Resümee Panel PRAXIS: „Streitfälle – Institutionen und Zuständigkeiten“

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von Burkhard Hill

Erscheinungsjahr: 2014

Ein Streitfall wurde während der zweistündigen Diskussion besonders intensiv behandelt: Wie verhält es sich mit der Zuständigkeit des „Rates für Kulturelle Bildung“? Hat dieses neue Gremium Einfluss auf die Vergabe von Mitteln durch die in diesem Bereich engagierten privaten Stiftungen? Kann es Richtlinien hinsichtlich einer guten und gewünschten Praxis formulieren? Prof. Dr. Holger Noltze vertrat als Sprecher den Rat auf dem Podium und war für eine engagiert geführte Diskussion – auch mit dem Publikum - durchaus zu haben. Dabei vermittelte er unter anderem, wie der Neutralitätsanspruch des Rates in die Praxis umgesetzt werde. Es sei notwendig, einen neutralen Blick auf ein Feld zu werfen, indem sich alle gut kennen und dadurch blinde Flecken in der Selbstwahrnehmung entstünden, die unter anderem zu den in der ersten Publikation des Rates („Alles immer gut!“) kritisierten Mythen führten. In zahlreichen Beiträgen vom Podium und aus dem Publikum wurde dagegen gehalten, dass die Intentionen der Ratsmitglieder bisher nicht transparent gewesen seien und im Feld zahlreiche Vorbehalte existierten, dass durch den Rat eine subtile Steuerung der Kulturellen Bildung geschehen könne, dies schon allein durch die Prominenz der Ratsmitglieder. Herr Noltze versuchte auf alle diese Fragen zu antworten. Aus der Sicht der Moderation war es gut, dass diese Vorbehalte öffentlich geäußert werden konnten und der Sprecher des Rates Gelegenheit hatte, mehr Transparenz herzustellen.

In diesem lange währenden Disput gingen andere Beiträge nahezu unter, die auf andere mögliche Konfliktpunkte verwiesen. Von Dr. Norbert Sievers (Kulturpolitische Gesellschaft) wurde angesprochen, dass mit den privaten Stiftungen und ihrem erheblichen Fördervolumen tatsächlich neue „Player“ im Feld der Kulturellen Bildung in Erscheinung getreten seien, deren Rolle noch nicht vollständig geklärt sei. Bisher seien die Inhalte und Maßnahmen der Kulturellen Bildung weitgehend zwischen den Fachverbänden und der öffentlichen Bezuschussung ausgehandelt worden. Jetzt kämen die Stiftungen ins Spiel und dadurch veränderte sich auch die gesamte (kulturelle) Bildungslandschaft. Peter Kamp (Bundesverband der Jugendkunstschulen und kulturpädagogischen Einrichtungen) spitzte dies etwas zu, indem er zu bedenken gab, dass Stiftungsgelder überwiegend aus Steuersparmodellen generiert würden. Damit würden sie der Verteilungslogik der öffentlichen Förderung entzogen und unterlägen den Richtlinien von Stiftungen und ihren Fördergremien. Beide Beiträge hätten entsprechend vertieft und mit Beispielen angereichert werden können, um die Richtigkeit ihrer Thesen zu überprüfen und die Konsequenzen möglicher Entwicklungen ausloten zu können. (Zur Rolle der Moderation, deren Aufgabe dies hätte sein können, folgen am Ende einige kurze Anmerkungen).

Von Salome Dastmalchi (u.a. Regisseurin am Ballhaus Naunystraße, Berlin-Kreuzberg) wurde in diesem Kontext besonders die Antrags- und Vergabepraxis von Projektförderungen als intransparent kritisiert. Nach ihrem Eindruck seien hier Beziehungen und Medienpräsenz ausschlaggebender als künstlerische Qualität und innovative Projektideen. Sie kenne genügend Beispiele, nach denen immer wieder dieselben Leute gefördert würden, die vermutlich sehr gut Anträge schreiben könnten. Meistens stehe das aber nicht in Relation zu deren Projekten. Dieser Einwurf wurde vom Publikum dankbar aufgenommen und es wurden zahlreiche Beispiele dafür genannt, wie die gängige Projektförderpraxis eben genau dazu führe, das Mythen entstünden und fortgeschrieben würden. Mit (selbst)kritischen Projektberichten sei nun einmal keine Förderung zu gewinnen. Da zählte eher eine positive Darstellung, besonders auch in den Medien. Lachende Kindergesichter gehörten zu den besten Argumenten...

Eine andere Diskussion, die zwischen den verschiedenen Anbietern Kultureller Bildung in Form von Schule, außerschulischen Bildungsinstitutionen und etablierten Kultureinrichtungen durch entsprechende VertreterInnen auf dem Podium angelegt war, zündete nur anfangs, entfachte aber keinen Flächenbrand, sondern erstickte angesichts der sonstigen Themen. Zunächst hatte Dr. Margarete Schweizer (Kulturstiftung der Länder) die etablierten Kulturinstitutionen mit ihren relativ neuen Programmen für Kinder- und Jugendliche (und zunehmend auch für ältere Altersgruppen) als wichtige Vermittler Kultureller Bildung in Stellung gebracht. Anschließend hatte Peter Kamp zunächst eine Lanze für die außerschulische Kulturelle Bildung gebrochen, die schon immer einen Freiraum und Kontrast zum schulischen Lernprogramm dargestellt habe. In dem heute bestehenden Kooperationszwang zwischen Schule und außerschulischen Bildungsträgern könne allerdings der „Freiraum außerschulisch verwaisen und innerschulisch verdampfen“. Gegenüber diesem provokativen Statement stellte Joachim Reiss (Schultheater-Studio Frankfurt) die Möglichkeiten von Kultureller Bildung an Schulen durchaus kritisch bzw. mit einem Bewusstsein für die vorhandenen Systemgrenzen dar. Dennoch betonte er eine gewisse Breitenwirkung und die im Rahmen von Schulpflicht gegebenen Möglichkeiten, ästhetische Bildung einer breiteren Zielgruppe zukommen zu lassen, als dies durch freiwillige Teilnahme möglich sei. Diese Diskussion wurde insgesamt nicht weiter vertieft. Da half auch ein Impuls von Susanne Keuchel (Direktorin der Akademie Remscheid) wenig, die nach den Besonderheiten informellen Lernens fragte und wie diese in den jeweiligen Einrichtungstypen zu verwirklichen seien.

