Kulturelle Schulentwicklung
Der Vortrag fokussiert auf die Frage: Wie ist eine prozessorientierte Schulentwicklung angesichts des Auftrags von Schule und gesellschaftlicher Transformationsthemen (z.B. Digitalität, Diversität, Nachhaltigkeit) möglich ist und inwiefern sie durch ästhetisch-kulturelle Praktiken systematisch gestaltet und unterstützt werden kann? Von Schule wird nicht selten erwartet, dass sie – wissend, dass sie die gesellschaftlichen Probleme nicht lösen kann – zumindest Kinder und Jugendliche darin befähigt, diese Zukunftsaufgaben künftig lösen zu können. Schule bewegt sich dabei im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen, die von unterschiedlichen Akteur*innen adressiert werden, und ihrer Eigenlogik, der spezifischen Grammatik von Schule (vgl. Tyak/Tobin 1994).
Die sieben zentralen Prinzipien dieser spezifischen Grammatik der Schule sind Ausgangspunkt des Beitrags und werden eingangs gekennzeichnet (ab 3:30), im Konkreten durch das Prinzip des Unterrichts, des Prüfens, der Allgemeingültigkeit, der Vergleichbarkeit, der kognitiven Leistung, der reflexiven Distanz und der Anstrengung. Daran anschließend zeichnet der Vortrag nach, wie durch gesellschaftliche Transformationen (z.B. durch digitale Medienphänomene oder KI) diese Prinzipien gemeinsam mit den schulischen Versprechungen (z.B. Teilhabe, Aufstieg) in eine Sinnhaftigkeits- und Glaubwürdigkeitskrise geraten. Damit einher geht ein enormer Transformationsdruck auf Schule, konkrete Antworten auf neue Herausforderungen zu finden, (bisherige) Strukturen, Prozesse und Paradigmen zu überwinden und Erfolg und Gelingen neu zu definieren.
Um diese Transformationen zu ermöglichen, ist es grundlegend notwendig, Schule als Institution zu verstehen (ab 12:15). Mit den durch Helmut Fend (2006/2008) umrissenen Funktionen von Schule (Qualifikation, Enkulturation, Allokation, Integration) übernimmt sie als Institution nicht nur einen gesellschaftlichen Auftrag, sondern steht in einem unmittelbaren Leistungsverhältnis zum Staat. Das begrenzt die Institution Schule in ihren Möglichkeiten des Transformierens und Erfindens. Ihr ist nur ein reguliertes Erfinden – ein Rekontextualisieren – möglich, indem Schulleitungen die durch Gesetze und Erlasse (Makroebene) strukturierte Ordnung auf die eigene Schule (Mesoebene) und in eine gelebte Ordnung mit den unterschiedlichen Akteursgruppen einer Schule (Mikroebene) zu übersetzen und die Möglichkeiten des Erfindens zu reflektieren.
Der Modus der Rekontextualisierung unterscheidet sich von Transformation und damit verbundenen Prozessen des Erfindens, wie sie für eine prozessorientierte Schulentwicklung notwendig ist, die sich auf Zukunftsanforderungen ausrichtet. Dazu sind transformatorische Settings notwendig (ab 22:45), deren Gelingensbedingungen in der Forschung zu transformativen Lernumgebungen beschrieben werden, z.B. die Anerkennung von sozialen und kulturellen Praktiken junger Menschen, die konzeptionelle Einbettung von praktischen Wissensformen, Kooperation oder die projekthafte Vernetzung von Themen und Lernbereichen. Dargestellt wird, wie Kulturelle Bildung bei der Entwicklung und Umsetzung transformativer Lernumgebungen unterstützen kann, indem sie drei entscheidende Faktoren sichert: Erfahrungsorientierung und Individualität, Anerkennung junger Menschen als Personen sowie Einbettung von Schule in Lebenswelt (d.h. in den digitalen und kommunalen Kulturraum).
Darauf aufbauend werden Alltagsstrategien und Perspektiven Kultureller Bildung (ab 32:30) für Schulentwicklung anhand einer Studie von Bettina Gördel (2020) vorgestellt. Eine systematische Implementierung kultureller Schulentwicklung ist zum einen durch einen personenbasierten Modus möglich, der auf individueller Eigeninitiative beruht und zur hochindividualisierten Arbeitssituation in Schulen passt. Er ist von einem institutionenbasierten Typ zu unterscheiden, in dem Implementierungsprozesse von der Schule getragen – z.T. bis hin zu einem kulturellen Schulprogramm/Schulprofil – getragen werden. Um erfolgreich zu sein, benötigen diese beiden Typen einen evolutionären Modus (dritter Typ), in dem Schulen suchend-variierend und schrittweise aus Erfahrungen lernen und ihre Entwicklung koordinieren. Für eine diesbezügliche kulturelle Schulentwicklung mit ihren drei Schwerpunkten Unterrichts-, Personal- und Organisationsentwicklung gibt es unterstützende Tools.
Abschließend werden konkrete Strukturen und Prozesse dargestellt (ab 49:45), um nicht nur transformativen Anforderungen gerecht zu werden, sondern damit auch Schulidentität in Anlehnung an das Modell der Schulkultur nach Werner Helsper et al. (2001) zu reflektieren und zu entwickeln. Dies erfolgt in drei Schritten einer die gesamte Schulgemeinschaft begeisternden Institutionalisierung: einer Analyse, einer Zielbestimmung (mit der Öffnung des Horizonts) und einem zyklischen Projektmanagement für Kulturelle Bildung, für das Prozess- und Strukturmomente erläutert werden (z.B. Kulturbeauftragte, Kultursteuergruppe, Kulturpartner*innen, kuratierte Erfahrungs- und Reflexionswerkstätten oder Kulturfahrpläne).