Zwischen Schutz, Inwertsetzung und partizipativer Neuverhandlung: Ziele und Qualitäten in der Denkmalvermittlung
Abstract
Der Artikel gibt einen Überblick der unterschiedlichen Ziele, Ansätze und Formate in der Denkmalvermittlung und skizziert deren aktuellen Herausforderungen. Er geht den Fragen nach, welche Qualitäten die Vermittlung von Denkmälern ausmachen kann, um deren Eigenschaften gerecht zu werden und welche Perspektiven sich daraus entwickeln lassen, um Denkmäler mit ihrem besonderen Potenzialen produktiv für den gesellschaftlichen Dialog zu nutzen.
Einführung
Denkmäler sind im öffentlichen Raum allgegenwärtig, werden auf Reisen bestaunt, bleiben im Alltag oft unbeachtet, vor allem dann, wenn man ihnen den von Fachleuten zugeschriebenen Denkmalstatus zunächst nicht ansieht. Denkmäler sind vielfältig: Sie sind Einzelbauten wie Burgen, Schlösser, Kirchen, Bürgerhäuser und Industriedenkmäler mit ihren Innenausstattungen ebenso wie mehrteilige Anlagen wie historische Straßenzüge, Stadt- und Dorfkerne oder Park- und Kulturlandschaften. Ferner zählen ober- und unterirdische archäologische Relikte zu den (Boden-)Denkmälern. Denkmäler bewahren Erinnerungen und Erfahrungen aus der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft und können mannigfaltige Anknüpfungspunkte für aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen bieten. Ihr Potenzial entfaltet sich im Alltag wie auf Reisen jedoch erst dann, wenn Denkmäler zum Sprechen gebracht und mehr noch zum Gesprächsanlass werden. Denkmäler brauchen Vermittlung.
Der Begriff der Denkmalvermittlung ist relativ neu und beginnt sich erst langsam im Fachdiskurs und in der Praxis durchzusetzen. Für eine intensivierte Auseinandersetzung mit der Vermittlung von Denkmälern und kulturellem Erbe sorgte vor allem das European Year of Cultural Heritage 2018, das für Deutschland vom Nationalkomitee für Denkmalschutz, angesiedelt beim Staatsministerium des Bundes für Kultur und Medien, organisiert wurde (vgl. Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz 2018). Mit der Etablierung eines ersten Preises für Denkmalvermittlung 2022, einem ersten Forschungsbericht zum Status Quo der Denkmalvermittlung (DNK/Krieger 2022 in Kooperation mit Institut für Kulturpolitik Universität Hildesheim) und einer ersten Resolution zur Denkmalvermittlung wurde deren Stellenwert weiter gestärkt (Potsdamer Appell zur Denkmalvermittlung 2022).
In der Praxis gibt es unterschiedliche Bezeichnungen für die Vermittlung von Denkmälern, die jeweils auf verschiedene Intentionen und Kontexte hinweisen: Denkmalpädagogik und Denkmalbildung, baukulturelle Bildung, Vermittlung kulturellen Erbes. In diesem Artikel wird von einem holistischen Verständnis von Vermittlung ausgegangen, welches die verschiedenen Ebenen der Kommunikation, Vermittlung und Verhandlung im Kontext von Denkmälern konstruktiv zusammen denkt: von der PR/Öffentlichkeitsarbeit über Formate der Wissensvermittlung bis zur Kulturellen Bildung einschließlich partizipativer Prozesse der Inwertsetzung und (Neu-)Interpretation (Mandel 2008). Dafür bietet sich der Begriff der Vermittlung als ein weiter und neutraler Begriff an.
Denkmalvermittlung in der Praxis: Ziele, Strategien, Methoden
In der Praxis lassen sich vielfältige Formen von Denkmalvermittlung finden, auch wenn diese unter jeweils unterschiedlichen Begrifflichkeiten auftreten (vgl. Krieger 2022).
