Nicht starr, sondern mobil! –  Ein Mobile als Denkmodell für gelingenden Transfer von Modellprojekten

Artikel-Metadaten

von Astrid Lembcke-Thiel, Anke Dietrich

Erscheinungsjahr: 2025/2024

Peer Reviewed

Abstract

Wenn sich ein Mobile in der bildenden Kunst denken lässt, um Bewegung zu komponieren, ließe es sich dann vielleicht auch als ein Modell für die Bedingungen des Gelingens von Transferprojekten denken? In Ihrem Textbeitrag entwerfen die beiden Autorinnen für den Transfer von gelingenden Bildungsprojekten in der frühkindlichen Kulturellen Bildung ein imaginäres Mobile als Denkmodell und ganz konkret als mögliche Übertragungsstruktur. Sie verstehen die verschiedenen Aspekte frühkindlicher Kultureller Bildung als aneinanderhängende Teile eines mobilen und im Wortsinn lebhaften Systems, die aufeinander einwirken, ihr Zusammenspiel bedingen und im Wechselspiel miteinander stehen. Sie plädieren dafür, Kulturelle Bildungsprojekte in früher Bildung im Rahmen eines neuen Verständnisses von multiperspektivischer und multiprofessioneller Zusammenarbeit als ein lernendes System zu verstehen, um Strukturen aufzubauen, die Kulturelle Bildung nachhaltig ermöglichen und in denen Kultur jenseits von engem Künste und Spartendenken als die essenzielle Ressource für erfolgreiche Bildungsprozesse verstanden wird.

Der Beitrag ist zuerst erschienen in: Nübel, Damaris (Hg.) (2024): Theater in der Kita. Die Kita ins Theater! Bildung, Kooperationen, Praxisimpulse. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.

Wie und worum es in der frühen Kulturellen Bildung geht, ist vielfach erforscht, benannt und - in dem von Damaris Nübel herausgegebenen Sammelband - mit Fokus auf das Theater - aus verschiedenen, spannenden Positionen dargestellt. Was also wäre noch beizutragen, um die in der Kulturellen Bildung generell vielzitierten Gelingensbedingungen für den Transfer eines Modellprojektes zu erhöhen? Welche Perspektive ließe sich einnehmen, um die grundsätzlichen multikomplexen Gemengelagen im Feld der frühkindlichen Kulturellen Bildungsarbeit zu durchlüften?

Wie ließe sich eine Übertragungsstruktur erdenken, die ermutigt, statt abschreckt, die motiviert, anstatt zu lähmen? Die eine Gestaltungslust hervorbringt, statt in Erschöpfung zu bleiben?

1. Der Raum beginnt im Kopf

Aus unserer Sicht – zweier kritischer Akteurinnen in der frühkindlichen Kulturellen Bildungsarbeit – gelingt Transfer in die konkrete Praxis durch Aufbau von agiler Vernetzung, so die vereinfachte Formel unserer Erkenntnisse und Überlegungen, die wir hier mit Ihnen nicht nur teilen wollen, sondern Sie ebenso einladen, mit- und gerne weiterzudenken.

Wenn es um Transfer geht, geht es meist um eine Übertragung von Erfahrungen, erarbeitetem Wissen, von Werten und Erkenntnissen, um diese nachvollziehbar und eben übertragbar zu machen. Entscheidend ist dabei aus unserer Sicht das Bewusstsein für Lerntransfer, einerseits die Fähigkeit, aber ebenso auch die Lust, eine gelernte Problemlösung auf eine andere, vergleichbare Situation zu übertragen, anzuwenden, zu erweitern, zu abstrahieren und zu vernetzen.

Das klingt erstmal anspruchsvoll und das ist es auch. Zumal wir zudem anerkennen müssen, in welch herausfordernden Ausgangslagen wir uns im Praxisfeld der frühen Kulturellen Bildung befinden, eingebettet in eine Welt voller Unbeständigkeit, Unklarheit, Komplexität und Mehrdeutigkeiten. Wir benötigen deshalb ein neues Verständnis von multiperspektivischer und multiprofessioneller Zusammenarbeit, um Beharrungskräften von Verhinderungsmacht wirkungsvoll entgegenzutreten. Im Sinne eines lernenden Systems, in dem jede Stimme einen Platz hat, können Lösungen und Erkenntnisse wirksam übertragen werden. Denn es geht weniger um einen Transfer von A nach B, sondern ganz grundsätzlich darum, Strukturen aufzubauen, die Kulturelle Bildung nachhaltig ermöglichen und in denen Kultur als die essenzielle Ressource für Bildung verstanden wird.

