Verwoben und ambivalent. Das Verhältnis von Bildung und Konsum in der Kultur der Moderne
Abstract
Vor dem Hintergrund der Frage, inwiefern Machtverhältnisse in Prozessen kultureller Selbstverständigung wirksam sind, möchte der folgende Beitrag einen kultursoziologischen Blick auf das Verhältnis von Bildung und Konsum werfen. Die hierbei vertretene These lautet, dass die geläufige kontradiktorische Gegenüberstellung von Bildung und Konsum sowie die Kritik an Konsumprozessen (zumindest auch) strategische Elemente im Ringen um soziale Distinktion und um kulturelle Deutungshoheit darstellen. In diesem Zusammenhang greift der Beitrag auf Andreas Reckwitz´ Theorie agonaler Subjektkulturen in der Moderne zurück. Dies geschieht um zu zeigen, dass Bildungsprozesse im Sinne des Neuhumanismus der modernen Konsumorientierung eben nicht entgegen stehen, sondern sie maßgeblich vorbereiten, indem sie nämlich das sich bildende Subjekt mit für das Konsumieren notwendigen Dispositionen ausstatten. Vor diesem Hintergrund bestimmt der Beitrag das Verhältnis von Bildung und Konsum mit Blick auf die Gegenwart neu: Auf der einen Seite scheint eine bildungstheoretisch ausgerichtete Konsumkritik gefragt und notwendig, insofern Konsum heute auch als eine ›Investition in das eigene Humankapital‹ (Gertenbach) angesehen werden kann. Auf der anderen Seite werden – wenn auch nur ausblickhaft – aber auch produktive Schnittmengen von Bildung und Konsum aufgezeigt, und zwar einerseits auf dem Feld kulturell-ästhetischer und andererseits auf dem Feld konsumästhetischer Bildung.
Einleitung: Unbildung und Konsum
Vor dem Hintergrund einer umfassenden Ökonomisierung des Bildungswesens vertritt Konrad Paul Liessmann die These, dass eine zeitgemäße Bildungstheorie nur als eine ›Theorie der Unbildung‹ formuliert werden kann. Denn gemessen an den Ansprüchen neuhumanistischer Bildungstheorie könne heute lediglich der Verzicht auf eine derartige Leitidee von Bildung konstatiert werden. Liessmann zufolge realisiert sich Bildung als Prozess der »geistige[n] Arbeit an sich und an der Welt« (Liessmann 2006:59), nämlich durch »erkennen, verstehen, begreifen« (ebd.:29). Demgegenüber zeichne es den ökonomisierten Ungeist aus, eine konsumierende Haltung sich und der Welt gegenüber einzunehmen: »Bildung erscheint längst nicht mehr als Ausdruck einer eigenen und zunehmend selbstverantwortlich organisierten Anstrengung, sondern als das Konsumieren eines Produkts« (Liessmann 2014:114). Unter Berufung auf den Konsumkritiker Benjamin Barber versteht er unter dem Konsumieren folgendes:
Das passive Aufnehmen mit dem Mund, das Saugen, Essen und Trinken gilt auch im übertragenen Sinn als Modell für alle unsere Verhaltensweisen: [...] Konsumieren heißt deshalb, dass andere Formen, mit denen Menschen der Welt bisher gegenübergetreten sind [...], durch eine uniforme Passivität, deren Modell der orale Verzehr ist, ersetzt worden sind (ebd.:113).
Liessmann stellt also Bildung im Sinne eines aktiven und geistigen Prozesses dem Konsum als einem passiv und körperlichen Welt- und Selbstverhalten gegenüber, den er vor diesem Hintergrund als eine derzeit dominante Erscheinungsform der Unbildung kritisiert.
Max Horkheimer betont, dass man misstrauisch sein sollte, »wenn einer die Phänomene wie Schafe und Böcke einteilen will«. (Horkheimer 1983:25) Deshalb möchte ich im Folgenden die Kontradiktion von Bildung und Konsum, wie sie von Liessmann exponiert wird, ein wenig irritieren. Denn die Selbstverständlichkeit, mit der Bildung und Konsum als eindeutiges Gegensatzpaar behandelt werden, erscheint mir nicht nur wenig fruchtbar und unhaltbar, sondern auch verdächtig. Mein Anliegen ist es, zum einen dort auf ›Interferenzen‹ im Sinne »produktive[r] Überlagerungen« (Thompson/Jergus/Breidenstein 2014:7) hinzuweisen, wo identifiziert wird. Zum anderen sollen dort Unterschiede markiert werden, wo universalisiert wird. Hierbei geht es mir weder um eine Gleichsetzung von Bildung und Konsum noch um eine bildungs- und konsumtheoretische Beantwortung der Frage, ob und inwiefern Konsum bildend wirken beziehungsweise ob und inwiefern Bildung im Modus des Konsums realisiert werden kann (vgl. hierzu jüngst Knobloch/Schütte 2017). Demgegenüber soll hier ein kultursoziologischer Blick auf das Thema ›Bildung und Konsum‹ geworfen werden. Ich möchte zeigen, dass Bildung und Konsum in der Kultur der Moderne durch ein komplexes und ambivalentes Beziehungsgeflecht aufeinander verweisen und miteinander verwoben sind.
