Unsere Heimat ist das Dazwischen. Kulturagent*innen als Agent*innen des Wandels
Ein Gespräch mit Monika Nordhausen und Thanassis Kalaitzis vom Bundesverband Kulturagent*innen, festgehalten von Anne Hartmann und Kerstin Hübner für das kubi-online Dossier über Wissenstransfer.
Abstract
Die „Kulturagenten für kreative Schulen“ waren im gleichnamigen, geförderten Modellprogramm ursprünglich Vermittler*innen zwischen Schule und Kultur. Für gute und gelungene Projekte der Kulturellen Bildung wurde es allerdings schnell nötig, Akteur*innen aus weiteren Handlungsfeldern an einen Tisch zu bringen. Aus den Vermittler*innen wurden nahezu universelle Schnittstellenmanager*innen, die mit einem verhältnismäßig einmaligen Kompetenzprofil in der Kulturellen Bildung agieren.
Der Bundesverband „Kulturagent*innen für kreative Schulen e.V.“ (BVKA) gründete sich 2019 nach der Übergabe des Programms an vier Bundesländer mit dem Ziel, dieses spezifische Profil der Agent*innen nicht nur zu erhalten. Das Agieren im Dazwischen verschiedener Interessen, Erwartungen, Sprechweisen, Wissensgebäude könnte modellhaft für Akteur*innen in der Kulturellen Bildung und den angrenzenden Handlungsfeldern als Potenzial für kulturellen und gesellschaftlichen Wandel etabliert werden.
In diesem Interview sprechen Anne Hartmann und Kerstin Hübner mit den Autor*innen über die Entwicklung und Grundlagen eines möglichen, neuen Selbstverständnisses und darüber, welche Chancen und Herausforderungen das kulturagentische Dazwischen mit sich bringt. Dabei kommen die Zwischenräume der in Kultureller Bildung einbezogenen Handlungsfelder und Akteur*innen ebenso zur Sprache, wie das Potenzial für Wissenstransfer und die damit verbundenen Chancen für gemeinsam gestalteten Wandel. Das Gespräch fand statt vor dem Hintergrund des Projekts „Witra KuBi" und der 14. Netzwerktagung „Experiment Wissen" (2023) und ist Teil des von Hartmann/Hübner erarbeiteten kubi-online Dossiers über Wissenstransfer in der Kulturellen Bildung (i. E.).
Monika Nordhausen und Thanassis Kalaitzis sind als (ehemalige) Kulturagent*innen im Vorstand des Bundesverbandes und bringen dort ihre langjährigen Praxiserfahrungen in der Kulturellen Bildung zwischen Schule und Kultur und in den letzten Jahren auch zunehmend zwischen anderen Handlungsfeldern in der Kulturellen Bildung inkl. der Administration und Politik ein. Mit ihrer ehrenamtlichen Vorstandsarbeit sind sie mit der Weiterentwicklung und Sichtbarmachung des Profils und Tätigkeitsbereichs der Kulturagent*innen und inzwischen auch ähnlich arbeitender Agent*innen des Wandels betraut, mit der Entwicklung neuer Vermittlungsformen und neuer Kooperationen beauftragt und agieren als Interessenvertretung der Akteur*innen in Kultur- und Bildungspolitik.
kubi-online: Was ist der Bundesverband Kulturagent*innen und was sind seine zentralen Aufgaben?
Thanassis Kalaitzis: Mit dem Ende der Förderung des Modellprogramms und der Transferphase 2019 war abzusehen, dass die in fünf Bundesländern verstreuten rund 50 Kulturagent*innen weder zentral verbunden sein, noch mit Ressourcen für steuernde Aufgaben ausgestattet sein würden. Daraufhin haben wir mit Unterstützung der Stiftung Mercator den Bundesverband gegründet, um zwei zentrale Anliegen zu sichern. Zum einen wollten wir das Berufsbild oder die Vorstellung eines klar umrissenen Tätigkeitsfeldes der Kulturagent*innen weiter profilieren, und zum anderen, um Partnerschaften zu entwickeln und die Kommunikation zwischen den tätigen Kulturagent*innen in eine Struktur zu bringen. Der Fokus hat sich in den Jahren seit der Gründung etwas verändert. Wir sind auf der einen Seite damit befasst, dieses Profil der Kulturagent*innen zu schärfen und auch zu kommunizieren, also zu erklären, was die Kulturagent*innen sind, wie sie arbeiten und mit welchen Zielen und mit welchen möglichen Ergebnissen ihrer Arbeit. Das ist die zentrale Transferaufgabe, der wir uns widmen. Wir erhalten parallel dazu viele Rückmeldungen aus der kulturellen Bildungslandschaft, die andeuten, dass auch viele andere, vor allem freiberufliche Kunst- und Kulturschaffende, die in der Kulturellen Bildung tätig sind, kulturagentisch, so nennen wir es, arbeiten und wir diese ebenso unter dem Dach des Bundesverbandes vertreten möchten, weil sie in hoher Resonanz zu unseren Arbeitszielen in der gesamten Bundesrepublik tätig sind.