Podiumsdiskussionen haben so ihre Eigendynamik. Die Moderation findet sich immer in dem Spagat wieder, einerseits Themen „am Laufen zu halten“, das heißt eine Eigendynamik von Beiträgen vom Podium und aus dem Publikum zu generieren. Andererseits sollen wichtige Fragen aufgegriffen und ggf. wieder gestellt werden, wenn sie bis dahin nicht befriedigend beantwortet wurden. Die Rednerliste ist ein weiteres Erschwernis, trägt sie doch zur Sprunghaftigkeit des Diskussionsverlaufs bei: wechselnde Themen und Bezüge zu vorherigen Redebeiträgen, gelegentlich auch ein berechtigtes Selbstdarstellungsbedürfnis mit eigenen Themensetzungen, führen zu einer wenig konzisen Diskussion. In diesem Fall entzündete sich der Disput am Thema „Rat der Kulturellen Bildung“ bzw. an der Rolle und Funktion der Stiftungen im Feld der Kulturellen Bildung. Das war aus meiner Sicht gut so, denn es bestand offensichtlich Gesprächsbedarf. Ich überlegte zwischendurch auch, den Beitrag von Norbert Sievers noch einmal ins Gedächtnis zu rufen und über die verschiedenen „Player“ mehr strukturell im Sinne einer kulturpolitischen Herausforderung nachzudenken. Dies schien mir allerdings zu wenig „Zündstoff“ zu enthalten und auf eine eher analytische Diskussion hinauszulaufen, die dann nur mit weiteren Impulsen (und quer zur Rednerliste) am Leben gehalten werden könnte. Die Diskussion um Schule wieder anzufachen, war ein anderer Gedanke, erschien mir aber wenig sinnvoll. Zu oft hatte ich erlebt, wie die Schulvertreter viel Frust abbekamen, ohne selbst für das, was kritisiert wurde, verantwortlich zu sein. Ertrag dessen: ungewiss. Die Gelingensbedingungen für Kulturelle Bildung an Schulen sind für mich auch kein Streitfall mehr sondern bereits Gegenstand zahlreicher Publikationen. Strittig könnte diesbezüglich allerdings sein, wie die Bildungsforschung diese Fragen zu beantworten sucht. Dafür gibt es aber andere Diskursarenen. Schließlich: die außerschulischen Bildungsträger kritisch anzufragen, hatte ich in der Anmoderation bereits angelegt. Der Funke war aber nicht übergesprungen und auch aus dem Auditorium kamen diesbezüglich keine weiteren Impulse. Blieb noch eine kritische Anfrage von Norbert Sievers an die Kultureinrichtungen, wie sie die Themen „Zugänglichkeit“ und „Nachhaltigkeit“ ihrer Angebote umzusetzen gedächten. Am Beispiel „Rhythm is it“ wurde kurz – auch aus dem Publikum heraus - thematisiert, welche Probleme durch solche Projekte aufgeworfen werden könnten, die im Film bzw. den Broschüren nicht reflektiert würden. Auch dieser Streitfall wurde allerdings nicht weiter aufgegriffen.

Ich habe als Moderator bisher keine guten Erfahrungen damit gemacht, auf Themen zu insistieren, die weder vom Publikum noch vom Podium mit eigenständigen Beiträgen getragen wurden. Daher verließ ich mich auf die „Empirie der Beobachtung“, die eigentlich nur einen streitbaren Fall ermittelte, der vom Auditorium engagiert verhandelt wurde, nämlich zur Rolle der Stiftungen im Feld. Die anderen Themen blieben eher Randerscheinungen und müssten anders aufbereitet neu zur Diskussion gestellt werden:

  • Neue Player (private Geldgeber), neue kulturpolitische Herausforderungen?
  • Garantieren die außerschulischen Bildungsträger einen notwendigen Freiraum für Kinder- und Jugendliche? Findet darin informelles Lernen als kennzeichnendes Merkmal statt?
  • Wie zugänglich sind und wie nachhaltig wirken die Angebote etablierter Kultureinrichtungen in Bezug auf Kinder- und Jugendliche, die nicht zu ihrer originären Klientel zählen?

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Burkhard Hill (2014): Resümee Panel PRAXIS: „Streitfälle – Institutionen und Zuständigkeiten“. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://kubi-online.de/index.php/artikel/resuemee-panel-praxis-streitfaelle-institutionen-zustaendigkeiten (letzter Zugriff am 14.09.2021).

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Dieser Artikel wurde dauerhaft referenzier- und zitierbar gesichert unter https://doi.org/10.25529/92552.438.

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