Über Tanz und Forschung in der Kulturellen Bildung als bewegende Begegnung. Eine Erkundung von Prozess und Erfahrung im posthumanen Paradigma
Abstract
Im vorliegenden Aufsatz übertrage ich das posthumane Paradigma auf Forschung in der Kulturellen Bildung, wobei Tanz als metaphorischer und erfahrungsbasierter Prozess dient, um relationales Werden in der Forschung zu betonen. Der Text richtet sich an Forschende und Praktiker*innen, die an innovativen, prozessorientierten Zugängen interessiert sind, welche über traditionelle Ansätze hinausgehen. Dabei wird deutlich, dass die Kulturelle Bildung als Praxis- und Forschungsfeld den künstlerisch-kreativen Charakter als konstitutiven Bestandteil von Wissensproduktion, Reflexion und Vermittlung anerkennt. Die Untersuchung öffnet einen Denk- und Reflexionsraum, der ästhetische, performative und sinnliche Dimensionen ins Zentrum rückt und somit das Wie des Forschens und Lernens im künstlerischen Kontext neu verhandelt. Mit Bezug auf Erin Mannings Konzept der „Technizität“ hebe ich das Potenzial kreativer Ko-Komposition hervor, das Veränderung nicht nur ermöglicht, sondern unmittelbar erfahrbar und greifbar macht. Gleichzeitig stelle ich die intuitive Wahrnehmung verkörperter Prozesse als zentrales Instrument des Verstehens und Forschens vor. Der Aufsatz hinterfragt dabei auch den traditionellen Methodenbegriff, indem er kreative Praxis als eigenständiges onto(-)epistemologisches Moment einführt. Insgesamt soll so eine reflexive Perspektive auf Forschung und Wissensgenerierung angestoßen werden, die den komplexen, relationalen und vielschichtigen Charakter ästhetischer Erfahrungsräume und kultureller Bildungspraktiken abzubilden versucht. Insgesamt soll so eine reflexive Perspektive auf Forschung und Wissensgenerierung angestoßen werden, die offen bleibt für die Komplexität, Relationalität und Vielschichtigkeit Ästhetischer und Kultureller Bildung sowie deren Annäherung und Bewusstmachung durch Forschung.
Eine sanfte Melodie erklingt.
Hören Sie diese auch?
Ein Rhythmus steigt auf, durchdringt meinen Körper.Ich möchte tanzen. Mit Ihnen.
Würden Sie mit mir tanzen?
Vielleicht zögern Sie.
Erlauben Sie mir, Sie einzustimmen …
… auf eine Reise voller Magie und Bewegung.
Wenn ich tanze, scheint die Zeit stillzustehen.
Jeder Nerv, jeder Muskel erwacht.
Ich verbinde mich mit meinem Innersten, verliere mich im Moment.
Ein Tanz folgt dem nächsten, getragen vom Staunen.
Und manchmal frage ich mich:
Was, wenn mich/uns diese Tänze verändern?
Natürlich tun sie das.
Bis der Durst uns erinnert.Würden Sie mit mir tanzen?
Liebe Leser*innen, ich lade Sie ein, diesen Aufsatz mit mir zu tanzen. Ich lade Sie ein, sich auf einen imaginären, improvisierten Tanz einzulassen, in dem wir gemeinsam Möglichkeiten des Wahrnehmens, Erfahrens und Begreifens erproben. Ich möchte mit Tanz als Metapher und Veränderungsprozess nachdenken, hineinspüren und metaphorisch einen Raum für das Nachdenken über das und Experimentieren mit dem Wie der Untersuchung von Tanzerfahrungen und kulturellen Bildungserfahrungen eröffnen. Nachdem ich das posthumane/neu-materialistische Paradigma schon seit einiger Zeit ins Auge gefasst und seine relationale Ontologie, die davon ausgeht, dass alles stets in Beziehung und veränderlich ist, wertschätzen gelernt habe, möchte ich es zu unserer Leitannahme für diese Untersuchung machen, die einem Gedankenexperiment nahekommt (vgl. Fischer 2024a,b; Manning / Massumi 2014). Ich möchte uns damit an die Frage annähern: Wie können wir Veränderung durch Tanz und Kulturelle Bildung seitens der Forschung (post)qualitativ greifen und bewusst greifbar und verständlicher machen?
Wenn wir uns auf die Tanzfläche begeben, werde ich uns zunächst im posthumanen/neu-materialistischen Paradigma unserer Tänze verankern. Dabei steht Tanz nicht nur als Gegenstand der Untersuchung/des Gedankenexperiments im Fokus, sondern zugleich als Metapher und (potenzielles) Objekt des Denkens und Forschens selbst: Tanz wird hier zum Werkzeug der Erkenntnis, zur performativen Geste der Annäherung an Erfahrungsprozesse. Um es mir – und vielleicht auch Ihnen – bewusster zu machen, mit welchen Annahmen von dem, was wir denken, das ist, und auch dazu, wie wir zu Erkenntnis und bestimmten Wissensformen kommen können, möchte ich Untersuchungsansätze gedanklich durchtanzen, die mit dem Posthumanismus vereinbar sind. Bevor wir mit dem Tanzen starten, möchte ich eine kurze Erwärmung durchführen und erläutern, warum dieses Thema für die Forschung in der Kulturellen Bildung wichtig ist. Am Ende werden wir darauf zurückkommen und die Bedeutung noch einmal gemeinsam reflektieren.
Ich eile, um meine Tanzschuhe anzuziehen:
flach und bequem – eher wie Socken,
die mir erlauben, den hölzernen Boden zu spüren,
auf dem wir unsere Bewegungen verankern werden.Nur ein paar schnelle Dehnübungen –
ich möchte tanzen.
Lassen Sie mich den Frieden und die Fülle mit Ihnen teilen,
die mir das Tanzen schenkt.
Lassen Sie uns anmutig und spielerisch sein –
mutig und zugleich verletzlich.
Uns verbinden, einander inspirieren und dem Tanz vertrauen.Sehen wir, wohin er uns trägt –
und was wir auf diesem Weg werden.
Warum ist ein Nachdenken über Untersuchungsansätze wichtig?
