Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in künstlerischer Form
Abstract
Die Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in künstlerischer Form steht im Spannungsverhältnis von Wissen(schaft) und Kunst und berührt daher Fragen der Erkenntnistheorie, des Wissens- und des Bildungsbegriffs sowie der gesellschaftlich-sozialen Praxis von Wissensvermittlung. Die Intention verschiedener aktueller Formate lässt sich in zwei Richtungen beschreiben: Entweder geht es um die Vermittlung einer wissenschaftlichen Erkenntnis durch sinnliche und veranschaulichende (etwa körperliche, visuelle, mediale) Darstellung oder um die Darstellung als Andeutung dessen, was sich dem wissenschaftlichen Wissen entzieht bzw. darüber hinausreicht. Das Spektrum reicht von künstlerisch gestalteten Ausstellungen über Wissenschaftsfilme und Radiofeatures bis hin zu Lecture Performances. Der vorliegende Artikel befasst sich vor allem mit leibhaftigen Präsentationen in Gegenwart eines Publikums.
Konkret liegen in den derzeitigen Formen vor allem zwei Spannungsverhältnisse vor. Zum einen changieren sie zwischen Spiel und Ernst. Der Kontext der Präsentation im Sinne der Rahmung (nach Erving Goffman) des sozialen Ereignisses spielt hier eine wesentliche Rolle, da er sowohl Erwartungen als auch Beurteilungskriterien leitet. So zielen Veranstaltungen wie Science Slams in erster Linie auf Unterhaltung, im Gegensatz zu explizit künstlerischen Formaten wie Lecture Performances oder Action Teaching. Letztere bewegen sich zumeist bewusst innerhalb eines Kunstkontextes und zielen darauf, den gesetzten Rahmen zu erweitern bzw. spielerisch Bezug auf Praktiken des Bildungsbetriebs zu nehmen.
Zum anderen unterscheiden sich die Formen und dahinter liegenden Konzepte in dem Status des Wissens, das vermittelt werden soll. So findet sich der Anspruch, Wissen – als Produkt – zu vermitteln, anderen Formen liegt dagegen ein Verständnis von Wissen als Prozess zugrunde. Hier wird der Prozess des Wissens – d.h. auch die Produktionsbedingungen von Wissen – thematisiert und sichtbar gemacht. Hinter den aktuellen Entwicklungen der Zwischenformate steht die gesellschaftliche Verhandlung dessen, was als Wissen gilt, wie Erkenntnis gewonnen und wie darüber kommuniziert werden kann. Vonseiten der Kunst reflektiert dies unter anderem die künstlerische Forschung (siehe Annemarie Matzke „Künstlerische Praktiken als Wissensproduktion und künstlerische Forschung“), vonseiten der Wissenschaft sind künstlerische Darstellungsformen dem Bereich der Wissenschaftskommunikation zuzuordnen.
Historische Dimension
Die Überschrift dieses Artikels suggeriert eine klare Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Kunst, die noch nicht sehr alt ist. Diese noch ausstehende Differenzierung zeigte sich beispielsweise in der Aufführung von Experimenten im 17. Jh. (vgl. Schramm u.a. 2006). Die Wissensgenerierung erfolgt hier im öffentlichen Raum – nicht im Labor – und ist ein kollektives und populäres Schauereignis. So fanden spektakuläre Experimente unter großer Anteilnahme auf öffentlichen Plätzen und Veranstaltungen statt (vgl. Schramm 2006:XVI).
Eine zentrale Metapher in der Wissenschaft war die Bühne oder das Theater. So bestanden bis in das 19. Jh. unter der Überschrift „Lecture Theatre“ Orte, an denen Experimente zur Aufführung gebracht wurden (vgl. Schramm 2006:XVI). Leibniz entwirft ein „Theater der Natur und der Kunst“, worunter eine vollständige und systematische Bildersammlung des damaligen Wissens zu verstehen ist. Der Begriff „Theater“ meint also in erster Linie: Ort der Anschauung (vgl. Bredekamp 2003).
Lecture Performances im engeren Sinne treten seit den frühen 1960er Jahren auf. Der Begriff stammt, so Wolf-Dieter Ernst (2003:193), aus der Aktionskunst und benennt hybride Formen die sich auf dem Kontinuum von Theatralem und Wissenschaft bewegen. Aus diesen Anfängen stammt auch eine verwandte Form, das Action Teaching im Sinne einer durch künstlerische Mittel verfremdeten Lehr- und Lernsituation. Einer der Hauptvertreter hier ist Bazon Brock. Fraglich ist allerdings, ob künstlerische Lecture Performances etwas grundlegend anderes schaffen, wenn sie mit diesen Konventionen des wissenschaftlichen Vortrags brechen, oder ob sie nicht mit dem Vor-Augen-Führen von Wissensprozessen fortführen, was auch wissenschaftliche Vorträge kennzeichnet (vgl. Peters 2006:208). Die Literaturwissenschaftlerin Sibylle Peters (2006) beschreibt dies als „Figuration von Evidenz“.
