Kulturarbeit mit Geflüchteten – kein flüchtiger Gegenstand

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von Robert Hillmanns

Erscheinungsjahr: 2016

Ein früher Wortwechsel

Vor 8 Jahren stellte ich den ersten Projektantrag für ein Kulturprojekt mit Geflüchteten. Kurz darauf rief mich der zuständige Sachbearbeiter an. Er teilte mir mit, das Projekt könne so nicht gefördert werden. Man vergebe ja schließlich Steuergelder, damit sie der Gesellschaft hier zu gute kommen, bei Geflüchteten aber könne nicht gewährleistet werden, dass sie dauerhaft blieben. Er riet mir, eine andere Formulierung in den Vordruck einzutragen. Das Wort „Flüchtlinge“ solle ich ersetzen durch „Menschen mit Migrationshintergrund, die noch nicht lange in Düsseldorf leben.“ Das tat ich und bekam den Antrag gefördert.

Was damals noch eher eine Nische war, ist heute in der Mitte der kulturellen Praxis angekommen: Kulturarbeit mit und von Geflüchteten oder zumindest für sie findet heute in vielen kulturellen Räumen statt, zum Beispiel in öffentlichen und freien Theatern, in Opern, in Musikschulen oder auch weiterhin in soziokulturellen Zentren. Aktuell entstehen die Ansätze einer eigenen Förderstruktur.

Eine ernste Aufgabe

Für den Teil des Kulturbereichs, der sich dem Anspruch „Kultur für alle“ verschrieben hat, ist es nur folgerichtig, sich geflüchteter Menschen und ihrer Themen anzunehmen. Wie sonst sollte er Realitäten abbilden und gesellschaftlich relevant sein? Es werden viele weitere Flüchtlinge nach Deutschland kommen, um ihr Menschenrecht auf Asyl einzulösen. Sie gehören zu unserem Alltag. Nicht zuletzt deshalb sollten sie selbstverständlicher Teil unserer Arbeit sein.

Leider ist das nicht der einzige Grund, aus dem verstärktes Engagement immer dringender gebraucht wird. Laut Bundeskriminalamt stiegen die Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte von 199 im Jahr 2014 auf 924 im Jahr 2015. Die Gesellschaft polarisiert zwischen Hilfsbereitschaft und Fremdenfeindlichkeit. Dies verlangt unserer Arbeit eine klare Position ab: für das Grundrecht auf Asyl und gegen eine „Festung Europa“.

Doch welchen Beitrag kann Kultur hier wirklich leisten? Was sind die besonderen Rahmenbedingungen und Schwierigkeiten in der Kulturarbeit mit Geflüchteten? Ist es überhaupt richtig, Menschen für Kultur gewinnen zu wollen, die eigentlich viel existenziellere Sorgen haben: Wie geht es meiner Familie und wo ist sie? Wie lange kann ich in diesem Land bleiben? Wie geht es mit meinem Leben weiter? Diese Fragen kann Kulturarbeit nicht beantworten.

Realismus statt Idealismus

Kulturarbeit und insbesondere soziokulturelle Arbeit kann dennoch einen wichtigen Beitrag leisten. Sie muss allerdings auf einer Basiserkenntnis fußen: Geflüchtete sind keine homogene Gruppe. Es gibt große Unterschiede in Bezug auf Herkunft und Bildung. Wohnorte wie Auffanglager, Wohngruppen oder Flüchtlingsheim bewirken jeweils andere Lebensgefühle. Die Dauer des Aufenthalts in Deutschland, das Alter, der Aufenthaltsstatus, Bürokratie, die Einkommenssituation, kultureller Hintergrund, Religion und nicht zuletzt die Fluchtgründe und -verläufe spielen eine Rolle. Die daraus resultierende – auch psychische – Verfassung entscheidet darüber, ob Geflüchtete überhaupt an kulturellen Aktivitäten teilnehmen dürfen oder können.

Viele Geflüchtete wollen nicht einfach so in die Öffentlichkeit treten. Einerseits brauchen sie Aufmerksamkeit für die Lebensbedingungen in den Unterkünften, für ihre Nöte und für die vielfältigen Ungerechtigkeiten. Andererseits fürchten viele die Öffentlichkeit aus Angst vor Problemen beim Aufenthaltsverfahren oder vor Repressalien gegenüber der Familie, die (noch) nicht geflohen ist.

