Musikvermittlung

Artikel-Metadaten

von Irena Müller-Brozovic

Erscheinungsjahr: 2017

Peer Reviewed

Abstract

Was ist Musikvermittlung? Dieser Beitrag konturiert die vielschichtigen Bedeutungen des Wortfeldes Musikvermittlung, fächert Handlungs- und Berufsfelder auf, benennt Konzeptionen im außerschulischen Bereich und zeigt Schnittstellen zu benachbarten Disziplinen. In einem Überblick werden Grundlagen von Musikvermittlung skizziert, es wird auf weiterführende Literatur hingewiesen sowie zu einer theoretischen Fundierung angeregt. Der Artikel beschreibt, wie Musikvermittlung Beziehungen und Bezüge zu Musik schaffen sowie ein vertiefendes und erweiterndes Hören von Musik ermöglichen will und sich dabei in einem gemeinsamen Handlungsfeld von unterschiedlichsten Disziplinen und AkteurInnen verortet, innerhalb dessen nach ästhetischen, persönlichen, sozialen und strukturellen Veränderungen gestrebt wird. Verstanden als Dialog bedarf Musikvermittlung einer offenen, reflexiven Haltung und kann „zusammenbringen oder auch stören – diese ursprünglichen, ambivalenten Bedeutungen von ‚Vermitteln‘ können als Impuls oder Irritation Momente des Schaffens, Umschaffens, der Formation (Bildung!) und Transformation kreieren. Musikvermittlung [...] kann dann zu einem Labor für künstlerischen Wandel werden.“

Einleitung

Musikvermittlung ist ein mehrdimensionaler, dynamischer Begriff; er fungiert als semantische Klammer für eine Vielzahl von Grundüberlegungen, Konzeptionen und Aufgabenfeldern, die darauf abzielen, im außerschulischen Bereich Musik Laien nahezubringen. Der vorliegende Artikel versucht, diese Vielfalt zu konturieren.

Er fächert zunächst einschlägige Handlungs- und Berufsfelder auf und erläutert sodann die vielschichtigen Bedeutungen des Wortfeldes Vermittlung/Musikvermittlung. Verschiedene Aspekte von Musikvermittlung zeigen anschließend Schnittmengen zu benachbarten Disziplinen auf. Vor einem kurzen Ausblick geht es schließlich um einige kritische Anmerkungen und um Fragen der Qualität in der Musikvermittlung.

Musikvermittlung bezieht sich in diesem Artikel inhaltlich auf das Genre der westlichen Klassischen Musik (damit ist auch alte und zeitgenössische Musik mitgemeint) und auf deren außerschulische Vermittlung. In diesem Kontext wird der Begriff am häufigsten verwendet, was kultur-und gesellschaftspolitische Gründe hat. Klassische Musik ist als Teil der Hochkultur institutionalisiert und (nach wie vor) hoch subventioniert.

In Anbetracht der Abnahme des Stellenwerts Klassischer Musik in der Gesellschaft gilt die Hochkultur seit längerem nicht mehr per se als förderungswürdig. Musikvermittlung will neu die gesellschaftliche Relevanz von Klassischer Musik verstärken und mit Innovation im Musik- und Konzertwesen eine kulturpolitische Unterstützung begünstigen.

Das Wort „Musikvermittlung“ steht immer wieder in der Diskussion. Für die einen ist der Begriff Musikvermittlung ein Zauberwort, in dem viele Versprechen mitschwingen, für die anderen ein Unwort, eine Worthülse; doch scheint sich keine valable alternative Bezeichnung zu finden. Auch eine adäquate Übersetzung von „Musikvermittlung“ ins Englische, in dessen Sprachraum musikvermittlerische Praktiken eine lange Tradition haben, ist nicht möglich. Entsprechende Abteilungen bei englischen Orchestern heißen Education, Community oder Audience Development und sie führen u.a. so genannte Outreach Projects durch. Manche MusikerInnen bezeichnen sich als Teaching Artists, einige sehen sich mit dem Konzept von Artistic Citizenship (Elliott/Silverman/Bowman 2016) in einer gesellschaftspolitischen Verantwortung.

Handlungsfelder von Musikvermittlung

MusikvermittlerInnen arbeiten für Orchester, Konzerthäuser, Festivals oder in der freien Szene. Sie konzipieren und organisieren Vermittlungsprojekte, stehen als MusikerInnen oder ModeratorInnen auf der Bühne und wirken als KoordinatorInnen in Kooperationsprojekten zwischen professionellen Kunstschaffenden und Laien. Sie gestalten als DramaturgInnen Programmreihen, Konzertformate, Räume und Atmosphären und verfassen Texte über eine Vielfalt von Musiken und deren Kontext für herkömmliche und neue Medien. MusikvermittlerInnen (und damit sind immer auch MusikerInnen gemeint) arbeiten für ganz unterschiedliche Zielgruppen in interdisziplinären Teams, mitunter auch in einer soziokulturellen Rahmung.

Beispielbild
Abb. 1: Handlungsfelder von Musikvermittlung

Musikvermittlung schafft gemeinsame Handlungsfelder von MusikerInnen und weiteren AkteurInnen, will mit Kommunikation und Interaktion Beziehungen und Bezüge stiften und strebt nach einer gesellschaftlich relevanten Veränderung innerhalb der Handlungssituationen.

Musikvermittlung als Berufsfeld

Rückblickend erhielt Musikvermittlung als Berufsfeld einen besonderen Schub Ende der 1990er Jahre. Die „Initiative Konzerte für Kinder“ der Jeunesses Musicales Weikersheim war Anstoß für viele Orchester und Ensembles, sich angesichts der Umwälzungen im Musikleben ernsthaft mit Vermittlungsfragen zu befassen (vgl. Stiller/Wimmer/Schneider 2002). Für die Hochschulen wie für Kulturinstitutionen ist damit „etwas Selbstverständliches neu zur Aufgabe geworden: dass eine Kultur sorgsam gepflegt und von früh auf weiter gegeben werden muss, wenn sie nicht verloren gehen soll. Kultur beginnt von unten, bei den Kindern - auch mit Kinderkonzerten.“ (Schneider 2009:76).

Das früher umgangssprachlich verwendete Wort „Musikvermittlung“ wird seit 1998 als Bezeichnung für (Weiterbildungs-)Studiengänge verwendet (Musikhochschule Detmold). Damit wird ein weites außerschulisches Tätigkeitsfeld im Bereich der Musik erfasst, wie

  • „Programmgestaltung, Organisation und Moderation von Konzertveranstaltungen im öffentlichen Musikleben oder in den Medien für ein breites Publikum (auch mit eigenen Ensembles).
  • Moderation und Organisation von Konzerten für bestimmte Adressaten wie Familien-, Jugend- und Kinderkonzerte.
  • Betreuung von pädagogischen Programmen von Orchestern und freien Ensembles: Herstellen von Kontakten zu Schulen, Bereitstellung von Unterrichtsangeboten und –materialien.
  • Referententätigkeit bei Kulturinstitutionen, Kulturverwaltungen oder Musikvermittlungsorganisationen.
  • Mitarbeit bei Buch- und Sendereihen.“ (Schneider 2001:120)

Musikvermittlung als eigenständiges Praxis- und Forschungsfeld zielt im Unterschied zur Musikpädagogik nicht auf einen „aufbauenden“ Unterricht, sondern auf die Entwicklung einzelner, in sich relativ geschlossener Vorhaben wie Workshops, partizipative Projekte, spezielle Konzertformate, Installationen oder mediale Umsetzungen (vgl. http://www.kompass.kultur-vermittlung.ch/kompass/). Diese Einzelvorhaben wollen auf eigene Weise Neugierde und Aufmerksamkeit für Musik wecken, ein intensiviertes Hören anregen und überraschende Erlebnisräume öffnen (Schneider 2009:77).

