Zur Diskussion der Begriffe Diversität und Inklusion – mit einem Fokus der Verwendung und Entwicklung beider Begriffe in Kultur und Kultureller Bildung
Die Begriffe Diversität und Inklusion spielen in der Kulturellen Bildung, aber auch im Kulturbereich eine zunehmende Rolle. Dabei kann beobachtet werden, dass es im Diskurs oftmals an Trennschärfe der Begrifflichkeiten fehlt. Vielfach werden die Begriffe synonym verwendet (Allemann-Ghionda 2013). Tendenziell wird in der kultur- und bildungspolitischen Praxis Diversität eher im Kontext von Nationalität/Religion/Herkunft eingesetzt, Inklusion eher im Kontext von Menschen mit Behinderung. Dabei sind die Dimensionen beider Begriffe wesentlich vielschichtiger. Im Folgenden werden diese Begriffsdimensionen und ihr Ursprung kurz skizziert, Hintergründe zur Verwendung und Bewertung der Begriffe Kultur und Kulturelle Bildung in einer zeitlichen Dimension verortet und abschließend in ihren unterschiedlichen Perspektivsetzungen diskutiert.
Ursprung und Dimensionen des Begriffs Diversität
„Der Begriff Diversität stammt ursprünglich aus der Biologie und beschreibt dort Artenreichtum (Buß 2010:124).“ Gesellschaftspolitisch ist der Begriff Diversity eng verbunden mit der „Antidiskriminierungs- und Gleichberechtigungsbewegung der 1960er und 1970er Jahre in den USA“ (Kreff/Knoll/Gingrich 2011:52), hier insbesondere im Kampf gegen Rassismus gegenüber schwarzen US-BürgerInnen (Vertovec 2012).
Der Begriff hat einen beschreibenden Ansatz und keinen handlungsorientierten. Nicht zuletzt die Aktivitäten der UNESCO haben Diversität in einen engeren Bezug zu kulturellen Fragen gesetzt, da der Begriff hier in Zusammenhang mit nationaler bzw. lokaler kultureller Vielfalt gebracht wird. Die UNESCO setzt sich für den Schutz des kulturellen Erbes bzw. Vielfalt ein: so 1996 in dem UNESCO-Report „Our creative Diversity“ (Pérez de Cuéllar 1997) der Weltkommission „Kultur und Entwicklung“, 2001 in Paris mit der „Allgemeinen Erklärung zur kulturellen Vielfalt“ (UNESCO 2002) in Analogie zur biologischen Vielfalt der Natur. 2005 wurde in einer UNESCO-Generalkonferenz ein „Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ (UNESCO 2005) getroffen.
Neben dem Bezug auf kulturelle Vielfalt, wie sie die UNESCO setzt, wird Diversität im Kontext der Gleichberechtigungsbewegung oft auf „sechs Kerndimensionen von Diversity“ fokussiert, die auch die EU-Grundrechtecharta im Jahre 2000 (Europäische Gemeinschaft 2000) aufgreift: Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, ethnisch-kulturelle Zugehörigkeit, Religion und Behinderung.
Diskursentwicklung des Begriffs Diversität in Kultur und Kultureller Bildung in Deutschland
Die Verwendung des Begriffs Diversität ist in Deutschland im Kulturbereich durch unterschiedliche Perspektiven und Entwicklungsstadien geprägt und wird sehr stark, wie vorausgehend schon hervorgehoben, mit den Dimensionen Nationalität/Religion/Herkunft verknüpft. Etabliert hat sich der Begriff Diversität dabei erst später im Zuge des politischen Diskurses um Migration. Zu Beginn der Einwanderung von Arbeiterinnen und Arbeitern in den 1950er und 1960er Jahren spielte das Konzept Diversität keine Rolle. Der Fokus lag hier eher auf multikulturellen und separativen Ansätzen, so die „Ausländerpädagogik“ (Mecheril 2010:60) in den 1980er Jahren und damit einhergehend „die Vielfalt von nebeneinander existierenden Teilkulturen […]. Das Straßenfest mit türkischen, italienischen und spanischen Ständen war die Leitpraxis (Keuchel/Wagner 2012).“ Das Nebeneinander verschiedener Teilkulturen, ohne Bemühungen in Richtung integrativer oder gar inklusiver Konzepte, spiegelt sich auch in den sogenannten National- bzw. Ausländerklassen wider (vgl. Nohl 2006:81), in denen ausschließlich Kinder aus bestimmten Herkunftsgebieten unterrichtet wurden. Diese Praxis zeugt von dem damaligen Zeitgeist, die Rolle Deutschlands als Einwanderungsland zu verleugnen (Dernbach 2006).
