Partizipatives Forschen im Kinder- und Jugendtheater als künstlerische Intervention im Kontext Kultureller Bildung
Abstract
Im Theater wird seit ca. zwanzig Jahren mit Kindern und Jugendlichen intergenerational geforscht. Doch wer forscht hier eigentlich mit wem woran und in welchen Verhältnissen? Oft genug wird davon ausgegangen, dass es sich hierbei um Angebote der Kulturellen Bildung handelt, von denen ausschließlich Kinder- und Jugendliche profitieren. Der Artikel gibt einen Überblick über unterschiedliche Ansätze der Forschung im Kinder- und Jugendtheater, verortet sie zwischen den Diskursen um Künstlerische Forschung, Kulturelle Bildung und Partizipation. Anhand unterschiedlicher Praxisbeispiele legt er dar, wie Prozesse der partizipativen Forschung mit Kindern und Erwachsenen methodisch aufgebaut sein können, und mithilfe welcher künstlerischen Verfahren und Formate ein partizipatives Forschungssetup kreiert werden kann. Schließlich geht der Beitrag der Frage nach, inwiefern Prozesse der intergenerationalen partizipativen Forschung als Intervention in die Kontexte Kultureller Bildung zu sehen sind, um als Beitrag der Forschung an Fragen gesellschaftlicher Transformation anerkannt zu werden.
Seit Anfang der 2000er-Jahre werden im Kinder- und Jugendtheater unterschiedliche forschende Ansätze entwickelt, in denen die Mittel und Formate des Theaters dafür eingesetzt werden, forschende Settings zu entwickeln: Settings, in dem Fragen untersucht werden können, die über rein künstlerische Fragestellungen hinausgehen. Settings, in denen viele unterschiedliche Perspektiven und Expertisen beteiligt sind und unterschiedliche Formen des Wissens zutage treten oder hervorgebracht werden können.
Künstlerische Forschung
Reflektiert und wissenschaftlich untersucht wurden diese Ansätze bislang angebunden an die Diskurse zu Künstlerischer Forschung. Aus dem breiten Feld dessen, was mit Künstlerischer Forschung beschrieben wird, unterscheidet Henk Borgdorff (nach Frayling) zwischen
- Forschung über Kunst: Kunst ist hier der Untersuchungsgegenstand („intepretative Perspektive“);
- Forschung für Kunst: Hier ist die künstlerische Praxis nicht Untersuchungsgegenstand, sondern sie nutzt andere Formen der Forschung für die künstlerischer Praxis, beispielsweise als Werkzeug oder Materialkenntnis für künstlerische Produktion als Ziel („instrumentelle Perspektive“),
- Forschung in der Kunst: Künstlerische Praxis ist ein zentraler Bestandteil sowohl des Forschungsprozesses als auch der Forschungsergebnisse („reflexive Perspektive“) (vgl. Borgdorff 2009). Dass Kunst sucht, untersucht und experimentiert, ist nicht neu. Die Begriffe Experiment, Labor, Versuch, Erprobung sind schon lange Teil künstlerischer Praktiken. Doch was macht künstlerische Forschung als eigenständige Praxis aus?
In einem Thesenpapier, verfasst im Rahmen der Tagung Forschung in Kunst und Wissenschaft. Herausforderungen an Diskurse und Systeme des Wissens 2012, werden folgende Merkmale benannt: Künstlerische Forschung nutze viele unterschiedliche Forschungsweisen, sie stelle unterschiedliche Formen und Arten von Wissen nebeneinander, sie sei oft transdisziplinär, operiere durch Gestaltungsprozesse und sei immer im Austausch mit unterschiedlichen Öffentlichkeiten (vgl.Website Schering Stiftung 2012). Naturgemäß wird der (in Deutschland vergleichsweise) junge Ansatz von unterschiedlicher Seite kritisiert: Aus der Kunst wird beispielsweise eine Verwissenschaftlichung der Kunst befürchtet, seitens der Wissenschaft werden oftmals eine fehlende Objektivität und eine zu starke Involviertheit angemahnt – ein Vorwurf, den Sozialwissenschaften und die Ethnografie schon lange kennen und ungefähr ebenso lange affirmativ durch die Reflexion der eigenen Impulse ins Feld, entkräften. Von unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteur*innen wird künstlerischer Forschung vorgeworfen, dass sie als prozess-, statt ergebnisorientierte Praxis die Öffentlichkeit aus dem Blick verliere und entsprechend selbstbezüglich und exklusiv sei.