Konsumkritik, kritischer Konsum und Bildung
Liessmanns Feststellung, mit seiner ›Theorie der Unbildung‹ die Bildungskritik Theodor W. Adornos fortzusetzen (vgl. Liessmann 2006:10), ist mit Blick auf das Thema ›Bildung und Konsum‹ zuzustimmen. Denn auch bei Adorno konvergieren Bildungs- und Konsumkritik: Halbbildung sei vom »Fetischcharakter der Ware ergriffener Geist«. (Adorno 1959:108) Innerhalb der Frankfurter Schule findet dies ideengeschichtlich dann bei Herbert Marcuse (Marcuse 1980) und vor allem bei Wolfgang Fritz Haug (Haug 1971) seine Fortsetzung. Ihre These lautet: Indem Konsum ›falsche Bedürfnisse‹ (Marcuse) schaffe, erzeuge er ›Schein, auf den man hereinfällt‹ (Haug).
Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Topos ›Konsumkritik‹ nicht nur auf links-intellektueller Seite, sondern auch im konservativen Lager Popularität besitzt. Hier allerdings hat er eine anders gelagerte Stoßrichtung. Der Literatur- und Kulturtheoretiker Thomas Hecken fasst die Essenz konservativer Konsumkritik prägnant zusammen:
Die Diagnose – und der Vorwurf – lautet: Der Konsumismus befördere eine gefährliche, passive, bequeme, zerstreute Haltung und eine gewisse moralische Indifferenz, die zwar nicht in groben Verstößen, aber in Egoismus und Selbstbezüglichkeit zum Ausdruck komme (Hecken 2010:201).
Umso mehr verwundert es, dass, wie Hecken (vgl. ebd.:217-219) zeigt, auch neoliberale Positionen dezidiert Konsumkritik äußern. Ihr Argument lautet: Die durch den Konsum hervorgerufene Apathie hindere vor allem die sogenannte ›neue Unterschicht‹ daran, das Nötige zur Verbesserung ihrer sozialen Lage selbst in die Hand zu nehmen. Und so würden staatliche Ausgaben nötig, was wiederum das Wirtschaftswachstum hemme.
Hecken verweist schließlich auf Vertreter einer antiakademischen Kunstauffassung: Diese wären zwar seit gut 40 Jahren dazu übergegangen, grundsätzlich »alle möglichen Artefakte« von Comics, TV-Serien über Illustriertenfotos bis hin zur Popmusik als hohe Kunst zu kanonisieren (Hecken 2010:207). Jedoch orientiere sich eine solche Auswahl an den bildungsbürgerlichen Prinzipien der Autorschaft sowie negativ an der prinzipiellen Ablehnung funktionaler Kriterien als Beurteilungsinstanzen von Kunst. So blieben vor allem die zumeist anonym oder kollektiv hergestellten Produkte des »gängigen Konsums« (ebd.:208) außen vor.
Vor dem Hintergrund, dass sowohl libertäre Linke, Konservative, Neoliberale als auch Verfechter hoher Kunst sich angesichts des Konsumphänomens die kritischen Hände reichen, fällt Hecken folgendes Urteil über die Macht der Konsumkritik: Selten zeige sich »die Macht gebildeter Auffassungen [...] in den öffentlichen Debatten einmal so stark wie im Falle der Konsumkritik« (ebd.:219). Denn Professoren an Universitäten, Unternehmer in Konzernen, Publizisten in Verlagen und Zeitungen und Politiker in Bildungsministerien prägten
nicht unwesentlich die politische Meinungsbildung und kulturelle Ausgestaltung des Landes in den Bereichen, deren Zustand von dem Votum einer ausgewählten akademischen Schicht bestimmt wird, die es gewohnt ist, ihre Ansichten und Entscheidungen im Horizont einer universitären und intellektuellen Publizistik zu formen (ebd.:206).
Immerhin käme diesen Gruppen die Macht zu, »die Auswahl der Gegenstände des Konsums und die Art und Weise des Konsumierens mit zu prägen« (ebd.).
Die heute zu beobachtende massenhafte Etablierung eines konsumkritischen Habitus ist wohl nicht zuletzt auf die intellektuelle (Konsum-)Kritik der letzten rund 45 Jahre zurückzuführen. Die Selbstverständlichkeit dieser Kritik lässt jedoch mitunter leicht vergessen, dass sie »nur einen bestimmten Bereich des Konsums betrifft und keineswegs auf eine vollständig asketische Lebensführung der intellektuellen Kritiker schließen lässt« (ebd.:220). Dies ist insofern bemerkenswert, als diese genau das Gegenteil suggerieren: Man betrachtet »den Konsum so, als seien die derart Kritisierenden selbst nicht in [ihn] involviert« (Schrage 2014:1). Das sollte stutzig machen:
Eine große Hausbibliothek, aber auch ein gut gefüllter Weinkeller, eine DVD-Sammlung der Schwarzen Serie, ein ausgesuchtes oder reichhaltiges Mobiliar von Designklassikern oder Naturhölzern, ein Kühlschrank voller Bio-Lebensmittel – all das erfüllt nicht den Tatbestand des Konsums, sondern zählt dem eigenen, gehobenen Selbstverständnis nach zu einer kultivierteren Sphäre (Hecken 2010:221).
