(re)united!? Neue Forschungsperspektiven im Schnittfeld von Kultureller Bildung und Medienpädagogik
Textbeitrag auf der Grundlage des Abschlusspanels der Joint Conference „Ästhetik – Digitalität – Macht" (März 2021) des Netzwerks Forschung Kulturelle Bildung, der DGfE Sektion Medienpädagogik und des Forschungsprojektes Digitalisierung in der kulturellen Bildung / DiKuBi-Meta an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Abstract
Der Beitrag widmet sich der Frage nach dem Verhältnis zwischen Kultureller Bildung und Medienpädagogik. Der Titel der Joint Conference „Ästhetik – Digitalität – Macht. Neue Froschungsperspektiven im Schnittfeld von kultureller Bildung und Medienpädagogik" spricht von einem Schnittfeld, dabei drängt sich bei der Betrachtung der Gegenstände beider Bildungsbereiche die Frage auf, inwiefern es überhaupt möglich ist, diese ausserhalb einer gemeinsamen Schnittmenge radikal getrennt zu denken. Ausgehend von einer Betrachtung zentraler Begriffe und Diskurslogiken entwickeln die Autorinnen auf der Grundlage der Abschlussdiskussion der Joint Conference eine integrative Perspektive dieser beiden Diskursfelder. Im Rückgriff auf zentrale Ideen und Gedanken aus den ‹Cultural Studies› werden Schlussfolgerungen für Forschung, Diskurs und Praxis entwickelt.
This article is about the relationship between cultural education and media pedagogy. The conference title speaks of an intersection, but considering the objects of both educational fields, the question arises to what extent it is at all possible to think of them as radically separate outside of a common intersection. Starting with a consideration of central concepts and discourse logics, the authors develop an integrative perspective of these two fields of discourse based on the final discussion of the Joint Conference. Drawing on central ideas and thoughts from cultural studies, implications for research, discourse, and practice are then developed.
Dieser Beitrag basiert auf Reflexionen von Jule Korte und Lisa Unterberg, vorgetragen beim Abschlusspanel der 11. Tagung des Netzwerks Forschung Kulturelle Bildung zu „Ästhetik – Digitalität – Macht", März 2021.
Einleitung und Vorbemerkung
Dieser Beitrag hat das Anliegen, einige zentrale Diskurslinien aufzuzeigen – sie vielleicht auch in etwas überspitzter Weise nachzuzeichnen –, die das Feld der Kulturellen Bildung einerseits, das der Medienpädagogik andererseits (historisch) durchziehen und prägen. Ausgangspunkt für diese Herangehensweise bildete für uns dabei die eigentlich einfache, aber letztlich gar nicht einfach zu beantwortende Frage, warum es im Titel der Tagung, die diesem Band zugrunde liegt, eigentlich um eine ‹Schnittmenge› geht, impliziert dieser Begriff doch zum einen ein konstitutives Aussen der eigenen Grenzen, und zugleich die Annahme, dass es in beiden Feldern Bereiche ausserhalb der Schnittmenge gebe, die mit dem jeweils anderen Bereich wenig bis gar nichts zu tun haben. Mit Bezug auf die ‹Gegenstände› beider Bildungsbereiche, um die es hier geht, drängt sich in dieser Sichtweise die Frage auf, inwiefern es möglich ist, sie überhaupt ausserhalb einer gemeinsamen Schnittmenge radikal getrennt zu denken – gibt es doch eigentlich keine Kultur, keine kulturellen Phänomene, ohne Medien im weitesten Sinne. Und umgekehrt ist es schwer vorstellbar, von Medien zu sprechen, ohne diese fest in kulturellen Prozessen verankert zu sehen und von dort aus zu verstehen. Müsste es nicht – gerade im Kontext einer Tagung, welche beide Felder explizit adressiert – um eine radikale Wiedervereinigung bzw. ein prinzipielles Zusammendenken dieser Bereiche gehen, insbesondere dann, wenn es dabei um Bildungsprozesse geht?
