Feedbackkultur als Aufgabe praxisbezogener Theoriebildung in der Kunstpädagogik
Abstract
Das Rückmelden während Gestaltungsprozessen im Sinne eines formativen Feedbacks, eines gemeinsamen Besprechens und Reflektierens, zählt zu den zentralen Aufgaben in schulischen sowie auch außerschulischen künstlerischen Bildungsprozessen. Im vorliegenden Beitrag wird Feedback als situierte Praxis im Unterrichtsgeschehen verstanden und seine potenzielle Wirkmächtigkeit und Komplexität als solche herausgestellt, denn: Feedback berührt grundlegende Fragen der Kommunikation und Interaktion in Lehr-Lern-Prozessen sowie Fragen nach der Ausgestaltung einer Unterrichtskultur und betrifft auch handlungsleitende Aspekte der Haltung von Lehrpersonen. Die Ausgestaltung einer lernförderlichen Feedbackkultur birgt für Studierende sowie für (angehende) Lehrpersonen besondere Anforderung im berufspraktischen Handeln. Entsprechend scheint es angezeigt, bereits in der Lehrer*innenbildung Feedback nicht nur auf einer planerisch-konzeptuellen Ebene zu thematisieren, sondern auch eine handlungspraktische Auseinandersetzung anzubahnen. Der vorliegende Beitrag kann dahingehend zur Orientierung und Anregung dienen und zeigt zugleich weiterführende (Forschungs-)Desiderate auf.
Lehrpersonen stehen im alltäglichen Kunstunterrichten immer wieder vor der Anforderung, bildnerische Prozesse und damit Lernhandeln von Schüler*innen rückzumelden, um Lernprozesse zu unterstützen und die Lernenden in ihren je eigenen Ideen und Gestaltungsvorhaben zu begleiten. Constanze Kirchner und Johannes Kirschenmann sprechen dabei sogar von einer ausgeprägten Feedbackkultur, die für ein erfolgreiches Lernen im Kunstunterricht notwendig ist (Kirchner/Kirschenmann 2015:192). Dies beinhaltet nicht nur ein abschließendes Begutachten von entstandenen Arbeiten im Sinne einer summativen Rückmeldung, sondern insbesondere geht es um eine individuelle Begleitung gestalterisch-künstlerischer Lernprozesse und damit um formative Beurteilungsprozesse.
Formativen Beurteilungsprozessen im Sinne eines Rückmeldens, Reflektierens und gemeinsamen Besprechens wird im kunstpädagogischen Diskurs insgesamt ein hoher Stellenwert beigemessen (u.a. Amado 2017; Bader 2019; Berner 2016; BDK 2019; Harms 2020; Kirchner/Kirschenmann 2015; Mügel/Wetzel 2016; Wetzel/Mügel 2019; Penzel 2018; Seydel 2012). Während zum Beurteilen viele insbesondere auch fachspezifische methodische Formate vorliegen (z.B. Peez 2014), gibt es bisher nur wenige kunstdidaktische Ansätze, die Unterrichtspraxis im Zusammenhang mit Feedback empirisch untersuchen (z.B. Bader 2019; Orth 2018) oder den bisherigen Forschungsstand zu Feedback (vgl. Hattie/Timperley 2007, 2016) aufnehmen und systematisch sowie fachspezifisch für das Fach Kunst und dessen Anforderungen in der Begleitung und Prozesshaftigkeit weiterdenken (z.B. Inthoff 2017; Kirchner/Kirschenmann 2015; Sowa 2015; Truniger 2019).
Für Studierende sowie (angehende) Lehrpersonen gleichermaßen bedeutet dieses Forschungsdesiderat eine besondere kunstdidaktische Anforderung im berufspraktischen Handeln. Sie sind gefordert, einerseits geeignete Praxen des Rückmeldens zu entwickeln und damit andererseits die formativen Beurteilungsprozesse an den Anforderungen des fachlichen Lernens der Schüler*innen auszurichten.
Im Anschluss daran widmet sich der vorliegende Beitrag einer Bestandsaufnahme, die neben kunstpädagogischen auch interdisziplinäre Ansätze aufgreift und im Hinblick auf fachspezifische Implikationen betrachtet. Davon ausgehend werden weiterführende Fragen und Desiderate skizziert, die für (angehende) Lehrende an (Hoch-)Schulen und Forschende Anregungen bieten.
