Kulturelle Erwachsenenbildung: (Bildungs-)Interessen, Strukturen, Partizipationsformen – und ihre Übersetzung in Wissensstrukturen für Programmentwicklung
Verortung Kultureller Erwachsenenbildung vor dem Hintergrund aktueller Ausdehnungsprozesse künstlerisch-kultureller Gestaltung und Bildung
Das Interesse der Individuen, die Welt zu gestalten und sich in sie einzubringen, wie auch daran, Möglichkeiten der Entfaltung von Fähigkeiten und Beziehungen zu kreieren, ist seit Jahrzehnten ungebrochen und nimmt in der Gegenwart noch weiter zu (Robak 2017a i.E.). Es korrespondiert mit wahrnehmbaren Ausdifferenzierungsprozessen in der Gesellschaft, den Künsten und den damit verbundenen künstlerischen und kulturellen Gestaltungsmöglichkeiten. Beschleunigend wirken dabei einerseits die schnelllebigen gesellschaftlichen Veränderungen und die Konfrontation weiterer Wahrnehmungsformen – unter ihnen besonders die vielfältigen digitalen Kommunikations- und Arbeitsformen –, bei gleichzeitigen Anforderungen an individuelle Leistungssteigerung, und andererseits die individuellen Wünsche nach sinnlichen, leiblichen Ausdrucksformen und Beziehungsweisen.
Die Kulturelle Bildung im Erwachsenenalter hat hier eine transformierende Funktion. Ihr Spektrum ist entsprechend breit ausdifferenziert und dehnt und differenziert sich in der Gegenwart noch weiter aus:
Als Teilbereich der Erwachsenenbildung/Weiterbildung war die Kulturelle Bildung zuerst bei den Volkshochschulen (VHS) fester Part des Programms und wurde es dann auch bei verschiedenen anderen öffentlichen und privaten Trägern. In den letzten Jahrzehnten greift die Kulturelle Bildung über die Erwachsenenbildung hinaus auch in andere Institutionen aus, etwa in Museen, Theater, Vereine, Cafés etc. Hier entwickelt sie sich kontinuierlich als „Beigeordnete Bildung“, d.h. als Angebot in Organisationen und Institutionen, deren Hauptaufgabe nicht zuvorderst Bildung ist (vgl. Gieseke/Opelt/Stock/Börjesson 2005; Fleige/Gieseke/Robak 2015:Kap. 1; Gieseke/Krueger 2017 i.E.). Auch Unternehmen entwickeln über kulturelle Bildungsangebote ihre Personalentwicklung weiter (Gerdiken 2017). Sichtbar wird hier ein Interesse, bei den Mitarbeitenden sowohl kreative Fähigkeiten zu unterstützen, als auch Ressourcen aufzuspüren, die für (andere) berufliche Tätigkeiten nützlich sind. Dies zielt auf ein sogenanntes Selbstoptimierungsinteresse. Kulturelle Bildung gehört nicht zu einem gewachsenen Kanon der beruflich-betrieblichen Weiterbildung bzw. Personalentwicklung, gewinnt aber in diesem Kontext derzeit stark an Bedeutung. Es handelt sich hier ebenfalls um Beigeordnete Bildung, da auch in Unternehmen Weiterbildung nicht zum Hauptanliegen des Aufgabenspektrums zählt. Zu beobachten ist nunmehr auch, dass sich Organisationen der öffentlichen Erwachsenenbildung/Weiterbildung, beispielsweise die VHS, auf diese Entwicklungen einstellen und in der Transferierung von Nachfrage und Bildungsinteressen ein wachsendes Angebot zur Selbstoptimierung unterbreiten (Robak/Fleige/Sterzik/Seifert/Teichmann/Krueger 2015). Eine weitere Entwicklung ist die Stärkung eines semiprofessionellen Bereichs künstlerischer Betätigung, wie sich an aktuellen Programmangeboten ablesen lässt (vgl. Robak/Fleige et al. 2015).
Parallel zu der Erweiterung der Teilhabeformen und Verwendungsweisen Kultureller Erwachsenenbildung dehnen sich die Begriffsauslegungen aus, wie es auch unsere laufende Untersuchung (zusammen mit Wiltrud Gieseke im Rahmen der BMBF-Förderrichtlinie „Innovative Ansätze zukunftsorientierter Beruflicher Bildung") zur Weiterbildung von Kunst- und Kulturschaffender am Beispiel der ba Wolfenbüttel zeigt. So nimmt etwa der Vermittlungsbegriff Aspekte der Selbstbildung und Partizipation, wie auch der Verbindung und Stärkung von künstlerischer und kultureller Tätigkeit sowie von kultureller Bildungstätigkeit im gesamten Spektrum der Einrichtungen für Kunst, Kultur und Kulturelle Bildung, auf (siehe Mandel 2005). Hinter letzterem Phänomen steht auch das Ziel der Stabilisierung und Professionalisierung der Bereiche und Beschäftigtengruppen, die sich mit Kunst, Kultur, Soziokultur und Kultureller Bildung – hier zumeist im Sinne der Bildung von Kindern und Jugendlichen – befassen. Aufgewertet werden damit auch neue Tätigkeitsbereiche wie Kulturmanagement und Kulturmarketing. Mögen die Übergänge fließend erscheinen, so gehen wir von einer eigenständigen Dignität Kultureller Erwachsenenbildung aus. Diese kann auch Übergänge zu künstlerischer Aktion und Event haben. Partizipation erscheint als derzeit besonders wichtiger Aktivierungsansatz. Auch bildungspolitisch besteht ein Interesse, über Partizipation mehr Aktivierung und Kreativität für andere Bereiche zu evozieren.