So fokussiert unser Transferverständnis den Aufbau von offenen, hierarchiefreien, diskursiven Erfahrungsräumen, als notwendige strukturelle Rahmenbedingung zur Belebung und Installierung kultureller Bildungsangebote unterschiedlicher Art für Kinder, Fachkräfte und Eltern.

Ja!! - Das ist anstrengend

„Sich selbst in seiner Arbeit darzustellen, sich dabei immer wieder selbst zu befragen, von anderen befragt zu werden oder durch Antworten (mit darin enthaltenden Nachfragen) scheinbar Selbstverständliches aufzubrechen, ist nicht einfach. Und nicht bequem. Es steht immer etwas auf dem Spiel. Etwas, das mit uns selbst zu tun hat. Lässt man sich darauf ein, macht man sich angreifbar, riskiert etwas und bricht Routinen auf. Im besten Fall wird man sensibel und kritisch für das Thema und entwickelt sich weiter (Hallmann, Hofmann, Knauer, Lembcke-Thiel, Preuß, Roßkopf, Schmidt-Wetzel 2021).

Offenheit, Neugier auf und Verständnis füreinander, klare Visionen und Reflexion über unser Handeln und Flexibilität sind die Grundaspekte, um Kindern respektvoll und wertschätzend in ihrer Lebenswelt zu begegnen. Es ist immer wieder notwendig, nicht zeitgemäße Vorstellungen von Bildung und Kultur in ein breites Verständnis von Kultureller Bildung und Teilhabe zu transformieren.

2. Möglichkeitsräume

Relevante Faktoren für eine Balance zwischen theoretischem und praktischem Wissen im Kontext von Modellprojekten sind ein Bewusstsein für notwendige Ressourcen, damit entsprechende Möglichkeitsräume für und mit allen beteiligten Akteur*innen in ihrer sozialräumlichen Verankerung entstehen. In diesen Zwischenräumen können wir auf Basis aller künstlerischen Genres gemeinsam vernetzt denken lernen. Der Freiraum der Künste bietet uns Menschen diesen Raum zur Aushandlung und ist besonders bedeutsam für Kinder in den ersten Lebensphasen, die dieses grundlegende Recht nicht eigenständig einfordern können.

„Unter kultureller Bildung verstehen wir die rezeptive und produktive Auseinandersetzung mit der Vielfalt und den Möglichkeiten des Selbstausdrucks und der Wahrnehmung von Welt. Aufgrund ihres ganz eigenen Wahrnehmungsrepertoires und ihrer eigensinnig-differenzierten Ausdrucksmöglichkeiten spielen die Künste und künstlerischen Handlungsweisen in der kulturellen Bildung eine zentrale Rolle. Im Kontext der frühkindlichen kulturellen Bildung ist die Dimension des unmittelbar sinnlich-leiblichen Handelns, Erfahrens und Berührtseins wesentlich, da Kinder in ihr zu Hause sind“ (Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung 2020:1).

Es ist also eine schwierige, verantwortungsvolle Aufgabe diese Räume zu erdenken, in partizipativer Teilhabe zu ermöglichen und gelingend zu konstruieren.

3. Transfer frühkindlicher Kultureller Bildungsprojekte als Mobile?

  • Wie soll man nun mit so einer komplexen Ausgangslage umgehen?
  • Was also wie denken?
  • Was tun?

Stellen wir uns einmal vor, frühkindliche Kulturelle Bildung wäre ein Mobile, bestehend aus verschiedenen flexiblen Teilen, Elementen und Ebenen. Kennzeichnend für ein Mobile, ausgehend von dem französischen Wort mobile (beweglich, verstellbar, drehbar, lose, fig. lebhaft), ist seine ständige Reaktion auf alle einwirkenden Kräfte, mit dem Ziel, immer wieder in eine harmonische Balance zu gelangen. Mobiles sind frei hängende, ausbalancierte, leichte Gebilde, die schon von schwachem Luftzug bewegt werden.