Im Rahmen der Tagung wurde schliesslich deutlich, dass Medien und Kultur auch in den jeweils vorgestellten Positionen, Forschungsinteressen und Diskursen in durchaus verschränkter Perspektive verstanden und diskutiert werden. Die vorab definierten Themenfelder – Ästhetik, Digitalität und Macht – lassen sich nicht ausschliesslich aus der einen oder anderen Perspektive beleuchten, sondern benötigen zwingend beide Perspektiven. Dies betrifft insbesondere Forschungen, die im Kontext digitaler Medien nach Subjektivierung, Souveränität und Widerständigkeit, nach digitalen Bildungsprozessen und nach der Praxis einer digitalen Kultur, nach dem Wandel von Ästhetiken und Ästhetisierungspraktiken, nach Medialität und Materialität fragen. Gleichzeitig zeigte sich ebenso deutlich, dass eine solche integrative Perspektive auf der Tagung nicht konsequent eingehalten werden konnte, da sich doch zum Teil sehr unterschiedliche Verständnisse, Begrifflichkeiten, diskursive Hintergründe und methodologische Zugänge in der Medienpädagogik und der Kulturellen Bildung gezeigt haben.
Etablierte Begriffe und Konzepte schienen dabei nicht unbedingt immer geeignet zu sein, neue (medienkulturelle) Phänomene zu beschreiben und zu analysieren. So zeigten sich die zwei zum Teil doch sehr unterschiedlichen Sichtweisen, die im Rahmen der Veranstaltung, repräsentiert durch die ‹Sektion Medienpädagogik der DGfE› und das ‹Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung› zusammengekommen sind, nicht zuletzt in altbekannten Konflikten um die hierarchische Bewertung zweier unhinterfragt als getrennt angenommener Erfahrungs- und damit auch Bildungsräume: eines medialen, ‹künstlichen› und eines aussermedialen, ‹natürlichen›.
Auch, dass die Verfasstheit unserer gegenwärtigen Kultur bereits seit einiger Zeit explizit als Medienkultur beschrieben wird (vgl. bspw. Hepp 2013; Hagener und Hediger 2015), hat noch nicht dazu geführt, dass beispielsweise durchgängig von einer ‹Medienkulturpädagogik› oder vom Feld der ‹medienkulturellen Bildung› gesprochen würde. Gleichzeitig wollen wir nicht behaupten, Kulturelle Bildung schliesse Medien konsequent aus oder Medienpädagogik verstünde sich als radikal getrennt von den Feldern der Kulturellen Bildung, zumal sich beide Bereiche wiederum in eine Fülle unterschiedlicher Diskurs- und Praxisfelder mit ebenso teils unterschiedlichen Interessen, unterschiedlichen (fachlichen) Herkünften und unterschiedlichen Professionalitätsgraden auffächern lassen. Diese lassen sich an dieser Stelle aufgrund der Kürze des Beitrags nicht im Detail und vollständig nachzeichnen. Die wesentlichen Argumente unseres Beitrags werden aber durchaus anhand der übergeordneten Rahmendiskurse, die das jeweilige Dach bilden, nachvollziehbar.
So erscheint uns die fachliche Trennung dieser beiden gross gefassten Bereiche weniger als eine tatsächlich inhalts- oder gegenstandsbezogene, sondern vielmehr als eine grundsätzliche begriffliche Trennung. Diese wiederum ist historisch und diskursiv gewachsen und somit sind die Perspektiven, die hier unter anderem durch die beiden verschiedenen fachlichen Gruppierungen beisammen kommen, nicht per se verschieden, aber durchaus durch unterschiedliche Diskursformationen hervorgebracht. Diese diskursiven Formationen sind – wie Foucault (1970) zeigt – mächtig: Sie bestimmen unsere Aussagen und deren Ordnungen, sie rahmen das, was wir für richtig halten und regeln die Art und Weise, wie und vor wem über Dinge gesprochen werden darf.
Vor diesem Hintergrund beschäftigen wir uns also mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen ‹Kultureller Bildung› und ‹Medienpädagogik›. Zunächst verfolgen wir die diskursiven Hintergründe der einzelnen Disziplinen und fokussieren hierbei exemplarisch eine Genealogie der Haltungen gegenüber den jeweiligen Gegenständen – der ‹Medien› einerseits und der ‹Kultur› andererseits –, da sich hier die begrifflichen Implikationen und die disziplinär unterschiedlichen Verortungen beider Bereiche sehr deutlich zeigen. Vordergründig geht es zunächst also nicht um die drei thematisch leitenden Begriffe der Tagung – Ästhetik, Digitalität, Macht –, sondern um Kultur und Medien auf einer darunterliegenden, erst einmal viel grundsätzlicheren Ebene. Bei genauerem Hinsehen wird insbesondere das Thema der Macht aber als strukturierendes Moment im foucaultschen Sinne insbesondere dann deutlich, wenn es um disziplinäre (Selbst-)Verortungs- und Abgrenzungslogiken geht. Denn über diese diskursiven Strukturen grenzen sich letztlich auch wissenschaftliche Disziplinen voneinander ab und behaupten sich mit ihrer jeweiligen (Fach-)Wahrheit (vgl. Foucault 1970, 22).
