GLuKuBi-Kompass – Ein praxisorientiertes Werkzeug für das Zusammendenken von Globalem Lernen und Kultureller Bildung
Abstract
Sowohl Praktiker*innen als auch Multiplikator*innen der Kulturellen Bildung stehen immer häufiger vor der Herausforderung, wie sie theoretische Überlegungen, Ansätze und Werte des Globale Lernens und der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in ihre praktische Bildungsarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen übertragen können. Sie stehen vor der Frage, wie sie „hands on“ und systematisch vorgehen können, um einen Zugang zu diesen Bildungsansätzen zu finden und so mehr Sicherheit für die Umsetzung qualitativ guter Bildungsmaßnahmen auf den Schnittstellen von Kulturelle Bildung und Globalem Lernen bzw. BNE zu bekommen. Als Unterstützung hierfür wurde der GLuKuBi-Kompass geschaffen, der Überlegungen des Globalen Lernens und der Kulturellen Bildung zusammenführt. Er ist ein Ergebnis von Reflexionen, wie Theorie in gute Praxis überführt werden kann, im Rahmen der Pilotfortbildung „kreativ_transformativ – Qualifizierung für eine Kulturelle Bildung mit globaler und nachhaltiger Perspektive“ entwickelt.
Seit mehr als einer Dekade erreicht die gesellschaftliche und politische Debatte mit Blick auf die Notwendigkeit eines gesamtgesellschaftlichen ökologischen Wandels sowie zur Schaffung von mehr globaler Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit immer weitere Kreise. Insbesondere wird in dieser Debatte gefordert, sich damit auseinanderzusetzen, wie mit akuten globalen Krisen und Herausforderungen – z.B. dem Klimawandel – umzugehen ist oder auch – positiv formuliert – wie eine nachhaltige und „gute“ Lebensweise geschaffen werden kann. Als wegweisende Veröffentlichungen hierzu sind „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WGBU 2011) sowie die Formulierung der UN-Nachhaltigkeitsziele (UN 2015) zu nennen.
Akteur*innen der Kulturellen Bildung sind damit aufgefordert, sich mit Blick auf diese wichtigen gesellschaftspolitischen Fragestellungen zu verorten, Positionen einzunehmen und abzustecken, inwieweit die eigene Arbeit mit der Intention einher geht, Impulse für einen sozial-ökologischen Wandel zu setzen und so Reflexionsansätze zu diesem gesellschaftlich in die Breite zu tragen. Gleichzeitig ist zu fragen, wo dabei die Grenzen der Kulturellen Bildung sind. Akteur*innen der Kulturellen Bildung sollten sich also über ihre mögliche Rolle in diesem Kontext bewusstwerden und für sich selbst festlegen, bis zu welchem Grad gesellschaftspolitisches Engagement und Ideen der Nachhaltigkeitsbildung mit der eigenen kulturellen Bildungspraxis zusammengehen können (vgl. Liebig 2022).
Da es sich bei der als eigenständiges Bildungskonzept verstandenen Kulturellen Bildung und speziell der kulturellen Kinder- und Jugendbildung um einen Ansatz der non-formalen Bildung handelt, ist dabei eine der wichtigen Fragen, welche Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Schnittstellen es zwischen der Kulturellen Bildung und den einschlägigen non-formalen Bildungsansätzen, wie dem Globalen Lernen, der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) oder auch der Transformativen Bildung – im weiteren Verlauf des Textes zur Vereinfachung unter dem Begriff „Globales Lernen“ zusammengefasst – gibt. Diesen Bildungsansätzen geht es dezidiert um eine allgemein zugängliche und angemessene Reflexion von Fragen der Nachhaltigkeit und der globalen Gerechtigkeit. Insbesondere in der Theorie gibt es dazu bereits Überlegungen und Gegenüberstellungen (siehe: z.B. BKJ 2013, Reinwand-Weiss 2020 oder BKJ 2020/a:24 f.)
Gleichwohl stellt sich in der Praxis für Kulturelle Bildner*innen und Multiplikator*innen oft die Herausforderung, wie sie diese theoretischen und häufig abstrakten Überlegungen konkret aufgreifen und in die Bildungsarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen übersetzen können. Manchmal trauen sich Praktiker*innen der Kulturellen Bildung aus Unsicherheit gar nicht an Themen und Fragen des Globalen Lernens heran, obwohl sie interessiert wären, dazu zu arbeiten. Anders gesagt, stellt sich ihnen die Frage, wie sie „hands on“ und systematisch vorgehen können, um mehr Zugang zu Konzepten und Praxis des Globalen Lernens zu erhalten und so mehr Sicherheit zu bekommen, qualitativ gute Bildungsmaßnahmen an der Schnittstelle von Kultureller Bildung und Globalem Lernen umsetzen zu können.
Basierend auf den Beratungserfahrungen im Rahmen des Projekts „jugend.kultur.austausch global“ (vgl. BKJ 2017) sowie dem Feedback von Teilnehmer*innen der Qualifizierungsreihe „kreativ_transformativ – Qualifizierung für eine Kulturelle Bildung mit globaler und nachhaltiger Perspektive“, die erstmalig von September 2022 bis Juni 2023 in Zusammenarbeit zwischen der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ), der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel und der Akademie der Kulturellen Bildung Remscheid stattfand, hat die BKJ ein Werkzeug entwickelt: einen Kompass für das Zusammenbringen von Globalem Lernen und Kultureller Bildung, kurz den „GLuKuBi-Kompass“ (siehe: Abb. 1). Die einzelnen Komponenten dieses Werkzeugs werden im Weiteren näher erläutert.
