinktion zu Gleichaltrigen, stellen Herausforderung dar, schaffen eine Gegenwelt zum Alltag und erweisen sich in großem Maße als anregende Orte, über sich selbst zu reflektieren. Museen als Orte der Identitätssuche? Deutet sich damit vielleicht ein Paradigmenwechsel an? Esther Gajek hat in ihren Forschungen einen ethnographischen Zugang gewählt: Teilnehmende Beobachtung und biographische Gespräche mit fünfzig Besucherinnen und Besuchern ermöglichen einen differenzierten Blick auf die Erfahrungen, die Menschen über 65 im Tempel des Wissens machen (vgl. die Veröffentlichung ihrer Dissertation „Seniorenprogramme an Museen: Alte Muster neue Ufer“, Münster 2013.) Viele der regelmäßigen Vermittlungsangebote konstruieren durch Ansprache der Gruppe, Inhalte und Methoden ein überholtes Altersbild, während sich die Generation der neuen Alten nicht mit Frontalführungen und Kaffeeklatsch zufrieden geben möchten, sondern Interaktion, Partizipation und Führungen auf Augenhöhe fordern. Hier gilt es, zwischen Fremdbild und Selbstbild zu vermitteln und neue Formate zu finden – zum Nutzen der Zielgruppe und für die Museen selbst.
Nach den Erkenntnissen von Ester Gajek zeigen die Konstruktionen von Alter in musealen Seniorenprogrammen Folgendes:
Sie heißen „SilberBlick“, „Kulturschmaus am Nachmittag“ oder „Salongeschichten“. Bevorzugt finden die Angebote nachmittags statt, vor allem in Großstädten. Zu manchen Veranstaltungen erscheinen 15 Personen, zu anderen über hundert. In der Mehrzahl nehmen Frauen teil, einige seit über zwanzig Jahren, Monat für Monat. Viele Personen ohne Bewegungseinschränkungen erscheinen, aber auch ein kleiner Teil Rollstuhlfahrer und Benutzer von Gehhilfen. Eine gewisse Anzahl der Programme findet außerhalb, in Heimen und Treffpunkten statt. Meist wird eine Führung angeboten, oft auch ein Vortrag, seltener ein gestalterisches Arbeiten.
Die Rede ist von Seniorenprogrammen an deutschen Museen. Im Zuge einer wachsenden Zahl älterer Menschen innerhalb der Gesellschaft, auf der Suche nach neuen Besucherkreisen und in Erfüllung kulturpolitischer Forderungen haben viele Museen in Deutschland eine neue Zielgruppe für sich entdeckt: Männer und Frauen in der nachberuflichen bzw. nachfamilialen Phase. Diese bedienen sie mit einem eigenen Programm, das regelmäßig stattfindet.
Handelte es sich bis vor circa zehn Jahren bei diesem Angebot in Museen eher um Ausnahmen, so gehören Veranstaltungen, die für diese Zielgruppe angekündigt werden, inzwischen fast zum Pflichtakt vor allem (groß)städtischer Kunst- und kulturgeschichtlicher Häuser, die über eigene Vermittlungsabteilungen verfügen.
An den Namen der Reihen, die in den letzten Jahren entstanden sind und hier stellvertretend für andere ausgesucht wurden, lässt sich die Verschiedenheit der Angebote ablesen. Es wird aber auch deutlich, wie schwierig es zu sein scheint, die Gruppe adäquat anzusprechen. Ob mit Augenzwinkern wie bei „SilberBlick“, ob umschreibend wie bei „Generation 50 plus Kunst“, ob zu kulinarischen Assoziationen anregend wie bei „Kunstgenuss“, „Kulturschmaus am Nachmittag“, und „Museums-Melange“, ob Erzählerisches anklingen lassend wie bei „Salongeschichten“, ob Erinnerungen an ein Lied aus der Jugend beschwörend wie bei „When I’m 64“, oder spitzfindig auf das Überschreiten eines gewissen Lebensjahres hinweisend wie bei „ü 55“ – auffällig ist, dass bei diesen Beispielen die Bezeichnung „Seniorenprogramm“ bewusst vermieden wird. In vielen Museen kennt man die Empfindlichkeiten der Zielgruppe: „Sie wissen, dass sie es sind, aber sie wollen nicht so genannt werden“, betonte eine Vermittlerin. An anderen Häusern wiederum geht man offensiv mit dem Begriff „Senioren“ um: Er erscheint direkt im Titel („Seniorenkolleg“, „Führung für Senioren“, „Seniorenprogramm +60-Führungen“) oder im Untertitel („Jour fixe. Workshop für Senioren“).
