Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen: Entwicklung eines theoretischen Rahmens

Artikel-Metadaten

von Nina Kolleck, Berfîn Yildirim

Erscheinungsjahr: 2024

Peer Reviewed

Abstract

Kulturelle Bildung ist ein unverzichtbarer Bestandteil der persönlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Während Metropolen verstärkt in kulturelle Infrastruktur investieren, bleiben ländliche Regionen oft unterversorgt. Im Rahmen der BMBF-Förderrichtlinie „Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen“ wird untersucht, wie sich Kulturelle Bildung in diesen Kontexten manifestiert und welchen Beitrag sie zur Stärkung der Teilhabechancen leistet. Der vorliegende Artikel analysiert Ergebnisse der im Rahmen der Förderrichtlinie geförderten 21 Einzelprojekte, um diese theoretisch zu rahmen und die Praktiken und das Verständnis Kultureller Bildung in ländlichen Räumen zu vertiefen. Ergebnisse des vorliegenden Beitrags betonen die Vielfalt der Potenziale Kultureller Bildung und geben Anstöße zur gezielten Förderung in ländlichen Regionen.

Einleitung

Die Bedeutung Kultureller Bildung in der heutigen Gesellschaft ist unbestritten. Sie trägt zur persönlichen und gesellschaftlichen Entwicklung bei, ermöglicht Teilhabe an kulturellen und künstlerischen Ereignissen und stellt einen wesentlichen Bestandteil allgemeiner Bildung dar, der zur Förderung emotionaler und sozialer Bildung beiträgt (Ermert 2009; Kolleck/Büdel 2020). In der jüngeren Vergangenheit hat Kulturelle Bildung vor allem in Metropolen an Bedeutung gewonnen. So entfällt ein beachtlicher Teil des Kulturbudgets der Gemeinden in Deutschland – mehr als ein Viertel – auf die zehn Großstädte mit mehr als 500.000 Einwohner*innen. Diese wiederum investieren mehr als die Hälfte ihres Budgets in die Bereiche Theater und Musik (Kulturfinanzbericht 2022). In ländlichen Räumen hingegen ist die kulturelle Infrastruktur sehr schwach ausgeprägt (Kolleck/Fischer 2023). Im Rahmen der Förderrichtlinie „Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen“ (2019-2024) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), die Teil des Rahmenprogramms „Empirische Bildungsforschung“ ist, untersuchten die insgesamt 21 Forschungsvorhaben, welche Bedeutung Kultureller Bildung in ländlichen Räumen zukommt, welche regionalen Ausprägungen sie annimmt und wie ihr Verhältnis zur Ländlichkeit ist bzw. wie sich Kulturelle Bildung und ländliche Räume gegenseitig beeinflussen. Ziel der Förderrichtlinie ist es, eine Bestandsaufnahme zu erstellen, Herausforderungen und Potenziale zu analysieren, um letztendlich Kulturelle Bildung als Teil allgemeiner Bildung gezielter zu fördern und die Teilhabechancen besonders von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Eine Herausforderung bildet hierbei die Tatsache, dass Kulturelle Bildung – genau wie auch allgemeine Bildung – die hegemonialen Strukturen und damit die ungleichen Chancenverteilungen reproduziert.

Wir entwickeln einen theoretischen Rahmen, der basierend auf den Spannungsfeldern und ihrem Verhältnis zueinander die Praxis Kultureller Bildung in ländlichen Räumen sowie Ihre Herausforderungen und Potenziale theoretisch einordnet. Die Überlegungen Erich Wenigers (1952) zum wechselseitigen Verhältnis von Theorie und Praxis dienen uns als Anhaltspunkt für die Analyse und Auswertung der Forschungsergebnisse und Praxiseinsichten. Sie zeigen, dass die Theorie ihre wissenschaftliche Arbeit der Verbesserung der Praxis widmen und die „Verantwortung der Praxis“ (Weniger 1952) teilen muss. Theorien ebnen demnach der Praxis zwar den Weg zur Veränderung, können die Realität der Veränderung aber selbst nicht schaffen. Der vorliegende Beitrag erhebt demnach nicht den Anspruch, eine Theorie zu entwickeln, sondern präsentiert einen theoretischen Rahmen, der die Erkenntnisse der geförderten Projekte sowie das Erfahrungswissen der in die Projekte involvierten Praxisakteur*innen einordnet. Ziel ist es, durch die Zusammenführung verschiedener Perspektiven und Erkenntnisse aus der Forschung und Praxis die Potenziale Kultureller Bildung in ländlichen Räumen besser zu verstehen und gezielter zu fördern. Im Mittelpunkt steht die Identifizierung von sechs Spannungsfeldern aus den Praxisberichten und Forschungsergebnissen der in der BMBF-Förderrichtlinie geförderten Projekte: ‚Kulturentzug und Innovation‘, ‚Tradition und Wandlungsprozess‘, ‚Enges und breites Verständnis des Kulturbegriffs‘, ‚Kulturelle Teilhabe‘, ‚Explizite und implizite Wissensbestände‘ sowie ‚Wechselseitiges Verhältnis‘.