Entspringt die Konsumkritik womöglich noch anderen Motiven als denen der Verwirklichung emanzipatorischer, humanistischer, ökonomischer oder ästhetischer Ideale? Offensichtlich stellt auch die Konsumsphäre einen »Ort von Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Ordnungsentwürfe« dar (Hälterlein 2015:13). Wenn man mit Pierre Bourdieu die soziokulturelle Dynamik als eine konflikthafte und auf Distinktion abzielende Praxis versteht (Bourdieu 1982), der es vor allem um »die Durchsetzung der legitimen Definition von Wirklichkeit« geht (Bourdieu 1987:258), dann kann die Haltung der Konsumkritik durchaus als Machtphänomen gedeutet und kritisiert werden.
Eine weitere Perspektive auf das Thema ergibt sich durch den seit einiger Zeit zu beobachtenden Wandel im Verhältnis von Konsum und Kritik. Dieser wird durch das Phänomen des ›kritischen Konsums‹ und durch die Sozialfigur des ›moralischen Konsumenten‹ (Hellmann 2010) angezeigt. Kritischer Konsum kann mit der Konjunktur des Topos ›Nachhaltigkeit‹, aber auch mit einer generell zu beobachtenden ›Moralisierung der Märkte‹ (Stehr 2007) in Verbindung gebracht werden. Der Wirtschaftswissenschaftler Nico Stehr bemerkt, dass Konsumenten »immer häufiger als gut informiert und klug bezeichnet« würden (ebd.:11). Der Soziologe Dominik Schrage beschreibt das Handeln kritischer Konsumenten als »hinsichtlich seiner Folgen überlegt und an ethischen Maßstäben ausgerichtet«. Kritischer Konsum sei von der Hoffnung begleitet,
dass ein kritisches Bewusstsein der ökologischen und sozialen Folgen des eigenen Kaufverhaltens zu einer sparsamen Nutzung von Ressourcen und zu gerechteren Arbeitsbeziehungen, gerade in globalem Maßstab, führe (Schrage 2014:4).
Das Phänomen des kritischen Konsums erlaubt es nun, zum einem einen Blick auf die zuvor erörterten Formen der Konsumkritik zu werfen und zum anderen, eine erste Alternative zu Liessmanns Kontradiktion von Bildung und Konsum aufzuführen: Die konsumkritischen Vorwürfe, dieser befördere ›Apathie‹ und eine ›moralische Indifferenz‹, greifen in Bezug auf den kritischen Konsum ins Leere. Ganz im Gegenteil scheint kritischer Konsum aus sozialem Engagement heraus und Verantwortungsbewusstsein der Umwelt und anderen Menschen gegenüber motiviert. Zugleich zeigt sich am kritischen Konsum die Einseitigkeit von Liessmanns Konsumverständnis. Denn die Praxis kritischen Konsumierens kann nicht aus einer uniform-passiven Grundhaltung der Konsumenten erklärt werden. Viel einleuchtender erscheint es, den kritischen Konsum als praktische Konsequenz von eben solchen Aktivitäten zu deuten, an welche Liessmann Bildungsprozesse knüpft, nämlich an Verstehens- und Erkenntnisprozesse. Kann man daher – sozusagen mit Liessmann gegen Liessmann – kritischen Konsum als einen möglichen Ausdruck von Bildung verstehen?
Obwohl diese Denkmöglichkeit durchaus plausibel erscheint, möchte ich mich ihr nicht ohne Weiteres anschließen. Denn die Beobachtung Adornos, Bildung verstricke sich in den »Schuldzusammenhang des Privilegs« (Adorno 1959:107), trifft ebenso auf den kritischen Konsum zu: Kritische Produkte haben ihren Preis – und den muss man sich erst einmal leisten können. Es ist durchaus nicht ausgemacht, ob sich der konsumtorische Wertewandel auch jenseits einer kaufkräftigen Mittelschicht etablieren können wird. Und mehr noch: Es drängt sich auch hier die Frage auf,
ob ostentativ nachhaltiger Konsum nicht auch distinktive Funktionen erfüllt – ob die ethischen Motive [...] nicht eine etwa mit Bourdieu zu dechiffrierende Funktion bei der Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheitsrelationen erhalten (Schrage 2014:5).
Weiterhin steht zur Debatte, ob das (mehr oder weniger) rational motivierte kritische Konsumverhalten überhaupt einer alltäglichen Überprüfbarkeit zugänglich ist. Die Werte kritischen Konsums können sich im Alltag mitunter nur schwer vereinbar gegenüberstehen: Wenn man etwa Transportbedingungen hinzurechnet, muss der Kauf von biologisch angebauten oder produzierten Produkten nicht immer auch ökologisch nachhaltig sein. Und ökologische Produkte können auch unfair produziert werden. Die Konflikte, die sich kritischen KonsumentInnen hier offenbaren, sind oftmals entweder kaum oder nur mit großem Zeit- und Rechercheaufwand resp. mit entsprechender Expertise lösbar.