Für die Entwicklung des Vermittlungsbegriffs ist vor allem auf Diskurse aus der Kunst- und Museumspädagogik zu verweisen, aber auch auf Entwicklungen in den Künsten selbst. So fiel beispielsweise bei der documenta 14 in Kassel ein von Nora Sternfeld eingebrachter Vermittlungsbegriff auf, welcher eine postkoloniale Auslegung in sich trägt (Sternfeld 2014:10). Der in diesem Ansatz eingelassene Kunstbegriff geht davon aus, dass das Artefakt nur einen Teil der Kunst ausmacht. Der andere Anteil, welcher ebenfalls der Kunst zugesprochen wird, besteht in der Auseinandersetzung mit sowie Kommunikation über und Dekonstruktion des Präsentierten. Diese Vorstellung ist für Kulturelle Bildung sehr anschlussfähig und interessant. Die Ausdehnung des Vermittlungsbegriffs ist dabei auch Ausdruck dafür, dass dieser gegenüber den Begriffen Bildung und Lernen/Lehren offenbar marketingfähiger und polyvalent nutzbarer ist, was das sprachliche Einbeziehen neuer Entwicklungen im Kunst- und Kulturbereich betrifft. Er scheint für viele schillernder als die Begriffe der Bildung und des Lehrens/Lernens zu sein. Auch die Erwachsenenbildung/Weiterbildung sollte in diesem Sinne weiterführend an der Auslegung des Zusammenhangs von Kunst, Kultur und Bildung arbeiten. Der derzeitige empirische und theoretische Stand dazu ist dargelegt und weiterführend ausdifferenziert bei Marion Fleige/ Wiltrud Gieseke/ Steffi Robak (2015).
Vor dem Hintergrund unserer empirischen Befunde ist dabei auch von benennbaren Differenzierungen der Funktionen auszugehen, die der Kulturellen Bildung für das Erwachsenenalter zugewiesen werden. Weiter oben ist dies bereits mit der neuen Tendenz zur Selbstoptimierung andiskutiert worden. Eine weitere Differenzierung betrifft die Zugänge, welche Gieseke et al. (2005) (vgl. auch Gieseke 2012) auf der Basis von Programmanalysen beschrieben haben. Dazu gehört, dass Kulturelle Bildung das gesamte Spektrum von (Kunst-)Werken, Artefakten und Praktiken sowie Lebenswelten im Spannungsfeld von Hoch-, Pop-, Sozio- und Alltagskultur im Blick hat und systematisch-rezeptive, selbsttätig-kreative und verstehend-kommunikative Angebote zu deren Aneignung offeriert (Fleige/Gieseke/Robak 2015:14). Dabei beobachten wir, dass selbsttätig-kreative Angebote im Angebotsspektrum der Erwachsenenbildung seit Beginn der 2000er Jahre anhaltend nachgefragt bleiben und insbesondere verstehend-kommunikative Angebote sich ausdifferenzieren (ebd.; Robak/Petter 2014).
Insgesamt können wir also auf der Basis unterschiedlicher Studien der vergangenen Jahre Ausdehnungen und Ausdifferenzierungen der Wünsche, Motive, Interessen und der Funktionen und Nutzungen, die mit Kultureller Bildung verbunden werden, sowie korrespondierende Angebote nachweisen und beschreiben. Die Ergebnisse unserer Programm- und Dokumentenanalyse bei ausgewählten Verbänden und Einrichtungen der Erwachsenenbildung/Weiterbildung im Rahmen unserer Studie auf Anfrage des Rates für Kulturelle Bildung (Robak/Fleige/Sterzik/Seifert/Teichmann/Krueger 2015) zeigt dabei, dass Planungshandelnde offenbar von einem nachvollziehbaren Spektrum an Funktionen Kultureller Bildung ausgehen, welche von Kreativität, künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, persönlicher Entwicklung, Erweiterung von Interpretationsmöglichkeiten und ästhetischer Wahrnehmungsmöglichkeiten bis hin zur Selbstoptimierung reichen. „Selbstoptimierung“ bedeutet dabei nicht nur, über die Entfaltung kreativer und reflexiver Fähigkeiten eine bessere Leistungsfähigkeit für andere Bereiche zu entwickeln, weil etwa Unternehmen dies fordern. Der Begriff umfasst vielmehr auch persönliche Wünsche nach emotionalem Ausgleich und danach, sich Freiräume zu erhalten, um die beruflichen Anforderungen besser bewältigen zu können. Man erhofft sich Entfaltung durch künstlerische Praxis, um z.B. Impulse für berufliche Gestaltungsmöglichkeiten zu entwickeln. Aber auch Teilhabe, Reflexion und Kommunikation sind wichtige Funktionen Kultureller Bildung, welche die Organisationen bestimmter Träger anteilig entsprechend ihrer Lernkulturen (vgl. Fleige 2011) entfalten.
Konstitutive Bezüge für Kulturelle Erwachsenenbildung: Auslegungen von Bildung, Bildungsinteressen, Kunst und Kultur
Wir gehen davon aus, dass die beschriebenen Auslegungen von Bildung, Kunst und Kultur und der darauf bezogenen Interessen konstitutive Bezüge für die Kulturelle Erwachsenenbildung darstellen. Sie haben einen Einfluss auf die Entwicklung und Strukturierung von Angebotsstrukturen, Partizipationsformen und -möglichkeiten.