Wichtig ist hierbei: Der GLuKuBi-Kompass soll weder allgemeingültig sein, noch muss er für eine gelungene Praxis Schritt für Schritt abgearbeitet werden und auch die Reihenfolge einzelner Schritte ist nicht vorgegeben. Der Kompass soll viel mehr mögliche Zugänge zu einer mit Globalem Lernen kombinierten, gelingenden Kulturellen Bildung aufzeigen, die ihren Fokus auf nachhaltige Entwicklung richten möchte. Der GLuKuBi-Kompass ist grundsätzlich frei erweiterbar. Im Folgenden werden die acht Nadeln des GLuKuBi-Kompass vorgestellt:
Bildungsziele reflektieren und gegebenenfalls übernehmen
Sich bewusst zu sein, welche konkreten Bildungsziele mit einer bestimmten Maßnahme oder einem Projekt erreicht werden sollen, ist der Kern von gelingender Bildungsarbeit. In der kulturellen Kinder- und Jugendbildung reichen Bildungsziele sehr häufig allgemein von „Persönlichkeitsentwicklung“ bis hin zum Ausbauen von Fähigkeiten bei der Ausübung bestimmter Kulturtechniken (Theater spielen, ein Instrument beherrschen etc.). Auch das Stärken von Selbst- und Sozialkompetenzen sowie die Auseinandersetzung mit aktuell relevanten Themen, insbesondere wenn diese einen direkten Bezug zu den Lebensrealitäten von Kindern und Jugendlichen haben, können als Bildungsziele eine Rolle spielen. Dabei gilt grundsätzlich, dass diese Bildungsziele über das künstlerische Arbeiten bzw. einen künstlerischen Prozess erreicht werden sollen, diese also durch die Künste, mit den Künsten und in den Künsten zu erlangen sind (siehe: BKJ 2020/b, BKJ 2020/c und BKJ 2020/d).
Basierend auf diesen möglichen Zielen Kultureller Bildung können Praktiker*innen wiederum reflektieren, welche Ziele des Globalen Lernens mit dem eigenen Bildungsansatz ohnehin einhergehen und welche sie möglicherweise ihren Bildungsmaßnahmen hinzufügen wollen, ohne dass diese mit den eigentlichen Bildungszielen der kulturellen Kinder- und Jugendbildung in Widerspruch treten. Beim Globalen Lernen geht es um drei Arten von Bildungszielen (vgl. Bergmüller-Hauptmann et al 2019:14 bzw. 56; Klemm/Lang-Wojtasik 2021 oder Deutsche UNESCO-Kommission 2012:8 ff.):
- a) Sensibilisierung für sowie Reflexion und Ausweitung von Wissen zu Themen, die mit Nachhaltigkeit und globaler Gerechtigkeit in Zusammenhang stehen. Dabei kann ggf. auch das Aufzeigen von individuellen und gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten mit Blick auf diese Themen eine Rolle spielen.
- b) Ermöglichen der Entwicklung von eigenen Haltungen und eines emotionalen Bezugs zu diesen Themen, indem z.B. verschiedene Wertvorstellungen und Perspektiven dazu betrachtet werden.
- c) Stärken von Kompetenzen, die sich über Selbst- und Sozialkompetenzen hinaus auch auf einen Umgang mit Fragen der Nachhaltigkeit und der globalen Gerechtigkeit beziehen (siehe: Lang-Wojtasik/Scheunpflug 2005 oder Bormann/De Haan 2008).
Das Übernehmen themenbezogener Bildungsziele (= a und b) in die eigene Praxis ist eng verknüpft mit den GLuKuBi-Kompassnadeln „Themen des Globalen Lernens aufgreifen“ sowie „Pädagogische Herangehensweisen des Globalen Lernens übernehmen“.
Wenn Praktiker*innen der Kulturellen Bildung intendieren, auch bestimmte Kompetenzen, die insbesondere im Kontext des Globalen Lernens relevant sind, über eine Bildungsmaßnahme der Kulturellen Bildung zu stärken (= c), bietet sich dafür die Nutzung eines speziellen Werkzeugs an, das die Reflexion während einer Bildungsmaßnahme fokussierter macht und sichtbar gewordene Kompetenzen erfasst. Ein solches Tool, das sich derzeit in der Entwicklung befindet, ist der „Kompetenzdialog Global“ (siehe: BKJ 2023). Dieser ist dafür konzipiert, sich im Vorfeld einer Bildungsmaßnahme in einem Tableau bestimmte Kompetenzen, die auch einen Umgang mit Fragen der Nachhaltigkeit und der globalen Gerechtigkeit beinhalten, zu bestimmen, die während dieser Maßnahme zur Geltung kommen können und sollen. Über dieses Werkzeug kann dann gemeinsam mit den Jugendlichen reflektiert werden, ob und wie diese Kompetenzen tatsächlich während der Bildungsmaßnahme bei ihnen sichtbar geworden sind.
Um die oben genannten Bildungsziele zu erreichen, sollte grundsätzlich darauf geachtet werden, dass auch die jeweilige Zielgruppe dazu motiviert ist, diese zu verfolgen. Das gilt insbesondere beim Aufgreifen von Themen, die stark negativ aufgeladen sein können oder polarisieren, wie die Klimakrise. Hier sollten möglichst positive und lebensweltnahe Zugänge zu diesen Themen mitgedacht werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei, Kindern und Jugendlichen mit Blick auf diese Themen eigene Erfahrungsräume zu ermöglichen, ohne bestimmte thematische Fokussierungen oder normative Haltungen zu stark vorzugeben.
