Gendered Spaces?! Kultur und Medien als Lebenswelten von Mädchen*

Ein Plädoyer für mehr Mädchen*kulturarbeit

Artikel-Metadaten

von Bettina Heinrich

Erscheinungsjahr: 2023

Peer Reviewed

Abstract

Kulturelle Praktiken sind im Alltag von Kindern und Jugendlichen zentral, die Kategorie ‚Geschlecht’ spielt in diesen eine erhebliche Rolle: Die Kultur- und Medienwelten von Jugendlichen sind ‚Gendered Spaces‘. Ausgehend von einer kurzen Einführung in vier unterschiedliche gendertheoretische Ansätze als notwendigen Analyserahmen  und einem kompakten Einblick in aktuelle Diskurse der feministischen Kommunikations- und Medienwissenschaft widmet sich der Beitrag den ‚Gendered Spaces‘ aus drei Perspektiven: Erstens den Jugendkulturen, die die Lebenswelten von Jugendlichen seit Jahrzehnten prägen, zweitens den Kultur- und Freizeitinteressen von Kindern und Jugendlichen und drittens den analogen und digitalen Medienwelten, in denen sich Mädchen*/junge Frauen* und Jungen*/junge Männer* heute bewegen. In diesen sind sowohl die Produktion als auch Reproduktion von Geschlechterbildern und – wenn auch weniger sichtbar – deren Dekonstruktion existent. Die Zusammenschau macht deutlich, wie wirkmächtig die Kategorie ‚Geschlecht’ in den kulturellen Alltagswelten von Jugendlichen ist, und dass wir auch heute noch neue und erweiterte Ansätze in der Mädchen*kulturarbeit, aber auch Mädchen*arbeit benötigen, zeigt der Artikel auf.

Jugendliche Lebenswelten, Kultur und Medien

Der Alltag Jugendlicher ist in hohem Maße von kulturellen Praktiken geprägt. Egal ob diese in analogen oder digitalen Räumen stattfinden, sie sind vielfältig und in den Lebenswelten Jugendlicher bedeutsam – z.B. auf YouTube, Instagram, TikTok unterwegs sein, jugendkulturellen Aktivitäten wie HipHop nachgehen, gamen, Musik hören, Serien streamen oder sich auch online in den eigenen communities bewegen. Dies alles sind kulturelle Praktiken und eben nicht nur Freizeitaktivitäten. Grundlage dieser Zuordnung ist ein Kulturverständnis, das Kultur als „ein Gefüge aus Bedeutungskomplexen“ versteht, „das Sinnangebote bereitstellt“ (Lüddemann 2019:6). Betrachtet man die Aufzählung, so wird ein zweiter zentraler Punkt deutlich: Jugendliche Lebenswelten sind Medienwelten; diese sind zunehmend digital und im Alltag omnipräsent (vgl. Treptow 2018:84; BMFSFJ 2020:293ff). Im Schnitt verbrachten Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren nach eigenen Schätzungen im Jahr 2019 insgesamt 205 Minuten pro Tag online und 2020, dem ersten Corona-Jahr, insgesamt 258 Minuten (vgl. mfps 2020:33). So genannte klassische Medienformate, wie z.B. Fernsehen und Buch sind aus dem Alltag Jugendlicher zwar nicht komplett verschwunden, werden aber fast ausschließlich über digitale Medienplattformen rezipiert. Die Unterscheidung zwischen analog und digital ist heute somit hinfällig – denn in einer „post-digitalen Kultur“ (Jörissen 2018) ist man nicht mehr online oder offline, sondern ganz einfach ‚onlife‘ (vgl. BMFSFJ 2020:294). Das Neue an den medialen Lebenswelten ist, dass die Jugendlichen nicht mehr nur Rezipient*innen und Empfänger*innen von Angeboten sind, sondern inter-aktive Gestalter*innen, d.h. produser (producer und user in einem, vgl. Hipfl 2021:5). Sie stellen ihr ‚Menü‘ aus einer Vielfalt an Plattformen selbst zusammen und posten, teilen, kommentieren, bewerten. In diesen Lebens- und Medienwelten dominieren tradierte Geschlechterordnungen, Mädchen*/junge Frauen* und Jungen*/junge Männer* bewegen sich in ihnen unterschiedlich und es sind im wahrsten Sinne des Wortes ‚Gendered Spaces‘. Die gendersensible Kulturpädagogik und die Mädchen*kulturarbeit, die diese ‚Gendered Spaces‘ zum Ausgangspunkt ihres Handelns nehmen, sind somit auch heute noch unverzichtbar – nunmehr fünfzig Jahre nach den Anfängen der Mädchenarbeit in der 1970er Jahren.

Analyserahmen: Von feministischer Theoriebildung zu den Gender Media Studies

Um die Gendered Spaces zu verstehen, einordnen und pädagogisch, politisch sowie praktisch bearbeiten zu können, benötigen wir einen geschlechtertheoretischen Analyserahmen; dieser besteht aus vier geschlechtertheoretischen Perspektiven (vgl. Busche/Cremers 2021:696ff; Süß 2021:12ff; Dorer 2022).