Um im Tätigkeitsfeld Musikvermittlung professionell agieren und Musik in ganz unterschiedliche Kontexte setzen zu können, müssen über das Musikstudium hinaus weitere, auch außermusikalische Kompetenzen erworben werden. Das Kompetenzfeld der Musikvermittlung ist so breit, dass individuelle Schwerpunktsetzungen und Teamarbeit unerlässlich sind (Brandstätter 2001). Musikvermittelnde beschäftigen sich mit verschiedensten ästhetischen Praktiken. Sie bewegen sich, ausgehend von einem breiten Musik- und Kulturverständnis, in hybriden Arbeits- und Kunstformen und vernetzen sich für ihre Arbeit mit Experten aus unterschiedlichsten Künsten und Gesellschaftsbereichen zu interdisziplinären, intergenerativen und interkulturellen Teams. Vermitteln bedeutet hier auch einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und diplomatisch zu verhandeln. Weitere Kompetenzen benötigen MusikvermittlerInnen in Projektmanagement und zielgruppengerechter, multimedialer Kommunikation, denn Musikvermittlungsprojekte erfordern eine detaillierte inhaltliche, zeitliche und finanzielle Planung sowie eine sorgfältige Dokumentation und Evaluation.

Bedeutungen von ‚Vermitteln’

‚Vermittelt’ wird im täglichen Sprachgebrauch oft ein Eindruck, ein Gefühl, eine Ahnung, eine Botschaft, Kenntnisse, Wissen, Kontakte oder Werte (https://www.dwds.de/wb/vermitteln).

‚Vermitteln’ fächert ein Bedeutungsspektrum auf, das von ‚klären’ über ‚bewirken’ und ‚verschaffen’ bis zu ‚zeigen’ reicht (http://www.duden.de/rechtschreibung/vermitteln):

  • Eine Vermittlung im Sinne von Ausgleich führt zu einer (sozialen) Klärung.
  • Eine Vermittlung im Sinne von Herbeiführen ermöglicht (unv)erhoffte Erlebnisse und Wirkungen.
  • Eine Vermittlung im Sinne von Verschaffen und Zukommenlassen ist Voraussetzung für Ermächtigung.
  • Eine Vermittlung im Sinne von Zeigen impliziert Kommunikation.

Die unterschiedlichen Bedeutungen von ‚Vermitteln’ können in einer sich steigernden Reihenfolge geordnet werden: Für etwas eintreten – klären – zeigen – zukommen lassen – herbeiführen – beibringen.

Musikvermittelnde sprechen sich für „ihre“ Musik aus, wägen andere Perspektiven ab, führen vor, stellen sich und „ihre“ Musik zur Verfügung und wollen Reaktionen entfachen. Das Crescendo des Begriffs Musikvermittlung verläuft vom Agieren über Involvieren zum Interagieren.

Der Begriff ‚vermitteln’ wird u.a. in Politik, Ökonomie, Geschichte und Erziehungswissenschaften verwendet – und seit gut zwanzig Jahren auch in der Musik. Wird von Musikvermittlung gesprochen, so kann dies im Kontext von Pädagogik, Marketing, Kommunikation oder Dramaturgie geschehen.

Für Matthias Naske ist Musikvermittlung die „Förderung der individuellen Lust zur Wahrnehmung von Musik. Musikvermittlung basiert auf einem kommunikativen Prozess und ist eines der Schlüsselelemente für die Weiterentwicklung der Konzerthauskultur und - damit verbunden - die Entwicklung neuer Präsentationsformen, neuer Programmschienen und dem sich stets erneuernden Versuch, Brücken zwischen den Menschen auf der Bühne und im Publikum zu bauen." (Naske 2005, zit. in: Stiller 2008:41).

Der facettenreiche Begriff „Musikvermittlung“ wird Ende der 1990er Jahre für höchst unterschiedliche Inhalte aufgegriffen und in der Literatur für alles Mögliche fast inflationär verwendet. Die Bedenken daran, vor allem die Überschätzung der Wirkung, werden nachdrücklich vorgebracht (Mahlert 2002, Vogt 2008, Noltze 2010). Viele AkteurInnen bekunden Mühe mit dem Begriff Musikvermittlung. Sie empfinden die in ‚Vermittlung’ mitschwingende Fallhöhe unter den Beteiligten in Bezug auf Wissen, Deutungs- und Handlungsmacht als störende Trennung. Sie wollen Musik auf Augenhöhe vermitteln.

Zur Etymologie und Verwendung von ‚vermitteln’

‚Vermitteln’ leitet sich von ‚Mittel’ oder ‚Mitte’ ab, was „Durchschnitt(swert), Hilfe, Maßnahme, Arznei“ meint oder „trennend und hindernd in der Mitte steht“ (https://www.dwds.de/wb/vermitteln). Die Mitte oder das Mittel kann das Zentrum oder das Trennende sein, gleichzeitig aber auch Hilfe bieten bei der Überwindung von Gegensätzen oder beim Erreichen eines Ziels – durchaus auch in finanziellen Belangen.

Ein Mittelstück wird dazwischen geschoben, es verbindet Dinge, trennt sie jedoch auch. Während im Mittelhochdeutschen die Bedeutung von ‚vermitteln’ auch eine Störung einschließt, verschwindet im Neuhochdeutschen diese negative Konnotation. ‚Vermitteln’ steht hier im Zusammenhang von Zeigen, Zusammenbringen, Verursachen, Ausgleichen und sich Verständigen (http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GV02790#XGV02790).

Im heutigen Sprachgebrauch als Verb existieren die Präfixkomposita vermitteln, ermitteln (ab dem 19. Jh.) und übermitteln (ab dem 20. Jh.). Während bei „übermitteln“ ein Weiterleiten und Übergeben einer Botschaft mit einer klaren Richtung, einer möglichst genauen Übersetzung, möglicherweise mit Hilfe von (digitalen) Medien gemeint ist, rückt beim ‚Ermitteln’ der handelnde Mensch als Suchender und Entdecker ins Zentrum: der Ermittler oder die Ermittlerin will etwas Bestimmtes ausfindig machen.

Vermitteln ist ein längerer Prozess des Hin- und Herpendelns, ein verschlungener Weg des Ver- und Aushandelns, ein Geschehen von Zu- und Vertrauen. Heutige Synonyme von ‚Vermitteln’ gruppieren sich um Begriffe wie

  • jemandem etwas beibringen, ausführen, darbringen
  • beschaffen, herbeiholen
  • weitergeben, überliefern
  • durchstellen, verbinden
  • schlichten, mediieren
  • (sich) hinter etwas stellen, eintreten für
  • näherbringen, unterrichten
    (https://www.openthesaurus.de/synonyme/vermitteln)

Vermitteln wird aktiv, passiv oder reflexiv verwendet:

  • Die Moderatorin vermittelt Einblicke in die Musik.
  • Im Konzert wird Musik mit Bildern vermittelt.
  • Musik vermittelt sich selbst.

Eine Differenzierung des Begriffs Vermittlung gelingt in der Unterscheidung zwischen ‚vermitteln von’ als transitive, lineare Handlung und ‚vermitteln zwischen’ als wechselseitigem Prozess (Hüttmann 2009:37-38).