Historisch betrachtet, ist die Auslegung Kultureller Bildung als Teil von Volksbildung ein substanzieller Begründungsfeiler für die Kulturelle Erwachsenenbildung. Ihre Institutionalisierung wurde im Programm der VHS seit deren massenhaften und durch die Weimarer Verfassung unterstützten Gründungen ab 1919 grundgelegt. Entsprechend wechselnder und differenter Auslegungen von Bildung wurden seither unterschiedliche Programmzuschnitte mit unterschiedlichen Anteilen an Hochkultur, bzw. der systematisch-rezeptiven Auseinandersetzung mit ihr, einerseits, und mit Anteilen an kreativ-selbsttätigen Angeboten andererseits, realisiert. Die Phase der Herzensbildung in den 1950er Jahren etwa, welche ebenfalls der Volksbildung zugeordnet wird, war darauf angelegt, hochkulturelle Anteile von Wissen und Können den Teilnehmenden eher vorzuenthalten (Gieseke/Krueger 2017 i.E.; Fleige/Gieseke/Robak 2015:Kap. 2). Seit den 1970er Jahren ist die Kulturelle Bildung in all ihren Facetten und auch hochkulturellen Anteilen abgesichert über die Weiterbildungsgesetze der Länder. Sie bildet einen festen Bestandteil des Angebotes in der öffentlich finanzierten Erwachsenenbildung, d.h. bei VHS und anderen öffentlich geförderten Trägern, wie der Evangelischen und Katholischen Erwachsenenbildung usw.
In diesem Rahmen haben sich entsprechend unterschiedlicher Auslegungen des Verhältnisses von Kultur und Bildung bei den Trägern differente und heterogene Profile herausgebildet, die wir anhand von deren Programmstrukturen feststellen können: Die Programmzuschnitte und
-schwerpunkte strukturieren sich in der (1) öffentlichen Erwachsenenbildung/Weiterbildung anders als in der (2) Beigeordneten Bildung in Vereinen, Initiativen und Kulturinstitutionen etc. Darüber hinaus haben wir (3) erste empirische Einblicke in die Fortbildungsprogrammstrukturen für Kunst- und Kulturschaffende bzw. -vermittelnde, auch in ihren Übergängen zum schulischen und außerschulischen Kinder- und Jugendbereich, generiert. Weiterhin lassen sich (4) über drittmittelfinanzierte Projektförderungen Effekte für die Angebotsentwicklung im Bereich der öffentlichen Erwachsenenbildung beobachten (Fleige/Gieseke/Robak 2015:Kap. 1).
Doch der Begriff Kultureller Erwachsenenbildung wird auch von den Bildungsinteressen und dem Partizipationsverhalten Erwachsener selbst mit ausgeprägt, und zwar auch durch die Brille der Planungshandelnden, welche die Wünsche und Interessen in Angebote transferieren. Was Kulturelle Erwachsenenbildung alles darstellt und umfasst, ist gerade nicht nur deduktiv aus theoretischen oder politischen Diskursen ableitbar. Vielmehr gehen individuelle Bedürfnislagen, ebenso wie sich darin ausdrückende gesellschaftliche Auslegungen von Bildung, in die Begriffsbestimmungen ein (zur Widerspiegelung von gesellschaftlichen Auslegungen in Weiterbildungsprogrammen siehe auch von Hippel 2017) – nach Gieseke/Krueger (2017 i.E.) richtet sich das Interesse der Adressat/innen und Teilnehmenden Kultureller Erwachsenenbildung auf: „handelndes Lernen über die Aneignung von Techniken zum Selbstausdruck, die Unterstützung von reflexiven Fähigkeiten über künstlerische Werke auch in ihrer Zeit und die Beschäftigung mit kulturellen Entwicklungen unter trans- und interkulturellen Ansprüchen“ sowie „das handwerkliche Können ... (vgl. Reckwitz 2013)“. Dabei ist, so die Autorinnen weiter, davon auszugehen, dass die Entwicklung persönlicher Interessen über die gesamte Lebensspanne hinweg stattfindet. Dies beobachten wir ausgehend von den Anlagen und deren erster Entwicklung im Kinder- und Jugendalter, über das junge und mittlere Erwachsenenalter bis hin zum hohen Alter, wobei insbesondere im Erwachsenenalter eine bewusste Neuinitiierung und Steuerung von Interessenentwicklungen durch die Subjekte möglich ist (vgl. Fleige/Gieseke/Robak 2015;Kap. 4; Robak/Fleige et al. 2015; de Groote 2013; allgemein auch Grotlüschen 2010).
