Kulturelle Bildung als Akteurin des Wandels
Abstract
Die Kulturelle Bildung hat das Potenzial, auf zwei Ebenen die gesellschaftliche Transformation hin zu einer nachhaltigeren Lebensweise und sozial gerechteren Welt zu begleiten: auf Ebene ihrer Organisationen, die sich bewusst strategisch dafür entscheiden, die Rolle von Akteurinnen des Wandels anzunehmen und ihre Arbeit darauf auszurichten, sowie auf inhaltlich-konzeptioneller Ebene im Zusammenspiel mit schon vorhandenen Ansätzen transformativer Bildungsarbeit wie dem Globalen Lernen, der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und der Transformativen Bildung. Dabei ist nicht nur wichtig zu wissen, wo es Schnittstellen zwischen der Kulturellen Bildung und diesen Bildungsansätzen gibt, sondern auch, welche Reichweite die Kulturelle Bildung im Kontext transformativer Bildungsarbeit überhaupt haben kann. Zentral geht es bei transformativer Bildungsarbeit darum, den Weg für sogenannte „Change Agents“ zu bereiten, die für ihre jeweiligen Umfelder als Multiplikator*innen des Anliegens der Transformation zu sehen sind. Deswegen soll dieser Beitrag insbesondere aufzeigen, welche verschiedenen Typen von „Change Agents“ es gibt, welche Merkmale sie haben, welche Bildungsziele für sie formuliert werden können und inwieweit die Fokussierung dieser Zielgruppen jeweils mit Selbstverständnis und Bildungszielen der Kulturellen Bildung einhergeht.
Die Kulturelle Bildung, verstanden im Sinne der kulturellen Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung, trägt wie viele andere Ansätze der non-formalen Bildung dazu bei, Menschen bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen, eigene kreative und ästhetische Potenziale kennenzulernen, sich zu erproben und damit unter anderem Fähigkeiten der Reflexion, des Selbstlernens bzw. der Selbstbildung zu stärken. Kurz gesagt, unterstützt sie also dabei zu lernen, mit dem Leben gut umzugehen (vgl. BKJ 2020/b und Bockhorst 2013/2012). Damit hat sie aber nicht nur Einfluss auf das jeweilige Individuum, das sich in dieser Form bildet, sondern auch auf gesellschaftliche Entwicklungen, die sich in so einer persönlichen Aneignung neuer oder erweiterter Denk- und Lebensmuster sowie Perspektiven widerspiegeln, insbesondere wenn viele Menschen sich auf diese Weise bilden.
So eine persönliche und gleichwohl gesellschaftliche Entwicklung ist wiederum auch Prämisse und Notwendigkeit bei einer der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts: Der gesellschaftlichen Transformation, die zu einer nachhaltigeren Lebensweise führen und eine sozial gerechtere Welt ermöglichen soll. Der weite Weg der Transformation, also der langfristigen Änderung gesellschaftlicher Denk- und Handlungsweisen, beginnt als Startpunkt mit Menschen und Institutionen, die diesen Wandel bereiten können und sich für diesen stark machen. Dies sind sogenannte „Change Agents“, die für ihre jeweiligen Umfelder als zentraler Hebel und als Multiplikator*innen des Anliegens der Transformation zu sehen sind (vgl. dazu auch Lang-Wojtasik 2019:9).
Mit Blick auf die Kulturelle Bildung und die angesprochene institutionelle Ebene müssten sich daher für den ersten Schritt auf diesem Weg deren Akteur*innen – also Organisationen, Vereine, Initiativen und Gestalter*innen – fragen, ob sie bereit sind, bewusst diese neue Rolle als „Change Agent“ und die damit verbundene Haltung anzunehmen (als Organisation zum Beispiel durch die Übernahme einer Nachhaltigkeitsstrategie oder des sogenannten „Whole Institution Approachs“, vgl. Deutsche UNESCO-Kommission 2019). Dafür müssten sie die hohe gesellschaftliche Relevanz der beiden Hauptprinzipien der Transformation, Nachhaltigkeit und globale soziale Gerechtigkeit für sich selbst anerkennen sowie die gesellschaftliche Verantwortung der Kulturellen Bildung als bedeutendem non-formalem Bildungsbereich akzeptieren. Dafür wäre auch ein relevanter formeller Begründungszusammenhang gegeben, da so unter anderem das entsprechende UN-Nachhaltigkeitsziel SDG 4 (SDG = Sustainable Development Goal) bzw. dessen Unterziel 4.7 umgesetzt wird (vgl. United Nations 2017-2020:5).