Vermittlung als Weiterbildung eines interessierten und häufig vorgebildeten Publikums in Form von Führungen
Klassiker in der Denkmalvermittlung ist die personale Führung durch ein Denkmal oder entlang einer Route von Denkmälern. Diese wird immer häufiger ergänzt durch mediale Angebote wie Podcasts oder Apps, die flexibel für individuelle Touren eingesetzt werden können. Solche Führungen werden von Behörden der Denkmal-Vermittlung ebenso wie von Vereinen angeboten und in der Regel von fachwissenschaftlich versiertem Personal durchgeführt. Beispiele sind die Denkmal-Wanderung mit Podcast des Denkmalvereins Hamburg oder Führungen durch sonst nicht zugängliche historische Gebäude am jährlichen Tag des offenen Denkmals.
Touristische Routen und Werbung mit Denkmälern als Attraktionsfaktor für Besucher*innen
Vor allem im Tourismus sind Denkmäler ein zentraler Attraktionsfaktor. Sie werden z.B. in Form von personalen Schloss- oder Burgführungen, oft auch als Kostümführungen vermittelt. Sehr beliebt sind Denkmalinszenierungen in Form von Festen, Konzerten, Theateraufführungen, bei denen sich die historischen Bauten sinnlich erfahren lassen. Touristisch in Wert gesetzt werden Denkmäler auch durch die Zusammenstellung in touristisch erfahrbaren Routen wie die Straße der Romanik oder organisierte Fahrradtouren entlang der Industriekultur.
Auseinandersetzung mit einem Objekt im Kontext Kultureller Bildung
Bislang weniger etabliert sind Formen der Denkmalvermittlung, bei denen individuelle kulturelle Bildungsprozesse und die aktive, persönliche Aneignung von Denkmälern im Vordergrund stehen, häufig mit künstlerischen Verfahren. Beispiele dafür sind etwa das Projekt „Lost Traces“, indem Jugendliche sich in Form von künstlerischer Forschung mit Denkmalspuren auseinander setzen (siehe: Stephanie Reiterer „Jugend macht Denkmal: Erfahrungen aus dem Europäischen Kulturerbejahr 2018“) oder das Projekt des französischen Kulturministeriums „Le Patrimoine, c ´est moi“, in dem Schüler*innen über einen längeren Zeitraum künstlerisch zu einem Denkmal arbeiten.
Aber auch der Fotowettbewerb für Erwachsene „Wiki Loves Monuments“ des Vereins Wikimedia, für den Hobbyfotografen eingeladen werden, ihre subjektiven Perspektiven auf bekannte Monumente zu zeigen, ist ein Beispiel für Vermittlung, die auf kulturelle Selbstbildungsprozesse im Kontext von Denkmälern zielt.
Hinterfragen von (eurozentristischen) Deutungen, die mit Objekten verbunden sind und Neu-Interpretation von Denkmälern
Die in kulturwissenschaftlichen Diskursen kritisierte eurozentristische Perspektive auf kulturelles Erbe und die Forderung, einer machtkritischen Reflexion kulturellen Erbes (vgl. International Association of Critical Heritage studies) spiegelt sich vereinzelt in Vermittlungsangeboten wider. So etwa in der performativen Kostümführung „Kammertürken“ an drei Orten der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (Stober/Alacam 2019). In der gemeinsam mit Laien aus deutsch-türkischen Amateurtheatergruppen auf Basis der Textfassung eines deutsch-türkischen Autors entwickelten Tour, wird die Sicht der ursprünglich als Sklaven eingeschleppten türkischen Kammerdiener eingenommen, denen es bald gelang, eigene Interessen in das Hofleben einzubringen. Das Format will einen Dialog ermöglichen, in dem sich historische Wissensbestände um den Kulturtransfer vom Orient in den Okzident erschließen und diskutiert werden können und zwar auf sehr unterhaltsame, niedrigschwellige Weise an historischen Originalschauplätzen.