Historische Verweise und Entwicklung

Musikvermittlung ist eng mit der Entwicklung des Konzertwesens (Salmen 1988 und Schwab 1980) und der musikalischen (Aus-)Bildung verwoben. Heutige scheinbar innovative Formate wurden in ähnlicher Form bereits in früheren Jahrhunderten praktiziert. Dieser Artikel kann keinen historischen Exkurs bieten, hält aber fest, dass ein „Konzert“ keine bestimmte Norm darstellt, sondern sich in einer Wechselwirkung von sozialen und musikalischen Praktiken entwickelt.

Als erste erwähnte Musikvermittlung für Kinder und Jugendliche gelten die Hamburger Konzerte für Volksschüler, die Richard Barth ab 1898 moderierte und dirigierte (Seippel 2012). Leonard Bernstein, der in den 1960er Jahren auch das Fernsehen als Medium der Vermittlung nutzt, setzt mit seinen Young People’s Concerts einen Meilenstein in der Vermittlung von Musik. Als charismatischer Musiker und Moderator versteht er es, Unterhaltung und Unterweisung für das damalige bürgerliche Publikum perfekt zu einem Edutainment zu vereinen (Bernstein 1993).

Im deutschsprachigen Raum fordert die Kulturpolitik der 1970er Jahre die Orchester aus finanziellen und gesellschaftlichen Gründen auf, Konzerte für Kinder und ein zukünftiges Publikum zu spielen (Mall 2016). Pädagogische Konzepte für Kinderkonzerte werden erarbeitet, um Kindern und Jugendlichen die klassische Musik und das Konzertwesen näher zu bringen, denn es fehlt bei Schülerinnen und Schülern sowohl an klassischer Musizierpraxis als auch an einem bekannten Werkkanon. Ein weiteres Anliegen von Schülerkonzerten ist das Hören und Erleben von Musik als Primärerfahrung. Mit einem experimentellen Zugang zu Neuer Musik (z.B. von Dieter Schnebel und Gertrud Meyer-Denkmann) erfährt die Schulmusik der 1970er Jahre einen Paradigmenwechsel. Ein exploratives Vorgehen in heutigen partizipativen Vermittlungsprojekten mit Neuer Musik steht in einer pädagogischen und kompositorischen Tradition (Schneider 2017).

Seit der Jahrtausendwende werden Kinder und Jugendliche auch partizipativ in Schülerkonzerte eingebunden (Mall 2016). Ein Musikvermittlungsprojekt mit großem Ausstrahlungscharakter und vielen Nachfolgeprojekten ist „Rhythm is it“, bei dem Berliner Schülerinnen und Schüler zu Strawinskys Sacre du printemps tanzen.

Eine Professionalisierung setzt ein: Neben dem Studiengang in Detmold bilden weitere Musikhochschulen MusikvermittlerInnen aus, Stellen werden geschaffen, Netzwerke für Musikvermittlung (http://www.jungeohren.com) gegründet, Tagungen und Wettbewerbe durchgeführt, Weiterbildungen angeboten. Neue Fördermodelle geben musikvermittlerischen Aktivitäten Aufschwung, gleichzeitig erfolgt jedoch auch der Ruf nach einem Qualitätsdiskurs (http://kunstdervermittlung.at).

Seit Kunstmusik als Darbietung in einem Konzert MusikerInnen und Publikum unterschiedliche Verhaltensweisen zuweist, wird im Dazwischen vermittelt. Konzerte werden bewusst gestaltet, die Aufmerksamkeit gelenkt. Hierarchien und Verhaltensregeln führen zu Ordnung, Ordnungen und einem bestimmten Habitus. Die Trennung von Profis und Laien erfordert Gegenmaßnahmen. Es soll ein Bezug zur Musik, zur Gesellschaft und neuen Gesellschaftsschichten geschaffen werden.

Musikverständnisse

Auch wenn sich dieser Artikel auf Klassische Musik bezieht, sind damit Musikverständnisse noch nicht geklärt. Dies soll nun in groben Zügen erfolgen, denn unterschiedliche Musikverständnisse führen zu unterschiedlichen Erwartungen und Umgangsweisen in der Musikvermittlung.
Wird Musik als Sache verstanden, die als Kulturerbe gepflegt und weitergegeben wird, so wird z.B. Bodypercussion nicht als Gegenstand von Musik empfunden (Hans Christian Schmidt-Banse 2011, in: https://www.nmz.de/artikel/wider-den-grimmigen-belustigungs-furor).

Orientierungspunkt für ausübende MusikerInnen ist die Partitur als vorgegebenes Werk sowie dessen Kontext. InterpretInnen verstehen Musik meistens als „tönend bewegte Formen“ (Hanslick 1854), als musikalisches Kunstwerk, das sie mit möglichst hoher Werktreue gestalten.

Wird Musik als Symbolsystem verstanden, so bemüht sich Musikvermittlung darum, deren Zeichen zu deuten. Ursula Brandstätters Theorie der ästhetischen Transformation (Brandstätter 2013) basiert auf einem entsprechenden Musikverständnis.

Musik kann auch als Netzwerk von Beziehungen innerhalb von Musik, zwischen Musikerinnen und Musikern sowie InterpretInnen und Zuhörenden beschrieben werden (Borchard 2011). Dieses Musikverständnis zeigt sich in einer Musikvermittlung als Handlungsfeld von Kommunikation und Interaktion. Noch einen Schritt weiter geht der Musikwissenschaftler- und ethnologe Christopher Small, der seinen Musikbegriff „Musicking“ nennt und damit eine Tätigkeit meint: „Music is not a thing at all but an activity, something that people do." (Small 1998:2). „Musicking” verschiebt den Fokus vom Werk und AutorIn auf die Aktion und den oder die InterpretIn.

In diesem Sinne versteht Musikvermittlung (und hier begibt sie sich in eine Schnittmenge mit Musikpädagogik) Musik als kulturelle und soziale Praxis und als daraus entstehendes subjektives, identitätsbildendes Konstrukt. Im Umgang mit Klassischer Musik machen SchülerInnen unter Umständen Differenzerfahrungen (Heß, in: Jank 2012). VermittlerInnen von Klassischer Musik sollten daher deren soziale Bedingungen und Distinktionspotential kritisch reflektieren (Bourdieu 1982).

In einem konstruktivistischen Verständnis wird in der Musikpädagogik in Bezug auf Musik zwischen Bedeutung und Bedeutsamkeit unterschieden (Krause 2008). Auch für die außerschulische Musikvermittlung stellt dies ein spannendes Konzept dar. Um eine individuelle Bedeutsamkeit zu ermöglichen, sollen entsprechende Aufgabenstellungen zur eigenen Auseinandersetzung mit Musik anstiften (Hametner 2006). Dies ist auch beim Zuhören im Konzert möglich: „Hören ist ein aktiver und bedeutungskonstruierender Prozess, der ebenfalls die bis dahin bestehende musikalische Wirklichkeit im Kopf verändern kann, erst recht, wenn das Hören in einem besonders inszenierten Rahmen oder sogar in verschiedenen Rahmungen stattfindet.” (Krause-Benz 2014:306f.).

Musikvermittlung will solche Inszenierungen und Rahmungen schaffen. Eine Vorlage dafür kann die Musik selbst bieten: Der Musikwissenschaftler Nicholas Cook vergleicht die Partitur mit einem Rahmen, einerseits als Vorgabe für die Aushandlung von sozialen Interaktionen und andererseits als Möglichkeit für eine persönliche Entwicklung (Cook 2013:286). Die Partitur selbst wird dann zu einem Aktions- und Gesprächspartner (Cook 2013:287). Cooks Musikbegriff fordert einen offenen, performativen Umgang mit Musik und distanziert sich von Werktreue und Repräsentation im Konzert.