  • An erster Stelle ist der älteste, der patriarchatstheoretische Ansatz zu nennen, der Geschlecht als Strukturkategorie in einer heteronormativ geprägten Gesellschaft identifiziert; die Geschlechterbilder sind ‚klassisch‘ und die männliche Macht als gesellschaftliches Strukturprinzip offensichtlich.
  • Das zweite Konzept, der Doing-Gender-Ansatz, lenkt den Blick auf die alltägliche und soziale Konstruktion von Geschlecht. Auch hier wird die Geschlechterwelt binär betrachtet und analysiert, d.h. wie auf der Grundlage stereotypisierender Merkmale das ‚Frausein‘ und ‚Mannsein‘ immer wieder neu hergestellt wird.
  • Die dritte dekonstruktivistische bzw. poststrukturalistische Perspektive geht zwar auch von heteronormativen und binären Normierungen aus, stellt aber gleichzeitig das System heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit in Frage und richtet den Blick darauf, wie dieses umgedeutet und neu angeeignet wird und werden kann. Geschlecht wird beim poststrukturalistischen Ansatz grundsätzlich als normative Konzeption und somit als veränderbares Konstrukt angesehen; dass Geschlechtsidentitäten eindeutig ‚weiblich‘ oder ‚männlich‘ sind und sein müssen, wird ebenso angezweifelt wie Heteronormativität. Aus Doing Gender wird Undoing Gender und Performing Gender und somit eine emanzipatorische Praxis.
  • Die vierte gendertheoretische Annäherung ist intersektional ausgerichtet; hier wird die gesellschaftliche Produktion von Ungleichheit in ihrer Verwobenheit mit anderen Differenzmerkmalen betrachtet – neben Geschlecht z .B. Race, Klasse, Sexualität (vgl. Busche/Cremers 2021:696ff; Süß 2021:2ff; Döring 2019:4; Hipfl 2021; Dorer 2022).

Die feministische Theoriebildung im Medienbereich verlief parallel zu den im letzten Abschnitt kurz skizzierten geschlechtertheoretischen Diskursen und ihrer sich verändernden Paradigmen. Angestoßen durch die zweite Frauenbewegung, beschäftigte sich die feministische Forschung Mitte der 1970er Jahre mit der Rolle der Medien und in ihren Anfängen vor allem mit medial produzierten und rezipierten Geschlechterstereotypen, d.h. den Medieninhalten (vgl. Hipfl 2019:6).

Bei der Frage, wie mächtig die Medien bei der Produktion und Reproduktion tradierter Geschlechterpositionen sind, stößt man automatisch auf die Medienwirkungsforschung. Der gendertheoretische Rahmen zeigt jedoch, dass die Medienwelten, in denen wir uns und auch Kinder und Jugendliche sich bewegen, zu komplex sind, um von einer unidirektionalen Wirkung von Geschlechterbildern auszugehen. Zwar belegen Studien nach wie vor eine hohe Beständigkeit medialer Geschlechterstereotype und von Doing-Gender-Realitäten (vgl. Thiele 2019:1; Hipfl 2021:3). Gleichwohl wissen wir nicht, wie Mädchen* und junge Frauen* damit umgehen, wie sie die Geschlechterbilder interpretieren oder auch uminterpretieren. Somit sprechen Medienwissenschaften weniger von Wirkungen als von „Kultivierungseffekten“, denn von „frühester Kindheit an mit Geschlechterstereotypen konfrontiert, bilden sie die Grundlage unseres (vermeintlichen) Geschlechterwissens. Die Kenntnis positiver wie negativer Geschlechterstereotype bleibt nicht ohne Einfluss auf die Bildung von Selbst- und Fremdbildern bzw. Auto-, Hetero- und Metastereotypen und damit auf unser Verhalten“ (Thiele 2019:12). Heute sind es die Gender Media Studies, die jenseits von Wirkungsaspekten die Komplexität der Medienrealitäten analysieren und zwar in Bezug auf Medieninhalte, Medienproduktion sowie Medienrezeption/-nutzung. Im Mittelpunkt stehen die „kulturelle und soziale Konstruktion von Geschlecht, die Prozesse der Vergeschlechtlichung und das Doing Gender von Institutionen und Subjekten“ (Wischermann 2020:7) sowie inzwischen vor dem Hintergrund der poststrukturalistischen gendertheoretischen Perspektive auch verstärkt das Undoing- und Performing Gender (vgl. Hipfl 2021). Alle drei Blickrichtungen auf Gender sind für die Mädchen*arbeit generell und die Mädchen*kulturarbeit zentral, denn sie bieten die Grundlage, um Mädchen* und jungen Frauen* selbstbewusste, neue, vielfältige, fluide Geschlechterpositionen zu eröffnen.

Gendered Spaces

Gendered Spaces I: Mädchen* und Jugendkulturen

Bevor der Gendered Space Jugendkulturen unter die Lupe genommen wird, sind ein paar einleitende Erläuterungen zu diesen jugendspezifischen Ausdrucksformen notwendig. Jugendkulturen (vgl. Gerards 2021; Treptow 2018:83f) prägen das Leben vieler Jugendlicher; aktuell ist es nach wie vor derHipHop, der aus einem ganzen Set an Praktiken besteht – z.B. Rap, Graffiti/Urban Art, DJing, Breakdance (vgl. Süß 2021:7f). Bekannt sind zudem Skateboarding oder auch früher dominante Jugendkulturen wie z.B. House, Techno, Punk, Gothic und Popper. Jugendkulturen sind Ausdruck eines ästhetischen, stilistischen und kulturellen Eigensinns Jugendlicher, die hierüber kulturelle Teilhaberechte definieren und einfordern.

Nicht alle Jugendlichen verorten sich in einer Jugendkultur – es ist eher die Minderheit. Aber jugendkulturelle Ästhetiken werden zunehmend im digitalen Raum verhandelt und sind nicht zuletzt aus diesem Grund omnipräsent. Junge Jugendkulturen haben mit ihren neuen ästhetischen Inszenierungspraktiken die Funktion von Trendsettern und werden nicht selten von der Mode- und Musikindustrie aufgegriffen; so werden sie zum Mainstream und prägen letztendlich die alltäglichen Lebenswelten vieler Jugendlicher. Für die Jugendkulturarbeit und kulturelle Jugendbildung mit ihren Prinzipien Interessen-, Lebenswelt- und Stärkenorientierung haben Jugendkulturen eine Schlüsselfunktion, denn sie eröffnen Zugänge.