In einem zweiten Schritt knüpfen wir dann an zentrale Ideen der ‹Cultural Studies› an, um eine integrierte Perspektive von Medienpädagogik und Kultureller Bildung zu entwickeln, die die Schnittmengenlogik verlässt und die Felder als gemeinsames Forschungsfeld versteht. Auf dieser Grundlage gehen wir dann der Frage nach, welche Forschungsperspektiven, -fragestellungen und methodologischen Konsequenzen sich daraus ergeben. Gerade der letzte Teil ist wesentlich inspiriert von der lebhaften gemeinsamen Diskussion am letzten Tagungstag, die auf unsere einführenden Gedanken folgte. An dieser Stelle möchten wir all jenen danken, die mit ihren Gedanken und Impulsen diese Diskussion bereichert haben und bitten um Verständnis, dass im Rahmen eines Fachbeitrags die Kennzeichnung einzelner Beitragender nicht möglich ist.
Zentrale Begriffe und Diskurslogiken
Zu Beginn unserer Überlegungen zu den Diskurslogiken und begriffs- bzw. ideengeschichtlichen Hintergründen der Kulturellen Bildung und der Medienpädagogik soll eine alltägliche Beobachtung aus der Praxis exemplarisch das Problem überspitzen: In vielen Familien gibt es eine Maximalzeit für den Umgang mit digitalen Medien, aber eine Mindestzeit für das Üben eines Musikinstruments. Die Unterschiede, die wir im Folgenden aufgreifen wollen, entfalten sich über die sich unter anderem hierin ausdrückende, teils fast gegensätzliche (Grund-)Haltung gegenüber den jeweiligen Gegenständen und Inhalten. Von dort ausgehend zeigen sich dann Unterschiede in den Begrifflichkeiten und historischen Diskursstrukturen, die in den jeweiligen disziplinären Zusammenhängen wirken.
Medienpädagogik
Populäre wissenschaftlich Publizierende, wie bspw. Manfred Spitzer, verdeutlichen mit Titeln wie ‹Digitale Demenz› (2012) oder ‹Die Smartphone-Epidemie. Gefahren für Gesundheit, Bildung und Gesellschaft› (2018) die Haltung, die in der Medienpädagogik lange Zeit vorherrschte, wonach Medien per se – nicht nur, aber eben vor allem ‹neue› Medien – erst einmal argwöhnisch und im Hinblick auf etwaige Risiken ihrer Nutzung zu betrachten seien, insbesondere dann, wenn es um die Wahrnehmungswelt von Kindern und Jugendlichen geht. Vor allem das Fehlen einer Begrenzung der Bildschirmzeit wird auch heute nicht selten mit sozio-ökonomischen Problemen assoziiert. (Anm.: Man denke in diesem Zusammenhang auch an die Debatte um das so genannte ‹Unterschichtenfernsehen› der 1990er- und 2000er-Jahre, die das, was dort als ‹Unterschicht› verstanden wurde, nicht zuletzt selbst über einen bestimmten, auch durchaus medienpädagogisch besorgten, Diskurs konstruiert hat. Vgl. hierzu Klaus und Röser 2008; Korte 2020; und mit Bezug auf Foucault: Waitz 2009).
Dieter Baacke brachte es bereits 1997 auf den Punkt:
«Die Nähe des pädagogischen Räsonnements zu einer eher medienabwehrenden Kulturkritik ist […] Tradition und kennzeichnet ein immer wieder gestörtes Verhältnis» (Baacke 1997, 28).