“[...] Nicht einfach übersetzte oder rotierende Bewegung, sondern verschiedene Bewegungen von unterschiedlicher Art, Geschwindigkeit und Reichweite untereinander kombiniert, ergeben ein Ganzes. So wie man Farben oder Formen komponieren kann, so kann man auch Bewegungen komponieren” (Calder in Baal-Teshuva 2001:23).

Wenn sich ein Mobile denken lässt, um Bewegung zu komponieren, ließe es sich dann vielleicht auch als ein Modell für die Bedingungen des Gelingens von Transferprojekten denken?

Abbildung 1 - Calder
Abbildung 1: Calder: https://www.moma.org/collection/works/80871

Wenn wir diese Idee verfolgen, wäre die Basis des gesamten fragilen Konstrukts ein lernendes System. Dieses zeichnet sich durch den bewussten Zusammenschluss aller Akteur*innen im inhaltlichen und sozialräumlichen Kontext früher Bildung aus.

Dabei laden wir ein, nicht ein ‚offenes System‘ zu denken und im Rahmen von Kooperationen zu interagieren, sondern explizit aufgrund von Interaktionen mit der Außenwelt, Konzepte, Erkenntnisse und Haltungen selbstständig und gemeinsam umzusetzen und immerwährend weiterzuentwickeln. Dies geschieht durch Vernetzung im Rahmen von multiperspektivischen Strukturen, durch gemeinsames Denken, durch den Aufbau einer Kommunikationskultur mit den stets zentralen Fragen: 

  • Wie arbeiten wir?
  • Was machen wir und wozu?
  • Wie gestalten und überprüfen wir gemeinsam - also alle im und am System beteiligten - unsere Konzepte, damit Zugänge für alle Kinder in ihren jeweiligen Lebensweltbezügen möglich sind? 

Im Bild des Mobiles sehen wir die verschiedenen Aspekte frühkindlicher Kultureller Bildung als aneinanderhängende Teile, die aufeinander einwirken, ihr Zusammenspiel bedingen und im Wechselspiel miteinander stehen. Ein solches Denkmodell stellen wir uns als zwei miteinander verbundene und schwebende Teilkompositionen vor: Auf der einen Seite der Teil der Künste mit seinen Freiräumen und Möglichkeiten, auf der anderen Seite verschiedene Formen professioneller Verortung.

3.1 Mobile - Teilkomposition I

Uns beschäftigt die Frage, wie alle Künste eine hierarchiefreie Relevanz haben können, wie sich – im Bild des Mobiles – in eine Balance, und in eine Harmonie kommen lässt, jenseits eines traditionellen Spartendenkens, das Kinder nicht haben.

Aus diesem weiten Verständnis der Künste und unserem eigenen Situiert-Sein aus der Leiblichkeit des Wahrnehmens heraus, begreifen wir in diesem Denkmodell für die frühe Kulturelle Bildung alle Sparten der Künste und ihre vielfältigen Facetten. Denn Kinder leben dieses weite vernetzte Verständnis ohnehin jeden Tag in ihren Wahrnehmungen von Welt: für sie sind Alltag und Kunst eins (vgl. Knauf, Lembcke-Thiel, Widdascheck 2022). In diesem verbindenden Wahrnehmen und Denken liegt die Chance für uns Erwachsene, einen relevanten Transfer zu gestalten. Von unterschätzter Bedeutung ist die Sensibilisierung unserer Wahrnehmung für die Details von Interaktionen in sämtlichen Alltagshandlungen. In der Beobachtung und im genauen, offenen und bewertungsfreien Hinschauen ritualisierter Alltagshandlung steckt das kostbare und kreative Potenzial der Zwischenräume von kulturellem Erleben.

