Zur Umsetzung von Partizipation in der musikalischen Bildung. Ergebnisse einer qualitativ-empirischen Analyse
Einleitung
Musik als ein Handlungsfeld Kultureller Bildung (siehe: Höppner „Musik und Kulturelle Bildung“) scheint auf den ersten Blick nahezu prädestiniert für eine Umsetzung von Partizipation. Denn Improvisieren auf Trommeln oder gemeinsames Singen geht einher mit einer aktiven Teilnahme oder Beteiligung von Personen. Ein solcher Blick jedoch wird der Komplexität des Partizipationsbegriffes nicht gerecht. Denn Partizipation ist eng geknüpft an Voraussetzungen – Voraussetzungen sowohl an die Person selbst als auch an strukturelle Gegebenheiten (vgl. Treptow 2015), bei denen insbesondere Fachkräften zur Ermöglichung und Umsetzung von Partizipation eine zentrale Rolle zugeschrieben wird (vgl. BJK 2009:10). Partizipation gilt in der Kulturellen Bildung als ein zentrales Prinzip (vgl. Schorn 2009:8) und auch für die musikalische Bildung konstatiert Christian Rolle (2010), diese sei ohne Partizipation nicht zu haben (vgl. Rolle 2010:247). Dennoch ist der Partizipationsbegriff im Kontext der musikalischen Bildung im Gegensatz zur Kulturellen Bildung wenig diskutiert sowie ausgearbeitet und Untersuchungen zur Umsetzung dieser liegen bislang nicht vor.
Hier setzt der Beitrag an und rekonstruiert anhand eines qualitativen Forschungsdesigns, wie Partizipation in der musikalischen Bildung aus der Perspektive musikpädagogischer Fachkräfte realisiert wird. Hierzu wurden qualitative ExpertInneninterviews mit außerschulischen musikpädagogischen Fachkräften geführt, die im Kontext eines Musikprojektes in den ersten beiden Jahrgangsstufen des Primarbereichs tätig, für die Planung und Durchführung der Projektstunden verantwortlich sind und dabei keinen curricularen Vorgaben durch Bildungspläne unterliegen. Das Projekt verfolgt das Ziel, alle Kinder einer großen Kreisstadt mit Musik in Berührung zu bringen.
Der Beitrag konturiert zunächst den Partizipationsbegriff aus einer pädagogischen Perspektive und präzisiert diesen anhand dessen, wie sich Partizipation in pädagogischen Kontexten realisiert. Dem Begriff der musikalischen Bildung nähert sich der Beitrag über den Begriff der Kulturellen Bildung. Daran anknüpfend ist ein Partizipationsbegriff zu skizzieren, wie er für die musikalische Bildung gelten kann und wie er für die empirische Analyse verwendet wird. Im Anschluss daran wird die methodische Herangehensweise knapp skizziert und die zentralen Ergebnisse der empirischen Analyse dargelegt, bevor im abschließenden Kapitel Schlussfolgerungen zur Umsetzung von Partizipation gezogen werden.
Zum Partizipationsverständnis
Mit Stefan Schnurr (2011) kann Partizipation zunächst als konstitutives Merkmal demokratischer Gesellschaftsformen bezeichnet werden (vgl. Schnurr 2011:1069), der nach Larissa von Schwanenflügel (2015) für eine Teilhabe und Teilnahme an Öffentlichkeit steht. Teilhabe verweist dabei auf die „Gewährung von Einflussrechten und den Zugang zu gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und ökonomischen Ressourcen“ (Schwanenflügel 2015:45). Der Begriff der Teilnahme zielt dagegen auf aktives Teilnehmen und damit verbunden die Aneignung von erteilten Teilhaberechten (vgl. ebd.). Partizipation bezieht sich dabei auf verschiedene gesellschaftliche Funktionssysteme (vgl. Schnurr 2011:1069) und Altersgruppen, was in der Stellungnahme des Bundesjugendkuratorium (BJK) zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen zur Geltung kommt. Aufgefasst wird hier Partizipation als die „Mitbestimmung von jungen Menschen an den sie betreffenden Entscheidungsprozessen in allen relevanten Lebensbereichen [...]“ (BJK 2009:6), wobei es darum gehe, einen Teil der Verfügungsgewalt über die eigene Lebensgestaltung von Erwachsenen auf Kinder zu übertragen (vgl. ebd:6). Dies verweist auf einen zentralen Aspekt des Partizipationsbegriffes: Dieser impliziert „Macht- und Herrschaftsbeziehungen zwischen mindestens zwei Personen“ (Marschke 2014:61). Demzufolge bedeutet Partizipation im vorliegenden Kontext die Übertragung von Macht von Erwachsenen auf Kinder im Hinblick auf deren subjektive Lebensgestaltung. Auch für Michael Winkler (2000) zielt der Partizipationsbegriff auf Macht und Gewaltausübung: „Es geht um Teilhabe an Macht, um Mitwirkung an der Gewaltausübung, einerseits um eine Bestimmung der Subjekte über sich selbst [...], andererseits um die Chance, auf die Geschehnisse Einfluss zu gewinnen, welche ihrerseits das eigene Leben im Allgemeinen wie aber auch in seiner besonderen, alltäglich konkreten Wirklichkeit bestimmen“ (Winkler 2000:189f.). Insofern zielt der Begriff zunächst auf Selbstbestimmung von Subjekten sowie auf eine Einflussnahme von Subjekten auf die sie betreffenden Geschehnisse. Der Begriff der Chance, verstanden als eine „Gelegenheit zu handeln“ (Treptow 2012:273), impliziert dabei, dass Personen einerseits eine solche überhaupt erst zu erkennen und zu ergreifen haben, wofür „subjektives Können“ (Treptow 2015:3) vorausgesetzt wird. Andererseits impliziert der Begriff der Chance, dass Personen eine Gelegenheit zur Einflussnahme zu gewähren ist – sowohl im Hinblick auf gesellschaftliche Strukturen als auch auf die von Winkler (2000) angesprochene alltägliche Wirklichkeit von Kindern, welche sich hier auf das Musikprojekt beziehen lässt. Die Chance zur Einflussnahme ist somit zunächst von Fachkräften zu ermöglichen. Insofern ist Partizipation als Mitbestimmung und Einflussnahme von Kindern an Entscheidungsprozessen und Geschehnissen im Hinblick auf das Musikprojekt definiert. In pädagogischen Kontexten wird darüber hinaus mit einem subjekttheoretischen Bildungsverständnis von einem engen Wechselverhältnis zwischen Partizipation und Bildung ausgegangen, bei dem Partizipation Voraussetzung für Bildung und Bildung Voraussetzung für Partizipation darstellt (vgl. Schwanenflügel 2013).