Beim Definieren der eigenen Bildungsziele sollte möglichst überprüft werden, was eine zeitlich begrenzte Bildungsmaßnahme überhaupt realistischerweise zur Erreichung dieser Ziele beitragen kann. Eingedenk des oft sehr begrenzten zeitlichen Rahmens sollte der eigene Zielkatalog eher reduziert als überfrachtet werden.
Themen des Globalen Lernens aufgreifen
Am Anfang der Konzipierung eines Bildungsangebots steht in der kulturellen Kinder- und Jugendbildung oft die Themenwahl, die vorzugsweise partizipativ gestaltet wird, um sich an den Lebensrealitäten und Interessen der Beteiligten zu orientieren (siehe: BKJ 2020/e). Da Themen des Globalen Lernens fast alle Bereiche des Lebens betreffen und für junge Menschen relevant sind, bieten diese sich als gute Option an. Wer sich im Vorfeld dafür entscheidet, an den Schnittstellen zum Globalen Lernen zu arbeiten, sollte bewusst ein Thema aus diesem Feld in der eigenen Bildungsmaßnahme aufgreifen. Dabei muss aber klar sein, dass das vorhergehende Festlegen eines bestimmten Themas die Partizipation von Kindern und Jugendlichen bei der Themenwahl und auf diese Weise deren Projektmitgestaltung deutlich einschränken kann, was im besten Fall mit diesen transparent besprochen werden sollte.
Ein breit angelegtes Themenspektrum, das viele inhaltliche Schwerpunkte des Globalen Lernens abdeckt, ist der Katalog der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs – siehe: UN 2015). „Klassische“ Themen des Globalen Lernens sind beispielsweise Fair Trade, Klimakrise, Menschenrechte und Frieden (vgl. Klemm/Lang-Wojtasik 2021), wobei es bei neueren Ansätzen des Globalen Lernens oft auch um die Auseinandersetzung mit Kolonialismus und dessen Konsequenzen sowie um differenzierte globale Perspektiven auf verschiedene Themen geht (siehe: Carpus e.V. 2021). Gemeinsam ist geeigneten Themen, dass ihnen Fragen nach (mehr) Nachhaltigkeit, nach globaler Gerechtigkeit und „Entwicklung“ – nicht zwangsläufig verstanden als Expansion oder als Gegenteil von „Unterentwicklung“, sondern im Sinne von Transformation – zugrunde liegen sollten.
Ein erster Schritt, sich einem Thema anzunähern, ist für eine*n Praktiker*in oder Multiplikator*in, dieses selbst ausreichend kennen und verstehen zu lernen. Ein Thema muss also zunächst von einem oft abstrakten und komplexen Niveau auf ein handhabbares, eigenes Verständnis heruntergebrochen werden. Das gilt insbesondere für die SDGs, in denen die verschiedenen Nachhaltigkeitsthemen nicht pädagogisch aufbereitet dargestellt werden, sondern sehr technisch in der Ziel-, Unterziel- und Indikatoren-Logik der Entwicklungs(zusammen)arbeit beschrieben sind. Dies erfordert von den Praktiker*innen die Transferleistung, die für die eigene Bildungsarbeit relevanten Punkte herauszuarbeiten, also das Anliegen und die mögliche Problemlage eines SDGs und die dort vor allem bezogen auf die Ebene von Nationalstaaten formulierten Ziele hinsichtlich der eigenen Lebenswelten bzw. die der eigenen Zielgruppen genau zu reflektieren.
Wenn es möglich ist, sollte ein*e Praktiker*in zudem versuchen, sich im Vorfeld möglichst viele Informationen und Perspektiven zu einem bestimmten Thema zu beschaffen, also in die Tiefe zu gehen. Einerseits besteht bei den komplexen Themen des Globalen Lernens die Gefahr einer starken Vereinfachung von Zusammenhängen und Wechselwirkungen – z.B. „Schwarz-Weiß-Betrachtungen“. Andererseits, weil es auch die Aufgabe einer*s Praktiker*in ist, diese Komplexität für die eigene Bildungsarbeit und Zielgruppe auf angemessene Weise zu reduzieren – siehe dazu Kompassnadeln „Eigene Multiplikator*innen-Kompetenzen stärken“. Grundsätzlich gilt für das Globale Lernen die Herangehensweise, mit Blick auf ein Thema möglichst konkret das eigene sowie das gesellschaftliche Handeln zu reflektieren und so „Lebensgestaltung im Sinne nachhaltiger Entwicklung greifbar [zu] machen“ (Deutsche UNESCO-Kommission 2012:12).
Um die Teilnehmenden einer Bildungsmaßnahme für ein Nachhaltigkeitsthema zu motivieren, bietet es sich an, möglichst gemeinsam einen guten „Aufhänger“ zu finden, der die Teilnehmenden anspricht oder auch emotional bewegt. Dieser kann – wie oben beschrieben – ein Bezug des Themas zu den Lebensrealitäten der Teilnehmenden, eine aktuelle kontroverse gesellschaftliche Debatte oder etwas anderes sein.