3.2 Sich vom Gewohnten überraschen lassen

„Das Anziehen, um in den Garten zu gehen, sei etwa ein Prozess der Transition, des Verkleidens, des Einnehmens einer Rolle – und damit strukturell dem Theater nah. ‚Wenn wir begreifen würden, welches Potenzial darin liegt, wären Garderoben in Kitas viel größer.‘“ (Knauf, Lembcke-Thiel, Widdascheck 2022)

Das Verständnis der Künste im Sinne eines weiten Kunstbegriffs, in dem alle Sparten vernetzt und verbunden sind, ermöglicht uns, Übergänge und unterschiedliche Komponenten Ästhetischer Bildung mit Kindern bedarfs- und zwischenraumorientiert zu gestalten. Sie in diesen kreativen Freiräumen aufmerksam zu begleiten und weniger anzuleiten ist unsere Verantwortung (vgl. Lapurla 2020).

Eine wichtige Rolle beim Ausbalancieren unseres imaginären Mobiles mit seinen sich bewegenden Komponenten im fragilen und komplexen System der Künste spielt die Ästhetische Bildung selbst, also das Erleben von ästhetischen Erfahrungen. Sie sind die Grundlage für einen Perspektivwechsel zur Neustrukturierung und Sortierung des eigenen Denk- und Wahrnehmungsraumes. Ästhetische Erfahrungen ermöglichen, selbst, mit und an der umgebenden Welt zu wachsen und sich zu bilden (vgl. Brandstätter 2012: 174-180).

„Sie sind in der Sinnlichkeit der Wahrnehmung verankert, drängen aber zur reflexiven Verarbeitung, ohne dabei den Bezug zur Körperlichkeit zu verlieren. In ästhetischen Erfahrungen erleben wir uns selbst und die Welt gleichzeitig und werden zu vielfältigen Wechselspielen angeregt: zwischen Sinnlichkeit und Reflexion, zwischen Emotionalität und Vernunft, zwischen Bewusstem und Unbewusstem, zwischen Materialität und Zeichencharakter, zwischen Sagbarem und Unsagbarem, zwischen Bestimmtem und Unbestimmtem“ (Brandstätter 2012:180).

Es ergeben sich somit interessante Kriterien für eine spartenunabhängige Betrachtung der Ästhetischen Bildung:  Durch sinnlich forschendes, intrinsisch motiviertes Handeln entstehen kostbare Frei- und Handlungsräume, die Kinder in ihrem „So-Sein“ in einer komplexen Welt stärken und unterstützen und ihnen Spielräume der Fantasie bieten, ohne Bewertungskategorien von richtig oder falsch. Und eben ohne tradierte Verständnisse von sich voneinander abgrenzenden Sparten-Begrifflichkeiten wie Theater, Musik, Bildende Kunst, Tanz usw. Darin liegt die große Chance von Kindern zu lernen, die in dieser Phase ihres Aufwachsens nicht in Kategorien denken. 

„Im frühkindlichen Lernen sind Sinnestätigkeit und Leiblichkeit, Staunen und Denken, genussvolles Verweilen und spielerisches Erproben untrennbar miteinander verbunden“ (Duncker 2010:18 ).

Dies ist genauso wichtig für uns als verantwortliche Erwachsene. Denn wir sind ein Leben lang mit unseren Sinnen verbunden. Auch für uns selbst liegt eine große Bereicherung darin, uns für ästhetische Erfahrungen bewusst zu öffnen.

Im Bild des Mobiles wird also auf der einen Seite die Komposition der Künste in agiler und responsiver Verbindung mit den ästhetischen Erfahrungsräumen in ein Gleichgewicht gesetzt. Das Gegenüber auf der anderen Seite - zur möglichen Erzeugung einer das ganze System betreffenden sich stets ausbalancierenden Harmonie - besteht aus den Aspekten der professionellen Verortung. Diese haben wir in vier Komponenten gefasst: Selbstverständnis, Offenheit, Reflexion, Verantwortung.

3.3 Mobile - Teilkomposition II

Die vier Faktoren Selbstverständnis, Offenheit, Reflexion und Verantwortung verstehen wir in sich vielschichtig, facettenreich und miteinander vernetzt. Die Grundlage für einen harmonischen Ausgleich im Bild des Mobiles liegt aus unserer Sicht in der Situiertheit aller Beteiligten: 

Selbstverständnis

Ich bin mir klar über meine eigene professionelle Positionierung und weiß, dass meine Arbeit auf der Umsetzung der Kinderrechte beruht. Ich weiß um die damit verbundene Verantwortung, und begreife Kinder mit all ihrem „So-Sein“ als eigenständige Rechtssubjekte.