Ein zentraler Aspekt zur Umsetzung von Partizipation ist die Auseinandersetzung mit Bedürfnissen und Zielen (vgl. Baacke/Brücher 1982:47), was sich begrifflich als Aushandlungsprozesse bestimmen lässt. Dietmar Sturzbecher und Markus Hess (2003) verstehen darunter die Übereinstimmung eigener Ziele, Pläne, Werte, Regeln und Normen mit der Gruppe (vgl. Sturzbecher/Hess 2003:53). Insofern werden in Aushandlungsprozessen Bedürfnisse eingebracht und mitgeteilt sowie durch Verständigung und Absprache mit Bedürfnissen Anderer in Einklang gebracht, wodurch Mitbestimmung und Einflussnahme in Aushandlungsprozessen zum Ausdruck kommen. Bevor sich allerdings Einflussnahme und Mitbestimmung realisieren, bedarf es einer Selbstbestimmung von Subjekten. Mit Volker Gerhardt (2007) ist Mitbestimmung von Selbstbestimmung her zu denken. Larissa von Schwanenflügel (2015) fasst dieses Verhältnis in Anlehnung an Gerhardt (2007) wie folgt zusammen: „Über den Akt der Selbstbestimmung setzt sich das Individuum zur Gesellschaft in ein Verhältnis und wird in diesem Prozess zugleich durch die Selbstbestimmungsbedürfnisse der anderen Gesellschaftsmitglieder begrenzt und zur Auseinandersetzung aufgefordert (Schwanenflügel 2015:49). Insofern ergeben sich Aushandlungsprozesse durch Selbstbestimmungsäußerungen und -bedürfnissen von Subjekten. Durch jene Äußerungen werden Subjekte zudem vor sich selbst und vor Anderen sichtbar (vgl. Gerhardt 2007:245), was wiederum voraussetzt, dass diese Äußerungen von Anderen wahr- und erstgenommen werden und in Anerkennungsverhältnisse eingebunden sind (vgl. Schwanenflügel 2015:268). Denn die Erfahrung sozialer Anerkennung stellt eine zentrale Bedingung zur Entwicklung von Individualität und Selbstbestimmung dar (vgl. Sturzenhecker 2008:149). Anerkennung lässt sich somit neben Prozessen der Aushandlung als weitere zentrale Komponente im Hinblick auf die Umsetzung von Partizipation verstehen. Der Begriff lässt sich mit Axel Honneth (2014) in drei Dimensionen differenzieren: Die Dimension der Liebe beinhaltet eine durch „Zuwendung begleitete, ja unterstützte Bejahung von Selbstständigkeit“ (Honneth 2014:173) zum Aufbau von Selbstvertrauen, die nicht nur auf Primärbeziehungen zu beziehen ist, sondern ebenso auf pädagogische Kontexte (vgl. Sturzenhecker 2008:161). Die rechtliche Dimension bezieht sich darauf, dass sich eine Person mit gleichen Rechten wie Andere wahrnehmen kann (vgl. ebd.), wodurch der Aufbau von Selbstachtung ermöglicht wird. Mit der Dimension der Solidarität im Sinne sozialer Wertschätzung kommt die Anerkennung von Fähigkeiten und Eigenschaften zum Ausdruck, was nach Honneth (2014) zum Aufbau von Selbstschätzung führt. Aushandlungsprozesse und die Erfahrung von Anerkennung werden vor diesem Hintergrund in der empirischen Analyse meiner Masterarbeit näher betrachtet.