Verändertes Rollenverständnis
Verschiedene Vorstellungen und Theorien zum Lehren und Lernen und zur Bildung grundieren den (kunst-)pädagogischen Diskurs rund um das Feedback. Seit den 1990er-Jahren zeichnet sich ein Paradigmenwechsel in der Nomenklatur der Lernbegleitung/-beratung ab, der weg von der Instruktion (durch Lehrende) hin zur Konstruktion (seitens der Lernenden) führt (vgl. Dubs 2009; Helmke 2017). Im Rahmen einer konstruktivistischen Auffassung von Lernen und Konzepten selbstgesteuerten Lernens wird davon ausgegangen, dass Schüler*innen ihre eigenen Lernprozesse aktiv steuern bzw. steuern sollen (vgl. ebd.). Aus theoretischer Perspektive kann dies dazu führen, dass Lehren als „unwirksam“ angesehen und potenziell marginalisiert wird – bis hin zu einer „bloßen Begleitung der Lernenden“ (Meyer-Drawe 2013:91). Werden „Lernende als Manager ihrer selbst“ aufgefasst, kann zugleich aus dem Blick geraten, „dass sich Lernende auch selbst schützen, um sich und ihr Wissen nicht aufs Spiel setzen zu müssen“ (ebd.:91). Bereits 1999 gab Gunter Otto für den Kunstunterricht zu bedenken, dass “eine unserer Devisen ist, den Schüler da abzuholen, wo er ist. Müssten wir nicht auch in die andere Richtung denken: den Schüler dahinzuschicken, wo er noch nie war?” (Otto 1999:199). Insbesondere bequeme Lernende müssen aus der Komfortzone gelockt werden (vgl. Truniger 2017:85), um in die Zone der nächsten Entwicklung (Vygotsky 1978) zu gelangen. Michael Wimmer (2010) zufolge sind die Erfahrungen des Fremden und die Beziehungen zum Anderen konstitutiv für die Bildung des Subjekts und solche Beziehungen „lassen sich kaum als harmonische Partnerschaftsverhältnisse oder als hilfsbereite Lernhelferdienste begreifen. Lehrer sein heißt, der Andere des Anderen zu sein“ (Wimmer 2010:27). Gerade im Fach Kunst und im Rahmen kreativer, gestalterischer Prozesse besteht eine besondere Herausforderung darin, Lernende dazu anzuregen, sich auf neue, ungewohnte und potenziell irritierende Erfahrungen sowie auf Unvorhergesehenes und Unvorhersehbares einzulassen. Lehrende bewegen sich somit als Lernbegleiter*innen und Feedbackgebende in einem Spannungsfeld zwischen bewusster Zurückhaltung (Beobachtung, Begleitung, Ermöglichung) und Involviertheit (Intervention, Irritation) (vgl. Amado 2017; Bader 2019; Berner & Strasser 2020; Truniger 2019).
Begriffliche Annäherung
Feedback als Begriff ist mit vielfältigen Bedeutungsnuancen und Vorstellungen verbunden (vgl. Fengler 2010). Daher werden hier auch angrenzende Begriffe und Konzepte berücksichtig (z.B. Coaching, Lernbegleitung). Der Begriff Feedback stammt ursprünglich aus der Kybernetik und meint die Rückmeldung oder Rückkoppelung von Informationen (vgl. Fengler 2010:6). In den Sozialwissenschaften hat sich davon ausgehend eine gruppendynamische Konzeption herausgebildet, die Feedback als gemeinsame Verständigungsleistung von zwei oder mehr Personen definiert (ebd.:8). Jörg Fengler zufolge dient ein Geben und Annehmen von Feedback im Sinne eines gegenseitigen Rückmeldens von Eindrücken, die Menschen voneinander haben, einer Klärung und Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen (Fengler 2010:6). Diese Auffassung von Feedback geht von einer Begegnung auf Augenhöhe aus und widmet sich grundlegenden Dimensionen kommunikativer Prozesse, die auch im schulischen Kontext bedeutsam sind. Damit ist eine Nähe zu Konzepten des Coachings gegeben, die sich eingehend mit der Beziehungs- und Gesprächsgestaltung in Beratungssituationen beschäftigen (z.B. Eschelmüller u.a. 2020; Hardeland 2019; Truniger 2019, 2017).