Der zweite Schritt, der sich aus der Aneignung dieser grundsätzlichen Haltung ergibt, ist die Frage, inwieweit Kulturelle Bildung zur Begleitung der Transformation beitragen kann, wie also deren oben benannten Akteur*innen zu „Change Agents“ auf institutioneller Ebene werden können und wie die Kulturelle Bildung im Rahmen des eigenen Konzepts dafür sensibilisieren kann, sich auf individueller Ebene mit dem Wandel zu mehr Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen oder selber die Rolle eines „Change Agents“ anzunehmen.
Hinsichtlich des Konzepts Kultureller Bildung kann zunächst festgehalten werden, dass bereits deutliche Schnittmengen zu den originär für die Sensibilisierung für Nachhaltigkeit und globale soziale Gerechtigkeit entwickelten Bildungskonzepten wie Globales Lernen, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Transformative Bildung vorhanden sind. Dies betrifft sowohl Aspekte wie den jeweils ganzheitlichen, non-formalen Ansatz als auch bereits vorhandene gemeinsame Bildungsziele wie Reflexions- und Wahrnehmungsfähigkeit sowie weitere Kompetenzen (vgl. BKJ 2020, BKJ 2013 sowie Reinwand-Weiss 2020). Als besondere Stärke der Kulturellen Bildung könnte – neben der über sie für die transformative Bildungsarbeit erweiterten Menge an Methoden, Formaten und erreichter Personen –ihre Fähigkeit herausgestrichen werden, große und notwendige Freiräume für Reflexionen, Erkenntnisse, neue Perspektiven und für das Ausprobieren, Erproben schaffen zu können. Inhaltlich kann in der Kulturellen Bildung wiederum die gesamte Bandbreite an Nachhaltigkeitsthemen auf sehr zugängliche Weise aufgegriffen und künstlerisch-kreativ bearbeitet werden. Methodisch gezielt insbesondere dann, wenn man sich als Akteur*in strategisch entschieden hat, selbst die Rolle eines „Change Agents“ anzunehmen und einen der Schwerpunkte der eigenen Arbeit auf Nachhaltigkeit und Transformation zu legen.
Eine weitere Stärke Kultureller Bildung – die ebenso hohe Relevanz für transformative Bildungsansätze hat – ist ihre prinzipielle Breitenwirksamkeit, da sie Flächendeckung und das niedrigschwellige Erreichen ihrer Zielgruppen anstrebt (vgl. Rat für Kulturelle Bildung 2014). So sind ihre Angebote und Träger im non-formalen Bereich beginnend bei Kindertagesstätten über Musikschulen, Jugendkunstschulen, Tanzschulen, soziokulturelle Zentren und Jugendfreizeiteinrichtungen, Vereine der kulturellen Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung bis hin zu Volkshochschulen und Kulturinstitutionen wie (Jugend-)Museen, Bibliotheken oder Theater lokal an vielen Standorten zu finden. Dabei ist es gleichwohl sehr wichtig zu wissen, welche Bildungsziele und Zielgruppen non-formale Kulturelle Bildung genau erreichen kann, wo sich diese mit Zielgruppen anderer transformativer Bildungsansätze überschneiden und welche Bildungsziele und gesellschaftlichen (Ziel-)Gruppen beispielsweise nicht von ihr erreicht werden können.
