Kompetenznachweis Kultur

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von Brigitte Schorn, Vera Timmerberg

Erscheinungsjahr: 2013/2012

Der Kompetenznachweis Kultur ist ein Bildungspass, der an Jugendliche zwischen zwölf und 27 Jahren vergeben wird, die aktiv an Angeboten Kultureller Bildung teilgenommen haben. Er hat die Funktion, ihre personalen, sozialen, methodischen und künstlerischen Kompetenzen zu dokumentieren, transparent zu machen und anzuerkennen. Damit gehört der Kompetenz­nachweis Kultur zu den standardisierten partizipativen Verfahren, informell und nicht formal erworbene Kompetenzen zu erfassen.

Genese

Die Bedeutung von Kompetenzen, die an verschiedenen Bildungsorten, also formellen, infor­mellen und nicht formalen, erworben werden, ist im bildungs-­ und beschäftigungspolitischen Diskurs seit Mitte der 1990er Jahre deutlich gestiegen. Dies zeigt sich vor allem im Konzept des Lebenslangen Lernens sowie in den Schlussfolgerungen, die aus den Ergebnissen der großen internationalen Schülerleistungsvergleichstests gezogen wurden (vgl. Europäische Kommission 2000 und OECD 2001). Europäische Union, Bund-Länder-Kommission, Kultusministerkonferenz, Forum Bildung und Bündnis r Arbeit greifen diese Perspektiven auf und betonen die Bedeutung einer umfassenden Bildung sowie der Anerkennung informeller und nicht formal erworbener Kompetenzen für allgemeine Bildungsprozesse und Beschäfti­gungsfähigkeit. So formuliert etwa das Forum Bildung: „Kompetenzen werden nicht nur in den klassischen Bildungseinrichtungen, sondern in starkem Maße in der Lebens-­ und Arbeitswelt erworben. Die Orte der informellen Bildung müssen neu entdeckt, als solche ernst genommen, gestaltet und stärker gefördert werden“ (Arbeitsstab Forum Bildung 2000:3).

Zugleich bedurfte es zur Erfassung dieser Kompetenzen adäquater Verfahren zu deren Anerkennung. Auf diesem Wege entstanden unterschiedliche Konzepte für die verschiedenen Bildungsbereiche (vgl. Seidel/Bretschneider 2008). Im Zuge dessen etablierten die Vertre­terInnen Kultureller Bildung ein eigenes Verfahren. Dies trägt sowohl der Bedeutung des Handlungsfeldes Kulturelle Bildung als eines selbstverständlichen Teils allgemeiner Bildung Rechnung, wie es auch dessen Spezifika berücksichtigt. Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) entwickelte ab 2001 den Kompetenznachweis Kultur und richtete sein Konzept konsequent an den Prinzipien Kultureller Bildung aus. Dieser Bildungs­pass ist sukzessive weiterentwickelt worden und wird heute in allen Praxisfeldern Kultureller Bildung angewendet. Die Implementation und Organisation liegt federführend bei der BKJ im Verbund mit einem bundesweiten Netzwerk entsprechender Servicestellen.

Konzept

Der Kompetenznachweis Kultur ist in ein umfassendes Theorie-­ und Qualitätssicherungs­system integriert. Er unterliegt einem standardisierten partizipativen Verfahren und bietet den unterschiedlichen Arbeitsfeldern Kultureller Bildung Platz, Kompetenzen jeweilig kunst­spartenspezifisch zu erfassen. Der Kompetenznachweis Kultur erfüllt überdies nachweislich die notwendigen Qualitätsstandards für Kompetenznachweisverfahren (vgl. Erpenbeck 2009:261ff.). Er stellt das sich bildende Subjekt in den Mittelpunkt und versteht Kompetenzen als individuelle Dispositionen, konkrete Probleme lösen und sie auf persönlicher, sozialer und beruflicher Ebene nutzen zu können. Der besondere Schwerpunkt liegt darin, künstlerische und kulturelle Kompetenzen zu dokumentieren (siehe Siegfried J. Schmidt „Kulturelle Kom­petenz als Schlüsselkompetenz“). Insgesamt ist die Kompetenzerfassung ergebnisoffen, dialogisch angelegt und fokussiert auf individuelle Stärken.

(Kultur­-)Pädagogische Einrichtungen können den Kompetenznachweis Kultur nur verge­ben, wenn sie folgende Qualitätskriterien einhalten: (1) Die Angebote müssen freiwillig und teilnehmerorientiert sein sowie Möglichkeiten der Partizipation eröffnen. (2) Die Vergabe ist auch in künstlerischen und kulturpädagogischen Projekten in der Schule möglich, wenn diese Bedingungen erfüllt sind. (3) Die Vergabe kann nur über Fachkräfte erfolgen, die in der Kultu­rellen Bildung arbeiten und ein entsprechendes Fortbildungszertifikat erworben haben. (4) Für die Vergabe muss das Nachweisverfahren vollständig durchgeführt worden sein. (5) Jeder Jugendliche entscheidet selbst, ob er einen Kompetenznachweis Kultur erhalten möchte. (6) Für den Erhalt müssen die Jugendlichen aktiv an einem Angebot Kultureller Bildung und am Prozess des Nachweisverfahrens teilgenommen haben (mind. 50 Std.).

