Kulturelle Bildung - Überblick über das Forschungsfeld

Artikel zu Besonderheiten und Entwicklungslinien des Forschungsfeldes Kulturelle Bildung, erstmalig erschienen 2021 im Handbuch Interdisziplinäre Bildungsforschung

Artikel-Metadaten

von Lisa Unterberg

Erscheinungsjahr: 2023/2021

Peer Reviewed

1. Einleitung

Lange Zeit wurde Kulturelle Bildung als ein Praxisfeld betrachtet. Seit Anfang der 1990er Jahre entwickelt sich jedoch infolge einer zunehmenden Akademisierung und theoretischen Rahmung ein Forschungsfeld, dass durch Bezüge zu ebenjener Praxis, durch politische Erwartungen und Anliegen und durch das Interesse an empirischen Einsichten zu ästhetischer und kultureller Bildung seitens der Erziehungswissenschaft (vgl. Scheunpflug, Prenzel 2013) wesentlich bestimmt wird.

Die Forschungsvorhaben zur Kulturellen Bildung in Deutschland zeichnen sich durch ein hohes Maß an interdisziplinären Perspektiven sowie häufig die Berücksichtigung von Diskursen einer bestimmten Kunstsparte aus. Auf dieser Grundlage entsteht eine eigene Forschungslandschaft mit spezifischen Theoriebezügen, die eigene Theoriemodelle und gegenstandsadäquate Methoden zur Erforschung Kultureller Bildung entwickelt.

Dass die Kulturelle Bildung dabei „im Wesentlichen als ein Feld betrachtet wurde, das sich durch seine spezifische Praxis auszeichnet, das aber über keine eigene spezifische Theoriebasis verfügt“ (Hill, 2014) stellt eine besondere Herausforderung dar. Um diese Besonderheit im Forschungsfeld der Kulturellen Bildung verständlich zu machen, werden im Folgenden zunächst kurz die begriffsgeschichtlichen und strukturellen Hintergründe erläutert (2). Anschließend wird die Forschungslandschaft in der Kulturellen Bildung geschildert: Nach einer groben Orientierung über die Strukturierung des Feldes (3) werden in drei Schritten zunächst die Bezugsdisziplinen (3.1), dann die Erkenntnisinteressen im Feld (3.2) beschrieben und zu Letzt ein Blick auf die Methodologie und das Forschungsdesign (3.3) geworfen. In einem abschließenden Ausblick (4) werden Desiderate und zukünftige Perspektive des Forschungsfeldes aufgezeigt.

Der vorliegende Beitrag skizziert die wesentlichen Linien und  Entwicklungen im Forschungsfeld. Eine vollumfängliche und erschöpfende Wiedergabe der vielfältigen Forschungsaktivitäten zur Kulturellen Bildung würde den Umfang eines Überblicksartikels deutlich überschreiten und die Aktualität des Beschriebenen ist angesichts der Dynamik in der Forschungslandschaft schon mit Erscheinen des Beitrags obsolet. Aus diesem Grund wird auf die beispielhafte Nennung konkreter Forschungsvorhaben verzichtet.

Insofern sei auf die online Plattform Kulturelle Bildung Online sowie auf das Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung verwiesen, wenn es um einen aktuellen, umfassenden und konkreten Einblick in die Forschung zur Kulturellen Bildung geht.

2. Begriffsgeschichte und Hintergrund zur Kulturellen Bildung

Die über die vergangenen 25 Jahre gewachsene Bedeutung und ständige Gegenwart des Begriffs „Kulturelle Bildung“ in aktuellen kultur- und bildungspolitischen Debatten darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Begriff auf eine deutlich längere Tradition zurückblickt. Bollenbeck verfolgt das Begriffspaar „Kultur“ und „Bildung“ bis in die europäische Aufklärung zurück (vgl. Bollenbeck, 1994) und Zirfas und Klepacki zeigen, dass die Ansicht, „dass der Umgang mit Kunst und Schönheit Menschen in einer, mit kaum einer anderen Lebenspraxis zu vergleichenden Intensität zu bilden imstande“ sei  (Zirfas & Klepacki, 2012, S. 76), von der griechischen und römischen Antike über die frühe Neuzeit bis ins Heute rekonstruiert werden kann (vgl. hierzu auch Zirfas et al., 2009, 2011, 2014, 2016).