Merkmale von und Bildungsziele für „Change Agents“
Zur besseren Einordnung der Reichweite und der Zielgruppen werden folgend die Merkmale und Bildungsziele skizziert, mit denen eine Person zu einem „Change Agent“ werden kann. Denn nur wenn die Merkmale und Bildungsziele für die unterschiedlichen Formen von „Change Agents“ bekannt sind, kann die eigene Bildungsarbeit gezielt und bewusst eingesetzt werden. Egal um welche Form des Umgangs mit Wandel es geht, ob in Form langsamer Änderung persönlicher Sichtweisen oder in Form der Annahme einer aktiven gesellschaftlichen Rolle, leistet Bildung zwar immer einen wichtigen (wenn auch nicht den einzigen) Beitrag, aber es gibt zum Beispiel einen deutlichen Unterschied dabei, ob es um eine erste Sensibilisierung oder den Aufbau von Fach- oder Expert*innen-Wissen geht.
Zu sehen ist in der folgenden Aufstellung, dass Kulturelle Bildung insbesondere ein Ausgangspunkt sein kann, um zu sensibilisieren oder aufzurütteln, viele Menschen anzusprechen und Pfade hin zur Annahme der Rolle eines tatsächlich gesellschaftlich aktiven „Change Agents“ zu eröffnen. Die hier skizzierten Typen von allgemeinerer Sensibilisierung hin zu spezialisierten Bildungszielen sind gleichzeitig nicht hierarchisch oder als besser und schlechter zu verstehen, sondern folgen grob dem Schema von tendenziell leichter zugänglich zu voraussetzungsvoller. Kleinere bis größere Überschneidungen zwischen den einzelnen Typen sind dabei möglich bzw. ergeben sich teilweise automatisch. Mit „Typen“ sind konkret unterschiedliche Zielgruppen mit Blick auf ihre (angenommene) Disposition gemeint, sich mit dem eigenen und gesellschaftlichen Wandel auseinanderzusetzen. Das ist wichtig, um nachvollziehen zu können, welcher Bildungsansatz welche Zielgruppe mit Blick auf die benannten Bildungsziele, also die „herauszubildenden“ Eigenschaften, überhaupt bedienen kann. Grundsätzlich sollte für eine Breitenwirksamkeit die Zielgruppe die niedrigschwellig möglichste und unbedarfteste sein, weswegen immer hinterfragt werden muss, wie diese mitgenommen werden und was von dieser erwartet werden kann.
1. Wandel auf Ebene der eigenen Person
(Zielgruppe: alle; Zielhorizont: langfristig/generational; Bildungsformat: möglichst niedrigschwellig) (vgl. z.B. Bergmüller-Hauptmann et al. 2019)
- Reflektieren können
z.B. durch Fragehaltung oder Perspektivwechsel; zu einer Haltung mit Blick auf Wandel und Nachhaltigkeit kommen; einen Bezug vom (eigenen) Individuum zur (globalen) Welt (und deren Individuen) herstellen können - Emotionen entwickeln
empathischer und sensibler werden; ggf. auch grundsätzlich offener oder bereiter für Veränderungen und verändertes Denken werden - Handlungsoptionen mit Blick auf Nachhaltigkeit und globale soziale Gerechtigkeit kennen
Selbstwirksamkeit erkennen; Möglichkeiten des Experimentierens kennen und nutzen
Kulturelle Bildung kann mit Blick auf alle der benannten Bildungsziele wirksam sein und insbesondere Räume des Reflektierens, des Experimentierens sowie der Selbstbildung schaffen. Da eines ihrer Prinzipien die Ergebnisoffenheit ist, sind die Bildungsziele Kultureller Bildung grundsätzlich noch etwas allgemeiner als skizziert und nicht unbedingt nur auf den Aspekt der Wandlungsfähigkeit fokussiert. Gleichwohl gibt es eine große Schnittmenge zu den benannten Bildungszielen. Insbesondere wenn der Schwerpunkt der eigenen Arbeit bewusst auf Nachhaltigkeit und Transformation liegt, können diese von Bildungsakteur*innen gezielt angestrebt werden.