Vor diesem Hintergrund stellt sich nun aber auch die Frage, ob alltägliche Konsumentscheidungen nicht doch viel eher und öfter von dem geleitet werden, was mit Wolfgang Ullrich als der ›Fiktionswert‹ von Produkten bezeichnet werden kann. Dieser Ansicht nach verfügen Produkte nicht nur über einen Gebrauchswert, sondern sie sind darüber hinaus auch symbolisch beziehungsweise emotional aufgeladen. Konsumprodukte »weisen als Teil eines Lebensstils über sich hinaus« und bieten mittels ihrer Fiktionswerte »Inszenierungen von Emotionen, Handlungen, Situationen«. (Ullrich 2013:10)
Aus dieser Sicht ist das Konsumieren weniger als zweckrational ausgerichtetes Handeln anzusehen, sondern es erscheint vielmehr als eine Form ästhetischer Praxis. Das bedeutet, dass beim Konsumieren Produkte weniger aufgrund ihrer Gebrauchsfunktionen interessieren, sondern dass hier die Affektion durch Produktfiktionen im Mittelpunkt steht – und dies kann von der Intensivierung (oder Vermeidung) bestimmter Gefühle und Stimmungen bis hin zur Bestätigung bestimmter Werte oder kritisch-ethischer Haltungen gehen. An dem, was der Soziologe Gerhard Schulze im Kontext seiner Analysen zur ›Erlebnisgesellschaft‹ als Wandel von außenorientiertem zu innenorientiertem Konsum beschreibt, kann dies veranschaulicht werden: »Kauft man eine Brille als Mittel, um besser zu sehen, [...] so handelt man außenorientiert. Der innenorientierte Konsument sucht eine Brille, mit der er sich schön fühlt« (Schulze 1995:427).
Im Folgenden soll es nun darum gehen zu fragen, inwieweit die Ästhetisierung des Konsums mit Bildungsprozessen in Verbindung gebracht werden kann.
Die Ästhetisierung der Moderne
Das Phänomen der Ästhetisierung des Konsums ist nicht neu – es folgt dem Prinzip der Mode und des Luxus (Brenner 2009:59). Neu ist allerdings dessen schichtenübergreifende Ausbreitung: Denn gegenüber der oben beschriebenen Moralisierung im kritischen Konsum stellt die Ästhetisierung des Konsums weder ein rein exklusives noch ein auf ein spezifisches Milieu begrenztes Phänomen dar. Vielmehr prägt sie gegenwärtig die Alltagserfahrung verschiedenster sozialer Schichten und Klassen.
Schulze nicht unähnlich, geht der Soziologe Andreas Reckwitz davon aus, dass für das spätmoderne Subjekt konsumtorische Dispositionen grundlegende Persönlichkeitsmerkmale darstellen. Doch im Gegensatz zu Schulze, der eine empirisch fundierte Analyse der bundesrepublikanischen Gegenwart zu Beginn der 1990er-Jahre vorlegt, verfolgt Reckwitz ein historisch-kultursoziologisches Interesse. Seine Analysen gehen der Frage nach, wie es in der modernen Kultur zu dem von Schulze konstatierten Wandel von außenorientiert-zweckrationalem zu innenorientiert-ästhetischem Konsum hat kommen können. Denn immerhin stelle die konsumtorische Subjektivität auf den ersten Blick kulturell das fundamental Andere zur bürgerlichen Subjektform dar.
Dieser Prozess, dass ein zuerst kulturell minoritäres und verworfenes Subjektmodell sukzessive allgegenwärtig und bestimmend wird, ist laut Reckwitz mit klassischen soziologischen Theorien der Rationalisierung, des Kapitalismus oder der funktionalen Differenzierung nicht greifbar. Die Moderne könne nicht als »homogener Block«, sondern müsse vielmehr als »widersprüchliche, hybride Konstellation« beschrieben werden (Reckwitz 2010a:229). Ihr Fortgang verdanke sich weniger einer einheitlichen Prozesslogik als vielmehr kontingenten Kulturkonflikten. Inspiriert von Michel Foucaults Studien zur Genealogie der Moderne, deutet Reckwitz die Moderne vor allem
als ein kulturelles Phänomen, als eine historisch sich wandelnde Form von basalen Sinnstrukturen und kulturellen Codes [...], deren kultureller Wandel zudem nicht dem Muster einer linearen, bruchlosen ›Modernisierung‹ folgt, sondern eher dem beständiger Kulturkonflikte um eine tatsächliche ›moderne‹ Lebensform. Diese Sinnstrukturen ermöglichen und begrenzen bestimmte Lebensformen, sie produzieren in diesem Rahmen vor allem aber bestimmte Formen, was es heißt, ein modernes Subjekt zu sein, so dass sich innerhalb einer solchen Subjektivierungsweise bestimmte Dispositionen, Kompetenzen, Deutungsmuster und Wunschstrukturen ausbilden (ebd.:221).