Forschen im Kinder- und Jugendtheater
Dass dies nicht so sein muss, beweisen partizipative Ansätze des Forschens im oder mit Theater mit sogenannten Expert*innen des Alltags, für die Sibylle Peters‘ Band „Das Forschen aller“ ein zentraler theoretischer Bezugspunkt ist. Auf dieser Basis wurden in Hamburg von 2012-2017 die beiden Graduiertenkollegs Versammlung und Teilhabe und Performing Citizenship konzipiert und durchgeführt, in deren Rahmen zahlreiche unterschiedliche partizipative künstlerische Forschungsprojekte entstanden sind. Versammelt und untersucht wurden sie im anschließenden Forschungsprojekt Participatory Art-based Research, auf deren Ergebnisse ich später zurückkomme. Zunächst möchte ich den Kontext des Kinder- und Jugendtheater als Raum intergenerationaler Forschung beleuchten, der mit unterschiedlichen Praxisansätzen die Diskurse der künstlerischen Forschung, der Partizipation und der kulturellen Bildung zu verbinden vermag.
Das Kinder- und Jugendtheater versteht sich zunehmend als ein experimentelles Forum für die Interessen, Stimmen, Erfahrungen und Expertisen von Kindern und Jugendlichen. Sie werden nicht mehr als „becomings“, als defizitär konstruierte Wesen konzipiert, die sich u.a. mithilfe künstlerischer Erfahrungen erst zu „starken Subjekten“ (Fuchs 2016) entwickeln sollen, sondern als „being“ (vgl. Uprichard 2008), als Expert*innen ihrer Lebenswelt (vgl. Wartemann 2015), die verstärkt als Partner*innen sowohl in gesellschaftliche als auch in künstlerische Prozesse einzubeziehen sind (vgl. ASSITEJ 2020). Partizipation ist sowohl in Gesellschaft insgesamt, in (kulturellen) Bildungskontexten und im Theater ein allgegenwärtiger und daher oft schwammiger Begriff sowie ein Paradigma geworden. Im Kontext des Kinder- und Jugendtheaters beschreibt er ganz unterschiedliche Dimensionen und Modi: Einerseits geht es um Zugänge von Kindern und Jugendlichen zu den Angeboten und künstlerischen Erfahrungen von Kunst und Kultur, in diesem Falle von Theater, um ihre kulturelle Teilhabe (1). Zum zweiten geht es in Theaterformen für Kinder und Jugendliche als Publikum um aktive Formen der Interaktion (2) im Spiel zwischen Bühne und Zuschauer*innenraum. Weiterhin werden Zusammenarbeitsformen (3) von Kindern und Erwachsenen in künstlerischen Prozessen als partizipativ beschrieben und darüber hinaus konkrete programmatische oder kuratorische Entscheidungen (4), die erwachsene Theatermacher*innen mit Kindern und Jugendlichen teilen oder an sie abgeben (vgl. Gunsilius 2023). Diese sehr unterschiedlichen Modi der Partizipation werden kritisch daraufhin überprüft, ob sie Kinder bzw. Jugendliche zu scheinpartizipativen Prozessen einladen oder im künstlerischen Rahmen „Trostpflaster“ (Seitz 2015/13) für mangelnde gesellschaftliche Partizipation bleiben oder gar einen gouvernementalen gesellschaftlichen Partizipationsimperativ (Kup 2019) reproduzieren. In diesem Zusammenhang sind auch die seit Anfang der 2000er Jahre von Theater- und Performancemacher*innen unterschiedlichen entwickelten Ansätze des intergenerationellen Forschens in Theatern, in Bildungseinrichtungen sowie in (öffentlichen) sozialen Räumen zu sehen. Hier werden experimentelle Settings entwickelt, in denen Kinder, Jugendliche und Erwachsene ihre Wünsche und Anliegen und daran gebundene gesellschaftliche Fragen mit den Mitteln des Theaters gemeinsam untersuchen (vgl. Hinz et. al 2018; Peters 2018; Gunsilius/Kowalski 2021).