Interdisziplinäre Theorien und Erkenntnisse als Ausgangslage fachdidaktischer Überlegungen
Da die Auseinandersetzung mit Feedback im kunstpädagogischen Diskurs bislang wenige systematische und empirische Erkenntnisse hervorgebracht hat, dient hier eine kurze Darstellung ausgewählter Theorien und Erkenntnisse aus John Hatties Meta-Studie als Ausgangspunkt für fachspezifische Überlegungen.
Feedback ist Hattie zufolge einer der „wirksamsten Moderatoren des Lernens“ (Hattie 2017:131) und somit wesentlich für erfolgreiches Lehren und Lernen. Zugleich zeigen sich die Effekte von Feedback als höchst variabel und gar rätselhaft (vgl. ebd.). Rückmeldungen können nicht nur eine positive Weiterarbeit ermöglichen, sondern auch zu Frustration führen (vgl. Kirchner/Kirschenmann 2015:193) sowie unvorhergesehene und unbemerkte Nebeneffekte auslösen (vgl. Bader 2019:252f). Dabei spielt nicht nur das Geben von Feedback sondern auch der Umgang mit erhaltenem Feedback eine wesentliche Rolle (vgl. Behnke 2016:19ff). Gutes, lernförderliches Feedback kann also als voraussetzungsvoll gelten und ist mit hohen Anforderungen an die Feedbackgebenden sowie Feedbacknehmenden verbunden (vgl. Degeling 2019:313).
Wirkungsvolles Feedback kann zunächst allgemein als Information verstanden werden, die ein*e Akteur*in vermittelt und die sich auf Aspekte der eigenen Leistung oder des Verständnisses bezieht (vgl. Hattie/Timperley 2016:204). Impulsgebend können sowohl Lehrpersonen, Peers, Eltern sowie eigene Erfahrung und Gedanken als auch Artefakte und Objekte (Bücher, Internet) sein (vgl. ebd.). Empirisch betrachtet ist Peer-Feedback in der Unterrichtspraxis besonders häufig anzutreffen, bezüglich dessen Qualität jedoch kritisch einzuschätzen (vgl. Hattie 2017:139), weshalb eine Förderung differenzierter Rückmeldungen unter Lernenden – beispielsweise durch Impulsfragen – angezeigt erscheint (vgl. ebd.:149; vgl. Truniger 2019, Inthoff 2017).
Das Ziel von Feedback ist es, mit Hilfe der zur Verfügung gestellten Informationen „die Lücke zwischen dem, wo die Schülerin oder der Schüler ‚ist‘, und dem, wo sie oder er ‚sein soll‘ zu verkleinern – also zwischen der vorherigen Leistung, der aktuellen Leistung und den Erfolgskriterien.“ (Hattie 2017:131) Dies erfordert eine möglichst genaue Bestimmung von ‚ist‘ und ‚soll‘, womit u.a. die Bedeutung einer differenzierten Lernstanddiagnose und Planung im Hinblick auf Lern-/Kompetenzziele angesprochen wird (vgl. Degeling 2019).
Wirkungsvolles Feedback beantwortet drei Fragen, die von Lehrpersonen und/oder Lernenden gestellt werden (vgl. Hattie/Timperley 2016:211): „feed up“ – Wo gehe ich hin? – fragt nach dem Grad der Zielerreichung mit Blick auf die angestrebte Aufgabe; „feed back“ – Wie komme ich voran? – fokussiert aktuelle Fortschritte, (Miss)Erfolge im Rahmen von (Teil-)Aufgaben oder im Hinblick auf angestrebte Ziele; „feed forward“ – Wohin geht es danach? – ist auf Aktivitäten ausgerichtet, die ein weiteres Voranschreiten im Lernprozess ermöglichen, z.B. mit Blick auf weitergehende Herausforderungen, tieferes Verstehen oder mehr Selbstregulation. Eine ähnliche Konzeption findet sich in der Kunstpädagogik bei Kirchner und Kirschenmann in Bezug auf Selbsteinschätzungen: Zu berücksichtigen seien Lernstand (Welches Können ist vorhanden?), Ziel (Was soll gelernt werden?) und Anschluss (Was ist der persönliche Fortschritt, wo liegt Weiterentwicklungsbedarf?) (vgl. Kirchner/Kirschenmann 2017:193f).