Durch die Ausdifferenzierung der Wissenschaften, den rasanten Wissenszuwachs und die neuen Medien haben Formate, die wissenschaftliche Inhalte mit unkonventionellen Mitteln darstellen und in denen die Person des Forschers sichtbar ist, an Bedeutung gewonnen. Das zeigt sich in auf Unterhaltung orientierten Formaten wie Science Slams, in denen ein – teilweise abseitiger – Forschungsinhalt einem Laienpublikum in kurzer Zeit möglichst verständlich gemacht werden soll, aber auch in Formaten wie Online-Vorträgen die mit den medialen Möglichkeiten auch künstlerisch arbeiten. Letzterer Ansatz wird insbesondere durch die Arbeiten von Peters untersucht.
Aktuelle Situation
Seit Mitte der 1980er Jahre wurden in Großbritannien, seit den 1990ern auch im deutschsprachigen Raum, unter der Überschrift „Public Understanding of Science“ Initiativen und Förderprogramme zur Vermittlung der (Natur)Wissenschaften und innovativer Technologien gegründet. Hierunter zählen auch Wissenschaftsfestivals, Events wie die „Lange Nacht der Wissenschaften“, die Auszeichnungen als „Stadt der Wissenschaft“, Wissenschaftsjahre, Science Center/ Wissenschaftsausstellungen und Science Slams. Bei Science Slams handelt es sich, in Anlehnung an das Format des Poetry Slams (siehe Lino Wirag „Zeitgenössische Formen informeller Literaturvermittlung“), um einen Wettbewerb bei dem in der Regel das Publikum über den unterhaltsamsten und anschaulichsten Kurzvortrag über ein Forschungsthema abstimmt. Daneben gibt es Spezialisierungen, wie z.B. den Kasseler Philosophie Slam, der literarisch angelegt ist. In den einzelnen Präsentationen kommen auch theatrale Mittel zum Einsatz. So sind Publikumsansprache, körperliche Präsenz und Imagination in den Erklärungen/Erzählungen wesentliche Faktoren, deren Untersuchung hinsichtlich ihrer Erkenntnisfunktion noch aussteht. Veranstaltungsformen wie “Nerd Nites” oder “Powerpoint-Karaoken” spielen ebenfalls mit der Präsentation von Wissen(schaft).
Der künstlerische Aspekt und die Entwicklung des Formats der Lecture Performance werden in Wettbewerben wie „Performing Science“ in den Blick genommen, der 2007 erstmals an der Universität Gießen ausgerichtet wurde. Vonseiten der Philosophie wird im deutschsprachigen Raum an der Entwicklung von Theorie auf der Bühne gearbeitet, so etwa in „Philosophy on Stage“ – seit 2003 in Wien. Beachtung findet auch der seit 2008 stattfindende internationale Wettbewerb „Dance your PHD“, initiiert von einem Wissenschaftsjournalisten und dem Fachmagazin Science.
Innerhalb der Qualitativen Sozialforschung gibt es eine Bewegung der „Performative Social Sciences“, die in Methode und Vermittlung ihre performativen Anteile reflektiert. Beispielhaft dafür sei die Methode der Autoethnografie genannt. Hier reflektiert der Forscher die eigene Praxis und damit verbundene Emotionen, Einstellungen u.ä. Die entstehenden Ethnografien verstehen sich oft explizit auch als literarische Texte. Zugleich sind diese Methoden umstritten und werden als solipsistisch eingeordnet.
Die Vortragssituation als bekanntes kommunikatives Setting wird seit gut zehn Jahren verstärkt in der Bildenden Kunst, im Tanz und im Theater eingesetzt. Arbeitsdemonstrationen – wie etwa in der Tradition der Theaterlaboratorien, die sich als praktische Forschungseinrichtungen verstehen – sind als Vorläufer zu werten, haben jedoch allein den künstlerischen Prozess zum Inhalt. In den neueren Entwicklungen der Lecture Performance werden subjektive Geschichten, wissenschaftliche oder politische Themen mit der Reflexion des künstlerischen Prozesses und der wissenschaftlichen Methodik gekreuzt. Oftmals sind Rednerpult, Projektion oder Tafel Bühnenelemente; die verschiedenen Aufführungsorte (Theaterräume, Vorlesungssäle oder der Öffentliche Raum) kreieren jeweils die Situation der oszillierenden Wissensdarstellung. Meist handelt es sich um Soloperformances, zuweilen wird die Lecture Performance auch zu zweit ausgeführt. 2009 widmete der Kölnische Kunstverein der Lecture Performance eine eigene Ausstellung.