Reckwitz rekonstruiert drei kulturelle Formationen der Moderne, denen jeweils eine bestimmte Subjektform entspricht: Die bürgerliche Moderne vom 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem bürgerlichen Subjekt, die organisierte Modere ab den 1920er-Jahren mit dem Angestelltensubjekt sowie die Spätmoderne von den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart mit dem individualästhetischen Konsumsubjekt. Ihre agonale Dynamik entfaltet die Moderne nach Reckwitz vor allem durch das Auftreten verschiedener ästhetischer Gegenbewegungen. Diese eröffneten gegenüber den jeweils dominanten Formationen Diskurse zur Etablierung ästhetischer Praktiken beziehungsweise der Ästhetisierung des Alltags. Für Reckwitz sind es vor allem die Romantik um 1800, die Avantgardebewegungen um 1900 sowie die Counter-Culture um 1970, die maßgeblich zur Diffusion ästhetischer Praktiken in verschiedene soziale Felder beigetragen haben. Hierbei handele es sich jedoch
um wesentlich komplexere Prozesse denn um eine bloße Verbreitung ästhetischer Praktiken von der ›Peripherie‹ ins ›Zentrum‹, vielmehr um eine voraussetzungsreiche soziale Interferenz, in der sich ästhetische Orientierungen mit diversen nicht-ästhetischen Orientierungen hybride kombinieren und damit neue Praxisformate produziert werden (Reckwitz 2010b:273).
Im Anschluss an Reckwitz´ Untersuchungen werde ich mich im Folgenden der Beschreibung der bürgerlichen Subjektform und der des Konsumsubjekts widmen. Vor diesem Hintergrund soll nicht wie bei Reckwitz die Rolle der Romantik, sondern die des neuhumanistischen Bildungsprogramms innerhalb dieser Konstellation von Subjektformen bestimmt werden.
Bürgerliches Subjekt, Konsumsubjekt und neuhumanistische Bildung
Das bürgerliche Subjekt gewinnt laut Reckwitz (vgl. Reckwitz 2010a:222-228) seine Identität vor allem aus drei Sphären sozialer Praktiken: Zum einen aus nützlicher Arbeit, zum anderen aus der bürgerlichen Familie und schließlich aus dem Kontakt mit der Hochkultur im Sinne des bürgerlich-europäischen Bildungskanons. Zusammengehalten würden diese drei Sphären durch ein sich durch rationale Lebensführung kennzeichnendes Modell von Moralität. Dieses konkretisierte sich zum einen in einer moderaten Selbstkontrolliertheit, sodass man ›Herr über sich selbst‹ ist. Das bürgerliche Subjekt beanspruche zudem Natürlichkeit – es baue auf allgemeinmenschlichen und ungekünstelten Bedürfnissen auf. Und schließlich zeichne sich sein Verhalten durch eine prinzipielle Zweckhaftigkeit aus. D.h.: Sein Handeln ist immer zielorientiert, und das Ziel markiert immer etwas Nützliches.
Reckwitz betont überdies, dass das ästhetische Konsumsubjekt als Anti-Subjekt des Bürgerlichen bezeichnet werden kann: Es stelle insofern eine fundamentale Bedrohung der bürgerlichen Subjektivierungsweise dar, als es die bürgerliche Orientierung auf Zweckmäßigkeit, Natürlichkeit und Moderatheit durch nichtzweckhaftes, artifizielles und exzessives Verhalten bedrohe. In der Tat setzt das ästhetische Konsumsubjekt statt auf Zweckmäßigkeit auf das Nicht-Zweckhafte. Denn das Konsumerlebnis dient keinem Zweck außerhalb seiner selbst, sondern ist als es selbst begehrenswert. Paradoxerweise kann aber gerade deswegen das Konsumsubjekt Gegenstände nicht als das betrachten, was sie ›natürlicherweise‹ sind, nämlich Gegenstände für den nützlichen Gebrauch. Vielmehr werden sie emotional besetzt und mit künstlichen Bedeutungen versehen. Schließlich zeigt sich die Exzessivität des Konsumsubjekts daran, dass es ihm beim Konsum nicht um einen moderaten, d.h. nützlichen Gebrauch der Dinge geht, sondern vor allem um die permanente und nicht abschließbare Aktualisierung von starken Gefühlen und Imaginationen.
Vor diesem Hintergrund soll nun die Rolle des humanistischen Bildungsprogramms in diesem agonalen Kultur- und Subjektivierungsprozess beurteilt werden. Anhand einiger Passagen aus dem Werk Wilhelm von Humboldts möchte ich zeigen, dass der bildende Umgang mit der griechischen Kultur, wie Humboldt ihn fasst, eben jene drei Merkmale (Nichtzweckhaftigkeit, Artifizialität und Exzessivität) aufweist, die Reckwitz Konsumprozessen und dem Konsumsubjekt zuschreibt.