Diese stark bewahrpädagogische Haltung wurde sicherlich inzwischen durch Konzepte einer handlungsorientierten, durchaus kritisch und ästhetisch orientierten Medienpädagogik, aber auch durch einen viel weiter ausgelegten und eher prozessual gefassten Begriff von Medienbildung (vgl. bspw. Jörissen und Marotzki 2009) abgelöst, die sich nicht nur auf die Risiken eines pädagogisch unkontrollierten Mediengebrauchs, sondern ebenso auf die Chancen des Lernens durch und mit Medien konzentrieren und dabei die Tatsache reflektieren und anerkennen, dass bspw. «Sozialisation in der Moderne grundlegend und unabdingbar medial erfolgt» (vgl. Jörissen und Marotzki 2009, 7). Die diskursiven Fluchtlinien einer eher misstrauischen Haltung gegenüber dem generellen Gegenstand ‹Medien› finden allerdings noch heute in vielen Diskursen die ihnen bereiteten Wege, und zwar immer noch häufig dann, wenn es darum geht, jungen Menschen zu einem kritischen und selbstbestimmten Umgang mit – vor allem den jeweils ‹neuen› – Medien zu verhelfen.
Diese Haltung ist durchaus mit der spezifischen Geschichte Deutschlands verknüpft. Aus diesem Zusammenhang heraus bildete sich eine kritische, bewahrpädagogische Grundhaltung gegenüber den Medien. Damit verbunden war die Forderung nach so etwas wie einer aufklärerischen, emanzipatorischen Medienerziehung unter anderem als logische Reaktion auf die Erfahrungen von Manipulation und politischem Missbrauch der Massenmedien durch den Nationalsozialismus. Hieran anschliessend wurzeln medienpädagogische Argumente nicht selten beispielsweise in den kulturkritischen Grundgedanken der ‹Frankfurter Schule› und stehen im Kontext von (häufig eher linker) Kritik an der so genannten Kulturindustrie oder der (häufig eher konservativen) Befürchtung, die Massenmedien könnten die Erfahrungen der wirklichen Welt verschleiern oder gar verunmöglichen – und zwar zum einen durch die jeweiligen Technologien selbst, zum anderen auch durch die Ideen, die sie inhaltlich hervorbringen und verbreiten könnten. Hieran schliessen zum Teil öffentlich geführte, wichtige Diskurse der letzten Jahre über Manipulation durch (Schleich-)Werbung in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ebenso an, wie Studien über bestimmte ‹Reality TV-Shows› als Anleitungen neoliberal-kapitalistischer Lebensweisen (vgl. exemplarisch Thomas 2004; 2007; Ouellette 2004), als Ausdruck von Überwachungsszenarien in den 2000er Jahren (vgl. bspw. Schweer, Schicha, und Nieland 2002), oder in letzter Zeit Diskussionen über ‹Fakenews›, ‹Echokammern› und ‹Big Data›.
Neben solchen differenzierten und eher medienanalytischen Diskursen, die sich häufig interdisziplinär verorten, haben sich in dieser Diskurslinie im Rahmen dezidiert medienpädagogischer Interessen insbesondere zwei Begrifflichkeiten herausgebildet: Zum einen wird seitens der Forschung häufig die Frage nach Medienwirkungen gestellt. Analog dazu fordert die medienpädagogische Praxis traditionellerweise die Vermittlung von Medienkompetenz. Beide Begriffe begegnen dabei einer Situation, die unserer Ansicht nach nicht ausreichend reflektiert erscheint: Nämlich, dass die Kinder bzw. die Jugendlichen von heute und von morgen keine Welt vor den Medien kennen (und damit sind in erste Linie solch ubiquitäre, digitale Medien gemeint, die aus einer Wirkungsperspektive mit traditionellen Methoden besonders schwer zu fassen sind) und diese insofern vielleicht auch nicht ersehnen – ganz im Gegensatz zu denen, die sie für die (gemeinsam bewohnte) Medienwelt ‹kompetent› machen wollen.
Kulturelle Bildung
Die Diskurse zur Kulturellen Bildung gestalten sich etwas anders. Kultur und Bildung lassen sich als Begriffspaar bis in die europäische Aufklärung zurückverfolgen (Bollenbeck 1994). Als Deutungsmuster hat das deutsche Bildungsbürgertum das Begriffspaar zur Distinktion genutzt und weiter aufgeladen. Auch wenn sich dieses Deutungsmuster in der Bundesrepublik, trotz einer vorübergehenden Reaktivierung nach dem zweiten Weltkrieg, in den 1960er-Jahren, weitestgehend aufgelöst hat (vgl. Bollenbeck 1994, 305), ist es als Bezugspunkt für die Kulturelle Bildung bis heute wichtig.
