Schulen mit musischem Schwerpunkt. Eine Betrachtung aus der Perspektive des nationalen Monitorings
Abstract
Der Beitrag untersucht die Bedeutung von Schulen mit musischem Schwerpunkt aus der Perspektive des nationalen Monitorings. Basierend auf Daten der NEPS-Studie von 2014/15 zeigt sich, dass 14% der Sekundarschulen ein musisches Profil haben, wobei Gymnasien den höchsten Anteil aufweisen. Diese Schulen werden von 18% aller Schüler*innen besucht und bieten daher vielen einen Zugang zu Kultureller Bildung. Auch die Zusammenhänge zwischen dem Besuch einer Schule mit musischem Schwerpunkt und Bildungsergebnissen wird analysiert. Es zeigen sich positive Zusammenhänge mit schulischen Leistungen. Die Zusammenhänge mit politischer und sozialer Teilhabe sind durchmischt, während Persönlichkeitsmerkmale überwiegend nicht mit Kultureller Bildung assoziiert sind. Der Beitrag unterstreicht die Notwendigkeit eines umfassenden Monitorings Kultureller Bildung und plädiert für eine stärkere Integration Kultureller Bildung in die empirische Bildungsforschung. Verbesserte Datengrundlagen und interdisziplinäre Forschungskooperationen könnten dazu beitragen, den Zugang zu Kultureller Bildung für alle Schüler*innen zu gewährleisten.
Einleitung
Im Rahmen der in den 1990er beginnenden Implementierung der „Neuen Steuerung“ sollten Schulen mehr Autonomie erhalten (Altrichter & Maag Merki, 2016). Dem lag die Annahme zugrunde, dass eine stärkere Autonomie zu mehr Wettbewerb zwischen den einzelnen Schulen führt und sich dadurch insgesamt die Bildungsergebnisse verbessern. Die stärkere Autonomie sollte damit einhergehen, dass den lokalen Akteur*innen auch mehr Verantwortung für die Bildungsergebnisse zugesprochen wird und sie dadurch auch rechenschaftspflichtig werden. Zur Abgrenzung von anderen Schulen stärkten viele Schulen im Rahmen dieser Entwicklungen ihre eigene Profilierung (Rürup, 2019). Durch eigene Schwerpunktsetzungen wurden sowohl schulinterne Entwicklungsprozesse angeregt als auch die Darstellung nach außen entsprechend aufgestellt. Typischerweise definierten Schulen ihre Profile mit Schwerpunktsetzungen in bestimmten Fächern bzw. Domänen, beispielsweise in Naturwissenschaft, Sport oder Kultur.
Studien zum Thema Schulprofile im kulturellen Bereich sind insgesamt rar. Aktuelle Studien setzen sich insbesondere mit Fragen der sozialen Ungleichheit durch Profilierung auseinander (Keßler & Nonte, 2020). Beispielsweise geht es dabei um die Frage, wie Schulprofile mit sozialer Segregation zusammenhängen (Sawert, 2019), wie Eltern Schulen auswählen (Schwarz, Habeck, Gruehn & Koinzer, 2018) und wie Profile mit der sozioökonomischen Komposition von Schulen zusammenhängen (Zunker & Neumann, 2020). Ein bundesweit repräsentativer Überblick darüber, welche Schulen welches Profil wählen, liegt weder in der amtlichen Statistik noch in Befragungsstudien regelmäßig vor. Eine hinreichende Datengrundlage ist jedoch Voraussetzung für ein Monitoring dieses Bereichs.
Im Rahmen des InKuBi-Projekts (Indikatoren für Kulturelle Bildung, 2020-2023) wurde eine Machbarkeitsstudie für ein bundesweites Monitoring Kultureller Bildung vorgelegt (Kühne & Maaz, 2023). Darin sind auch Analysen zu Fragen der kulturellen Schulprofile enthalten. Diese werden im Folgenden vorgestellt und zueinander in Beziehung gesetzt. Der vorliegende Beitrag orientiert sich an der Struktur der Machbarkeitsstudie, die in die Bereiche Gelegenheitsstrukturen, Nutzung und Wirkungen Kultureller Bildung unterteilt ist. Alle folgenden Analysen basieren auf Daten der NEPS-Studie (Nationales Bildungspanel, vgl. Blossfeld & Roßbach, 2019). Darin wurden Schulleitungen zuletzt im Schuljahr 2014/15 gefragt: „Hat Ihre Schule ein spezifisches Profil? Wenn ja, welches? - musische Fächer“. Die Antworten basieren also auf der Selbsteinschätzung der Schulleitungen. Es ist von einem gewissen Maß an Heterogenität darin auszugehen, was Schulleitungen unter einem musischen Profil verstehen. Gleichzeitig bieten die Daten aktuell die einzige Möglichkeit, bundesweit vergleichbare Aussagen zu treffen.