Wie sieht es nun mit den Mädchen* in den Jugendkulturen aus? Im Jahr 2007 stellte Gabriele Rohmann fest, dass die meisten Jugendkulturen auf den ersten Blick nach wie vor Jungenkulturen sind. Jungen und Männer dominieren die HipHop-, Skinhead- oder Metal-Szene und früher die Rockabilly-Szene. (vgl. Rohmann 2007:7) Und heute? Gibt es noch die Geschlechterstereotypsierungen und/oder -diskriminierungen und wenn ja, wie äußern sich diese? Was bedeutet das für die Jugendkulturarbeit und Mädchen*kulturarbeit? Die erste Frage ist hier leicht zu beantworten. Ja, und neutral ausgedrückt: Die Kategorie Geschlecht ist in jugendkulturellen Szenen wirkmächtig. Jugendszenen sind eine Art Seismograf: Sie spiegeln die Verhältnisse, in denen Jugendliche leben; in ihnen manifestiert sich ihre Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, den gesellschaftlichen Werten und Realitäten. Somit ist es naheliegend, dass in den Jugendkulturen z.B. nach wie vor heteronormative und maskuline Inszenierungen und Orientierungen dominieren ebenso wie Abwertungen von LGBTIQ* und Frauen (vgl. Rohmann 2018:127,131; Josties/Menrath 2021:1272).

Musik nimmt in den Jugendszenen und -kulturen und damit auch im Feld der Jugendkulturarbeit und Sozialen Arbeit eine Schlüsselrolle ein. Sie gilt als Leitmedium im Jugendalter; somit liegt die genderreflexive Betrachtung von Musikszenen und musikbezogenen Praxen auf der Hand (vgl. Gerards 2021:10).

Aktuell dominiert der Rap als ein Subgenre des HipHop (vgl. Calmbach et al 2020:202). Olad Aden von Gangway e.V., ein Berliner Träger der Straßensozialarbeit, der für seine professionellen Musik- bzw. Rap-Projekte bekannt ist, stellt nüchtern fest: „Die männlichen Jugendlichen überwiegen ganz klar.“ (Aden 2018:152) Mädchen* sind in jugendkulturellen Musikprojekten unterrepräsentiert und – auch dies bestätigt Aden – stereotypische Geschlechtsrollenbilder werden zementiert. Rap gilt auch heute noch als eine männlich dominierte Praxis, bei der Sprache ein wichtiges Medium für Botschaften ist. Mithilfe von Sprachspielen wird männliche Macht stabilisiert und somit der männliche Geschlechtshabitus reproduziert. Zwar betont die kritische Männlichkeits- und Rapforschung, dass diskriminierende Diskurse im Rap grundsätzlich aus einer intersektionalen Perspektive betrachtet und analysiert werden müssen, der heteronormativ und binär strukturierte Dualismus Mann/Frau gleichwohl zentral, die Kategorie Geschlecht machtvoll ist (vgl. Süß 2018:28ff; Süß 2021). Heidi Süß spricht sogar von einem „Backlash im Gender-Modernisierungsprozess des Rap“ (Süß 2018:33), der aktuell zu beobachten ist. Dass die männliche Dominanz im Rap offensichtlich ist, zeigt auch ein Beispiel aus der Jugendkulturarbeit – „HistoryHERstory of RAP“. Jugendliche bekamen die Aufgabe, die Geschichte des Rap anhand einer Zeitleiste von 1980 bis heute nachzuerzählen. Das Ergebnis: Der Zeitstrahl füllte sich schnell und meist mit cis-männlichen Protagonisten. Diese „HIStory“ wird zum Ausgangspunkt genommen, um mit Jugendlichen – seien es Mädchen*- oder FLINTA-Gruppen, gemischte oder auch reine cis-Jungengruppen – die Geschlechterfrage im Rap zu diskutieren, die HIStory zu dekonstruieren und eine HERstory of Rap zu entwickeln und erzählen (vgl. Groß/Jäger 2021:187).