Viele Ankündigungen der Programme auf den jeweiligen Homepages der Museen oder auf eigens gedruckten Faltblättern verweisen darauf, dass Stühle zur Verfügung stünden, man sich bei der Führung Zeit ließe, nur wenige Objekte ansehen würde, dass auch für Kaffee und Kuchen gesorgt sei, die Teilnehmerzahl begrenzt werde oder dass im Anschluss noch Gelegenheit zum Austausch gegeben sei. Alle Angebote für diese Zielgruppe finden vormittags oder nachmittags statt. Schließt man von diesen Rahmenbedingungen der Seniorenprogramme auf das Bild der Zielgruppe, das darin enthalten ist, so ergibt sich folgendes: Männer und Frauen außerhalb des Berufslebens brauchen, wenn sie in ein Museum gehen, Stühle, weil sie nicht mehr so lange stehen können; sie wollen nicht mit zu vielen Exponaten konfrontiert werden und möchten sich im Anschluss bei Kaffee und Kuchen stärken und austauschen; sie schätzen es, wenn die Gruppe nicht zu groß ist, und wollen vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause sein.
Seniorenprogramme haben, auch das ist ein Befund, unter wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen an Museen einen eher schlechten Stand. Die folgende Aussage einer ehemaligen Kustodin steht für viele ähnliche: „Ich selbst würde diese Angebote nicht nutzen wollen, ich gehe lieber mit jüngeren Leuten oder allein [ins Museum]. Ich bin nicht sicher, ob Seniorenprogramme der richtige Ansatz sind. Ich jedenfalls will nicht im Museum Kaffeetrinken und auch nicht basteln.“ Die Meinung deckt sich mit der von habituellen Museumsbesucher/innen. Auch diese haben zum Teil Schwierigkeiten mit dem Konzept, das sie – wie es z.B. hieß – als „Ghettoisierung“ betrachten und ablehnen, und selbst Teilnehmende musealer Seniorenprogramme, so berichten VermittlerInnen und die Fachliteratur (vgl. Schmidt, Zemann 1988: 279f.), wollen nicht als „SeniorInnen“ bezeichnet werden.
Es kommt nicht von ungefähr, dass die Titulierung mit dem Wort „Senior“ dazu beiträgt, Vorbehalte zu entwickeln. Mitte des 19. Jahrhunderts ist der Begriff schon belegt, jedoch nur in eingeschränktem (eher positivem) Zusammenhang. Kurz nach der Jahrtausendwende mehren sich nicht nur die Zahl der Belege, z. B. in den Lexika, es ist auch ein vollständiger Wechsel der Bedeutung erfolgt: Komposita wie „seniorengerecht“, „Seniorennachmittage“ oder „Seniorenheim“ betonen den Kontext der Gebrechlichkeit. Besteht bei diesen und auch anderen zusammengesetzten Nomina mit dem Begriff „Senior“ die Tendenz, dass mit den Personen, auf die verwiesen wird, „etwas gemacht werden [soll] – sie erscheinen als Objekte von psychischer wie physischer Betreuung“ (Linke 2003:o.S.) –, so gilt das auch für den Begriff „Seniorenprogramm“. Zwar kann er die Teilnehmenden als Handelnde implizieren, die sich selber um ihr Programm kümmern und dieses eigenverantwortlich durchführen, doch im gängigen Verständnis knüpft das Kompositum eher an die passive Rolle an, die der Gruppe beigemessen wird. Was durchaus fürsorglich gemeint ist – der Hinweis auf Sitzmöglichkeiten und Ruhe –, entpuppt sich damit rasch als kontraproduktiv. Da sich die Zielgruppe selbst als wesentlich aktiver empfindet, als sie gesehen wird, und weil sie sich nicht mit einer im Begriff enthaltenen Passivität oder gar Hilfsbedürftigkeit identifizieren will, tendieren viele dazu, das als Seniorenprogramm bezeichnete Angebot nicht als gutgemeinte Absicht zu interpretieren, sondern reagieren darauf mit Abwehr.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Das Angebot an Seniorenprogrammen ist – gemessen an der Zahl potentieller Teilnehmende – eher gering; es zeichnet sich dadurch aus, dass vor allem die körperlichen Spezifika des Alters betont werden; zudem beinhalten alle Programme Aspekte von Wertschätzung; in Bezug auf Inhalte und Methoden besteht kaum Spezifik; es herrscht ein geringer Kenntnisstand über die Gruppe.