Häufig stellt die Sprache ein Problem dar. Deutschkenntnisse hängen stark von der Dauer des Aufenthalts ab. Viele verfügen über keine oder nur geringe Englischkenntnisse. Dies erschwert zunächst das Kennenlernen und Wahrnehmen des Kulturangebots in der neuen Umgebung. Für die konkrete Arbeit sind zudem genügend Zeit für den Prozess und mehrsprachiges Personal unumgängliche Erfolgsbedingungen, u.a. um Vertrauen auf- und Angst abzubauen.

Eine weitere Herausforderung in der Arbeit mit Geflüchteten ist Kontinuität. Gerade langfristige Projektarbeit gestaltet sich mitunter schwierig, weil Teilnehmende zum Beispiel plötzlich abgeschoben wurden oder aufgrund von Perspektivlosigkeit in ein anderes Land gegangen sind. Bei Jugendlichen, die häufig unbegleitet kommen, spielen auch familiäre Gründe eine Rolle, da sie manche zu Familienangehörigen oder Verwandten, die in einem Nachbarland untergekommen sind, weiterziehen. So kann es in langfristig angelegten Kulturprojekten zu einer hohen Fluktuation von Teilnehmenden kommen.

Doch auch auf Seiten der Kulturinstitutionen gibt es Barrieren, die es zu überwinden gilt. Neben limitierten Ressourcen, wie beispielsweise Personal, Räumen und (konstanter) Finanzierung, fehlt es häufig an Wissen über die kulturellen Bedürfnisse der Geflüchteten, um ein passendes Angebot zu organisieren. Nicht selten mangelt es an interkultureller Kompetenz in den Häusern, man kämpft mit Vorurteilen der Belegschaft oder starren Strukturen. Ebenso wie bei Interkultureller Öffnung im Allgemeinen benötigt man daher personelle und infrastrukturelle Freiräume, die langfristig angelegt sind sowie eine feste Verantwortlichkeit zur Koordination.

Kulturprojekte mit Geflüchteten erfordern hohe soziale Kompetenz. Teilweise wird sozialpädagogische Betreuung gebraucht. Auch bei vielen beteiligten KünstlerInnen treten Überforderungssituationen auf. Denn die zugespitzte gesellschaftliche Debatte kann zu Aktionismus bei Organisationen oder KünstlerInnen führen, Geflüchtete werden als „spannendes Material“ gesehen oder Finanzierungsmöglichkeiten ausgenutzt, ohne genau zu wissen, welche Besonderheiten Kulturprojekte mit Geflüchteten mit sich bringen. Deshalb sollte der Fokus auf dem Prozess und weniger auf dem Produkt liegen. Die australische Flüchtlingsorganisation rise hat hierzu ein 10 Punkte Manifest veröffentlicht, in dem festgehalten wird, was Kulturschaffende bedenken sollten, bevor sie mit Geflüchteten arbeiten (Canas 2015).

Austausch auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene kann dabei helfen die eigene Arbeit kritisch zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Doch am wichtigsten sind Kooperationen mit erfahrenen Organisationen, gerade auch abseits des Kultursektors. Sie bieten eine wertvolle Verstärkung bei der Einschätzung von Situationen sowie bei der Betreuung von Teilnehmenden während des künstlerischen Prozesses und ermöglichen die Entwicklung langfristiger Kompetenzen für eine sinnvolle Kulturarbeit mit Geflüchteten.

Zur Verdeutlichung: Wie arbeiten wir im Kulturzentrum zakk in Düsseldorf?

Einer unserer Kooperationspartner ist das Deutsche Rote Kreuz. Es betreibt seit November 2015 nur wenige hundert Meter entfernt eine Unterkunft für 160 Geflüchtete. Wie die Partner berichteten, sind die Geflüchteten zum Warten verdammt, weil ihre Asylverfahren teils viele Monate dauern. Sie leiden unter quälender Langeweile. Als Erstes geht es also darum, diese Phase erträglicher zu gestalten. Wir haben deshalb eine Ehrenamtsgruppe ins Leben gerufen. Zunächst sind gemeinsame Aktivitäten geplant, die eher wenig mit Kultur im engen Sinn zu tun haben: Sprachkurse, Fahrradwerkstätten oder ein regelmäßiges Frühstück im zakk.