Verschiedene Formate und Ziele von Denkmalvermittlung
Die Beispiele zeigen, dass es verschiedene Ansätze in der Denkmalvermittlung gibt, die sich folgendermaßen kategorisieren lassen:
- Denkmalpflege mit dem Ziele der Wertschätzung für kulturelles Erbe
Die kunst- und kulturhistorische, am Fachkanon orientierte, oft eher monologische Vermittlung mit dem Ziel, Verständnis und Wertschätzung für die historischen Objekte zu ermöglichen, lässt sich am ehesten unter dem Begriff der Denkmalpflege fassen.
Dabei geht es vor allem darum, Wertschätzung für Kulturerbe und für Denkmalschutz zu schaffen, indem Wissen über deren jeweilige besondere Qualitäten vermittelt und nachvollziehbar wird, warum diese erhaltenswert sind. - PR/Öffentlichkeitsarbeit/Marketing und erlebnisorientierte Inszenierungen der Objekte mit dem Ziel der Inwertsetzung durch Tourismusmarketing und Denkmalkommunikation
Auch indirekte Formen der Vermittlung in Form von Kampagnen für Denkmalrouten, in Reise-Prospekten oder auch in Bezug aufsehenerregender Events und Inszenierungen sind eine wirkungsvolle Form von Denkmalvermittlung, mit der viele Menschen erreicht und für Denkmäler begeistert werden können, auch wenn das primäre Ziel eher darin besteht, Denkmäler für touristische Zwecke in Wert zu setzen. Diese PR orientierten Formen werden oft auch unter dem Begriff der Denkmal-Kommunikation gefasst. - Kulturpädagogische Vermittlung mit dem Ziel Kultureller Bildung und subjektivem Empowerment in der partizipativen Auseinandersetzung mit kulturellem Erbe Denkmalvermittlung, bei der nicht das Denkmal im Vordergrund steht, sondern die Bildungsprozesse der Menschen, die sich damit auseinandersetzen, lassen sich unter dem Begriff der Denkmalpädagogik oder je nach Objekt auch der baukulturellen Bildung fassen. Denkmäler sind Anlass für kulturelle Selbstbildungsprozesse, deren Wirkungen über Denkmäler hinausgehen und sich etwa unter dem Begriff des Empowerments fassen lassen. Häufig werden in solchen Denkmal-Vermittlungsprojekten auch künstlerische und ästhetische Gestaltungsmittel eingesetzt.
- Kritische Auseinandersetzung mit alten Bedeutungen und Hinzufügen neuer Interpretationen als aktive und persönliche Aneignung von Geschichte und (Neu-) Verhandlung kulturellen Erbes
Ein weiteres Ziel von Denkmalvermittlung kann darin bestehen, Denkmäler im Sinne der Critical Heritage Studies (Ströter-Bender 2010) kritisch zu hinterfragen und die Bedeutung und den Wert von Denkmälern unter Einbezug ganz verschiedener Perspektiven neu zu verhandeln. Dies ist oft verbunden mit persönlichen, aktiven Prozessen der Auseinandersetzung mit einem Denkmal auch unter der Frage, wie dieses aus heutiger gesellschaftlicher und machtkritischer Perspektive gelesen werden kann. Dafür steht auch der Begriff der transkulturellen Bildung.