Aus akademischer Sicht kann der folgende imaginäre improvisierte Tanz die aktuellen Debatten und aufkommenden Fragen der qualitativen und postqualitativen Forschung bereichern. In den letzten Jahrzehnten haben Forscher*innen in der Bildung, der Kulturellen Bildung oder auch in verwandten Wissenschaftsbereichen wie der Bildungsanthropologie, den Kulturwissenschaften oder der Beratung und Psychotherapie wiederholt und verstärkt eine „kritische qualitative Forschung“ („critical qualitative research“) gefordert (vgl. McLeod 2001; Bondi / Fewell 2016a,b; St Pierre 2004, 2013, 2018; Chapela 2019; Harris 2019, 2020). Elizabeth Adams St. Pierre (2013) kritisiert, dass viele Forschungsansätze trotz aller ‚posts‘ – also trotz poststrukturalistischer, postkolonialer oder posthumaner Selbstverortung – letztlich weiterhin dem Humanismus der Aufklärung verhaftet blieben. Dies erfordere eine kritische Revision unserer onto(-)epistemologischen Annahmen und Forschungsdesigns. St. Pierre sieht in diesem Überdenken nicht nur eine methodologische Notwendigkeit, sondern auch eine ethische Verpflichtung (vgl. St. Pierre 2004, 2013). Auch ich nehme diese Einladung an und leite uns mit unseren „Tänzen“ zu einem Nachdenken über unsere Weltbilder, Wissensformen und forschenden Praktiken.
In der Kulturellen Bildung sind die Reflexion, das Nachdenken über und das Experimentieren mit Untersuchungsansätzen und den jeweiligen Annahmen nicht neu (vgl. Fink et al. 2012; Konietzko et al. 2017; Pürgstaller et al. (2020); Harnisch-Schreiber et al. 2024). Bereits früh betonen Tobias Fink et al. (2012) die Bedeutung einer reflexiven Haltung, die sich nicht nur auf die Praxis, sondern auch auf die wissenschaftliche Selbstvergewisserung erstreckt. Sie sehen Reflexion als integralen Bestandteil, der dazu beiträgt, die vielfältigen, oft interdisziplinären Perspektiven in der Kulturellen Bildung zu verbinden und weiterzuentwickeln. Sebastian Konietzko et al. (2017) unterstreichen darüber hinaus, dass experimentelle Zugänge in Forschung und Praxis neue Möglichkeiten eröffnen, kulturelle Bildungsprozesse in ihrer Komplexität besser zu erfassen und zugleich kritisch zu hinterfragen. Elke Harnisch-Schreiber et al. (2024) heben hervor, dass Reflexion und Experimentieren gerade in einem Feld, das Kunst, Kultur und Bildung miteinander verknüpft, als methodische und epistemologische Praxis die Grundlage dafür bilden, gesellschaftliche Transformationsprozesse mitzudenken und zu begleiten. In einem Feld, das Bildungs-, Kultur- und Kunstfragen auf komplexe Weise vereint und zunehmend gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, sind reflexive Praxis und Forschung somit nicht nur notwendig, sondern auch besonders fruchtbar.
Neben der Reflexion gehören auch die Prozess- und Erfahrungsorientierung zu den etablierten Grundkategorien der Kulturellen und Ästhetischen Bildung und ihrer wissenschaftlichen Erforschung (vgl. Seitz 2012; Freytag 2012; Dewey / Velten 2006; Rittelmeyer 2012; Ludwig 2017, 2021; Tillack et al. 2017). Bereits John Dewey argumentierte, dass Kunst als lebendige, sinnlich-leibliche Erfahrung zu verstehen ist. Für ihn ist ästhetische Erfahrung ein grundlegender Bestandteil des menschlichen Lebens – ein prozesshafter Zugang zur Welt, der eng mit Lern- und Bildungsprozessen verknüpft ist und damit besondere Relevanz für die Kulturelle Bildung besitzt. Christian Rittelmeyer (2012) knüpft an diese Perspektive an, indem er zeigt, dass ästhetische Tätigkeiten wie Musik, Tanz, Theater oder Bildende Kunst nicht nur unmittelbare ästhetische Erfahrungen ermöglichen, sondern über ihre Transferwirkungen auch kognitive, emotionale und soziale Kompetenzen stärken – und damit ihre bildungswirksame Bedeutung empirisch untermauern.
Hanne Seitz (2012) erweitert das Verständnis ästhetischer Praxis, indem sie die performative Wende in den Sozialwissenschaften betont und Forschung als verkörperte, gestische und situative Praxis neu positioniert. Verena Freytag (2012) greift diesen Impuls auf, indem sie Tanzprozesse nicht nur als Gegenstand, sondern als Erkenntnismodus erfahrbar macht – Bewegung wird so selbst zur Form des Forschens. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang auch die Arbeiten von Joachim Ludwig (2017, 2021), der die Bedeutung von Prozesshaftigkeit für kulturelle und ästhetische Praxis unterstreicht. Er macht deutlich, dass prozessuales Denken grundlegend für die kulturelle Bildungsarbeit ist und dass Ästhetische Bildung wesentlich auf dem sinnlich-reflektierten Wahrnehmen basiert. Ästhetische Erfahrung – verstanden als leiblich-verkörperter, emotional-intellektueller Zugang – wird damit zur zentralen Quelle von Erkenntnis und Selbstaneignung. Diese Perspektive wird auch von Mareike Tillack et al. (2017) gestützt, die den Erfahrungsbezug und phänomenologische Zugänge in den Mittelpunkt rücken und argumentieren, dass Erfahrung die zentrale Grundlage ästhetisch-kultureller Bildungspraxis bildet.
An diese Arbeiten, welche die Bedeutung von Reflexion sowie von Prozess- und Erfahrungsorientierung hervorheben, möchte ich anknüpfen, denn genau hier setzen Vertreter*innen des Paradigmas des Posthumanismus und Neuen Materialismus an, die ein prozesshaftes Denken einfordern, das Erfahrung nicht als statischen Zustand, sondern als dynamischen, relationalen Vorgang begreift – einen Prozess, der sich auch im Akt des Forschens selbst entfaltet (vgl. besonders Barad 2007; Braidotti 2013, 2019). In Anlehnung an Nicholas Leonard (2020) verwende ich den Begriff ‚Posthumanismus‘ wie an anderer Stelle zumeist als Oberbegriff für sowohl posthumane als auch neu-materialistische Theorien (vgl. Fischer 2024a,b). Dabei ist zu beachten, dass Posthumanismus keine einheitliche oder festgelegte Form darstellt, sondern vielmehr eine vielfältige und heterogene Denkrichtung ist. Besonders der Neue Materialismus (Neomaterialismus, New Materialism) legt seinen Fokus stark auf die Dynamiken der Materie und ihrer agency (vgl. Leonard 2020; Rosiek/Snyder/Pratt 2020; Braidotti 2019; Barad 2007, 2014), während posthumane Ansätze unterschiedliche Schwerpunkte verfolgen und einen erweiterten Begriff von Akteur*innen auf nicht-menschliche Entitäten betonen.