Im Nachkriegsdeutschland kann die Geschichte der kulturellen Bildung als eine Geschichte der Institutionalisierung und Professionalisierung in Abgrenzung von den Feldern der Jugendhilfe einerseits und der Schule andererseits beschrieben werden (Deutscher Kulturrat e.V., 1994). Zwischen den 1970er und 1990er Jahre professionalisiert und strukturiert sich das Praxisfeld zunehmend: es entstehen erste Studiengänge in Kulturpädagogik, bundesweite Verbandsstrukturen werden ausgebaut und es erfolgt eine Anerkennung der Förderpolitik (vgl. ebd.). In diesen Jahren wird der Begriff „Kulturelle Bildung“ erstmals verwendet. Er stellt jedoch keinen fest definierten Begriff dar. Dies wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass der Begriff „Kultur“ als Adjektiv genutzt und somit klein geschrieben wird. Häufig wird „kulturelle Bildung“ als Umschreibung für bestimmte Bildungsaspekte genutzt. Spätestens mit der „Konzeption Kulturelle Bildung“, die der Deutsche Kulturrat 1994 vorlegt, ist der Begriff jedoch gesetzt (Deutscher Kulturrat e.V., 1994). Er etabliert sich in den kommenden Jahren zunehmend im bildungs- und kulturpolitischen Diskurs.

Der Begriff Kulturelle Bildung ist ein typischer Containerbegriff. Es gibt eine Fülle von Bezeichnungen und Konzepten, die sich in ihm wiederfinden: Ästhetische Bildung, musische Erziehung, Kinder- und Jugendkulturarbeit, Kulturpädagogik, Kunst- und Kulturvermittlung, ästhetisches Lernen, künstlerische Kinder- und Jugendbildung sowie eine Reihe von spartenspezifischen Teilbegriffen (Musikpädagogik, Tanzpädagogik usw.) (vgl. Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V., 2001, S. 240; Zirfas & Klepacki, 2012). Die unterschiedlichen Begrifflichkeiten sind in einem jeweils eigenen historischen und institutionellen Kontext entstanden und tragen für diesen Kontext eine explizite und relevante Bedeutung in sich. Trotz aller Unterschiede eröffnet sich unter dem Begriff der Kulturellen Bildung ein gemeinsames Feld mit ähnlichen Denkbewegungen. Es geht um Bildungszusammenhänge, die dem Ästhetischen, der Wahrnehmung, den Künsten, den Kulturen und ihren Symbolwelten besondere Aufmerksamkeit schenken. Dabei werden sowohl die individuellen Prozesse als auch die Strukturen und Institutionen, in denen diese Form von Bildung geschieht, in den Blick genommen.

Die ursprünglich im non-formalen Bereich etablierten Konzepte aus Angeboten freier Träger wie Musikschulen, Volkshochschulen, Kultureinrichtungen oder Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe haben sich in den vergangenen Jahrzehnten auch in Richtung der formalen Bildungspraxis weiterentwickelt und in die ästhetischen Fachdidaktiken an Schulen Einzug gehalten. Und auch informelle Bildungssettings, wie sie bspw. im Bereich der digitalen Medien oder der Jugendkultur üblich sind, werden inzwischen im Diskurs berücksichtigt.

Die Akademisierung dieses aus der Praxis entwickelten Feldes begann in den 1980er Jahren mit der Einrichtung des ersten Studiengangs „Kulturpädagogik“ an der Universität Hildesheim und ist inzwischen mit über 360 Studienangeboten im Feld der Kulturvermittlung in Deutschland (vgl. Blumenreich, 2012) als Fach an Universitäten und Fachhochschulen etabliert. Seit einigen Jahren ist eine Verwissenschaftlichung des Faches zu beobachten. Kulturelle Bildung wird demnach zunehmend nicht nur als Praxisfeld sondern auch als kultur- und erziehungswissenschaftlich begründete Disziplin begriffen.

Um die Logiken und Strukturen der Forschung in der Kulturellen Bildung zu betrachten ist die Entwicklung des wissenschaftlichen Feldes aus der Praxis heraus und die relativ späte Akademisierung wesentlich. Ebenso darf das Spannungsfeld, das genealogisch aus den beiden Begriffen Kultur und Bildung heraus entsteht nicht aus den Augen verloren werden. Sowohl Kultur als auch Bildung und damit auch der Containerbegriff „Kulturelle Bildung“ sind offene und in ihrer Bedeutung vielschichtige Begriffe, die auch immer politische Deutungszuweisungen erhalten.

