Professionalisierung im Feld der Kulturellen Bildung
Zum Begriff der Professionalisierung
Versteht man unter Kultureller Bildung den (Bildungs-)Prozess, den ein Mensch durch seine Begegnung und seine Auseinandersetzung mit dem Medium der Künste durchmacht, so ergibt sich für Fachkräfte in der Kulturellen Bildung (KulturpädagogInnen) als zentrale Aufgabe, Anlässe, Rahmenbedingungen und Interaktionen für die und mit den sich kulturell Bildenden zu ermöglichen, zu fördern und auch anzuleiten.
Spricht man in diesem Zusammenhang von Professionalisierung, so bedeutet diese in einem weiteren Sinne, dass Menschen sich berufsmäßig damit beschäftigen, kulturelle Bildungsprozesse in anderen Menschen anzuregen und zu fördern. Berufsmäßig bedeutet zunächst, dass sie für ihre Tätigkeit bezahlt werden, des Weiteren aber (in der Regel) auch, dass sie eine fachspezifische Ausbildung durchlaufen haben und sich mit einem profilierten Berufsbild identifizieren (siehe Ulrike Blumenreich „Das Studium der Kulturvermittlung an Hochschulen in Deutschland“). Dies ist für zahlreiche Tätigkeitsfelder in der Kulturellen Bildung der Fall, z.B. für Musik-, Kunst-, Tanz- oder Theaterpädagogik; andere Tätigkeitsbereiche wie die Spiel- oder Zirkuspädagogik haben einen solchen Reifegrad noch nicht erreicht.
Professionalisierung im engeren Sinne bezeichnet hingegen Professionswerdung, also den Prozess, dass sich aus einem Beruf eine Profession entwickelt (hat). Im Folgenden soll zunächst dargelegt werden, ob und wie berufsmäßiges Handeln im Bereich der Kulturellen Bildung als professionelles Handeln (im engeren Sinne) gesehen werden kann und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.
Professionstheoretische Zugänge und Perspektiven
Aus berufsstruktureller Perspektive werden vor allem folgende Kriterien, die Professionen von Berufen unterscheiden, als entscheidend genannt (vgl. Keiner 2011):
>> Professionen erfüllen eine „für eine Gesellschaft spezifische, zentrale und systemrelevante Funktion“ (Keiner 2011:199).
>> Sie verfügen über eine weitgehend autonome Regulation ihrer Funktions- und Leistungserbringung (vgl. ebd.).
>> „Stabile Beschäftigungsverhältnisse, sozialer Status und Prestige“ (ebd.) prägen die Berufsausübung.
>> Es existiert ein „eigenständiger, von anderen Professionen abgegrenzter Wissensbestand“ (ebd.), der „in der Regel an Hochschulen verwaltet und weiterentwickelt wird“ (ebd.).
Nach diesen Kriterien sind unbestritten ÄrztInnen, JuristInnen und TheologInnen Angehörige von Professionen. Dieses klassische Professionsmodell wird jedoch seit den 1970er Jahren kritisiert und weiterentwickelt, nicht zuletzt deshalb, weil eine strenge Anwendung der oben genannten Kriterien dazu führte, dass alle anderen Berufe keine Professionen sein könnten – zumindest, solange sie z.B. das über Jahrhunderte gewachsene Prestige der klassischen Professionen nicht aufgebaut hätten.