Alle genannten Ansätze und Ziele in der Denkmalvermittlung, die hier theoretisch unterteilt wurden, können ineinandergreifen und nutzen verschiedene Methoden und Ansätze:
- Führungen, Vorträge
- Apps/Podcasts, Beschilderungen, Flyer, Kataloge
- PR-Kampagnen, (Image-)Filme, Prospekte
- Social Media, Wikipedia-Artikel, Wikimedia
- Themen-Routen/Radtouren/Wanderungen
- Virtual Reality; immersive Inszenierungen und erlebnisorientierte, kuratorische Konzepte
- Feste, Kulturveranstaltungen, Tag des offenen Denkmals
- Spielerische Vermittlung durch Rallyes, Kostümführungen, Re-Enactment und Living History (z.B. Mittelalterfeste) zwischen Inszenierung und Authentizität, Computerspiele (Storytelling)
- künstlerische Interventionen in Denkmalkontexten
- partizipative Workshops und Projekte (u.a. mit interdisziplinären künstlerischen Ansätzen)
- Vermittlung über handwerkliche, restauratorische Aktivitäten (u.a. über Freiwilliges Soziales Jahr im Denkmalschutz).
Herausforderungen für Denkmalvermittlung
Veränderung kultureller Interessen und kultureller Rezeption mit Infragestellung des Denkmal-Kanons durch unterbrochene Enkulturationsprozesse
Denkmäler benötigen Schutz und Pflege für ihren Erhalt. Und zugleich ist es nicht einfach zu vermitteln, warum etwas ein Denkmal ist. Wieso wird gerade das Eine als schützenswert betrachtet und das Andere nicht? Wer bestimmt die Denkmalwürdigkeit aufgrund welcher Kriterien? Ergibt die Bewahrung der jeweiligen, mit einem Denkmal verbundenen Erinnerungs-Werte auch für die gegenwärtige Gesellschaft Sinn? Denn die Gesellschaft hat sich u.a. durch Internationalisierung und Migration stark pluralisiert und damit haben sich auch kulturelle Interessen, Verständnis von Kunst und Kultur und kulturelle Bedeutungen verändert. Verstärkt wird dies durch Digitalisierung, die nicht nur eine Vielfalt an Kunst und Kultur weltweit zugänglich macht, sondern auch Ansprüche an Produktion und Rezeption von Kunst und Kultur verändert. Kulturelles Erbe und die damit verbundenen Erzählungen werden nicht mehr selbstverständlich im Sinne von Enkulturation von einer an die nächste Generation weitergegeben.
In einer (internen) Befragung von Denkmalvermittler*innen, die Projekte im Rahmen des Cultural Heritage Year 2018 realisierten, wurde deutlich, dass es vor allem schwer ist, junge Menschen für historisches Erbe zu interessieren und diese im Prinzip nur im Gruppenverbund, vor allem über Schulen erreichbar seien. Dort ist die Denkmalvermittlung jedoch curricular bislang kaum verankert ebenso so wenig wie in den Lehramtsstudiengängen.
The winner takes all markets
Dies Prinzip aus der Welt des Kunstmarktes gilt auch für die Denkmäler: die bekannten Monumente, vor allem diejenigen mit UNESCO Weltkulturerbesiegel, sind oft durch zunehmende Touristenströme überlaufen. Unbekanntere Denkmäler nebenan oder außerhalb touristisch attraktiver Regionen bleiben unbesichtigt. Hier müssen Vermittlungskonzepte und zugleich Strategien entwickelt werden, die aktuelle Anknüpfungspunkte für die Bevölkerung der Region sowie für die Tourist*innen sein könnten. Dabei ist danach zu fragen, mit welchen unterschiedlichen Vereinen, Akteuren, Kooperationspartnern sich Veranstaltungen entwickeln lassen, die relevant und attraktiv für viele Menschen sein könnten.
Vorwiegend an rationalen, fachwissenschaftlichen Kriterien ausgerichtete Denkmalvermittlung
Dass Denkmalpflege vorwiegend auf rationale Argumente wie auf „Aufklärung und Belehrung“ setze statt auf die emotionale und ästhetische Dimension, den Schauwert und die Erzählkraft, ist für Bernd Euler-Rolle zentraler Grund für die mangelnde Aufmerksamkeit, unter der viele Denkmäler litten. In Anknüpfung an Alois Riegels Modell verschiedener Denkmalwerte plädiert er für deren dialektische Verbindung: „Wenn es auf der intellektuellen Ebene um den Zeugniswert, den Quellenwert und den historischen Wert der Denkmale geht, so geht es auf der affektiven Ebene um den Stimmungswert, den Vertrautheitswert, den Identifikationswert, den Erlebniswert oder den Symbolwert der Denkmale“ (Euler-Rolle:50).