3. Forschung in der Kulturellen Bildung

Im Rahmen einer breit angelegten Studie zur Bestandserhebung von Forschungspublikationen in der Kulturellen Bildung, die 2013 an der Universität Erlangen-Nürnberg abgeschlossen wurde, sind wesentliche Merkmale des Forschungsfeldes herausgearbeitet worden (vgl. Liebau, Jörissen, Klepacki, 2014). Die Erhebung zeigt, dass das „Forschungsfeld Kulturelle Bildung durch eine große Entwicklungsdynamik, durch große inhaltliche Breite und methodologische Vielfalt geprägt“ (Liebau & Jörissen, 2013, S. 40) ist. Bereits 2013 wird von den Forschenden eine verstärkte Forschungsaktivität und ein wachsendes Methoden- und Qualitätsbewusstsein diagnostiziert (vgl. ebd). Die beschriebene Dynamik hat sich in den letzten Jahren weiter fortgesetzt (vgl. Reinwand-Weiss, 2020).

Gleichzeitig stellen die Autoren der Studie fest: „Vor diesem Hintergrund erscheint eine grundlegende systematische Förderung des Forschungsfeldes notwendig, wenn die begonnenen Entwicklungen de facto in die weitergehende Entwicklung und Etablierung von Forschungsstandards, die allgemeine Hebung des Methodenbewusstseins, die Entwicklung intradisziplinärer Bezüge, die Findung von Synergieoptionen und die Schließung von Forschungslücken münden sollen. Eine solche Entwicklung würde eine breite forschungsinduzierte Rückwirkung auf das Praxisfeld der Kulturellen Bildung durch Anhebung professioneller Standards und Entwicklungen einer gehobenen Evaluationskultur (und Praxisforschung) nachhaltig befördern.“ (Liebau & Jörissen, 2013, S. 42)

Die hier geforderte Entwicklung des Wissenschaftsfeldes lässt sich inzwischen anhand mehrerer Merkmale beobachten. Das 2010 gegründete Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung, das neben jährlich stattfindenden Netzwerktagungen auch seit 2013 ein bundesweites Forschungskolloquium veranstaltet, stellt zusammen mit der Online-Bibliothek „Wissensplattform Kulturelle Bildung Online“ (vgl. Über uns., o. J.) eine wesentliche Diskursarena dar, auf der sich Akteure austauschen können und die einen Beitrag zur Systematisierung des Feldes leistet. Wenngleich Kulturelle Bildung bisher weder in der Deutschen Forschungsgemeinschaft noch in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschafte durch eine Arbeitsgruppe, Kommission oder ein Fachkollegium vertreten sind, so entstehen doch erste Netzwerkknotenpunkte aus dem Forschungsfeld hin zu den Bezugsdisziplinen.

Wesentlich angeregt und inhaltlich bestimmt wurde die Forschung in der Kulturellen Bildung durch die themenspezifischen Förderrichtlinien des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung (BMBF) und die Förderung durch private Stiftungen. Zwischen 2008 und 2013 begann die öffentliche Förderung mit der Begleitforschung zum Projekt „Jedem Kind ein Instrument“. Durch Tagungen und internationale Workshops des BMBFs in den Jahren 2013 und 2014 (vgl. Juni 2013: Tagung „Perspektiven der Forschung zur kulturellen Bildung“; November 2013 internationaler Workshop in Bonn; September 2014 internationaler Workshop in Düsseldorf in Zusammenarbeit u.a. mit dem UNESCO Lehrstuhl für ästhetische Bildung an der FAU Erlangen-Nürnberg) wurden die unterschiedlichen Perspektiven auf Forschung zur Kulturellen Bildung gebündelt. Auf dieser Grundlage wurde im Oktober 2015 die Förderlinie „Forschung zur kulturellen Bildung“ ausgeschrieben. Es folgen im März 2017 die Förderlinie „Forschung zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung“ sowie im Januar 2019 die Förderlinie „Forschung zur kulturellen Bildung im ländlichen Raum”. Ergänzend hierzu hat der Rat für Kulturelle Bildung e.V. 2015 gefördert durch die Stiftung Mercator das Projekt „Forschungsfonds Kulturelle Bildung. Studien zu den Wirkungen Kultureller Bildung“ ins Leben gerufen. In zwei Laufzeiten (2015-2017 und 2017-2021) wird hier Forschung gefördert (vgl. Rat für Kulturelle Bildung, o. J.-a).