Bekanntermaßen konzipiert Humboldt Bildung ganz explizit als einen Prozess, der sich gegen äußere Nützlichkeitserwartungen positioniert und seinen Zweck in sich selbst hat. Denn Bildung dient Humboldt zufolge nicht der sozialen Integration durch Qualifikation und Arbeit, sondern vor allem der Entfaltung des Menschen hin zu seinem »individuellen Ideal« (Humboldt zit. nach Menze 1965:119). Dies geschieht laut Humboldt idealerweise durch den Kontakt mit griechischen Kulturprodukten, mit deren Schriften, Kunst- und Bauwerken. Humboldt begründet dies damit, dass die griechische Kultur »das Ideal alles Menschendaseyns« darstellt und so »die reine Form der menschlichen Bestimmung« zur Anschauung bringt (Humboldt 1997:69). Inwiefern aber geschieht die Beschäftigung mit der griechischen Kultur auf artifiziellem Weg – und warum sollen im bildenden Umgang mit griechischen Kulturprodukten diese nicht so gelassen werden, ›wie sie sind‹? Humboldt stellt es als eine »Quelle mehrerer falscher Beurtheilungen« in Bezug auf die menschliche Bildung heraus, wenn man »die Ueberreste des Alterthums an sich und als Werke der Gattung, zu der sie gehören, betrachtet, und also allein auf sie selbst sieht« (Humboldt 1961a:1). Eine bildende Wirkung stelle sich Humboldt zufolge daher erst dann ein, wenn man in den Griechen »nicht bloß ein nützlich historisch zu kennendes Volk, sondern ein Ideal« sieht (Humboldt 1997:66). Es ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass Humboldt in einem Brief an Goethe sein Griechenbild jedoch als »subjectiv« und sogar als eine »nothwendige Täuschung« bezeichnet (Humboldt 1981:216). Humboldt bringt damit nicht nur zum Ausdruck, dass er sich durch die Beschäftigung mit griechischen Kulturprodukten vor allem imaginativ stimulieren lässt, sondern auch, dass eben diese imaginativ-artifizielle Überformung – oder in den Worten Ullrichs: die Fiktionalisierung – der antiken Kultur geradezu konstitutiv ist für die immense Bedeutung, die er ihr zuschreibt. Goethe gegenüber schließt Humboldt damit dann auch gleichzeitig eine moderate Beschäftigung mit der Antike aus, denn diese könne »höchstens ein Gewinn für die Gelehrsamkeit auf Kosten der Phantasie seyn« (ebd.:217). Was schließlich das Moment der Exzessivität anbelangt, so ist zu sagen, dass die Beschäftigung mit dem Altertum Humboldt zufolge »nur in der Tiefe der Brust« (Humboldt 1997:71) geschehen könne. Hier ist es die (bewusste) Idealisierung der Griechen, die Humboldt zufolge nicht nur ein »gewaltsames Hinreißen in eine [¼] als edler und erhabener angesehene Vergangenheit« erzwingt, »der selbst, wer wollte, nicht widerstehen kann« (Humboldt 1981:216). Das idealisierende Hingerissen-Sein von griechischen Kulturprodukten zwinge vor allem, so Humboldt, zu ihrem »unaufhörlichem Studium« (Humboldt 1961a:7), sodass die »Erregung der Empfindungen« und der »Phantasie« (ebd.:6), die es bewirkt, gewissermaßen auf Dauer gestellt werden. An anderer Stelle betont Humboldt noch einmal explizit, »dass die Beschäftigung mit dem Alterthume die Untersuchung nie zu einem Ende und den Genuss nie zur Sättigung führt« (Humboldt 1961b:25f).
Soweit also zur Interpretation des Humboldtschen Bildungskonzepts. Doch wie ist das nun zu bewerten? Obwohl Humboldt Bildung als einen zweckfreien Prozess entwirft, so ist doch immer wieder der instrumentelle Charakter von Bildung für das aufstrebende Bürgertum erkannt und kritisiert worden. Gerade als Projekt ästhetischer Selbstformung habe neuhumanistische Bildung für Max Horkheimer »doch zweifellos zur Verhärtung des einzelnen Menschen, zum Hochmut, zum Privilegienbewußtsein und der Verdüsterung der Welt« beigetragen (Horkheimer 1983:25). Und dem Soziologen Ludwig von Friedeburg zufolge stellt sie sich als
wie geschaffen [dar], um dort Eingang zu finden, wo ein Ethos für tatsächlich bereits individualisierte, vereinzelte, nicht mehr einheitlich glaubende, denkende, wollende Bürger gesucht wurde, das die überkommene Ordnung der äußeren Welt nicht in Frage stellte (von Friedeburg 1992:154).
Gegenüber dieser Kritik ergibt sich jedoch unter Rückgriff auf Reckwitz´ Modell kultureller Interferenzen noch eine andere Interpretationsmöglichkeit. Denn für das Projekt der neuhumanistischen Bildung gilt auch, was Reckwitz der europäischen Romantik zuschreibt: Neuhumanismus und Romantik lassen sich zwar nicht ausschließlich und in erster Linie, aber eben auch als eine »sinninnovative Reaktion auf die perzipierte ›Mangelhaftigkeit‹ der bürgerlichen Form, Subjekt zu sein«, verstehen (Reckwitz 2012:206). Obwohl beide »Subjektcodes« im Laufe des 19. Jahrhunderts »in domestizierter und hochselektiver Form in die bürgerliche Subjektkultur transferiert« werden, stellen sie sich
langfristig als erste Version[en] jener Sequenz kultureller Gegenbewegungen dar, die den Universalanspruch der jeweils dominierenden bürgerlichen bzw. nach-bürgerlichen Subjektkulturen dekonstruieren und dabei das – wieder sich selbst universalisierende – Gegenmodell ästhetischer Subjektivität forcieren (ebd.:204).