Grundsätzlich festzuhalten gilt: Das Genre Rap an sich ist vielfältig, es reicht von hypermaskulinen Text- und Bildwelten des Gangsta Rap bis hin zu liberalisierten Formen, z.B. feministischen Rap oder den Rap der queeren Szene, den sogenannten HomoHop (vgl. Süß 2018:32; Süß 2021:11; Gerards 2021:7). Somit wäre es zu verkürzt, Rap nur als letzte Bastion traditioneller Männlichkeit zu sehen und diesen auf das mit Migration, Prekariat und Hypermaskulinität assoziierte Subgenre Gangsta-Rap zu reduzieren. Dennoch spielt dieser in sozioökonomisch deprivilegierten, prekarisierten und marginalisierten Jugendszenen eine nicht unerhebliche Rolle; schließlich werden hier, wie in keiner anderen Musik Rassismus- und Klassismuserfahrungen thematisiert (vgl. Groß/Jäger 2021:176). Der Mainstream-Rap ist männlich besetzt und mit heteronormativen Bildern durchsetzt (vgl. dito:7; Süß 2021, Sarabi 2022). Gleichzeitig wächst die Szene sowie öffentliche Wahrnehmung der erfolgreichen, feministischen und queeren Rapper*innen, die genau diese sexistischen und maskulinistischen Bilder dekonstruieren. Aus dem anglo-amerikanischen Raum kommt Cardi B, die in ihrem Song und dem dazugehörigen Video "WAP" „sexuelle Schlüsselbilder“ ausbreitet, „die man aus maskulin gesteuerten Inszenierungen kennt“ (Hentschel 2020). Ferner sind Missy Elliot, Jenner Hendrixx, eine schwarze Trans-Frau, oder Princess Nokia, „a radical intersectional feminist“ (Petridis 2017) bekannt. Im Deutschrap sind es z.B. Nura, AliceDee und FaulenzA. Eine der ersten deutschen feministisch-queeren Rapper*innen, Sookee ist vor einigen Jahren bewusst aus diesem männerdominierten System ausgestiegen. Der Grund: Die meisten Labels sind in männlicher Hand und nur Vermarktungserfolge zählen. Sie wechselte in das Genre der politischen Kinderlieder, um den nächsten Generationen alternative Bilder von Gesellschaft und Geschlecht zu vermitteln. Es sind gerade die weiblich gelesenen und queeren BIPoC-Rapper*innen, die mit ihrer Musik zunehmend gesellschaftliche Probleme ansprechen und den postmigrantischen jungen Menschen eine Stimme geben (vgl. Sarabi 2022). Wenn Rap, wie Marion Gerards schreibt, ein Ermächtigungsgefühl vermittelt (siehe: Marion Gerards „Genderreflexive Soziale Arbeit mit Musik“), dann birgt er auch für die Mädchen*kulturarbeit ein großes Potenzial.

Die auditive Seite von Musik ist heute mehr denn je mit der visuellen verbunden; Ton-, Text- und Bildwelten sind im jugendkulturellen Kontext nicht zu trennen; Musikvideos gehören zum jugendlichen Lebensalltag und führen laut JIM-Studie die Liste der beliebtesten Videos an (vgl. mpfs 2020:47). In diesen dominieren Männer und Geschlechterstereotype sowie sexualisierende Botschaften.

Was heißt das nun für die Mädchen*kulturarbeit? Ein Ausblick: Es wurde deutlich, Musik ist im Lebensalltag Jugendlicher im wahrsten Sinne des Wortes tonangebend; das gilt auch für den Rap als ein Genre der Jugendkultur HipHop. In der Musik ist die Differenzkategorie Gender allgegenwärtig, vielschichtig verankert und die Jugendkulturen offenbaren sprichwörtlich die Macht der Geschlechterdifferenzen, die weit über unterschiedliche Interessen von Mädchen* und Jungen* hinausgehen. Alle oben erwähnten gendertheoretischen Einordnungen greifen. Es bedarf unterschiedlicher und vielfältiger Ansätze in der Mädchen*kulturarbeit, um Musik als Ermächtigungsraum für Mädchen* zu öffnen: Es müssen Patriarchatsstrukturen systematisch hinterfragt, stereotypisierende und sexualisierte Frauen- und Geschlechterbilder dekonstruiert, intersektionale Diskriminierungs- und Exklusionsstrukturen und -mechanismen sichtbar gemacht und Wege der Veränderbarkeit d.h. des Performing Gender aufzeigt werden.

Gendered Spaces II: Kultur- und Medieninteressen

Unter der Überschrift „Einige Freizeitaktivitäten sind geschlechts- und lebensweltspezifisch“ stellt die Sinus-Jugendstudie kurz und knapp fest:

„Während die Jungen Action und Wettbewerb suchen, gern Fußball und auf der Videokonsole spielen, Kampfsport betreiben und sich für technische Themen interessieren, mögen die Mädchen lieber klassische kreative und intellektuelle Aktivitäten wie Zeichnen, Malen, Tanzen und Lesen.“ (Calmbach et al. 2020:202)

Diese Zuordnungen führen uns vor Augen, wie sich das Freizeitverhalten der Kinder und Jugendlichen im Alter von 14-17 Jahren sowie deren Kultur- und Medieninteresse geschlechtsstereotypisch sortiert. Andere Untersuchungen, wie die JIM-Studie, die den Zusammenhang von Jugend, Information und Medien der 12-19-Jährigen fokussieren, bestätigen das Bild. Z.B. greifen 87% der Mädchen* zum Buch und 12% nie; bei den Jungen* sind es 68%, die Bücher lesen, und 23% nie (vgl. mfps 2021:22). Auch wenn das Musizieren als „eine eher weibliche Domäne“ (mpfs 2020:12, 69) gilt, war hier der Unterschied mit 26% zu 19% nicht ganz eklatant (vgl. Rat für Kulturelle Bildung 2015; siehe: Bettina Heinrich „Das Problem mit der Komplexität der Diversität und ihrer Differenzkategorien – eine kursorische Spurensuche mit Fokus auf Gender“). Anders ist das bei den Digitalen Spielen; 72% der Jugendlichen spielen regelmäßig, 84% der Jungen* täglich oder mehrmals die Woche gegenüber 59% der Mädchen* (vgl. mfps 2021:57). Auch die Spielpräferenzen unterscheiden sich – Mädchen* präferieren die ‚Die Sims‘, ‚Super Mario‘ und ‚Candy Crush‘ und Jungen* ‚FIFA‘, ‚Call of Duty‘ und ‚Fortnite‘ (vgl. mpfs 2021:59).