Als eine «sinnlich-reflexive und performativ-handlungsbezogene menschliche Praxis» (Zirfas und Klepacki 2012, 68) kann Kulturelle Bildung im Sinne einer ästhetischen Bildung noch deutlich weiter zurückverfolgt werden. Die Autoren Zirfas und Klepacki rekonstruieren die Ansicht, «dass der Umgang mit Kunst und Schönheit Menschen in einer, mit kaum einer anderen Lebenspraxis zu vergleichenden Intensität zu bilden imstande ist» (Zirfas und Klepacki 2012, 76), von der griechischen und römischen Antike über die frühe Neuzeit bis ins heute (vgl. hierzu auch Zirfas 2009).
Wenn wir über Kulturelle Bildung im deutschsprachigen Kontext sprechen, dann schwingen auch heute noch immer die Idee vom ‹Guten, Wahren und Schönen›, das bildungsbürgerliche Erbe und die Idee der umfassenden Bildung mit. Im Gegensatz zu den Inhalten und Gegenständen der sich entwickelnden Medienkultur erscheinen die Gegenstände der Kulturellen Bildung also ideengeschichtlich als genau die Dinge, mit denen sich Menschen beschäftigen sollen, um sich zu kultivieren, um zu gebildeten Menschen in vollkommener Erfüllung zu werden.
Im Nachkriegsdeutschland kann die Geschichte der Kulturellen Bildung dann als eine Geschichte der Institutionalisierung und Professionalisierung beschrieben werden (Unterberg 2018, 26ff.), in deren Folge sich «Kinder- und Jugendkulturarbeit» bzw. «Kulturpädagogik» zu einem unverzichtbaren Teil der allgemeinen Bildung etabliert hat. Dies wird auch in der Berücksichtigung von Kulturarbeit im Kinder- und Jugendhilfegesetz sowie der Antwort auf eine Anfrage im Deutschen Bundestag von 1990 bestätigt:
«Kunst und Kultur werden allerdings erst als Bestandteil der allgemeinen Bildung zu konstitutiven Elementen unserer Gesellschaft. Allgemeinbildung sichert die Orientierung des einzelnen in seiner geschichtlich überlieferten und sich weiterentwickelnden Lebenswirklichkeit mit ihren regionalen, nationalen, europäischen und internationalen Bezügen. Sie fördert Individualität in sozialer Verantwortung.» (Deutscher Bundestag 1990, 4)
So entwickelt sich zwischen den Feldern der formalen Bildung, also der Schule, und informellen Zusammenhängen der Sozialpädagogik das Feld der Kulturellen Bildung. Handlungs- und Lebensweltbezug gehören wesentlich zu den Eckpunkten einer kulturpädagogischen Konzeption (vgl. bspw. Deutscher Kulturrat e.V. 1994). In den 1990er-Jahren etabliert sich der Begriff der ‹Kulturellen Bildung› in Deutschland. Bis heute subsumiert ‹Kulturelle Bildung› als Containerbegriff eine Fülle von unterschiedlichen Konzepten und Ideen, die sich in ihm wiederfinden: Von der ästhetischen Bildung und musischen Erziehung über die offene Kinder- und Jugendarbeit bis hin zu spartenspezifischen Teildisziplinen wie der Musik- oder Theaterpädagogik. Er markiert bei aller Vielfalt ein Feld, in dem Bildungszusammenhänge thematisiert werden, die den ästhetischen Phänomenen, der Wahrnehmung, den Künsten, den Kulturen und ihren zugehörigen Symbolwelten besondere Aufmerksamkeit schenken. Dabei werden sowohl individuelle (Bildungs-)prozesse als auch die Strukturen und Institutionen, in denen diese Form von Bildung geschieht, in den Blick genommen. So dürfen beispielsweise die Wirkungen, die der Begriff der Kulturellen Bildung gerade im kulturpolitischen Kontext entfaltet, beim Nachdenken über dessen Genealogie nicht vernachlässigt werden (vgl. Steigerwald 2019).
Der Kulturbegriff, der im Zusammenhang mit Kultureller Bildung implizit wirkt (wenn es natürlich auch um viele andere wichtige Dimensionen von Kultur geht), erscheint tendenziell als ein sehr traditioneller, einer, der sich ideengeschichtlich an den schönen Künsten orientiert und der den kultivierten Menschen zum Ziel hat. Es ist eine Idee von Kultur, die das wohl Proportionierte, die ‹echte Wirklichkeit/echte Erfahrungen› und das ‹Erhabene› betont und die dem Künstlichen, der Technik und – damit verbunden – den Medien, durchaus etwas argwöhnisch gegenübersteht. Hier zeigt sich die Parallele zu klassisch kulturpessimistischen, berühmt gewordenen Positionen, die von bekannten Grössen wie Neil Postman (exemplarisch 2000), Günther Anders (1980) oder auch Jerry Mander (1981) vertreten wurden, und vor deren Hintergrund Medien, insbesondere Leit- oder Massenmedien, tendenziell eher für den Verfall von Kultur stehen als sie zu beflügeln.