Die Pointe dieser Interpretation liegt darin, dass sie das Verhältnis von Bildung und Konsum neu und anders denken lässt. Denn nun erscheint nämlich die neuhumanistische Bildungskonzeption keineswegs als das ganz Andere der Konsumkultur. Vielmehr stellt sie insofern eine wichtige Voraussetzung für die Ausbreitung konsumtorischer Subjektivität dar, als sie – und zwar ganz so, wie Reckwitz zufolge die Romantik dies auch leistet – »die Dispositionen des Konsumsubjekts auf den Weg« bringt und dieses damit »als legitime Form denkmöglich, attraktiv und real« macht (Reckwitz 2010a:226).
Es ist in diesem Zusammenhang zumindest noch kurz zu erwähnen, dass sich das neuhumanistische Bildungsprogramm nicht nur, wie bei Humboldt, als eine elaborierte Form des Kulturkonsums interpretieren lässt, sondern dass im Neuhumanismus das Konsumieren sogar eine bildungstheoretische Legitimation erhält. In den ›Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen‹ ruft Friedrich Schiller ganz explizit zur »Verschönerung [des] Daseins« (Schiller 2009:116) durch Konsumprodukte auf. Denn nicht nur die schöne Kunst, sondern auch schöne Produkte formen den Menschen, so Schiller: »So wie sich ihm von außen her, in seiner Wohnung, seinem Hausgeräte, seiner Bekleidung allmählich die Form nähert, so fängt sie endlich an, von ihm selbst Besitz zu nehmen, und anfangs bloß den äußern, zuletzt auch den innern Menschen zu verwandeln« (ebd.:120).
Regierung des Konsums und Optimierung des Konsumenten
Doch ebenso, wie das neuhumanistische Bildungsprogramm zur Kritik steht, steht die unkritische Affirmation von Konsumpraktiken außer Frage. Denn auch Ästhetisierungsprozesse haben ihre Rationalität. Sie sind eben auch Prozesse der Subjektivierung: Sie unterwerfen den Einzelnen einem spezifischen Kriterienkatalog, der eine erstrebenswerte oder optimale Form des Subjekts normalisiert. Deutlich wird dies, wenn man den Konsum mit den neoliberalen Gesellschaftstransformationen der letzten Jahrzehnte in Verbindung bringt, die sich um Imperative der Selbstverantwortung gruppieren. So kann aus gouvernementalitätstheoretischer Perspektive mit dem Soziologen Jens Hälterlein eine ›Regierung des Konsums‹ (Hälterlein 2015) im Sinne einer ›politischen Technologie‹ (Foucault) konstatiert werden, in der Heteronomie und Autonomie verfilzen. Wie in einem Brennglas zeigt sich im Bereich des Konsums die »widersprüchliche postmoderne Symbiose von Selbstästhetisierung und Selbstoptimierung« (Reckwitz 2010c:213). Das Konsumieren erscheint als eine Technologie des Selbst, in der ästhetische und rational-teleologische Momente nur heuristisch voneinander getrennt werden können: Individualästhetisches Erleben, künstlerisch-kreatives Kreieren und Zur-Schau-Stellen des eigenen Stils und verantwortbaren Lebens – das sind heute nämlich auch Möglichkeitsbedingungen für »ein sich selbst optimierendes und sich in Marktkonstellationen bewährendes Subjekt« (ebd.). Das Konsumieren erscheint damit paradoxerweise auch als eine »Investition in das eigene ›Humankapital‹« (Gertenbach zit. nach Hälterlein 2015:121). Die ist nötig, um auf dem Arbeitsmarkt und privat anerkannt zu werden und reüssieren zu können. Nicht zuletzt geht es um soziale Sicherheit (Rente bspw.) und Gesundheit. Hier sind Initiative und Verantwortung in Form eines nachhaltigen und kritischen Konsums gefragt und geradezu gefordert, weil, wie Hälterlein betont, »sowohl Exklusion von den als auch Inklusion in die jeweilige(n) Märkte [...] nur von der ›competitiveness‹ oder ›prudence‹ der einzelnen MarktteilnehmerInnen abhängen« (ebd.:120).
Mit Hartmut Rosa kann man wie folgt resümieren: »Damit aber gewinnt das Wettbewerbsprinzip [...] eine geradezu determinierende Kraft über die gesellschaftlich dominanten Konzeptionen gelingenden Lebens« (Rosa 2006:100). In der Tat scheint es in spätmodernen kapitalistischen Gesellschaften kein Außen mehr zu Wettbewerb und Konsum zu geben. Die Universalisierung des Konsums transformiert und determiniert aber nicht nur das Welt- und Mitverhältnis, sondern auch das Verhältnis zu sich selbst: Als universale Konsumenten sind Subjekte, wie Rosa schreibt, »gezwungen, sich auf eine Weise zu entwerfen, die ihre Konkurrenzfähigkeit steigert« (ebd.).