Das Medium der kulturellen Kinder- und Jugendbildung, über das die Auseinandersetzung mit einem Thema stattfindet, ist der künstlerische Prozess, in dem dieses prozesshaft aufgegriffen und bearbeitet werden kann. Als Einstieg in ein Thema können Teilnehmende beispielsweise eine Recherche – z.B. anhand der Methode der ästhetischen Forschung (vgl. Kämpf-Jansen 2021) – oder Interviews mit ins Thema involvierten oder vom Thema betroffenen Menschen durchführen und die Resultate anschließend künstlerisch verarbeiten. Oder es kann zum Start einer Bildungsmaßnahme einen externen Expert*in-Input geben oder es können Orte aufgesucht werden, an denen das gewählte Thema im Raum sichtbar wird (siehe: BKJ 2020/a:24 f.). Sowohl für die Kulturelle Bildung als auch für das Globale Lernen gilt dabei, möglichst holistische Zugänge zu einem Thema zu ermöglichen, also neben der Auseinandersetzung mit reinen Informationen auch greif-, sicht-, hör-, spür- und erlebbare sowie emotionale Bezüge herzustellen.
Einige Themen des Globalen Lernens können in der Wahrnehmung aus einem Gefühl der Machtlosigkeit heraus auch negativ besetzt sein, wie z.B. die stetige aber unausweichliche Auseinandersetzung mit der Klimakrise. Bei solchen Themen können Praktiker*innen und Multiplikator*innen im Vorfeld auch versuchen, möglichen eigenen Blockaden und Vorbehalten auf den Grund zu gehen und darauf basierend positive Perspektiven für das geplante Bildungsangebot zu entwickeln.
Pädagogische Herangehensweisen des Globalen Lernens übernehmen
Hierbei geht es darum zu überprüfen, wo pädagogische Herangehensweisen und didaktisches Vorgehen des Globalen Lernens mit der Kulturellen Bildung kombinierbar sind. Es ist also nicht gemeint, kulturpädagogische Ansätze durch (entwicklungs-)politische Bildung zu ersetzen. In erster Linie geht es darum, möglicherweise einige Leitideen, Haltungen oder Denkweisen aus dem Globalen Lernen zu übernehmen, die dafür genutzt werden können, sich den zum Teil komplexen und nicht einfach zu beantwortenden Fragen nach mehr Nachhaltigkeit und mehr globaler Gerechtigkeit anzunähern.
Auch hier gilt, dass es kein vorgegebenes Vorgehen gibt und die unten aufgeführten Herangehensweisen nicht als Check-Liste oder als abgeschlossener Katalog aufzufassen sind. Vielmehr sollen Praktiker*innen und Multiplikator*innen einige Leitideen mitgegeben werden, die aufgegriffen werden können, sofern sie für die eigene Praxis Sinn ergeben.
- Inhalte nicht zu anspruchsvoll angehen: Grundsätzlich gilt als Leitlinie im Globalen Lernen, Bildungsangebote für eine möglichst breite Zielgruppe, also auch für Menschen ohne Vorkenntnisse in diesem Bereich, zu gestalten. Es geht also nicht um die Vermittlung von Spezialwissen. Gleichzeitig tendieren Inhalte des Globalen Lernens dazu, schnell komplex zu werden oder sich mit den großen Weltproblemen zu befassen. Dies kann mit Blick auf die aufgegriffenen Inhalte, aber auch emotional – z.B. durch erwecktes Verantwortungsgefühl bei gleichzeitig wahrgenommener Machtlosigkeit – sowie hinsichtlich der Reflexion von Handlungsmöglichkeiten – z.B. Standpunkt: „Ich kann sowie nichts machen“ – zu Überforderungen bei den Teilnehmer*innen eines Bildungsangebots führen. Für Praktiker*innenist es daher wichtig, solche Überforderungen zu vermeiden, indem sie Inhalte vereinfachen und deren Reflexion auf einer handhabbaren Ebene ermöglichen sowie aufkommende Befindlichkeiten umgehend auffangen.
- Zusammenhänge herstellen (lassen): Genauso wichtig ist es, Zusammenhänge herzustellen oder von den Teilnehmer*innen einer Bildungsmaßnahme herstellen zu lassen, um die (vielfachen) Verknüpfungen von Themen, Ebenen und Dimensionen aufzuzeigen. Dies kann zu einer besseren Einordnung der Themen führen und so für mehr Klarheit sorgen. Zu nennen wären beispielsweise die Wechselwirkungen zwischen den vier Nachhaltigkeitsdimensionen – Ökologie, Ökonomie sowie sozio-kulturelle und politisch-institutionelle Dimension (vgl. BMZ/KMK 2016 oder Rauch 2009), die jeweils alle zu einzelnen Nachhaltigkeitsthemen in Bezug gesetzt werden können. Auch kann möglichen Zusammenhängen zwischen einzelnen Themen nachgeforscht werden – beispielsweise dem zwischen mehr Geschlechtergerechtigkeit und Armutsbekämpfung. Relevant ist dabei, die Bedeutung eines Themas auf der lokalen Ebene sowie auf der globalen Ebene vergleichend zu betrachten und Korrelationen dazwischen nachzuvollziehen.