Mädchen* scheinen – so die Schlussfolgerung – tendenziell eine höhere Affinität zur klassischen und analogen Kulturwelt zu haben. Interessant ist, dass sich dies beruflich nicht auszahlt. Auch wenn das grundsätzliche Verhältnis zwischen Künstlerinnen (48,2%) und Künstlern (51,8%) ausgewogen ist, so zeigen sich deutliche Unterschiede bei den Einkommen. Der Gender Pay Gap ist hoch und variiert erheblich; er beträgt 20,4% im Genre Musik und 32,9% im Genre Darstellende Kunst (vgl. KSK 2021).

Natürlich muss nicht jedes Mädchen* den Weg in den professionellen Kunstbetrieb finden und es ist auch nicht Aufgabe der Mädchen*kulturarbeit, diesen für ihre Adressat*innen zu ebenen, aber die Kontrastierung der Kulturinteressen von Mädchen* mit den beruflichen Realitäten von Künstler*innen offenbart aus gendertheoretischer Perspektive die Komplexität nicht vorhandener Teilhabechancen und -gerechtigkeiten für Mädchen* und Frauen*. Die Bilanz ist ernüchternd:

  • Erstens: Mädchen* scheinen ausgeprägter kulturaffin zu sein.
  • Zweitens: Die Alltags- und Freizeitgestaltung von Mädchen* und Jungen* legen Zeugnis von der alltäglichen Konstruktion von Geschlecht ab.
  • Und drittens: Die beruflichen Realitäten von Künstlerinnen* zeigen die Wirkmacht patriarchaler Strukturen, die – selbst wenn es nicht verwundern mag – auch im Kunstbetrieb offensichtlich sind.

Gendered Spaces III: Medienwelten

Medienwelten bestimmen den jugendlichen Alltag und somit muss der Blick vor allem in zwei Richtungen gelenkt werden. Zum einen interessieren die Medieninhalte und die vordergründig schlichte Frage, wie es mit den Geschlechterrepräsentanzen in den Medien aussieht; im Fokus stehen vor allem Fernseh- und Filmproduktionen. Zum anderen werden die Geschlechterwelten in den Sozialen Medien betrachtet, in denen die Grenzen zwischen Rezeption und Produktion sowie privat und öffentlich aufgehoben sind. Welche Geschlechterbilder werden produziert – z.B. bei den Influencer*innen und wie bewegen sich die Mädchen* in diesen digitalen und privat-öffentlichen Räumen?

Geschlechterrepräsentanzen in den Medien

Im Jahr 1975 wurde die erste Studie zur Repräsentanz von Frauen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die sogenannte Küchenhoff-Studie publiziert; wichtiges Ergebnis war, dass Frauen „eklatant unterrepräsentiert“ sind (Wischermann 2020:1; vgl. Hipfl 2021). 42 Jahre später kommt eine von der MaLisa Stiftung initiierte Studie „Audiovisuelle Diversität? Über Geschlechterdarstellung in Fernsehen und Film in Deutschland“ zu ähnlichen Ergebnissen:

  1. Frauen sind in Film und Fernsehen deutlich unterrepräsentiert (33% zu 67%);
  2. wenn Frauen vorkommen, sind sie jung und ‚U 30‘.
  3. Männer erklären noch immer die Welt – sie sind die Experten (79%), Journalisten (64%) und Sprecher (72%) (vgl. Prommer/Linke 2017).

Ein weiteres Ergebnis ist noch ernüchternder: Im Kinderfernsehen ist nur ein Viertel der Hauptfiguren weiblich und in der Fantasiewelt kommen auf neun männliche Tierfiguren eine weibliche (vgl. dito ). Im Zeichentrickbereich sind die Körper von weiblichen Figuren (z.B. Elfen) eher hypersexualisiert. Jungen*figuren wiederum haben ein polarisiertes Image; sie sind entweder Superhelden oder lustige Loser (vgl. Götz 2019b:1). Fernsehen nimmt im Freizeitleben von Kindern im Alter von sechs bis 13 Jahren den ersten Platz ein; 95-97% nutzen den Fernseher, schauen im Schnitt 82 Minuten fern, gemeint ist hier in erster Linie das lineare Fernsehprogramm. Anders als für Jugendliche ist für Kinder das Fernsehen somit das wichtigste Medium; sie verbringen täglich nur 45 Minuten im Internet (vgl. BMBF 2020:299; mpfs 2021:43).

Vor dem Hintergrund der Geschlechterrepräsentanzen und des Doing Gender im deutschen Kinderfernsehen wundern auch die Ergebnisse der Sinus-Jugendstudie wenig. Fast alle Jugendlichen haben Vorbilder, d.h. suchen Orientierung. An erster Stelle steht mit 40% die Familie und meist wird hier die Mutter genannt und an zweiter Stelle mit 22% Personen aus dem Bereich Entertainment; dazu gehören Musik, YouTube, TV, Film. Allerdings – und das ist die wichtige Aussage – Mädchen nennen nur männliche Vorbilder (vgl. Calmbach 2020:221).

Die geschlechterstereotypisierenden und -diskriminierenden Beharrungskräfte sind im Fernsehen somit offensichtlich. Wischermann resümiert:

„Obwohl sich das Verhältnis zwischen Männern und Frauen historisch und aktuell als durchaus flexibel und veränderbar erwiesen hat, blieb das fast ohne Auswirkungen auf die (Re)Präsentation der Geschlechter in den Medien. Im Gegenteil, die geschlechtsspezifischen Darstellungen sind nach wie vor sehr stabil.“ (Wischermann 2018:2)

Die Beharrungskräfte bei den Medieninhalten hängen mit jenen bei der Medienproduktion zusammen, denn die Produktionsmacht im TV-Bereich liegt nach wie vor in der Hand von Männern (vgl. Götz 2019b:5).