Das Feld der Kulturellen Bildung ist geprägt von Interdisziplinarität und Pluralität. Diese Offenheit ermöglicht es, mit unterschiedlichen Paradigmen und entsprechenden Untersuchungsansätzen zu arbeiten, die jeweils eigene Formen von Wissen hervorbringen. Ziel dieses Aufsatzes ist es, für diese Fragen des Wie – also des forschenden Zugangs – weitere Experimentierräume zu eröffnen. Dieses Anliegen lässt sich mit posthumanistischen Perspektiven verbinden, denn ich denke, tanze und schreibe mit all jenen, die zu neuen Formen inter- und transdisziplinärer Arbeit einladen und nach einer Verschränkung von Geistes- und Sozialwissenschaften, Kunst und dem „Mehr-als-Menschlichen“ („more-than-human“) fragen (vgl. Jackson / Mazzei 2012; Lather / St. Pierre 2013; Manning 2016; Braidotti / Hlavajova 2018; Wyatt 2019; Harris 2019, 2020; Murray 2020; De Andrade / Stenhouse / Wyatt 2020). Ich möchte mit diesem Aufsatz einen Raum eröffnen, in dem verschiedene Arten und Weisen des Wissens und der Wissensproduktion möglich werden – im Sinne einer erkenntnistheoretischen Offenheit.
Angesichts der bereits bestehenden theoretischen Vielfalt stellt sich vielleicht die Frage, weshalb ein posthumanistischer Zugang überhaupt auch noch notwendig erscheint. Der Mehrwert liegt jedoch nicht in einem bloßen Mehr an Perspektiven, sondern in einem Verschieben grundsätzlicher Perspektiven: Posthumanistische und neu-materialistische Theorien fordern ein relationales, prozessuales und verkörpertes Denken, das traditionelle Subjekt-Objekt-Dichotomien ebenso hinterfragt wie eine linear gedachte Wissensproduktion. In diesem Sinne eröffnen sie neue Möglichkeitsräume für eine Forschung, die nicht nur über, sondern mit Prozessen des Werdens, der Bewegung und der materiell-diskursiven Verflechtung arbeitet. Diese Verschiebung ist kein theoretischer Selbstzweck. Sie reagiert auf tiefgreifende gesellschaftliche, ökologische und technologische Transformationsprozesse, in denen klassische humanistische Denkfiguren an ihre Grenzen stoßen. Der Posthumanismus eröffnet hier Möglichkeitsräume, um über komplexe Bildungsprozesse anders nachzudenken – jenseits der Zuschreibungen „wer lernt“, „was bildet“, „wie wirkt“. Er betont das Werden, das Zwischen, das Mehr-als-Menschliche (vgl. Braidotti 2019; Barad 2007; Haraway 1988, 2016).
Wie ich an anderer Stelle – unter anderem gemeinsam mit Nina Kolleck – ausgeführt habe (vgl. Fischer 2024a,b; Fischer / Kolleck 2023a,b), begreife ich Forschung als bewegliche, kontextgebundene und ko-konstruktive Praxis, die statt auf starre Strukturen auf ein dynamisches, situatives Verständnis von Erkenntnis setzt. In diesem Sinne lässt sich Kulturelle Bildung als lebendiges, relationales Gefüge denken, das Wissen nicht abbildet, sondern aktiv hervorbringt. Auch dieser Aufsatz setzt damit an der Schnittstelle von ästhetischer Erfahrung und posthumaner Erkenntnistheorie an, um neue Perspektiven für ein dynamisches, relationales Verständnis von Wissen und Erfahrung in der Kulturellen Bildung zu eröffnen.
Ich bitte noch einmal um einen Tanz.
„Ja“, lautet die Antwort, begleitet von einem Lächeln ...
Meine Augen leuchten vor Freude.
Ich frage mich:
Wie nah darf ich kommen?
Wie viel Nähe lässt der Tanz zwischen uns zu?Ich bin vorsichtig.
Ich mache einen Schritt nach vorn. Es scheint in Ordnung.
Noch einen – da ist ein Zögern, kaum merklich.
Vielleicht nur ein Blinzeln. Aber etwas in mir spürt:
Hier fühlt es sich gut an.
Hände finden sich. Eine Umarmung.Ich weiß nie, was/wie wir werden –
was aus dieser Berührung, diesem Tanz entstehen,
uns möglicherweise verwandeln wird.
Faszination des Posthumanismus/Neuen Materialismus
Unsere Tänze und die zugrunde liegende Untersuchung sind im posthumanistischen Denken und im Paradigma des Neuen Materialismus verortet (Braidotti 2013, 2014, 2017a, b, 2019, 2021; Braidotti / Hlavajova 2018; Barad 2007, 2014; Coole / Frost 2010). Onto(-)epistemologisch – also in der Verschränkung von Sein und Erkenntnis – orientiere ich mich dabei an Karen Barads Konzept des „knowing in being“ (Barad 2007:89, 185), dem zufolge wir fortwährend in einer „dynamischen Relationalität“ (ebd.:93) entstehen: eingebettet in ein Geflecht aus menschlicher und nicht-menschlicher Materialität, Affekten, Diskursen, Beziehungen und Theorien (ebd.:43; Braidotti / Hlavajova 2018; Mazzei / Jackson 2017:1090). Während Barad sich dabei auf die Quantenphysik und das Verhalten von Wellen bezieht, greift Rosi Braidotti (2013, 2017a,b) in ihrer posthumanen, kritisch-feministischen Theorie auf die monistische Ontologie des niederländischen Philosophen Baruch Spinoza zurück, die wie bei Barad feste Binaritäten – etwa zwischen Geist und Körper, Natur und Kultur oder Mensch und Nicht-Mensch – ablehnt. Ergänzend stützt sich Braidotti auf Konzepte von Gilles Deleuze und Félix Guattari (2001[1988], 1984 [1983]), deren Denken in Rhizomen, Vielheiten und kontinuierlichen Prozessen des Werdens eine dynamische, nicht-hierarchische Ontologie entwirft, die auf das Aufbrechen starrer Dualismen zielt.