Weiter können vier Ebenen differenziert werden, an die sich Feedback richten kann (vgl. ebd.:214ff): (1) Auf die Aufgabe bzw. wie gut diese verstanden und/oder realisiert wird, (2) auf den Prozess und was zu tun ist, um die Aufgabe zu verstehen und/oder zu realisieren sowie (3) auf die Selbstregulation, womit u.a. die Bereitschaft Feedback einzuholen, anzunehmen oder die Eigenständigkeit von Lernenden angesprochen werden. (4) Schließlich kann sich Feedback auch auf eine persönliche Ebene beziehen, wobei diese nicht im Fokus stehen sollte, da Feedback nicht primär auf die Person sondern auf deren Lernen ausgerichtet sein sollte. Mit Blick auf Selbstwirksamkeitserfahrungen der Lernenden ist daher wichtig zu unterscheiden ob Lob/Tadel auf personenbezogene Eigenschaften zielt, die eher als gegeben und stabil angenommen werden (z.B. „du bist talentiert“) oder auf Aspekte der Selbstregulation, die lernbar und entwickelbar sind (z.B. Anstrengung und Hingabe) (vgl. ebd.:S.221).
Feedback erfolgt schließlich idealerweise genau rechtzeitig und maßgeschneidert für die jeweils angesprochenen Schüler*innen, also speziell auf den Punkt ausgerichtet, an dem sie sich im Lernprozess befinden und genau das thematisierend, was die Schüler*innen je individuell brauchen, um selbst voranzukommen (vgl. Hattie 2017:139). Damit werden u.a. individuelle Anschlussfähigkeit, Bedeutsamkeit und die Notwendigkeit einer situativen Passgenauigkeit von Feedback angesprochen.
Eine weitere Ausdifferenzierung im Anschluss an Hattie findet sich beispielsweise bei Susan M. Brookhart (2010). Sie unterscheidet fachübergreifend Feedback-Strategien und inhaltliche Dimensionen von Feedback. Auf der Ebene der Feedback-Strategien kann unterschieden werden zwischen Zeitpunkt/Frequenz von Rückmeldungen (wann, wie oft), Umfang (wie viele Punkte, wie viel je Punkt), Form (mündlich, schriftlich, visuell/per Demonstration) und Adressat*innen (individuell, Gruppe/Klasse). Mit Blick auf die inhaltlichen Dimensionen von Feedback kann unterschieden werden zwischen dem gewählten Fokus (Arbeit, Arbeitsweise, Selbststeuerung, Person), dem Vergleichshorizont (Kriterien, andere Schüler*innen, frühere Leistungen), der Funktion des Feedbacks (Beschreibung, Beurteilung), der damit einhergehenden Wertung (positiv, negativ) sowie der Klarheit, Verständlichkeit und Konkretheit (kleinlich, genau richtig, zu allgemein). Schließlich spielt auch die Haltung, mit welcher ein Feedback vermittelt wird im Hinblick auf die Auswirkung auf Schüler*innen eine wesentliche Rolle (was Schüler*innen „hören“) (vgl. Brookhart 2010:10ff).
Fachdidaktische Überlegungen
Von den kurz vorgestellten allgemeindidaktischen Darlegungen werden nun jene Aspekte näher beleuchtet, die aus kunstpädagogischer/-didaktischer Perspektive aufschlussreich im Hinblick auf eine praxisbezogene Theoriebildung erscheinen. Der Akzent liegt somit auf einer unterrichtspraktischen, handlungsorientierten Ebene sowie empirischen Befunden.