Die „Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität“ der Universität Rostock aus dem Jahr 2021, die weitere Differenzkategorien miteinbezogen hat, zeigt zwar, dass sich mit Blick auf Gender einiges getan hat, aber die Diversität der Gesellschaft im deutschen Fernsehen gleichwohl nicht annähernd abgebildet wird; Menschen, die als homosexuell oder bisexuell gelesen werden können, Menschen mit Migrationsgeschichte und People of Colour waren unterrepräsentiert (vgl. Prommer/Stüwe/Linke 2021).

Vor dem Hintergrund der erwähnten ‚Kultivierungseffekte‘, die mit der medialen Verbreitung tradierter Geschlechter und Gesellschaftsbilder verbunden ist, wird die Bedeutung und Notwendigkeit einer intersektional ausgerichteten und Mädchen*kulturarbeit offensichtlich.

Soziale Medien: Produktion und Reproduktion von Geschlechterbildern

Zur Einführung einige Zahlen zum Online-Leben der ‚Generation Internet‘: Im Jahr 2018 nutzten 99% der Jugendlichen das Internet täglich, 68% „stimm[t]en zu, dass ein Leben ohne Internet für sie nicht vorstellbar wäre“ und „69% gingen [gehen] so weit zu sagen, dass das Internet sie glücklich macht“ (DIVSI 2018:12). Laut JIM-Studie waren im Jahr 2021 WhatsApp (78%), Instagram (37%), YouTube (27%) und TikTok (22%) die beliebtesten Plattformen bei der Smartphonenutzung der 12-19-Jährigen Jugendlichen. Mädchen* bevorzugen nach WhatsApp (80%) vor allem Instagram (42%) und TikTok (29%) und Jungen* YouTube (33%) (vgl. mpfs 2021:33f). Die meisten Forschungen gibt es bisher zur YouTube-Nutzung; in der Regel sind diese der Medieninhaltsforschung zuzuordnen (vgl. Döring 2019). Auch bei YouTube ist das Panorama an geteilten Geschlechterrealitäten zu finden: 75% der weltweiten YouTube-Stars sind Männer; unter den TOP 50 der meistabonnierten YouTube-Kanäle in Deutschland befinden sich nur fünf von jungen Frauen (vgl. Döring 2019:3ff).

Nun zu den inhaltlichen Aspekten, die aufgrund der Männerlastigkeit bei den YouTube-Stars und der erwähnten Analysen von Musikvideos wenig erstaunen mögen: Auf YouTube dominieren so genannte Mainstream-Inhalte, die tradierte Geschlechterrollen vermitteln. Das trifft auch auf Instagram zu, eine Plattform, die weltweit eine Milliarde Nutzer*innen hat; hier spielen Influencer*innen eine zentrale Rolle. Sie sind ein noch relativ junges Phänomen, „bei dem Personen aus eigenem Antrieb Inhalte (Text, Bild, Audio, Video) zu einem Themengebiet mit regelmäßiger und hoher Frequenz veröffentlichen und damit eine soziale Aktion initiieren“ (Götz/Becker 2019:1); sie sind gewissermaßen private Personen des öffentlichen Lebens. Ihre wichtigste Währung ist die Kredibilität; diese wird nicht durch journalistisches Handwerk, sondern durch kulturelle Performanz erworben (vgl. BMFSFJ 2020:301). Nun ein Blick auf die Influencerinnen: Sie finanzieren sich in der Regel über die Vermarktung von Produkten Dritter – meist aus dem Beauty- und Lifestylebereich. Grundlage ist ein erfolgreiches Selbst-Branding, das oft ähnlich hergestellt wird, z.B. über Bilder in privaten Situationen, mit dem Freund, in der Schwangerschaft (vgl. dito). Ob YouTuberinnen oder Influencerinnen auf Instagram, sie erzielen große Reichweiten und somit stellt sich die Frage, welche Bilder und Geschlechterbilder in den Kanälen der digitalen Öffentlichkeit transportiert werden. Um es vorwegzunehmen: ähnliche. Die Top YouTuberinnen und die Top-Instagrammerinnen betreiben in erster Linie Lifestyle-Kanäle; es dominieren feminin konnotierte Themen – Schminken, Shoppen, Stylen (vgl. Döring 2019:6; Götz/Becker 2019).

Jenseits der Themen, die auf YouTube verhandelt werden, lohnt ein Blick auf die Bildsprache. Im Jahr 2019 werteten Götz und Becker 300 Bilder auf den Accounts der 10 followerstärksten Instagrammerinnen inhaltsanalytisch aus. Die Anzahl der Follower*innen reichte von 14,3 Mio. bei Lisa und Lena bis 2,5 Mio. bei Dilara Avci (vgl. Götz/Becker 2019:21f). Zwar waren die meisten Bilder (78%) nicht sexualisiert, aber die vermeintliche Individualität löste sich in Mainstream-Botschaften auf, d.h. es waren überindividuelle, wiederkehrende Stories sowie Details bei den Posen, der Mimik und dem Blickverhalten zu erkennen. Die ästhetische Selbstpräsentation stellte den eigenen Körper in den Mittelpunkt und folgt drei grundlegenden Mustern – die „erotisch Attraktive“, die „sympathisch Naive“ oder „schöne, beiläufig Fotografierte“ (dito:31). Heteronormative, geschlechterstereotypische Mainstream-Weiblichkeitsbilder sind bei den zehn erfolgreichsten Influencerinnen, die in Summe immerhin 54,5 Mio. Follower*innen hinter sich vereinen, dominant.

