Transformation gestalten – Kooperationen Kultureller Bildung und Schule im Kontext von Schulschließungen. Herausforderung und Potenziale für den ländlichen Raum Ostdeutschlands

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von Ulrike Stutz

Erscheinungsjahr: 2024

Peer Reviewed

Abstract

Die Schließung von Schulen aufgrund des demografischen Wandels stellt insbesondere im ländlichen Raum Ostdeutschlands eine Problematik dar, die mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen einhergeht. Schulen entfallen damit auch als Orte Kultureller Bildung und als Felder der Zusammenarbeit, so dass diese Entwicklung für die Kulturelle Bildung eine Relevanz besitzt. Gleichzeitig bieten innovative Kooperationsmodelle, die im Zuge von Schulschließungen entwickelt werden, aber auch Raum für die Potenziale Kultureller Bildung, pädagogische Qualität in Schulen zu steigern und ihre kulturelle Profilbildung zu unterstützen. In diesem Beitrag wird zunächst die Problematik der Schließung von Schulen erörtert und die Entwicklung von Schul-Kooperations-Modellen thematisiert. Anschließend wird u.a. mit Bezug zu Untersuchungen im Rahmen des Forschungsprojekts KuBiLa - Kulturelle Bildungslandkarten (BMBF) dargelegt, wie Kulturelle Bildung innerhalb dieser Wandlungsprozesse eine Wirkmächtigkeit erlangen kann, indem im pädagogischen Feld formulierte Interessen berücksichtigt und zugleich eigene Zielsetzungen, wie die Erweiterung von Bildungsverständnissen, verfolgt werden. Dies wird in der Anwendung von Analyseverfahren der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) dargelegt.

Die Schließung von Schulen aufgrund des demografischen Wandels stellt insbesondere im ländlichen Raum Ostdeutschlands eine Problematik dar, die mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen einhergeht. Schulen entfallen damit auch als Orte Kultureller Bildung und als Felder der Zusammenarbeit, so dass diese Entwicklung für die Kulturelle Bildung eine Relevanz besitzt. Gleichzeitig bieten innovative Kooperationsmodelle, die im Zuge von Schulschließungen entwickelt werden, aber auch Raum für die Potenziale Kultureller Bildung, pädagogische Qualität in Schulen zu steigern und ihre kulturelle Profilbildung zu unterstützen. In diesem Beitrag wird zunächst die Problematik der Schließung von Schulen erörtert und die Entwicklung von Schul-Kooperations-Modellen thematisiert. Anschließend wird u.a. mit Bezug zu Untersuchungen im Rahmen des Forschungsprojekts KuBiLa - Kulturelle Bildungslandkarten (BMBF) dargelegt, wie Kulturelle Bildung innerhalb dieser Wandlungsprozesse eine Wirkmächtigkeit erlangen kann, indem im pädagogischen Feld formulierte Interessen berücksichtigt und zugleich eigene Zielsetzungen, wie die Erweiterung von Bildungsverständnissen, verfolgt werden. Dies wird in der Anwendung von Analyseverfahren der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) dargelegt.

Schulschließungen im Zuge von Transformationsprozessen – Schrumpfen als Strukturverlust

Schulen stellen wichtige Orte für die Kulturelle Bildung dar. Sie sind pädagogische Einrichtungen, in denen in Formaten wie Unterricht, Projekt, Exkursion, Ganztagsangebot und Arbeitsgemeinschaft Inhalte und Methoden Kultureller Bildung vermittelt und kulturelle Erfahrungen ermöglicht werden. Schulen und Kultureinrichtungen initiieren punktuelle Formen der Zusammenarbeit aber auch darüberhinausgehende langfristige Kooperationen, innerschulische Angebote werden dabei erweitert und ergänzt. In der Kooperation von Schule und Kultureller Bildung können hiermit strukturelle Veränderungen in der Bildungslandschaft einer Region geschaffen werden (vgl. Fuchs 2007; Braun/Fuchs/Kelb 2010:103; Braun 2023). Eine Schließung von Schulen betrifft somit auch die regionale Verankerung und Ausprägung Kultureller Bildung.

Dabei wird mit dem Abbau von Schulen ein Problem benannt, das insbesondere in Ostdeutschland aufgrund sinkender Schüler*innenzahlen anzutreffen ist. Die Gründe des Absinkens von Einschulungen sind vielfältig: Zum einen handelt es sich dabei um eine direkte Nachfolge einer rapide abfallenden Geburtenrate im Ostdeutschland der Nachwendezeit, die – wenn auch seit 2011 dem Westniveau angeglichen – zu einer geringer werdenden Bevölkerung und einer schnelleren Alterung in Ostdeutschland beiträgt (Destatis 2024). Zum anderen liegen sie in Folgeerscheinungen des entstehenden Strukturverlusts.

Das Sinken der Schüler*innenzahlen in Ostdeutschland kann im Kontext eines – zum Teil überdurchschnittlichen – Schrumpfens von ostdeutschen Städten und Gemeinden gesehen werden, das insbesondere den ländlichen Raum betrifft (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung - BBSR - 2024b). Die Bezeichnung „Schrumpfen“ bezieht sich dabei nicht nur auf einen zahlenmäßigen Bevölkerungsverlust, sondern auch auf einen strukturellen Wandel und integriert sowohl demografische als auch ökonomische Faktoren. So werden bei der Berechnung von „Schrumpfen“ und „Wachsen“ Indikatoren zur Entwicklung von Bevölkerungsanzahl, Altersstruktur und – insbesondere hinsichtlich einer Erwerbsfähigkeit – zu Zu- und Abwanderungsbewegungen, zu Beschäftigungs- und Arbeitslosenquote sowie zum Gewerbesteueraufkommen einbezogen (ebd.). „Schrumpfen“ bedeutet somit eine mit einem zahlenmäßigen und demografischen Wandel der Bevölkerung einhergehende negative ökonomische Entwicklung mit der Folge struktureller Verluste.

Beispiel Thüringen als ostdeutsches ländlich geprägtes Bundesland

Wird der Blick auf Thüringen als ländlich geprägtes Bundesland in Ostdeutschland gelenkt, zeigt sich, dass auch hier – besonders jenseits der Ober- und Mittelzentren – ein Schrumpfen von Städten und Gemeinden festzustellen ist (BBSR 2024a). Im Zuge dieser Entwicklungen nahm auch die Anzahl der Schulen in Thüringen ab. Betrug diese bezüglich aller allgemeinbildender Schularten und -typen im Schuljahr 1995/96 noch insgesamt 1302, lag sie im Schuljahr 2022/23 bei nur noch bei 867 (Thüringer Landesamt für Statistik - TLS - 2024).