So verwundert es nicht, dass das Verhältnis zu ebensolchen Medien für die Kulturelle Bildung immer ein eher Zwiespältiges war: Einerseits konnte man sie, wenn man den Lebensweltbezug gerade von Kindern und Jugendlichen ernst nehmen wollte, nicht aussen vorlassen, andererseits ist auch hier die Haltung gegenüber diesen Gegenständen von den eben aufgezeigten kulturpessimistischen Vorbehalten geprägt. Digitale Medien werden insofern als etwas entworfen, das zwar inhaltlich thematisiert, in der Ausdrucksform und Medialität aber als schwächer, weniger erhaben und bildend verhandelt wird. Zugespitzt formuliert: Sie erscheinen als im Rahmen von Kultur und Kultureller Bildung in Bezug auf ihre Inhalte und Wirkungsweisen kritisch zu diskutierende Gegenstände, aber kaum als Kultur.
Es waren dann vor allem die Filmbildung und die Kinos als Kulturakteure, die in der Kulturellen Bildung zuerst eine Rolle spielten. Der Film mit seinem Werkcharakter war hier an die gängigen Konzeptionen von Kunst und Kultur noch am ehesten anschlussfähig – im Gegensatz zum Beispiel zum Fernsehen mit seinen nie abgeschlossenen, simultanen Sendeformen, die eher das flüchtige Affektive als das kognitiv Erschliessbare ansprechen. Die Frage, die sich hier anschliesst, ist eine, die auch der Medienpädagogik sicherlich nicht fern ist, nämlich welche medialen Formen, welche Medien und Technologien als (kulturell) wertvoll erachtet werden (z. B. die Beschäftigung mit bestimmten filmischen Formen, mit Videokunst etc.) – und welche aus dem Bereich von Kultur und Kultureller Bildung insofern herausfallen, als dass sie noch ‹eine Pädagogik› brauchen (z. B. Vermittlung von Wissen über die Funktionsweise von Algorithmen oder Mechanismen der dramatischen Zuspitzung im Fernsehen).
Die grundsätzlich kritische Distanz gegenüber Medien, insbesondere den jeweils ‹neuen› Medien, vereint insofern Medienpädagogik und Kulturelle Bildung. Auch sind beide Felder auf der Ebene der Praxis schon seit Jahrzehnten eng miteinander verwoben. Es sind Institutionen und Personen, die Angebote aus beiden Bereichen machen; Subjekt- und Handlungsperspektive sowie gesellschaftskritische Haltung und Ideen der Selbstbildung verbinden die beiden Disziplinen an vielen Stellen.
Gleichzeitig scheint die Binarität zwischen ‹Medien› und ‹Kultur› immer wieder durch, – hier verstanden als das technologisch-künstliche und das kulturell-weltliche, an die eine sehr unterschiedliche Haltung zu Medien und Kultur geknüpft ist: Die beiden Bereiche werden einander gegenübergestellt. In der Diskussion mit Akteurinnen und Akteuren im Feld – im Rahmen der Tagung und auch in der Vorbereitung dieses Beitrags – haben wir dies an uns selbst immer wieder beobachtet. Diskursformationen sind stark, sie bilden die Grundlage für unser Denken, Sprechen und Handeln. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wo die von uns beispielhaft angeführten Debatten über die Frage herkommen, wie viel Klavier geübt werden muss und wieviel Zeit vor dem Computer oder Fernsehen verbracht werden darf.
Eine gemeinsame Perspektive und deren Folgen für Forschung, Diskurs und Praxis
Es ist nicht nur die Ebene der Praxis, die eine Gegenüberstellung von Medienpädagogik und Kultureller Bildung problematisch macht. In einer «Kultur der Digitalität» (vgl. Stalder 2016) bzw. einer durch digitale Infrastrukturen und die damit einhergehenden ethischen und kulturellen Konventionen, die aus den ‹Internet-Communitys› und ‹Open-Source-Kulturen› inzwischen zum Mainstream geworden sind (vgl. Cramer 2014), müssen mediale und kulturelle Phänomene per se in einer integrierten Perspektive betrachtet werden.