- Widersprüche als Aufhänger nutzen: Oft gibt es beim Globalen Lernen Fragen, die nicht einfach beantwortet werden können, oder Inhalte, die im Widerspruch miteinander stehen. Dies kann bei der Frage beginnen, was „nachhaltige Entwicklung“ eigentlich bedeutet. Ist damit beispielsweise ein nachhaltiges Wachstum im ökonomischen Sinne gemeint oder ein Prozess, der zu einer wie auch immer definierten Verbesserung von Lebensumständen und der Beseitigung von „Unterentwicklung“ beitragen soll? Oder geht es bei „nachhaltiger Entwicklung“ um individuelle und gesellschaftliche Anpassungen und Veränderungen hin zu einer nachhaltigeren Lebensweise? Solche und ähnliche Fragestellungen können gut zur Identifizierung von entwicklungs- und nachhaltigkeitspolitischen Zielkonflikten, sogenannter Dilemma-Situationen, beitragen. Mit Blick auf die Idee von nachhaltiger Entwicklung sind diese Zielkonflikte sogar bei den verschiedenen UN-Nachhaltigkeitszielen erkennbar. So wird in SDG 8 deutlich der Gedanke eines expansiven Wirtschaftswachstums vertreten, während es in den SDGs 13, 14 oder 15 um die endliche Verfügbarkeit planetarer Ressourcen und somit eine Abkehr vom Wachstumsgedanken geht. Auch Fragen nach auszuhaltenden Widersprüchen bieten sich für einen Themeneinstieg an, beispielsweise danach, inwieweit es berechtigt ist, für die eigenen (Grund-)Bedürfnisse Ressourcen zu verbrauchen oder es richtiger wäre, jetzt zu verzichten, damit künftige Generationen ihre (Grund-)Bedürfnisse befriedigen können. Wenn solche Reibungspunkte vorher identifiziert werden, können sich Praktiker*innen diese gezielt zu Nutze machen und so Reflexionsprozesse auslösen.
- Perspektivwechsel erlebbar machen: Eng mit der Frage nach Widersprüchen hängt die Frage nach verschiedenen Sichtweisen auf ein Thema oder eine Gesamtsituation zusammen. Diese unterschiedlichen Perspektiven ergeben sich aus global verschiedenen unmittelbaren Lebensrealitäten und damit verbunden mit einem anderem Betroffenheitsgrad hinsichtlich bestimmter Zusammenhänge. So wird ein*e Einwohner*in Palaus möglicherweise die Dringlichkeit der akuten Bekämpfung des globalen Klimawandels als wichtiger empfinden als eine Person aus dem Globalen Norden, für die möglicherweise die eigene Mobilität und die so definierte Freiheit im Vordergrund steht, in der Hoffnung, dass das Problem des Klimawandels später technologisch gelöst werden kann. Für eine arme Person kann es beispielsweise wiederum erst einmal höhere Priorität haben, aus der Armut zu entkommen, als sich über langfristige planetare Nachhaltigkeit Gedanken zu machen, die für eine Person aus der Mittelschicht der absolute Referenzpunkt sein kann. Um einen Perspektivwechsel zu ermöglichen, kann ein*e Praktiker*in verschiedene Positionen zu einem Thema in die Bildungsmaßnahme einfließen lassen oder ein Setting schaffen, das Perspektivwechsel ermöglicht. Insbesondere bieten sich dafür transnationale (Jugend-)Begegnungen an, bei denen per se auch Perspektiven aus den beteiligten Partnerländern Teil der Auseinandersetzung mit einem gemeinsamen Thema sind.
- Intendierte Ergebnisse und Einschränkungen nachhaltigen Handelns in der Gruppe definieren und reflektieren: Globales Lernen ist häufig auf die Reflexion individueller und gesellschaftlicher Handlungsmöglichkeiten mit Blick auf Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit fokussiert. Das bedeutet auch, dass die Betrachtung des eigenen, des gesellschaftlichen und des politischen Handelns stets Teil von Bildungsmaßnahmen des Globalen Lernens ist. Insbesondere stellt sich daher die Frage, was erfolgversprechendes nachhaltiges Handeln eigentlich bedeutet und wer dabei die handelnden Akteur*innen sind. Ebenso gehört zu dieser Reflexion die Frage danach, was diese Akteur*innen möglicherweise an einem bestimmten Handeln hindert, was das für Konsequenzen hat und wie dies geändert werden könnte. Wichtig ist, dass Globales Lernen keine vorproduzierten Handlungsanleitungen vermitteln möchte. Und dies, obwohl es gleichzeitig oft eine wesentlich deutlichere Hinleitung zum Handeln gibt („Handlungsorientierung“), als in der kulturellen Kinder- und Jugendbildung, die zunächst nur Denk- und Reflexionsräume schaffen möchte (vgl. BKJ 2020/b oder Klemm/Lang-Wojtasik 2021).
- Orte der Nachhaltigkeit als Settings mitdenken, Stakeholder*innen einbinden: Genau wie in der Kulturellen Bildung gilt beim Globalen Lernen das Prinzip der Ganzheitlichkeit, also des Erlebens von Bildungserfahrungen nicht nur auf kognitive Weise, sondern mit allen Sinnen. Beim Globalen Lernen werden dafür oft sogenannte authentische Lernorte genutzt, an denen (Maßnahmen zur) nachhaltige(n) Entwicklung oder deren Ausbleiben real erlebt werden können – z.B. Wald, Moor, Müllkippe, Solarfabrik. Dies gilt insbesondere für Themen der ökologischenNachhaltigkeitsdimension. Ebenso erlebbar werden Nachhaltigkeitsthemen durch den Austausch mit Expert*innen oder Praktiker*innen, die oft einzelne Themen motivierend, plastisch und facettenreich darstellen können (siehe: auch Kompassnadel „Themen des Globalen Lernens aufgreifen“). Ein im Globalen Lernen und der Bildung für nachhaltige Entwicklung dabei oft genutzter Ansatz ist das sogenannte „Situierte Lernen“ (vgl. Reich 2018).