Wird die Verteilung des Abbaus von Schulen in den Thüringer Landkreisen und den kreisfreien Städten betrachtet, fällt auf, dass zwischen 1996 und 2023 sowohl in den ländlich als auch in den städtisch geprägten Regionen ca. 33% der Schulen geschlossen wurden. Betrachtet man jedoch die regionalen Gegebenheiten, zeigt sich, dass Schulschließungen im ländlichen Raum stärkere Auswirkungen besitzen als im städtischen. Deutlich hervor tritt dies, wenn nicht nur die einzelne Schule im Kontext der zu versorgenden Anzahl an Schüler*innen betrachtet, sondern die Länge der jeweiligen Schulwege berücksichtigt wird. Mit einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) zur Entwicklung der Schulstandorte in Ostdeutschland zwischen 1992 und 2015 wurde diese Perspektive eingenommen und der Fokus auf „Schulcluster“ gelegt (Helbig/Konrad/Nikolai 2018:8 ff.). Als Cluster wurden Schulen in naher Distanz – bei Grundschulen 3km, bei Sekundarschulen 5km Abstand – zusammengefasst, um die durch Wegfall von Schulen entstehende Verschlechterung der Erreichbarkeit zu ermitteln. Diese Analyse zeigt, wie die untenstehende Grafik visualisiert, dass eine Schulschließung im dichten urbanen Gebiet die Schulerreichbarkeit weniger beeinträchtigt als im weniger dicht besiedelten ländlichen Raum.

Abb.1
Abb. 1: Cluster Grundschulen Thüringen 1992
blau: öffentliche Schulen, rot/lila/grün: private Schulen, Quelle: https://schulenkarte.wzb.eu/
Abb.2
Abb. 2: Cluster Grundschulen Thüringen 2015
blau: öffentliche Schulen, rot/lila/grün: private Schulen, Quelle: https://schulenkarte.wzb.eu/

Schlechte Schulversorgung, Attraktivitätsverlust sowie fehlende Bildungsgerechtigkeit

Die Probleme, die durch die Schulschließungen insbesondere im ländlichen Raum entstehen, liegen auf der Hand: Schulwege verlängern sich, Gemeinschaftsbildungen, die durch den Schulbesuch entstehen könnten, werden erschwert, eine durch die Anbindung an eine Schule entstehende Identifikation mit einer Region wird unterlaufen. Ein „öffentliches Zentrum“ und damit eine „soziale Attraktivität“ (vgl. Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport - TMBJS - 2017:70) eines Orts geht verloren, schlecht erreichbare Schulen stellen einen Negativfaktor bei der Wohnortwahl von Eltern mit schulpflichtigen Kindern dar, weitere Abwanderung droht.

Dieser Zusammenhang zwischen dem Aufkommen von Bildungseinrichtungen und der strukturellen Ausgestaltung einer Region wurde auch durch im Forschungsprojekt Kulturelle Bildungslandkarten (KuBiLa) durchgeführte sekundärstatistische Untersuchungen deutlich. So zeigt sich hier, dass – am ostdeutschen Durchschnitt gemessene – nachteilhafte „Rahmenbedingungen Kultureller Bildung“ in der Einbeziehung von Indikatoren zu Bevölkerung, Erwerb, Mobilität und Digitalisierung mit einem geringen Aufkommen von Bildungseinrichtungen korrelieren (siehe Abb. 3).

Abb. 3
Abb. 3: Anzahl von Bildungseinrichtungen und Rahmenbedingungen Kultureller Bildung bezüglich Bevölkerung, Erwerb, Mobilität, Digitalisierung (Quelle Rahmenbedingungen: KuBiLa auf Basis von Daten des BBSR Bonn 2020 (INKAR), Daten-Stand 2017. Quelle Zahl der Bildungseinrichtungen: Geodaten mit Points of Interests des BKG, Stand 2020)

Die Studie des WZB weist auf zusätzliche, über diese strukturellen Problemlagen hinausgehende, Konsequenzen für die Bildungsgerechtigkeit hin: Insbesondere Eltern nicht-gehobener Schichten bevorzugten wohnortnahe Bildungseinrichtungen, verfügten also über einen sogenannten „Transportwiderstand“ (Stecher/Maschke 2008:198), was im Sekundarbereich dazu führe, dass hochschulqualifizierende Schulen, die weiter entfernt sind, nicht gewählt werden (Helbig/Konrad/Nikolai 2018:1).

Lösungsstrategien

Klassenverkleinerung und jahrgangsübergreifendes Lernen

Zur Abwendung der Probleme werden verschiedene Strategien erörtert. Hierzu gehört die Reduzierung der zulässigen Mindestgröße von Klassen, so dass aufgrund einer entsprechend hohen Klassenzahl bei gleichzeitig geringer Schüler*innenzahlen Schulen geöffnet bleiben können (TMBJS 2017:100 f.). Auch aufgrund der uneindeutigen Studienlage zur Qualität von Unterricht in kleinen Klassen (Asberger 2023), wird außerdem ein jahrgangsübergreifendes Lernen vorgeschlagen, das die Klassenstärke wiederum vergrößert (TMBJS 2017:69). Allerdings sind die so entstehenden Kleinschulen mit spezifischen Problemlagen konfrontiert, wie fehlende Vertretungsmöglichkeiten und Herausforderungen bezüglich des Abdeckens aller Fächer auf hohem Niveau sowie der Erledigung sonstiger außerunterrichtlicher Aufgaben (ebd.:68 f.). Zudem erfordern diese Lösungen auch einen hohen Einsatz von ökonomischen Mitteln und Personal. Aufgrund dieser komplexen Anforderungslage werden insbesondere in den ländlich geprägten Bundesländern in Ost und West im Zuge der Schulnetzplanung Kooperationsmodelle mit unterschiedlichen Ausrichtungen als Lösungsoptionen diskutiert.

Kooperationsmodelle und Potenziale Kultureller Bildung

In der Thüringischen Bildungspolitik finden Vergleiche unterschiedlicher Kooperationsformen statt. Vorschläge einer von der Landesregierung Brandenburg beauftragten „Demografie-Kommission“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Brandenburg - MBJS - 2013) zur Neuorganisation von ländlichen Grundschulen und konzeptionelle Überlegungen der „Akademie für den Ländlichen Raum Schleswig-Holsteins“ (ALR-SH 2014; TMBJS 2017) werden dabei komparativ und vor dem Hintergrund Thüringer Gegebenheiten betrachtet.