Als empirische Grundlage für diesen Artikel dienen demnach verschiedene Quellen, die im Kontext der Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen relevant sind: die Publikationen der Projekte, Praxisberichte sowie die rahmenden Vorarbeiten, die bereits in zwei Büchern erschienen sind (Kolleck/Büdel/Nolting 2022; Kolleck/Fischer 2023). Im Folgenden präsentieren wir die Ergebnisse unserer Analysen. Der Hauptteil des vorliegenden Textes diskutiert die sechs Spannungsfelder, die für die unterschiedlichen Verständnisse, Herausforderungen und Möglichkeiten der Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen relevant sind. Basierend auf den Überlegungen zur Entwicklung dieser theoretischen Rahmung ziehen wir ein Zwischenfazit und Schlussfolgerungen für eine erfolgreiche Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen. Der Beitrag schließt mit einem Fazit, das die Ergebnisse der theoretischen Rahmung zusammenfasst.

Ergebnisse: Spannungsfelder der Kulturellen Bildung und ihre Wechselwirkungen in ländlichen Räumen

Die Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen ist ein vielschichtiges und dynamisches Feld. Sie wird von verschiedenen Dimensionen und Spannungsfeldern beeinflusst, die in einem komplexen Zusammenspiel stehen. In diesem Kapitel diskutieren wir die im Rahmen der Analyse der Forschungsergebnisse und Praxiseinblicke identifizierten Spannungsfelder und zeigen auf, wie sie die Kulturelle Bildung in ländlichen Gebieten prägen.

Abb. Neu Kolleck
Abb. 1: Dimensionen und Spannungsfelder, Quelle: Eigene Darstellung

Die Ergebnisse unserer Analysen, die in Abbildung 1 zusammengefasst sind, deuten darauf hin, dass ländliche Räume von mehreren Dimensionen und Spannungsfeldern beeinflusst werden, die entscheidend für die Ausgestaltung der Kulturellen Bildung sind.

Die vier kulturellen und sozialen Dimensionen – demografischer Wandel, Bräuche/Kulturverständnis, soziale Ungleichheit und Diversität – führen zu sechs Spannungsfeldern, die in den Forschungsprojekten identifiziert wurden. So bestimmt der demografische Wandel, wer Teil der lokalen Gemeinschaft und damit potenziell Gestalter*in und Empfänger*in kultureller Bildungsangebote ist. Dies wiederum führt beispielsweise zum Spannungsfeld der Wissensbestände, die implizit und somit für externe Akteur*innen nicht zugänglich sein können. Auch beeinflusst der Weg- und Zuzug von Menschen die Art und Weise, wie beziehungsweise ob Traditionen und Bräuche weitergepflegt werden oder ob eine neue demografische Konstellation (z.B. der Zuzug junger Familien) nicht auch eine Weiterentwicklung der kulturellen Infrastruktur in ländlichen Räumen verlangt. Die vier Aspekte und die Spannungsfelder interagieren auch miteinander. So kann, in diese Richtung deuten die Erkenntnisse aus dem Projekt „Regionale Bindung“ hin, die Migrationsbiografie die Bleibe- oder Abwanderungstendenz von Jugendlichen (Retzar/Bamberger/Grölz 2023) und somit auch die kulturelle Teilhabe und das Kulturverständnis bestimmen.