- Emotionen wecken: Eine eher anspruchsvolle Intention des Globalen Lernens kann es sein, im Rahmen von Bildungsangeboten Emotionen zu einzelnen Themen zu wecken, also Teilnehmer*innen über die Auseinandersetzung mit Fragen der Nachhaltigkeit oder der globalen Gerechtigkeit persönlich zu berühren. Dies kann beispielsweise auch darüber geschehen, dass ein Raum geschaffen wird, in dem Teilnehmer*innen es zulassen können, dass Emotionen bei ihnen spürbar und somit ansprechbar werden. Bei der Konzeption eines Bildungsangebots besteht dabei die Herausforderung, trotz der emotionalen Bezüge weiterhin auszudifferenzieren, nicht in Klischees zu verfallen oder einfache Wahrheiten sowie Positionen bereits aufgeladener, polarisierender gesellschaftlicher Diskurse unreflektiert zu übernehmen. Obwohl Emotionen eine wertvolle Lern- und Bildungserfahrung sein können, kann ein Emotionen auslösendes Herangehen daher nur begrenzt genutzt werden. Gerade in der Kulturellen Bildung, die im Gegensatz zum Globalen Lernen nicht normativ ausgerichtet ist, geht es aus diesem Grund eher darum, Freiräume zu schaffen, damit die Teilnehmer*innen einer Bildungsmaßnahme selbst erleben und herausfinden können, ob und welche emotionalen Bezüge sie zu einem (Nachhaltigkeits-)Thema haben.
Eigene Multiplikator*innen-Kompetenzen stärken
Neben den vielen Kompetenzen, die ein*e (kultur-)pädagogische Praktiker*in benötigt, gibt es einige Kompetenzen, die speziell für den Umgang mit Inhalten des Globalen Lernens bzw. für die Umsetzung von Bildungsangeboten des Globalen Lernens relevant sind. Oft gehen diese bei Praktiker*innen und Multiplikator*innen wünschenswerten Kompetenzen mit denen einher, die auch bei den Teilnehmer*innen einer Bildungsmaßnahme gestärkt werden sollen (siehe: Kompassnadel „Bildungsziele reflektieren und gegebenenfalls übernehmen“ sowie Anmerkungen zum „Kompetenzdialog Global“). Es gibt allerdings drei Schlüsselkompetenzen, die insbesondere für Multiplikator*innen des Globalen Lernens relevant sind (vgl. Taube 2022 sowie allgemeiner zu den Kompetenzen von Multiplikator*innen auch Amariei et al. 2016:22 f.):
- a) Reflexionsfähigkeit: Die eigene Positionierung im lokalen, nationalen und globalen Gefüge angesichts globaler Ungleichheit und unterschiedlicher Betroffenheit durch den Klimawandel reflektieren können, z.B. Herkunft oder Privilegien. Auch ist es relevant, eigene Haltungen, Normen, Werte und Weltsichten zu reflektieren sowie die anderer Menschen nachvollziehen zu können. Zudem gehört zur Reflexionsfähigkeit, sich mit dem eigenen Handeln und dessen Auswirkungen auf das Umfeld auseinandersetzen zu können (vgl. Taube 2022 oder Deutsche UNESCO-Kommission 2012:22).
- b) Kompetenz, Komplexität zu reduzieren: Der Umgang mit Komplexität und den komplexen Zusammenhängen bei Fragen von Nachhaltigkeit, nachhaltiger Entwicklung und globaler Gerechtigkeit ist eine der größten Herausforderungen für Multiplikator*innen des Globalen Lernens. Grundsätzlich ist hier die Leitidee, die Komplexität in der Auseinandersetzung mit einem Thema zu reduzieren, ohne dass dabei zu viel an Tiefe verloren geht. Ein Ansatz wäre, durch multiperspektivische Betrachtung und Beschreibung die komplexen Zusammenhänge eines Themas zu rekonstruieren und für die eigene Bildungsarbeit zu vereinfachen. In diesem Zusammenhang ist z.B. die Zuordnung vieler vernetzter Ursachen und Wirkungen nachzuvollziehen, die Gleichzeitigkeit von Geschehnissen zu verstehen sowie die Abstraktheit bestimmter Themen und Realitäten für sich herunterzubrechen, die oft weit entfernt von den eigenen sozialen Erfahrungen aus dem Nahbereich sind. Um sich selbst komplexen Themen und Situationen anzunähern, muss ein*e Multiplikator*in also versuchen, die Komplexität auch für das eigene bessere Verständnis zu reduzieren (vgl. Scheunpflug 2020 bzw. UNESCO 2014:97).
- c) Kompetenz, zu verknüpfen: Diese Kompetenz beschreibt die Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen einzelnen Themen bzw. deren Bezüge zu den einzelnen Nachhaltigkeitsdimensionen herstellen zu können. Verknüpfen bedeutet auch nachzuvollziehen, wie mögliches Handeln in einem Teil der Welt mittelbar oder unmittelbar in anderen Teilen der Welt spürbar ist. Dazu gehört ebenso ein Verständnis für den Zusammenhang zwischen den Ursachen nicht-nachhaltiger Entwicklungen, dem Agieren heutiger Generationen und den möglichen Auswirkungen für kommende Generationen. Für das Herstellen von Verknüpfungen ist interessant, sich über Perspektiven und Erfahrungen mit Menschen verschiedener kultureller und geographischer Backgrounds, verschiedener Generationen oder mit verschiedenen fachlichen Hintergründen auszutauschen und geeignete Räume dafür zu schaffen –insbesondere, wenn dabei mögliche Dilemmas, Spannungen und Konflikte reflektiert werden (vgl. Deutsche UNESCO-Kommission 2012:20).