Neben der berufsstrukturellen Perspektive wird daher insbesondere in den sozialen und pädagogischen Berufen eine „handlungs- und wirkungsorientierte Perspektive“ (Heiner 2004:16) bevorzugt, „die Berufsvollzüge daraufhin analysiert, ob die Fachkräfte die angestrebten Resultate bei der Erledigung bestimmter Aufgaben erzielen und dabei nach ihren beruflichen Standards handeln dürfen und können“ (ebd.). Dabei ist für Professionen charakteristisch, dass sie das Recht haben, „entscheidend in den Lebenszusammenhang ihrer Klientel einzugreifen“ (Heiner 2004:17). Ulrich Oevermann spricht daher auch von einem „implizit therapeutischen“ (Oevermann 1996:146) Handeln. Bezogen auf den Lehrerberuf ergibt sich daraus für Oevermann, „daß im Zuge der Wissens- und Normenvermittlung am sozialen Schulort zwangsläufig eine Interaktionspraxis mit den Schülern eröffnet wird, die – zumindest bis zur Adoleszenzreife bzw. zum Abschluss der Pubertät angesichts der noch offenen Bildungsprozesse des Schülers – objektiv folgenreich für die spätere personale Integrität ist“ (ebd.). Dieser Interaktionsprozess zielt darauf ab, KlientInnen – oder allgemeiner: Adressaten des professionellen Handelns – bei der Bewältigung von Krisensituationen zu helfen und zwar einerseits individuell bezogen auf den konkreten Fall, aber andererseits auch objektiv verantwortbar durch Rückgriff auf die Standards der jeweiligen Profession. Aufgrund der hohen Variabilität möglicher Fallkonstellationen müssen Professionelle einen relativ weiten Entscheidungsspielraum haben, was sich in ihrer relativ hohen Autonomie bzw. geringen Weisungsgebundenheit zeigt.
In dieser handlungstheoretischen Perspektive lassen sich auch soziale und pädagogische Berufe als Professionen beschreiben, da zentrale Merkmale für professionelles Handeln hier durchaus zutreffen: Umgang mit Wissen und Nicht-Wissen sowie Handeln in Ungewissheit bei potentiell weit reichenden Konsequenzen des Handelns mit dem damit verbundenen Vorhandensein eines expliziten Berufsethos. Andererseits trifft in sozialen und pädagogischen Berufen das Merkmal der weitgehend autonomen und individuell zu verantwortenden Anwendung des Professionswissens auf Einzelfälle aufgrund der institutionellen Rahmenbedingungen häufig gerade nicht zu. Daher werden soziale und pädagogische Berufe häufig auch als Semiprofessionen bezeichnet (Etzioni 1969).
Im Bereich der Kulturellen Bildung ist die Professionalisierung im weiteren Sinne im Laufe des 20. Jh.s zum Teil weit fortgeschritten, so wurden z.B. zahlreiche Berufsbilder und entsprechende Studiengänge oder Studiengangsschwerpunkte entwickelt. Zum Thema „Kulturpädagogik als Beruf“ sind einige wichtige Publikationen entstanden (Müller-Rolli 1988; Hügel/Fetting 1994; Fuchs 1994; Liebald/Wagner 1995; Zacharias 2001; Bischoff/Brandi 2005; Mandel 2005; Noak 2006 u.a.). Allerdings steht eine umfassende Analyse, inwieweit sich die kulturpädagogischen Berufe im Prozess der Professionswerdung (also der Professionalisierung im engeren Sinne) befinden, noch aus. Das liegt unter anderem daran, dass das Berufsfeld von erheblicher Heterogenität geprägt ist (Fuchs 1994:121-127; Zacharias 2001:196-202). Des Weiteren wäre zu prüfen, inwieweit das Merkmal des potentiell weit reichenden Eingriffs in die personale Integrität für die kulturelle Bildungsarbeit zutrifft. Da künstlerisch-kreative Prozesse ebenso wie pädagogische oder therapeutische Interventionen in der Tat tief in die Persönlichkeitsstruktur eingreifen können, muss von Fachkräften für Kulturelle Bildung – gerade wenn sie „nachhaltige“ Bildungswirkungen anstreben – durchaus gefordert werden, dass sie professionell (im engeren Sinne) handeln.
Eine Modellvorstellung professionellen Handelns in der Kulturellen Bildung
Ungeachtet des Desiderats einer professionstheoretischen Analyse kann im handlungstheoretischen Paradigma ein Konzept für professionelles Handeln in der Kulturellen Bildung entwickelt werden, wenn es im Kern darum geht, dass kulturpädagogisch Handelnde einen entsprechenden professionellen Habitus entwickeln bzw. entwickelt haben, also über eine Persönlichkeitsstruktur (im Folgenden als professionelles Selbst bezeichnet) verfügen, die professionelles kulturpädagogisches Handeln ermöglicht.