Problematisch an dieser Förderstruktur ist die Tatsache, dass innerhalb der Programme Forschungsvorhaben ausgewählt und gefördert werden, die thematisch zu den gesetzten Schwerpunkten arbeiten und in der relativ kurzen Förderzeit von zwei bis drei Jahren einen Erkenntnisgewinn versprechen. Dabei beziehen sich die Programme in der Regel auf „vermeintlich aktuelle Herausforderungen in der Bildungspolitik“ (Reinwand-Weiss, 2020). Reinwand-Weiss weist darauf hin, dass die auch durch Liebau und Jörissen geforderte Grundlagenforschung zu theoretische, historischen, pädagogischen oder kulturpolitischen Fragestellungen (vgl. Liebau & Jörissen, 2013, S. 46 ff.) oder aufwändige spartenspezifische Strukturanalysen nur schwer eine Förderung finden und sich nur schwer bis gar nicht Anschluss an breitere Diszipline wie die Erziehungswissenschaft oder Soziologie finden können (vgl. Reinwand-Weiss, 2020). Nichts desto trotz sind durch die Bereitstellung von Ressourcen und die aus der Förderung resultierende Anerkennung wesentliche Impulse im Forschungsfeld gesetzt worden.

Der internationale Diskurs um Kulturelle Bildung und ihre Beforschung wurde im Rahmen von zwei UNESCO Weltkonferenzen (Lissabon 2006 und Seoul 2010) intensiviert. Aus diesem Kontext heraus ist ein wachsender internationaler und interkultureller ‚Polylogue‘ entstanden, der in Hand- und Jahrbüchern sowie im International Network for Research in Arts Education (INRAE) strukturiert und aufgearbeitet wurde (vgl. Bresler, 2007; Fleming et al., 2015; Ijdens et al., 2017). Aktuell fokussiert sich dieser internationale Diskurs rund um das UNITWIN-Forschungsnetzwerk „Arts Education Research for Cultural Diversity and Sustainable Development“, das “European Network of Observatories in the Field of Arts and Cultural Education” (ENO) sowie das EERA Network 29: Research on Arts Education.

3.1. Bezugsdisziplinen

Um dem komplexen und heterogenen Feld der Kulturellen Bildungn gegenstandsangemessen zu begegnen, ist es notwendig und wünschenswert auf Methoden, Ansätze und Theorien aus unterschiedlichsten Forschungsdisziplinen zurück zu greifen (vgl. Reinwand, 2012, S. 900). Dabei sind es zwei große Bezugsdisziplinen, auf deren Diskurse sich die Forschung zur Kulturellen Bildung bezieht: die Erziehungs- und die Kulturwissenschaften (vgl. Liebau & Jörissen, 2013, S. 26). Desweiteren sind rund ein Viertel der von Liebau et. al untersuchten Beiträge  in einer auf die Künste bezogenen Wissenschaft zu verorten ist (Liebau & Jörissen, 2013, S. 26). Die Kunst-, Literatur-, Medien-, Musik-, Tanz- oder Theaterwissenschaften bieten mit ihren jeweiligen Diskursen und Theorien wesentliche Bezugspunkte für die Kulturelle Bildung. Darüber hinaus sind es die Fachpädagogiken bzw. Fachdidaktiken der künstlerischen Fächer, auf die sich die große Mehrheit der Forschung bezieht. Hierbei sticht die Musikpädagogik als Disziplin heraus, in der ein besonderer Schwerpunkt der Forschung liegt (vgl. Liebau & Jörissen, 2013, S. 27. Anm.: Dies liegt wesentlich in der institutionellen Verankerung von Musikpädagogik in den Hochschulen begründet. So hat das Fach eine deutlich längere akademische Tradition als bspw. die Theater- Tanz- oder Medienpädagogik).

Neben diesen Hauptbezugspunkten gibt es weitere Disziplinen, die im Zusammenhang mit spezifischen Fragestellungen eine Rolle für die Forschung spielen. Es sind Forschende aus der Psychologie, Soziologie, Neurowissenschaft, Philosophie, Medizin, Geragogik, Zirkuspädagogik oder Architektur, Politikwissenschaften aber auch im Zuge der Forschung zur Digitalisierung in der Kulturellen Bildung bspw. den Computerwissenschaften oder der Computerlinguistik (vgl. Unterberg, 2018b), die in Vorhaben zur Forschung in der Kulturellen Bildung tätig sind.

Diese Heterogenität der Bezugsdisziplinenen birgt gerade in der interdisziplinären Zusammenarbeit innerhalb von Forschungsvorhaben ein immenses Potenzial für einen Erkenntnisgewinn, der über die Kulturelle Bildung hinaus auch für andere sozial- und bildungswissenschaftliche Fragestellungen von Bedeutung ist. Gleichzeitig ist dieser Rahmen für die Forschung in der Kulturellen Bildung nicht unproblematisch, wie Hill hervorhebt: „Nicht nur der in den Erziehungswissenschaften ausgetragene Kampf zwischen mehreren um die Deutungshoheit ringenden Forschungsparadigmen macht die Situation unübersichtlich [...]. In den Kulturwissenschaften bilden die unterschiedlichen Kultur- und Kunstverständnisse bis hinein in die spartenspezifischen (Kunst-, Musik-, Theater-) Wissenschaften mit ihren eigenen Analysen zu historischen, funktionalen, werkästhetischen, pädagogischen usw. Aspekten eine noch unübersichtlichere Forschungslandschaft. Orientierungen für die Forschung in der Kulturellen Bildung sind hier auf ‚einfache‘ Weise also wohl kaum zu gewinnen.“ (Hill, 2014)