Unzureichende Kompetenzen in der Denkmalvermittlung und mangelnde Vernetzung der Akteur*innen
In der Denkmalvermittlung gibt es bislang mehrheitlich entweder ehrenamtliche Mittler*innen oder Fachwissenschaftler*innen, die nicht über professionelle Kompetenzen in der Kulturvermittlung verfügen und sich bislang meist nur autodidaktisch mit Methoden der Vermittlung befasst haben. Hinzu kommt, dass es oftmals nur ein geringes Interesse der Fachwissenschaftler*innen an niedrigschwelliger Vermittlung gibt, weil viele darin die Gefahr einer Simplifizierung komplexer Inhalte sehen (Euler-Rolle 2012:51).
Bislang gibt es kaum eine Vernetzung der verschiedenen Akteur*innen der Denkmalvermittlung: der Denkmalbehörden, Denkmalvereine, Denkmaleigentümer, Tourismusorganisationen, Bildungseinrichtungen, die für die Entwicklung ganzheitlicher Vermittlungskonzepte notwendig wäre (DNK/Krieger 2022).
Potenziale von Denkmalvermittlung als Beitrag für aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen
Vor allem die Faro-Konvention des Europarates (2005) war ein Meilenstein für eine teilhabe- und zukunftsorientierte Vermittlung von Denkmälern, denn sie empfahl, kulturelles Erbe nicht mehr nur zu schützen, sondern dessen Bedeutung mit der gesamten Bevölkerung und vor allem mit jungen Generationen als zukünftige Erben weiter zu entwickeln. Die Teilhabe am kulturellen Erbe wird darin zum Menschenrecht erklärt. Hierfür wird vorgeschlagen, Denkmäler pro-aktiv zu vermitteln, den Begriff von Denkmal als Kulturerbe zu erweitern und die Bevölkerung aktiv einzubeziehen in die Definition dessen, was ihnen als gemeinschaftliches Kulturerbe wichtig ist. Damit wäre Kulturerbe weniger als ein staatlicher Hoheitsschatz zu verstehen, sondern vermehrt als Gemeingut zu begreifen, das nicht nach dem Top-Down-Prinzip bestimmt wird, sondern in partizipativen Aushandlungsprozessen, und damit sehr viel stärker in der Mitte der Gesellschaft verankert wäre.
Zudem sollten in der Empfehlung kulturelle Vielfalt und Kulturerbe als eng verschränkte Bereiche betrachtet und dem entsprechend vielfältige Kunst- und Kulturgüter von Menschen unterschiedlicher Herkunft einbezogen und als kulturelles Erbe über eine europäische, abendländische historische Perspektive hinaus wert geschätzt werden (vgl. Neue Wege für das Kulturerbe).
Ingrid Scheurmann zeigt in ihrem historischen Rückblick der Ziele in der Denkmalpflege eine Wellenbewegung zwischen Bildung und Volkserziehung am historischen Vorbild, ideologischer Einschwörung auf den Nationalstaat und Geschichtsvermittlung auf. Vor allem seit den 1950er Jahren verzeichnet sie einen Rückzug auf eine quasi neutrale, fachwissenschaftliche Perspektive der Denkmalpflege (Scheurmann 2012:35).