Nicht zuletzt mit der Erkenntnis, dass die GastarbeiterInnen der 1950er und 1960er Jahre nicht nach ihrem Berufsleben in das Herkunftsland zurückkehrten und multikulturelle Konzepte zunehmend für die Segmentierung der Gesellschaft verantwortlich gemacht wurden (Malik 2015), trat die Forderung im Kulturbereich nach mehr interkulturellen Konzepten in den Vordergrund. Die neue Bedeutung von Interkulturalität als neue kulturelle Wahrnehmungsperspektive spiegelte sich in einer Vielzahl von Maßnahmen wider, u. a. in der Gründung des Bundeskongresses „Interkultur“. Konzepte von interkulturellem Lernen bzw. Kompetenz können u. a. auf den Sozial- und Kulturpsychologen Alexander Thomas zurückgeführt werden, der die Ansicht vertritt, dass „Kenntnis kultureller Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Wahrnehmung, im Denken, Werten, Empfinden und Handeln […] ein besseres Verständnis des fremdkulturell geprägten Partners“ ermöglicht. „Interkulturelle Handlungskompetenz, also die Fähigkeit, auch ein fremdkulturelles Orientierungssystem effektiv zur Handlungssteuerung in kulturellen Überschneidungssituationen produktiv zu nutzen, erfordert neben interkulturellem Verstehen fremdkulturelles Akzeptieren und einen intensiven interkulturellen Lernprozess (Thomas 2006:116).“ Thomas spricht innerhalb seines Konzepts auch von „kulturellen Divergenzen“ (ebd.:117). Mit der Verbreitung des Konzepts „Interkulturalität“ im kulturpolitischen Diskurs etabliert sich in einem zweiten Schritt auch der Begriff Diversität. So betonte beispielsweise Rolf Graser vom Forum der Kulturen in Stuttgart, einer der Initiatoren des Bundesfachkongresses, auf dem 4. Bundesfachkongress „Interkultur“: „Der Bundesfachkongress hat neue Maßstäbe gesetzt, in dem er in seiner gesamten Ausrichtung die Begrifflichkeit der Integration gegen die der Diversität ausgetauscht hat […] (Kulturbehörde 2012).“
Infolge der Entwicklung neuer Gesellschaftsstudien, sogenannter Milieustudien (vgl. Schulze 1992 und Sinus Sociovision 2008), die sich wegentwickelten von einer eindimensionalen Betrachtung – beispielsweise einer ethnischen, nationalen Diversitätsorientierung hin zu komplexeren mehrdimensionalen Betrachtungsweisen, die auch sozial bzw. religiös definierte Werteorientierungen oder Konsumgewohnheiten berücksichtigten –, kann eine zunehmende kritische Distanz gegenüber dem Konzept „Interkulturalität“ beobachtet werden und eine gleichzeitige Hinwendung zu dem Modell der „Transkulturalität“ von Wolfgang Welsch (1995). Dieser verweist auf das Phänomen, dass Kulturen weniger geschlossenen und homogenen Nationalkulturen entsprechen, vielmehr (zunehmend) pluralistisch und grenzüberschreitend sind. Verflechtungen und Vermischungen der Kulturen sind demnach die Regel. Demnach entwickelt sich im Sinne postmigrantischer Konzepte eine kritische Bewegung in Deutschland, die eine ausschließliche Orientierung an der Zielgruppe der Migrantinnen und Migranten ablehnt (vgl. Yildiz 2009:73ff.), mit der Begründung, dass diese eine Stereotypisierung fördert.