Auch wenn das nicht wirklich neu ist, ist doch die Anerkennung von Kindheit als eigene Lebensphase historisch betrachtet ein verhältnismäßig junger Ansatz. Natürlich wissen wir, dass Kinder auf Basis der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte grundsätzlich dieselben Rechte haben wie erwachsene Menschen, aber sie haben zusätzliche Bedürfnisse! Und Kinder sind abhängig von Erwachsenen, weshalb es unbedingt gilt, die für alle geltenden Menschenrechte auf spezifische, kindliche Bedürfnisse differenziert zu definieren.

Damit ist die UN-Kinderrechtskonvention also nicht nur als individueller Zugewinn für jedes Kind zu begreifen, sondern stellt einen bedeutenden Paradigmenwechsel hinsichtlich ihres emanzipatorischen Hineinwachsens in die Gesellschaft dar. Kinder haben ein Recht auf Kultur, sie haben ein Recht auf Kulturelle Bildung. Und sie haben ein Recht darauf, dass in der kulturellen Bildungspraxis ihre Rechte umfassend gewahrt sind. Nicht zuletzt unterstützt kulturelle Bildung Kinder darin, ihre Rechte zu artikulieren und im Alltag zu leben“ (Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung 2021:2).

Wir wissen darum, dass Kinder angespornt von ihrer Neugier die Welt entdecken, und wir sie darin aufmerksam begleiten müssen (vgl. Netzwerk Kinderbetreuung Schweiz 2012:6). Aufmerksam begleiten bedeutet hier auch, sich forschend und experimentierend auf Kinder einzulassen. Machen wir eigene ästhetische Entdeckungen, erfahren wir am eigenen Leib, dass Ästhetische Bildung im frühen Kindesalter kein Additum zum bisherigen Bildungsbegriff darstellt, sondern den Kern früher Bildung ausmacht.

Offenheit

Worum geht es genau in Bezug auf Offenheit? Es geht darum, Kindern Zeit zu geben. Wir müssen uns unserer Vorannahmen, unserer (Vor-)Urteile bewusst werden und Perspektiven und Selbstverständnisse be- und hinterfragen. Nur so können wir partizipative, inklusive Aushandlungsräume einrichten, die die Transparenz von gemeinsamen verantwortungsbewussten Entscheidungen mit und für alle Beteiligten erfahrbar machen und abbilden.

„Partizipation ist (…) das unabschließbare Experimentieren von Strategien und Methoden der Einbindung, Beteiligung, Mitbestimmung und -gestaltung von AkteurInnen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen und beruflichen Zusammenhängen mit dem Ziel, institutionelle Machtverhältnisse und deren Bedingungen der Wissensproduktion zu transformieren“ (Büro trafo.K 2020:128).

Das kann uns gelingen, indem wir Kinder nach ihren Fragen fragen und vielleicht noch wichtiger: uns von ihnen befragen lassen. Wenn wir gemeinsam Wege suchen und den Weg der Kinder begleiten, kann es gelingen, ihre ganz eigenen Forsch- und Suchbewegungen zu ermöglichen. Das heißt, wir brauchen auch Zeit für die Erkenntnis, dass es nicht um uns selbst geht, sondern um unseren Auftrag als professionelle Bildungsverantwortliche. Denn wenn ich als Person nicht wichtig bin – was ist dann wichtig im Rahmen meiner Verantwortung? Wer ist dann Ich?

Die eigene Verantwortung - und damit auch Freude an der eigenen Professionalität -  liegt darin, die eigenen Meinungen und Ansichten der Kinder zu berücksichtigen und zu würdigen, im Sinne ihres Rechts auf freien Ausdruck – ‚Expressionsfreiheit‘ (Netzwerk Kinderbetreuung Schweiz / Hochschule der Künste Bern HKB 2017; Kraus 2019). Denn Bildung im kulturell-ästhetischen Sinne ist immer die Eröffnung zahlreicher Perspektiven, die jeweilige Lebenswelt mit allen Sinnen wahrzunehmen, sie zu entdecken, mitzugestalten und sich auszudrücken.