Weitere konstitutive Bezüge Kultureller Erwachsenenbildung sind soziale Differenz, leiblich-emotionale und anthropologische sowie ökologische Aspekte menschlichen Lebens (Gieseke/Krueger 2017 i.E.), welche interdisziplinäre Betrachtungen von Kunst, künstlerischer Praxis und Bildung erfordern. Das Verhältnis von Kunst und (Kultureller) Bildung ist bei weitem noch nicht ausreichend beleuchtet, und zwar nicht nur für die Kulturelle Bildung im Erwachsenenalter. Dieses Desiderat ergibt sich nicht nur daraus, dass die differenten kunst- und kulturwissenschaftlichen Auslegungen noch nicht ausreichend im Horizont von Bildungsfragen reflektiert sind, sondern hat auch damit zu tun, dass die unterschiedlichen künstlerischen Domänen eigene Diskurse mit sich führen, welche auch jeweils in eine Theorie Kultureller Bildung einbezogen werden müssten. Eine grundsätzliche Fragestellung ist dabei allerdings, wie Kunst für die Bevölkerung durch Formate und Orte des Lernens zugänglich gemacht werden kann, und wie die Bevölkerung durch die Zugänge zu Kunst an der Produktion von Kunst mitwirken kann – und zwar unabhängig von Fragen des persönlichen Geschmacks oder der Auslegung der Funktionen und des ästhetischen Anspruchs von Kunst (ebd.). Bedeutsam sind hierbei der Bezug zu alternativen Wahrnehmungen durch Kunst und zum Moment des Selbstausdrucks und der Partizipation – gerade in einer Gegenwart, in welcher die Kunstproduktion fortlaufend „demokratischer“ wird und breite Bevölkerungsschichten auf Laienniveau oder semiprofessionellem Niveau zu ihr beitragen. Auf eine grundsätzliche Art wegweisend für eine breite Öffnung von Kunst in die Bevölkerung hinein waren die Zugänge, die Joseph Beuys eröffnete, indem er davon ausging, dass jeder Mensch ein Künstler sei. Eine jüngere Auslegung in dieser Richtung, welche große kunsttheoretische Aufmerksamkeit erhalten hat, weist der Kraft des Schöpferischen und der Kreativität einen zentralen Stellenwert zu. So fasst etwa Christoph Menke (2013) Kunst als Werk, als ganzheitlichen Ausdruck des Selbst und als Spiegel einer erlebten, interpretierten Wirklichkeit. Im Fokus der Kunst steht nicht ein qualitativ zu bewertendes Artefakt, sondern der Mensch, der eine schöpferische Kraft in sich trägt, welche er in kreative, künstlerische Prozesse einbringen möchte. Die Notwendigkeit, anthropologische Überlegungen in eine Theorie der Kulturellen Erwachsenenbildung einzubeziehen, ist somit auch kunsttheoretisch begründet. (Ausführlich: Fleige/Gieseke/Robak 2015:Kap. 4.1 und 4.3; Gieseke 2016a).
Betrachtet man die genannten Grundkonstituenten Kultureller Bildung, so lauten die Anschlussfragen für eine Theorie und Konzeption Kultureller Erwachsenenbildung: Existiert die Fähigkeit zum künstlerischen Handeln und Gestalten und damit zur Kreativität ganz grundlegend bei jedem Individuum? Wie kann man herausfinden, wer sich wie im Rahmen Kultureller Bildung entfalten möchte, und wie kann man solche AdressatInnen entsprechend ansprechen? Welche Rolle spielen Wissen, Emotionen, Intuition, Beziehung und soziales Umfeld für den Zugang zu Kunst, Kultur und Kultureller Bildung? Wenn eine schöpferische Kraft, eine Fähigkeit zur Kreativität in jedem Menschen existieren: Wie sind Interessen, Wünsche und Vorannahmen im Hinblick auf Kunst, Kultur und Kulturelle Bildung bei den Individuen strukturiert, und wie können sie pädagogisch beantwortet – d.h. in Angebote transferiert – werden, um Menschen unabhängig von Herkunft und Milieu zu erreichen?
Theorie Kultureller Erwachsenenbildung im Spiegel von Partizipationsformen und Domänen
Nach diesen grundlagentheoretischen Überlegungen zeigen wir im Folgenden auf, wie eine Theorie der Kulturellen Bildung aus der Analyse ihrer Programme und Angebote sowie Konzeptionspapiere rekonstruiert und mit grundlagentheoretischen Überlegungen verbunden werden kann (dieses Verfahren ist ausführlich in unserer Monographie Fleige/Gieseke/Robak 2015 dargelegt). Uns interessieren im Folgenden die Bildungsinteressen und -wünsche, auf welche Programme und welches professionelles Planungshandeln in Organisationen und Verbänden rekurrieren und welche sie evozieren. Programmanalysen, die in der Erwachsenenbildungsforschung spezifisch entwickelt wurden (vgl. Käpplinger u.a. 2018 i.E.; Schrader 2011; https://www.die-bonn.de/institut/dienstleistungen/servicestellen/programmforschung/default.aspx) werten in einer tiefenerschließenden inhaltsanalytischen und hermeneutischen Weise (analog und digital veröffentlichte) Programme, Flyer und, auf einer basalen Ebene, Ankündigungstexte aus (vgl.Fleige 2017 i.E.). Programmanalysen können dabei Themen eines Inhaltsbereichs auch querliegend zu Programmbereichen in Bildungsorganisationen auffinden, etwa Angebote zu Kunst und Kultur oder mit künstlerischen und kulturpraktischen Zugängen in den Programmbereichen Gesellschaft/Politik, Gesundheit (zu Kulturellen Bildungsangeboten im Medium der Gesundheitsbildung siehe auch die Studie von Dietel 2012) oder Theologie.