Erika Fischer-Lichte hat im deutschsprachigen Raum die Performativität in den Theaterwissenschaften eingeführt und dabei auf John Cages Arbeiten verwiesen. Statt um Repräsentation geht es hier um Präsenz. Im Vordergrund steht der bewusste, gestalterische Umgang mit Materialität, Zeit, Raum, Klängen und Körperlichkeit. Rollenverständnisse werden aufgebrochen, zwischen PerformerInnen und Publikum entsteht eine leibliche Ko-Präsenz. Dieses gemeinsame Erleben intensiviert sich als Feedback-Schleife in einer Wechselbeziehung unter den Beteiligten. Die Aufführung wird als Ereignis wahrgenommen (Fischer-Lichte 2004).

Viele Konzertsituationen der Musikvermittlung arbeiten mit Performativität und Strategien zur Präsenzsteigerung. Sie exponieren sich damit gegenüber KritikerInnen, die – ausgehend von einem musikalischen Werkbegriff – solchen Performances Inhaltslosigkeit, Verflachung, Exzentrik und Exaltiertheit vorwerfen.

Musik kann als Sache, tönende Formen, Symbol, Praxis oder Konstrukt empfunden werden. Ob sich Musikvermittelnde als InterpretInnen im Dienste von KomponistInnen und der Partitur oder aber als KommunikatorInnen mit dem Publikum, als AnstifterInnen für individuelle Bezüge sowie als PerformerInnen und eigenkreative Musikschaffende verstehen, hat Auswirkungen auf deren Haltung, Erwartung und Umgangsweisen.

Musikvermittlung, so kann als Konsens festgehalten werden, ist ein Handlungsfeld der Kommunikation und Interaktion von ausübenden MusikerInnen, unterschiedlichsten ExpertInnen und Laien mit dem Ziel, in einem Aushandlungsraum ästhetische Erfahrungen mit Musik und gesellschaftliche Relevanz herbeizuführen (Stiller 2008, Wimmer 2010b, Tober 2015, Mall 2016).

Bildungsverständnisse

Musikvermittlung konzipiert und gestaltet situationsbezogen günstige Bedingungen für ein Musikerleben. In solchen Situationen kann sich Bildung ereignen. Sie ist planerisch nicht zu sichern, geschieht jedoch nicht zufällig. Dies stellt für ein Bildungsziel wie ästhetische Erfahrung als individuelles Erleben und kontingentes Ereignis eine besondere Herausforderung dar (Heß, in: Jank 2005/2012: 207).

Carmen Mörsch zeigt am Beispiel von Musikvermittlung verschiedene Modi der Kulturvermittlung: eine Moderation oder Konzerteinführung nennt sie instruktionistisch; Mitmachaktionen, Workshops und partizipative Projekte seien handlungsorientiert (vgl. http://www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/v1/?m=4&m2=6&lang=d).
Die didaktische Interpretation (Christoph Richter 2012) streift mit dem Lebensweltbezug und der Frage „Was hat das mit mir zu tun?“ Problemstellungen des Regietheaters.
Konstruktivistische Methoden der Musikvermittlung eröffnen mit Fragestellungen und Aktionsräumen eigene Zugänge zu Musik (Hametner 2006 und Kosuch 2005).

Im Anschluss an den Philosophen Günther Anders kann Musikvermittlung als eine musikalische Situation der Veränderung gefasst werden (Khittl 2014). Verändert werden alle an der Situation Beteiligten: MusikerInnen, ZuhörerInnen und auch die Musik. Irritationen in Musikvermittlungssituationen führen eine Perturbation herbei (Bernhofer 2016). Die Auseinandersetzung mit Neuem und Fremderfahrungen können transformatorische Bildungsprozesse hervorrufen, die keiner vorbestimmten Logik oder einem Ursache-Wirkung-Prinzip folgen, sondern ereignishaft geschehen (Koller 2012).

Sich bilden ist nicht nur ein kognitiver, sondern auch ein körperlicher und sozialer Prozess. So sind auch Materialität, Zeitlichkeit, Räumlichkeit, Körperlichkeit und deren intensive Wahrnehmung sowie Interaktionen Bildungsimpulse (Wulf/Zirfas 2007, siehe auch: Malte Pfeiffer „Performativität und Kulturelle Bildung“).

Musik kann auch nonverbal als Embodied Music Interaction (Lesaffre/Maes/Leman 2017) und unter Berücksichtigung von neuronalen Prozessen (Kaiser 2014) in einem Bildungskontext erfahren werden. Dem Musikerleben, das nicht sprachlich reflektiert wird, wird in der außerschulischen Musikvermittlung einen großen Raum gegeben.

Aspekte von Musikvermittlung

Nach der Klärung von grundsätzlichen Verständnissen, soll nun mit der Beschreibung von verschiedenen Aspekten eine Annäherung an Musikvermittlung versucht werden.

// Vermitteln als Disziplin des Dazwischen

Als Disziplin des Vermittelns bewegt sich Musikvermittlung in einem Raum des Dazwischen: Musikvermittlung umfasst Aspekte von Kulturwissenschaft, Musikwissenschaft, Theater(-wissenschaft), Musikpädagogik, Kulturpädagogik, Sozialpädagogik, Kulturmanagement und Journalismus (vgl. Abb. 2). Dementsprechend breit gefächert ist das Berufsfeld von MusikvermittlerInnen. Aber auch jede und jeder ausübende MusikerIn befindet sich, sobald sie oder er nicht nur für sich selbst spielt, in einer Vermittlungssituation, deutet (d.h. interpretiert) Musik und interagiert in einer Handlungssituation mit dem Publikum und Kontext. Viele KomponistInnen, DramaturgInnen, RegisseurInnen, MusikmanagerInnen, VeranstalterInnen, KritikerInnen und JournalistInnen vermitteln Musik, ohne sich als VermittlerInnen zu bezeichnen (Swanwick 1999). Dem Vorwurf des Eklektizismus hält Musikvermittlung das Konzept von Transdisziplinarität entgegen (https://blog.zhdk.ch/trans/). Musikvermittelnde verstehen sich als AkteurInnen in einem hybriden Feld: Es findet eine Zusammenarbeit mit verschiedenen künstlerischen und wissenschaftlichen Disziplinen statt. Außerdem werden die Lebenswelt und das Praxiswissen von Laien in die Arbeit einbezogen. Oft sind gesellschaftliche Veränderungen Ausganspunkt für inter- und transkulturelle Projekte von Musikvermittlung.

Netzwerke (wie z.B. http://www.kultur-oeffnet-welten.de) bieten PraktikerInnen einen Einblick in Materialien und Theorien, die transkultureller Arbeit zugrunde liegen. Arbeitskreise und Tagungen regen zu Austausch und kritischer Reflexion an.

Als Disziplin des Dazwischen bewegt sich Musikvermittlung innerhalb verschiedenster (kultureller) Identitäten und deren Verflechtungen. Sie ist transdisziplinär konzipiert und somit ein Hybrid von Musik und weiteren Kunstsparten, Wissenschaften und Praxiswissen.