Im Gegensatz dazu beziehen sich die strukturellen Dimensionen auf geografische, ökonomische, politische und technologische Aspekte, die direkt auf die Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen einwirken. Unsere Ergebnisse zeigen, dass strukturelle Faktoren wie die Erreichbarkeit von Kulturinstitutionen, finanzielle Ressourcen und politische Unterstützung maßgeblich die Möglichkeiten der Kulturellen Bildung beeinflussen. Die geografische Abgeschiedenheit vieler ländlicher Regionen schränkt dabei oft den Zugang zu kulturellen Aktivitäten ein (Spannungsfeld ‚Kulturelle Teilhabe‘) und verstärkt soziale Ungleichheiten (kulturelle und soziale Dimension). Gleichzeitig hilft ein breiteres Kulturverständnis sowie Netzwerkarbeit, Kulturelle Bildung in ländlichen Regionen anders zu erfassen und das Bild einer rein unzureichenden kulturellen Infrastruktur aufzubrechen. Und auch die Digitalisierung kultureller Angebote trägt dazu bei, strukturelle Herausforderungen zu überwinden.

Im obigen Absatz zeichnet sich bereits ab, dass verschiedene kulturelle und soziale Aspekte, die teilweise miteinander interagieren, unterschiedliche Spannungsfelder hervorrufen. Diese wiederum werden von zahlreichen strukturellen Dimensionen beeinflusst, die ebenfalls mit den kulturellen und sozialen Aspekten in Wechselwirkung stehen.

Im Folgenden ordnen wir konkrete Projekte in diese Spannungsfelder ein, um aufzuzeigen, wie unterschiedliche Ansätze der Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen auf diese vielfältigen Herausforderungen reagieren und wie sie die identifizierten Spannungsfelder adressieren.

Spannungsfeld ‚Kulturentzug und Innovation‘

Die Pandemie hat weitreichende Folgen für kulturelle Aktivitäten sowohl in ländlichen als auch städtischen Räumen. Der Umgang mit eingeschränktem Zugang zu analogen  Kultuveranstaltungen stellt dabei Kulturschaffende vor besondere Herausforderungen. Einerseits stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen kulturellen Aktivitäten und dem Wohlbefinden sowie der Prävalenz von Verbundenheit und ästhetischer Erfahrung in der digitalen kulturellen Teilhabe (Gotthardt et al. 2023). Andererseits rückt die Unterrichtsqualität von digitalen Musikstunden und der Einfluss regionaler Prägungen auf Verhaltensmuster in der Gruppe in den Fokus.

In diesem Kontext zeigt sich das Spannungsfeld ‚Kulturentzug und Innovation‘ besonders deutlich. Nach dem ersten Lockdown waren nur wenige schwerwiegende materielle und existenzielle Folgen für Kulturschaffende zu verzeichnen – vermutlich aufgrund der zeitlichen Begrenzung und ihrer Fähigkeit, auf künstlerische Erfahrungen zurückzugreifen (Frick et al. 2021). Die kumulativen Konsequenzen der zweiten Lockdown-Periode werfen jedoch neue Fragen auf. Es wird untersucht, wie sich die materielle Situation der Kulturschaffenden verändert, wie sie ihre Arbeit im virtuellen Raum innovativ gestalten (Frick et al. 2022) und ob wiederholte Einschränkungen kultureller Ereignisse eine Bereitschaft zur Berufsaufgabe fördern.

Das Projekt "Ma-ma-Märchenprinz" widmet sich genau diesen Fragestellungen und untersucht die Folgen der Pandemie für kulturelle Aktivitäten und den Umgang mit Kulturentzug durch Kulturschaffende in unterschiedlichen räumlichen Kontexten.

Spannungsfeld ‚Explizite und implizite Wissensbestände‘

Kooperationsbeziehungen und das Selbstverständnis von Musikvereinen in ländlichen Räumen sind zentrale Themen der aktuellen Forschung. Dabei wird insbesondere untersucht, welche Wissensbestände dem Handeln von Musikvereinsakteur*innen in ihrer gemeinsamen Alltagspraxis zugrunde liegen (Bons et al. 2022). Geteilte Überzeugungen und Alltagstheorien auf expliziter Wissensebene, die den Beteiligten reflexiv zugänglich sind (z.B. die Überzeugung, eine große Gemeinschaft zu sein), stehen hierbei oft in einem Spannungsverhältnis zu einem Orientierungsrahmen auf impliziter Wissensebene (z.B. die Bedeutung kleiner Gemeinschaften, die sich aus den Vereinsbiografien ergeben) (Borchert/Bons 2022). Dieser Analyse der unterschiedlichen Wissensbestände widmet sich das Projekt „MokuB“.