Resümee und Ausblick
Es scheint also, möchte man die hier aufgestellten Überlegungen resümieren, einerseits nicht unproblematisch, wie Liessmann eine Kontradiktion von Bildung und Konsum zu behaupten. Denn diese Annahme stellt, wie mit Hecken gezeigt werden konnte, ein strategisches Element im Ringen um soziokulturelle Deutungshoheit dar. Und mehr noch: Ausgehend von Reckwitz´ Theorie der Moderne kann gezeigt werden, dass gerade diejenige diskursive Formation den Konsum mit vorbereitet, in deren Namen er heute oftmals kritisiert wird. Andererseits ginge das Bonmot von der ›List des Konsums‹ unbeschwerter von den Lippen, hätte Hälterlein nicht auf eine ›Regierung des Konsums‹ aufmerksam gemacht.
Ich möchte daher in bildungstheoretischer Hinsicht mit einigen ausblickartigen Thesen zum Verhältnis von Bildung und Konsum schießen: Seit der Moderne gibt es keine Alternative zur Bildung, seit der Spätmoderne keine zum Konsum. Bildung tritt seit jeher mit dem Anspruch der Kritik am Bestehenden auf. Den hat seit Neuestem auch der Konsum für sich entdeckt. Doch Kritik hat, wie gesehen, ihren Preis: Der ›Schuldzusammenhang des Privilegs‹, in den sich Bildung verstrickt, scheint nicht nur Fundament des Luxus- sondern auch des kritischen Konsums zu sein.
Bildung bereitet den zeitgenössischen Konsum vor und muss ihm (doch) entgegenwirken: Gegenüber der Universalisierung des Konsums und der Transformation von Konsum in Wettbewerb erscheint das Ethos der Bildung gefragt. Aber gegenüber den Zumutungen der ›großen Erzählung‹ von der Bildung des Menschen kann eine Verteidigung profan-alltäglichen Konsumierens geradezu befreiend wirken. Thomas Hecken zufolge bedeute der Konsum von
Kleidungsgegenständen, DVDs, Fahrrädern, Kosmetika, Fernsehapparaten, Besteck, Autozubehör, Kissenbezügen, Sexspielzeugen, Bildbänden, Süßigkeiten, Illustrierten, Limonaden usf. [...] für die Mehrheit der Konsumenten immer wieder zufrieden stellende Momente, die genügend annehmlichen – unterhaltsamen, dekorativen, sinnlichen – Reiz und symbolische Bedeutung besitzen, um sie von den Verlockungen großer Ekstase, Aktivität und Machtfülle Abstand nehmen zu lassen. Besonders überzeugend und tief verankert ist diese genussvolle Konsumhaltung, weil sie ihrerseits ohne eine ideologische Abgrenzung und Überhöhung auskommt (Hecken 2010:229).
Für Bildung und Konsum gilt gleichermaßen: Sie produzieren neue Möglichkeiten und reproduzieren die bestehende Wirklichkeit. Weder sollte ihnen vorentschieden kritisch-ablehnend noch unkritisch affirmativ begegnet werden.
Bildung ist weder ganz anders als noch dasselbe wie Konsum. Daher erscheint schließlich die Frage nach einer möglichen gemeinsamen Schnittmenge von Bildung und Konsum legitim und gerechtfertigt. Ich möchte in diesem Zusammenhang zwischen Bildungsprozessen in Bezug auf Konsum (für die sich ein Blick auf das Feld der kulturell-ästhetischen Bildung anbietet) und Bildungsprozessen durch Konsum (für die sich ein Blick auf das Feld der konsumästhetischen Bildung anbietet) unterscheiden:
Besonders diejenigen künstlerischen Positionen, die sich dezidiert mit Konsumphänomenen auseinandersetzen, können dazu beitragen, ein anderes und differenziertes Verhältnis zum Konsum einzunehmen, das sich diesseits der Alternative von kulturkritischer Ablehnung und naiver Affirmation verortet. Zu denken ist hier nicht nur an Künstler wie Richard Hamiltons Collage ›Just what is it that makes today´s homes so different, so appealling‹ (1956) oder Andreas Gurskys Supermarktbild ›99 Cent‹ (1999), sondern ebenso an Stefanie Senge und ihre Aktionskunst wie das Konsum-Dank-Fest in Braunschweig (2014) oder das Konsum-Mandela von und für Düsseldorf (2014) oder an den Supermarktroman ›4 Äpfel‹ (2009) des Schriftstellers David Wagner.
Während die Auseinandersetzung mit diesen oder ähnlichen künstlerischen Positionen also das Potenzial besitzt, Bildungsprozesse in Bezug auf den Konsum zu motivieren, kann aber auch die konkrete Auseinandersetzung mit Konsumprodukten bildend wirken, d.h. Bildungsprozesse durch Konsum ermöglichen. In diesem Zusammenhang habe ich gemeinsam mit Phillip Knobloch den Vorschlag gemacht, über die Möglichkeit konsumästhetischer Bildungsprozesse nachzudenken. Unserer Ansicht nach konvergieren Bildung und Konsum in einer hingebungsvoll-faszinierten Haltung zu Produkten und ihren Fiktionen, die zugleich ein ironisches Verhältnis zu sich selbst beibehält (vgl. Knobloch/Schütte 2017). Weil aber auch konsumästhetische Bildungsprozesse der ›Regierung des Konsums‹ unterstehen, ist ihnen gegenüber bildungstheoretisch(e) Kritik gefordert.