Wie bereits erwähnt, gehen wir auf der Basis bisheriger Programmanalysen davon aus, dass Kulturelle Bildung das gesamte Spektrum von (Kunst-) Werken, Artefakten und Praktiken sowie Lebenswelten im Spannungsfeld von Hoch-, Pop-, Sozio- und Alltagskultur bedient und systematisch-rezeptive, selbsttätig-kreative und verstehend-kommunikative Angebote zu deren Aneignung offeriert. Um die Zugänge von Individuen zur Kulturellen Bildung näher zu verstehen, wurde, empirisch fundiert, das Theorem der Portale bzw. Partizipationsportale entwickelt. Die „Portale“ wurden erstmals in der – in eine deutsch-polnische Untersuchung (Gieseke/Kargul 2005) eingebetteten – Studie von Wiltrud Gieseke/Karin Opelt/Helga Stock/Inga Börjesson (2005) eingeführt. Das Herzstück bildete eine Programmanalyse im Sinne einer Vollerhebung für Berlin und Brandenburg (Gieseke/Opelt 2005). Anschlussstudien waren die Untersuchung zur Programmstruktur Interkultureller Bildung in Niedersachsen (Robak/Petter 2014) und unsere Studie zu Programmschwerpunkten, Funktionen und Bildungszielen bei bundesweit arbeitenden Trägern und Verbänden der Kulturellen Erwachsenenbildung, der beruflichen Fortbildung sowie der Kinder- und Jugendbildung (Robak/Fleige/Sterzik/Seifert/Teichmann/Krueger 2015).
Das „Portal“ ist eine Kategorie, welche die Zugangsweisen und Partizipationsformen querliegend zu Themen- und Programmstrukturen und damit auch zu den einzelnen Künsten, künstlerischen Domänen und kulturellen Aktivitäten behandelt, um so die Bildungsaktivitäten besser erfassen und im Horizont der Bildungsinteressen verstehen zu können. „Portale“ sind didaktische Grobstrukturen mit Themen, Veranstaltungsformaten und Sozialformen, bei der beschreitbare, differenzierte Wege zu Kultur und Bildung beschrieben werden. So können etwa Veranstaltungen der bildenden Kunst (1) im Medium der Kunstgeschichte systematisch-rezeptiv belegt werden, indem Teilnehmende beispielsweise Vorträge oder Vortragsreihen besuchen, um sich systematisches Wissen anzueignen. Veranstaltungen bildender Kunst können aber auch (2) im Medium des Selbermachens, Praktizierens, als eigenes Malen oder Zeichnen, belegt werden. Dieser Zugang entspricht dann dem selbsttätig-kreativen Portal. Es können aber auch (3) Veranstaltungen belegt werden, in denen eine Auseinandersetzung mit dem Werk eines Künstlers aus einem anderen Land, etwa aus Italien oder Israel, oder ein Austausch über die kulturellen und zeithistorischen Hintergründe der Werksentstehung, stattfindet; dies wäre dann dem verstehend-kommunikativen Zugang zuzuordnen.
Wir gehen nun näher auf die einzelnen Portale ein und verbinden dabei empirische Erkenntnisse mit grundlagentheoretischen Betrachtungen zu den Domänen (Fleige/Gieseke/Robak 2015:Kap. 6-8).
Aufgrund des beschriebenen derzeitigen Entwicklungspotentials nehmen dabei die Ausführungen zum verstehend-kommunikativen Portal an dieser Stelle den größten Raum ein.
Systematisch-rezeptive Zugänge: Wahrnehmen – Deuten – Sich in der Welt platzieren
Im Zentrum des systematisch-rezeptiven Portals stehen das Wahrnehmen, das Deuten und das sich hierüber vollziehende Sich-In-Der-Welt-Platzieren. Dieses Portal, das die rezeptiven Formen der Beschäftigung mit Kunst in sich trägt, findet sich in den vielfältigen Domänen der Betrachtung, Reflexion und Diskussion von bildender und darstellender Kunst, von Fotografie und Film sowie von Musik. Eine besondere Rolle spielt dabei die Begegnung mit einem Werk oder einer Aufführung, welche/s auslegungsbedürftig ist und somit Kunst selbst auch in ihrer Rezeption zur menschlichen Praxis werden lässt (Bertram 2014). Geschmacksurteile und Schönheit, sowie die Kategorie des „Erhabenen“ spielen dabei in der Gegenwart eine untergeordnete Rolle (ebd., siehe auch Gieseke/Krueger 2017). Damit werden auch die Grenzen zwischen Kunst als Hochkultur und Kunst als partizipativer Praxis, zumindest scheinbar, fließend; zumal in der Kulturellen Erwachsenenbildung in der heutigen Entwicklungsform ein Einstieg auf unterschiedlichen Wissens- und Kompetenzniveaus möglich ist und prinzipiell allen Bevölkerungsgruppen, und damit auch allen Milieus und Altersgruppen, offensteht. Dass sich trotz aller kunsttheoretischen Demokratisierung von Geschmacksurteilen in der Realität, gerade in diesem Portal, dennoch Milieugrenzen als Schranken zeigen, verwundert nicht. Ebenso wenig erstaunt, dass davon in hohem Maße vor allem Angebote der Musik betroffen sind, die eine laienhafte Beschäftigung sowohl dem Inhalt (z.B. Verstehen musikalischer Strukturen als Voraussetzung für Werkanalyse) als auch dem Image nach erschweren. Insgesamt sind gerade diese, voraussetzungsreichen, Angebote in sehr geringem Umfang vorhanden, wie Daten aus Programmanalysen und Statistiken belegen. Hier wären in viel stärkerem Maße systematische Einstiegs- und Aufbauangebote zu entwickeln und vorzuhalten.