Musikalische Bildung als Prozess und Handlungsfeld
Mit Rainer Treptow (2012) lässt sich der Begriff der Kulturellen Bildung in zwei Aspekte differenzieren. Auf subjekttheoretischer Seite bezeichnet dieser in einem weiten Verständnis „Gestaltungs- und Aneignungsverläufe von Menschen im Umgang mit Gegenständen, mit Körperlichkeit und mit symbolischem Ausdruck“ (Treptow 2012:143f.). Zentral ist dabei die Verbindung von Selbsttätigkeit von Subjekten im aktiven Mitvollziehen und Gestalten und die Verständigung mit Anderen (vgl. ebd.). D.h. Bildungsprozesse sind immer vom Subjekt selbst zu durchlaufen und vollziehen sich dabei in Auseinandersetzung mit Anderen bzw. mit kulturellen Überlieferungen (vgl. Rolle 2011:47). Dadurch werden subjektive Wahrnehmungs-, Deutungs- und Wissensbestände, so Treptow (2012) weiter, differenziert. Es geht somit um eine Veränderung beim Subjekt, um einen „Entwicklungsverlauf der Person“ (Treptow 2012:154) durch die selbsttätige Auseinandersetzung mit Musik. Konkreter ergeben sich Bildungsprozesse im Umgang mit Musik nach Christian Rolle (2011) durch ästhetische Erfahrungen. Diese ergeben sich durch eine sinnliche Wahrnehmung musikalischer Gegenstände – rezeptiv oder produktiv –, was zum Erleben der eigenen Person führt und in eine Reflexion des Erlebten mündet, womit „veränderte Möglichkeiten der Selbst- und Weltbeschreibung“ (Rolle 2011:47) einhergehen. Konstitutiv für Bildungsprozesse ist dabei für Treptow (2012) der Umgang mit Fremdheit, was sich hier auf bislang noch nicht gemachte Erfahrungen im Umgang mit Musik beziehen lässt (vgl. auch Rolle 2011). Dadurch entsteht für Subjekte die Herausforderung, Wahrnehmungsgewohnheiten und Vertrautheitswissen zu bestätigen, zu verändern oder zu hinterfragen (vgl. Treptow 2012:145). Insofern sind es insbesondere neue Erfahrungen mit musikalischen Gegenständen, die als zentral für ästhetische und kulturelle Bildungsprozesse zu erachten sind.
Auf organisationstheoretischer Ebene verweist der Begriff Kulturelle Bildung auf Orte, Gelegenheiten sowie Formen, in denen die oben beschriebenen Bildungsprozesse stattfinden (vgl. ebd.). Diese richten sich auf formale wie auch non-formale und informelle Settings (vgl. Liebau 2014:26). Im Fokus meiner empirischen Analyse stehen musikpädagogische Fachkräfte, die im Rahmen eines Musikprojektes im schulischen Kontext tätig sind. Das Projekt ist ein über das gesamte Schuljahr hinweg verpflichtendes Angebot für alle Kinder der ersten Jahrgangsstufe und ist mit einer Wochenstunde in den Stundenplan der Kinder integriert. Somit lässt sich das Projekt in den Kontext formaler Bildung einordnen, wobei keine Zertifizierung im Sinne von Zensuren ausgewiesen wird und die durchführenden musikpädagogischen Fachkräfte keinen curricularen Vorgaben durch Bildungspläne unterliegen. Im Rahmen solcher Settings ist davon auszugehen, dass verschiedene „lebensweltliche Wissens- und Erfahrungsbestände“ (Treptow 2004:444) in Bezug auf Musik bei Kindern vorliegen. Diese lassen sich insbesondere auf verschiedene musikalische Aktivitäten im familialen Kontext sowie auf die Nutzung frühkindlicher musikalischer Bildungsangebote zurückführen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012).
Partizipation in der musikalischen Bildung
Der Begriff der Partizipation findet im Kontext der musikalischen Bildung bislang wenig Beachtung und ist demzufolge kaum ausgearbeitet. Beim Blick auf musikpädagogische Konzeptionen, welche SchülerInnen und deren Interessen in den Mittelpunkt stellen, zeigt sich allerdings, dass Partizipation im Sinne der obigen Definition verankert ist – auch wenn dies nicht anhand des Partizipationsbegriffes festgemacht wird. Der schülerorientierte Musikunterricht (Günter/Ott/Ritzel 1982), die erfahrungsschließende Musikerziehung (Nykrin 1978) sowie die kommunikative Musikdidaktik (Orgass 2007) sehen eine Einflussnahme und Mitbestimmung an Geschehnissen hinsichtlich der Unterrichtsstunden vor. Deutlich wird beim Blick auf die genannten Konzeptionen zudem eine Differenzierung zwischen einer Beteiligung bei der Auswahl musikalischer Gegenstände im Sinne der thematischen Inhalte sowie einer Beteiligung an den musikalischen Gegenständen selbst (vgl. Nykrin 1978; Orgass 2007).
Daran anknüpfend lässt sich der Partizipationsbegriff für die musikalische Bildung in zwei Dimensionen differenzieren. Zum einen kann eine didaktische Dimension bestimmt werden. Didaktik als die Wissenschaft vom Lehren und Lernen schließt die Organisation von Lehr- und Lernprozessen ein (vgl. Gudjons 2008:231). Insofern zielt die didaktische Dimension auf die Einflussnahme und Mitbestimmung bei der Auswahl von Inhalten bzw. bei der Auswahl musikalischer Gegenstände, die thematisiert werden. Zum anderen ist eine weitere Partizipationsform auszumachen, die sich auf die Gestaltung des musikalischen Gegenstandes bezieht. Nach Rebekka Hüttmann (2014) meint der Begriff der Gestaltung, einer Sache im Sinne einer Idee oder eines Kunstwerkes Form zu geben und Bedeutung zuzuweisen, was sich sowohl auf eine schöpferische Gestaltung eines künstlerischen Produktes, hier etwa auf das Komponieren oder Erfinden eines Musikstückes, als auch auf die Darstellung und Realisierung eines Musikstückes beziehen kann (vgl. Hüttmann 2014:107). Insofern wird unter der gestalterischen Dimension die Einflussnahme und Mitbestimmung an der schöpferischen Hervorbringung und dem „klanggenerierenden Vorgang“ (Gruhn 2003:17) eines musikalischen Gegenstandes sowie die Darstellung des durch diesen Vorgang hervorgebrachten Gegenstandes verstanden. Als musikalischer Gegenstand wird dabei im Folgenden das ästhetische Objekt aufgefasst, welches ästhetisch wahrgenommen wird und anhand dessen sich ästhetische Erfahrungen ergeben (siehe: Brandstätter „Ästhetische Erfahrung“).