Hattie und Timperley definieren mögliche Quellen für Feedback sehr offen, was sich auch im kunstpädagogischen Diskurs spiegelt. Eine Vielzahl an Beiträgen u.a. zur Arbeit mit Portfolios berücksichtigt in ausgeprägter Weise Formen der Selbstreflexion/-beurteilung und des Peer-Feedbacks in Kombination mit Lehr-Lern-Dialogen und Einschätzungen der Lehrperson (z.B. Berner 2017; Harms 2020; Inthoff 2017; Peez 2014). Welche Bedeutung Artefakten in Feedbackprozessen zukommt, wird bei Hattie und Timperley nur angedeutet und nicht näher betrachtet. Im Kunstunterricht spielen Materialien und Artefakte jedoch aus fachlicher Perspektive eine wesentliche Rolle. Truniger hält beispielsweise fest, dass Interventionen auf der phänomenologischen Ebene gestalterischer Arbeiten – fokussiert auf direkt wahrnehmbare Aspekte –, Lernende dabei unterstützen, selbst zu erkennen, wo das Problem liegt und wie es zu beheben ist (Truniger 2017:84). Die Bedeutung von Materialien und Artefakten als (Mit-)Akteure in Feedbackprozessen wurde bislang allerdings erst punktuell empirisch untersucht (u.a. Bader 2019; Orth 2018). Oftmals richtet sich die Rückmeldung im Prozess auf entstehende Schüler*innenarbeiten, an denen im Sinne Sowas (2015) eine gemeinsame Aufmerksamkeit von Lehrenden und Lernenden entsteht und Aushandlungsprozesse die Gestaltungs- und Lernprozesse beeinflussen. Gerade da ästhetisches Lernen im Kunstunterricht auf einen subjektiven Erkenntnisgewinn und eine individuelle Aneignung ausgerichtet ist, spielen ästhetische Präferenzen und Interessen für das Gestalten der Schüler*innen eine bedeutsame Rolle, die es von Lehrpersonen aufzunehmen und im Sinne der Schüler*innenorientierung in Lern- und damit auch in Rückmeldeprozesse einzubeziehen gilt (vgl. Kirchner/Kirschenmann 2015:48-49). Insofern kann eine persönliche Ebene, die im Zusammenhang mit den Ergebnissen von Hattie und Timperley (2007; 2016) als potentiell problematisch angesprochen wurde, gerade in der Kunstpädagogik nicht ausgeklammert werden. Vielmehr gilt es sie als inhärent bedeutsame Dimension von individuellen gestalterisch-künstlerischen Prozessen ernst zu nehmen, was wiederum einen entsprechend differenzierten und sensiblen Umgang erfordert. Zu bedenken ist dabei auch der Umgang der Lehrpersonen mit den eigenen subjektiven Ansichten, Präferenzen und Interessen. Kirchner und Kirschenmann (2015:196) sprechen hier von einem „widersprüchlichen Spannungsfeld zwischen vermeintlicher Objektivität und eigenen ästhetischen Präferenzen“ der Lehrpersonen sowie der Lernenden, das Beurteilungsprozessen im bildnerischen Gestalten zugrunde liegt. Rückmeldungen sind somit an einem Aushandeln und Verstehen hinsichtlich der Aufgaben, Themen, Inhalte und Kriterien auszurichten. Damit beziehen sich Kirchner und Kirschenmann auf die „Dialogizität“ (2015:197) von Beurteilung und Bewertung im Kunstunterricht. Hierauf fokussiert aus allgemeindidaktischer Perspektive auch Felix Winter, der im sogenannten „Lerndialog“ (Winter 2015:13) das sachliche Gespräch über Leistung, Selbstreflexion sowie Feedback einbezieht und für das Lernen von hoher Relevanz erachtet. Hier sei auch auf die Portfolioarbeit verwiesen, die als Begleitinstrument Gesprächsanlässe über Gestaltungsprozesse und Gestaltungsprodukte im Unterricht anregen und den Dialog befördern kann (Berner 2017; Burkhardt 2014; Inthoff 2016).