Spannungsfeld ‚Tradition und Wandlungsprozess‘

In der Forschung zur kulturellen Erwachsenenbildung und regionalen Identitätsbildung in ländlichen Räumen zeigt sich als zentrales Thema der Zusammenhang von kulturellen Aktivitäten und regionalen Strukturen, Netzwerken und (Wissens-)Ressourcen. Dabei tritt immer wieder das Spannungsfeld ‚Tradition und Wandlungsprozess‘ in den Fokus.

Das Projekt „SKUBIL“ beispielsweise untersucht kulturelle Erwachsenenbildung in ländlichen Räumen und ihre regionalspezifischen Strukturen und Netzwerke. Hier zeigt sich das Spannungsfeld zwischen Tradition und Wandlungsprozess, indem Transkulturalität und Regionalität einander gegenübergestellt werden. Die Forschung verdeutlicht, wie kulturelle Bildungsangebote regional spezifisch ausgeformt und auf akteurs- sowie kontextspezifische Faktoren abgestimmt werden (Robak/Preuß/Schneider 2022).

Ein weiteres Projekt, „Regionale Bindung“, untersucht den Einfluss von Kulturprojekten mit regionalem Bezug auf die Bleibe- und Abwanderungstendenzen junger Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in ländlichen Gebieten. Die Bedeutung der Schule als kulturelle Vermittlungsinstitution wird hervorgehoben, insbesondere in Bezug auf die Herausforderungen des Wandlungsprozesses in dünn besiedelten Regionen (Retzar/Eller 2022).

Das Projekt „KUBILARI“ beleuchtet die Auswirkungen kultureller Erwachsenenbildung auf die regionale Identitätskonstruktion in Sachsen. Es zeigt, wie Kulturelle Bildung als Transformationsprozess verstanden werden kann, der sowohl Verwerfungen und Verluste als auch Aufstieg und selbstbestimmte Mitgestaltung umfasst (Beetz/Jacob 2022).

Das Projekt „Wasteland?“ untersucht den ländlichen Raum als „affektiven Raum“ und betrachtet die Zusammenhänge zwischen Zugehörigkeitsgefühlen und Verlusterfahrungen. Hierbei wird gefragt, welche veränderten Anforderungen an Kulturelle Bildung daraus resultieren und wie diese Prozesse in ländlichen Institutionen und Dörfern stattfinden (Althans et al. 2022).

Schließlich beschäftigt sich das Projekt „BiDiPeri“ mit dem digitalen Innovationsmangel in ländlichen Gebieten und sucht nach Wegen, diesen durch kultur-pädagogische Angebote zu überwinden. Bibliotheken werden als zentrale Einrichtungen betrachtet, die regionale Stärken fördern und die Lebensverhältnisse verbessern können, insbesondere durch (post-)digitale Bildungsangebote (Flasche/Jörissen 2022).

Diese Projekte zeigen, wie Kulturelle Bildung und regionale Identität in ländlichen Räumen einem ständigen Wandel unterliegen, der durch regionale Spezifika, transkulturelle Einflüsse und digitale Innovationen geprägt sind.

Spannungsfeld ‚Kulturelle Teilhabe‘

Ein Spannungsfeld, das in den Daten für diesen Artikel sehr präsent war, bezieht sich auf kulturelle Teilhabe, was sich insbesondere in den kulturellen Aktivitäten, regionale Strukturen und Netzwerke verdeutlicht.

Das Projekt „OKaPi“ untersucht, wie die Prinzipien der Offenen Kunst Handlungen, Situationen und Bedingungen in ländlichen Räumen beeinflussen können. Kinder und Jugendliche werden dabei direkt in Veränderungsprozesse einbezogen, um ihre Partizipation und Teilhabe an künstlerischen Prozessen zu fördern (Pfefferkorn/Putz/Seumel 2022). Die Studie, durchgeführt in Nordsachsen und im Landkreis Leipzig, zeigt, dass die Umsetzung Offener Kunst-Angebote stark von einem reflektierenden Verständnis und günstigen infrastrukturellen Bedingungen abhängt.

„PReTuS“ erforscht die Bedingungen und Teilhabemöglichkeiten musikalisch-kultureller Bildung in peripheren Regionen und analysiert sowohl die Schulentwicklung als auch die individuellen Teilhabemöglichkeiten von Schüler*innen (Brauns et al. 2022). Hier steht das Spannungsfeld der kulturellen Teilhabe im Mittelpunkt.