Die genannten musikpädagogischen Konzeptionen werden unter anderem aufgrund einer zu starken Fokussierung auf Interessen von SchülerInnen bei der Auswahl von im Unterricht zu behandelnden Themen kritisch betrachtet. Neben einer Berücksichtigung von SchülerInneninteressen erscheint etwa für Peter W. Schatt (2007) ebenso die Vermeidung der Festlegung auf den Horizont der Lebenswelt und auf die expliziten Interessen der SchülerInnen wichtig, um so Musik in ihrer Breite und Vielfalt zu vermitteln (vgl. Schatt 2007:115); auch um ästhetische Erfahrungen zu ermöglichen, die bislang noch nicht gemacht worden sind. Insofern steht Partizipation in der musikalischen Bildung in einem Spannungsverhältnis zwischen der Einflussnahme und Mitbestimmung bei der Auswahl musikalischer Gegenstände - im Sinne der hier bestimmten didaktischen Partizipation - und der Konfrontation mit Fremdheit - im Sinne neuer musikalischer Erfahrungen -, um musikalische Fähigkeiten zu vermitteln und Zugänge zu Musik zu eröffnen (vgl. Hüttmann 2014).
Vor dem Hintergrund des bisher Dargelegten bezieht sich die empirische Analyse meiner Arbeit auf die Betrachtung von Anerkennung sowie auf Aushandlungsprozesse hinsichtlich der Differenzierung in eine didaktische und gestalterische Dimension des Partizipationsbegriffes. Unter der Annahme, Partizipation setze eine rechtliche Absicherung im Sinne einer Gewährung von Einflussrechten voraus (siehe auch: Larissa von Schwanenflügel/Andreas Walther „Partizipation und Teilhabe“), wird danach gefragt, wie sich Kinder in die Projektstunden einbringen können. Zudem bezieht sich die Analyse darauf, wie Kinder vor dem Hintergrund unterschiedlicher musikalischer Erfahrungsbestände Anerkennung erfahren können und wie Aushandlungsprozesse zustande kommen, um davon ausgehend die Umsetzung von Partizipation zu rekonstruieren.
Methodische Herangehensweise
Der Klärung meiner Forschungsfragen liegt ein qualitatives Forschungsdesign zugrunde. Geführt wurden drei ExpertenInneninterviews mit musikpädagogischen Fachkräften. Die Befragten sind jeweils im Rahmen eines Musikprojektes tätig sowie an einer städtischen Musikschule angestellt. Zur Erhebung wurde in Anlehnung an Michael Meuser und Ulrike Nagel (1991/2010) auf ein leitfadengestütztes offenes Interview zurückgegriffen, um so das Interview thematisch zu strukturieren und auf die Tätigkeit im Musikprojekt zu lenken. Die Auswertung der ExpertInneninterviews orientiert sich an der von Meuser und Nagel (1991/2010) vorgeschlagenen Auswertungsstrategie, bei der es darum geht, die Aussagen der Befragten zu vergleichen, um Strukturen und Zusammenhänge im ExpertInnenwissen und -handeln zu analysieren (vgl. Meuser/Nagel 1991:447). Hierzu werden von den AutorInnen verschiedene Auswertungsschritte vorgeschlagen (vgl. ebd.:451ff.), an welchen sich die Analyse orientiert: Gemeinsamkeiten und Differenzen in den Aussagen werden zur Systematisierung unter theoretische Begriffe gefasst bzw. in Form einer Kategorie überführt. Die Kategorien und deren Zusammenhang werden anschließend in Beziehung gesetzt und dahingehend interpretiert, wie Partizipation ausgehend von den genannten Forschungsfragen umgesetzt wird. Die zentralen Ergebnisse dieses Vorgehens werden anschließend dargestellt.