Im Rahmen einer Begleitung offener Gestaltungsprozesse stellt sich u.a. die Frage, wie eine (genaue) Bestimmung von ‚ist‘ und ‚soll‘ im Hinblick auf zu erreichende Ziele und zu fördernde Kompetenzen erfolgen kann und soll. Tanja Amado gibt beispielsweise zu bedenken, wie eine auf die Erkennbarkeit und Erfüllung angestrebter (Teil-)Kompetenzen ausgerichtete Lernbegleitung und Diagnostik dialogische Aspekte potentiell vernachlässigt (Amado 2017:574) und plädiert daher für eine involvierte Rolle von Lehrenden. Unumstritten dürfte sein, dass eine differenzierte und transparente Rückmeldungs- und Bewertungskultur erfordert, dass im Prozessverlauf immer wieder eine Rückbindung an Aufgabenstellung, Kriterien und Zielvorstellungen erfolgt (Peez 2015:195). Zugleich kann ein Umgang mit Unvorhersehbarem sowie erst im Prozessverlauf Entstehendem als zentrales Moment gestalterisch-künstlerischer Lernprozesse gelten (vgl. Sturm 2008). So ist sorgfältig abzuwägen auf welcher Ebene (klare) Ziele formuliert werden können bzw. sollen und an welchen Stellen Offenheit auch Unklarheit und damit Unsicherheit bedingen kann – im Sinne von noch ausstehenden Entscheidungen und Klärungen als inhärente Lernanlässe und Herausforderungen. Kirchner und Kirschenmann (2015) geben weiter zu bedenken, dass sich stark subjektbezogene, den persönlichen Ausdruck betreffende Themen deutlich weniger gut für eine an Kriterien oder Zielen ausgerichtete Rückmeldung eignen als Aufgaben mit klarem Lösungsweg und einfach explizierbaren bildnerischen Kriterien (vgl. Kirchner/Kirschenmann 2015:194). Gerade vor dem Hintergrund zunehmender Forderungen nach kompetenzorientierten, nachprüfbaren Einschätzungen von Lernprozessen/-leistungen (vgl. Amado 2017) sind fachspezifische Potenziale und Herausforderungen abzuwägen, die sich u.a. anhand schwierig beurteilbarer doch nicht minder wesentlicher Dimensionen von Gestaltungsprozessen und -produkten zeigen (vgl. z.B. Peez 2014).
Im Hinblick auf die von Hattie und Timperley (2016) als idealtypisch herausgestellte situative Passgenauigkeit von Feedback zeigt sich bei einer näheren, empirischen Betrachtung für den Kunstunterricht, wie vielfältig potenzielle Einflussfaktoren in gestalterischen Lehr-Lern-Prozessen und wie brüchig Verständigungsprozesse sind (vgl. Bader 2019). In der fallanalytischen Untersuchung Zeichnen – Reden – Zeigen wird mit Blick auf Lehr-Lern-Dialoge deutlich, wie anspruchsvoll sich ein Anknüpfen an den momentanen Stand der Arbeit und die Denk-/Gestaltungsprozesse der Schüler*innen gestaltet und wie sich die Dialogpartner*innen „verpassen“, obschon sie bemüht um eine gegenseitige Verständigung sind (vgl. ebd.:292). Darüber hinaus zeigen sich unbeabsichtigte Nebeneffekte, welche die Lernprozesse zuweilen unbemerkt beeinflussen, beispielsweise wenn Schüler*innen Hinweise der Lehrperson im weiteren Arbeitsprozess aufzunehmen glauben, diesen jedoch falsch verstanden haben (vgl. ebd.:229). Im Rahmen der Grundschulstudie PERLE hat sich gezeigt, dass sich oberflächliche und vertiefende Reflexionsphasen in der Durchführung im Plenum einer Schulklasse u.a. bezüglich der Gesamtdauer und der Komplexität des Lehrer*innenfeedbacks unterscheiden (Orth 2016:27). So wird angenommen, dass erst eine gewisse Gesamtdauer der Reflexion zu einer inhaltlichen Tiefe und Intensität führen kann (ebd.:28). Als komplex gilt ein Lehrer*innenfeedback, „wenn die Schülerinnen und Schüler durch die Lehrenden konstruktive, differenzierte Rückmeldungen zu ihrem entstandenen Produkt und/oder dem Gestaltungsprozess erhalten“ (ebd.). Dabei kann davon ausgegangen werden, dass Informationen über Gelungenes, Verbesserungsvorschläge und/oder Lernfortschritte eine gezieltere Unterstützung der mit der jeweiligen Aufgabe angestrebten Kompetenzen ermöglichen, als z.B. undifferenziertes Lob (vgl. ebd.). Anhand dieser zwei Beispiele wird u.a. die grundlegende Bedeutung einer aufmerksamen und differenzierten (sprachlichen und nicht-sprachlichen) Kommunikation in Feedbackprozessen deutlich. Im Anschluss daran können Konzepte zur Gesprächsführung, wie sie beispielsweise im Zusammenhang mit (Lern-)Coaching und (Lern-)Beratung thematisiert werden (Hardeland 2017; Eschelmüller u.a. 2020) auch im kunstpädagogischen Kontext hilfreiche Anregungen bieten (vgl. Truniger 2019, 2017). Zugleich stellen sich aber auch Fragen der Übertragbarkeit von Coachingansätzen auf gruppendialogische Prozesse sowie sehr kurze Rückmeldeformate (z.B. Hinweise geben im Vorbeigehen), wie sie im Unterricht – insbesondere in großen Schulklassen – besonders häufig sind.