kubi-online: Für wen, bzw. für welches Tätigkeitsprofil setzt ihr euch ein, wenn ihr „kulturagentisch“ sagt?
Monika Nordhausen: Ich denke, es passt an dieser Stelle, über unsere Vorstellung von 'Agentinnen des Wandels’ (Engelland, Niedermüller, Widmann: 2021) zu sprechen. Wir beschreiben sie als Akteur*innen, die stabile Strukturen im Dazwischen aufbauen können. Die charakteristische Haltung, die kulturagentische, ist eine vermittelnd stabilisierende. Denn in der Kulturellen Bildung ist der Aufbau von nachhaltigen Kooperationen mit Akteur*innen aus sehr unterschiedlichen Handlungsfeldern zentral, und der wird von uns Kulturagent*innen begleitet. Patrick S. Föhl hat die Regionalmanager*innen Kultur und alle Kulturmanagerinnen, die ähnliche Rollen an Schnittstellen innehaben, als 'Meisterinnen der Zwischenräume' (Föhl/Wolfram 2014) bezeichnet. Diese Bezeichnung passt perfekt zu unserem Verständnis von Agent*innen des Wandels. Der Bundesverband macht sich deshalb zunehmend stark für verschiedenste Akteur*innen an Schnittstellen und knüpft Kontakte zu diesen Schnittstellenmanager*innen – auch über den Bereich der Kulturellen Bildung hinaus.
In vielen Bundesländern werden die Rollen für Akteur*innen in der Kulturellen Bildung fast genauso beschrieben, wie sie die Kulturagent*innen zu Programmzeiten übernommen hatten. In dem Artikel unserer Kolleg*innen Engelland, Niedermüller & Widmann 'Agent*innen des Wandels schaffen stabile Strukturen‘ ist zum ersten Mal aus unserer kulturagentischen Sicht formuliert, wie komplex das Aufgabenfeld ist und welche Perspektiven auf stabilisierende Strukturen wichtig sind, um gelingende Kooperationen aufzubauen. Die Kooperationspartner*innen sollen aber zusätzlich zu ihren Projektaufgaben diese kulturagentischen Aufgaben übernehmen. Auch in anderen Themenbereichen – Stadtentwicklung, Bildung für nachhaltige Entwicklung oder politische Bildung – stoßen wir auf einen wachsenden Bedarf. Da werden Menschen gesucht, die quasi unabhängig zwischen den beteiligten Parteien vermitteln und einen Dialog, Trialog bzw. Polylog für nachhaltige Prozesse moderieren können, also die Schnittstellenarbeit machen. Und das ist ja ziemlich genau der berufliche Alltag von Kulturagent*innen.
kubi-online: Warum braucht es solche Schnittstellen-Akteur*innen oder Agent*innen des Wandels, Mittler*innen der Zwischenräume? Worum geht es in dieser Moderation oder Vermittlung?
Monika Nordhausen: In den meisten Fällen geht es um Kooperationsaufbau zwischen sehr unterschiedlichen Akteur*innengruppen, der viel Kommunikationsbedarf mit sich bringt. Der*die Kulturagent*in begleitet, moderiert, initiiert und übersetzt diesen Prozess, vor allem zwischen Schulen und Kulturinstitutionen. Es geht darum, Sprache als Distinktionsmerkmal zwischen den Interessensgruppen für alle zu decodieren, zu übersetzen. Es geht auch um Perspektivwechsel und darum, wie wir es schaffen, Stabilität aufzubauen, die nicht starr, sondern flexibel ist – für und mit den Partner*innen. Das schaffen wir, indem wir z.B. Partizipation und Diversität zum Thema machen oder zu Leichtigkeit und Motivation einladen und, ganz wesentlich, geschützte Offenheit herstellen. Durch uns als unabhängige Dritte – die Agent*innen des Wandels – kann Kommunikation erleichtert werden. Es geht auch darum zu trainieren, sich gegenseitig besser zuzuhören und zu verstehen, dass überall „Hidden Agendas“ eine Rolle spielen und dass diese unter Umständen auch mal benannt werden müssen, damit sich Dinge zwischen unterschiedlichen Partner*innen besser entwickeln können. Diese Rolle können Außenstehende wesentlich besser übernehmen als die in den Prozess direkt involvierten Partner*innen. In einer Welt sich beschleunigenden Wandels wird die Herausforderung, interdisziplinär Wissen und Positionen auszutauschen, immer deutlicher. Um gemeinsam den Wandel gelingend zu gestalten, muss an die Stelle von Einzelgängertum Kooperation und Kommunikation treten. Und ja, dafür braucht es Schnittstellen-Akteur*innen als Agent*innen für gewünschten Wandel.