Es wundert somit nicht, dass auch die Selbstinszenierung von Mädchen* (vgl. Götz 2019a:17) auf Instagram, ihre hier präsentierten Identitätsfacetten diesem Muster bzw. den Beauty-Influencerinnen folgt; sie sind wie „virtuelle große Schwestern“ (Döring 2019:6). Selbstsexualisierung wird zwar abgelehnt, aber der ‚schöne‘ Körper wird auf Instagram perfekt inszeniert und hat den Charakter einer Visitenkarte. Die Inszenierung der eigenen Person entspricht letztendlich den Vorgaben der Mode- und Schönheitsindustrie. Mädchen* und Jungen* ähneln sich grundsätzlich bei dem, was ihnen bei der Selbstinszenierung der Bilder wichtig ist. An erster Stelle steht „gut gelaunt“ (Götz 2019:19), zu sein, an zweiter Stelle natürlich zu erscheinen. Nur beim Kriterium „möglichst schlank“ (Götz 2019:17) auszusehen, gibt es deutlichere Unterschiede – 81% der Mädchen ist das wichtig und nur 57% der Jungen. Es wird ein hoher Anspruch an Selbstoptimierung gestellt, die Haare müssen perfekt sein, die Figur schlank, die Zähne gebleicht, die Pickel entfernt und die Posen und Orte werden denen der Influencerinnen nachgestellt, das Aussehen über Filter optimiert. Zwar wollen die Jugendlichen dem eigenen Anspruch nach natürlich aussehen, aber das funktioniert offensichtlich nur durch nachbessern. Diese Nachjustierungen sortieren sich wiederum eindeutig geschlechtsstereotypisch. 70% der Mädchen optimieren die Haut über Filter und nur 26% der Jungen; 30% der Mädchen korrigieren das Makeup und nur 1% der Jungen und – last but not least – 40% der Jungen machen ihre Schultern breiter und 0% der Mädchen (vgl. Götz 2019a:1-9). Götz kommt zu dem Schluss:

 „Im ständigen Vergleich mit den Influencerinnen nehmen sie ihren Körper weniger perfekt wahr, was bereits durch den aktuellen Forschungsstand gut belegt ist, und versuchen die „Unperfektheiten“ an ihrem eigenen Körper in ihren Selbstinszenierungen möglichst zu überdecken.“ (Götz 2019a:8)

Mit der sozialkonstruktivistischen Brille gesehen wird deutlich, wie in sozialen und kulturellen Praktiken ‚Geschlecht‘ immer wieder hergestellt wird – bei der Selbstinszenierung von Influencerinnen und quasi als Kopie, jener der Mädchen*. Der Selbstoptimierungsdruck, der auf Mädchen* lastet, ist enorm und zeigt einmal mehr, welche Macht das neoliberale Geschlechterregime mit ihrer Prämisse der optimierten managerialen Selbststeuerungen des Selbst hat (vgl. McRobbie 2016). Maya Götz resümiert:

„Aufgabe sollte sein, Mädchen heute vom Perfektionsdruck, der auf ihrer Selbstinszenierung liegt, mehr zu entlasten und sie in der Entwicklung ihrer eigenen Individualität zu unterstützen.“ (Götz 2019a:19)

Jenseits dieser Mainstream-Angebote gibt es auf den bekannten Social-Media-Plattformen auch sogenannte Nischen-Känale, die alternative role models anbieten – z.B. auf YouTube Mädchen* und Frauen* aller Altersgruppen und Körperformen, die ihre Beauty-Styles vom Krankenbett oder Rollstuhl aus präsentieren oder Personen aus der BIPoC- und LGBTIQ*-Community. Wichtig sind zudem Angebote, die den Umgang mit Krisen, Krankheiten, Gewalterfahrungen thematisieren und für Mädchen* wie für Jungen* die Funktion digitaler Selbsthilfe-Kanäle haben. Allerdings sind besonders die feministischen Kanäle und jene aus dem LGBTIQ*-Kontext nicht selten Anfeindungen, Belästigungen, Hasskommentaren und Diffamierungskampagnen ausgesetzt, die bis hin zu Morddrohungen reichen (vgl. Döring 2019).

Die Social-Media-Realitäten offenbaren, wie komplex die Anforderungen an die Mädchen*arbeit und Mädchen*kulturarbeit sind, die beide Pole dieser Realitäten im Blick ihrer pädagogischen Arbeit haben muss. Auf der einen Seite steht das Disempowerment-Risiko durch eine Social-Media-Welt, in der das Doing-Gender, die Produktion und Reproduktion überholter Geschlechterstereotypen dominiert. Auf der anderen Seite sind es die Empowerment-Potenziale, die diesen digitalen Lebenswelten innewohnen. Mädchen* und junge Frauen* bewegen sich – auch über Beauty-Kanäle – in geschlechtshomogenen, sozialen Kommunikationsräumen, finden hier Unterstützung und ‚Community‘; das gleiche gilt für die genannten Nischen-Kanäle.