Truniger zufolge ist ein wesentlicher Aspekt des Lehrhandelns das Zusammenspiel von Anweisungen, Vorgaben oder Instruktionen und fragebasiertem, explorierendem Begleiten (Truniger 2017:83), wobei ein Wechsel von einem anleitenden zu einem beratenden Modus alles andere als trivial sei (ebd.:84). So können beispielsweise subjektive Präferenzen der Lehrperson handlungsleitend werden. Vermeintliche Hilfestellungen können dazu führen, dass gestalterische Entscheidungen/ästhetische Urteile und somit fachliche Lernanlässe vorweggenommen werden. Es liege im Ermessen der Lehrperson, so Truniger, Zurückhaltung zu üben und Verantwortung zu übertragen (ebd.:85). Wie im Kunstunterricht mit diesem Ermessensspielraum tatsächlich umgegangen werden soll und woran sich Rückmeldeprozesse in der Beratung und Begleitung fachlicher Lernprozesse ausrichten können, ist empirisch jedoch noch weitgehend unerforscht.
Weiterführend wäre zu fragen, wie im Kunstunterricht mit (be)urteilenden Anteilen in formativen Rückmeldeprozessen umgegangen werden kann. Dass Rückmeldungen sinnvollerweise an Beobachtbarem/Wahrnehmbarem anknüpfen und somit beschreibende Anteile enthalten sollen (vgl. Truniger 2017:84), dass Feedback konstruktiv, sachlich fundiert und anregend sein soll (vgl. Kirchner/Kirschenmann 2015:193), dürfte unumstritten sein. Wann und wie beurteilende Aspekte einfließen sollen – beispielsweise indem auf konkrete Beurteilungskriterien Bezug genommen wird –, gestaltet sich komplexer. Einerseits kann im Prozessverlauf eine möglichst wertneutrale Rückmeldung, die sich klar von einer (später erfolgenden) Leistungsbewertung unterscheidet, sinnvoll sein (vgl. ebd.). Andererseits dient eine Rückbindung an die Aufgabenstellung und die damit verbundenen Kriterien einer Standortbestimmung im Arbeitsprozess und kann konkrete Lernperspektiven aufzeigen (vgl. ebd.:195). Schließlich gilt es zu bedenken, dass (ästhetische) Urteile immer zumindest implizit vorhanden sind und dass man im Prinzip nicht nicht beurteilen kann (vgl. Peez 2015:17). Dies zeigt sich auch in (un)aufgeforderten Kommentare von Mitschüler*innen (ebd.:12), die urteilende Anteile der Lehrpersonen herausfordern und einfordern. Damit wird auch die grundlegende Bedeutung ästhetischer Urteilungsbildung (Peez 2013) für Feedbackprozesse im Kunstunterricht angesprochen, der es im Rahmen von Feedbackkultur weiter nachzugehen gilt. Auch durch eine differenzierte und transparente Feedbackkultur, die durch Lehrende und Lernende gelebt wird und sich besonders in der Interaktion sowie im dialogischen Austausch im Unterricht zeigt, können Schüler*innen zu einem differenzierten ästhetischen Urteilsvermögen gelangen. Unterschiedliche Methoden des Lehrer*in-Schüler*in-, Schüler*in-Schüler*in- oder auch Unterrichtsfeedbacks können die Feedbackkultur befördern und befruchten. Voraussetzung ist selbstverständlich auch diesbezüglich ein ästhetisches Urteilsvermögen seitens der Lehrperson, welches auch im Rahmen der Lehrer*innenbildung weiter zu entwickeln sowie zu kultivieren ist.