Entsprechend wird das Diversitätskonzept auch kritisch bewertet, da es zunächst Differenzen konstituiert und auch die Merkmale der Differenz den Konstituierenden überlässt. Mit dem Differenzkonzept ist, wie auch bei den Begriffen Poly- und Inter-Transkulturalität, keine Handlungskonsequenz vorgegeben, sondern lediglich eine spezifische Betrachtungsweise. Kritisch wird dennoch von Einzelnen (vgl. hierzu Gayatri Spivak, Sarah Ahmed, Nikita Dhawan oder Davina Cooper) gesehen, dass der Begriff Diversität sich historisch aus der Gleichbehandlungsbewegung entwickelt hat.
Ursprung Dimension des Begriffs Inklusion
Auch der Begriff Inklusion bzw. Inclusion wird auf Gleichberechtigungsbewegungen im US-amerikanischen Raum (Hinz 2008:34), hier Elternbewegungen, zurückgeführt. „So waren es insbesondere die Elternverbände TASH (The Association for the Severely Handicapped) und in Kanada CACL (Canadian Association for Community Living), die ihre Unzufriedenheit bzgl. einer Integrationspraxis äußerten [...] (Köpfer 2012).“
Entsprechend wird der Begriff Inklusion im Fachdiskurs stärker bezogen auf Menschen mit Behinderung. Dabei thematisiert der Begriff Inklusion im Gegensatz zum Begriff Diversität ein Handlungsziel. Etablierte sich der Begriff Diversität in Deutschland erst spät im Fachdiskurs nach einem vorausgehenden Entwicklungsprozess, der zunächst verschiedene Teilaspekte wie Poly-, Inter- und Transkulturalität betrachtete, kann ein ähnlicher Prozess auch bezogen auf den Umgang mit diversen Zielgruppen, insbesondere mit Personen mit Behinderung, beobachtet werden. Hier sind es jedoch zunächst Gegenmodelle, die in einer logischen Konsequenz zur Inklusion führten. Die Gegensätzlichkeit der Vorläufermodelle im Fachdiskurs steht in Beziehung zur Handlungsorientiertheit des Inklusionskonzepts.
Die Handlungsorientiertheit des Inklusionsbegriffs kann wiederum auf die fachliche Nähe des Begriffs zur Pädagogik zurückgeführt werden: Pädagogik hat immer auch einen normativen Anspruch (Heitger 1966:39). Der historische Weg hin zu einer inklusiven Pädagogik kann über die Konzepte „Exklusion“, „Separation“ und „Integration“ beschrieben werden. In der Praxis zeigen sich hier auch starke Parallelen zum kulturellen Umgang mit Migration in unserer Gesellschaft.
In der historischen Betrachtung wurden „[…] bis zum 19. Jahrhundert […] Schüler/innen mit Behinderungen bzw. sonderpädagogischem Förderbedarf nicht unterrichtet und […] aus vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen (Institut für Bildungscoaching o. J.).“ Mit der ersten „Hilfsschule“ (vgl. Stötzner 1864), die in Deutschland (in Leipzig) 1881 eingerichtet wurde, wird ein Richtungswechsel weg von der Exklusion hin zur Separation eingeleitet.
Der dritte Schritt zur Integration beschreibt dann pädagogisch in einem weiteren Schritt eine einseitige Öffnung. Menschen mit anderen Voraussetzungen werden in das bestehende System, das sich an der sogenannten gesellschaftlichen „Norm“ orientiert, integriert. Ähnliches konnte in der deutschen Migrationspolitik beobachtet werden, in der das kulturelle Kapital migrantischer Bevölkerungsgruppen aus den Herkunftsländern nicht als Ressource, sondern eher als „Gefahr“ betrachtet wurde. Erklärtes Ziel der Integration ist somit eine Anpassung an das bestehende System einer Mehrheitsgesellschaft.