Andere Praxisbeispiele kennenlernen
Einer der besten Wege, um Ideen und Anregungen für die eigene Arbeit zu bekommen, ist es, Praxisbeispiele aus der Kulturellen Bildung kennenzulernen, die bereits Aspekte aus dem Globalen Lernen aufgreifen. Eine geeignete Form hierfür ist der Peer-to-Peer-Austausch mit den entsprechenden Akteur*innen und Projektträgern oder Projektbesuche vor Ort. Da Bildungsmaßnahmen, die sich an den Schnittstellen von Kultureller Bildung und Globalem Lernen bewegen, nicht systematisch erfasst sind, kann es eine Hürde sein, für die eigene Arbeit interessante Projekte, Träger oder Praxen zu finden. Insbesondere die Teilnahme an entsprechenden Vernetzungsangeboten oder die Kontaktaufnahme mit einem der Dachverbände der Kulturellen Bildung auf Landes- oder Bundesebene sind Möglichkeiten, um in den Peer-to-Peer-Austausch zu kommen.
Wenn sich das Kennenlernen einer Maßnahme an den Schnittstellen von Kultureller Bildung und Globalem Lernen ergibt, ist in der Folge die Transferleistung zu vollziehen, was sich daraus für die eigene Arbeit oder mögliche Projektpläne ergibt. Neben einem ausführlichen Austausch mit einer*m bereits aktiven Akteur*in, ist es daher wichtig, gegebenenfalls gemeinsam mit dieser*m, die Verknüpfungen zwischen Kultureller Bildung und Globalem Lernen sowie Aspekte, die auf das eigene Vorhaben übertragbar wären, zu identifizieren und zu reflektieren (z.B. unter Zuhilfenahme des GLuKuBi-Kompass).
Methoden des Globalen Lernens ausprobieren und transferieren
Formate und Methoden der Kulturellen Bildung sowie des Globalen Lernens im engeren Verständnis grenzen sich oft deutlich voneinander ab. Während in der kulturellen Kinder- und Jugendbildung der spartenbezogene oder interdisziplinäre – und ergebnisoffene – künstlerische Prozess im Fokus steht, sind beim Globalen Lernen häufig fest vorgegebene Methoden aus der Politischen Bildung oder aus der Umweltbildung der Kern einer Bildungsmaßnahme. Dies können z.B. Plan- und Rollenspiele oder sogenannte Zukunftswerkstätten sein oder das Anwenden bestimmter Techniken, um bestimmte Problemlagen im Kontext der Nachhaltigkeit sowie diesbezügliche Zukunftsszenarien zu skizzieren (vgl. DVLfB/Schoof-Wetzig 2021:56). Eine gängige Methode des Globalen Lernens ist es, als Teil von Bildungsmaßnahmen nachhaltiges Handeln bereits umzusetzen, wie Bäume zu pflanzen, Müll zu sammeln, Fair Trade zu organisieren.
Aufgrund des sehr unterschiedlichen Charakters sind Formate und Methoden der Kulturellen Bildung und des Globalen Lernens nicht austauschbar. Dennoch ist es für Akteur*innen der Kulturellen Bildung möglich,
Methoden des Globalen Lernens als ein Element des eigenen Bildungsvorhabens zu übernehmen, beispielsweise, um bei der Betrachtung eines Themas in die Tiefe gehen zu können. Wenn dies von Interesse ist, bietet es sich für Multiplikator*innen an, im Vorfeld Methoden, die dafür in Frage kommen, zunächst selbst umfassend auszuprobieren und zu reflektieren. Einerseits, um ein Gefühl für diese zu bekommen, andererseits, um zu schauen, ob und wie sie in die eigene künstlerische Arbeit integriert werden können.
Eine sehr gängige Methode der Politischen Bildung, um Fragestellungen der ökologischen Nachhaltigkeit anzugehen, sind z.B. die Methode der „Problemstudie“ (vgl. Reinhardt 2012), Methoden des Globalen Lernens – hier mit einem thematischen Fokus auf Wirtschaft und ihre sozialen Implikationen (siehe: Fairbindung e.V. und Konzeptwerk Neue Ökonomie e.V. 2016; EPIZ 2013 oder glokal e.V. 2017).
Als Institution nachhaltiger werden
Akteur*innen und Multiplikator*innen der Kulturellen Bildung können sich einerseits einen Zugang zum Globalen Lernen eröffnen, indem sie Elemente des Globalen Lernens der eigenen Bildungsarbeit gegenüberstellen und gegebenenfalls einzelne Aspekte aufgreifen (siehe: alle Kompassnadeln). Andererseits kann auch eine Bezugsdimension hergestellt werden, wenn die eigene Institution als solche beginnt, sich auf organisationaler Ebene mit Fragen der Nachhaltigkeit und der globalen Gerechtigkeit zu befassen. Dafür gibt es zwei sehr gängige Formen:
- a) Übernahme des sogenannten Whole Institution Approachs: Dies ist ein ganzheitlicher Ansatz, um die eigene Institution nachhaltiger zu machen. Er besteht aus vier Bausteinen:
- Übernahme von (Elementen der) Nachhaltigkeitsbildung ins eigene Bildungsangebot,
- nachhaltige Bewirtschaftung der eigenen Institution,
- Sensibilisierung von Mitarbeiter*innen und Multiplikator*innen für Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitsbildung,
- Vernetzung mit anderen Akteur*innen aus dem nahen und fernen Umfeld, die sich auch mit dem Bereich der Nachhaltigkeit befassen (siehe: Deutsche UNESCO-Kommission 2019).