Angesichts komplexer und vielschichtiger Fragestellungen steigt die Notwendigkeit zur Arbeit in interdisziplinären Forschungsteams. Dabei müssen die sehr spezifischen Bedingungen berücksichtigt werden, in denen interdiziplinäre Übersetzungsarbeit gelingen kann: unterschiedlichen Annahmen und Wissensbestände im Team müssen anerkannt und eine Verständigung sowie ein Austausch über diese hergestellt werden. Dieser Schritt ist jedoch nicht auf die einzelnen Forschungsteams beschränkt, sondern muss für das Forschungsfeld im Ganzen gelten, um die Multiperspektivität, die sich aus den interdisziplinären Bezügen sowie der engen Verknüpfung mit dem Praxisfeld ergibt, bestmöglich für einen Erkenntnisgewinn zu nutzen.

3.2. Erkenntnisinteresse

Neben sehr individuellen Erkenntnisinteressen, die von einzelnen Forschenden bspw. in Promotionen verfolgt werden, macht ein wesentlicher Teil der Forschungsvorhaben im Feld der Kulturellen Bildung die Wirkungsforschung aus (vgl. Chrusciel, 2017; vgl. Liebau & Jörissen, 2013, S. 13; vgl. Keuchel, 2013; vgl. Reinwand-Weiss, 2015). Hierbei kann man neben der innerdisziplinären Forschung, die bspw. nach dem Zuwachs von Kompetenzen innerfachlichen Wirkungsforschung also beispielsweise die Wirkung von künstlerischer Praxis auf entsprechende Kompetenzen und der Transferforschung, also der Erforschung außerfachlicher Wirkungen von Kultureller Bildung unterscheiden (vgl. bspw. Rittelmeyer, 2010, 2013). Letztere erforscht bspw. die Wirkung von künstlerischer Praxis im Hinblick auf Lesekompetenz oder Mathematikverständnis. In diesem Zusammenhang ist auch die Evaluationsforschung anzusiedeln (vgl. Fink, 2012).

Es wird deutlich, dass die Erkenntnisinteressen in der Forschung zur Kulturellen Bildung einerseits stark durch das Praxisfeld und andererseits durch politische Motivationen beeinflusst werden. So lässt sich der hohe Anteil an Wirkungsforschung zur Kulturellen Bildung erklären: „Bildungspolitisch sucht man nach einer Legitimation für Investitionen in Kulturvermittlung und Kulturelle Bildung und wünscht sich diese von Seiten der Wissenschaft; Forschung soll durch positive Evaluationen im Nachhinein die Legitimation für ein Programm oder eine politische Entscheidung liefern oder diese erst vorbereiten.“ (Reinwand-Weiss, 2020) Sichtbar wird diese Motivation auch in der Formulierung der Ziele des Forschungsfonds des Rats für Kultureller Bildung: „Ziel des Forschungsfonds war es, zur Formulierung von wissenschaftsgestützten Argumenten für die Anerkennung von Kultureller Bildung als gleichwertigem Teil von allgemeiner Bildung beizutragen.“ (Rat für Kulturelle Bildung, o. J.-b)

Der Nachweis von Wirkungen ist im Zusammenhang mit Kultureller Bildung jedoch aufgrund von komplexen und multikausalen Wirkzusammenhänge nicht ohne weiteres zu erbringen (vgl. Rittelmeyer, 2010, S. 107ff., Rittelmeyer, 2013). Die international angelegte Metastudie „Art for Art’s Sake. The impact of arts education“ zeigt (Winner et al., 2013), dass grundlegende Defizite in der Theorie- und Hypothesenbildung von Wirkungsstudien bestehen. Es verwundert nicht, dass die „hohen politischen Erwartungen staatlich oder privat geförderter“ (Reinwand-Weiss, 2020) Wirkungsforschung im Feld durchaus kritisch betrachtet werden, da durch die kurzfristige Förderpraxis „vor allem empirische Forschungsansätze befördert werden, aber nicht wirklich neue, verwertbare Erkenntnisse für die Akteure zur Veränderung einer bildungs- oder kulturpolitischen Praxis generiert werden“ (ebd.).