Denn: Besonders in der öffentlichen Erwachsenenbildung/Weiterbildung kann eine solche Praxis der systematischen, eigentätigen und gleichwohl angeleiteten Rezeption und Co-Konstruktion von Kunst realisiert werden: Einerseits über „Inhouse“-Veranstaltungen, bei denen ReferentInnen als DozentInnen ins Haus kommen und in deren Rahmen keiner Aufführung beigewohnt wird. Andererseits auch über den Besuch einer künstlerischen Aufführung mit anschließender, inhouse oder vor Ort stattfindender, Reflexion. Kooperationen zwischen Erwachsenenbildungseinrichtungen und Theatern/Konzerthäusern/Museen sind wünschenswert, finden bereits statt und sind noch weiter ausbaufähig.
Kreativ-selbsttätige Zugänge: Sich ausdrücken mit Leib und Werk – Können – Ermüden und neue Kraft schöpfen – Träumen
Im kreativ-selbsttätigen Portal stehen der Selbstausdruck mit Leib und Werk bzw. die dazu benötigten Techniken im Vordergrund. Dem sind das Ermüden und Entspannen sowie das Träumen, aber auch das Schöpfen neuer Kraft, die Rekreation, zugeordnet. Diese Funktionen und Modi ließen sich bereits in der Programmanalyse von 2005 (Gieseke/Opelt 2005) zeigen und erwiesen sich in unserer Analyse von 2015 (Robak u.a. 2015) für die öffentliche Erwachsenenbildung als fortlaufend aktuell, aber eben um neue Themensegmente in den oben beschriebenen Bereichen der Selbstoptimierung und Semiprofessionalisierung ergänzt. Insgesamt reicht das Angebotsspektrum von Malen, Tanzen (zum Tanz siehe aktuell auch die Heftnummer 01/2017 der Hessischen Blätter für Volksbildung), Kunsthandwerk – mit Angebotsumfangsschwerpunkten auf diesen dreien) über Nähen, Theaterspielen, Musizieren, kreatives Schreiben, Foto/Film/digitale Bildtechniken bis hin zum (neu) Kochen. Diese Bandbreite verweist auf Bedürfnisse für erweiterte privat-persönliche Wahrnehmungsmöglichkeiten und Techniken, sowie auf ein persönliches Interesse an künstlerisch-kreativen Erfahrungen und Rekreationsmöglichkeiten. Sinnlichkeit, Leiblichkeit und Emotionalität finden hier einen gleichermaßen großen Anhalt, ebenso wie die persönlichen Ausdrucksmöglichkeiten (vgl. auch Klepacki/Zirfas; Peez 1993; Gieseke 2016b). Gerade die Angebote in diesem Zugangsportal lassen sich auch in der Gender-Perspektive und, wenn sie paarweise durchgeführt werden, in der Beziehungsperspektive deuten. Interessen des kreativ-leiblichen Selbstausdrucks finden in ihnen, in besonderer Weise, Ausdruck. Gegenwärtig wird die „Do it-yourself-Bewegung“ breit diskutiert, jedoch ohne die Tiefenschärfe dieser Deutungen, welche für aktuelle Programmentwicklungen in diesem Bereich weiterzuführen wären.
Unseren Befunden zufolge (Gieseke/Opelt 2005; Robak/Fleige u.a. 2005) entwickelt sich dabei das selbsttätig-kreative gegenüber dem systematisch-rezeptiven Portal dominant, was auf gestiegene Ästhetisierungs- und Individualisierungs-, aber auch Entlastungs- und (auf hohem Niveau realisierte) Technikansprüche, sowie auf eine fortschreitende Demokratisierung von Kunstproduktion verweist. Damit sind Nachfrage- und Angebotsentwicklungen in diesem Bereich als unabhängig von bildungspolitischen Ab- oder Aufwertungen zu beschreiben. Der Begriff der Partizipation wäre dabei neu in Relation zum künstlerischen Selbstausdruck zwischen Rekreation und Schaffenskraft zu diskutieren und auf professionelle Angebotsentwicklung und Programmplanung zu beziehen.