2. Aneignen von Wissen, spezifischer Kenntnisse und Fähigkeiten hinsichtlich des Wandels auf individueller Ebene
(Zielgruppe: alle; Zielhorizont: langfristig/generational; Bildungsformat: niedrigschwellig bis anspruchsvoller) (vgl. z.B. Bergmüller-Hauptmann et al. 2019)
- Konkretes Wissen aneignen
zu einzelnen Nachhaltigkeitsthemen oder zu globalen und komplexeren Zusammenhängen von Entwicklung, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit (siehe z.B. Steinborn 2020); „Erhöhung der Eigenkomplexität“ (vgl. Scheunpflug/Schröck Stuttgart 2000) - Kompetenzen, die sich auf den Umgang mit Nachhaltigkeit und Wandel beziehen, aneignen und erproben
z.B. Umgang mit Komplexität, Fähigkeit zu urteilen wie sie in Kompetenzmodellen in Bezug auf Nachhaltigkeit und Globales Lernen beschrieben werden (siehe: Lang-Wojtasik/Scheunpflug 2005 oder die sogenannten „Nachhaltigkeitskompetenzen“ von Bormann/De Haan 2008, wobei dieses Modell zum Teil das Aneignen äußerst anspruchsvoller Kompetenzen verlangt, während es bei dem hier beschriebenen Typ vor allem um Basis-Kompetenzen geht, die beim Entscheiden und Handeln unterstützen)
In der Kulturellen Bildung wird die Förderung von Kompetenzen grundsätzlich als Bildungsziel formuliert mit einer großen Bandbreite an Positionen zur Kompetenzdebatte und zu den Kompetenzen, die über Formate der Kulturellen Bildung angeeignet oder sichtbar gemacht werden können. Bei diesen Kompetenzen, wie sie im Kompetenznachweis Kultur (KNK) beschrieben sind (vgl. BKJ 2008), gibt es gleichwohl eine große Schnittmenge zu den oben genannten „Nachhaltigkeitskompetenzen“ von Bormann/De Haan 2008 oder anderen einschlägigen Kompetenztableaus aus dem Bereich des Globalen Lernens. Die Schwerpunktlegung auf bestimmte Themen und Wissensfeldern ist wiederum eine bewusste Entscheidung jedes*r Bildungsakteurs*in, die wiederum mit der strategischen Ausrichtung zusammenhängen kann (s.o.). In der Kulturellen Bildung wäre dabei insbesondere wichtig, dass es immer um Selbstbildung und Eigenerkenntnisse geht und nicht um das Vermitteln von Wissenskanons im Sinne eines Belehrens.
3. Eigenes Handeln nachhaltig gestalten, für das private Umfeld zum „Change Agent“ werden (Zielgruppe: Personen mit bewusstem und konkretem Interesse an Transformation; Zielhorizont: mittelfristig; Bildungsformat: gezielte Nachhaltigkeitsbildung / individuelle Aneignung über verschiedene Informationszugänge)
- Nachhaltiges Handeln im Alltag
vom Einkauf über Mobilität bis zum Bankkonto; Anwendung von einer oder mehrerer der Nachhaltigkeitsstrategien; Möglichkeiten und Grenzen der Selbstwirksamkeit einschätzen können - Mit eigenem Umfeld über Nachhaltigkeit sprechen
Bewusstsein schaffen in eigenen Kontexten - Transformatives Bewusstsein entwickeln
das Bewusstsein, Teil des sehr langfristigen gesellschaftlichen Wandels zu sein
Breitenwirksame und allgemeinere Formen der non-formalen Kulturellen Bildung können nur bei den oben beschriebenen Typen 1 und 2 wirksam werden. Selbst der Bildungsansatz des Globalen Lernens würde für sich nur sehr stark eingeschränkte Wirkung auf konkretes Handeln, das als Merkmal für diesen Typ formuliert wird, für sich in Anspruch nehmen (vgl. Bergmüller-Hauptmann et al. 2019). Für die Bildungsziele bzw. Charakteristika dieses Typs sind fachspezifischere Bildungs- und Informationszugänge nötig. Jedoch kann die Kulturelle Bildung zu diesen hinleiten.