kubi-online: Inwieweit spielt Wissen eine Rolle in dieser Kommunikation? Wie wird daraus dann ein Transferprozess?
Thanassis Kalaitzis: Ich habe für den BVKA und die Position der Kulturagent*innen das Bild der Zwischenstation entwickelt, um nachvollziehbar zu machen, von welchem Ort aus wir eigentlich Dialoge gestalten. Wir haben als Kulturagent*innen schnell festgestellt, dass wir als eine Art Scharnier, als Gatekeeper, vielfach aber auch als Facilitator bezeichnet werden. Und in dieser Begriffssammlung steckt ein zentrales und wichtiges Element, nämlich dass wir die unterschiedlichen Informationen und Daten für andere Beteiligte erschließen und weitergeben. Wissen über Fakten, Prozesse, Personen und Netzwerke geben wir so weiter, dass sie für die anderen Beteiligten in den Kulturprojekten, die mit am Tisch sitzen, nachvollziehbar sind und dass sie Grundlage für ein gegenseitiges Verstehen und für ein gemeinsames Handeln werden. Ein wichtiges Take-Away: Wenn wir in der Verwaltung Wissen einholen, ist das nicht immer für die Künstler*innen verständlich, oder wenn Künstler*innen Prozesse für ihre Projektarbeit beschreiben, sind diese nicht immer für die Schulleitung nachvollziehbar. Ähnliches gilt für Förderrichtlinien von Stiftungen für Schüler*innen oder Eltern. In diesem Dazwischen der unterschiedlichen kulturellen Codes, Visionen und Erwartungen stellt der*die Kulturagent*in einen Dialog her; sichert, moderiert und übersetzt für erfolgreiche Prozesse.
Als Bundesverband sind wir deshalb, so wie auch unsere Mitglieder, immer noch damit beschäftigt, die vielen unterschiedlichen Positionen, Perspektiven, Wissen und Erfahrungen an andere Menschen in anderer Form und mit einer anderen Sprache zu übergeben. Das könnte man als Wissenstransfer bezeichnen. Wir nennen es vor allen Dingen Übersetzungen, weil Grundlage einer guten Kollaboration oder Kooperation immer das gegenseitige Verstehen ist mit dem Ziel, gemeinsam zu lernen und zu arbeiten. Das Übersetzen ist für uns immer noch die wichtigere Metapher, weil das gegenseitige Verstehen im Wort/Konzept Wissenstransfer erstmal so nicht enthalten ist.
kubi-online: Könnt ihr noch mal beschreiben, zwischen welchen Akteur*innen ihr in der Regel am stärksten übersetzt, welchen Logiken sie folgen und warum es da eine Übersetzung braucht?
Monika Nordhausen: Für die Überschneidungen von Handlungsfeldern setzen wir das Modell „Blumen des BVKA“ von unserem Kollegen K.P. Engelland ein. In unseren Workshops wird das sehr anschaulich, wie viele und welche Dazwischen es für die Agent*innen des Wandels in der Kulturellen Bildung gibt. Wir haben dafür sechs Felder benannt: Bildung, Kunst, Verwaltung, Sozialraum, Wirtschaft und Wissenschaft.