Ebenso ist die Grundlagenforschung in der Kulturellen Bildung nicht losgelöst vom Praxisfeld zu verstehen. Keuchel beschreibt das Erkenntnsinteresse hierfür als das Schaffen einer Basis „für die Weiterentwicklung von geeigneten kulturellen Bildungsmaßnahmen und -konzepten“ (Keuchel, 2013). Darüber hinaus geht es hier aber auch um die grundlagentheoretische Weiterentwicklung des Feldes sowie die Methodenentwicklung, also die Entwicklung feldspezifischer Zugänge für die Forschung zur Kulturellen Bildung.

Außerdem sind Fragen nach Prozessen und Strukturen innerhalb der Bildungspraxis für die Forschenden leitend. In dieser Praxisforschung geht es um die Erfassung und Analyse dessen, was in der Praxis geschieht und die Gewinnung spezifischer Erkenntnisse zur Entwicklung und Veränderung von Praxis durch Anwendung von wissenschaftlichen Methoden (vgl. Hill, 2014).

Ein weiteres wissenschaftliches Erkenntnisinteresse im Hinblick auf Kulturelle Bildung sowohl im nationalen auch internationalen Diskurs sind Bestandsaufnahmen, Kulturstatistik bzw. Monitorings. Auch wenn es in Deutschland noch keine flächendeckende Kulturstatistik gibt, wird die Vermessung des Praxisfeldes dennoch voran getrieben (vgl. Glogner-Pilz, 2013; Keuchel, 2013). Im internationalen Kontext ist hier vor allem die MONAES-Studie zu erwähnen, dass die Bedeutung von Kultureller Bildung im internationalen Vergleich zu erfassen versucht (vgl. Ijdens, 2016. Anm.: Diese Studie ist, auch dies eine Folge der Förderstrukturen, aus Eigeninitiative und praktisch ohne Drittmittel-Unterstützung durchgeführt worden).

Die von Liebau et.al. geforderte historische und diskurshistorische Forschung (bspw. Chrusciel, 2017; Steigerwald, 2019; Unterberg, 2018a), lässt sich, wenn auch bisher nicht systematisch gefördert, in Ansätzen bereits erkennen.

3.3. Methodologien und Forschungsdesign

Der von Liebau et. al. beschriebene deutliche Schwerpunkt auf theoretischen Forschungsbeiträge in der Kulturellen Bildung (vgl. Liebau & Jörissen, 2013, S. 34) wird sich im Angesicht der Forschungsförderung gewandelt haben. Hier werden vor allem empirische Forschungsvorhaben unterstützt, die häufig eher programmatisch als streng systematisch angelegt sind.

Bei den empirischen Forschungsansätzen überwiegen die qualitativen Zugänge deutlich (vgl. ebd.). Auch wenn die empirische Bildungsforschung mit ihren naturwissenschaftlich orientierten Paradigmen auch im Forschungsfeld der Kulturellen Bildung nicht zu letzt durch eine nachhaltige entsprechende Förderpolitik der Ministerien und Stiftungen etabliert wurde, so wird die Frage nach gegenstandsangemessener und der Komplexität begegnender Forschung häufig durch die Wahl qualitativer Forschungsdesigns und offener Methodologien im Sinne der Grounded Theorie begegnet.

Hierzu werden zur Datenerhebung und deren Analyse methodologische Ansätze, wie sie in der qualitativen Sozialforschung inzwischen etabliert sind, für die jeweilige Fragestellung und das Forschungsanliegen adaptiert. Hier folgt das Feld der Kulturellen Bildung der performativen Wende in der Sozialforschung wendet sicheiner universellen Methodenkultur ab, hin zu einer Methodenvielfalt. (vgl. Jörissen & Wulf 2010; Seitz 2015).

Ein in der Kulturellen Bildung spezifischer Diskurs entsteht dabei um die Fragestellung der „Künstlerischen Forschung“, „Ästhetischen Forschung“ oder „artistic research“ bei der künstlerische Praktiken und Verfahren zur Wissensproduktion im Rahmen von Forschung genutzt werden oder künstlerische und wissenschaftliche Methoden miteinander verknüpft werden (vgl. Henke et.al. 2020; Haarmann, 2019; Matzke, 2012). Dabei rücken, so Matzke, „auch die Verfahren von Aufzeichnung, Dokumentieren und Schreiben und die damit verbundenen materielle und mediale Konstitution von Forschungsgegenständen“ (Matzke, 2012, S. 940) in den Blick.