Verstehend-kommunikative bzw. transkulturelle Zugänge: Kulturen verbinden und Transformieren: Deuten – Dekonstruieren - Konstruieren
Das verstehend-kommunikative Portal Kultureller Bildung ist zentriert um das Deuten, Dekonstruieren und Konstruieren von Welt. Es unterscheidet sich in seiner Struktur-, Inhalts- und Intentionsentwicklung von den beiden anderen Portalen, nutzt diese aber gleichzeitig und verbindet sie neu. Das heißt, es nutzt sowohl systematisch-rezeptive als auch selbsttätig-kreative Zugänge aus den Domänen Kultureller Bildung und legt diese unter Gesichtspunkten kultureller Differenz und unter transkulturellen Vorstellungen (siehe Welsch 2005) neu aus. Ein Beispiel dafür ist das Erlernen eines Tanzes, z.B. des Tangos, gekoppelt mit dem Ziel, die Rolle des Tanzes als Alltagspraxis zur Zeit seiner Entstehung in Argentinien zeithistorisch kennen zu lernen und zu verstehen, wie Deutungsmuster und Alltagspraxen geprägt sind; ein solcher Angebotszuschnitt kann dem interkulturellen Bildungsverständnis zugeordnet werden. Oder: Ein Seminar über postmigrantisches Theater, in dem gleichzeitig, über Erfahrungen, in der Gestaltung, die Position des Fremden reflektiert wird. Werden neue Erfahrungsmöglichkeiten, etwa die Ausformung von kulturellen Mehrfachzugehörigkeiten, durch Intentionen der gemeinsamen Gestaltung von Welt angestoßen, so werden Ansätze einer transkulturellen Auslegung sichtbar. Von den systematisch-rezeptiven und selbsttätig-kreativen Zugängen Kultureller Bildung ausgehend, strömen die Auseinandersetzung mit kultureller Differenz, mit Fremdheit, sowie das Interesse, kulturelle Praxis und kulturelles Wissen einzuordnen, jeweils unter Berücksichtigung natio-ethno-kultureller Wissensstrukturen (vgl. Mecheril 2003), aber auch transkultureller Überlegungen, in andere Fachbereiche und formen sich wiederum neu aus. Dies geschieht, indem andere Lern- und Aneignungsformen hinzukommen und weiter entwickelt werden. Als Beispiel hierfür sei das politische Theater als Form der Auseinandersetzung und Positionsfindung im Umgang mit Migration im Programmbereich der Politischen Bildung genannt.
Der kommunikativ-verstehende Zugang wurde in der Programmanalyse für Berlin und Brandenburg von Gieseke u.a. (2005) als ein Portal Kultureller Erwachsenenbildung entdeckt. Es hatte sich jedoch bis 2001 erst auf sehr niedrigem Niveau entwickelt. Zusammengefasst, umspannt es alle Angebote, in denen Zusammenhänge von Kultur, Kunst und kultureller Differenz, Fremdheit sowie Bildung bearbeitet werden. Im letzten Jahrzehnt, insbesondere nachweislich in den letzten fünf Jahren, erfährt es einen stetigen Aufwuchs. Unsere Ergebnisse speziell zu diesem Portal weisen darauf hin, dass sich Kulturelle Bildung unter Bedingungen von Transnationalisierung und Migration intermediär und deltaförmig, d.h. in andere Fachbereiche einfließend, in Form einer Inter- und Transkulturellen Bildung ausdifferenziert und sich diese gleichzeitig auf dem Weg zu einem eigenen Bereich befindet (Robak/Petter 2014; Robak 2017b i.E.). Die Ausdehnung des Bereiches kann nicht nur auf innergesellschaftliche Entwicklungen in Deutschland zurück geführt werden, die in den letzten Jahren stark durch Migration geprägt sind; sondern es kommen auch die komplexen Entwicklungen in Europa, die transnationalen Vernetzungen in Organisationen und in der gesamten Lebenswelt, sowie die geostrategischen und globalen Weltverhältnisse hinzu. Diese fordern dazu heraus, das Portal weiter auszudifferenzieren: Beide, sowohl die Interkulturelle Bildung als auch eine Transkulturelle Bildung, sind als Auslegungen Kultureller Bildung auszudifferenzieren und zugleich in Übergängen zu anderen Bildungsbereichen auszuarbeiten und in Form von Angebotsstrukturen zu offerieren.
Vor diesem Hintergrund sind die Begriffe Interkulturelle und Transkulturelle Bildung bereits in verschiedenen Veröffentlichungen dargelegt worden (jüngst in Fleige/Gieseke/Robak 2015:Kap. 8; Robak/Grawan 2016). Es sei nur punktuell auf zwei Extreme des Spannungsbogens hingewiesen: Interkulturelle Bildung adressiert u.a. die Dekonstruktion von Kulturalisierungen (Kaschuba 1995), die bis zur Dekonstruktion von Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit reichen können (siehe Zick/Klein 2014). Darunter fallen etwa Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus bis hin zum Umgang mit Folgewirkungen von Kolonialisierung. Die transkulturelle Perspektive von Bildung adressiert Möglichkeiten der Neukonstruktion, der kulturellen Verflechtung (Welsch 2005) und der Reflexion hybrider Identitätsformungen, etwa über die Entwicklung von Mehrfachzugehörigkeiten (siehe Mecheril 2004). Die Erfahrung von Kulturalität (Göller 2000) steht hier im Horizont neuer Bedeutungsformungen und Deutungsmöglichkeiten für Hybridbildungsprozesse (Reckwitz 2006).