Interessanterweise ist es genau genommen tatsächlich so, dass von Erwachsenen dominant geführte Aktivitäten, wie z. B. ein Basteln nach Vorlage als Rechtsverletzung verstanden werden könnten.

„Künstlerisch-ästhetische Handlungsweisen spielen in der kulturellen Bildung eine zentrale Rolle. Da sie sowohl über sinnlich-leibliches Handeln und Erleben als auch über ein Erfahren und Berührtsein einen unmittelbaren Lebensweltbezug herstellen (vgl. Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung 2020), ermöglichen sie Beteiligung (Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung“ 2021:6).

Reflexion

Reflexionsfähigkeit, also die Fähigkeit, eigenes Verhalten, mentale Konzepte, Gefühle und Haltungen wahrzunehmen und in Bezug zur Umwelt kritisch zu hinterfragen, ist damit notwendige Voraussetzung, um aus gemachten Erfahrungen vor, während oder besonders nach einem Ereignis zu lernen. Sie ist demzufolge vielmehr als „zusammenkommen und drüber sprechen“, es ist die gemeinsame Choreografie der Reflexion eigener Prozesse und Abklopfen der Bedeutung für erwünschte Veränderung. Was erwünschen wir und was nicht?

„[Z]uallererst [bedarf es] einer reflektierenden Haltung gegenüber sich selbst […], um kooperieren zu können. Eine solche Haltung kann durchaus zu Frustrationen führen, wenn die eigenen Grenzen und damit verbundenen Unzulänglichkeiten des eigenen Wissens und der eigenen Fertigkeiten allzu deutlich sichtbar werden. Immerhin ist diese Selbsterkenntnis mit der – zumindest auf den ersten Blick - wenig erfreulichen Einsicht verbunden, dass da jemand anderer etwas besser kann als ich selbst. Und doch kann sich in dieser Einsicht eine besondere Qualität ausdrücken, die sich nicht im Zwang weiß, sich zum Maßstab aller Dinge zu machen, sondern sich als Teil eines sozialen Gefüges erkennt, das auf Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten anderer bauen kann und dessen Qualität somit im Miteinander liegt“ (Wimmer 2020:179).

Es geht also tatsächlich, wie schon zu Beginn benannt, um ein Durchlüften! Im Sinne des Mobiles hat jeder Windhauch eine Relevanz und verändert das System und fordert dieses mit einer Reaktion heraus.

Verantwortung

Auch Kooperationen und Kollaborationen müssen erlernt und erfahren werden, sind wir doch alle eingebunden in anspruchsvolle, zum Teil fremdbestimmte Agenden und müssen immer wieder üben, wie wir Kommunikationsstrukturen neu denken können.

„Verlernen meint nicht, auf den ‚delete‘-Knopf drücken können oder hinter bestehende Machtverhältnisse zurückzugehen – gemeint ist eine Auseinandersetzung mit den bestehenden Machtverhältnissen im Hinblick auf ihre Verschiebung. Das ist ein schwieriger, mühsamer, langer Weg von Aneignungs- und Enteignungsprozessen, weil diese Selbstverständnisse in den Körper eingeschrieben sind“ (Sternfeld, Kolb, Peters 2014:333). 

Das Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung beispielsweise hat sich auf ein Miteinander, eine Kommunikationskultur verständigt. Daraus ist ein sogenannter Code of Conduct entstanden, ein Kodex im Sinne eines gemeinsamen Verständnisses eines gelebten, zugewandten und wohlwollenden, bedürfnisorientierten und bewertungsfreien Umgangs miteinander. 

4. Balance finden, immer wieder - Sich selbst begreifen als mobiles, agiles, lernendes System

Die Teile des Mobiles zeigen in ihrem ausbalancierten oder nicht harmonisch empfundenen Zusammenspiel ihre große gegenseitige Abhängigkeit und ständige Einflussnahme aufeinander, ständig in Bewegung, nicht starr, sondern mobil. So verhält es sich aus unserer Sicht mit den Faktoren von Transferpotenzial, die kein lineares Vorgehen erlauben, und für die wir keine Gebrauchsanweisung anbieten können. Und gleichzeitig ist unser Denkmodell doch eine Gebrauchsanweisung. Eine Gebrauchsanweisung für den Umgang mit der Sehnsucht, erfolgreiche kulturelle Bildungsprojekte in früher Bildung fest und verbindlich zu etablieren, indem wir lernen, uns aufeinander zu beziehen, uns zu begegnen und uns von unserem engen Spartendenken zu verabschieden - ganz der Übersetzung geschuldet von „mobile“ in das Wort „lebhaft“. 