Potential

Das Deutsche Jugendinstitut und die Universität Eichstätt-Ingolstadt haben den Kompetenz­nachweis Kultur evaluiert und attestierten ihm folgende Wirkungen (vgl. Timmerberg/Schorn 2009). Durch ihn wird die Bedeutung Kultureller Bildung für allgemeine Bildungsprozesse, Persönlichkeitsentwicklung und Kompetenzerwerb auch für Dritte nachvollziehbar. Sein Kern liegt darin, Jugendliche zu stärken, ihre eigenen Fähigkeiten zu erfassen, verbalisieren, reflektieren und weiter entwickeln zu können. Er trägt zudem zur Professionalisierung der Fachkräfte bei, indem er ihnen ein Instrument an die Hand gibt, die eigene Arbeit sinnvoll zu reflektieren, qualitätvoll zu gestalten und unreduziert Bildungsprozesse von Jugendlichen zu dokumentieren.

Perspektiven

Offenheit, Dialogizität und Kompetenzorientierung des Verfahrens bilden zusammen das besondere Potential des Kompetenznachweises Kultur. Es zeigt exemplarisch, wie Stärken­orientierung und Ergebnisoffenheit bei der Erfassung von Bildungsprozessen mit Qualität und Leistungsanspruch zusammengehen können. Seine Stärke als Bildungspass wurde in der 2006 durchgeführten Begleitforschung hervorgehoben: „Hierin steckt eine große Chance der außerschulischen kulturellen Jugendbildung. Nirgendwo sonst können Zertifikate erstellt werden, an deren Formulierung die Zertifizierten mitarbeiten können“ (Geier 2006:52).

Prinzipiell wäre es denkbar, ihn auch auf andere Bildungsbereiche zu übertragen. Somit könnte er zum Vorbild für eine andere Form der Leistungsbeurteilung in sämtlichen Bildungs­bereichen werden, indem er auf Partizipation und Stärkenorientierung fokussiert. Dass es hierfür einen generellen Bedarf gibt, zeigt nicht zuletzt das Interesse von allgemeinbildenden Schulen sowie Aus-­ und Weiterbildungsinstitutionen an solchen Nachweisverfahren, wie sie der Vergabe für den Kompetenznachweis Kultur zugrunde liegen. Um tatsächlich mit anderen Nachweisverfahren (Zertifizierungen) gleichgestellt werden zu können, bedürfte es der bildungspolitischen und bildungsrechtlichen Anerkennung. Dies ist allerdings längst noch nicht der Fall, wie Sabine Seidel und Markus Bretschneider analysieren. Konzepte zur Anerkennung von Kompetenzen rangieren nämlich in Deutschland weitgehend unterhalb der ordnungspolitischen Ebene (vgl. Seidel/Bretschneider 2008:9). Käme es zu einer for­malrechtlichen Anerkennung, müsste jedoch besondere Sorgfalt bei der Weiterentwicklung solcher Instrumente darauf gelegt werden, ihre spezifischen Stärken und Qualität in der Kompetenzerfassung beizubehalten.

 

Verwendete Literatur

  • Arbeitsstab Forum Bildung (2000): Expertenberichte des Forum Bildung. Ergebnisse des Forum Bildung III. Berlin.
  • Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (2004): Strategie für Lebens­langes Lernen in der Bundesrepublik Deutschland (Heft 15). Bonn: Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung.
  • Erpenbeck, John (2009): Europäische Qualitätsstandards und der Kompetenznachweis Kultur – eine Expertise. In: Timmerberg, Vera/Schorn, Brigitte (Hrsg.): Neue Wege der Anerkennung von Kompe­tenzen in der Kulturellen Bildung. Der Kompetenznachweis Kultur in Theorie und Praxis (261-277). München: kopaed.
  • Europäische Kommission (2000): Memorandum on lifelong learning. Brüssel: SEK (2000) 1832.
  • Geier, Thomas (2006): Schlüsselkompetenzen durch kulturelle Bildung. Eine Expertise – Zusammenfas­sung der Ergebnisse einer qualitativen Befragung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In: Der Kompetenznachweis Kultur. Ein Nachweis von Schlüsselkompetenzen durch kulturelle Bildung (43-53). Band 63. Schriftenreihe der BKJ e.V. Remscheid: BKJ.
  • OECD (2001): Knowledge and Skills for Life. First results from PISA 2000. Paris: OECD.
  • Seidel, Sabine/Bretschneider, Markus (2008): Stand der Anerkennung non-formalen und informellen Lernens in Deutschland im Rahmen der OECD Aktivität „Recognition of non-formal and informal Learning “. Bonn/Berlin: BMBF.
  • Kompetenznachweis Kultur (ohne Jahr): www.kompetenznachweiskultur.de

Anmerkungen

Dieser Text wurde erstmals im Handbuch Kulturelle Bildung (Hrsg. Bockhorst/ Reinwand/ Zacharias, 2012, München: kopaed) veröffentlicht.

Zitieren

Gerne dürfen Sie aus diesem Artikel zitieren. Folgende Angaben sind zusammenhängend mit dem Zitat zu nennen:

Brigitte Schorn, Vera Timmerberg (2013/2012): Kompetenznachweis Kultur. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://kubi-online.de/index.php/artikel/kompetenznachweis-kultur (letzter Zugriff am 14.09.2021).

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Dieser Artikel wurde dauerhaft referenzier- und zitierbar gesichert unter https://doi.org/10.25529/92552.162.

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