Inklusive Konzepte stellen einen individuellen Förderbedarf mit Blick auf die Besonderheiten der oder des Einzelnen in den Mittelpunkt, wobei die unterschiedlichen Voraussetzungen der oder des Einzelnen nicht als Nachteil, sondern als Ressource eines inklusiven pädagogischen Gruppenkonzepts verstanden werden. Von Beginn an stand die Idee einer „effektiven Schule für alle“ („effective school for all“) im Vordergrund. Auch im Kontext des Begriffs Inklusion engagierte sich, wie vorausgehend bei dem Begriffskonzept Diversität, die UNESCO. So wurde auf der UNESCO-Konferenz 1994 in Salamanca zum Thema „Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität“ in einer Erklärung „Inklusion als wichtigstes Ziel der Internationalen Bildungspolitik“ (vgl. Salamanca 1994) hervorgehoben. Ein wichtiger Meilenstein in diese Richtung war 2006 die deutsche Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, in der es in Artikel 24 der Konvention heißt: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen […].“
Fazit – Perspektivwechsel, Gemeinsamkeiten und Unterschiede
In einer abschließenden vergleichenden Betrachtung beider Begriffe zeigen sich große Überschneidungen in der inhaltlichen Aussagekraft und Entstehungsgeschichte. Beide Begriffe entwickeln eine größere gesellschaftliche Schlagkraft in der Bürgerrechtsbewegung der USA in den 1970er Jahren aus dem Anliegen heraus, gegen Ungleichheit vorzugehen. Diversität und Inklusion sind zentrale Themen und Anliegen der UNESCO. In Deutschland etablierten sich die Begriffskonzepte im Kulturbereich erst spät und zögerlich. Entsprechend durchliefen beide Begriffe einen Entwicklungsprozess im Fachdiskurs, der zunächst Teilperspektiven – wie Poly- oder Interkulturalität – bzw. zunächst gegensätzliche Modelle – wie Segregation oder Integration – thematisierte.
Unterschiede liegen in der fachlichen Verortung: Der Begriff Diversität ist eher dem kultursoziologischen Diskurs, der Begriff Inklusion eher dem pädagogischen zuzuordnen. Die Zielgruppenorientierung in der Entstehungsgeschichte lag bei der Gleichbehandlungsbewegung der Inklusion eher bei Menschen mit Behinderung, bei der Diversität eher bezogen auf Ethnien bzw. Herkunft.
Der entscheidende Unterschied beider Begriffskonzepte liegt darin, dass Diversität lediglich eine Betrachtungsebene ist, Inklusion setzt dagegen Handlungsziele bzw. impliziert Handlungsstrategien: Damit „beinhaltet allein das Inklusionsprinzip eine rechtliche Dimension, die politische Schlagkraft entwickeln kann“ (Georgi 2015:27). Gemeinsam ist beiden Konzepten der positive „Perspektivwechsel“ auf Unterschiede (vgl. ebd.). Der Begriff Diversität setzt diesen auf der Betrachtungsebene, der Begriff Inklusion auf Handlungsziele.
So bezieht sich Inklusion eben nicht auf eine Gleichbehandlung und -betrachtung von Menschen innerhalb einer gesellschaftlichen Gruppe, sondern explizit auf das Konzept „Diversität“: Die Einzigartigkeit der oder des Einzelnen soll als Ressource in eine Gruppenkonstellation einfließen und dies wird nur durch individuelle Förderung möglich.
Vorausgehend wurde darauf verwiesen, dass Diversität von Einzelnen kritisch bewertet wird, da das Konzept auch dazu einladen könnte, Unterschiede zu konstruieren, die zur Exklusion von Gruppen innerhalb einer Gesellschaft genutzt werden könnten. Im Sinne des Handlungsziels Inklusion bedarf es aber gleichfalls eben dieser Betrachtungsebene von Diversität, um Vielfalt als wertvolle Ressource der Gesellschaft sichtbar zu machen und individuelle Förderung in den Mittelpunkt zu stellen.