Zentrale Ergebnisse
Zunächst zeigt sich, dass die Auswahl von Inhalten und Themenstellungen während der Projektstunden überwiegend aus den Entscheidungen der Fachkräfte resultieren. Zur Durchführung der Projektstunden orientieren sich diese an einem von allen beteiligten Fachkräften erarbeiten und geplanten Schema: Ein ritualisierter Anfangs- und Endpunkt sowie eine jeweils variierende, jedoch abgesprochene Sequenz im mittleren Abschnitt der Projektstunde, die verschiedene Bewegungs- und Rhythmusspiele, Instrumentenvorstellungen oder gemeinsam gesungene Lieder enthält. Dieses Schema lässt sich als grundlegender Rahmen zur Durchführung des Projektes verstehen und unter dem von Klaus Prange und Gabriele Strobel-Eisele (2006) für pädagogisches Handeln als zentral erachteten Begriff des Arrangements fassen. Darunter wird die Bereitstellung von Lernangeboten durch Lehrende verstanden, anhand derer Lernende auswählen können, was und auf welche Weise gelernt werden soll (vgl. Prange/Strobel-Eisele 2006). Im Rahmen dieses Arrangements lässt sich in den Aussagen der Fachkräfte eine zentrale Kategorie zur Einflussnahme von Kindern auf didaktische Entscheidungen nachzeichnen und mit dem Begriff des Feed-Backs, verstanden als eine Rückmeldung, „die darauf hinweist, dass der andere ein Verhalten oder eine Äußerung verstanden hat“ (Böhm 2005:201), beschreiben. Kinder geben Fachkräften insofern Rückmeldung, als dass diese mit dargebotenen Inhalten und Themenstellungen zurechtkommen bzw. nicht zurechtkommen. Eine solche Rückmeldung drückt sich somit in den Handlungen und im Verhalten der Kinder aus, woraus Fachkräfte Konsequenzen im Sinne veränderter Inhalte für die aktuelle Situation oder die nachfolgende Projektstunde ziehen. Die Aussagen differieren dabei zwischen einer weitestgehenden Umsetzung geplanter Inhalte und einer Berücksichtigung des Verhaltens von Kindern in Bezug auf vorgegebene Themenstellungstellungen. Aushandlungsprozesse hinsichtlich didaktischer Entscheidungen lassen sich lediglich in einem Interview rekonstruieren. Dies bezieht sich auf die Auswahl musikalischer Gegenstände, die im Rahmen von Schulfesten zur Aufführung gebracht werden sollen: Alternativen und Vorschläge von Seiten der Fachkraft werden aufgezeigt und anschließend zur Abstimmung gestellt. Kindern wird somit die Möglichkeit erteilt, Bedürfnisse und Ziele anhand der aufgezeigten Alternativen einzubringen. Empirisch füllen lässt sich anhand dessen, dass Partizipation und damit verbunden die Aushandlung von Zielen und Bedürfnissen eine rechtliche Absicherung im Sinne einer Gewährung von Einflussrechten und einer Ermöglichung des Einbringens von Zielen und Bedürfnissen voraussetzt, wie dies auch bei Schwanenflügel und Walther (2012) benannt ist. Die genannte Aufnahme des Feedbacks von Kindern durch Fachkräfte lässt sich als eine indirekte Einflussnahme auf didaktische Entscheidungen verstehen. Kinder können ihre Bedürfnisse hinsichtlich der Projektinhalte nicht direkt äußern bzw. Kindern wird nicht die Chance gewährt, Interessen und Bedürfnisse direkt einzubringen. Folglich ergeben sich hierdurch keine Aushandlungsprozesse über Ziele und Bedürfnisse hinsichtlich der Projektinhalte, da die Möglichkeit zur Einflussnahme nicht gegeben wird.
Innerhalb des inhaltlich vorgegebenen Rahmens zeigen sich jedoch partizipative Spielräume für Kinder auf der gestalterischen Ebene. Über die Interviews hinweg lässt sich eine Gewährung der Einflussnahme auf den musikalischen Gegenstand rekonstruieren. Dies bezieht sich auf Aktivitäten, in denen Kindern die Möglichkeit gegeben wird, Liedtexte zu verändern bzw. jene neu zu erfinden, selbst erdachte Bewegungen im Rahmen von Bewegungsspielen einzubringen oder in Liedern vorkommende Pausen mit eigenen Ideen zu füllen sowie eigene Rhythmen anhand von Bodypercussion oder Trommeln darzubieten, die von der übrigen Gruppe reproduziert werden. Eine solche Möglichkeit des Einbringens musikalischer Bedürfnisse lässt sich unter dem Begriff der Ausdrucksgestaltung fassen. Gemeint ist in Anlehnung an Rudolf-Dieter Kraemer (2007) das Hervortreten des Inneren einer Person durch Ausdrucksmedien wie Stimme, Bewegungen oder Instrumente. Somit lässt sich zunächst konstatieren, dass Kinder durch ihre Ausdrucksgestaltung ihre eigenen Gefühle und Wahrnehmungen in Bezug auf den musikalischen Gegenstand äußern sowie einbringen und durch musikalische Tätigkeiten zum Ausdruck bringen können. Dadurch können Kinder wiederum Einfluss auf den musikalischen Gegenstand nehmen, was sich anhand der obigen Beispiele verdeutlicht. Die Möglichkeit des Einbringens des eigenen Ausdrucks lässt sich dabei allerdings nicht nur auf musikalische Tätigkeiten reduzieren. Kinder können ihren Ausdruck und damit verbunden ihre Bedürfnisse zur Gestaltung des musikalischen Gegenstandes ebenso durch verbale Äußerungen einbringen, wodurch sich wiederum Aushandlungsprozesse ergeben. Zur Gestaltung von Pausen in Musikstücken oder bei der Erarbeitung von zur Aufführung bringenden musikalischen Produkten, was sich hier auf die Auswahl von Instrumenten und Liedern bezieht, finden Absprachen und Verständigungen zwischen Kindern sowie zwischen Kindern und Fachkräften statt: Ideen werden eingebracht, diskutiert und verhandelt, verworfen und abgeändert. Dies verdeutlicht, dass Kindern zunächst das Recht im Sinne des Einbringens zu gewähren ist, sodass diese darauf aufbauend Ziele und Bedürfnisse äußern können (vgl. Honneth 2014) und sich dadurch wiederum Aushandlungsprozesse ergeben. Festhalten lässt sich somit zunächst, dass Partizipation im vorliegenden Kontext überwiegend auf der gestalterischen Ebene umgesetzt wird, während Partizipation an didaktischen Entscheidungen – was die grundlegende Rahmung des Projektes durchaus zuließe – eher im Hintergrund steht.