Diese Autor*innen und Annahmen implizieren nun, dass Sie, ich und alle nicht-menschlichen Entitäten ständig relational miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. Wir sind Teil eines komplexen Geflechts aus menschlicher und nicht-menschlicher Materialität, Affekten, Diskursen und weiteren Faktoren. Für Karen Barad sind materielle und diskursive Welten untrennbar verwoben und befinden sich fortwährend in einem „intra-aktiven Werden“ (Barad 2007:44, 151). So kann ich/können wir Kontinuitäten sowie die „Subjekte im Prozess“ („subjects-in-process“, Braidotti 2017a:16) erkennen und offen bleiben für vielfältige, eventuell widersprüchliche Bedeutungen. So können sich neue Zugänge eröffnen, um die komplexen sozialen und materiellen Verflechtungen ästhetischer und kultureller Bildungsprozesse besser zu verstehen und produktiv zu gestalten.
Ich spüre mich ein in unsere Umarmung und
versuche die Energien zu spiegeln:
die Energie der Tänzer*innen, die Energie der Musik, dieses Raumes ...
Sonnenstrahlen wärmen meine Wangen.Ich fühle einen Blick auf mir ruhen
– ein Moment der Verbindung –
dann weicht er.Vielleicht ist es die wachsende Intensität, die uns zögern lässt.
Vorsichtig, achtsam gegenüber dem, was zwischen uns entsteht,
schließe ich die Augen.
Ein postqualitativer, kreativ-relationaler Tanz
Wie können diese posthumanen/neu-materialistischen Annahmen nun in einem Untersuchungsansatz umgesetzt werden? In dem Tanz und Beitrag werde ich den postqualitativen Denken-mit-Untersuchungsansatz (thinking-with theory/inquiry) (St. Pierre 2018, 2019) nutzen, wie ich es schon an andere Stelle vorgeschlagen habe (vgl. Fischer 2024a,b, Fischer / Kolleck 2023a,b). Die postqualitative Inquiry bzw. das Denken-mit-Theorie (thinking with theory) wurde von der US-amerikanischen Bildungswissenschaftlerin Elizabeth Adams St. Pierre (2011, 2018, 2019, 2021) vorgebracht. St. Pierre (2019) stellt die Verwendung des Begriffs „Methodologie“ (wie auch „Forschung“ – „research“) in Frage, da die tradierte Bedeutung dieses Begriffs die Priorisierung (quasi) objektivistischer Annahmen aus vergangenen Jahrhunderten Wissenschaft nie ganz abgelegt hätte. Mit dem Präfix ‚post‘ schlägt sie vor, dass wir uns mit postmodernen Herausforderungen beschäftigen und mit poststrukturalistischen (Deleuze und Guattari) und posthumanen (Braidotti, Barad und anderen) Theorien arbeiten. Theorien und Konzepte dieser Autor*innen haben – wie erwähnt – zum Ziel, Binaritäten zu überwinden und ohne vordefinierten Prozess Wissen zu produzieren.
In ähnlicher Weise befürworten es Alecia Y. Jackson und Lisa Mazzei (2012), mit Theorien oder Konzepten zu denken. In ihrem Buch Thinking with Theory in Qualitative Research (2012) zeigen sie, wie das Denken mit sechs verschiedenen Theoretiker*innen (Derrida, Spivak, Foucault, Butler, Deleuze und Barad) neue Perspektiven und Komplexität eröffnet, d. h. „wie Wissen geöffnet und verbreitet [wird], anstatt es auszuschließen und zu vereinfachen“ („how knowledge is opened up and proliferated rather than foreclosed and simplified“) (Jackson / Mazzei 2012:vii). Jackson und Mazzei zeigen, dass Theorie und Praxis miteinander verwoben sind und sich gegenseitig hervorbringen und wie die Arbeit mit „instabilen Subjekten und sich verändernden Konzepten“ („unstable subjects and concepts-on-the-move“) (Jackson / Mazzei 2012:5) zu unterschiedlichem Wissen führen kann.
Wie inspiriert der postqualitative Blickwinkel unseren Tanz? Die Aufforderung, mit Theorien oder Konzepten zu denken, ermöglicht es uns, mit Theorie und Praxis zu experimentieren, wie Erin Manning und Brian Massumi (2014:viii) argumentieren: „Denn es ist der Bruch, in dem das Denken am intensivsten agiert, in Praktiken, die sich zusammensetzen.“ („For it is in the breaching that thought acts most intensely, in practices co-composing“). Mit ihnen können wir das Denken tanzen, das Denken inszenieren, das Denken fühlen – mit dem Denken im Tanz und im Posthumanismus experimentieren und uns fragen, was es für die Kulturelle Bildung bewirken kann. Tatsächlich fühle ich mich in und mit diesem Aufsatz zum Mitdenken (Theorie/Konzepte) hingezogen, da improvisierter Tanz keine Tanzmethodik hat, sondern nur ein paar Kernbewegungen, die (potenziell) zum Tanzen inspirieren und ständig verändert werden können. In ähnlicher Weise beinhaltet und erfordert das Denken und Fühlen mit Konzepten die Präsenz und kreatives In-Beziehung-Treten von Moment zu Moment. Da es sich um improvisierten Tanz handelt, brauche ich einen ebenso offenen Ansatz für die Untersuchung.