4. Aktive*r „Change Agent“ bzw. Multiplikator*in in der lokalen Einflusssphäre werden
(Zielgruppe: Personen mit bewusstem und konkretem Interesse an Transformation und Willen zu Engagement; Zielhorizont: mittelfristig; Bildungsformat: gezielte Nachhaltigkeitsbildung/individuelle Aneignung über verschiedene Informationszugänge)
- Politische Teilhabe
z.B. nach Kriterien der Nachhaltigkeit ausgerichtete politische Kräfte informiert und nach eigenen Kriterien wählen sowie gesellschaftlich im Sinne der Nachhaltigkeit über bestehende (oder selbst geschaffene) Formate und Strukturen insbesondere auf kommunaler Ebene partizipieren - Nachhaltiges Engagement im eigenen Umfeld
das über bewusstes Alltagshandeln hinausgeht
Zwar ist eines der Prinzipien Kultureller Bildung die Ermöglichung gesellschaftlicher und politischer Teilhabe und die Stärkung der Entscheidungsfähigkeit (vgl. z.B. Braun/Witt 2017), allerdings ergebnisoffen. „Change Agent“ dieses Typs zu werden, ist wiederum bereits das Ergebnis einer bewussten, eigenen Entscheidung, zu dem Bildung grundsätzlich nicht explizit und gezielt führen kann und darf (vgl. u.a. Beutelsbacher Konsens, Wehling 1977).
5. „Change Agent“ bzw. Multiplikator*in auf übergeordneter Ebene werden
(Zielgruppe: ehren-, neben- und hauptamtlich Engagierte; Zielhorizont: kurzfristig; Bildungsformat: fachspezifische gesellschafts-, entwicklungs- und/oder nachhaltigkeitspolitische Bildung, auch selbst angeeignet, und Multiplikator*innen-Kenntnisse)
- Lobbyarbeit machen und Druck ausüben
z.B. über Beteiligung in Nichtregierungsorganisationen und in organisierter Zivilgesellschaft per politischer Arbeit und Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit
Kulturelle Bildung spielt bei der „Ausbildung“ dieses Typs keine Rolle, für diese ist fachspezifische Bildung nötig.
6. Als ehren-, neben- oder hauptamtliche*r Expert*in/Fachkraft im Bereich von Entwicklung und Nachhaltigkeit agieren
(Zielgruppe: [zukünftige] Expert*innen/Fachkräfte; Zielhorizont: kurzfristig; Bildungsformat: fachspezifische, technische Ausbildung, meist formell)
- Sich professionell engagieren
als Politiker*in, Wirtschafsakteur*in etc. pro Nachhaltigkeit - Auf Entscheidungspositionen dezidiert im Sinne von Nachhaltigkeit sprechen und handeln
- Bildungsakteur*in oderprofessionelle*r Multiplikator*in werden
dafür geeignete (kulturpädagogische und ästhetisch-künstlerische) Konzepte entwerfen z.B. um Erfahrungen zu ermöglichen, Inspiration und Vorbilder zu schaffen sowie Komplexität in der Vermittlung zu reduzieren - Expert*in werden
in Umwelt-, Entwicklungsarbeit und Wissenschaft und an nachhaltigen Lösungen arbeiten
Kulturelle Bildung spielt bei der „Ausbildung“ dieses Typs keine Rolle, für diese ist fachspezifische und technische (meist formelle) Bildung nötig. Gleichwohl betrifft der beschriebene Typ wiederum die Ausbildung von Bildungsakteur*innen, die auf der Schnittstelle Kultureller Bildung und Nachhaltigkeitsbildung aktiv werden wollen.