Eine im Hintergrund stehende didaktische Partizipation verweist auf zwei Aspekte. Einerseits deutet dies auf das auf theoretischer Ebene herausgestellte Spannungsfeld hin, in dem sich Partizipation im vorliegenden Kontext bewegt. Die Fachkräfte fokussieren sich mit ihrem Handeln insbesondere darauf, Kinder mit neuen musikalischen Erfahrungen zu konfrontieren, wozu es der Anregung von Fachkräften mit vorgegebenen Lernangeboten benötigt, was wiederum im Gegensatz zu einer didaktischen Partizipation von Kindern steht. Andererseits scheint eine zu starke Orientierung am erarbeiteten Arrangement und somit an bereits vorab geplanten Inhalten der Umsetzung von Partizipation eher entgegenzustehen, da die Entscheidungsmacht über die Auswahl von Inhalten bei den Fachkräften liegt und folglich nicht auf Kinder übertragen wird bzw. Kinder nicht in den Entscheidungsprozess einbezogen werden.
Aushandlungsprozesse über die Gestaltung musikalischer Gegenstände ergeben sich zudem durch bereits bei Kindern vorausgegangene Bildungsprozesse. Denn wenn etwa passende Instrumente zur Begleitung eines bislang gesungenen Musikstückes vorgeschlagen werden, so ist davon auszugehen, dass jene Instrumente bei Kindern bereits bekannt sind sowie eine Vorstellung über den Klang des Instrumentes vorherrscht, um die Passung zwischen Instrument und Musikstück sich vorstellen zu können. Dies legt somit den Schluss nahe, dass Aushandlungsprozessen, in denen musikalische Parameter, Instrumente oder Rhythmen thematisiert sind, bereits gemachte musikalische Erfahrungen vorausgehen. Insbesondere hier lässt sich Bildung als Voraussetzung von Partizipation erkennen. Daneben zeigt sich ein weiteres zentrales Charakteristikum zum Zustandekommen von Aushandlungsprozessen hinsichtlich der gestalterischen Dimension. Denn Aushandlungsprozesse lassen sich insbesondere in jenen Interviews rekonstruieren, in denen ein offener Umgang mit Inhalten und Zielen von Fachkräften thematisiert ist. Insbesondere in Situationen, in denen sich Kinder einbringen und Einfluss auf die Gestaltung des musikalischen Gegenstandes nehmen können – Erfinden von Liedtexten, Gestaltung von Pausen, Auswahl von Instrumenten – lässt sich eine Offenheit hinsichtlich des Ergebnisses und des Ausgangs von Aushandlungsprozessen (vgl. Sturzbecher/Hess 2003:53) rekonstruieren. Eine entsprechende Offenheit lässt sich dahingehend beschreiben, dass die Fachkraft entweder bewusst Sequenzen zur Einflussnahme arrangiert oder die ursprünglich angedachte Vorstellung der Fachkraft über den musikalischen Gegenstand sich durch Ideen der Kinder verändert. Kontrastierend hierzu zeigt sich im Rahmen eines Interviews, in dem sich sowohl hinsichtlich der didaktischen als auch der gestalterischen Dimension keine Aushandlungsprozesse rekonstruieren lassen, dass thematische Inhalte betreffende Äußerungen zur Gestaltung des musikalischen Gegenstandes von Kindern als störend sowie als Ursache von Unruhe erachtet werden bzw. nur dann einbezogen werden, wenn diese in Einklang mit den Zielen der Fachkraft stehen. Dies lässt sich somit als eine Begrenzung zur Ermöglichung von Partizipation verstehen. Wenn Äußerungen von Kindern nicht aufgenommen oder ignoriert werden, ergeben sich keine Aushandlungsprozesse, was somit wiederum auf eine nicht gegebene rechtliche Absicherung zur Einbringung der Bedürfnisse von Kindern verweist. Davon ausgehend lässt sich Partizipation zwischen der Verfolgung eigener Zielsetzungen der Fachkraft und der Offenheit für die partizipative Gestaltung eines musikalischen Gegenstandes beschreiben.
Mit Blick auf den beruflichen Hintergrund der Fachkräfte und das Zustandekommen von Aushandlungsprozessen zeigen sich zudem Auffälligkeiten. Zwar sind alle befragten Fachkräfte MusikpädagogInnen mit akademischer Ausbildung, jedoch unterscheiden sich diese in ihren Tätigkeiten außerhalb des Projektes – die Spanne verläuft von Einzel- und Gruppenunterricht über die Leitung von Orchestern bis hin zur Durchführung von Angeboten musikalischer Früherziehung. Aushandlungsprozesse lassen sich bei jenen Fachkräften rekonstruieren, die bereits Erfahrungen im Bereich musikalischer Früherziehung haben. Dies legt den Schluss nahe, dass die Umsetzung von Partizipation, bezogen auf die Einbeziehung von Bedürfnissen, von Erfahrungen im Bereich elementarer Musikpädagogik beeinflusst ist – zumindest bei Kindern im Grundschulalter. Darüber hinaus lassen sich anhand der Interviews Veränderungsprozesse auf Seiten der Fachkräfte rekonstruieren. Diese beziehen sich dabei auf den Umgang mit Äußerungen von Kindern. Von einer Fachkraft wird der Unterricht in dem hier im Mittelpunkt stehenden Setting als Fachfremd beschrieben, wodurch der Befragte in jeder Projektstunde im Hinblick auf die Einbeziehung von Wünschen und Bedürfnisse der Kinder in dem Projektkontext dazu lerne. Eine andere Fachkraft beschreibt einen Veränderungsprozess dahingehend, dass zu Beginn des Projektes überwiegend geplante Themen umgesetzt werden sollten und dabei jedoch auf Grenzen dieser Umsetzung gestoßen wurde, etwa wenn geplante Themen bei Kindern keinen Anklang fanden. Über den Verlauf des Projektes könne die Fachkraft nach ihrer eigenen Deutung besser auf die Kinder eingehen im Sinne des oben genannten Aufnehmens des Feedbacks der Kinder. Durch Erfahrungen im Projekt verändert sich somit der Umgang der Fachkräfte mit Äußerungen von Kindern; deren Handeln wird differenzierter wahrgenommen. Auch wenn die empirische Grundlage nicht ausreicht, kann dies dennoch dahingehend verstanden werden, dass sich bei Fachkräften Kompetenzen im Hinblick auf die Einbeziehung von Äußerungen von Kindern und der Aufnahme deren Feedback weiterentwickeln. Weiter gedacht ließe sich dies als Subjektbildung erachten, indem eigenes Handeln im Projekt zum Gegenstand der Reflexion gemacht wird und sich dadurch Alternativen zu eingespielten Handlungsmustern aufzeigen können (vgl. Scherr 2004:91). Bildungsprozesse im Sinne einer erweiterten Handlungsfähigkeit können sich somit im Rahmen des Projektes ebenso auf der Seite von Fachkräften ergeben, wodurch – möglicherweise – Kinder vermehrt in Entscheidungen einbezogen werden.