Dieser Tanz ist des Weiteren inspiriert von Jonathan Wyatt, seinem kreativ-relationalen Untersuchungsansatz („creative-relational inquiry“) und der Gründung des Centre for Creative-Relational Inquiry (CCRI oder „Sea-Cry“) an der University of Edinburgh im Jahr 2017 (vgl. De Andrade et al. 2020; Murray 2020:26). In seinem Buch Therapy, Stand-Up, and the Gesture of Writing: Towards Creative-Relational Inquiry (2019) beschreibt Wyatt, wie er diesen Ansatz versteht und praktiziert. Aufbauend auf Brian Massumis (2015:14) Idee des „creative-relational more-than-human“ stellt Wyatt das Kreative, das Relationale und das Nicht-nur-Menschliche (bzw. Mehr-als-Menschliche) ins Zentrum seiner Forschung – Elemente, die auch für posthumanes und neu-materialistisches Denken grundlegend sind (vgl. Wyatt 2019; Murray 2020). Wyatt versteht creative-relational inquiry nicht als Methodologie, sondern als Konzept, das neue Wege qualitativer Forschung eröffnet (vgl. De Andrade et al. 2020). Dabei bezieht er sich wie Braidotti auf Theorien von Deleuze und Guattari, der Neuen Materialismen und der Affekttheorie (Wyatt 2019:4; Harris 2020:18; Manning 2013). Er plädiert für eine Form der Untersuchung, die „situiert, positioniert, kontextsensitiv, persönlich, erfahrungsnah und verkörpert“ ist („is situated, positioned, context-sensitive, personal, experience-near, and embodied“) und „das Performative und Ästhetische umfasst“ („embraces the performative and the aesthetic“) (De Andrade et al. 2020:4).
Besonders schätze ich an diesem Konzept, dass es Kreativität und Beziehung als dynamische Prozesse versteht (vgl. Wyatt 2019; Murray 2020; Harris 2020). Creative-relational inquiry lädt dazu ein, über Kreativität und Beziehung(en) im Sinne eines „process“ (Wyatt 2019:45) nachzudenken. Dies ermöglicht es uns, Begegnung als etwas Unvorhersehbares, Spontanes und Miterschaffenes zu begreifen, in dem auch ein temporäres Selbstgefühl entsteht (Barad 2007). Aspekte wie Neugier, Imagination, Resonanz und Experimentieren beeinflussen diesen Prozess ebenso wie das „letting the nonhuman lead“ (Harris 2020:23) – etwa durch Räume, Artefakte oder Atmosphären. Anne Harris bringt das Potenzial auf den Punkt: „Wenn die postqualitative Forschung das Emergente feiert und versucht, Forschung und Forschende von den Fesseln ontologischer Kategorien zu befreien, dann [ist] die kreativ-relationale Forschung […] wirklich auf die Emergenz, auf die Intra-Aktion fokussiert“, indem sie das Mit-Sein erforscht („If post-qualitative inquiry celebrates the emergent and seeks to liberate research and researchers from the shackles of ontological categories, then creative-relational inquiry […] is truly focused on emergence, on the intra-action through exploring the being-with“) (Harris 2020:17).
Jonathan Wyatt (2019) zeigt in kreativ-relationalen Ansätzen, wie „Ich“ und „Du“ dynamisch verwoben, aber nicht fest verbunden sind, was eine reflexive Betrachtung des „Ich“ ermöglicht. Dies ermutigt dazu, prozesshafte, intensive Erfahrungen zu erforschen, darüber zu schreiben und auch „schreibendes Denken“ als Begegnung mit Menschlichem und Nicht-Menschlichem zu verstehen („assembling/dissembling movements“, Gale 2020). Dabei kann das Schreiben selbst als performativer Prozess gesehen werden, der verschiedene Formen, Zeiten und Modi umfasst und Offenheit für das Unbekannte fordert. Auch die postqualitativen Ansätze von Laurel Richardson und Elizabeth Adams St. Pierre (2005, 2017) laden zum Experimentieren mit Schreibformen ein, die persönlich und kollektiv bedeutsam sind. Dabei betonen Jackson und Mazzei (2008) ausdrücklich, dass das „performative Ich“ (im Ästhetischen, im Forschen, im Schreiben) kein festes Produkt, sondern ein prozessualer, sich ständig wandelnder Akt ist. Dieser prozessorientierte Fokus verbindet das posthumane Paradigma mit Kultureller und Ästhetischer Bildung, die Bildung als relationalen, fortwährenden Prozess versteht.
Wir geraten in einen Zustand des Flows,
getragen von Staunen, Nähe und einem Gefühl von Zeitlosigkeit.
Wir tanzen, neigen uns, drehen uns ein, verlieren das Ich.Als Time von Hans Zimmer einsetzt, durchströmt mich eine Welle
– überwältigend, energiegeladen.Von uns?
Sprache trägt nicht mehr.
Ich bin verbunden
– mit dir, mit dem Boden, mit dem wachsenden Rhythmus,
mit Licht, Klang, Raum, den anderen Tänzer*innen.Kein Gedanke – nur Bewegung in Verbindung –
etragen von einem Gefühl von Zeitlosigkeit.
Was kann ein Tanz bewirken? Wie können wir die Erfahrung greifen?
Mehrere unserer Denker*innen haben nun nicht nur den Begriff ‚Methodologie‘, sondern auch den Begriff ‚Methode‘ (method) in Frage gestellt. Erin Manning (2016:38) schlägt in ihrem Essay Against Method die Verwendung des Begriffs „technique“ (Technik) vor. Sie betrachtet Technik als offener und dynamischer. Technik sei ein Begriff, der das Unbekannte und die Intuition einlade und eine prozesshafte Entfaltung zulasse. Manning (2013) fordert uns darüber hinaus auf, Technik zu nutzen, um uns in Richtung Technizität zu bewegen, wobei sie argumentiert: „Technizität ist die Modalität, um aus einem System von Techniken das Mehr-als-System zu schaffen“ („[t]echnicity is the modality for creating out of a system of techniques the more-than of system“) (ebd.:32). Während die beiden (Technik und Technizität) koexistieren, bezieht sich Technizität auf „Ermöglichungsbedingungen, die der Technik das Potenzial des Neuen für die Ko-Komposition abverlangen“ („enabling conditions that exact from technique the potential of the new for co-composition”) (Manning 2013:33).