Ursprünglich waren es im Kulturagenten-Programm die Felder Bildung und Kunst mit ihren jeweils eigenen Logiken, die verbunden werden mussten. Für das Feld Bildung sind es vor allem die Schulen und deren Akteur*innen. Dann aber auch alle, die dahinterstehen, also die Kommunen, Bezirksregierungen, die Ministerien, die mitgedacht und mit ihren Verwaltungslogiken in die Prozesse involviert werden müssen. Im Handlungsfeld Kunst waren und sind es Kulturinstitutionen, die eher einer ökonomischen Leistungslogik folgen. In diese kulturwirtschaftliche Wirkungslogik gehören auch die selbstständigen Künstler*innen und die freie Szene, bei der auch viel soziales Engagement eine Rolle spielt. Im Umfeld von Schule kommt dann der Sozialraum dazu, also der öffentliche Raum mit Vereinen, mit Ehrenamt. Wir hatten im Programm schnell auch mit der Wirtschaft zu tun, z. B. wenn es darum ging, örtliche Unternehmen als Sponsoren für die Schulprojekte zu begeistern. Diese Logiken zu erkunden und dann zu übersetzen ist nicht ganz einfach und braucht für die Weiterentwicklung des Berufsbildes eine tragfähige theoretische Grundlegung. Und da kommt die Wissenschaft ins Spiel. Je öfter sich der Bundesverband mit den Praxiserfahrungen auf Tagungen an aktuellen Diskussionen beteiligt, sein Wissen in Workshops bundesweit teilt, desto wesentlicher wird es auch, sich der Aufgabe zu stellen die Brücke zwischen Praxis und Theorie auszubauen. Einige Kulturagent*innen hatten damit schon zu Programmzeiten in der Publikation des Programms „Mission Kulturagenten“ begonnen.
Es wird immer sichtbarer, dass unsere Expertise gebraucht wird und dass die Schnittstellen komplexer werden. Wir sind mit dem Bundesverband nun in der Lage, das Wissen und die Erfahrungen aus unserer kulturagentischen Praxis weitergeben und transferieren zu können an unterschiedliche Akteur*innen.
Thanassis Kalaitzis: Wir befinden uns im Moment in einer gesellschaftlich-kulturellen Evolutionsstufe, wo wir mit zwei Hauptlogiken umgehen müssen. Zum einen gibt es eine Ergebnislogik und zum anderen die Prozesslogik, die wir in der Kulturellen Bildung vor allen Dingen nach vorne gebracht haben. Zwischen diesen beiden Logiken müssen wir immer wieder vermitteln und nicht nur in der Kulturellen Bildung. Alle unsere Zielgruppen, wenn man sie so nennen möchte, sind mit beiden Logiken vertraut, sehen aber nicht immer die Verbindung dazwischen. Wir haben das immer wieder vertreten und dahingehend überzeugen müssen, dass es Ergebnisse in der Prozesslogik, aber ebenso in der Ergebnislogik sehr viele Prozessstrecken gibt. Das müssen wir immer wieder auch voneinander trennen und gegenüber den Partner*innen, ob das nun Schüler*innen, junge oder erwachsene Lernende oder eben Verwaltungsmenschen oder Wissenschaftler*innen sind, klar machen, wann wir über Prozesse – z. B. über Prozesse, wie wir lernen oder Visionen entwickeln – und wann wir über Ergebnisse sprechen möchten. Es war und ist auch für die Fördermittelanträge nicht immer ganz einfach, jemandem zu erklären, warum ein Prozess zu anderen als den erwarteten Ergebnissen führen kann. Für unsere Arbeit als Kulturagent*innen ist es Alltag, diese Übersetzung zwischen beiden Logiken zu machen.
Für den Bundesverband Kulturagent*innen ist es allem voran eine politische Klärungsarbeit, wann und warum Prozesse im Vordergrund stehen und wann und wo Ergebnisse gesucht und gewünscht sind. Und das entwickeln wir gerade mit vielen Menschen, das sind sowohl Kulturinstitutionen, Verwaltungen, Schulen, Bildungseinrichtungen und eben aber auch Einzelpersonen, die in Projekten involviert sind.
kubi-online: Uns begegnet beim Thema Wissenstransfer immer noch die Situation, dass wir viel in Dichotomien denken, z. B. zwischen Praxis und Wissenschaft. Du hast eine ganz interessante Dichotomie zwischen Ergebnis- und Prozessqualität aufgemacht und da würde uns eure Erfahrung interessieren, inwieweit die Dichotomien zwar vielleicht analytisch helfen können, aber inwiefern es nicht auch um die Überwindung dieser Dichotomien geht.