Der gesamtgesellschaftliche Wandel hin zu einer Nachhaltigkeitskultur setzt sich wiederum aus Bereitschaft, Fähigkeiten und Wirken von „Change Agents“ der verschiedenen oben genannten Typen zusammen und ist als sehr langfristiger Prozess sozio-kultureller Bildung zu verstehen, der mit der entsprechenden Anpassung von Strukturen und Rahmenbedingungen einhergeht. Diese „sozio-kulturelle Bildung“ ist nicht mit dem Bildungskonzept Kultureller Bildung zu verwechseln. Dieser notwendigerweise langfristige Prozess steht in einem Spannungsfeld zur Dringlichkeit, bestimmte Nachhaltigkeitsmaßnahmen bereits zeitnah umsetzen zu müssen. Insbesondere für das schnellere Handeln und Entscheiden sei daher auf die „Change Agent“ Typen 5 und 6 verwiesen, die sich (potenziell) bereits jetzt auf gesellschaftlichen Einfluss- und Entscheidungsebenen bewegen und bei denen mit Blick auf den Umgang mit Wandel und Nachhaltigkeit ein kurzfristigerer Zeithorizont relevant ist.
Anmerkung
Die Auflistung bezieht sich auf „Change Agents“ in Deutschland bzw. im Globalen Norden. Für global wirksame Bildungskonzepte und -formate mit globalen Zielgruppen wäre es daher wichtig, auch Perspektiven hinsichtlich der Bildungsziele und Zielgruppen in Ländern des Globalen Südens einzubeziehen.
Grenzen der Breitenwirksamkeit
Mit Blick auf die oben angesprochene Breitenwirksamkeit von non-formaler Bildung allgemein und Kultureller Bildung speziell stellt sich insbesondere die Frage, wie auch Menschen erreicht werden können, die sich nicht für Nachhaltigkeitsthemen interessieren, die sich nicht mit Fragen des Wandels befassen möchten oder die sich schlicht durch die scheinbare Komplexität der Auseinandersetzung überfordert fühlen. Hinzu kommen Personen, die vielleicht denken, dass nachhaltige Denk- und Handlungsweisen möglicherweise gegen ihre eigenen Interessen verstoßen, da sie z.B. grundsätzlich gegenüber Veränderungen im persönlichen und gesellschaftlichen Bereich abgeneigt sind, also einen hohen Aufwand, hohe Ausgaben und Einschränkungen befürchten, Angst vor Wohlstands- und Besitzverlust haben oder schlicht der wenig eingeschränkten Modernisierungs- und Wachstumslogik vertrauen, die derzeit gesellschaftlicher Mainstream ist (bzw. dieser unterworfen sind).
Gerade hier wird noch einmal deutlich, dass nicht mit einem schnellen Wandel hin zu einer gesellschaftlichen Nachhaltigkeitskultur zu rechnen ist, sondern die für Nachhaltigkeit und globale soziale Gerechtigkeit unabdingbare Veränderung des gesellschaftlichen Mainstreams eine Generationenaufgabe ist. Die drei oben im Text anklingenden wesentlichen Ansätze helfen aber dabei, diesem Ziel näher zu kommen:
1. Nur über eine unablässig und langfristig weitergeführte Nachhaltigkeitsbildung auf allen Kanälen können immer breitere gesellschaftliche Gruppen erreicht werden. Dabei kommt insbesondere der kulturellen Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung als großen non-formalen Bildungsbereich eine wichtige Rolle zu (der einem oft schwerfälligeren formellen Bildungssystem, der Schule, gegenübersteht). Dafür müssen unter anderem die wesentlichen Akteur*innen Kultureller Bildung die nötige Lobbyarbeit im eigenen Feld und gegenüber ihren Geldgeber*innen machen.
2. Änderung wird in erster Linie über „Change Agents“ erreicht, da vor allem diese einen unmittelbaren Zugang zu ihren Peer-Gruppen haben, insbesondere im persönlichen Umfeld. Deswegen ist es wichtig, sich als Bildungsakteur*in der oben skizzierten Formen von „Change Agents“ und des Einflusses verschiedener Arten von Bildung auf diese bewusst zu sein.