Technizität schwingt beim improvisierten Tanz mit, da dieser auf bestimmten Techniken basieren kann, aber nicht muss. Die Freude kommt vom (intuitiven) Führen und Folgen mit Kreativität, (spontanem) Stil und Intuition der Technizität. In einem späteren Werk argumentiert Manning (2016:38): „Technik berührt, wie sich ein Prozess als solcher offenbart“ („Technique touches on how a process reveals itself as such”). Technizität hingegen „wäre die Erfahrung, wie sich das Werk für sein Potenzial, für sein Mehr-als öffnet“ („would be the experience of how the work opens itself to its potential, to its more-than“) (ebd.). Technizität ist jedoch aufgrund dieses gefühlten Potenzials schwer greifbar, eher fühlbar, und schwer in Worte zu fassen (ebd.). Für unseren Tanz finde ich es besonders spannend, dass Technik und Technizität als Mittel dienen, neue Wissensformen zu erschließen und so Veränderung zu ermöglichen. Manning widmet sich daher in diesem Zusammenhang auch Fragen des Prozesses und der „transition“ – des Übergangs (2016:40). Für sie ist transition stets „Fluss und Schnitt, Diskontinuität und Differenz“ („flow and cut, discontinuity and difference”) (2016:40).
Indem ich mich ganz auf den Rhythmus und
die sich ständig wandelnden, vibrierenden Energien konzentriere,
fühle ich mich eingeladen, mit „unserer“
gemeinsamen, intimen Bewegungsexploration zu experimentieren
– ganz wie in einem „sicheren Raum“.
In ähnlicher Weise postuliert Jackson (2017) in ihrem Aufsatz Thinking without method das Denken ohne Methode als Konzept. Ich schätze diese Positionen. Jackson lädt uns ein, an einer anderen Stelle bzw. „a new starting place“ zu beginnen (Jackson 2017:666). Jackson möchte wie Manning über fixe Annahmen von method hinwegkommen und schlägt in Anlehnung an Deleuze vor „outside of method“ („außerhalb von Methode“) in den Blick zu nehmen (ebd.:666, Herv. im Original). Jackson lehnt damit den Methodenbegriff nicht als Ganzes ab, da dies für sie wiederum eine Dichotomie bzw. einen Dualismus bedeuten würde. Auch ist „außerhalb“ nicht im Gegensatz zu „innerhalb“ gedacht, sondern als Transformation zu verstehen: „The outside is the transformation itself“(ebd.:667, Herv. im Original). Das Denken ohne fixes Bild von „Methode“ kann für Jackson dann ein Zugang sein, der transformative Gedankenkreationen und Wissenskreationen zulässt – z.B. das Denken mit Konzepten. Konzepte sind für sie dann wiederum „relational, connective, and ʻvicinalʼ (i.e., neighboring)“ (ebd.:673, Herv. im Original) – also stets in Beziehung, verbinden und nachbarschaftlich. Dies bedeutet, dass auch Konzepte nicht fix oder vorab existierend sind. Stattdessen ergeben auch sie sich im Experimentieren (vgl. ebd.:673).
Ich frage mich nun, wie diese Positionen auch die Forschung zu Kultureller Bildung verändern können. Wie können solche Positionen etwa die Untersuchung von Improvisationstanz und Improvisationstheater – in denen (fast) nichts vorgeplant ist – bereichern und so neue Erkenntnisse sowie ein tieferes Bewusstsein von Erfahrung ermöglichen? Erin Manning (2013:32) fordert uns auf, die Technik (technique) zu nutzen, um uns in Richtung Technizität (technicity) zu bewegen. Während Technik uns hilft einen Prozess zu beginnen und zu verstehen, meint sie mit Technizität die Ermöglichungsbedingungen für neue Entfaltungen und Verbindungen in diesem Prozess. Wie können Zugänge durch Technik und Technizität in der Kulturellen Bildung helfen, prozessuale Veränderungen zu greifen und Bedeutungszuschreibung zu erlauben?
Im Tanz können wir eventuell die Immanenz des Augenblicks vage wahrnehmen, was möglicherweise an seiner Intensität liegt. In Anlehnung an Manning können wir diese als transformatorischen Werdensprozess betrachten. Manning führt weiterhin in den Prozess der Bewusstwerdung von Veränderung ein. Sie betrachtet die Konzepte Individuation und Präindividuation: „Individuation und das Präindividuelle können nicht getrennt voneinander gedacht werden; sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Individuation ist ein Prozess in seiner Entfaltung durch eine Vielzahl von Phasen. Das Präindividuelle ist der phasenlose Überschuss – das Mehr-als –, das die Nämlichkeit des Prozesses in seiner Entfaltung umhüllt und doch übersteigt. Das Vorindividuelle ist der Keim des Potenzials in jeder Aktivität“(„Individuation and the preindividual cannot be thought separately – they are two sides of the same coin. Individuation is process in its unfolding through a multiplicity of phases. The preindividual is the phaseless excess – the more-than – that envelops yet exceeds the nowness of the process in its unfolding. The preindividual is the germ of potential in every activity”) (Manning 2013:16).) Ebenso können sich im Tanz Prozesse der Veränderung ergeben, die die Wahrnehmung der „Grenzen“ unserer Selbst und unserer Selbstbilder verschieben können.
Alfred North Whitehead, ein prozessbezogener Philosoph, dessen Konzepte von posthumanen/neu-materialistischen Denkern (Manning 2013; Manning / Massumi 2014; Mazzei 2021) und auch von Deleuze (vgl. Robinson 2009, 2010) herangezogen werden, schreibt:
„Das Bewusstsein flackert, und selbst in seiner hellsten Phase gibt es einen kleinen Brennpunkt klarer Beleuchtung und einen großen Halbschattenbereich der Erfahrung, der von intensiver Erfahrung in dumpfer Wahrnehmung erzählt. Auch dieser Charakter unserer Erfahrungen legt nahe, dass das Bewusstsein die Krone der Erfahrung ist, die nur gelegentlich erreicht wird, und nicht ihre notwendige Basis.“ („consciousness flickers, and even at its brightest, there is a small focal region of clear illumination and a large penumbral region of experience which tells of intense experience in dim apprehension. Also this character of our experiences suggests that consciousness is the crown of experience, only occasionally attained, not its necessary base”) (Whitehead 1978:267).
Dieses „Flackern“ („flickering“) nach Whitehead weist (auch) auf unsere Transformation hin, die ins Bewusstsein tritt. Mit Manning gesprochen verweist es auf die Individuation von zuvor vorindividuiert entstehenden Selbstbildern bzw. Teilen dieser Selbstbilder. Unter Bezugnahme auf Whitehead (1968) beschreiben Manning und Massumi (2014:30) ein dämmerndes, entstehendes, fast flackerndes Bewusstsein.