Abbildung 2: Zeichnung von Astrid Lembcke-Thiel

Dabei ist das Konzept des lernenden Systems der Standfuß unseres Mobiles. Wenn wir frühkindliche Kulturelle Bildung mit gelungenen, erprobten Projekten erweitern und verändern und allen Kindern Zugänge schaffen wollen, müssen wir auf Basis des lernenden Systems denken und nicht auf Basis einzelner Genres oder einzelner Gelingensbedingungen.

Wir brauchen strukturelle Neuerungen, um uns von eng gedachten Rahmenbedingungen seitens der Fördergeber*innen zu befreien, damit auf Grundlage von Gleichberechtigung und multiperspektivischer, bewertungsfreier Anerkennung der jeweiligen Person und Position, jede*r zu Wort kommen kann. Dies kann mit einer selbstorganisierten, offenen, agilen, bewegten, mutigen und lebendigen Arbeitsstruktur gelingen, denn

„[w]o wir authentisch sprechen, entstehen neue Räume des Spiegels, des Erkennens, des Achtens, und des (Mit-)Fühlens, neue Formen von Wahrheit, Solidarität und Empathie“ (Adamou 2022:9).

Denn:

„wenn alles klappt, ist ein Mobile ein Stück Poesie, das vor Lebensfreude tanzt und überrascht“(Calder in Baal-Teshuva 2002:14).

...und mit dieser erstaunlichen, bewegten, poetischen und Sparten verbindenden Lebensfreude könnten wir als Gesellschaft doch direkt gleich mal neugierig, offen und lustvoll in einen der kostbaren Zwischenräume eintreten, um Kultur als die essenzielle Ressource für Bildung zu (er)leben.