Karl-Oswald Bauer hat für den Lehrerberuf eine Modellvorstellung für die Entwicklung des professionellen Selbst bei PädagogInnen vorgestellt (Bauer 2000), in deren Rahmen sich auch eine Professionswerdung der Kulturpädagogik denken lässt: „Das professionelle Selbst entsteht aus den Versuchen des Handlungsträgers, zwischen pädagogischen Zielen und Werten, subjektiven Motiven und persönlichen Kompetenzen einerseits, den Erwartungen eines vorgestellten kritischen Beobachters andererseits eine Balance zu finden. Das professionelle Selbst greift dabei auf eine besondere Berufssprache zurück, sucht oder erfährt soziale Unterstützung in der Kooperation mit Kollegen und orientiert sich an pädagogischen Werten“ (Bauer 2000:64).
Dieses professionelle Selbst entwickelt sich weiter, indem der Balanceakt zwischen dem Subjekt (dem Ich des Pädagogen) und den Anforderungen des Berufes (subjektiv internalisiert als vorgestellter kritischer Beobachter) durch Praxiserfahrung, Training und Beratung/ Supervision ständig angereichert, korrigiert und differenziert wird (s. Abb. 1).
Aus dieser Modellvorstellung kann ein holistisches Modell professioneller pädagogischer Handlungskompetenz entwickelt werden (vgl. Roth 2008): „Wenn die Erfordernisse der Situation mit dem individuellen Konglomerat von Fähigkeiten einer Person ‚zusammentreffen’, so besitzt die Person ‚Kompetenz’ zur Bewältigung der Aufgabe“ (Frey 2006:31). Die Instanz, in der dieses Zusammentreffen stattfindet – oder aktiver formuliert: die die Verbindung der Komponenten herstellt – ist das professionelle Selbst (vgl. Abb.2).
Dabei wird in diesem Modell der Tatsache Rechnung getragen, dass Handeln in Professionen nicht nur von der Qualifikation, sondern in hohem Maße auch von Intuition und der individuellen Umsetzung eines Berufsethos abhängig ist. Zudem wird deutlich: Kompetenz ist kein statisches Gebilde, sondern ein sich je nach Situation verwirklichender Impuls, der die konkrete Handlung adäquat steuert. Darin liegt auch das gerade für professionelles Handeln kennzeichnende Moment der prinzipiellen Unsicherheit des Handelns begründet: Jede Situation ist eine komplexe und prinzipiell einmalige Konstellation. Nur durch die Intuitionsfähigkeit entsteht die nötige Flexibilität situationsangemessen zu handeln. Gerade ExpertInnen handeln oft intuitiv, wobei diese Intuition nicht ein „Entscheiden aus dem Bauch heraus“ ist, sondern vielmehr als eine Fähigkeit entsteht, die sich auf einem langen Professionalisierungsweg entwickelt (vgl. Dreyfus/Dreyfus 1986; Neuweg 1999).
Donald A. Schön hat in den 1980er Jahren das seither häufig zitierte Konzept des „Reflective Practitioner“ vorgestellt (Schön 1982), in dem er herausarbeitet, dass gerade in Professionen die Reflexion des Handelns eine spezifische Eigenart hat: Sie ist keine explizit-elaborierte rationale Reflexion (‚technical rationality’), sondern sie vollzieht sich häufig als ein unausgesprochener, vorbewusster Prozess, der sich im konkreten Handeln vollzieht (‚Reflection-In-Action’).
Da Fachkräfte für Kulturelle Bildung einerseits pädagogisch Handelnde sind und zudem mit dem Medium der Künste arbeiten, ist das hier entwickelte holistische Modell in besonderem Maße geeignet, das Handeln dieser Fachkräfte als ein professionelles zu beschreiben. Denn Pädagogik und Kunst sind durchaus verwandt: Das Handeln ist in hohem Maße situativ, die Konstellation (sei es die „pädagogische Situation“ oder der „kreative Akt“) prinzipiell einmalig und im Kern unplanbar. Dass gute KulturpädagogInnen – ebenso wie gute PädagogInnen und gute KünstlerInnen – aber nicht beliebig handeln (und dabei beliebig viele Fehler machen) liegt daran, dass ihre Intuition die Ergebnisfähigkeit eines langen Entwicklungsweges ist, auf dem ihr professionelles Selbst Qualifikation, Ethos, Sinn für das Wesentliche und die Fähigkeit zur achtsamen Wahrnehmung der Gesamtsituation integriert hat.