Thanassis Kalaitzis: Eine der zentralen Fähigkeiten, die Kulturagent*innen, Schnittstellen- Manager*innen, Agent*innen des Wandels oder Meister*innen der Zwischenräume brauchen, ist ein hervorragendes Diversitätsverständnis. Also ein Verständnis von Pluralität und Vielfalt im Wahrnehmen, im Denken, im Analysieren, im Zuhören und eben auch im Weitergeben. Das ist eine der Kernfähigkeiten, nämlich zu schauen, dass in einem Gespräch auch mit nur einer Person sehr viele Perspektiven auf das gleiche Thema sichtbar werden und an diesem Punkt zu sagen: Wir haben viele Möglichkeiten, von hier aus weiter zu denken und weiter zu gehen und Blickwechsel immer wieder zu unterstützen. Das muss ein*e Agent*in des Wandels erst mal grundsätzlich können. Wenn diese Grundhaltung präsent ist, dann verlieren Dichotomien ihre Macht in der (Weiter-)Entwicklung von gemeinsamen Vorhaben und bei der Zusammenarbeit.
kubi-online: Welche Kompetenzen braucht es für solche Übersetzungsrollen als Meister*innen der Zwischenräume oder Agent*innen des Wandels? Und inwiefern kann man auch unabhängig von diesen Mittler*innen eine solche Kommunikation anregen, gestalten oder Menschen empowern, selbst in die Kommunikation zu gehen?
Monika Nordhausen: Das Spannende an der Frage ist, dass das Kulturagenten-Programm mit dem Ziel angelegt worden ist, dass wir Kulturagent*innen uns im Prozess selber überflüssig machen. Nach vier Jahren Modellprogramm war es unübersehbar, dass das nicht so einfach möglich ist bzw. nicht so sein soll, weil es einfach zu wertvoll war, Menschen dabei zu haben, die sich im Dazwischen verschiedener Handlungsfelder zu Hause fühlen und eben diese Vermittlung machen können. Für die Kulturagent*innen kann ich das hundertprozentig bezeugen, für die anderen Agent*innen des Wandels würde ich das auch behaupten, dass sie ein differenziertes Verständnis für Prozessentwicklung haben. Prozessentwicklung, wenn ich sie insbesondere aus künstlerischer Sicht betrachte, das ist ein zentraler Punkt, beinhaltet Fehler und die Möglichkeit, Fehler machen zu können und daraus zu lernen bzw. zu sehen, dass die Fehler ein Geschenk sind im Prozess.
Was wir als Kulturagent*innen oft tun, ist eine intuitive Ebene mit in die Prozesse zu holen und den Raum zu öffnen dafür, dass eben nicht alles funktional funktioniert. Im Gegensatz dazu ist die Schule und sind auch die anderen Handlungsfelder viel mehr nach klaren Regeln strukturiert und die Grenzen sind recht eng. Ich glaube, wir sind immer auch ein bisschen Grenzensprenger*innen, und ich glaube, das ist eine Haltung, die kann jeder und jede lernen. Ich kann durch aktives Zuhören so viel erfahren über Situationen, über Menschen, denen ich mich auf den ersten Blick ausgeliefert fühlen könnte, weil ich erst einmal auf Codes stoße, die mich vielleicht auch abschrecken. Aber ich kann das mit einer kulturagentischen Haltung überwinden. Ich kann lernen, die Anderen in ihrer Gesamtheit zu sehen und zu verstehen. Diese Formulierungen muten jetzt wahrscheinlich merkwürdig an. Aber ich glaube, das genau zeichnet die Haltung aus, die tatsächlich jeder und jede einnehmen kann. Dieses Sich-Zuwenden. Und ich bin überzeugt, mit dieser Haltung funktioniert Transformation und Transfer. Und da sind wir auf dem Weg, sie leichter und für mehr Menschen zugänglich zu machen.
kubi-online: Das macht auch deutlich sichtbar, wie breit Wissen dann ist. Als gesamte Person gesehen zu werden, heißt ja mit all den Erfahrungen, Wissen und Situiertheiten gesehen zu werden, die jede*r in sich trägt.
Monika Nordhausen: Was wir immer wieder merken: Es geht ja nicht nur um Handlungsfelder, sondern es geht auch um die Rollen, die wir darin einnehmen, und darum diese Rollen bewusst zu machen und diese in einen Zusammenhang zu stellen. Das ist ein systemischer Ansatz, den wir da stark vertreten.