Verwendete Literatur

  • Adamou, Jamila (2022): Vorworte. In: Ribeiro, Djamila (2022): Wo wir sprechen. Schwarze Diskursräume, Münster: edition assemblage, S.9
  • Baal-Teshuva, Jacob (2002): Alexander Calder 1898–1976, Berlin: Verlag Taschen, S.14
  • Brandstätter, Ursula (2012): Ästhetische Erfahrung. In: Bockhorst, Hildegard; Reinwand-Weiss, Vanessa-Isabelle; Zacharias, Wolfgang (Hrsg.), Handbuch Kulturelle Bildung, München: kopaed, S. 174-180
  • Duncker, Ludwig; Lieber, Gabriele; Neuss, Norbert; Uhlig, Bettina (Hrsg.) (2010): Bildung in der Kindheit. Das Handbuch zum Lernen in Kindergarten und Grundschule, Seelze: Kallmeyer in Verbindung mit Klett
  • Güleç, Ayşe; Herring, Carina; Kolb, Gila; Sternfeld, Nora; Stolba, Julia (Hrsg.) (2020): Vermittlung vermitteln: Fragen, Forderungen und Versuchsanordnungen von Kunstvermittler*innen im 21. Jahrhundert, Berlin: nGbK
  • Hallmann, Kerstin; Hofmann, Fabian; Knauer, Jessica; Lembcke-Thiel, Astrid; Preuß, Kristine;  Roßkopf, Claudia; Schmidt-Wetzel, Miriam (2021): Interaktion und Partizipation als Handlungsprinzip — Ein gemeinsamer Selbstversuch. In: Kulturelle Bildung, Verfügbar unter: https://www.kubi-online.de/artikel/interaktion-partizipation-handlungsprinzip-gemeinsamer-selbstversuch, Abruf: 21.02.2023
  • Knauf, Karin; Lembcke-Thiel, Astrid; Widdascheck, Christian (2021): Warum frühe kulturelle Bildung? Und vor allem jetzt?! Ein Fachgespräch auf dem 3. Perspektivdialog im Rahmen des Bundesprogramms Auf!leben. Zukunft ist jetzt, Verfügbar unter: https://www.auf-leben.org/aufleben/insight/rueckblick-3-perspektivdialog/praxisgespraech/ Abruf: 22.02.2023
  • Kraus, K. (2019): Sichtbar von Anfang an. Für eine Teilhabe ab Geburt. In: Nationaler Kulturdialog [Hrsg.]: Kulturelle Teilhabe. Ein Handbuch. Zürich: Seismo. Verfügbar unter: https://www.lapurla.ch/grundlagen/kontext/handbuch-kulturelle-teilhabe.html, Abruf: 15.08.2021
  • Lapurla (Hrsg) (2020): Kreativer von Anfang an. 6 Impulse für Eltern und andere Erwachsene, die gerne Zeit mit Kleinkindern verbringen, Verfügbar unter: https://lapurla.ch/wp-content/uploads/2022/06/LapurlaPraxistoolDE-Digital.pdf, Abruf: 31.03.2023
  • Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung (2020): 7 gute Gründe für frühkindliche kulturelle Bildung, Verfügbarunter: www.netzwerk-fkb.de/wer-wir-sind/publikationen, Abruf 13.03.2021
  • Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung (2021): Kinderrechte in der frühkindlichen kulturellen Bildung Thematische Einführung und Impulse, Verfügbar unter https://netzwerk-fkb.de/wp-content/uploads/2022/07/Kinderrechte_Positionspapier_NFKB.pdf, Abruf: 05.01.2023
  • Netzwerk Kinderbetreuung Schweiz (Hrsg.) (2016):  Orientierungsrahmen für Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz, 3., erweiterte Auflage, Juli 2016, Verfügbar unter: https://www.netzwerk-kinderbetreuung.ch/media/filer_public/eb/e4/ebe4a788-061e-44f9-aedf-f71e397d33bf/orientierungsrahmen_d_3_auflag_160818_lowres.pdf, Abruf: 31.03.2023
  • Netzwerk Kinderbetreuung Schweiz; Hochschule der Künste Bern HKB (Hrsg.): Schweizerische UNESCO-Kommission (2017): Fokuspublikation Ästhetische Bildung & Kulturelle Teilhabe – von Anfang an! Aspekte und Bausteine einer gelingenden Kreativitätsförderung ab der Frühen Kindheit: Impulse zum transdisziplinären Dialog. Eine thematische Vertiefung des Orientierungsrahmens für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz, Bern, Verfügbar unter: www.lapurla.ch/home/fokuspublikation.html, Abruf: 10.08.2021
  • Sternfeld, Nora; Kolb, Gila; Peters, Maria (2014): Wie kann ich dann in meinem Unterricht “lehrend verlernen”? In: Meyer, Torsten; Kolb, Gila (Hrsg.) (2014), What's Next? Art Education - Ein Reader, München: kopaed, S. 333
  • Wimmer, Michael (2020): Wenn wir kollaborieren erfinden wir uns selbst. In: Robert Bosch Stiftung GmbH (Hrsg.) (2020), Positionen Frühkindlicher Kultureller Bildung, München: kopaed, S. 177-183

Anmerkungen

Buchtitel D. NübelDieser Beitrag ist unter dem Titel „Alles gesagt, und an alles gedacht - oder? Ein Denkmodell für gelingenden Transfer von Modellprojekten" zuerst erschienen in: Nübel, Damaris (Hg.) (2024): Theater in der Kita. Die Kita ins Theater! Bildung, Kooperationen, Praxisimpulse. Weinheim und Basel: Beltz Juventa. Die Zitation wurde wie im Original beibehalten.

Die Wissensplattform kubi-online dankt dem Verlag und der Herausgeberin für die Möglichkeit des Nachdrucks. Die Zitation wurde dem Original entsprechend übernommen.

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Astrid Lembcke-Thiel, Anke Dietrich (2025/2024): Nicht starr, sondern mobil! –  Ein Mobile als Denkmodell für gelingenden Transfer von Modellprojekten. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://kubi-online.de/index.php/artikel/nicht-starr-sondern-mobil-mobile-denkmodell-gelingenden-transfer-modellprojekten (letzter Zugriff am 14.06.2025).

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