Nach dieser kurzen allgemein gehaltenen Einschätzung sei im Folgenden der Fokus auf zentrale Aspekte der Seniorenprogramme gelenkt. In der Konfrontation gegensätzlicher Begriffe deutet sich das Spektrum an, in dem sich die Programme hinsichtlich der Blicke auf die Zielgruppe, Inhalte, Vermittlungsformen sowie des generellen Status‘ bewegen.
Homogen oder heterogen?
So differenziert inzwischen Kinder und Jugendliche von Seiten der Museumspädagogik angesprochen werden, so einseitig die Erwachsene über 65. Wenn für diese Angebote an Museen gemacht werden, hat man dabei in den meisten Fällen aktive, „gut ausgebildete und finanzstarke Menschen“ (Xylander 2006:12) im Blick, die ohnehin schon großenteils zu den StammbesucherInnen gehören. Damit wird jedoch nur ein kleiner Teil der Gruppe bedient, mehr noch: Die vorhandenen Seniorenprogramme „unterstützen und bestätigen […] diejenigen exklusiven Tendenzen und Strukturen, die das deutsche Museumswesen bislang prägen“ (Hentschel 2008: 285f.). Schon durch den Veranstaltungsort Museum bedeutet dies z. B. den Ausschluss von Menschen, die nicht mobil sind. Die eher intellektuell ausgerichteten Programme bauen auch geistige Barrieren auf; ebenso entstehen hier sprachliche Hürden – nicht nur für Migrant/innen, aber für diese erst recht. Die relativ homogene Gruppe, die sich in vielen Häusern mit dem Seniorenprogramm identifiziert, verstellt den Blick auf eine heterogene, große Anzahl von Männern und Frauen. Ob Generation 50+, 60+, oder 65+: Die Zielgruppe umfasst, wenn man auch Hochbetagte einbezieht, zwei bis drei Generationen und zeichnet sich neben ihrer Vielgestaltigkeit durch eine zunehmende Individualisierung aus, wie sie im Alter bestimmend wird.
Defizitär oder kompetent?
Der Diskurs um „SeniorInnen“ im Museum ist geprägt von einer defizitären Sicht auf die Gruppe: der Bedarf an Sitzgelegenheiten, Rollatorenzugänge und große Schriften prägt Ankündigungen von Seniorenprogrammen und bestimmt die Diskussion. Der Blick auf Hocker, Aufzüge und Buchstabengrößen verstellt aber die Sicht auf andere Bedürfnisse der Gruppe: Begegnungsmöglichkeiten, sozialer Kontakt, Bildung, Sicherheit, Herausforderung, Formen der Beteiligung (vgl. Kubicek 2009) oder auch die Beratung bei der Nutzung neuer Medien. Der Kompetenz der Menschen über 65, ihrem Fachwissen und ihrer Lebenserfahrung wird die defizitär bestimmte Sicht der Museen ebenso nicht gerecht.
Dankbar oder fordernd?