Sprengel, „Netzschule mit fahrendem Klassenzimmer“ und „Bildungscampus“

Übereinstimmend wird in den Papieren der drei Bundesländer Thüringen, Brandenburg und Schleswig-Holstein ein „Sprengel-Modell“ nach einem Vorbild aus Südtirol als eine mögliche Option entworfen. Es handelt sich dabei um „autonome Organisationseinheiten“, die über ein gemeinsames Leitbild sowie über eine geteilte Lehrer*innenschaft, eine Leitung, eine Verwaltung und ein Budget verfügen. Möglich ist es, dass Lehrer*innen an mehreren Standorten des Sprengels arbeiten (MBJS 2013:43).

Weitere Überlegungen betreffen die Flexibilisierung der Eingangs- und Ausgangsphase der Grundschule, durch die sich die Dauer des Schulbesuchs einzelner Schüler*innen verlängert. Mit weiteren Kooperations-Modellen werden nicht nur veränderte Organisationsformen von Schule, sondern – angeregt durch die demografische Herausforderung – darüberhinausgehend Visionen eines sozialräumlich erweiterten Bildungsverständnisses entworfen. Insbesondere die „Netzschule mit fahrendem Klassenzimmer“ mit Unterricht an verschiedenen Standorten und die Einbeziehung von Wegen zwischen den Kooperationspartnern als Erfahrungsräume, die „Entgrenzte Grundschule“ mit einer Öffnung von Schule für nicht-schulische Orte und der „Ländliche Bildungs- und Lerncampus“ in der Verbindung von Bildungs- und Kulturräumen (ALR-SH 2014:66ff.) stellen Konzeptionen dar, die auch Chancen dafür eröffnen, Potenziale Kultureller Bildung im Prozess der Neuordnung von Schule im ländlichen Raum produktiv zu machen. Damit werden Ansätze angesprochen, die u.a. bereits im Diskurs zur Kulturellen Bildung in der Ganztagsschule u.a. mit dem Konzept „Kulturschule“ (Fuchs 2007; Braun/Fuchs/Kelb 2010; Braun 2023) als strukturelle Veränderung von Schule thematisiert werden.

Kulturelle Bildung im Kontext der Verbesserung von Unterrichtsqualität

An der Thüringer bildungspolitischen Diskussion zeigt sich, von welchen Zielstellungen eine schuladministrative Bewertung der Modelle geleitet wird. So beziehen sich diese maßgeblich auf die Sicherung der Unterrichtsversorgung, die Fähigkeit von Lehrkräften, die entstehenden Belastungen zu bewältigen sowie auf die finanz- und personalökonomische Absicherung und weniger auf Bildungsinnovationen und strukturelle Veränderungen der Lebensbedingungen in der ländlichen Region (TMBJS 2017:85f.). Allerdings wird auch ein Entwicklungsanspruch verfolgt z.B. mit dem Ziel der Sicherung und Steigerung von Unterrichtsqualität. Kooperation wird dabei das Potenzial zugesprochen, den kollegialen Fachaustausch qualitativ zu erweitern sowie – z.B. durch abgestimmte Fortbildungen – Synergieeffekte zu generieren. Auch Spezialisierungen von einzelnen Schulstandorten und eine außer- wie innerschulische Angebotsbreite könne hierdurch ermöglicht werden. Die Koordinierung zwischen den Schulen soll zudem eine Bündelung von Kräften und hiermit eine Entlastung bewirken (a.a.O.).

Diese Entwicklungs-Perspektive lässt Anknüpfungspunkte für die Kulturelle Bildung entstehen, indem Kulturakteur*innen ihr Expert*innen-Wissen und -Können in der Kooperation mit Schulen einbringen können. Vorteilhaft für das strategische Voranbringen dieser Mitwirkung ist es, die entsprechenden bildungspolitischen Diskussionen zu kennen und an diese anzuknüpfen.

KuBiLa – Kulturelle Bildungslandkarten

Mit Ergebnissen des vom Fachgebiet Kunst der Universität Erfurt durchgeführten Forschungsprojekts „KuBiLa – Kulturelle Bildungslandkarten. Visuelle sozialräumliche Netzwerkanalyse kooperativer kultureller Bildung in ländlichen Räumen im Vergleich“ (2018-2022) kann die Frage nach Chancen der strukturellen Veränderung von Schule durch die Kooperation mit außerschulischen Kulturpartner*innen unter den Bedingungen des ländlichen Raums weiterverfolgt werden. Mit dem Forschungsprojekt wurde der Frage nachgegangen, inwiefern Vernetzung und Kooperation Strategien bilden können, um regionaler infrastruktureller und ökonomischer Benachteiligung der Kulturellen Bildung in peripheren ländlichen Räumen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018; Berlin-Institut 2019:22) entgegenzuwirken. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf quantitative und qualitative Analysen zu Aussagen von Pädagog*innen zur Kooperation mit Kulturakteur*innen, wobei Befunde der Befragung von Kulturanbietenden vergleichend hinzugezogen werden. Die Analysen ermöglichen es, zu ermitteln, wie Kulturelle Bildung im Kontext von Schulschließungen und Schulkooperationen gestärkt werden kann.

Multiperspektivische methodische Zugänge

Im Forschungsprojekt wurden mit einem Mixed-Methods-Ansatz Untersuchungen zunächst in einer Nordthüringer Modellregion, die die Landkreise Nordhausen, Unstrut-Hainich und Kyffhäuser umfasste, durchgeführt und im weiteren Verlauf in den als Vergleichsregionen definierten Landkreisen Elbe-Elster (Brandenburg) und Vogtland (Sachsen) (Brand/Hagedorn 2022; Rossi/Stutz 2022; Stutz 2022, 2023a; Stutz/Hagedorn/Rossi 2023).

Bestandteile der Untersuchung waren quantitative sekundärstatistische Analysen, visuelle Netzwerkanalysen auf der Basis von standardisierten Fragebögen zu Kooperation und Vernetzung von Kultur- und Bildungsakteur*innen, qualitative Auswertungen von problemzentrierten Interviews und von Freitextangaben aus den Fragebögen sowie interaktive Ermittlungen mit einem Geomapping von Kulturorten in der untersuchten Nordthüringer Modellregion. Mit der Auswahl der Interviewpartner*innen wurde angestrebt, Kulturakteur*innen unterschiedlicher Sparten und Pädagog*innen verschiedener Bildungseinrichtungen mit proportional gleicher Verteilung in den einbezogenen Landkreisen zu befragen.