Im Projekt „KuBiLa“ werden in Nordthüringen Einrichtungen und Orte der Kulturellen Bildung kartiert und Netzwerke untersucht. Dabei wird deutlich, dass mangelnde Kommunikation und Kooperation zwischen den Verantwortlichen die kulturellen Teilhabemöglichkeiten erschweren. Ziel ist es, Teilhabepotenziale durch Vernetzung zu fördern (Stutz et al. 2022).

„KuBiPaD_II“ ist als Panelstudie konzipiert und untersucht, wie die Bevölkerung Deutschlands an Kultur teilhat und wie sich das Kulturverhalten unter den Bedingungen der Corona-Pandemie verändert hat. Die Studie zeigt, dass kulturelle Präferenzen stabil bleiben, aber außerhäusliche Kulturpartizipation während der Pandemie eingeschränkt war. Familiäre und schulische Sozialisation sowie aktuelle Partizipationsressourcen sind entscheidend für kulturelle Teilhabe (Otte/Lübbe/Balzer 2022).

Das Projekt „KUMULUS“ analysiert kulturelle Aktivitäten außerhalb des schulischen Unterrichts und deren Bedeutung für Jugendliche in peripheren Regionen. Trotz breiter Angebotslandschaft ergeben sich ortsbezogene ungleiche Zugangs- und Teilhabechancen (Grunert et al. 2022).

„ThOff“ untersucht Strategien zur Publikumsgewinnung und -bindung von Theatern in Südniedersachsen. Dabei werden qualitative und quantitative Methoden genutzt, um die Ansätze der Theater und deren Wirkung auf das Publikum zu analysieren (Mandel/Schmidt 2022).

„PaKKT“ erforscht die Bedingungen für kulturelle Bildungsnetzwerke und Teilhabe in abgelegenen ländlichen Räumen. Es untersucht infrastrukturelle Voraussetzungen und kulturelle Stile, die zu den Angeboten passen, und setzt auf die Partizipation der ländlichen Bevölkerung (Bender/Lambrecht/Rennebach 2022).

„KuBiNetze“ untersucht die sozialen Beziehungen und Handlungen kulturell Agierender in ländlichen Räumen. Ziel ist es, kulturelle Bildungsangebote zu verbessern, indem die Akteur*innenbiografien und -netzwerke untersucht und darauf basierende Empfehlungen abgeleitet werden (Arndt et al. 2022).

Diese Projekte zeigen, wie Kulturelle Bildung je nach Verständnis des Kulturbegriffs, aber auch infrastrukturellen Bedingungen, Teilhabechancen der Teilnehmenden fördert oder beschränkt und wie wichtig die Vernetzung der Kulturschaffenden und die Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung sind.

Spannungsfeld ‚Enges und breites Verständnis des Kulturbegriffs‘

Die für diesen Artikel analysierten Daten zur Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen zeigen vielfältige Ansätze und thematische Spannungsfelder auf. Sie beleuchten insbesondere die Unterschiede in der Wahrnehmung und Nutzung kultureller Angebote sowie die Bedeutung regionaler Identitäten. Dies zeigt sich vor allem in folgenden Projekten.

Das Projekt „ElKuBi“ untersucht die Rolle von Eltern bei der Wahrnehmung und Auswahl von Angeboten der Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen. Es identifiziert Gründe für die Nutzung oder Nichtnutzung dieser Angebote und entwickelt Handlungsempfehlungen für eine bessere Abstimmung von Angebot und Nachfrage sowie einen stärkeren Einbezug der Eltern in die Angebotsplanung. Die Elterninterviews zeigen ein Spannungsfeld zwischen einem engen, klassischen Kulturverständnis (klassische Musik, Kunst, Theater) und einem breiten Kulturverständnis, das auch Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr und Sport umfasst (Krüger 2021).

„TraVI“ erforscht die lokale Kultur in peripheren Räumen unter dem Aspekt ihrer generationenübergreifenden Weitergabe und ortseigenen Identitäten. Das Projekt thematisiert das Spannungsfeld zwischen einem engen und breiten Kulturbegriff. Anstelle eines engen Kulturbegriffs, der sogenannte hochkulturelle Wissensbestände umfasst, verwendet das Projekt ein weites Kulturverständnis, das Kultur als alltagspraktisches Phänomen betrachtet. Dies ermöglicht neue Perspektiven auf die Selbstbeschreibungen der Menschen vor Ort und zeigt, dass Kulturtradierung ein wechselseitiger, transformierender Prozess ist (Franz et al. 2022).