Die Ergebnisse unserer o.g., an die Studie von Gieseke u.a. (2005) anschließenden Programmforschungsstudie (Robak/Petter 2014), die sich mit der Ausdifferenzierung speziell der Inter-/ Transkulturellen Bildung in etwa einem Fünftel der niedersächsischen Erwachsenenbildung im Jahr 2012 beschäftigte, deuten darauf hin, dass sich das verstehend-kommunikative Portal weiter ausdifferenziert, denn es wurden acht Subportale identifiziert. Diese Subportale entstammen und umfassen nicht nur der/die Kulturelle Bildung im Engeren, sondern wachsen aus dieser heraus und in verschiedene andere Fachbereiche hinein, wie etwa in die Politische Bildung. Die Subportale differenzieren sich also aus, formieren und verschränken sich neu. Gemeinsam ist allen Subportalen, auch wenn sie in verschiedene Fachbereiche hineinreichen, dass in den Angeboten immer der Zusammenhang von Kultur, kultureller Differenz und Bildung bearbeitet wird, dies vor dem Hintergrund der jeweiligen Themen der Fachbereiche. Gesonderte Aufmerksamkeit benötigt das neu identifizierte transkulturell-verstehende Subportal. Es wies beispielsweise in 2012 Angebote aus, die sich mit dem Zusammenhang von Migration und Heimat beschäftigen. So wird etwa anhand von Biografien kosmopolitischer Persönlichkeiten analysiert, was es bedeutet, eine hybride Identität auszubilden und wie Mehrsprachigkeit auf Identitätsentwicklungen Einfluss nimmt. Genutzt wird u.a. das Medium der Literatur. Unsere jüngste Anschluss-Programmforschungsstudie aus diesem Jahr zeigt dabei auf der Grundlage ausgewählter Programme von Volkshochschulen und Heimvolkshochschulen in Niedersachsen, dass sich in 2017 wieder neue transkulturelle Formen finden, etwa in der Domäne Theater. Dieses setzt z.B. an der Praxis des gemeinsamen Gestaltens eines Theaterstückes durch Geflüchtete und Angehörige der Mehrheitsgesellschaft an; das Verkörpern, Verstehen und Modellieren der eigenen Position in der neuen (Aufnahme-)Gesellschaft stehen im Zentrum, dabei werden auf der Grundlage neuer Erfahrungen aller Teilnehmenden gemeinsam künstlerische Ausdrucksformen erarbeitet (Robak 2017b i.E.). Sowohl in den Daten von 2012 als auch von 2017 wird dabei zwar ein dominantes interkulturell verortbares Integrationsinteresse, welches sich an MigrantInnen richtet, sichtbar. Es deutet sich aber eine Angebotsdifferenzierung an, die sowohl dekonstruktiv angelegte Bildungsthemen ausformt, die die Mehrheitsgesellschaft ansprechen, als auch solche Themen und Zugänge, die kulturformend für alle angelegt sind.
(Zukünftige) Herausforderungen für die Übersetzung von Wissensstrukturen in den Bereichen Kunst und Kultur für Programmentwicklungen Kultureller Erwachsenenbildung
In der Kulturellen Bildung stehen, wie wir diskutiert haben, die Wissensstrukturen von Kultur, Kunst und Bildung in einem Verweisungs- und produktiven Spannungsverhältnis. Je ausdifferenzierter die Begrifflichkeiten und Bezüge, desto differenzierter die Perspektiven für Angebots- und Programmplanungen. Allgemein entwickeln sich Programme in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung in einem Spannungsfeld von einerseits gesellschaftlich formulierten (Kompetenz-)Bedarfen, kulturellen Herausforderungen, individuellen Interessen und Bedürfnissen und daraus resultierender Nachfrage. Andererseits aus Bildungsaufträgen und Eigeninteressen der Träger sowie bildungspolitischen Gestaltungsansätzen und professionellen (inhaltlichen, pädagogischen, ethischen) Gestaltungsansätzen des planenden pädagogischen Personals. Programmplanungshandeln kann als systematisches Herzstück der pädagogischen Tätigkeit bezeichnet werden. Es realisiert sich als Angleichungshandeln: Da keine Lehrpläne vorhanden sind und gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Bedarfe und Bedürfnisse beantwortet werden müssen, werden Angebote in einem vernetzten Gefüge abgestimmt zwischen nachfragenden Organisationen, mit Zielgruppen und potentiellen AdressatInnen, mit Kooperations- und VernetzungspartnerInnen und mit den Dozierenden. Die Planenden greifen dafür auf komplexe disziplinäre und interdisziplinäre Wissensinseln zurück, um sukzessive Angebots- und Programmentscheidungen zu treffen. Gleichzeitig transformieren sie Wissen, Bedarfe, Bedürfnisse und Interessen, wobei Optionen und Spielräume für in der Gegenwart knapper werdende experimentelle Angebote generiert werden (Gieseke 2008; Fleige/Gieseke/Robak 2015:28). Unsere Ergebnisse belegen dabei die besondere Flexibilität der Erwachsenenbildung/Weiterbildung, Bildungsinteressen und -wünsche, wie auch Bedarfe und bildungspolitische Anforderungen, aufzugreifen und Übergänge zwischen den Bildungsbereichen bzw. Lebensphasen zu gestalten (Robak/Fleige u.a. 2015).
Wissensstrukturen für die Planung Kultureller Erwachsenenbildung speisen sich also aus
- Auslegungen der Begriffe sowie des Verhältnisses von Kultur, Kunst und Bildung;
- Wissen zur Entwicklung der Strukturen der Domänen Kultureller Bildung;
- Wissen über die Entstehung, Generierung und Aktivierung von Bildungsinteressen und Bedarfen einerseits, sowie über die Nutzung und die Lern-Verwertungsinteressen der Teilnehmenden andererseits;
- bildungswissenschaftlichen Kenntnissen und pädagogischen Auslegungen der drei Zugangsportale Kultureller Bildung inklusive der Lernformen, Bildungsziele und Funktionen Kultureller Bildung;
- die Transformation dieser Erkenntnisse in Angebote und Programme, und zwar über Programmplanungshandeln im Modus des Angleichungshandelns.
Zukünftige Angebots- und Programmentwicklungen werden hier weiter ansetzen und bei dem gegenwärtigen Stand, so ist anzunehmen, insbesondere noch weitergehend an den Begriffen und dem Verhältnis von Kultur, Kunst und Bildung arbeiten.