In einer späteren Phase des Projekts wurde ein Vergleich der Befunde von Modell- und Vergleichsregionen vorgenommen, um übertragbare Aspekte benennen zu können. Die Vergleichsregionen Elbe-Elster in Brandenburg und Vogtland in Sachsen wurden aufgrund von überschneidenden und differierenden Faktoren ausgewählt: Übereinstimmend handelt es sich bei allen einbezogenen Landkreisen um ländlich geprägte und im ostdeutschen Vergleich bezüglich Demografie, Beschäftigung, Mobilität und Digitalisierung tendenziell unterdurchschnittlich ausgestattete Regionen. Unterschiede lassen sich maßgeblich in Bezug auf die jeweils getätigten Kulturausgaben feststellen, die in Thüringen und Sachsen über dem bundesdeutschen Durchschnitt und in Brandenburg darunter liegen (Statistische Ämter 2022). Zu unterscheiden sind auch Konzeptionen der Kulturfinanzierung: In Thüringen kann eine Fokussierung von herausragenden, maßgeblich in den Mittel- oder Oberzentren angesiedelten, Einrichtungen festgestellt werden (vgl. Flohr 2019), in Sachsen fließen auf der Grundlage eines Kulturraumgesetzes mehr Mittel in die kommunale Eigenverwaltung und in Brandenburg findet eine „genrespezifische Förderung“ statt, wobei für die Kulturelle Bildung ein eigenes Landesförderprogramm aufgestellt wurde (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur Brandenburg - MWFK - 2024).

KuBiLa-Studie: Ebenen und Gründe der Kooperation von Pädagog*innen mit Kulturakteur*innen

Im Rahmen von KuBiLa wurde mit 231 Fragebögen ermittelt, wie Pädagog*innen mit Kulturanbietenden und diese untereinander kooperieren. Der Fokus richtete sich bei der Fragebogenerhebung auf Ebenen der Zusammenarbeit und auf Gründe für die Kooperation sowie auf die Wichtigkeit und Häufigkeit von Beziehungen.

Ebenen der Kooperation und Zusammenarbeit aus der Perspektive von Pädagog*innen – Orientierung auf Anwendbarkeit

Deutlich tritt hervor, dass die Pädagog*innen sowohl in der Modellregion als auch in den Vergleichsregionen einer Planung und Durchführung von Vorhaben sowie dem Nutzen von Fachkenntnissen der Kooperationspartner das stärkste Gewicht beimessen und für sie damit die Ebene der konkreten Anwendung die höchste Bedeutung zu besitzen scheint. Dem gegenüber wird die Ebene des kultur- und bildungspolitischen Handelns am wenigsten als relevant eingestuft. Das Teilen von Ressourcen und ein nicht auf konkrete Anwendung bezogener inhaltlicher Austausch rangieren im mittleren Bereich (siehe Abb. 4).

Abb. 4 neu
Abb. 4: Pädagog*innen - Ebenen der Zusammenarbeit mit Kulturakteur*innen
Die oben angegebenen Antwortoptionen konnten mit Mehrfachauswahl angegeben werden. Die Skala zeigt die anzahlmäßige Verteilung der Antworten im Verhältnis zueinander. Modell- und Vergleichsregion: n=188 (MR: n=102, VR: n=86) bezogen auf die Anzahl aller angegebenen Kooperationsbeziehungen.

Gründe für Kooperation und Zusammenarbeit aus der Perspektive von Pädagog*innen – Erweiterung und Qualitätssteigerung

Sowohl in der Modellregion als auch in den Vergleichsregionen wird die Zusammenarbeit mit Kulturakteur*innen mit qualitätsbezogenen Aspekten begründet. Dies zeigt sich in der Favorisierung einer „Erweiterung von Inhalten“ bzw. „Erweiterung von Erfahrungen“ sowie der „Sicherung und Steigerung der Qualität des eigenen Angebots“ (Abb. 5). Dem Aspekt der „Ressourcen“ wird auch bei der Frage nach der Begründung der Zusammenarbeit eine mittlere Bedeutung beigemessen. Eine politische Relevanz wird der Kooperation mit Kulturakteur*innen von den Pädagog*innen im geringsten Maße zugesprochen.

Abb. 5 neu
Abb. 5: Gründe von Pädagog*innen zur Zusammenarbeit mit Kulturakteur*innen
Die oben angegebenen Antwortoptionen konnten mit Mehrfachauswahl angegeben werden. Die Skala zeigt die anzahlmäßige Verteilung der Antworten im Verhältnis zueinander. Modell- und Vergleichsregion: n=188 (MR: n=102, VR: n=86) bezogen auf die Anzahl aller angegebenen Kooperationsbeziehungen.

Die Kulturanbietenden sprechen hingegen einer „Beteiligung an politischen Prozessen“ eine größere Relevanz zu: Diese wird in etwa gleichberechtigt mit der „Steigerung von Qualität“, dem „Ergänzen eigener Ressourcen“ sowie den „Gemeinsamen Inhalten“ als Grund für ihre Kooperation mit anderen Kulturakteur*innen angegeben (siehe Abb. 6).

Abb. 6 neu
Abb. 6: Gründe für Kooperation und Zusammenarbeit von Anbietenden Kultureller Bildung
Die oben angegebenen Antwortoptionen konnten mit Mehrfachauswahl angegeben werden. Die Skala zeigt die anzahlmäßige Verteilung der Antworten im Verhältnis zueinander. Modell- und Vergleichsregion: n=238 (MR: n=159, VR: n=79) bezogen auf die Anzahl aller angegebenen Kooperationsbeziehungen.

Zusammenhänge – Praxisorientierung und Interesse an Qualitätssteigerung

Aufschlussreich ist es zur Ermittlung der Interessen der Pädagog*innen an der Zusammenarbeit mit Kulturpartner*innen, nicht nur die Anzahl gegebener Antworten, sondern auch die von den Befragten jeweils überschneidend genannten Aspekte mit Hilfe einer Korrelationsanalyse herauszuarbeiten (vgl. Schäfer 2016:96 ff.). Die nachfolgend aufgeführten Grafiken zu Ebenen und Gründen der Kooperation von Pädagog*innen mit Kulturakteur*innen visualisieren sowohl die Häufigkeit der von den Pädagog*innen in allen einbezogenen Regionen genannten Aspekte (Intensität der Farbgebung), als auch die Überschneidungen zwischen angegebenen Ebenen bzw. Gründen, die einen unterschiedlich hohen Grad aufweisen (Abb. 7 und Abb. 8).

Korrelationen der von den Pädagog*innen angegebenen Ebenen von Kooperation und Zusammenarbeit

Abb. 7
Abb. 7: Korrelationen von angegebenen Ebenen der Kooperation
Die angegebenen Werte beziehen sich auf Berechnungen nach Pearson und – wenn nicht extra ausgewiesen – auf die Antworten aus allen einbezogenen Regionen. Die Intensität der Farbgebung orientiert sich daran, wie häufig die Antwort – summiert in allen Regionen – angegebenen wurde. Modell- und Vergleichsregion: n=188 (MR: n=102, VR: n=86) bezogen auf die Anzahl aller angegebenen Kooperationsbeziehungen.