Sie plädiert daher für eine kritische Hinterfragung dieser Standards und Erweiterung des Denkmalwürdigen, ähnlich wie es die Faro-Konvention vorschlägt, als Chance dafür Denkmäler breiter in die Gesellschaft zu verankern:
„Mit ihrem Bildungsangebot wird die Denkmalpflege aber wohl nur dann überzeugen, wenn sie sich auch selbst dem Vergleich stellt und das Gegen-den-Strich-bürsten des eigenen Selbstverständnis und der eigenen Geschichte aushält. Andere Denkmäler, vergessene Orte und Erinnerungslandschaften würden dadurch zwangsläufig an Bedeutung gewinnen.“ (Scheurmann 2012:36)
Allerdings ist zu konstatieren, dass die Faro-Konvention von Deutschland nicht ratifiziert wurde aufgrund der befürchteten Konsequenzen und Konflikte, die sich daraus ergeben könnten, wenn nicht mehr juristisch überprüfbare Fachkriterien über die Denkmalwürdigkeit bestimmen. Dennoch bietet die Faro-Konvention vielfältige Anregungen für einen Umgang mit Denkmälern und kulturellem Erbe, die auf Teilhabe zielt. Wenn Kulturerbe stärker als Gemeingut betrachtet wird und Menschen, über die Fachexpertise für Denkmalpflege hinaus, stärker beteiligt werden an der Definition des Denkmalwürdigen, erhöhen sich deren Zugänglichkeit und Relevanz.
Grundsätzlich gibt es eine hohe Wertschätzung für historische Bauwerke in der Bevölkerung. In einer deutschlandweiten Forsa-Befragung gaben 67% der Bevölkerung an, dass ihnen gut erhaltene alte Gebäude sehr wichtig bzw. wichtig sind für die Lebensqualität (deutlich wichtiger als z.B. der Besuch von Museen, Theatern, Konzerten). 76% würde etwas fehlen, wenn es keine älteren und historischen Gebäude mehr gäbe. Denkmalschutz wird als sehr wichtig erachtet. 75% der Befragten haben im letzten Jahr Denkmäler und historische Bauten besucht. Die Befragung zeigt auch, dass die Wertschätzung für historische Gebäude mit dem Lebensalter steigt (vgl. Forsa für ZEIT-Stiftung 2015). In einem Rückblick zur Geschichte der Denkmalpflege wurde deutlich, dass vor allem in unsicheren Zeiten großer Umbrüche, Modernisierungen und Krieg das Interesse an und die Wertschätzung für Denkmäler gestiegen ist (DNK/Krieger 2022:23), möglicherweise auch, weil diese für eine bestimmte Art von Beständigkeit und nachhaltiger Zeitzeugenschaft stehen.
Bauliche Denkmäler verfügen über einige Eigenschaften, die sie anschlussfähig machen können an unterschiedliche Interessen:
- Denkmäler sind niedrigschwellig, oft mitten im Leben, im öffentlichen Raum und somit für jeden wahrnehmbar. Sie „erzählen“ von der Geschichte des Ortes en passant. Kulturelles Sightseeing mit Besichtigung von Denkmälern ist in fast allen Bevölkerungsgruppen Teil des touristischen Rollenrepertoires (Mandel 2012). In einer europaweiten Bevölkerungsbefragung zur Kulturnutzung gehörte es nach Lesen und Fernsehen/Radio zur häufigsten außerhäusigen Kulturaktivität (Europäische Kommission: Spezial-Eurobarometer 2017).
- Denkmäler wirken durch ästhetische und emotionale Differenzerfahrungen, manchmal sogar eine gewisse monumentale Überwältigung und können damit Zugänge schaffen zu neuen Perspektiven auf die Welt. Sie ermöglichen Erfahrungen und Lernen mit allen Sinnen und können dadurch Neugierde und Interesse an Geschichte wecken.
- Denkmäler können potenziell Anknüpfungspunkte für ganz unterschiedliche Interessen bieten, von handwerklich-technischen Dimensionen über geografische, religiöse, politische und soziale Fragen bis hin zu ökologischen Fragen. Sie stehen für Themen wie Nachhaltigkeit im Tourismus, Bau- und Stadtentwicklung und für Fragen des Klimaschutzes, die durch rein rationale Argumente oft verschlossen bleiben. Sie sind Bestandteil der Bildung für nachhaltige Entwicklung.