Bereits in den 1970er-Jahren hat sich in den ‹Cultural Studies› eine Perspektive entwickelt, die die aufgezeigte Gegenüberstellung relativiert bzw. auflöst und die gerade für Bildungszusammenhänge fruchtbar gemacht werden kann. Das Kulturverständnis der ‹Cultural Studies› fokussiert einen Bereich, der für eine Analyse von Kultur und von Medien äusserst wichtig ist: den Alltag als Umgebung von Medien und als Ort, an dem Kultur stattfindet. Kultur ist hier also nichts Elitäres, nicht an hochkulturelle Ausdrucksweisen oder Errungenschaften gebunden, sondern meint explizit auch Alltags- und Populärkultur. Kultur ist hier, wie Raymond Williams bekanntermassen schrieb, «gewöhnlich» (orig.: ordinary; vgl. Williams 1958). Kultur gilt als eine Form eines gesellschaftlichen Prozesses «der Sinnstiftung und der allmählichen Ausbildung eines ‹gemeinsamen› Bedeutungsfundus» (Hall 1999, 116). Und so findet Kultur in diesem Verständnis auch nicht ‹an Orten› statt, sondern ‹im Leben›, und zwar gerade im nicht privilegierten, herausgehobenen (bereits kulturell gebildeten und medienpädagogisch vorbereiteten) Milieu, sondern in den alltäglichen Routinen und Handlungsweisen. Kultur ist in diesem Sinne also auch nichts, was man eigentlich aufsuchen kann, sondern etwas, das das Leben ohnehin umfasst und trägt. Kultur zieht sich in diesem Verständnis durch sämtliche soziale Praktiken und ist das Ergebnis ihrer wechselseitigen Beziehungen (vgl. Hall 1999, 117).
In der Beschäftigung mit Medien ist das Potenzial der Cultural Studies schon lange geschätzt – nicht nur, aber unter anderem deshalb, weil mit der Hinwendung zum Alltag auch die Hinwendung zu den so genannten Alltagsmedien als Teil von Kultur begriffen werden konnte – nämlich als Medienkultur. Hinter dem Medienbegriff der Cultural Studies verbergen sich Gedanken zum Mediengebrauch, zu medialen Bedeutungen, aber auch zur Technologie selbst. Und diese wird im Rahmen der Cultural Studies ebenso nicht als etwas konzipiert, das von aussen auf Kultur wirkt oder lediglich das Ergebnis von Kultur und sozialem Wandel ist (vgl. Hepp 2015, 346). Wie Hepp – dessen Name ohnehin eng mit der Rezeption der Cultural Studies in Deutschland, insbesondere im Kontext medialer Phänomene, verbunden ist – zeigt, sind wir an einem historischen Punkt angekommen, an dem Kulturen in einer Weise von Medienkommunikation geprägt sind, dass sie konstitutiv für die Artikulationen von Kultur werden (vgl. Hepp 2013, 64ff.).
Kurzum: Kultur und Technologie werden bereits hier gerade nicht als zwei verschiedene Phänomene verstanden, die ebenso wenig mit zwei verschiedenen Erfahrungsräumen verknüpft sind. Kultur und Medien produzieren sich gegenseitig und sind eng miteinander verwoben. In diesem Sinne ist auch Kunst ‹nur› eine Art und Weise der Artikulation unter anderen. Es geht also nicht darum, das Wechselverhältnis von Technologie und Kultur zu erfassen, sondern Technologie als Teil der Kultur anzuerkennen und Kultur als unhintergehbar mit medialen Strukturen verbunden zu verstehen. Diese Entwicklung ist es doch, die hinter Prozessbegriffen wie Mediatisierung und Digitalisierung steckt. Diese beziehen sich immer auf gesamtgesellschaftliche, globale, vor allem bislang unabgeschlossene Prozesse, die insofern auch nicht rückblickend zu analysieren sind. Wir befinden uns in der Mitte eines gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozesses, den es zu reflektieren und kritisch zu begleiten gilt.
Konzepte der Cultural Studies, beispielsweise das der kontextbezogenen Aneignung von Bedeutungen statt linear gedachter Rezeption, spielen im Bereich der Medienpädagogik durchaus eine Rolle, und auch zu kulturpädagogischen Ideen und Konzepten lassen sich Parallelen herstellen. So ist beispielsweise der Lebensweltbezug schon seit den 1970er-Jahren konstitutiv für das Feld der Kulturpädagogik (vgl. Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. 1999).