Es zeigt sich, dass die von den Pädagog*innen als besonders relevant erachtete Ebene „Fachkenntnisse der Partner*innen nutzen“ zum einen mit einer inhaltsbezogenen und zum anderen mit einer praxisbezogenen Ebene korreliert. Da aber der „inhaltliche Austausch“ deutliche Überschneidungen mit der Nennung von materiellen Aspekten aufweist, wird der Eindruck unterstützt, dass das Nutzen von Fachkenntnissen sich weniger auf ideelle Aspekte, sondern auf Anwendbarkeit bezieht. Dies legt auch die geringere Nennung einer bildungs- und kulturpolitischen Relevanz der Zusammenarbeit nahe. Diese wurde nur in der Modellregion überschneidend mit dem „Nutzen von Fachkenntnissen“ angegeben.

Korrelationen der von den Pädagog*innen angegebenen Gründe für Kooperation und Zusammenarbeit

Die Korrelationen angegebener Gründe der Zusammenarbeit zeigen jedoch eine weitere Schwerpunktsetzung: Die von allen Befragten favorisierten Begründungen „Erweitern und Ergänzen von Inhalten“ und „Sicherung und Steigerung von Qualität“ korrelieren miteinander und damit zwei qualitätsbezogene Aspekte. Übereinstimmungen zeigen sich zwischen diesen Nennungen und der Angabe einer „Schärfung des eigenen Profils“, was die Relevanz von Qualitätsaspekten unterstreicht. Inhaltsbezogene Aspekte – wie die „Fachliche Expertise der Partner*innen“ und der „Austausch über Bildungsverständnisse und Ziele“ – stehen dabei im Zusammenhang mit einer Qualitätssteigerung und Erweiterung des eigenen Spektrums.

Abb. 8
Abb. 8: Korrelationen von von Pädagog*innen angegebenen Gründen für Kooperationen
Die angegebenen Werte beziehen sich auf Berechnungen nach Pearson und – wenn nicht extra ausgewiesen – auf die Antworten aus allen einbezogenen Regionen. Die Intensität der Farbgebung orientiert sich daran, wie häufig die Antwort – summiert in allen Regionen – angegebenen wurde. Modell- und Vergleichsregion: n=188 (MR: n=102, VR: n=86) bezogen auf die Anzahl aller angegebenen Kooperationsbeziehungen.

Kulturelle Bildung kann in Partnerschaften mit Schule also an die Interessen von Pädagog*innen zur Verbesserung pädagogischer Qualität und der Erweiterung und Ergänzung von Inhalten anknüpfen.

Gespräche mit Pädagog*innen – Praxisorientierung und Qualität

Im Forschungsprojekt KuBiLa wurden nicht nur standardisierte Fragebogenerhebungen, sondern auch offenstrukturierte – problemzentrierte (Witzel 2000) – Interviews geführt. Diese wurden ebenso wie Eintragungen in Freitextfelder der Fragebögen mit dem Verfahren der Grounded Theory (Strauss/Corbin 1996) qualitativ ausgewertet.

Durch diese qualitative Analyse können die Befunde unterstützt werden, dass Pädagog*innen die Zusammenarbeit mit Kulturakteur*innen sowohl mit Praxisorientierung als auch mit der Absicht, die Qualität pädagogischer Angebote zu steigern, verbinden: Kooperation wird von den Pädagog*innen in den Interviews überwiegend als projektbezogenes Interesse definiert, wobei in dieser offenen Befragung ergänzt wird, dass ein wechselseitiger Nutzen der Kooperation für die Partner*innen eine Voraussetzung bildet. Das Ziel der Qualitätssteigerung wird jedoch in gleicher Intensität als Absicht für Kooperation formuliert. Das Teilen von Ressourcen sowie der Ausbau der eigenen Angebote stehen an der zweiten Stelle der formulierten Absichten, womit wiederum praxisbezogen argumentiert wird. Auch bei Äußerungen zu Effekten und Konsequenzen von Kooperation wird der Aspekt der Qualität angeführt, diesbezügliche positive Entwicklungen sowie Erweiterungen und Weiterentwicklungen gehören zu den meistgenannten Auswirkungen von gelingender Kooperation.

Die in den Interviews geäußerten positiven Einstellungen gegenüber Kooperationen sind auch deswegen bemerkenswert, da als Hinderungsgründe für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von den Pädagog*innen Überbelastungen in Verbindung mit Personalmangel und fehlender sowie unvorteilhafter Finanzierung von Kulturprojekten betont werden (Stutz 2023b). Einen möglichen Mehrwert, den er trotz erfahrener Überlastung als Ergebnis von Kooperation erfährt, schildert ein Pädagoge mit der Erfahrung einer Arbeitszufriedenheit:

„Ja aber der Mehrwert ist, wie gesagt, der, dass wir, was wir mehr können. Also auch die leuchtenden Augen der Kinder, das ist für die Lehrer eigentlich so der Mehrwert und für mich eigentlich auch, als ich bin ja auch Lehrer, gebe Musik und Sport, ist es einfach, was ich dabei gelernt habe, dass es eigentlich, dass der Lohn für diese Arbeit. Und wenn das so in den Alltag eingeflossen ist, also Routine ist und auch normal ist, dass wir jede Woche zusammen singen oder jedes Fest gemeinsam feiern, dann ist das nicht Mehrarbeit, also das ist kein Aufwand verstehen Sie, das wird zur Routine. Wenn ich gerne tue, dann machen das die Kinder und die Erwachsenen, die Lehrer auch ohne jammern.“ (Pädagoge A Grundschule, Nordthüringer Modellregion)

Projektarbeit wird dabei sowohl auf außerunterrichtliche als auch auf unterrichtliche Bildungsangebote bezogen und hierbei die Steigerung von Bildungsqualität und konkret das Lernen der Kinder in das Zentrum gestellt, den „Zuwachs an Wissen und Kompetenzen für die Schüler“, wie es eine Pädagogin einer Oberschule in der Vergleichsregion Vogtland im Freitextfeld des Fragebogens formuliert. Der bereits oben zitierte Pädagoge aus der Nordthüringer Modellregion bringt dies so zum Ausdruck:

„Also das ist nicht nur, dass wir irgendwas für den anderen tun oder was für uns getan wird, sondern dass eben halt so, die Sache so aufgebaut ist, dass die Kinder wirklich etwas Praktisches daraus ziehen können, also lernen können.“ (Pädagoge A Grundschule, Nordthüringer Modellregion)