Das Projekt „FAkuBi“ vergleicht drei Regionen hinsichtlich ihrer Angebotsstrukturen und der Konstellationen von Akteur*innen in der Kulturellen Bildung, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Es zeigt, dass Förderpolitiken eine bedeutende Rolle für das Selbstverständnis der Akteure der Kulturellen Bildung spielen, besonders im Zusammenhang mit regionaler Identitätsbildung. Das Projekt operiert mit einem breiten Kulturverständnis, das Bildung im Kontext von Biografie, regionalen Bedingungen und sozialen Praktiken betrachtet (Thole et al. 2022).

Diese Projekte verdeutlichen, dass Kulturelle Bildung und regionale Identität in ländlichen Räumen stark von den jeweiligen kulturellen Verständnissen, lokalen Strukturen und sozialen Netzwerken abhängen.

Spannungsfeld ‚Wechselseitiges Verhältnis‘

Die Ergebnisse der Analysen für diesen Artikel verdeutlichen zudem, wie Kunstschaffende und lokale Gemeinschaften interagieren und welche Rolle regionale Identitäten dabei spielen.

Das Projekt „DO_KiL“ untersucht beispielsweise künstlerische Residenzen in ländlichen Räumen als temporäre Begegnungsräume für Kunstschaffende und lokale Gemeinden. Es begleitet die Kunstschaffenden durch wiederholte Besuche (Waburg et al. 2023) und analysiert, wie sie ländliche Strukturen aufgreifen und zur Qualität Kultureller Bildung in diesen Gebieten beitragen (Kranixfeld 2022; Sterzenbach 2023; Sterzenbach et al. 2022; Westphal 2021; Westphal/Kranixfeld 2023). Im Spannungsfeld ‚Wechselseitiges Verhältnis‘ zeigt sich, dass Künstler*innen ihre Arbeit in lokale Gegebenheiten einbetten und die lokale Bevölkerung sich als Ko-Produzentin in die Projekte einbringen kann (Waburg et al. 2022). Dies betont die Relevanz von Vertrauensbildungsprozessen (Kranixfeld/Sterzenbach 2022). Das Residenzprojekt rekonstruiert Prozesse des „un/doing-difference“ – das heißt die Bedeutung und das Ruhenlassen von Unterscheidungen wie Geschlecht, Alter und Ländlichkeit (Waburg et al. 2024).

Zusammenführung und Zwischenfazit

Bei der Analyse der Publikationen und Texte der Projekte der Förderrichtlinie hinsichtlich der Spannungsfelder zeigt sich, dass sich diese in der empirischen Praxis wechselseitig überschneiden und ergänzen: Das ‚Verständnis des Kulturbegriffs‘ ist eng mit dem Spannungsfeld ‚Tradition und Wandlungsprozess‘ verbunden. Die Herausforderung besteht einerseits darin, Traditionen zu bewahren und regionalspezifische Ausformungen von Kultureller Bildung zu berücksichtigen und in die Planung mitaufzunehmen. Andererseits geht es darum, Innovationen und Vernetzungen zu fördern und die Identitätskonstruktion als sich im Wandel befindend zu begreifen. Gerade vor dem Hintergrund, dass Kulturelle Bildung als Teil der hegemonialen Strukturen dazu tendiert, die ungleichen gesellschaftlichen Verhältnisse und Teilhabechancen zu reproduzieren, stellen Ansätze, die von einem homogenen Kulturbegriff abweichen und stattdessen beispielsweise auf Transkulturalität setzen, wie im Fall der Projekte „HeimatWeltBühne“ und „SKUBIL“ eine reflektierte Annäherung an das Kulturverständnis und mögliche spannende Erkenntnisse dar. Ebenfalls verbunden mit den unterschiedlichen Verständnissen des Kulturbegriffs ist die ‚Kulturelle Teilhabe‘: Einerseits grenzen die für ländliche Räume typischen strukturellen Herausforderungen die Teilhabe- und Handlungsmöglichkeiten der Menschen ein. Andererseits zeigt ein weit gefasster Kulturbegriff die bestehende kulturelle Infrastruktur und das Netz an kulturell aktiven Akteur*innen auf, sodass bestehende Strukturen und der Austausch zwischen letzteren gefördert werden kann.