// Fokus auf Hören und ästhetische Erfahrung

Musikvermittlung fokussiert auf ein vertiefendes und erweiterndes Hören von Musik. Die Aufmerksamkeit des Publikums wird – im besten Fall auf die Musik! – gelenkt (Tröndle 2011), die Beteiligten interagieren und kommunizieren verbal oder non-verbal miteinander. Mit neuen Konzertformaten, Installationen und partizipativen Methoden sollen ästhetische Erfahrungen (siehe: Ursula Brandstätter „Ästhetische Erfahrung“) initiiert und bewusstgemacht werden. Nach Wolfgang Rüdiger „hat Musikvermittlung das Ziel, musikalisch-ästhetische Erfahrungen zu initiieren, genauer: in künstlerischen Kontexten Musik berührbar zu machen und Menschen zu berühren, zu bewegen, zu verändern; durch künstlerische Handlungen und Hörangebote Menschen zu öffnen für das Musikalische in ihnen und Musik zu öffnen für das Menschliche in ihr: die Bedeutung von Musik für das Leben der Menschen in ihrer Zeit.” (Rüdiger 2014:9).

Musikvermittlung will Beziehungen stiften zwischen Musiken, Musizierenden und Publikum und diese Beziehungen intensivieren und verfeinern.

// Persönliche und gesellschaftliche Relevanz von Musik

Musikvermittlung verfolgt das hohe Ziel, eine persönliche und auch gesellschaftliche Relevanz von Musik zu schaffen. Sie verbindet eine Haltung der Offenheit mit der Hoffnung nach kultureller Identitätsbildung und dem Anspruch nach öffentlicher Bedeutung. Dies ist nur möglich, wenn auch die musikalischen AkteurInnen und Institutionen sich selbst reflektieren und verändern, wenn sie sich selbst bilden und zu Orten von Bildung (im weiteren Sinne) werden (Tober 2015:193-194).

Relevanz meint Bedeutsamkeit, ein Begriff der konstruktivistischen Musikpädagogik (Krause 2008). Entdecken lassen statt erklären, fragen statt antworten oder Möglichkeiten bieten, eigene Zugänge zu finden, sind alles Vorgehen, die konstruktivistisches Lernen begünstigen. So kann eine Grundlage für Relevanz geschaffen werden, was einer Forderung der Kulturpolitik entspricht.

// Transformation als Funktion, Ansatz und Auswirkung

Eine transformative Funktion von Musikvermittlung im Sinne einer gesellschaftlichen und (innerhalb von Kulturinstitutionen) strukturellen Veränderung bedeutet auch eine Störung eines Systems (Mörsch/Settele 2012). In einem offenen Prozess werden Verständnisse und Hierarchien in Frage gestellt, das Produkt ist nicht planbar, sondern kontingent. Dies impliziert für die Planung, Kommunikation und Evaluation solcher Projekte Risiken und erhebliche Schwierigkeiten. Bisher existieren keine Berichte von transformativen Vermittlungsprojekten, die Strukturen tatsächlich nachhaltig verändert haben. Eine Gelingensbedingung für (nicht nur) strukturelle Transformation ist das Vertrauen unter allen Beteiligten (von den Auftraggebenden über die Durchführenden und Teilnehmenden bis zu den Geldgebenden). Außerdem sollte ein Musikvermittlungsprojekt von der künstlerischen und operationellen Leitung unterstützt werden. Nur wenn die Leitenden offen für Veränderung sind, kann Musikvermittlung Strukturen hinterfragen, irritieren und allenfalls transformieren. Auch kann Musikvermittlung selbst obsolet werden, wenn sie als integrale Haltung von Anfang an mitgedacht und umgesetzt wird. IntendantInnen mit entsprechenden Überzeugungen bezeichnen sich mitunter als MusikkuratorInnen (Fein 2011). Die transformative Funktion von Musikvermittlung impliziert auch künstlerische Veränderungen. Musikvermittlung kann Labor und Treibmittel sein, um ein traditionelles Konzertwesen der Repräsentation durch die Cultural Turns (Doris Bachmann-Medick 2006) in Bewegung zu bringen und neue Formate und Zugänge zu kreieren. Geht es hingegen primär um die Weitergabe von klassischer Musik und die Erhaltung des Konzertwesens als Kulturerbe, so wird vor allem eine musikalische Alphabetisierung gefördert. Das Einführen in einen bestimmten Habitus folgt dann nach Carmen Mörsch nicht einer transformativen, sondern einer affirmierenden Funktion von Musikvermittlung (vgl. http://www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/v1/?m=5&m2=1&lang=d).

Der Begriff Transformation kann sich auch auf einen bestimmten methodischen Ansatz beziehen. Ein mögliches Verfahren dafür ist die ästhetische Transformation, ein künstlerisches Umschaffen von Musik in eine andere (Kunst-)Form. Ästhetische Transformation arbeitet mit Abstraktion, Analogiebildung, Übertragung, Kontextverschiebung oder Irritation, entweder innerhalb von Musik (intramedial) oder zwischen Musik und anderen Künsten (intermedial) (Brandstätter 2013).

Der Begriff der Transformation wird auch in den Erziehungswissenschaften verwendet und vertritt ein Konzept, das auch auf die Musikvermittlung übertragen werden kann (Bernhofer 2016). Bildung wird hier als Transformation von Welt- und Selbstverhältnissen beschrieben und erkennt in Fremderfahrungen und Irritationen einen Auslöser und eine Herausforderung für Bildungsprozesse (Koller 2012).

Musikvermittlung umfasst ästhetische, persönliche und strukturelle Transformationsprozesse, die sich zwischen Ähnlichem und Anderem, Vertrautem und Fremdem bewegen.

// Verstehen und Nicht-Verstehen

Oft legt Musikvermittlung Wert auf das Verstehen von Musik, auf das Erkennen und Deuten von Codes und Zeichen. Ein hermeneutischer Zugang in Musikvermittlung weitet den Verstehensprozess auf das Selbstverstehen aus. Im Dialog mit sich selbst, der Musik, dem Kontext und den Mitmenschen geht es um das Befragen von Musik und Finden einerseits von Ordnungen in der Musik und andererseits von Treffpunkten zwischen Musik und Lebenswelt. Musik kann so zu einem „Beziehungspartner“ (Richter 2012:42-43) werden. Auch musikalische Gestaltungsprinzipien wie Öffnen und Schließen vermitteln als Analogien zwischen Musik und Mensch (Hüttmann 2009).

Mit einer metaphernreichen, poetischen oder verfremdeten Sprache versucht Musikvermittlung, dem Wesen der Musik näher zu kommen und eröffnet damit vielfältige Deutungsmöglichkeiten (Brandstätter 1990; 2013).

Werden in einer Konzertmoderation Dinge nur angedeutet oder offen gelassen, dann werden diese Leerstellen zu Lehrstellen und Hörimpulsen, die das Publikum einladen, selber aktiv zu werden und eigene Bezüge zur Musik zu schaffen (vgl. Wolfgang Isers Leerstellen-Konzept in der Literaturwissenschaft, Iser 1976:284). Wenn Ausstattung und Inszenierung Ideen nur andeuten oder umdeuten, wird die Phantasie des Publikums verstärkt aktiviert. Reduktion und Abstraktion rufen eigene Konstruktionen hervor.

Leerstellen bietet auch die Musik selbst (Müller-Brozovic 2015): beim Interpretieren von Partituren gilt es, Entscheidungen zu treffen, wie z.B. das Tempo, die Dynamik, die Phrasierung oder Verzierungen gestaltet werden. Eine Kadenz in einem Solokonzert eröffnet dem Solisten oder der Solistin die Möglichkeit, eigene musikalische Ideen umzusetzen. Notationen von Alter Musik und Neuer Musik überlassen den Musizierenden oft einen größeren Spielraum. Grafische Partituren, Konzeptstücke und Scores beziehen die Interpreten als Mitkreierende ein.