Nimmt man die hier angedeutete Perspektive der Cultural Studies ernst, dann folgt daraus die Notwendigkeit eines analytischen Projektes. Es geht den Cultural Studies nie um eine blosse Betrachtung oder Erforschung einzelner kultureller oder medialer Phänomene, sondern immer (auch) um eine Betrachtung und Kritik von Macht und den sich im Kontext von kulturellen und medialen Phänomenen zeigenden Machtstrukturen: Kultur gilt dann als der Ort, «an dem Machtverhältnisse verhandelt werden, an dem um die Definition und Redefinition von Unterordnung und Unterdrückung gekämpft wird, an dem soziale Ausschlüsse produziert und legitimiert werden, an dem aber auch sozialer Einschluss reklamiert werden kann» (Marchart 2008, 252). Und Medien in all ihren unterschiedlichen Ausformungen vom Radio bis zur Smartwatch sind Teil dieses Ortes und konstitutiver Bestandteil dieser Aushandlungsprozesse. So wäre es beispielsweise sinnvoll, nicht einen Bereich der Schnittmenge zweier ansonsten getrennter Felder zu denken, sondern das grosse Feld der Medienkultur und der damit verbundenen pädagogischen Handlungsfelder eher netzwerkartig darzustellen. In solch einer Konzeption gäbe es viele verschiedene, miteinander verbundene Knotenpunkte, die ggf. unterschiedlich weit voneinander entfernt sind, aber nicht die eine, gemeinsame Schnittmenge.
Hieraus entsteht eine weitere Notwendigkeit, die bereits während der Tagung immer wieder artikuliert worden ist: die Begriffsarbeit. Es geht nicht nur darum neue Begrifflichkeiten zu entwickeln, die die sich verändernden Phänomene und neuen Perspektiven gegenstandsadäquat zu erfassen vermögen, sondern es geht auch um eine diskurskritische Perspektive auf die Disziplinen und ihre bestehenden Begriffe. Im Sinne der Cultural Studies und der vielfältigen kritischen Strömungen, die sich von hier aus entwickelt haben, wäre es notwendig, das bestehende Begriffsvokabular hinsichtlich seiner Ideen- und Diskursgeschichte weiter zu untersuchen und derart auch ihren ggf. enthaltenen ideologischen Gehalt kritisch zu hinterfragen, inhärente Machtstrukturen sichtbar und diskutierbar zu machen. (Anm.: Wie so etwas aussehen könnte, zeigt Eagleton (1994) für den Begriff der Ästhetik.) Insbesondere betrifft dies ein wirkliches Nachdenken über und schliesslich auch das explizit machen davon, was jeweils mit ‹Kultur› oder mit ‹Medien› gemeint ist.
Diese kritische Perspektive würde auch die Entwicklung gegenstandsadäquater Forschungsmethoden befruchten. Hier gilt es methodologische Fragen weiterzuentwickeln und die unterschiedlichen Expertisen aus den einzelnen Forschungskontexten aufeinander zu beziehen bzw. miteinander zu verbinden – eben im Sinne einer Netzwerklogik. Gerade auch an den Bruchlinien und im Angesicht von disziplinären Konflikten muss eine interdisziplinäre Forschungsperspektive entwickelt werden, die sich gegenseitig inspiriert und weiterentwickelt. Aktuelle und zukünftige technologische Entwicklungen und die entsprechenden Diskurse müssen hierbei unbedingt berücksichtigt werden, aber eben in einer explizit kulturtheoretischen Einbettung und Perspektivierung.
Angesichts dieser grundlagentheoretischen und methodologisch höchst anspruchsvollen Aufgaben gilt es letztlich, den Austausch mit der Praxis der Kulturellen Bildung und Medienpädagogik nicht zu vergessen. Dabei meinen wir explizit nicht nur den eindimensionalen Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis, sondern eben auch die Rückkoppelung von Wissen und Erfahrungen aus den vielfältigen Praxisfeldern – von der offenen Jugendbildung bis in die formalen Strukturen der Schule – hinein in die Scientific Community. In diesem Austausch zeigt sich schon jetzt an vielen Stellen, wie verwoben Medienpädagogik und Kulturelle Bildung sind, und es deutet sich an, welche komplexen Fragen und Herausforderungen in diesem Netz aus Wissen und Erfahrungen in der Zukunft auf uns zukommen.