Gelegenheitsstrukturen
Im Angebotsbereich ist insbesondere die Frage relevant, wie viele Schulen sich ein kulturelles Profil geben. Insgesamt gaben bei der NEPS-Befragung 14% aller Schulleitungen im Sekundarbereich an, dass ihre Schule ein musisches Profil hat. Gleichwohl sind die Unterschiede zwischen den Schulformen erheblich (Abbildung 1): Fast ein Viertel aller Schulleitungen an Gymnasien gibt an, dass ihre Schule ein musisches Profil hat (24,8%). Im Mittelfeld liegen Schulen mit mehreren Bildungsgängen (10,8%). Am seltensten haben Haupt- (6,5%) und Realschulen (6,3%) ein musisches Profil. Wenngleich aufgrund des Alters der Daten nur bedingt Rückschlüsse auf die heutige Situation gezogen werden können, ist davon auszugehen, dass zwischen den Schulformen auch heute noch große Unterschiede bestehen.

* Quelle und weiterführende Erläuterungen: Nuss, Burkhard, Schrot & Kühne (2023), Kapitel B2, S. 39
Nutzung
Neben dem Anteil an Schulen mit musischem Profil ist auch die Frage relevant, wie viele Schüler*innen diese Angebote nutzen. Es zeigt sich, dass 18% aller Schüler*innen des Sekundarbereichs im Schuljahr 2014/15 eine Schule mit musischem Profil besuchen. Dieser Anteil liegt höher als der Anteil der Schulen mit musischem Profil (14%, s.o.), was darauf zurückschließen lässt, dass diese Schulen überdurchschnittlich groß sind. Vergleicht man den Anteil der Schüler*innen, die eine Schule mit musischem Profil besuchen, mit weiteren kulturellen Aktivitäten, zeigen sich deutliche Unterschiede (Abbildung 2). Insbesondere das Spielen eines Musikinstruments (43%) und der Besuch einer Musikschule (23%) sind deutlich weiter verbreitet als der Besuch einer Schule mit musischem Profil. Weniger oft betätigen sich die befragten Jugendlichen in Kulturvereinen (12%), mit künstlerischen Aktivitäten in Jugendzentren (7%), Volkshochschulen (3%) oder Jugendkunstschulen (1%). Insgesamt verdeutlicht dieser Vergleich, dass Schulen mit musischem Profil für viele Jugendliche einen Zugang zu Kultureller Bildung bieten.

* Quelle und weiterführende Erläuterungen: Belet, Stelter & Kühne (2023), Kapitel C1, S. 54
Wirkungen
Im Wirkungskapitel wurden Zusammenhänge zwischen dem Besuch einer Schule mit musischem Profil und kognitiven sowie nicht-kognitiven Domänen hergestellt. Dazu zählen schulische Leistungen, Persönlichkeitsmerkmale, politische Teilhabe und soziale Teilhabe. Dabei ist zu beachten, dass es sich dabei um deskriptive Zusammenhänge handelt und nicht um einen Wirknachweis im kausalen Sinne.
Dass Zusammenhänge zu anderen Domänen hergestellt werden, ist auch in anderen Bereichen der Bildungsberichterstattung üblich. Dort werden jedoch auch eigenständige Kennwerte berichtet, die als Bildungsergebnisse an sich relevant sind. Dabei kann es sich zum Beispiel darum handeln, wie viele Schüler*innen die Schule ohne Abschluss verlassen oder wie die Schulleistungen in Form von Basiskompetenzen ausfallen. Für ein Monitoring Kultureller Bildung mangelt es konzeptionell an genuin kulturellen Bildungsergebnissen: Wie ließe sich eine „kulturelle Kompetenz“ oder ein „kultureller Bildungsabschluss“ sinnvoll definieren und messen? Daher muss sich das Monitoring Kultureller Bildung aktuell darauf beschränken, potenzielle Transfereffekte in Form von Zusammenhängen zu beschreiben.