Fragt man VermittlerInnen, wie sie die Zielgruppe einschätzen, fällt regelmäßig der Begriff „dankbar“. Das Eigenschaftswort impliziert oft das gegensätzliche Verhalten von Schüler/innen, die nicht freiwillig das Museum besuchen, was sich in ihrem (undankbaren) Verhalten ausdrücken kann. „Es macht Spaß, weil man wirklich den Eindruck hat, es kommt was an von dem, was man sagt.“ Die Teilnehmenden seien einerseits dankbar für die Inhalte, und sie würdigten auch, dass ein Programm extra für sie durchgeführt werde. Handelt es sich etwa bei den Teilnehmenden des gegenwärtigen Angebotes um Personen, die gerne in der Gruppe sind, nicht weiter auffallen wollen, sich bereitwillig unterordnen und auch mit dem Begriff „SeniorIn“ keine Probleme haben? Oder deutet sich hier die Spezifik einer Generation an, die autoritär erzogen wurde, Frontalunterricht gewohnt ist und nicht auf die Barrikaden geht, wenn ihr etwas nicht gefällt? Es bleibt abzuwarten, ob und wie die Generation der „Babyboomer“, die Autoritäten anzweifelt und partizipieren will, noch an Seniorenprogrammen von Museen teilnehmen wird, wenn sie hierarchisch konzipiert sind und kaum Möglichkeiten zur Teilhabe bieten (vgl. Amrhein 2008).
„Vergreist“ oder mitten im Leben?
Das Fremdbild der MuseumsmitarbeiterInnen und das Selbstbild der Teilnehmenden unterscheiden sich erheblich. Wurden die „SeniorInnen“ sogar von einer Vermittlerin als „vergreist“ dargestellt, empfanden sie sich selbst dagegen eher als aktiv und fühlten sich jung. Außerdem hatte das kalendarische Alter der Teilnehmenden oft nur geringen Bezug zu dem subjektiv empfundenen: „Ich bin ja alt, aber ich habe mich nie alt gefühlt“, betonte eine fast Neunzigjährige, und eine 81-Jährige bemerkte: „Also ich hab’ so ein komisches Gefühl von Alter, ich steh einfach neben mir, wenn die Leute so sagen, 81, dann denk ich, das bin ich gar nicht“. Fühlten sich schon zwei Frauen zwischen achtzig und neunzig nicht alt, so erst recht Männer und Frauen zwischen sechzig und siebzig. Diese wollten auf keinen Fall mit „SeniorInnen“ in Zusammenhang gebracht werden: „Senior sehe ich nicht ans Alter gebunden, sondern ich sehe mehr diese passive Haltung […], mehr empfangend und nicht gebend […] Da [zu Seniorenveranstaltungen] gehen Leute hin, weil sie da Programm haben und ihre Zeit ausgefüllt ist“. Die Befragten verstanden sich als vital, ohne „Einschränkungen“ und mitten im Leben stehend: „Als ich sechzig wurde, hab’ ich den Mont Blanc bestiegen: nicht die einfache Route, schon die ausgesetzte. Wir waren alle gleich alt, das Wort ‚Senior‘ haben wir gar nicht gekannt. […] Ich hab mich nie identifiziert mit Menschen, die Einschränkungen haben.“
Wen die Museen als „alt“ empfinden, behandeln und z. T. sogar stigmatisieren, fühlt sich womöglich selber als ‚nicht alt‘ und ‚aktiv‘, weil er sich mit Gleichaltrigen vergleicht, die das Haus nicht mehr verlassen, „passiv“ und „empfangend“ sind oder nicht mehr Sport treiben können. Diese anderen, neuen und sich immer wieder verändernden Bilder von Alter gälte es also zu entdecken und ihnen zu entsprechen, wenn Museen Männer und Frauen über 65 erreichen wollen.
Altes oder Neues?