Gleichwohl die qualitative Forschung deutlich häufiger vertreten wird, sind auch empirisch quantitative Forschungsansätze im Feld vertreten (vgl. Keuchel, 2013). Neben kleineren Einzelstudien sind hier vor allem die Studien zur Bildungsberichterstattung in Deutschland (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2012) sowie die Studien zur Statistik und Kulturnutzung in Deutschland zu erwähnen (vgl. bspw. Keuchel & Larue, 2012). Gleichzeitig steigt die Bedeutung von Forschungsvorhaben mit mixed-methodologischer Ausrichtung. Die erfolgreiche Verschränkung qualitativer und quantitativer Forschungsansätze ist in den letzten Jahren erfolgreich erprobt worden (vgl. Lehmann et.al. 2020, Keuchel & Jörissen 2020).

Insgesamt zeichnet sich das Forschungsfeld der Kulturellen Bildung also durch eine hohe Diversität an Forschungsmethoden und -designs aus, die abhängig von der Fragestellung, dem Forschungsgegenstand und unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Ressourcen je nach Forschungsvorhaben angepasst und modifiziert werden. Auch wenn durch die zunehmende Forschungsförderung und den damit verbundenen Auswahl- und Reviewprozessen die methodologischen Standards gestiegen sein werden, stellt die Methodenentwicklung zur gegenstandsadäquaten und feldspezifischen Forschung, bspw. eine methodologische Grundlagenforschung für künstlerisch Forschungsansätze, einen wesentliches Entwicklungspotenzial im Feld dar.

4. Ausblick

Forschung zur Kulturellen Bildung ist geprägt durch die Historie und Struktur des Forschungsfeldes an sich, ein multidisziplinäres Verständnis von Forschung sowie spezifische Gegenstandsverständnisse, Logiken und Diskurse der Bezugsdisziplinen (vgl. Jörissen et al., 2018, S. 14). Innerhalb dieses komplexen Gefüges etabliert sich junges Forschungsfeld mit einer hohen Dynamik: es entwickelt sich angesichts der ausgeschriebenen Forschungsförderungsprogramme eine große Bandbreite an konkreten Vorhaben, durch Vernetzungsaktivitäten entsteht eine Strukturierung des Diskurses und es werden Fragen nach gegenstandsadäquaten Forschungsmethodologien und -designs aufgeworfen und explorativ beantwortet. Hier werden Erkenntnisse gewonnen, die sowohl auf der methodologischen und forschungspragmatischen Ebene als auch der Ebene der Forschungsergebnisse von Bedeutung über die Kulturelle Bildung hinaus für angrenzende Fachwissenschaften sind, wie etwa das Beispiel der Forschung zur Digitalisierung in der Kulturellen Bildung zeigt (vgl. Jörissen, Kröner, Unterberg 2019).

Trotz der hohen Dynamik lassen sich Desiderate im Forschungsfeld ausmachen. Da fällt zum einen das Fehlen von langfristiger Grundlagenforschung im Sinne einer zweckfreien Wissenserweiterung im jeweiligen Wissenschaftsgebiet (vgl. Hill, 2014) auf. Die Zuwendungslogik der Forschungsförderer einerseits, die häufig auf die Bildungspraxis ausgerichtete Konzeption der Studiengänge sowie die grundsätzliche Orientierung hin zum Praxisfeld lassen diese Entwicklung von grundlegenden Theorien, Konzepten und Erkenntnissen eher in den Hintergrund treten.

Eine weitere Notwendigkeit erkennen Jörissen et. al. in der Ausweitung einer historischen Forschung und diskurshistorischen Forschung: „Insbesondere die Kombination zunehmender Komplexität der Sachverhalte und Kontexte, steigender Publikationsdichte und zunehmende Diversifizierung der Forschungsfelder birgt die Gefahr einer mangelnden Übersicht. Historische Forschung auf hohem, historiographisch reflektiertem Niveau ist insofern ein wesentlicher Faktor für das Gesamtniveau der Forschung innerhalb eines Feldes.“ (Liebau & Jörissen, 2013, S. 47). Auch wenn hier bereits einige Ansätze erkennbar sind, wäre die systematische Erweiterung dieser Forschungsansätze ein Gewinn für das Feld.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Anteile empirischer Forschung je nach Kunstsparte sehr unterschiedlich stark ausgeprägt sind (vgl. Kap 3.1). Wo traditionell viel Geld sowohl in die Praxis der Kulturellen Bildung investiert wird und wo Disziplinen auf eine lange akademische Tradition zurückblicken können, ist die Forschungsdichte deutlich höher. Ob dies immer mit dem Erkenntnispotenzial für die Kulturelle Bildung und darüber hinaus korreliert, sollte einerseits kritisch hinterfragt werden und gleichzeitig der Blick auf die weniger forschungsstarken Fachdisziplinen ausgeweitet werden.