Die Veränderung – das Werden – findet also immer statt, egal ob (teilweise) unbewusst, vorbewusst oder bewusst beschrieben wird. Bewusstwerdung und Bewusstsein sind Teil der Veränderung von Selbstwahrnehmungen. Unsere Selbstwahrnehmung ist dann geprägt vom Moment und damit stets im Prozess. Sie ist in Beziehung zu anderen Entitäten und Kräften (ob bewusst oder unbewusst wahrgenommen). Die relationale Ontologie des Posthumanismus und die daraus ermöglichten Untersuchungsansätze erlauben es uns also, (potenziell) das Selbst bzw. unsere Selbstbilder als veränderlich zu betrachten, was sich von einem phänomenologisch gebundenen und stabilen Konzept des Selbst oder Subjekts unterscheidet. Um mit Wyatt zu sprechen: „Ich/wir“, die „Performer und Schriftsteller in Bewegung“ („performer and writer in motion”), sind „immer schon in der Transformation“ („always already transforming“) (Wyatt 2019:47).
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Kritik an der Vorstellung eines stabilen, festen Selbst bereits in mehreren theoretischen Ansätzen etabliert ist. Werke von Vertreter*innen der Praxeologie, verstanden als Theorie sozialer Praktiken und menschlichen Handelns (vgl. Reckwitz 2003; vgl. auch Bourdieu 1977), des Poststrukturalismus, einer philosophisch-theoretischen Strömung, die insbesondere Macht-Wissen-Komplexe und die Dekonstruktion stabiler Subjektivitätskonzepte analysiert (vgl. Foucault 1982), sowie der feministischen Theorie (Butler 1990) sind bereits etabliert und bilden eine zentrale Grundlage für die Konzeption von Subjekten als dynamisch-prozessuale und relational verfasste Entitäten. Dies entspricht auch der Idee, dass das „Ich“ sich ständig im Werden befindet und vielfältige Möglichkeiten der Selbsttransformation aufweist, wie es etwa im posthumanen Paradigma betont wird.
Ich möchte, dass wir noch einmal auf Mannings technicity und das Whiteheadsche „Flackern“ achten und in diese neugierig im Moment eintauchen. Oft sind uns präindividuelle, noch nicht voll ausgebildete Zustände des Werdens und Erlebens nicht vollständig bewusst und wir können flackernde Phasen des Werdens kaum ganz „einfangen“ (to „catch“). Dennoch lassen sich Worte, Emotionen, Mimik oder Gestik als Ausdruck dieses Flackerns verstehen – als ein „Dazwischen“ („in-betweens“), ähnlich dem Fließen zwischen Intensitäten im Tanz. Wenn wir uns auf dieses Flackern einlassen, können wir das Werden als ein ständiges Entstehen und Entfalten wahrnehmen. Im kreativen Beziehungsfokus unserer Tänze ist diese Beziehung, diese Umarmung, dieser (intime) „Bindestrich“ des creative-relational zwischen den Partner*innen zentral: Wyatt (2019:159) beschreibt ihn als „unvorhersehbar“ („unpredictable“) und als „Möglichkeit“ („possibility“), als eine „beunruhigende, beunruhigende Intimität“ („a troubled troubling intimacy“), die zugleich zusammenzieht und auseinandertreibt. Fiona Murray (2020) lädt uns ein, den Bindestrich spielerisch als Tilde zu sehen – als bewegte Welle, mit der wir uns mitbewegen und so das Dazwischen erfahren können. Ich möchte dazu anregen, diese Verspieltheit und Dynamik zu begrüßen und besonders die Intimität zwischen dem Kreativen und dem Relationalen im Tanz zu achten.
Wie angedeutet, spricht bei Manning Technizität für „das Potenzial des Neuen für die Ko-Komposition“ („the potential of the new for co-composition”) (Manning, 2013:33). Mit Manning können wir mit/zu diesem Potenzial tanzen und den Prozess des Werdens selbst umarmen. Diese Untersuchung ist eine Einladung, im Forschen nicht nur über die gelebten Erfahrungen zu reflektieren, sondern auch auf das Erleben von Augenblick zu Augenblick zu achten. Ein relational verstandenes Werden bzw. Verändern kann unsere Intuition maßgeblich lenken, insbesondere in Begegnungssituationen, wie es Eugene Gendlin (1981:11) herausgestellt hat. Dabei spielt das achtsame Wahrnehmen der „inneren Körperwahrnehmung“ („internal bodily awareness“) und des „gefühlten Sinns“ („felt sense“) eine zentrale Rolle für ein vertieftes Verstehen und empathisches Zuhören. Die Wertschätzung von flackernden Prozessen und deren Entfaltung kann „uns“ helfen, geduldig und offen für unbekannte Veränderungen im Lernen zu bleiben.
Wie kommen wir zum Ende?
Gerade in der Forschungspraxis der Kulturellen Bildung eröffnet dieser Zugang neue Perspektiven: Eine (noch) stärker körperlich-affektive und situativ eingebettete Herangehensweise erlaubt es, ästhetische Erfahrungsprozesse nicht nur retrospektiv zu analysieren, sondern in ihrer Entstehung – im Modus des Werdens – ernst zu nehmen. Das impliziert eine Abkehr von einer stabilen, objektivierenden Forscher*innenposition hin zu einem mitvollziehenden, responsiven und selbst verwandelbaren In-der-Welt-Sein der Forschenden. Die Forschung selbst wird damit performativ – nicht nur in dem Sinne, dass sie Wirklichkeit mit hervorbringt (vgl. Barad 2007), sondern auch, weil sie auf kreatives Mitgestalten in situ angewiesen ist. Für prozessorientierte Forschungsansätze in der Kulturellen Bildung heißt das: Die Entstehung von Wissen ist untrennbar mit ästhetischer, körperlich-sinnlicher und relationaler Erfahrung verbunden. Tanz – als Bewegung im Raum, als ko-improvisierte Praxis, als Verkörperung von Beziehung – wird so nicht nur zum Untersuchungsgegenstand, sondern auch zur methodologischen Metapher und Möglichkeit. Forschende sind eingeladen, mit dem Fluss des Erlebens zu gehen, Unschärfen auszuhalten, Zwischenräume wahrzunehmen und sich selbst als Teil des Forschungsprozesses zu begreifen – offen für Transformation, Resonanz und nicht zuletzt für das Unerwartete, das im Moment auftaucht.