Musikvermittlung kann neben einem Verstehen von Musik auch Gelegenheiten schaffen für ein Verstehen durch Musik, insbesondere mit nonverbalen Methoden. Wie Ursula Brandstätter (2013) darlegt, eröffnen ästhetische Transformationen einen Raum des Dazwischen, der divergentes Denken in einem offenen Erkenntnisprozess initiiert. Die ästhetischen Transformationen zeigen sich in ihrer Materialität („zeigen von“), weisen jedoch ebenso auf Ähnlichkeiten und Unterschiede hin („zeigen auf“). Diese Wechselspiele in der Wahrnehmung bieten sowohl Erkenntnis von Kunst wie auch Erkenntnis durch Kunst.

Performativität, wie sie im (Sprech-)Theater eine wichtige Rolle spielt (Fischer-Lichte 2004), erhält in der Musikvermittlung zunehmend Gewicht. Die InterpretInnen repräsentieren nicht, sondern performen Musik: Sie beziehen ihre Körperlichkeit und den Raum in ihre Aufführung mit ein, inszenieren die Musik und ihr Musizieren und riskieren Momente von Unvorhergesehenem. Die Musizierenden agieren und reagieren auf das Publikum, auf MitmusikerInnen und die Situation.

Der Fokus liegt hier nicht auf dem Verstehen und Begreifen, sondern auf dem Erleben und dem Ergriffensein (Hirsch 2016). Musik offenbart einen ästhetischen Überschuss, der sich einer Deutung und dem Verstehen entzieht.

Das Verstehen und Nicht-Verstehen interagieren in einer Wechselbeziehung und sind keineswegs als Widerspruch zu verstehen, sondern sie „oszillieren“ in der Wahrnehmung der RezipientInnen (Gumbrecht 2004). Ein vollständiges Verstehen existiert nicht und das Nicht-Verstehen fungiert als Moment der Dynamik und Autonomie in einer Musikvermittlungssituation (Rüdiger 2014:14).

Bestimmte Methoden der Präsenzsteigerung begünstigen eine intensive Wahrnehmung von Musik, ohne sie zu verstehen (Rebstock 2011):

  • Auratisierung verstärkt die Präsenz von InterpretInnen.
  • Spiritualisierung lädt zur kontemplativen Wahrnehmung einer (Hör-) Atmosphäre ein.
  • Visualisierung kontextualisiert Musik und fokussiert auf die bildliche Wahrnehmung von Musik.
  • Performatisierung inszeniert MusikerInnen und Musik.

Musikvermittlung fördert das Verstehen von Musik, das Verstehen des Selbst und das Verstehen durch Musik, wobei Analogien als Treffpunkte zwischen Vertrautem und Fremdem fungieren. Leerstellen bieten Interpretationsspielraum für MusikerInnen und Publikum und ermöglichen eigene Zugänge. Durch Performativität und die Steigerung von Präsenz hoffen die Beteiligten auf die Emergenz eines Ereignisses und auf Ergriffenheit. Verstehen und Nicht-Verstehen wechseln sich ab, sie oszillieren.

// Positionen und Perspektivenwechsel

Als Disziplin des Dazwischen bewegt sich Musikvermittlung zwischen verschiedenen Positionen und Perspektiven. Der Perspektivenwechsel ist daher ein wichtiges Vorgehen. Musikvermittelnde wechseln immer wieder den Standort und schätzen eine Situation von verschiedenen Positionen ein. Dies betrifft nicht nur die Zusammenarbeit mit verschiedenen Zielgruppen und Berufsgruppen, sondern auch das Vermitteln von Musik selbst: einerseits wird an Bekanntem angeknüpft und versucht, die Lebenswelt von Teilnehmenden einzubeziehen, andererseits wird absichtlich irritiert und Unbekanntes inszeniert. Außerdem wünscht sich Musikvermittlung die Schaffung eines dritten Raumes der transkulturellen Aushandlung (Wimmer 2010b:150).

Die erhoffte Gleichheit von Positionen wird auch mit dem viel zitierten Begriff der „Augenhöhe“ beschworen (https://www.berliner-philharmoniker.de/education/10-fragen/). Grenzen sollen überwunden werden, doch braucht es dazu auch einen ehrlichen Umgang mit Differenzen, Widerständen und Zumutungen (Noltze 2013).

Die Position von Musikvermittlung innerhalb einer Kulturinstitution ist disparat. Zwischen Außendarstellung in der Öffentlichkeit und Gesucheingaben einerseits und der tatsächlichen personellen, finanziellen und organisatorischen Unterstützung andererseits besteht eine große Diskrepanz. Musikvermittlung möchte Chefsache sein, ist aber meistens der Öffentlichkeitsarbeit unterstellt und muss deren Auflagen erfüllen. Bisher beziehen erst wenige Festivals und Konzerthäuser Musikvermittelnde von Anfang an in ihre künstlerische Planung mit ein (z.B. Beethovenfest Bonn, Musikfestival Bern, Konzerthaus Wien). Im Gegensatz zu Musikinstitutionen mit dichtem Dispositionsplan und klaren Hierarchien können freie Ensembles, obwohl sie mit eingeschränktem Budget arbeiten, ihre Programme und Musikvermittlungsprojekte unter flexibleren Bedingungen entwickeln und mit Neuem experimentieren.

Grundsätzlich sind das Bewusstsein für die eigene Position, das Wahrnehmen von Differenzen zu anderen Standpunkten und der reflektierte Umgang mit Perspektivenwechsel Ausgangspunkte und Vorgehensweisen von Musikvermittlung.

// Verortung von Musikvermittlung

Musikvermittlung kann unterschiedliche Inhalte, Ziele, Formate, Handlungs- und Kooperationsweisen, Zielgruppen und AkteurInnen haben. Der Kompass Musikvermittlung bietet mit fünf W-Fragen eine Verortung und Begrifflichkeiten für die Beschreibung von Musikvermittlungsprojekten (http://www.kompass.kultur-vermittlung.ch/kompass/). Eigene Anmerkungen und Erläuterungen verhindern ein schnelles oberflächliches Ankreuzen und Ausfüllen der Kategorien. Der Kompass kann auch als Werkzeug für eine Reflexion und Evaluation von Musikvermittlung dienen. Im Diskurs unter Beteiligten kann sich eine differenzierte Darstellung ergeben. Denn die Perspektive auf ein Vermittlungsprojekt und dessen Wahrnehmung kann je nach Position der Beteiligten ganz unterschiedlich sein.

Die Kategorien was, warum, wer, wem und wie des Kompass Musikvermittlung erfassen die Struktur von Vermittlungsprojekten. Der Kompass lässt jedoch Entscheidendes offen: es fehlen Fragen nach dem Umgang mit dem Ort, Raum, Zeit(en), Kontext, Körper und Leib. Auch die Beziehungen unter den Beteiligten und ihren Umgang mit (Deutungs-)Macht und (Un-)Sichtbarkeit sind entscheidende Faktoren in Musikvermittlungssituationen. Eine erweiterte Beschreibung und Reflexion von Projekten unter Berücksichtigung dieser Fragen wäre wünschenswert.