Außerunterrichtliches Lernen wird als Erweiterung von Lernorten, -inhalten und -zugängen entworfen als „neue Erfahrungs- und Bildungsmöglichkeiten für unsere Kinder“ (Pädagogin Kita, Vergleichsregion Vogtland, Freitextfeld Fragebogen) und als eine Möglichkeit für das „Lernen außerhalb der Schule“ (Pädagoge Grundschule, Vergleichsregion Vogtland, Freitextfeld Fragebogen). Die Kulturakteur*innen werden hierbei als Expert*innen für die jeweiligen Vorhaben geschätzt:

„… der also […] zu uns kam und mit Kindern als dritte Profession, zwar mit uns Lehrern und Erziehern gearbeitet hat, aber als Außenstehender noch einmal ‚Technik‘ ganz anders erklärt hat und mit Beispielen hinterlegt hat, wo der Umgang für die Kinder ein so praxisbezogener gewesen ist. Das hätten wir als Schule selber nie leisten können. Und dadurch ist eine Kooperation entstanden, die also jetzt schon das fünfte Jahr hält.“ (Pädagogin B Grundschule, Nordthüringer Modellregion)

Lehrplan als Bezugsgröße der Zusammenarbeit für Lehrer*innen

Die Analyse zeigt auch, dass Lehrer*innen sich in ihren Äußerungen auf die Kooperation mit Kulturpartner*innen häufig auf den Lehrplan als eine Bezugsgröße beziehen. Das Angebot der Kulturellen Bildung wird hierbei in einigen Fällen als Ergänzung definiert:

„Die Bereiche, die den Schülern angeboten werden, sind eine gute Ergänzung zum Lehrplan der Grundschule und unterstützen das Lernen mit allen Sinnen und an außerschulischen Lernorten.“ (Pädagog*in Grundschule, Vergleichsregion Vogtland, Freitexfeld Fragebogen)

Zum Teil wird aber auch eine enge Verbindung zu Lehrplaninhalten angestrebt:

„Und es is' immer wichtig, dass das nicht losgelöst von der ganzen inhaltlichen Planung des Lehrplans passiert, sondern dass es genau die Basis is', der Lehrplan, wie kann man hilfreich die Angebote mit nutzen?“ (Pädagogin B Grundschule, Nordthüringer Modellregion)

Dieselbe Pädagogin entwirft den Lehrplan in ihrer weiteren Argumentation jedoch nicht als eine starre Norm, sondern als flexibles Instrument, das sich im Zuge der demografischen Wandlung und der damit einhergehenden Veränderung von Schüler*innenzahlen verändern muss, wobei dies auch Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit Kulturpartner*innen habe:

„Ich vermute, dass in den nächsten Jahren sich Bildungslandschaft noch mal sehr verändern wird. Das hängt also natürlich mit dem Schulgesetz und mit der Schulordnung zusammen, aber natürlich auch mit der Anzahl der Schüler, […] was wir im Moment nicht abschätzen können. Und wir wissen zwar die Prognose, wie viel Kinder bei uns einzuschulen sind, aber letztendlich kann man die Bevölkerungsströme nicht voraussehen. Also somit wird sich schon die Struktur, aber auch die Basis für Bildung immer wieder verändern. […] Und darauf wird sich natürlich auch die Arbeit, die Lehrplanarbeit, aber auch die andere Arbeit verändern müssen. […] Ich denke einfach, so wie sich Inhalte des Lehrplans verändern müssen und werden, so werden wir auch mit unseren Kooperationspartnern weiter Inhalte verändern müssen. Und das ist in der Natur der Dinge …“ (Pädagogin B Grundschule, Nordthüringer Modellregion)

Kulturelle Bildung im Kontext der Wandlung von Schulstrukturen – Fokussierungen von Kultur- und Bildungspolitik

Eine strukturelle Ebene, die hier angesprochen ist, wird insgesamt stärker von den Kulturakteur*innen, mit denen ebenfalls Interviews geführt wurden, angesprochen z.B. hinsichtlich der Einbeziehung von Akteur*innen unterschiedlicher Bereiche:

„Wie können wir halt selbst in diesen Projekten halt enger zusammenarbeiten? Und wie können wir halt gemeinsam, gerade halt auch im Bildungs-, im kulturellen Bildungssektor, halt ja Synergien schaffen und auch ‘ne Brücke schlagen zu wirtschaftlichen Akteuren, die natürlich dann halt auch finanziell halt im Ganzen ein bisschen mehr, ja Untermauerung geben?“ (Kulturakteurin A, Bereich Verwaltung, Nordthüringer Modellregion)

Dabei wird von einigen eine, den Kulturakteur*innen bereits stärker zugesprochene, kultur- und bildungspolitische Dimension thematisiert:

„Und wenn ich das weiterdenke, dann komme ich in diese kulturpolitische Struktur. Wo ich tatsächlich der Meinung bin, dass gerade auf kommunaler Ebene Kultur, Kulturpolitik eben nicht den Stellenwert hat, den es bräuchte. Und ... Ja, da rede ich dann von der demokratiefesten Gesellschaft, ja, um die in ihrer Entwicklung zu unterstützen, weil Kultur an sich immer noch die freiwillige Leistung der Kommunen ist und da die größten Streichungen stattfinden, wenn die Haushalte mal nicht funktionieren.“ (Kulturakteurin B, Bereich Verwaltung, Nordthüringer Modellregion)

Aber auch Pädagog*innen sprechen in den Interviews strukturelle Dimensionen an. Dabei kommt dem Wunsch nach Kontinuität und Nachhaltigkeit, die mit Qualitätsaspekten verknüpft werden, eine große Bedeutung zu. Finanzierungsmöglichkeiten und dysfunktionale Förderstrukturen werden neben der starken Überlastung aber als Hinderungsfaktoren gesehen.

Kooperationen im Kontext von Schultransformationen – Analysen mit der Akteur-Netzwerk-Theorie

Werden die im Forschungsprojekt KuBiLa herausgearbeiteten Schwerpunktsetzungen von Pädagog*innen bezüglich ihrer Kooperation und Zusammenarbeit mit dem Feld der Kulturellen Bildung mit den bildungspolitischen Diskussionen zur Schulnetzplanung in Thüringen in Verbindung gebracht, zeigt sich, dass der bei Entwicklung von Kooperationsmodellen von der Bildungsbehörde angelegte Bewertungsmaßstab hinsichtlich einer Verbesserung von Unterrichtsqualität (TMBJS 2017:85 f.) sich mit Interessen von Pädagog*innen an der Kooperation mit Kulturakteur*innen deckt. Schließlich betonen sowohl die Schulverwaltung als auch die Pädagog*innen den Aspekt der Qualitätssteigerung als wichtigen Effekt von Kooperation. Es könnte somit naheliegen, die fachliche Expertise und das Expert*innenwissen von externen Kulturpartner*innen gerade in kleinen Schulen oder Schulverbünden mit fehlendem Lehrpersonal nutzbar zu machen. Dies würde jedoch bedeuten, dass die Angebote aus dem Bereich der Kulturellen Bildung den Interessen, die aus den Feldern der Schule und der Bildungsadministration heraus formuliert werden, angepasst werden müssten, um eine Chance zu erhalten, innerhalb von schulrelevanten Transformationsprozessen als unterstützend und effizient wahrgenommen und einbezogen zu werden. Hierbei würde jedoch das in Kooperationsmodellen liegende Potenzial struktureller Veränderung und Innovation nicht produktiv gemacht, das z.B. die Akademie für die ländlichen Räume Schleswig-Holsteins mit den Konzepten der „Netzschule mit fahrendem Klassenzimmer“, der „Entgrenzten Grundschule“ und dem „Ländlichen Bildungs- und Lerncampus“ in der Verbindung von Bildungs- und Kulturräumen anführt (ALR-SH 2014:66ff.).