Thanassis Kalaitzis: Für die Tagung des Netzwerks Forschung Kulturelle Bildung war ja situiertes Wissen ein Eckpunkt von Diskussion und Austausch über Wissenstransfer. Ihr als Macher*innen hattet euch auf Donna Haraway (Haraway 1988) bezogen und bei der Wiederlektüre ihres Aufsatzes wurden wir daran erinnert, dass unsere Vermittlungs- und Übersetzungsarbeit genau damit befasst ist: Der Übersetzung und damit die Weitergabe von situiertem Wissen in den unterschiedlichsten Konstellationen und die Relativität bzw. Gleichberechtigung allen Wissens (Haraway 1988:584). Und das gilt dann eben auch für die oben angesprochenen Dichotomien. Die zu relativieren, das ist ein wichtiger Teil der Arbeit von Kulturagent*innen.
kubi-online: Wie müssen eigentlich die von euch erwähnten Zwischenräume gestaltet sein?
Monika Nordhausen: Die Zwischenräume existieren bzw. entstehen einfach. Man findet sie, wenn man sie zulässt, bzw. für sich entdeckt. Es ist aber wichtig in diesen Zwischenräumen, also in dem Dazwischen z.B. von Schule und Kunst, eine geschützte Offenheit herzustellen. Also einen Raum so einzurichten, dass vertrauensvolles Miteinander-arbeiten und Aufeinander-zugehen ermöglicht wird. Und ich glaube, das ist genau das, was mit dieser Haltung korrespondiert: Ich möchte, dass das gelingen kann.
Hier gibt es eine Nähe zu Homi K. Bhaba (Bhabha 2016:72) bei der Entstehung von Konstellationen im Dritten Raum und dem Potenzial des Wandels in diesem Raum. Also schaffe ich sehr umsichtig einen Raum, der offen bleibt, damit neue Impulse dazukommen können. Gleichzeitig sichere ich ihn aber auch ab gegen zu grobe Verwerfungen. Das heißt, ich schaue darauf, auf welche Dinge wir uns einigen müssen, damit die Kommunikation funktionieren kann und somit auch der Transfer.
Thanassis Kalaitzis: Erstaunlicherweise ist das ein sehr paralleles Phänomen zu dem, wie die Künstler*innen und Kulturschaffenden, die wir immer in unsere Projekte einladen, mit Schüler*innen arbeiten. Es geht darum, einen gemeinschaftlichen Raum zu definieren und zu konstruieren, in dem die eigene Perspektive gleichberechtigt neben den anderen Perspektiven stehen kann, und der es im zweiten Schritt ermöglicht, diese Perspektiven dafür zu nutzen, gemeinsam ein Ziel zu formulieren, das man in dem Kulturprojekt oder in dem künstlerischen Projekt verfolgen möchte. Das gilt auch für uns als Vertreter*innen des BVKA: Wenn wir mit Menschen zusammenkommen, ob es in den Workshops oder anderen Dialogformen ist, geht es immer erst mal prinzipiell darum, einen möglichst hegemoniefreien Raum zu schaffen. Einen Raum, in dem Machtstrukturen entweder nachgeordnet sind oder vielleicht sogar ausgeschlossen sind, in dem tatsächlich gleichberechtigtes Mitteilen und Arbeiten möglich ist. Das ist nicht immer ganz einfach und gelingt auch nicht immer, weil natürlich Menschen, die wir einladen, unterschiedliche Selbstverständnisse ihrer Einflussmacht haben. Aber grundsätzlich möchten wir dafür sorgen, dass ein*e Schüler*in die gleiche Sprechzeit und auch den gleichen Sprechplatz oder die gleiche Vertretung erhält wie ein*e Ministeriumsvertreter*in oder Wissenschaftler*innen oder ein Elternteil. Das ist eine echte Herausforderung. Aber wenn das gelingt, dann passiert Wissenstransfer fast automatisch, weil dann die Bereitschaft existiert, das präsente Wissen anzunehmen, wahrzunehmen und vielleicht auch weiter zu verwenden.
Monika Nordhausen: Das Stichwort „empowernde Moderation“ habe ich dazu gerade noch im Kopf. Bei der Quartiersentwicklung ist mir auch wieder begegnet, wie wichtig die empowernde Moderation von solchen Prozessen ist. Und es sind alle Beteiligten, die empowert werden, weil z.B. auch rassismuskritische Themen ihren Platz haben in dieser Vermittlungsarbeit. Wir machen aus Mitwirkenden Mitwissende, das haben wir als Leitgedanken formuliert. Das betrifft demnach auch das Aufbrechen der Hierarchieebenen, so dass Dinge nicht mehr verteilt werden, sondern geteilt werden können.