// AkteurInnen der Musikvermittlung

Musikvermittelnde wirken auf die Situation ein, die „geprägt ist […] von der gewählten Musik, von der Haltung und Ausstrahlung der Musiker und der sonstigen Mitwirkenden, von der Ordnung und Atmosphäre des Raums, von der Wirkung des Lichts, von der Einmaligkeit und von den […] Erwartungen der Zuhörer." (Schneider 2014:38-39). Das Reagieren auf den Moment, der Umgang mit Risiko, Unvorhergesehenem und Widerständen gehören zu einer Haltung der Offenheit und Dialogbereitschaft.

OrchestermusikerInnen, die sich musikvermittlerisch engagieren, betreten neues und unsicheres Terrain, sie exponieren sich vor ihren KollegInnen, sehen darin aber auch eine Chance für bereichernde Begegnungen (https://www.berliner-philharmoniker.de/education/10-fragen/). Die Teilnahme an einem Musikvermittlungsprojekt bietet MusikerInnen die Chance, sich weiterzuentwickeln, die eigene künstlerische Arbeit zu reflektieren, sich sozial und Sinn stiftend einzubringen und eine Relevanz als MusikerIn zu erfahren (Lampson 2011).

Musikvermittlung wirkt auch in Institutionen hinein: Beteiligte MusikerInnen sind BotschafterInnen und MultiplikatorInnen und tragen zu einer Kultur der Offenheit bei. Dies ist eine Voraussetzung für Veränderungen innerhalb von Kulturinstitutionen. Musikvermittelnde müssen sich auf Risiken und Widerstände einlassen. In Interaktion und im Dialog mit unterschiedlichsten PartnerInnen erfahren sie ihr Tun als sinn- und wirkungsvoll.

Schnittmengen von Musikvermittlung und angrenzenden Disziplinen

Statt einer abgrenzenden Begriffsbestimmung können Schlaglichter auf Schnittmengen zeigen, wo Musikvermittlung ausfranst und in verwandte Disziplinen übergeht. An dieser Stelle ist nur eine oberflächliche Erwähnung möglich, die einer Erweiterung und Differenzierung bedarf.

Beispielbild
Abb. 2: Schnittmengen von Musikvermittlung

// Schulmusik

  • Im Gegensatz zu Schulmusik ist die außerschulische Musikvermittlung (meistens) kein kontinuierliches, aufbauendes Angebot, sondern arbeitet in zeitlich überblickbaren Projekten. Eine Nachhaltigkeit kann sich jedoch auch in Schlüsselerlebnissen ergeben. Außergewöhnliche und außerschulische Projekte bleiben in der Erinnerung eher haften als kontinuierlicher Unterricht.
  • Schulische und außerschulische Musikvermittlung stellen zwei unterschiedliche Systeme dar (Mall 2016). Für eine Kooperation braucht es Offenheit, Respekt, Kommunikation, Rollenklärung und ein Finden von gemeinsamen, sich überschneidenden Zielen (Müller-Brozovic 2014).
  • Peter Mall (2016:190) beschreibt Musikvermittlung als „verbindendes Element von musikalischer Praxis und Musikunterricht“.
  • Die Irritation, die sich durch die Kooperation der beiden Systeme Schulmusik und außerschulische Musikvermittlung ergibt, stellt als Perturbation eine Chance für positive Veränderungen dar.
  • Schulmusik orientiert sich inhaltlich wie methodisch am Lehrplan sowie an den Präferenzen und dem Kontext der Lehrpersonen und der SchülerInnen. Musikvermittlung kann in Kooperationsprojekten mittels Begegnungen und Zusammenarbeiten mit ausübenden MusikerInnen an Orten des öffentlichen Lebens wie Konzertsälen und Theatern authentische Zugänge zu klassischer Musik bieten (Swanwick 1999).
  • Die außerschulische Musikvermittlung muss Teilnehmende nicht bewerten. Schulmusik jedoch schätzt Schülerinnen und Schüler oft nach bestimmten Kriterien ein, auch wenn sie je nach Unterrichtsthema und Methodik nicht unbedingt mit den Kategorien „richtig“ und „falsch“ arbeitet.
  • In Musikvermittlungsprojekten agieren und entscheiden Leitende manchmal gegen pädagogische Grundsätze (es werden z.B. nicht alle Lernenden gleich behandelt). Dies kann (im besten Fall) aber auch eine Zumutung im positiven Sinne sein (siehe: Antje Klinge „Was heißt hier Vermittlung? Ein-Blick in die tanzkulturelle Bildungspraxis“).
  • Als Intervention von begrenzter Dauer kann außerschulische Musikvermittlung nur Impulse setzen, aber keine kontinuierliche Auseinandersetzung mit Musik oder ein Üben am Instrument bieten. Außermusikalische Musikvermittlung kann und darf nicht Ersatz sein für musikalische Bildung an Schulen und Musikschulen.

// Musik und Bewegung

  • Musik und Bewegung, Rhythmik und Elementare Musikpädagogik beeinflussen gewisse Handlungsfelder der Musikvermittlung sehr stark: In partizipativen Projekten und Interaktionen (z.B. in Kinderkonzerten) werden Methoden aus diesen Disziplinen eingesetzt.

// Community Music

  • Der Begriff ‚Community Music’ basiert auf einem Verständnis von Musik als sozialem Prozess im Kontext persönlicher Entwicklung und gesellschaftlicher Relevanz (Kertz-Welzel 2008:71; siehe auch: Alicia de Banffy-Hall / Burkhard Hill „Community Music: Eine Einführung"). MusikerInnen stehen in einer sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung und wollen problematische Situationen der Ungleichheit und Ausgrenzung mit gemeinsamem Musizieren verändern. In partizipativen Projekten bestehen hier Schnittmengen mit Musikvermittlung. Doch Musikvermittlung orientiert sich auch an komponierten Werken und Interpretationen von professionellen MusikerInnen, umfasst neben partizipativen Projekten auch Inszenierungen und Installationen und führt zu klassischen Musikwerken hin. Außerdem agiert insbesondere institutionell gebundene Musikvermittlung von einer anderen kulturpolitischen Ausgangsposition: Hochkultur soll mit kultureller Teilhabe legitimiert werden.

// Audience Development und Kulturmanagement

  • Während Musikvermittlung die Beziehung zwischen Musik und Menschen qualitativ intensivieren will, verfolgt Audience Development primär die Absicht einer quantitativen Steigerung und Erweiterung dieser Beziehungen und gibt einen strategischen Rahmen vor (siehe: Birgit Mandel „Kulturvermittlung, Kulturmanagement und Audience Development als Strategien für Kulturelle Bildung"). Die Art und Weise, wie Beziehungen zu (neuen) Zielgruppen aufgebaut und gepflegt werden können, ist die Schnittmenge von Audience Development und Musikvermittlung.
  • Sowohl Kulturmanagement wie Musikvermittlung konzipieren Projekte, formulieren Ziele und denken Zielgruppenorientiert. Das Kulturmanagement setzt den Schwerpunkt in der organisatorischen Planung und Durchführung, die Musikvermittlung in der inhaltlichen Konzeption, der konkreten Umsetzung und Begegnung mit neuen Zielgruppen.

// Kulturwissenschaft und Cultural Studies

  • Als interdisziplinäre Wissenschaften berücksichtigen und reflektieren die Kulturwissenschaft und Cultural Studies Diskurse von u.a. Philosophie, Anthropologie und Soziologie in einer kritischen Haltung.
  • Theoretische Diskurse und empirische Forschungsmethoden bieten vielfältige Anknüpfungspunkte für eine weitere Professionalisierung und theoretische Fundierung von Musikvermittlung, insbesondere Untersuchungen von kulturellen Praktiken, Prozessen und Dynamiken in Bezug auf Macht.