In Lecture Performances stehen das Sagen und das Zeigen in einem spannungsreichen Verhältnis. Das als Wissen Präsentierte wird sagend oder zeigend kommentiert, ironisiert, illustriert, unterlaufen oder erweitert. Die Kunsthistorikerin Marianne Wagner (2009:21) stellt fest: „In the lecture performance half-knowledge, invention and fiction in the treatment of truth play a fundamental role. In contrast to scholarship, the artistic lecture performance is an ideal framework within which to test out knowledge.” Die Akteure der Lecture Performance sind in der Regel auch “biografische Hybride” und sowohl in der Wissenschaft als auch in der künstlerischen Praxis verortet.
Ausblick
Der „Eventisierung“ der Wissenschaften wird durchaus mit Unbehagen begegnet (z.B. Weingart 2008). Dennoch zeugt die Zunahme der lokal organisierten Science Slams von einem breiten gesellschaftlichen Bedürfnis, zudem lässt der Legitimierungsdruck der Wissenschaften auch eine förderpolitische Forcierung dieser Formate weiter vermuten.
Es ist zu erwarten, dass künstlerische, ästhetische und sinnliche Mittel weiterhin verstärkt eingesetzt werden, um wissenschaftliche Entwicklungen und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen zu vermitteln. Dabei geht es nicht nur um Verständlichkeit einer Information, sondern auch um emotionale und lebensgebundene Aspekte des Wissens. Je stärker in diesen Formen der Eigensinn der Kunst zum Zuge kommt, umso weniger handelt es sich um Info- oder Edutainment (Begriffe, die im künstlerischen und wissenschaftlichen Kontext durchaus pejorativ verwendet werden), sondern um ein erweitertes Verständnis von Bildung und einen relativierenden Wissensbegriff, der den wissenschaftlichen Wahrheitsanspruch neben andere sinngebende Praktiken der Gesellschaft stellt.
Im Bereich der Didaktik der Wissenschaften gewinnen künstlerische Zugänge an Gewicht. So wird etwa Mathematik durch Tanz vermittelt, um Abstraktion kinästhetisch begreifbar zu machen, genauer: um gleichzeitig körperlich und geistig, konkret und abstrakt, ikonisch und symbolisch zu arbeiten (Watson 2005:22). Ein Beispiel aus einer anderen Disziplin ist das „theatrale Philosophieren“ (Gefert 2002). In einzelnen Wissenschaftsdidaktiken verzahnen sich also Kulturelle Bildung und klassische theoretische Wissenschaften.
Die Wissenschaftstheorie selbst nimmt seit etwa 20 Jahren Aspekte der Wissensproduktion in den Blick, die traditionell mit den Künsten in Verbindung gebracht werden, wie Kreativität und Gestaltung (z.B. Feyerabend 1984; Krohn 2006).
Durch die zunehmende Selbstreflexion der Wissenschaft und durch den neu aufgelebten Diskurs zum Verhältnis von Wissenschaft und Kunst ist anzunehmen, dass sich die Konventionen der wissenschaftlichen Präsentation verändern. Neues Wissen entsteht, wenn etwas Fremdes ins Denken einfällt, wie Helmar Schramm (2003:10) formuliert. Er weist darauf hin, dass Kunst oft mit der Verfremdung, Störung und Irritation arbeitet und so auf die kulturellen Gefüge der Wissensproduktion und -akzeptanz aufmerksam machen kann.
Während in der Bildenden Kunst und im Tanz die KünstlerInnen durch das Format der Lecture Performance sich „ihre Stimme erobert“ haben, hat die Lecture Performance im Theater historische Vorläufer, so etwa in der Tradition des Lehrtheaters oder im Dokumentarischen Theater des vergangenen Jahrhunderts. Das aktuelle dokumentarische Theater arbeitet teilweise explizit in Anlehnung an wissenschaftliche (ethnologische) Methoden. Kennzeichnend ist jedoch, dass im Bereich der Lecture Performance die Grenzen der klassischen Kunstdisziplinen nicht aufrecht zu erhalten sind.
Neben dem Format der Lecture Performance, das sich der Konvention des wissenschaftlichen Vortrags bedient, gibt es ebenso künstlerische Aufführungen von Wissen(schaft), welche die künstlerische Kommunikationssituation anders herstellen. Zu nennen sind Gesprächsperformances/-installationen, wie die Arbeiten von Hannah Hurtzig (z.B. seit 2005 der „Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“) oder künstlerische Wissensinstallationen, in denen das Publikum partizipativ Abstraktion begreifen kann. Ein Beispiel dafür ist die Installation „Of All the People in All the World“ der britischen Performancegruppe Stans Café, in der die Statistiken zum Klimawandel mittels Reiskörnern dargestellt wurden. Diese Formate sind allerdings noch nicht der Lecture Performance vergleichbar auf den Begriff gebracht und daher noch nicht systematisch untersucht.