3. Die wahrgenommene und tatsächliche Komplexität der individuellen Auseinandersetzung mit Fragen der Nachhaltigkeit und der globalen sozialen Gerechtigkeit (die theoretisch auch die Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitspolitik, Entwicklungspolitik, SDGs und SDG-Kritik, Postkolonialismus, Post-Wachstum, alternativen Wirtschaftskonzepten etc. umfassen kann, wobei schnell ein akademisches Niveau erreicht wird) muss mit niedrigschwelligen (Bildungs-)Zugängen möglichst greifbar und bezogen auf persönliche Lebensrealitäten sowie in kleinen Schritten angegangen werden. Gerade die Kulturelle Bildung bietet diesbezüglich viele Gestaltungsoptionen. Eine große Herausforderung ist es gleichzeitig, auch auf Ebene der Bildungsakteur*innen eine gute Balance zu finden, um diese mit dem nötigen – zum Teil abstrakten Background-Wissen – auszustatten und für den Transport und die Kommunikation komplexer Sachverhalte bereit zu machen, diese aber auch nicht mit eben dieser Komplexität zu überfordern.
Zu bedenken ist bei allen Prinzipien, dass non-formale Bildung dem Grundsatz der Interessenorientierung folgen sollte, weswegen es aufgrund der Relevanz der Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsfragen möglicherweise nötig ist, erst Interesse und Wissbegierde dafür zu schaffen. Hier wäre also die Aufgabe von Akteur*innen der Kulturellen Bildung, (emotionale) Bezüge herzustellen und diese Auseinandersetzung „schmackhaft“ zu machen. Dafür ist entscheidend, eine gute Schnittstelle zwischen Kultureller Bildung und Nachhaltigkeitsbildung zu finden und so eine vielfältige und handhabbare Praxis zu ermöglichen. Ein Ausgangspunkt kann dabei sein, dass insbesondere bei jungen Menschen das Interesse an solchen Fragestellungen derzeit groß ist und für die eigene Lebensplanung als relevant wahrgenommen wird (vgl. z.B. Calmbach et al. 2020:405).
Die Kulturelle Bildung muss dabei versuchen, sich realistisch in das Spektrum anderer politischer und gesellschaftlicher Akteur*innen einzuordnen, die über eine gesamtgesellschaftliche „sozio-kulturelle“ Bildung hinaus für spezifischere und zum Teil technischere Aspekte transformativer Bildung zuständig sind, und dieses Spektrum zu komplettieren. Für eine spezifische Bildung in den Bereichen Nachhaltigkeit und Entwicklungspolitik wären stellvertretend für viele Einzelakteur*innen beispielsweise zivilgesellschaftliche Dachverbände wie der Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. (VENRO), die Arbeitsgemeinschaft Natur- und Umweltbildung Bundesverband e.V. (ANU), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) oder die Arbeitsgemeinschaft der Eine Welt-Landesnetzwerke e.V. (agl) zu nennen. Auf bundespolitischer Ebene sind wiederum das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gemeinsam mit der Deutschen UNESCO-Kommission e.V. (DUK) für Bildung für Nachhaltige Entwicklung, das Umweltbundesamt (UBA) für Umweltbildung sowie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit seiner Agentur Engagement Global (EG) für Globales Lernen/entwicklungspolitische Bildung verantwortlich. Mit Fokus auf (künftige) Expert*innen kommen dazu zahlreiche Ausbildungen, Studiengänge und berufsbegleitende Weiterbildungen, die sich mit fachspezifischen Themen und der konkreten Umsetzung von Nachhaltigkeits- und Entwicklungsmaßnahmen beschäftigen. In einem guten Zusammenspiel insbesondere mit den erstgenannten zivilgesellschaftlichen Counterparts kann die Kulturelle Bildung eine sinnhafte Akteurin des Wandels werden.