// Musikwissenschaft

  • Anknüpfungspunkte zur Musikwissenschaft sind (abgesehen von einem grundsätzlichen Nutzen von musikwissenschaftlichen Erkenntnissen für die Musikvermittlung) insbesondere die Kontextualisierung von Musik (Danuser 2010) sowie die Interpretationsforschung.
  • Kontextualisierung umfasst auch den strukturellen, medialen und personalen Kontext (Wimmer 2010b:114). In diesem Sinne könnte Musikvermittlung auch als Teil einer erweiterten Interpretationsforschung verstanden werden. Im Fokus stünde dann das Musizieren als Praxis und Performance, die sich auch in Bereiche „beyond the score“ (Cook 2013) wagt.

// Szenische Arbeit und Theaterwissenschaft

  • Inszenierte Konzerte und nonverbale Musiktheaterproduktionen zählen zu den beliebtesten Formaten der Musikvermittlung.
  • Dramaturgie, Inszenierung und Performativität als Themen der Theaterwissenschaft betreffen auch die Musikvermittlung. Analog zur Abgrenzung von Theaterwissenschaft zur Literaturwissenschaft, könnte sich Musikvermittlung in ihrer Abgrenzung zu Musikwissenschaft zu einer musikalischen Schwesterdisziplin von Theaterwissenschaft entwickeln. Allerdings sind performative Formate nur eine von mehreren Umgangsweisen innerhalb von Musikvermittlung (vgl. http://www.kompass-musikvermittlung.ch/kompass/).

// Journalismus

  • Musikvermittlung ist Kommunikation und damit auch Teil von Medien- und Öffentlichkeitsarbeit. Das Sprechen und Schreiben über Musik, auch in Rundfunk und neuen Medien, ist journalistische und musikvermittlerische Praxis.

Die Schnittmengen von Musikvermittlung zu anderen Disziplinen sind als Bereich von Osmose zu verstehen. Offenheit und Durchlässigkeit ermöglichen einen Perspektivenwechsel, Austausch, neue Ansichten und Haltungen.

Förderung von Musikvermittlung

Der sprunghafte Anstieg von Musikvermittlungsprojekten steht im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Veränderungen. Der Rückgang und die Überalterung des Konzertpublikums, ein erweiterter Kulturbegriff und neue Kulturfördermodelle fordern kulturelle Teilhabe, um Subventionen für Orchester und Oper zu legitimieren. Musikvermittlung wird meistens mit Projektgeldern finanziert oder muss aus dem bestehenden Budget von Kulturinstitutionen bezahlt werden. Musikvermittlung steht damit auch in finanzieller Konkurrenz zu rein künstlerischen Produktionen, denen eine höhere Wichtigkeit zugemessen wird. Viele MusikvermittlerInnen leben aufgrund von geringen Gagen und Löhnen im Prekariat.

Die außerschulische Musikvermittlung gewinnt an Bedeutung und wird zur Legitimierung von Fördergeldern und Imageaufbesserung öffentlichkeitswirksam eingesetzt. Musikvermittlung selbst wird aber oft nur mit knappen Ressourcen aus insgesamt geringer werdenden Mitteln unterstützt.

Kritik an Musikvermittlung

„Alles immer gut“. Mit dieser Aussage bringt die gleichnamige Publikation des Rats für Kulturelle Bildung die Kritik an Musikvermittlung auf den Punkt: „Mythen Kultureller Bildung“ würden nicht kritisch reflektiert. Die Denkschrift und ihre Folgepublikationen formulieren klare (Forschungs-)Desiderate in Bezug auf AkteurInnen, deren Handlungsweisen und Kontexte (http://www.rat-kulturelle-bildung.de/fileadmin/user_upload/pdf/RFKB_ALLES_IMMER_GUT_Fazit.pdf). Das (ehemalige) Ratsmitglied Holger Noltze (2010) verspottet die vermeintliche Leichtigkeit von Musikvermittlung und listet deren Lügenkatalog auf: Komplexität und Widerstände würden ausgeblendet, Schwierigkeiten verschwiegen, Eingängiges würde Anstrengendem vorgezogen, Vermittlung mit Vereinfachung verwechselt. Außerdem würden erwachsene Nicht-HörerInnen mit Musikvermittlung gar nicht erreicht, vielmehr wabere die Szene in einer Blase und entwickle sich nicht weiter (Noltze 2013). Musikvermittelnde agieren mit „sozialkompensatorischem Furor“ und halten ihre Basteleien für Musik – dies sind weitere Vorwürfe (Schmidt-Banse 2015:92). Dahinter stehen ein traditioneller Musikbegriff sowie die Sorge um die „Integrität von klassischer Musik als Kunst“ (Noltze 2013:64).

Nicht nur Banalisierung, auch Kommerzialisierung und Instrumentalisierung wird Musikvermittlung vorgeworfen: Sie sei vor allem auf Außenwahrnehmung und Kundenfang bedacht und bloßes Mittel, um bestehende Strukturen und die Verteilung von Fördergeldern zu legitimieren. Mal ist Musikvermittlung zu sehr unterhaltend, mal zu pädagogisch, mal zu wenig künstlerisch.

Teure Leuchtturmprojekte ohne Verknüpfung mit kontinuierlichen musikalischen Angeboten böten keine Nachhaltigkeit. Dass kulturelle Schlüsselerlebnisse Haltungen verändern oder die Welt öffnen, sind Behauptungen, die Gefahr laufen musikalische Erlebnisse mit Transfereffekten zu überblenden. Hohe Ansprüche in der Musikvermittlung führen, auch weil sie ständig verwendet werden, schnell zu Worthülsen.

Will Musikvermittlung sich professionalisieren, so sind ein kritisch-konstruktiver Diskurs, ein Bewusstsein für historische Wurzeln und deren Weiterentwicklung, Reflexion, Forschung und Theoriebildung wünschenswert.

Qualitäten von Musikvermittlung

In Musikvermittlung investierte Gelder verlangen nach einer Qualitätsüberprüfung. Da Musikvermittlung ein offener Prozess ist, muss eine Evaluation auch Aushandlungen und Veränderungen berücksichtigen, ja unter Umständen als positiv gewichten. Mit dem Kompass Musikvermittlung können erhoffte und erreichte Ziele formuliert und diskutiert werden (http://www.kompass.kultur-vermittlung.ch/kompass/). Die Exchange-Studie von Constanze Wimmer (2010a) bietet Fragen zur Reflexion und kann Ausgangspunkt sein für eine konstruktive, zukunftsgerichtete Evaluation. Kriterien von Musikvermittlung werden darin unter Struktur-, Prozess- und Produktqualitäten subsummiert (http://kunstdervermittlung.at).

Ausblick

Dieser Grundlagenartikel will in der Auffächerung von Musikvermittlung unterschiedlichste Facetten aufzeigen, die weiter ausgearbeitet und entwickelt werden sollten.

Zusammenbringen oder auch stören – diese ursprünglichen, ambivalenten Bedeutungen von ‚Vermitteln’ können als Impuls oder Irritation Momente des Schaffens, Umschaffens, der Formation (Bildung!) und Transformation kreieren. Musikvermittlung als reflektierte Haltung kann dann zu einem Labor für künstlerischen Wandel werden.

Internetlinks

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Irena Müller-Brozovic (2017): Musikvermittlung. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://kubi-online.de/index.php/artikel/musikvermittlung (letzter Zugriff am 14.09.2021).

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