Um herauszuarbeiten, wie Kulturelle Bildung innerhalb einer Neugestaltung von Schule im Kontext des demografischen Wandels im ländlichen Raum Wirkmächtigkeit erlangen kann, ist es möglich, das theoretische Modell der Akteur-Netzwerk-Theorie (kurz: ANT) (vgl. Belliger/Krieger 2006; Latour 2019) anzuwenden. Dabei ist es zunächst notwendig als grundlegenden Gedanken der ANT zu verstehen, dass hier nicht nur Personen, Institutionen oder Einrichtungen als Akteure – bzw. Aktanten – eines Netzwerks verstanden werden, sondern auch Gegenstände, Orte, Regularien, Dokumente u.a. (Anm.: Da als Akteure demnach nicht Personen, sondern Positionen in einem Netzwerk bezeichnet werden, wird bei der Verwendung des Begriffs „Akteurs“ im Sinne der ANT nachfolgend keine geschlechtersensible Schreibweise mehr verwendet.) Sie alle gelten als produktive Elemente des Netzwerks, deren Funktionen sich im Prozess des Zusammenwirkens herausbilden. Dies kann verdeutlicht werden anhand der bereits zitierten Aussage der Pädagogin aus der Modellregion zur demografisch bedingten Wandlung von Bildungsplänen und zu Kooperationsformen: Die Pädagogin spricht hier von einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren im Verlauf eines strukturellen Wandlungsprozesses, wobei sie – im Sinne der ANT – als Akteure Gesetze und Ordnungen, die Entwicklung der Schüler*innenzahl, den schulischen Unterricht („die Arbeit“), die Lehrplanarbeit, die Kulturelle Bildung („die andere Arbeit“) und „die Bildungslandschaft“ anspricht. Diese vollziehen in Wechselwirkung nicht determinierte – unbestimmte – Entwicklungen. Als Ursprung dieser Wandlung entwirft sie nicht vorhersehbare „Bevölkerungsströme“ als quasi automatische, d.h. nicht-beeinflussbare Veränderungen („Natur der Dinge“). Mit dem Modell der ANT kann dieses Zusammenwirken inklusive der Wirkungspotenziale der Akteure näher bestimmt werden, so dass dieses nicht mehr als indifferenter Automatismus erscheint.

Nach der ANT bildet den Motor einer Netzwerkbildung die Wahrnehmung eines Problems, was den Wunsch nach Lösung durch verschiedene Akteure und damit ein von ihnen geteiltes Interesse – ein Interessement – nach sich zieht (Belliger/Krieger 2006:40). Hiermit erfolgt eine Übernahme der Perspektiven desjenigen Akteurs, der zunächst eine Problematisierung vornimmt. Diese Übernahme wird in der ANT als eine „Übersetzung“ definiert: „Übersetzungen beinhalten all das, was ein Akteur tut, um andere Akteure zu beeinflussen und in das eigene Handlungsprogramm einzubinden“ (ebd.:39). Die Perspektivübernahme schreitet mit einer Übernahme von zugeschriebenen und dann akzeptierten Rollen – einem „Enrolement“ (ebd.) – voran. Das Netzwerk stabilisiert sich durch diese notwendig reziproken Prozesse.

Übersetzer im System des Netzwerks zu sein, bedeutet also anderen Akteuren erfolgreich eigene Strukturen und Ausrichtungen zu übertragen und das Netzwerk zu definieren, wozu bestimmte Elemente als „Übersetzungsmedien“ fungieren. Im Fall bildungspolitischer Netzwerkbildungen können dies Bildungs- und Lehrpläne, aber auch Schulnetzpläne und demografische Studien sein. Im Netzwerk zur Gestaltung von Schule kann die Bildungsadministration als wirkungsmächtiger Übersetzer verstanden werden: Sie verfügt über die Befugnis, Regeln und Pläne zu erlassen und Informationen in ihrem Sinne zu interpretieren. Im Beispiel der bildungspolitischen Auseinandersetzung in Thüringen kann diesbezüglich auf die bereits angeführte Sichtung, Bewertung und Veröffentlichung von Schriften unterschiedlicher Bundesländer zu Schulkooperationen verwiesen werden (TMBJS 2017, 2021). Eine Position als Übersetzer der Bildungsbehörde kommt aber auch durch die Definition eines Problems als Ausgangslage zum Ausdruck. Diese wird vom Thüringer Bildungsministerium wie folgt formuliert: „Namensstiftend für den Dialog ist die bis 2030 erwartete herausfordernde Lage der Personalressourcen im Bildungsbereich.“ (TMBJS 2021:8). Das so fokussierte Problem – und nicht die „Natur der Dinge“ – bildet somit den Anfangspunkt der im Akteur-Netzwerk verhandelten Lage.

Aber nicht nur die Setzung von Themen und Regelungen, sondern auch die Organisation des Austauschs zur Wandlung von Schule kann als Indikator für die Übersetzer-Rolle der Bildungsadministration verstanden werden, da diese den Rahmen für Mitwirkung bestimmt und den einbezogenen Akteuren ihre Position zuweist. So wird die Absicht formuliert „beteiligungsorientierte Werkstattprozesse nie ausschließlich auf offizielle Funktionsträger zu begrenzen […], sondern am Gespräch auch eine Zahl interessierter Lehrer/-innen, Eltern oder Schüler/-innen“ (TMBJS 2017:110) teilnehmen zu lassen. Gleichzeitig werden aber die Angehörigen der Bildungsadministration als zentrale Beteiligte hervorgehoben: „Eine besondere Beteiligung ist für Personengruppen mit herausragender Verantwortungslast wichtig, etwa die bildungspolitischen Sprecher der Fraktionen im Landtag, die Schulleiter/-innen und Schulaufsichtsbeamtinnen und -beamte“ (ebd.).