Der Whole Institution Approach kann in erster Linie als Leitfaden dienen, um zu überprüfen, ob und wie die eigene Institution in diesen einzelnen Bereichen nachhaltiger gestaltet werden kann.
- b) Implementierung einer Nachhaltigkeitsstrategie: Etwas formeller als der Whole Institution Approach ist die Entscheidung, eine Nachhaltigkeitsstrategie in der eigenen Institution umzusetzen. Diese bezieht sich auf alle Arbeitsbereiche einer Institution, mit dem Unterschied, dass bei einer Nachhaltigkeitsstrategie verbindliche Ziele und Indikatoren festgelegt werden – oft unter Einbeziehung externer Berater*innen. Dazu gehören kann auch die freiwillige Verpflichtung zur Übernahme des Nachhaltigkeitskodex des Rats für nachhaltige Entwicklung (siehe: Rat für Nachhaltige Entwicklung 2020): Das ist eine Selbstverpflichtung, bei der Kriterien eingehalten werden müssen, die extern und transparent geprüft werden. Der Benefit für die Institution ist – neben dem nachhaltigeren Agieren –, dass sie sich die entsprechende Zertifizierung z.B. auf die eigene Webseite stellen kann.
Unabhängig von der Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der eigenen Institution können sich Akteur*innen der Kulturellen Bildung bewusst dazu entscheiden, zum gesellschaftspolitischen „change agent“ zu werden und als zivilgesellschaftliche Stimme Positionen, die mehr Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit sowie die Ausweitung nachhaltiger Bildungsarbeit einfordern, zu vertreten (vgl. Liebig 2022).
Kulturelle Bildung bleibt Kulturelle Bildung
Eine gute Verankerung im eigenen Bildungsbereich, also in der Kulturellen Bildung, ist die Basis, um möglicherweise Aspekte und Ideen aus anderen Bildungsansätzen wie dem Globalen Lernen zu übernehmen. Kulturelle Bildung bleibt immer Kulturelle Bildung. Für die kulturelle Kinder- und Jugendbildung heißt das, dass grundsätzlich der künstlerische Prozess sowie die Prinzipien und Ziele dieses Bildungsansatzes im Vordergrund stehen müssen (vgl. BKJ 2020/b, BKJ 2020/c und BKJ 2020/d). Als Kulturelle Bildung könnte es in diesem Sinne wiederum nicht bezeichnet werden, wenn nur einige kreative oder künstlerische Methoden in ein Projekt des Globalen Lernens oder der Politischen Bildung übertragen und dort als Werkzeug oder Methode der Vermittlung genutzt werden.
In der heutigen Zeit bleibt es für ein den aktuellen gesellschaftlichen und politischen Umständen angemessenes Verständnis von Kultureller Bildung dauerhaft wichtig, zu hinterfragen, wo es mögliche Verbindungen der Kulturellen Bildung zum Globalen Lernen gibt, und ob es möglich ist, den bisherigen Rahmen der eigenen Praxis in diesem Sinne zu sprengen, zu erweitern und zu bereichern.
Ein Werkzeug: Von der Praxis für die Praxis
Der GLuKuBi-Kompass wurde im intensiven Austausch mit 20 Praktiker*innen der Kulturellen Bildung innerhalb der Qualifizierung „kreativ_transformativ“ für die Praxis entwickelt: Denn dort wurde festgestellt, dass es bis dato an theoretisch fundierten „hands on“-Überlegungen fehlt, wie die Bereiche Globales Lernen und der Bildung für nachhaltige Entwicklung im Kontext der Kulturellen Bildung auch in der Praxis zusammen gedacht und gebracht werden können: Theoretisches Wissen und praktische Erkenntnisse wurden daher verknüpft, um Ansätze des Globalen Lernens und der BNE konkret in die (künstlerisch-kulturelle) Bildungsarbeit integrieren zu können. Als „work in progress“-Produkt möchte der GLuKuBi-Kompass auf diese Weise Praktiker*innen und Multiplikator*innen der Kulturellen Bildung Impulse für die praktische Bildungsarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im Kontext des Globalen Lernens und der Bildung für nachhaltige Entwicklung geben. Darüber hinaus bietet der GLuKuBi-Kompass Anhaltspunkte, um das eigene Handeln zu reflektieren und zu qualifizieren und so die eigene Bildungsarbeit, aber auch die eigene (Bildungs- oder Kultur-)Institution weiter zu entwickeln.
Durch die Qualifizierung „kreativ_transformativ“ entstand ein Netzwerk von Praktiker*innen, die nun praktische Erfahrungen und Erkenntnisse bei der Anwendung der entstandenen Überlegungen festhalten, reflektieren und möglicherweise weitere Zugangspunkte finden. Diese Rückmeldungen werden gezielt gesammelt, um diese Erkenntnisse in überarbeitete GLuKuBi-Kompass-Versionen und künftige Qualifizierungen einfließen zu lassen. Grundsätzlich spiegelt das Werkzeug einen offenen, noch nicht abgeschlossenen Reflexionsprozess, der durch praktische Anwendung in der Kulturellen Bildung und Erfahrungsaustausch weitergetragen werden kann.