Was die Inhalte der Seniorenprogramme betrifft, fällt auf, dass eine Gleichsetzung von Zielgruppe (Alte) und Themen (Altes) vorherrscht. Reaktionen auf die Seniorenführung zur aktuellsten Kunst oder die Sequenzen, in denen Gegenwartsforschung erklärt wurde, haben aber gezeigt, dass der Zielgruppe weit mehr zuzutrauen ist, als das gemeinhin angenommen wird. „Die wollen neue Dinge erfahren. Das ist nicht so ein halbes Verabschieden. Viele haben einen Wissensdurst, da können sich Junge eine Scheibe davon abschneiden“, fasste eine Vermittlerin zusammen. In Gesprächen mit deren KollegInnen, die ebenfalls über langjährige Erfahrung mit der Altersgruppe verfügen, wurde auch deutlich, dass sich die Wahrnehmung der Teilnehmende verändert: „Man kann Reserven wieder hochholen […]. Und das Allerschönste: Ihre Vorstellung von Kunst hat sich, seit sie hierherkommen, vollkommen gewandelt. Sie sind offen, sie gehen in die Diskussion. […] Ich habe hier die härtesten Nüsse geknackt. Bei uns gibt es moderne Kunst – die wüstesten Dinge. Die arbeiten sich durch.“ Bei einem Leben, dass zunehmend durch die Folgen des Alterns bestimmt wird, scheint das „Junge“ und „Moderne“ eine besondere Faszination zu haben, wie das Zitat eines über achtzigjährigen Teilnehmers beweist: „Ich bin nicht altmodisch. Ich bin immer auf der neuen Zeit. Ich bin modern. Ich lieb’ das Moderne, nicht das Altertum, das war schon einmal, das ist rum. Aber das Neue, das muss man aufnehmen.“
Bestätigung oder Herausforderung?
In vielen Seniorenprogrammen überwiegen harmonisierende und bestätigende Inhalte. Es bleibt jedoch im Unklaren, warum: Soll die Zielgruppe geschont werden? Doch gerade eine gewisse Unruhe kann gewünscht sein! Bei den Gesprächen mit Teilnehmenden hat sich gezeigt, dass es von diesen sehr geschätzt wurde, eine andere Perspektive vermittelt zu bekommen oder auch nur nach ihrer Meinung gefragt zu werden, ganz so, wie es Frau H. ausdrückt: „Das ist wichtig, dass man auch mal Fragen bekommt. Mich fragt ja kein Mensch. […] Da ist eine Resonanz da, das tut mir gut.“ Sogar körperliche Anstrengung wie das Schneiden eines Linolschnittes oder das Durchhalten einer zweistündigen Veranstaltung kann hier herausfordernd erlebt werden, als außergewöhnliche Erfahrung jenseits von Gebrechlichkeit und Schwäche, die den Tag bestimmen.
Museum bot zwar einen Gegensatz zum Alltag der Befragten, aber eben nicht in Hinsicht auf „Ruhe“ (Furger, Sieber 2007:169) und einen „wohltuend entspannenden Kontrast zur Alltagsumwelt“ (Klein, Bachmayer 1981:136), sondern als Auslöser von Prozessen, die sonst im täglichen Lebensvollzug der Gesprächspartner/innen nicht möglich waren: War Frau A. durch eingeschränkte finanzielle Möglichkeiten in ihren Aktivitäten gebremst, so konnte sie im künstlerischen Arbeiten in der Museumswerkstatt kühn sein und Grenzen überschreiten; wurde Frau I. von ihrer Familie nicht gewürdigt, bekam sie im Museum Bestätigung; bekam Herr E. im Pflegeheim keine ihm adäquate Aufgabe mehr gestellt, so von der Vermittlerin bei den Veranstaltungen des Museums; waren Frau J. durch ihr Fußamputation ihre sonstigen Defizite präsent, spürte sie bei den Besuchen im Museum ihr Vermögen, mithalten zu können und sich deutlich von denjenigen, die im Heim geblieben waren, zu unterscheiden; hatten Berufsaustritt und Tod des Mannes das Leben von Frau A. erschüttert, boten die Museumsbesuche Kontinuität und Struktur; bestimmten Pflichterfüllung und inzwischen auch trübe Gedanken das Leben von Frau G., hatte sie im Museum Grund zum Lachen; suchte Herr R. Möglichkeiten, weiterhin seine handwerklichen Fähigkeiten einzubringen, fand er diese im Stadtmuseum; empfand Frau G. einen regelrechten Bildungshunger, so stillten diesen die Besuche im Museum; wollte Herr O. zu neuen Erkenntnissen auch über sich gelangen, suchte er den „Tempel des Wissens“ auf. In diesen Beispielen deutet sich die Vielzahl von Motivationen für einen Museumsbesuch an. Damit wird auch offensichtlich, dass Museum ein Ort ist, der viel mehr leisten kann und auslöst, als bisher wahrgenommen wird – und das nicht nur für die Zielgruppe älterer Männer und Frauen, aber für diese besonders.