Wir wollen Kommunikationsort sein und Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Fluchtgeschichte schaffen, Austausch ermöglichen und langfristig Teilhabe realisieren. Eine Grundeinstellung des sich Kümmerns, Programme „für“ oder „über“ Geflüchtete akzeptieren wir als Startpunkt. Perspektivisch zielen wir aber darauf, Geflüchtete letztendlich selbst planen zu lassen, so dass wir nur noch unser Know-How, unsere Infrastruktur und unsere Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Soziokulturelle Arbeit bedeutet für uns: Empowerment.

Auch Geflüchtete sollen ihr Lebensumfeld selbst gestalten und mitbestimmen können. Sie sollen selbst entscheiden, wer welche Geschichten, wann, wo und mit welchen Mitteln erzählt. Soziokultur kann hier ein starker Verbündeter sein, da die Akteure und Zentren in den Städten verankert sind, sie offen für Neues sind und immer schon auf Kooperation sowie Vielfalt als Prinzip gesetzt hat.

Das Gemeinschaftsprojekt „No Border“

Ein Beispiel für die Umsetzung unserer Ideen zur Kulturarbeit mit, für und von Geflüchteten ist das Projekt „No Border“, welches die SJD – Die Falken und die Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative STAY! gemeinsam mit dem soziokulturellen Zentrum zakk verwirklichen (Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren 2016:26ff.) Darin haben junge Geflüchtete unter professioneller Anleitung zunächst biografische Texte geschrieben und dann zusammen mit deutschen Jugendlichen in Songs übersetzt. Die No-Border-Band spielt mittlerweile deutschlandweit Konzerte und gibt Lesungen, klärt so über Fluchtgründe und das Leben als Geflüchteter in Deutschland auf. Hier gelingt Teilhabe. Die Band arbeitet mittlerweile eigenständig weiter. Sie schreibt in ihrem Proberaum eigene Songs. Das Projekt wirkt als ein kleiner Pfad heraus aus Ohnmachtsgefühlen. Die Teilnehmenden werden sich ihrer individuellen Stärken und Entwicklungsmöglichkeiten wieder bewusst. Sie erwerben nur bedingt weitere Deutschkenntnisse, aber: Ihnen steht Kunst als eine alternative Form des Ausdrucks zur Verfügung und sie erinnern sich daran, dass sie bis zu vier andere Sprachen oder hier unbekannte Musikinstrumente beherrschen. Ihr Selbstbewusstsein wächst. Genau das ist Empowerment.

Trotzdem ist längst nicht alles in Ordnung. Zum Beispiel dürfen nicht alle Bandmitglieder eine Gage erhalten. Wer ohne anerkannten Aufenthaltsstatus ist, darf offiziell kein Geld ver- dienen und somit auch keine Quittung unterschreiben.

Rückwirkungen

Trotz solcher und anderer bürokratischer Hürden hat es zum Beispiel der Musiker Heinz Ratz mit seiner Band Strom & Wasser geschafft, mit Geflüchteten aus unterschiedlichen Unterkünften zusammen Konzerte zu spielen und so auf ihre Situation und ihr Leben in Deutschland aufmerksam zu machen. Das ist wichtig für uns alle. Nicht nur, weil alternative Meinungskonzepte geboten werden, die man nicht oder nicht mehr in den großen Printmedien lesen oder in der Tagesschau sehen kann.

Partizipative Kulturprojekte, an denen Menschen mit und ohne Fluchtgeschichte teilnehmen, bieten die Möglichkeit, sich aneinander zu reiben, indem gegensätzliche Sichtweisen vermittelt werden. Ein gemeinsames künstlerisches Produkt darf auch irritieren oder Fragen für eine gemeinsame Zukunft aufwerfen, ohne noch mehr Selbstbestätigungskultur zu produzieren.

Soziokulturelle Projekte sind generell ein Angebot zum Dialog und Austausch. Über den künstlerischen Prozess kann man sich kennenlernen, Kontakte mit Menschen außerhalb des eigenen Milieus knüpfen und Vorurteile abbauen. In guten Projekten begegnen sich alle Teilnehmenden auf Augenhöhe, über Kultur kommt es zum Austausch und die abstrakte Realität des anderen wird greifbarer - Verständnis und Empathie entstehen. Das sind die wichtigsten Gewinne soziokultureller Projekte mit Geflüchteten.