Die Effekte des Besuchs einer Schule mit musischem Profil wurden im Ergebnisteil mit non-formalen und informelleren kulturellen Aktivitäten verglichen. Als non-formale Aktivität wurde der Besuch von Kursen Kultureller Bildung außerhalb der Schule gewählt. Dafür wurden offene Textantworten der Schüler*innen kodiert und Bereichen zugeordnet. Die Bereiche beinhalten neben den Sparten Kultureller Bildung (z.B. Musik, Theater, Design) auch weitere Felder (z.B. Technik, Soziales). Aus dieser Kodierung wurde schließlich eine binäre Variable gebildet, die den Wert 1 annimmt, wenn mindestens ein Kurs Kultureller Bildung besucht wurde. Als informelle(re) Aktivitäten wurden mehrere Aktivitäten zusammengefasst: Auch hier wurde eine binäre Variable gebildet, die den Wert 1 annimmt, wenn die Person beispielsweise angibt, ein Musikinstrument zu spielen oder sich in Jugendzentren bzw. Kulturvereinen kulturell zu betätigen. Weitere Einzelheiten zu den Variablen können Annex D.1 in Kühne & Maaz (2023) entnommen werden.
Zu den Zusammenhängen mit schulischen Basiskompetenzen zeigt sich, dass Schüler*innen, die eine Schule mit musischem Profil besuchen, sowohl in Lesen als auch in Mathematik höhere Leistungen aufweisen (Abbildung 3). Im Vergleich zu non-formalen und informelleren Aktivitäten ist dieser Zusammenhang jedoch weniger stark ausgeprägt.

* Quelle und weiterführende Erläuterungen: Burkhard, Zhang & Kühne (2023), Kapitel D1, S. 73
Für Persönlichkeitsmerkmale zeigen sich kaum signifikante Zusammenhänge (Abbildung 4). Dass die Vertrauensintervalle die rot gekennzeichnete Nulllinie kreuzen bedeutet, dass die Ergebnisse nicht zufallskritisch abgesichert werden können. Lediglich für das Selbstwertgefühl zeigt sich ein signifikanter, negativer Zusammenhang: Schüler*innen, die eine Schule mit musischem Profil besuchen oder besucht haben, haben im Alter von 18 Jahren ein geringeres Selbstwertgefühl als diejenigen, die keine solche Schule besucht haben.

* Quelle und weiterführende Erläuterungen: Burkhard et al. (2023), Kapitel D2, S. 74
Für den Bereich der politischen Teilhabe sind die Ergebnisse durchmischt (Abbildung 5). Schüler*innen, die eine Schule mit musischem Profil besuchen, nehmen häufiger an Demonstrationen teil und finden demokratische Werte wie beispielsweise die Unabhängigkeit der Justiz wichtiger. Für alle anderen untersuchen Variablen zeigen sich keine zufallskritisch abgesicherten Zusammenhänge.

* Quelle und weiterführende Erläuterungen: Burkhard et al. (2023), Kapitel D4, S. 78
Der Zusammenhang zwischen Kultureller Bildung und sozialer Teilhabe wurde ebenfalls untersucht (Abbildung 6). Bei Schüler*innen, die eine Schule mit musischem Profil besuchen, ist das Vertrauen in Mitmenschen generell und in Mitmenschen mit anderer Nationalität stärker ausgeprägt. Hingegen zeigt sich, dass das Zugehörigkeitsgefühl zur Gesellschaft bei ihnen weniger stark ausgeprägt ist. Für die weiteren untersuchten Merkmale zeigen sich erneut keine bedeutsamen Befunde.

* Quelle und weiterführende Erläuterungen: Burkhard et al. (2023), Kapitel D5, S. 80
Insgesamt zeigen sich die deutlichsten positiven Zusammenhänge mit der schulischen Leistung. Ebenso deutlich sind sie nur für das Vertrauen in Mitmenschen generell sowie in Mitmenschen anderer Nationalität. Die übrigen berichteten Zusammenhänge in den Bereichen politischer und sozialer Teilhabe sind schwächer ausgeprägt. Für einzelne Fragen in den Bereichen Persönlichkeit sowie politische und soziale Teilhabe zeigen sich gar negative Zusammenhänge.