Anhand der Aussagen der Fachkräfte lassen sich darüber hinaus die durch empirische Studien nachgewiesenen verschiedenen musikalischen Erfahrungsbestände von Kindern zu Beginn der Grundschule bestätigen, die sich vor allem im Aktivitätsniveau der Kinder niederschlagen. Insbesondere im Hinblick auf rhythmische Fähigkeiten werden nach Aussagen der Fachkräfte solche Unterschiede sichtbar. Bezogen wird dies von den Fachkräften auf das Nachspielen von Rhythmen auf Trommeln sowie auf das Erkennen und Erfassen des Rhythmus in Musikstücken, zu denen getanzt werden soll. Dabei werden im Projekt beteiligte Kinder, denen Fachkräfte weniger Erfahrungen im Umgang mit Musik zuschreiben, eher als zurückhaltend in den von ihnen arrangierten Situationen beschrieben, in denen Kinder ihre Ideen einbringen können. Vor dem Hintergrund jener verschiedener Erfahrungsbestände ergibt sich für Kinder eine Erfahrung von Anerkennung insbesondere anhand musikalischer Aktivitäten. Über die Interviews hinweg lässt sich die von Hermann Giesecke (2010) benannte pädagogische Grundform des Animierens wiederfinden. Darunter wird der Versuch verstanden, „andere dazu zu bewegen, in einer gegebenen Situation mögliche Lernchancen auch zu nutzen“ (Giesecke 2010:102). Dies bedeutet, Kinder zu musikalischen, ästhetischen Erfahrungen hinzuführen oder zu motivieren, indem diese dazu ermutigt werden etwa eigene Ideen einzubringen, eigene Rhythmen der Gruppe vorzuspielen oder die eigene Stimme zum Singen einzusetzen. Im Kontext des Animierens spiegeln sich dabei die Honneth’schen (2014) Anerkennungsformen wider: Eine Zuwendung, die auf die Unterstützung von Selbstständigkeit im Umgang mit Musik zielt; eine rechtliche Anerkennung, durch die Kinder mit weniger musikalischen Erfahrungen gleiche Rechte in Bezug auf die Teilnahme an Aktivitäten besitzen; eine durch Hin- bzw. Zuwendung der Fachkräfte zu Kindern mit bislang wenig oder keinen musikalischen Erfahrungen sich ergebende Akzeptanz ihrer Eigenschaften (vgl. Honneth 2014). Zudem zeigt sich in den Aussagen eine weitere, von allen Fachkräften ermöglichende Form zur Erfahrung von Anerkennung für Kinder. Durch eine von den Fachkräften hergestellte Öffentlichkeit im Sinne von Vorspiel und Aufführung – sowohl projektintern vor der Gruppe als auch vor einem erweiterten Publikum – besteht für Kinder die Möglichkeit, dass ihre Leistungen und Fähigkeiten von Anderen als wertvoll anerkannt werden (vgl. Honneth 2014). Etwa durch eine Umsetzung eingebrachter Ideen, durch Beifall bei Aufführungen oder in Call and Response Situationen durch die Reproduktion des eigenen Rhythmus von Anderen.
Vor diesem Hintergrund lässt sich zunächst konstatieren, dass für alle Kinder die Möglichkeit besteht, die für Partizipation als notwendig erachtete Anerkennung über die gestalterische Dimension zu erfahren. Anhand der Aussagen der Fachkräfte lässt sich zudem eine Veränderung bei Kindern in ihrer musikalischen Aktivität dahingehend rekonstruieren, dass diese sich selbstbewusster bei Aktivitäten beteiligen, sich dabei mehr zutrauen und somit Vertrauen zu sich selbst aufbauen. Eine Fachkraft etwa bezieht dies auf Situationen, in denen Kindern die Möglichkeit gegeben wird, eigene Rhythmen vor zu klatschen. Daraus ergeht zwar nicht, dass sich Kinder in Aushandlungsprozessen vermehrt einbringen, jedoch lässt sich daraus folgern, dass diese durch die Erfahrung von Anerkennung und der damit verbunden Entwicklung von Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstschätzung (vgl. Honneth 2014) sich vermehrt durch ihre Ausdrucksgestaltung einbringen und somit Einfluss auf die Gestaltung des musikalischen Gegenstandes nehmen können. Die Erfahrung von Anerkennung lässt sich somit als Voraussetzungen zum Einbringen des eigenen musikalischen Ausdrucks verstehen.