Rezeption oder Interaktion?
Sitzen, zuhören, genießen wollen – damit lässt sich die gängige Vorstellung von „SeniorInnen“ umschreiben, wie sie im musealen Umfeld herrscht und von vielen VermittlerInnen mit rezeptiven Programmen bedient wird. Das folgende Zitat spiegelt diesen Eindruck wider: „Andererseits gibt es aber auch eine Reihe von Besuchern, die sich mit Eigenaktivitäten sichtlich schwer tun und die sich in der Ausstellung lieber passiv-rezipierend verhalten. Dies sind keineswegs nur konservativ eingestellte Senioren.“ (Paatsch 1998:110). Die Aussage, dass „passiv-rezipierendes“ Verhalten der Zielgruppe entspreche, mag stimmen, aber sie trifft nur auf einen gewissen Teil zu und wurde – das ist erstaunlich – nie empirisch überprüft, sondern kursiert als Stereotyp seit Jahren in der Fachwelt. Trommelnde, diskutierende, entdeckende, neugierige, auf eigene Faust nach Lieblingskunstwerken suchende, ihre selbstgezeichneten Kunstwerke mitbringende, mikroskopierende, forschende, experimentierende und schon gar tanzfreudige ältere Männer und Frauen warten noch auf ein entsprechendes Angebot in Museen. Was bei Kindern und z. T. auch jüngeren Erwachsenen geradezu erwünscht und üblich ist, z. B. mit „entdeckendem Lernen“ (Filser 1992:432) regelrecht forciert wird, gesteht man dieser Gruppe kaum mehr zu.
Es bedarf einer besonderen Kompetenz, z.B. (Führungs-) Gespräche zu steuern, einen „Kommunikationsprozess auf Gegenseitigkeit“ (v. Freymann 1988:119) herbeizuführen oder gemeinsam ein gestalterisches Potential zu entdecken. Die strukturierte Wiedergabe von Sachinformationen, wie es die Führung im Duktus eines Vortrags ausmacht, mag einfacher sein, aber sie löst kaum das aus, was an Effekten eines Museumsbesuches möglich wäre: die Erweiterung der Selbstwahrnehmung sowie „Erkenntnis- und Lustgewinn“ (Fehlhammer 2003:36).
Mit den Alten zu neuen Ufern?!
Alter ist kein Schicksal, sondern wird gesellschaftlich konstruiert. Das Beispiel von Senioren-programmen an Museen hat gezeigt, dass sich Männer und Frauen über 65 dort nur zum Teil so verhalten können, wie es ihren geistigen, körperlichen und seelischen Möglichkeiten entspricht. In manchen Programmen werden sie regelrecht alt gemacht (vgl. Schmidt, Zeman 1988). So ernüchternd das Ergebnis, so brisant ist der Aspekt an sich, wenn angedeutet wird, welche „Machtposition“ (Hugger 1992:35) Museen besitzen, wie sie „das Bild des Menschen von sich selbst“ (ebd.) und über ihn prägen und damit zu neuen Altersrollen in der Gesellschaft beitragen könnten. Seniorenprogramme, die nicht ein defizitäres Altersbild bedienen, sondern sich Menschen über 65 differenziert und engagiert widmen würden, sie integrierten, Identitätsarbeit betrieben und Inhalte und Methoden auch zur Diskussion und Disposition stellend, wären wahre „Motoren“ (Kudorfer, Marxreiter 1992:35), um die Museumspädagogik für Erwachsene und Museen an sich zu neuen Ufern zu bringen. Schwer zu sagen, wer mehr von diesem Angebot profitierte: Männer und Frauen über 65 oder die Museen selbst.