Aus der Perspektive der ANT kann jedoch die Wirkmächtigkeit von Übersetzern im Akteur-Netzwerk nicht als eine eindirektionale Kraft verstanden werden, die sich „top down“ auf die anderen Akteure im Netzwerk auswirkt, sondern das Potenzial Wirkungen zu erzeugen wird im Sinne von agency (Barad 2017) als von allen Akteuren erzeugte geteilte Handlungsmacht verstanden. Bruno Latour formuliert dies mit der Aussage: „Akteur ist, wer von vielen anderen zum Handeln gebracht wird" (Latour 2019:81).

Kulturelle Bildung in der Rolle des Übersetzers im Netzwerk der Schultransformation

Für die Kulturelle Bildung als Akteur im Netzwerk der Gestaltung von schulischen Wandlungsprozessen bedeutet dies, dass eigene Bildungsziele und Herangehensweisen in der Kommunikation mit den Akteuren Schule und Bildungsadministration und im Aufgreifen ihrer Interessen verfolgt werden können. Werden so selbst Übersetzungen – also Prägungen von Bedeutungen im Netzwerk und von Rollenverständnissen anderer – vorgenommen, entsteht eine Handlungsmacht des Akteurs Kulturelle Bildung nicht aus einer solitären Position und dem Verfolgen eigener Interessen heraus, sondern im Prozess des Zusammenspiels mit den anderen Beteiligten, die hiermit ebenfalls Wandlungen durchlaufen und „sich natürlich auch […] verändern müssen“ (Pädagogin B Grundschule, Nordthüringer Modellregion). So könnten die von der Akademie für Ländliche Räume formulierten Kooperationsmodelle, in denen eine Erweiterung von Bildungsverständnissen und Unterrichtsstrukturen formuliert werden, von der Kulturellen Bildung als Übersetzungsmedium genutzt werden (ALR-SH 2014). Wesentliche Aspekte für eine strukturelle Wirkung von Kultureller Bildung werden in den Interviews mit Befragten aus dem pädagogischen und dem kulturellen Feld angesprochen. So werden hier interdisziplinär überschneidend Nachhaltigkeit als Qualitätsmerkmal Kultureller Bildung und Kontinuität als eine bedeutsame Gelingensbedingung von Kooperation definiert, womit eine strukturelle Bedingung für die Entwicklung von Wirkmächtigkeit angesprochen wird (vgl. Stutz 2023b). Bildungs- und kulturpolitische Aspekte werden hingegen stärker vom Akteur Kulturelle Bildung beleuchtet, der mit der Wahrnehmung diesbezüglicher Probleme – wie z.B. die Finanzierung Kultureller Bildung als meist freiwillige kommunale Leistung – ein neuer Motor für eine weitere Netzwerkbildung zur Bearbeitung dieser Problemlagen werden könnte.

Fazit: Schrumpfen als Chance für Innovation durch Vernetzung von Kultureller Bildung, Schule und Bildungspolitik

Deutlich wird mit den vorgenommenen Analysen, dass Schulschließungen im Kontext gesellschaftlicher Transformationsprozesse nicht nur defizitär als strukturelles Schrumpfen betrachtet werden müssen, sondern das hierin auch Potenziale für die Entwicklung von Innovationen enthalten sind. Diese können von den beteiligten Akteuren unterschiedlich genutzt werden:

Der Akteur Kulturelle Bildung kann eigene Ziele wie eine Erweiterung von Bildungsverständnissen und -strukturen dann erfolgreich verfolgen, wenn andere für das Netzwerk relevante Akteure interessiert und eingebunden werden können. Gelingt es zumindest temporär eine Position des Übersetzers einzunehmen, kann ein diesbezüglicher Diskurs geprägt und eine Wirkmächtigkeit entfaltet werden. Die in der Kulturellen Bildung verankerte Strategie, bildungs- und kulturpolitisch zu agieren, kann hierbei produktiv gemacht werden. Konkret könnte dies z.B. bei der Thematisierung eines „Ländlichen Bildungscampus“ geschehen, mit dem nicht nur selbst verfolgte Zielstellung einer sozialräumlichen Erweiterung von Bildungsgelegenheiten, sondern auch vom Akteur Schule gewünschte Aspekte wie das Einbringen einer fachlichen Expertise von Externen sowie eine Qualitätssicherung, Nachhaltigkeit und Kontinuität aufgegriffen wird.

Der Akteur Schule kann zum einen durch Prozesse des Enrolement in der Auseinandersetzung mit Zielen und Ansprüchen der Kulturellen Bildung eigene Perspektiven erweitern, ohne in den wechselseitigen Beziehungen eigene Bedarfe aufzugeben. Um Interessen wirkungsvoll einzubringen, sollten selbst Probleme definiert werden, was – nach der ANT – das Finden von Lösungswegen vorstrukturiert. Hierzu kann ein, nach der hier vorgestellten Studie vom Schulakteur bislang noch wenig verfolgtes, bildungspolitisches Engagement unterstützend sein.

Es ist davon auszugehen, dass die Bildungsadministration ihre bestehende Übersetzer-Rolle im bildungspolitischen Akteur-Netzwerk nicht aufgeben und hiermit als Netzwerk-Sprecher (Callon 2006:181) fungieren möchte, der Problemlagen und Eigenschaften der anderen Akteure definiert. Die Auseinandersetzung mit den Dynamiken des Zusammenspiels im Akteur-Netzwerk zeigt jedoch, dass auch aus einer machtvollen Position heraus Wirkungen nur in reziproken Beziehungen entfalten werden können und die Sprecher-Rolle nicht bedeutet zu herrschen, sondern „von vielen anderen zum Handeln gebracht“ (Latour 2019:81) zu werden. Um dies zu erreichen, müssen Problemlagen fortwährend auf die u.a. vom Akteur Schule formulierten Interessen ausgerichtet und hieraus selbst Erweiterungen z.B. bezüglich der Formulierung von Bildungsverständnissen, -zielen und -strukturierungen vorgenommen werden. Dabei können vom Akteur Kulturelle Bildung geschaffene Übersetzungsmedien wie Vermittlungsformate, Dokumente, Positionspapiere u.a. einbezogen werden.

Der hier vorgenommene Entwurf des Zusammenwirkens von Kultureller Bildung, Schule und Bildungsadministration skizziert trotz der Annahme einer dominierenden Position keine starre Hierarchie, sondern ein dynamisches Zusammenspiel Verschiedener, die eigenen Interessen im strategischen Agieren Geltung verleihen können. Veränderungsbedarfe, wie diejenigen, die durch die Transformationen im ländlichen Raum entstehen, können – trotz schmerzhafter Auswirkungen – Motoren sein für die Intensivierung dieser Dynamiken, die im positiven Fall zu konstruktiven Erneuerungen führen.