Diskussion und Ausblick
Im vorliegenden Beitrag wurde die Bedeutung von Schulen mit musischem Schwerpunkt aus der Perspektive des nationalen Monitorings untersucht. Es zeigt sich, dass insgesamt ein substanzieller Anteil der Sekundarschulen einen solchen Schwerpunkt hat (Gelegenheitsstrukturen). Insbesondere die Gymnasien stechen mit einem vergleichsweise hohen Anteil an Schulen mit musischem Schwerpunkt hervor. Aus der Nutzungsperspektive wird deutlich, dass der Besuch einer Schule mit musischem Profil einen häufigen Zugang zu Kultureller Bildung darstellt. Im Vergleich zu verschiedenen kulturellen Aktivitäten zeigt sich, dass es sowohl Aktivitäten gibt, die deutlich häufiger ausgeübt werden (z.B. ein Musikinstrument spielen) als auch solche, die deutlich seltener ausgeübt werden (z.B. der Besuch einer Jugendkunstschule). Für den Wirkungsbereich wurden die Zusammenhänge mit mehreren Domänen untersucht. Deutlich positive Zusammenhänge zeigen sich mit schulischen Leistungen, für politische und soziale Teilhabe sind die Ergebnisse durchmischt, während wir für den Bereich der Persönlichkeitsmerkmale keine bzw. einen negativen Zusammenhang feststellen konnten.
Aus den vorgestellten Ergebnissen lassen sich Implikationen sowohl für die Gesellschaft als auch die weitere Forschung ableiten. Schulen mit musischem Schwerpunkt bieten für viele Kinder und Jugendliche Zugänge zu Kultureller Bildung. Es ist davon auszugehen, dass diese Schulen neben dem Unterricht in den künstlerischen Fächern über weitere Angebote im kulturellen Bereich verfügen, wie beispielsweise Theater-AGs, Schulorchester oder kulturelle Ganztagsangebote. Gleichzeitig bleibt unklar, um welche Angebote es sich genau handelt. Durch einen stärkeren Einbezug dieser kulturellen Angebote in der Schuleffektivitätsforschung könnten weitere Fragen erforscht werden: Inwiefern fördert der Besuch einer Schule mit musischem Profil die kulturelle Teilhabe im Erwachsenenalter? Welche kausalen Auswirkungen hat der Besuch einer Schule mit musischem Schwerpunkt auf kognitive und nicht-kognitive Fähigkeiten? Durch stärker auf kausale Schlüsse ausgerichtete Forschungsdesigns können solche gesellschaftlich und bildungspolitisch relevanten Fragen besser beantwortet werden.
Mit Blick auf das Monitoring Kultureller Bildung gilt es zunächst, die Datengrundlagen dafür zu verbessern. Viele Fragen der Kulturellen Bildung lassen sich mit den repräsentativen Datenquellen der empirischen Bildungsforschung und der amtlichen Statistik aktuell nicht beantworten. Selbst die generell sehr breit aufgestellten NEPS-Datensätze bleiben im Bereich Kultureller Bildung überwiegend an der Oberfläche. In der Machbarkeitsstudie des InKuBi-Projekts werden dafür zahlreiche Hinweise gegeben. Gleichzeitig gilt es für das Feld der Kulturellen Bildung, sich für Ansätze der empirischen Bildungsforschung noch stärker zu öffnen. Sicher bleibt die Erforschung kultureller Bildungsprozesse mit quantitativ-empirischen Methoden ausschnitthaft. Doch für eine kohärente politische Steuerung des gesamten Feldes sind quantitative Herangehensweisen bei aller Unzulänglichkeiten unverzichtbar. Der teilweise vorhandenen Skepsis gegenüber quantitativen Ansätzen im Feld der Kulturellen Bildung kann womöglich durch stärker interdisziplinär ausgerichtete Forschungskooperationen begegnet werden, die einen Gewinn für alle Beteiligten darstellen würden.
Nicht zuletzt sollte auf dauerhafte Monitoring-Instrumente hingewirkt werden. Die Machbarkeitsstudie des InKuBi-Projekts liefert lediglich einen punktuellen Impuls für das Monitoring Kultureller Bildung. Für die dauerhafte Etablierung des Monitorings kann ein Schulterschluss mit weiteren Querschnittsbereichen im Bildungssystem zielführend sein. So werden etwa auch für die politische Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung indikatorengestützte Monitoringinstrumente entwickelt. Wenn in allen drei Bereichen gemeinsam darauf hingearbeitet wird, ein dauerhaftes Monitoring zu etablieren, erleichtert dies womöglich die Umsetzung. Ein dauerhaft etabliertes Monitoring würde nicht nur die Bildungspolitik informieren, sondern auch Rahmenbedingungen für die kulturelle Schulentwicklung beschreiben. Letztlich könnte dies dazu beitragen, die Chancengleichheit im Bildungssystem zu fördern und den Zugang zu kultureller Bildung für alle Schüler*innen zu gewährleisten.