Schlussfolgerungen und Perspektiven
Die Analyse der Interviews und Aussagen musikpädagogischer Fachkräfte zeigte insbesondere eine Umsetzung von Partizipation im Hinblick auf die gestalterische Dimension des Partizipationsbegriffes, wogegen eine Beteiligung an der Auswahl musikalischer Gegenstände im Sinne der didaktischen Dimension nur wenig Beachtung findet, was unter anderem auf fehlende Möglichkeiten des Einbringens von Bedürfnissen und Zielen von Kindern im Hinblick auf die Auswahl von Inhalten und Themen zurückgeführt wurde. Daran wird deutlich, dass zur Umsetzung von Partizipation Kindern zunächst das Recht bzw. die Möglichkeit zur Einflussnahme auf Entscheidungen zu erteilen ist, damit darauf aufbauend Ansprüche gestellt werden können (vgl. Honneth 2014), die wiederum in Aushandlungsprozessen diskutiert werden. Innerhalb des durch Fachkräfte vorgegebenen inhaltlichen Rahmens eröffnen sich Möglichkeiten zur Partizipation von Kindern an der Gestaltung musikalischer Gegenstände. Dabei wurde im Rahmen der Ergebnisse deutlich, dass Aushandlungsprozesse hinsichtlich der gestalterischen Dimension des Partizipationsbegriffes musikalische Bildung voraussetzen. Allerdings ist davon auszugehen, dass ebenso musikalische Erfahrungen für eine Einflussnahme auf didaktische Entscheidungen vorausgesetzt werden müssen. Denn um Bedürfnisse und Ziele dahingehend einzubringen, benötigt es ein Wissen über mögliche, zu thematisierende Inhalte. Dies legt den Schluss nahe, dass Partizipation in der musikalischen Bildung, hier bezogen auf Musikprojekte im schulischen Kontext, zunächst auf Fremdbestimmung im Sinne des Anregens neuer Erfahrungen angewiesen ist (vgl. Prange/Strobel-Eisele 2006:72), um Kindern über den zeitlichen Verlauf eines Projektes die Möglichkeit zur Einflussnahme an inhaltlichen Entscheidungen zu geben. Gilt Partizipation in der Kulturellen Bildung allerdings als ein zentrales Prinzip, so sind Kinder an allen sie betreffenden Entscheidungen im Kontext eines Projektes zu beteiligen, was zugleich eine didaktische Partizipation einschließt. Womöglich liegt insbesondere an dieser Stelle ein unauflösbarer Widerspruch, dem das Partizipationskonzept – nicht nur – in musikpädagogischen Kontexten begegnet.
Die Ergebnisse der Studie zeigen darüber hinaus Differenzen im Hinblick auf die Gewährung von Einflussrechten und Mitbestimmung durch Fachkräfte auf. Diese Differenzen bewegen sich dabei zwischen einer Offenheit der Fachkräfte hinsichtlich des Ausgangs von Aushandlungsprozessen über die Gestaltung musikalischer Gegenstände und der Verfolgung eigener Zielsetzungen durch Fachkräfte. Vor diesem Hintergrund ist die Umsetzung von Partizipation als individuelles Handeln von Fachkräften zu verstehen. Die Verfolgung eigener Zielsetzungen lässt sich dabei auf Grundlage der Ergebnisse als Hindernis bei der Umsetzung von Partizipation betrachten. Ebenso deutet dies auf differente Partizipationsverständnisse der Fachkräfte hin. Für weitere Forschungen erscheint es daher notwendig, das Partizipationsverständnis von Fachkräften vertiefend in den Blick zu nehmen, um davon ausgehend weitere mögliche hinderliche Deutungsmuster bei der Umsetzung von Partizipation herauszustellen. Auch erwies sich der berufliche Hintergrund als bedeutend bei der Umsetzung von Partizipation bei Kindern, was somit darauf verweist, die Thematik in Ausbildungsgängen und Fortbildungen zu verankern und die Umsetzung von Partizipation –und damit verbunden die Einbeziehung kindlicher Äußerungen – als Bildungsprozess bei Fachkräften zu verstehen, was sich in den Ergebnissen andeutete.
Zwar hat sich gezeigt, dass sich über die Gestaltung des musikalischen Gegenstandes und durch die damit einhergehenden Vermittlungsmethoden die Möglichkeit für Beteiligung (vgl. Schorn 1999:189) – im Sinne des hier bestimmten Partizipationsbegriffes – und zur Erfahrung von Anerkennung bietet. Dennoch ist in weiterführenden Arbeiten der Blick darauf zu werfen, ob und inwieweit durch eingesetzte Vermittlungsmethoden sowie auch durch unbewusstes Handeln von Fachkräften Ausschließung erzeugt wird (vgl. hierzu auch Rat für Kulturelle Bildung 2014:51).
Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Studie lässt sich schließend die Frage aufwerfen, ob Partizipation in der musikalischen Bildung – mit dem hier zugrunde gelegten Verständnis und bezogen auf Settings, in denen Fachkräfte nicht an inhaltliche Vorgaben gebunden sind – dem Anspruch, Kinder an didaktischen Entscheidungen und an der Gestaltung musikalischer Gegenstände zu beteiligen, gerecht werden kann.