Daran anknüpfend thematisiert das Spannungsfeld ‚Wechselseitiges Verhältnis‘, wie die Zusammenarbeit von Künstler*innen mit der lokalen Bevölkerung zum Aushalten von Unterschiedlichkeiten und Vertrauensbildungsprozessen führt. Hierbei kann das Spannungsfeld ‚Tradition und Wandlungsprozess‘ relevant sein, wenn kulturelle Bildungsangebote von externen Akteur*innen aus urbanen Zentren umgesetzt werden, die mit den regionalspezifischen Ausformungen Kultureller Bildung in ländlichen Räumen nicht vertraut sind. Schlussendlich beeinflussen ‚Explizite und implizite Wissensbestände‘ der Beteiligten das Verständnis und die Konstruktion als Gemeinschaft. Während die expliziten Wissensbestände reflexiv für alle – und somit auch externe Akteur*innen – zugänglich sind, ergeben sich die impliziten Wissensbestände anhand einzelner Biografien innerhalb einer kleinen Gruppe und haben damit einen exklusiveren Charakter. Ebenfalls eng verbunden mit den Spannungsfeldern ‚Tradition und Wandlungsprozess‘ sowie ‚Kulturelle Teilhabe‘ ist die Frage nach der Digitalisierung Kultureller Bildung, so wie sie im Projekt „Ma-ma-Märchenprinz“ und dem sich dort ergebenden Spannungsfeld ‚Kulturentzug und Innovation‘ thematisiert wird: Bibliotheken, das zeigen uns die Erkenntnisse des Projekts „BiDiPeri“, können als regionale Infrastruktur genutzt werden, um besonders Jugendlichen innovative, digitale Angebote Kultureller Bildung, ähnlich wie in urbanen Räumen, zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig können Künstler*innen, beispielsweise in gesellschaftlichen Ausnahmesituationen wie der Pandemie, auf virtuelle Formate zurückgreifen, wodurch auch Menschen in ländlichen Räumen angesprochen werden würden.

In den Projekten deutet sich an: Eine erfolgreiche Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen erfordert eine ganzheitliche Betrachtung und eine abgestimmte Strategie, die alle Spannungsfelder berücksichtigt. Es erscheint besonders wichtig für den Erfolg solcher Forschungsvorhaben, die Akteur*innen der Kulturellen Bildung in den ländlichen Räumen (die sogenannte „Praxis“) eng in die Entwicklung und Umsetzung der Strategie einzubeziehen.

Identität, Innovation und Impulse für die Praxis: Handlungsempfehlungen für die künftige transdisziplinäre Zusammenarbeit

In Zeiten zunehmender Urbanisierung und digitaler Vernetzung bleibt die Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen ein entscheidender Baustein für gesellschaftliche Entwicklung und individuelle Entfaltung. Diese Regionen sind reich an kultureller Vielfalt und lokaler Identität, die es zu bewahren und gleichzeitig weiterzuentwickeln gilt. Die Kulturelle Bildung spielt dabei eine Schlüsselrolle, indem sie nicht nur das Bewusstsein für die eigene Region und deren Geschichte stärkt, sondern auch soziale Netzwerke und ein gemeinsames Miteinader unterstützen kann. Vor diesem Hintergrund untersuchen wir in diesem Text die verschiedenen Dimensionen und Herausforderungen der Kulturellen Bildung in ländlichen Gebieten sowie die praxisrelevanten Schlussfolgerungen, die aus diesen Erkenntnissen abgeleitet werden können.

Gleichzeitig sind „regionale Kultur und Identität“ keine statischen Konzepte, sondern Teil gesellschaftlicher und individueller Entwicklungen, die kontinuierlich neu definiert und gestaltet werden. In ländlichen Räumen spielen Individuen und Organisationen der Kulturellen Bildung eine zentrale Rolle. Sie erhalten nicht nur die lokale Arbeit, sondern treiben auch Entwicklungsprozesse voran. Durch gemeinsame Anstrengungen an einem breiten kulturellen Angebot und einer verbesserten Zugänglichkeit zur Kulturellen Bildung lässt sich das Angebot in diesen Regionen erheblich erweitern und verbessern.

Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Förderung sozialer Netzwerke und des gemeinsamen Miteinanders durch Kulturelle Bildung. Besonders erfolgreich ist es, Konflikte und unterschiedliche Interessen bei der Zusammenarbeit zu berücksichtigen. Kooperationen und Netzwerke können dazu beitragen, die Qualität und den Umfang des kulturellen Angebots zu steigern. Allerdings gibt es kein allgemeingültiges Rezept, das auf alle ländlichen Räume anwendbar ist. Vielmehr müssen die regionalen Identitäten und Gemeinsamkeiten situativ berücksichtigt werden. Die Akteur*innen vor Ort benötigen die Autonomie, um selbst Projekte und Initiativen der kulturellen Bildungsarbeit voranzutreiben. Hierfür sind eine nachhaltige Finanzierung und eine effektive Ressourcennutzung von entscheidender Bedeutung, da Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen oft mit begrenzten Ressourcen und finanziellen Herausforderungen verbunden ist.

Zudem ist Reflexivität eine wesentliche Fähigkeit, um die Potenziale und Veränderungsprozesse der Kulturellen Bildung besser zu verstehen. Sie ermöglicht es Individuen, ihre eigenen Überzeugungen und Handlungen zu hinterfragen und zu reflektieren, was dazu beiträgt, dass sie ihre Persönlichkeit und ihr Leben besser verstehen und gestalten können. In der Kulturellen Bildung bedeutet dies, dass Menschen ihre Erfahrungen besser einordnen können und dadurch ihre Identität und ihr gesellschaftliches Engagement stärken können.

Um die Potenziale der Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen weiter zu stärken, sollten Akteur*innen der kulturellen Bildungsforschung und -praxis zukünftig enger zusammenarbeiten. Dies entspricht auch den Überlegungen Wenigers (1952) zum wechselseitigen Verhältnis von Theorie und Praxis. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteur*innen der kulturellen Bildungsforschung und -praxis ist unerlässlich, um die Potenziale Kultureller Bildung in ländlichen Räumen besser zu verstehen und zu nutzen. Solche Kooperationen können die Entwicklung neuer Konzepte und Methoden fördern, die den spezifischen Herausforderungen und Bedürfnissen ländlicher Regionen gerecht werden.

Fazit

Der vorliegende Artikel hat verdeutlicht, dass ländliche Räume eine Vielfalt an kulturellen Bildungsangeboten aufweisen und nicht, wie manchmal stereotypisch dargestellt wird, per se „kulturarm“ sind. Jedoch haben die geografischen, ökonomischen, technologischen und politischen Dimensionen – wie die Frage nach einer nachhaltigen Finanzierung oder die ökonomische Bedeutung der Region – einen Einfluss auf die Ausformung und die Bereitstellung Kultureller Bildung in ländlichen Gebieten. Zusätzlich spielen die kulturellen und sozialen Dimensionen – zum Beispiel die gesellschaftliche Zusammensetzung, die Lebensrealitäten marginalisierter Gruppen oder ein inklusives/exklusives Verständnis des Kulturbegriffs – eine wesentliche Rolle bei der Erfassung, Planung und Durchführung kultureller Bildungsangebote in ländlichen Räumen.

Diese Aspekte durchziehen die Diskussionen und Forschungsarbeiten der BMBF-Förderrichtlinie „Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen“, die 21 wegweisende Projekte hervorgebracht hat. Die Erkenntnisse aus diesen Untersuchungen sind nicht nur eine Bestandsaufnahme der aktuellen Lage, sondern zeigen Wege auf, wie Kulturelle Bildung in ländlichen Gebieten nachhaltig gefördert werden kann.

Abschließend wird deutlich: Durch eine gezielte Umsetzung dieser Erkenntnisse können wir nicht nur die kulturelle Vielfalt in ländlichen Regionen bewahren, sondern auch neue Horizonte für kommende Generationen eröffnen. Durch eine gezielte Umsetzung der oben angeführten Aspekte kann Kulturelle Bildung in ländlichen Regionen verbessert werden und einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der regionalen Identität und Gesellschaft leisten und gleichzeitig innovative Möglichkeiten aufzeigen, um Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen in die Breite zu tragen und gerade Jugendliche und somit die nachfolgenden Generationen vermehrt anzusprechen.

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Nina Kolleck, Berfîn Yildirim (2024): Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen: Entwicklung eines theoretischen Rahmens. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://kubi-online.de/index.php/artikel/kulturelle-bildung-laendlichen-raeumen-entwicklung-eines-theoretischen-rahmens (letzter Zugriff am 06.11.2024).

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