Doing, Undoing, Perfoming Gender in den Lebenswelten Jugendlicher: Perspektiven für die Mädchen*arbeit und Mädchen*kulturarbeit

Kulturelle Praktiken spielen im Leben und im Alltag von Jugendlichen eine zentrale Rolle und egal, welche man betrachtet, die Kategorie ‚Geschlecht‘ ist immer wirkmächtig. Ob HipHop, Rap, Musikvideos, Kinderfernsehen oder Social-Media-Aktivitäten: es sind Gendered Spaces und das Doing-Gender zieht sich durch. Tradierte und ‚eigentlich‘ überholte Geschlechtsrollenbilder dominieren und Sexismen sind keine Seltenheit. Besonders in den Sozialen Medien und auf den Mainstream-Plattformen ist der Postfeminismus mit dem Bild der rundum optimierten Frau präsent. Nachhaltig gestützt wird dieses System durch patriarchale Strukturen im Kultur- und Medienbereich, die offenbaren, dass Teilhabegerechtigkeit für Mädchen* und junge Frauen* zum Teil nicht einmal in Ansätzen hergestellt ist: Künstler verdienen deutlich mehr, die für jugendliche Lebenswelten wichtige Musikbranche ist männerdominiert, die TV- und Videoproduktion liegt vor und hinter der Kamera in den Händen von Männern; das gleiche gilt für Online-Kanäle. Nicht zu vergessen ist die Macht der Algorithmen, die in der digitalen Welt für immer neue, dem bisherigen Nutzungsverhalten entsprechende Angebote sorgt. Gleichzeitig existiert in den Jugendkulturen und Sozialen Medien die Gegenwelt des Undoing- und Performing Gender, die kleiner ist, aber wächst. Die Doing Gender-Realitäten spiegeln sich in den Forschungsschwerpunkten der Kommunikations- und Medienwissenschaften wider; Undoing und Performing Gender-Praktiken stehen – noch – weniger im Fokus der wissenschaftlichen Analysen.

Die kulturellen, jugendkulturellen und medialen Lebensrealitäten von Mädchen* sind vielfältig; eine Aufgabe und Herausforderung ist, diesen mit einem kritisch-optimistischen Blick (Süß/Lampert/Trültzsch-Wijen 2018:20ff) zu begegnen und eben diese komplexen Lebenswelten zu zum Gegenstand der kultur- und medienpädagogisch ausgerichteten Mädchen*kulturarbeit zu machen. Sicherlich braucht es auch eine gendersensible und intersektional ausgerichtete Kulturelle Bildung sowie Jungen*kulturarbeit, aber vor dem Hintergrund faktisch noch vorhandenen Teilhabeungerechtigkeiten einerseits der kulturpädagogischen Maxime der Teilhabegerechtigkeit und des Empowerments, andererseits sollten wir wieder mehr Augenmerk auf die Mädchen*kulturarbeit legen. Folgende Ziele stehen – immer noch – im Mittelpunkt:

  1. Mädchen* durch kulturelle Praxis zu stärken – egal ob sie tanzen, schreiben oder rappen wollen;
  2. ihre kulturelle Praxis sichtbar und öffentlich zu machen – eben das, was sie machen, auf die Bühne zu bringen, zu streamen, zu posten und zu drucken;
  3. ihnen Räume zu eröffnen, d.h. aktiv Zugänge zu Welten zu verschaffen, die ihnen nachweislich mehr verschlossen sind als Jungen* – z.B. im Film-, Musik-, Onlinebusiness.

Und zur Mädchen*kulturarbeit gehört, die institutionellen und politischen Strukturen der faktisch noch vorherrschenden Macht der Männer im Kultur- und Medienbereich immer zu hinterfragen. Schließlich ist die Mädchen*kulturarbeit gefordert, die komplexen, von unterschiedlichen Differenzmerkmalen geprägten Lebensrealitäten von Mädchen* in den Blick zu nehmen. Die Omnipräsenz tradierter Geschlechterordnungen und -bilder in den analogen und digitalen Lebenswelten hat über Kultivierungseffekte in der Identitätsbildung der Mädchen* und jungen Frauen* Spuren hinterlassen; parallel gibt es analoge wie digitale Nischen-Welten, die alternative und vielfältige Geschlechterbilder und -positionen aufzeigen. Schon seit Jahren wird gefordert, der Gendersensibilität von Fachkräften und Multiplikator*innen im Kultur- und Medienbereich mehr Augenmerk zu schenken (vgl. Döring 2019:9). 

Die Fachkräfte der Kulturpädagogik sowie der Mädchen*kulturarbeit stehen letztendlich vor einer grundlegenden Herausforderung. Auf der einen Seite sind es die Prinzipien der Jugendarbeit und Sozialen Arbeit – die Lebenswelt- und Interessenorientierung –, die wegweisend sind und uns auffordern, vor allem akzeptierend zu arbeiten. Auf der anderen Seite steht der Anspruch, mit der kulturpädagogischen Arbeit transformierend zu wirken; gemeinsam mit den Mädchen* das Doing Gender dekonstruieren, ihnen neue Wege in Richtung Undoing und Performing Gender zu eröffnen – ohne jedoch ihre Lebenswelten zu dekonstruieren. Gerahmt wird diese Herausforderung durch den professionellen Selbstanspruch pädagogischer und sozialpädagogischer Fachkräfte, sich auf die analogen und digitalen Lebenswelten der Mädchen* einzulassen und ihr Expert*innentum zum Ausgangspunkt ihres Handelns zu nehmen.

Deutlich wurde, wie wichtig die multidisziplinär, feministisch wie intersektional geprägte fachliche Kontextualisierung ist: So liefern die Kommunikations- und Medienwissenschaften, die Soziale Arbeit, die Jugendarbeit, die Kultur- und Bildungsarbeit jeweils unterschiedliche Analyseperspektiven, damit Grundlagen für das kulturpädagogische Handeln und letztendlich den Beleg, dass Mädchen*kulturarbeit unverzichtbarer Bestandteil der Kulturpädagogik ist und auch fünfzig Jahre nach ihren ersten Aufbrüchen sein muss.

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Bettina Heinrich (2023): Gendered Spaces?! Kultur und Medien als Lebenswelten von Mädchen* . In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://kubi-online.de/index.php/artikel/gendered-spaces-kultur-medien-lebenswelten-maedchen (letzter Zugriff am 16.07.2024).

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