- Wissen über die Hintergründe eines Denkmals und Dialoge über dessen Bedeutung für eine Region und ihre Menschen kann für Bewohner*innen neue Perspektiven auf die eigene Umgebung eröffnen und zur Entwicklung einer gemeinsamen kulturellen Identität beitragen. Denkmäler können in einer schnelllebigen Gegenwart ein Gefühl von Tradition und Beständigkeit vermitteln.
- Mit Denkmälern lässt sich nicht nur regionale Geschichte erzählen und regionale Gegenwart in anderem Licht sehen, sondern auch Welt-Wissen vermitteln und Gemeinschaft stiften in einer pluralen, transkulturellen Gesellschaft.
„Insbesondere die Monumente der Hochkulturen erzählen augenscheinlich von ästhetischen Leistungen und vom Austausch mit anderen Kulturen – so besitzen sie stets auch plurale Momente. Die pluralen Eigenschaften treten dann zutage, wenn es gelingt, das eigene Kulturerbe aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. (....) Dabei liegt es der Idee der Transkulturalität fern, das Eigene zu verwerfen; vielmehr geht es darum, seine Verbundenheit mit dem Fremden und Fernen transparent zu machen. (....) Unmittelbar aus der Geschichte der Denkmäler heraus soll erzählt werden, dass sie Zeugnisse eines Kulturaustausches sind, der Bezüge zu vielen Kulturen herstellen kann. (....) Nur wenn das Interesse in lebendiger Weise erhalten bleibt, kann ihm auch eine Zukunft eingeräumt werden. Dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Gesellschaft am Kulturerbe interessiert sein könnte, die in ihm nicht mehr nur das kulturell homogene Eigene, sondern auch im Eigenen das Fremde suchen könnte, ist ein Gedanke, der sich in den Institutionen erst langsam durchzusetzt. (...) Der Dialog kann Wege zu Identifikationsmöglicheliten zeigen und Gemeinsamkeiten aufdecken, wo sonst nur Unterschiede gesehen werden.“ (Stober/Alacam 2018:209ff.)
Eine transkulturelle Vermittlung eröffnet die Möglichkeit, das Globale und Lokale, das Einzelne und Universelle zu verbinden.
„Genau das signalisiert der Begriff SHARING HERITAGE. Mit diesem Motto lassen wir die Ära der nationalen Überheblichkeit hinter uns und betreten den Raum verschränkter Beziehungsgeschichten. (...) Im Grunde hat kulturelles Erbe nur einen einzigen legitimen Besitzer, und das ist die Menschheit.“ (Assmann 2019:6)
In der Aushandlung von Bedeutungen eines Denkmals durch Zusammenbringen vielfältiger Perspektiven lassen sich auch demokratiestärkende Prozesse erfahren, wenn deutlich wird, dass es nicht die eine richtige Lesart gibt und auch Widersprüche Raum haben dürfen.
Qualitäten und Perspektiven für die Denkmalvermittlung
In einer (nicht veröffentlichten) schriftlichen Befragung von 21 Referenz-Projekten der Denkmalvermittlung (Mandel 2020), die für das Europäische Kulturerbejahr 2018 in Deutschland ausgewählt waren sowie in der Analyse von 50 Projekten der Denkmalvermittlung unterschiedlichster Akteure im Rahmen des Status Quo-Berichts (DNK/Krieger 2022), wurden folgende Qualitätskriterien der Denkmalvermittlung identifiziert:
- Teilhabe und Dialog
- Unterhaltung und Spaß
- besondere ästhetische Erlebnisse und Erfahrungen
- zielgruppen-adäquate Ansprache
- Lebensweltbezug
- Aktualität/Gegenwartsbezug
- gesellschaftliche und persönliche Relevanz
- Entwicklung der jeweiligen Methoden aus den Besonderheiten des Monuments
- historische Verlässlichkeit
- Verbindung lokaler und globaler Perspektiven
- multi-perspektivisch und interpretations-offen
- Erweiterung einer eurozentristischen Perspektive durch plurale Perspektiven
- Offenlegen von Macht-Interessen sowie Prozesshaftigkeit bei der Definition und Interpretation von kulturellem Erbe
- Diversität der Teilnehmenden als wertvolle Ressource
- strategisches Zusammenspiel der verschiedenen Vermittlungsdimensionen wie
- Organisation/Management (einschließlich PR, Kooperationen)
- pädagogische Qualität/Prozessqualität
- ästhetische Produkt-/Aufführungsqualität
- Kooperation der verschiedenen Akteure der Denkmalvermittlung.