Eine letzte, nicht unwesentliche Herausforderung, vor der das Forschungsfeld der Kulturellen Bildung steht, ist die Frage nach dem Praxistransfer. Es lässt sich konstatieren, dass zwar viele Forschungsfragen nah an der Angebotspraxis der Kulturellen Bildung entlang entwickelt worden sind (vgl. Fink et al., 2015), die Erkenntnisse jedoch wenig Einfluss auf die Gestaltung der Kulturellen Bildungspraxis haben. Die Gründe hierfür sind vielfältige und für andere Bereiche der Bildungsforschung bereits ausführlich beschrieben (vgl. Gräsel, 2010; Jäger, 2004; Nickolaus et al., 2010). Für die Forschung in der Kulturellen Bildung ist dies jedoch eine Perspektive, die neben der Grundlagenforschung für die Zukunft wesentlich sein wird.

Verwendete Literatur

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  • Blumenreich, U. (2012). Das Studium der Kulturvermittlung an Hochschulen in Deutschland. In H. Bockhorst, V.-I. Reinwand, & W. Zacharias (Hrsg.), Handbuch Kulturelle Bildung (S. 349–354). München: kopead.
  • Bollenbeck, G. (1994). Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters. Frankfurt a. M., Leipzig: Insel Verlag.
  • Bresler, L. (Hrsg.). (2007). International handbook of research in arts education. Dordrecht: Spinger Science & Business Media.
  • Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V. (Hrsg.). (2001). Kultur Jugend Bildung. Kulturpädagogische Schlüsseltexte 1970-2000. Remscheid: BKJ.
  • Chrusciel, A. (2017). Messen, Ordnen, Bewerten. Eine diskursanalytische Betrachtung von Wirkungsanliegen Kultureller Bildung. Kulturelle Bildung. Online. https://www.kubi-online.de/artikel/messen-ordnen-bewerten-diskursanalytische-betrachtung-wirkungsanliegen-kultureller-bildung (Zugriffsdatum: 25.5.2020)
  • Deutscher Kulturrat e.V. (Hrsg.). (1994). Konzeption Kulturelle Bildung. Analysen und Perspektiven. Essen.
  • Fink, T. (2012). Evaluationen im Feld der Kulturellen Bildung. In H. Bockhorst, V.-I. Reinwand-Weiss, & W. Zacharias (Hrsg.), Handbuch Kulturelle Bildung. (S. 948–952). München: kopaed.
  • Fink, T., Hill, B., & Reinwand-Weiss, V.-I. (Hrsg.). (2015). Forsch! Innovative Forschungsmethoden für die Kulturelle Bildung. München: kopaed.
  • Fleming, M., Bresler, L., & O’Toole, J. (Hrsg.). (2015). The Routledge international handbook of the arts and education. London, New York: Routledge.
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  • Keuchel, S. (2013, 2012). Empirischer kulturelle Bildungsforschung – Methodik, Themen und aktueller Forschungsstand. Kulturelle Bildung. Online. https://www.kubi-online.de/artikel/empirische-kulturelle-bildungsforschung-methodik-themen-aktueller-forschungsstand (Zugriffsdatum: 25.5.2020)
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Anmerkungen

Dieser Artikel von Lisa Unterberg erschien unter dem Titel Kulturelle Bildung erstmals in: Heidkamp-Kergel, Birte/Kergel, David/August, Sven-Niklas (Hrsg.) (2021): Handbuch Interdisziplinäre Bildungsforschung. Weinheim, Basel: Beltz Juventa. S. 242-254. Die ursprüngliche Zitationsweise wurde beibehalten und nicht dem Style von kubi-online angepasst. Die Wissensplattform KULTURELLE BILDUNG ONLINE dankt der Autorin, den Herausgeber*innen und dem Verlag dafür, diesen Beitrag auch über www.kubi-online.de breit teilen zu dürfen.

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Gerne dürfen Sie aus diesem Artikel zitieren. Folgende Angaben sind zusammenhängend mit dem Zitat zu nennen:

Lisa Unterberg (2023/2021): Kulturelle Bildung - Überblick über das Forschungsfeld. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://kubi-online.de/index.php/artikel/kulturelle-bildung-ueberblick-ueber-forschungsfeld (letzter Zugriff am 16.07.2024).

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Dieser Artikel wurde dauerhaft referenzier- und zitierbar gesichert unter https://doi.org/10.25529/mqc0-ta60.

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