Das nächste Musikstück beginnt,
und ich spüre die Grenzen meines Körpers klarer.
Tanzen steht für mich für das Leben selbst:
Gelassenheit im Fluss, Leidenschaft im Moment.
Es heißt, ans Unmögliche zu glauben, nicht aufzugeben,
mit Integrität zu stehen, verletzlich und offen zu bleiben – mutig.
Tanzen bedeutet, etwas zurückzugeben, Bewegung zu schaffen.
Es lädt ein zum Spiel des Wunders.
Vielleicht flackert das Wunder stets leise und will nur erkannt werden.
So wird Tanzen zum sicheren, offenen Raum,
der das Unbekannte entfaltet und erforscht.
„In other words, critiquing method is not enough. Experimenting with method differently is not enough. We do not need method to think. Our task, then, is to keep creating the new without method: doing without method by staying on its outside in an act of creative destruction.” (Jackson 2017:674)
Ich möchte diesen Aufsatz – diese Tänze und Nachspürungen – dazu nutzen, uns abschließend noch einmal der Frage anzunähern: Wie können wir Veränderung durch Tanz und Kulturelle Bildung (post)qualitativ erfassen? Eine abschließende Antwort darauf gibt es natürlich nicht – und genau das entspricht dem Geist des Posthumanismus. Das posthumane/neu-materialistische Paradigma eröffnet neue Perspektiven auf Wissensgenerierung und Wissensformen, die über traditionelle Ansätze hinausgehen. Solche Ansätze können postqualitativ sein: Sie denken kreativ-relational mit oder ohne theoretische Vorannahmen, hinterfragen unsere Begriffe von Methode und Methodik und fordern dazu heraus, Gewohntes neu zu denken. Dies bedeutet, nicht nur bestehende Verflechtungen zu erkennen, sondern im Forschungsprozess selbst aktiv neue Verbindungen zu schaffen. Forschung wird so selbst zu einem dynamischen Veränderungsprozess, den wir auch als Forschende erleben und gestalten können.
Um Veränderungsprozesse besser zu erfassen, geben uns Autor*innen wie St. Pierre, Jackson, Mazzei, Wyatt, Manning, Whitehead und andere wertvolle Anregungen und ermutigen uns, neue Wege zu beschreiten. Dieser Mut zeigt sich in einer „kreativen Destruktion“ (Jackson 2017:674), die Altes hinterfragt und Platz für Innovation schafft. Wir haben mit Erin Manning (2013, 2016) gedacht und getanzt. Sie versteht in diesem Kontext technicity nicht nur als technische Fertigkeit, sondern als verkörperte Bewegungsfähigkeit, die in der Situation selbst entsteht – ein relationaler Impuls, der Veränderung initiiert. In Anlehnung an Whitehead (1978) sind wir eingeladen, das „Flackern“ („flickering“) verwandter Werdensprozesse wahrzunehmen – ein leises Signal, das uns zu unseren Untersuchungen führt. Es ist eine Aufforderung, sich kreativ auf das Dazwischen, auf Übergänge und Unbestimmtheiten einzulassen und diese zu erforschen. Genau das war meine Einladung im Tanzen: das Wagnis, dem kaum Greifbaren mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die Qualität dieser Prozesse hängt dabei maßgeblich davon ab, wie wir unsere eigenen Grenzen wahrnehmen. Wenn wir mit einem energetisch offenen Körper agieren, eröffnet sich die Fähigkeit, empathisch und tief mit anderen Menschen sowie mit mehr-als-menschlichen Wesen in Resonanz zu treten.
Diese Perspektive eröffnet neue Möglichkeiten, wie wir Veränderungsprozesse wahrnehmen und verstehen können – ganz im Sinne der Forderungen von Forschenden wie Ludwig (2017) und Seitz (2012). Dabei wird die Wahrnehmung selbst zum Teil des Wandels. Gleichzeitig stellt sich die ethische Frage, wann und in welchem Umfang ein Eingreifen in diese Prozesse notwendig und angemessen ist. Dabei spielen Gefühle eine zentrale Rolle, denen wir uns je nach unseren Grenzen öffnen oder abgrenzen können. Es liegt an uns, unsere Fähigkeiten im Kontakt mit uns selbst und anderen zu entwickeln und ihnen zu vertrauen. In diesem Aufsatz habe ich das posthumane Paradigma auf die Forschung der Kulturellen Bildung übertragen und die Bedeutung von prozessualem und relationalem Werden hervorgehoben (vgl. Fischer 2024a, b). Besonders wichtig ist, die künstlerisch-kreative Dimension kultureller Bildungsprozesse nicht als Ergänzung, sondern als konstitutiv für ihr Erkenntnispotenzial zu verstehen – exemplarisch aufgezeigt am Tanz als künstlerisch-performative Praxis.
Während postqualitative Forschungsmethoden und posthumane Perspektiven häufig abstrakt und theoriegeleitet diskutiert werden, erfordert Forschung in der Kulturellen Bildung oft explizite Berücksichtigung ästhetischer, performativer und sinnlicher Dimensionen (vgl. Rittelmeyer 2012; Mollenhauer 1996). Kreativität und künstlerische Praxis stellen in diesem Zusammenhang keine bloßen methodischen Werkzeuge dar, sondern eröffnen eigenständige Formen der Wissensproduktion, -reflexion und -vermittlung (vgl. Harnisch-Schreiber et al. 2024; Konietzko et al. 2017; Ludwig 2017, 2021; Liebau et al. 2014). Vor diesem Hintergrund möchte ich dafür sensibilisieren, den kreativen Prozess als eigenständiges onto(-)epistemologisches Moment zu verstehen, das das Forschen in der Kulturellen Bildung mitgestalten kann. In diesem Sinne verstehe ich die Übertragung posthumaner/neu-materialistischer Konzepte als ein Angebot, das dazu beitragen kann, die komplexe Vielschichtigkeit ästhetischer Erfahrungsräume und Bildungsprozesse in ihrer relationalen Dynamik sichtbarer und greifbarer zu machen.