Fazit und Ausblick
Wie die vorangehenden Ausführungen zeigen, ist Feedback im Kunstunterricht zentraler Bestandteil von fachlichen Lehr-Lern-Prozessen und damit als situierte Praxis im Unterrichtsgeschehen zu verstehen. Entsprechend gilt es über eine umfassendere Ausgestaltung einer Feedbackkultur nachzudenken und diese bereits im Rahmen der Lehrer*innenbildung zu thematisieren.
Dabei erscheint uns wesentlich, die Wirkmächtigkeit und Komplexität von Feedback – inklusive unvorhergesehenen Nebeneffekten (vgl. Bader 2019) und Momente des Scheiterns (vgl. Berner/Bader i.V.) – als solche anzuerkennen. Denn: „Lehrende können sich […] nur äußerst selten direkter Wirkungen ihres Lehrens versichern, und das immer auch nur hypothetisch, seien es Bildungserfolge oder Misserfolge“ (Wimmer 2010:15). Vor diesem Hintergrund erscheint eine sensible und differenzierte Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie Feedbackprozesse und -formate eingesetzt und sprachlich sowie nicht-sprachlich ausgestaltet werden, sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene von Kunstunterricht, umso wichtiger. Weitführend stellt sich die Frage, woran sich Feedback seitens der Lehrperson im Rahmen eines situativen Ermessens ausrichten kann.
Im Anschluss daran wird die Bedeutung des kommunikativen Austauschs im Sinne eines kontinuierlichen Aushandlungsprozesses im Verlauf von Lehr-Lern-Prozessen deutlich. Erst wenn Schüler*innen aktiv in Feedback-, Reflexions- und Beurteilungsprozesse eingebunden werden, kann eine gemeinsame Feedbackkultur entwickelt und eine zunehmende Verantwortungsübernahme seitens der Schüler*innen gefördert werden. Lehrpersonen fungieren als involvierte Interaktionspartner*innen sowie als (Fach-)Expert*innen und können auf (fach-)didaktischer Ebene Rahmenbedingungen schaffen, die im Sinne einer Ermöglichungsdidaktik eine positive Feedbackkultur unterstützen (vgl. Arnold/Gómez Tutor 2017).
Das Thema Feedback berührt somit grundlegende Fragen der Kommunikation und Interaktion in Lehr-Lern-Prozessen sowie Fragen der Ausgestaltung einer umfassenden Unterrichtskultur und betrifft auch die Haltung seitens der Lehrperson. Entsprechend scheint es angezeigt, bereits in der Lehrer*innenbildung Feedback nicht nur auf einer planerisch-konzeptuellen Ebene zu thematisieren, sondern im Sinne von Kernpraktiken bereits auf handlungspraktischer Ebene anzubahnen (vgl. Fraefel 2019, 2020). Praxisphasen innerhalb der Ausbildung können dahingehend geeignete Anlässe bieten, um spezifische Feedback-Praktiken – beispielsweise ein Durchführen von Coaching-Gesprächen – zu erproben, einzuüben und zu reflektieren. Die dargelegten (fachdidaktischen) Überlegungen und Anregungen sind darüber hinaus übertragbar auf andere künstlerische Schulfächer und insofern auch als Impuls zur Gestaltung einer lernförderlichen Feedbackkultur generell im Feld der Kulturellen Bildung zu verstehen. Weiterführend sind eine systematische(re) Betrachtung und Reflexion von Feedback-Praktiken im Rahmen eigner und fremder Unterrichts-/Vermittlungspraxis sowie empirische Untersuchungen angezeigt, um Rückmeldeprozesse bestmöglich fachlich und fachdidaktisch zu gestalten.