Auf internationaler Ebene haben sich v.a. die Studie des ICOMOS „Charta for the Interpretation and Presentation of Cultural Heritage Sites“ (ICOMOS 2008) sowie das EU-Projekt InHerit – Professional Development in Heritage Interpretation (Tilkin 2016) mit Kriterien für die Gestalten einer qualitativ hochwertigen Denkmalvermittlung auseinandergesetzt und kamen zu ähnlichen Kategorien. Stark gemacht wurden darin v.a. der Aspekt der Multiperspektivität: Die kommunizierten und verhandelten Inhalte sollten auf multidisziplinären Forschungen basieren und die verschiedenen Ergebnisse transparent machen. Denkmäler könnten verschiedene Geschichten erzählen, es gibt nicht die eine richtige Interpretation und doch gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Hintergründen der Geschichte von Denkmälern, die einbezogen werden müssen.
Das Einbinden verschiedener Perspektiven auf den Vermittlungsgegenstand sei ebenso bedeutsam wie die Anregung zur selbständigen Urteilsbildung. Der kulturelle Hintergrund der Teilnehmer*innen sollte berücksichtigt und aktiv einbezogen werden.
Bei allen Aktivitäten sollte es nicht nur um die Inhalte und Methoden des jeweiligen Denkmals gehen, sondern ebenso selbstbezogene und soziale Kompetenzen wie Empathie, Reflexionsvermögen durch individuell relevante Erfahrungen und interaktive, handlungsorientierte Vermittlungsangebote gefördert werden, was wir im deutschen Sprachgebrauch unter dem Begriff der Kulturellen Bildung fassen.
Denkmalvermittlung braucht mehr öffentliche Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit und stärker institutionalisierte Verankerung. Dafür hat das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz 2022 in seinem ersten Appell zur Denkmalvermittlung folgende Empfehlungen entwickelt:
- Verankerung des Vermittlungsauftrags in allen Denkmalschutzgesetzen
- Stärkung professioneller Öffentlichkeitsarbeit in den Denkmalbehörden
- Initiierung und Begleitung ehrenamtlichen und bürgerschaftlichen Engagement
- Qualifizierung der Vermittler*innen
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure der Denkmalvermittlung (Denkmalbehörden, Schulen, Kirchen, Touristiker*innen, ehrenamtliche Mittler*innen etc.)
- Verankerung der Denkmalvermittlung in Lehramtsausbildung und schulischem Curriculum sowie in der handwerklichen beruflichen Ausbildung (vgl. DNK 2022: Potsdamer Appell zur Denkmalvermittlung).
Denkmalpflege, wenn sie denn zugleich auch als Vermittlung im Sinne von Shared Heritage begriffen wird, hat vielfältige Potenziale, sich konstruktiv in die gegenwärtige Gesellschaft einzubringen. Dafür sollte sie die verschiedenen Expertisen von Denkmal-Fachwissenschaft, Kommunikation, Kulturvermittlung und Kultureller Bildung zusammenbringen, um Vermittlungsansätze mit Strahlkraft zu entwickeln und die vielfältigen professionellen und ehrenamtliche Akteure aktiv darin einzubinden.