Wegweisend ist hier der Ansatz des Forschungstheaters, einer Programmschiene im FUNDUS THEATER in Hamburg, das seit 2003 szenische Forschung mit Kindern, insbesondere im Grundschulalter praktiziert (Peters 2013, 2018): In inter- oder transgenerationalen szenischen Forschungsprojekten agiert der Ansatz erfolgreich auf der Schnittstelle zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft. Dieser Ansatz geht von Wünschen und Anliegen von Kindern aus und bringt sie mit diskursiven gesellschaftlichen Fragen von Erwachsenen zusammen sowie mit geeigneten Verfahren und Formaten des Theaters, mit denen diese Fragen gestellt und untersucht werden. Bestenfalls entwickelt sich aus dem Wunsch und der Frage mit den künstlerischen Mitteln des Theaters ein Vorhaben, das es umzusetzen gilt, um so versuchen, die Wünsche zu erfüllen.
Wie beispielsweise im Forschungsprojekt Kaputt, in dem unterschiedliche Expert*innen zu Zerstörung als kreativem und destruktivem Akt geforscht haben: Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Kinder – und zwar insbesondere Kinder, die sich in ihren Bildungseinrichtungen als Expert*innen für Zerstörung erwiesen hatten.
Andere Ansätze wie das TUKI-Forschertheater (seit 2011) oder die Winterakademie (Theater an der Parkaue, 2005/6-2015/16) basieren auf dem Konzept der „ästhetischen Forschung“ von Helga Kämpf-Jansen (2004) (vgl. Marsch 2014; Milbert 2017; Boos et. al 2018; Lobert 2020) und zielen vor allem auf die Entwicklung eigener Fragen und einer ästhetischen Erkundung von Welt im Labor des Theaters.
Das TUKI-Forschertheater beispielsweise forscht mit Kita-Kindern. Im Fokus stehen hier alltägliche, aus naturwissenschaftlicher Perspektive deutbare Phänomene, wie Wolken, Dunkelheit et cetera. Entlang der Interessen der Kinder sollen sie mit ästhetischen Mitteln untersucht werden:
„Sechs Theater bilden mit sechs Kitas künstlerische Forschungsgemeinschaften, in denen Kinder zwischen vier und sechs Jahren, Künstler*innen und Erzieher*innen miteinander auf Forschungsreise gehen. „Wo sind die Geräusche, wenn wir sie nicht hören?“, „Wie leuchtet die Dunkelheit?“ oder „Spurenleser*innen – Was erzählen uns Spuren?“. Je nach Forschungsfrage begibt sich die Forschungsgemeinschaft auf Exkursionen und lädt Expert*innen ein, um ihr Erfahrungsspektrum zu erweitern und neue Fragen anzuregen. In den kreativen Laboren entsteht am Ende der Forschungsreise eine interaktive Performance.“ (https://tuki-berlin.de).
Im Rahmen dieser Forschungsreisen geht es um eine gezielte und vertiefte, eine leibbezogene und sinnliche Erkundung, in der sich gesichertes Wissen und phantastische Zugänge verbinden können. Methodisch folgen sie einem Aufbau von fünf Stationen „beobachten und suchen“, „erkunden und entdecken“, „erforschen und sammeln“, „sortieren und probieren“ sowie „präsentieren und weiterforschen“ (ebenda). Im Laufe der Jahre hat TUKI unterschiedliche Prozesse und Formate entwickelt (vgl. ebenda).
Andere theatrale Forscher*innen, wie beispielsweise das Kollektiv Frl. Wunder AG entwickeln spezifische Formen der künstlerischen Feldforschung – u. a. auch mit Kindern und Jugendlichen (Pfeiffer 2018; Hinz 2018). Beispielsweise hat Malte Pfeiffer zu unterschiedlichen ethnographischen Forschungsmethoden wie Interviews führen, Beobachtungen festhalten, Geräusche oder Objekte sammeln, Situationen zeichnen oder beschreiben, et cetera mithilfe von performativen Handlungsanweisungen, Forschungsaufträge für unterschiedliche Situationen und Vorhaben für Jugendliche entwickelt. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit der Frage, wie nächste Schritte und Möglichkeiten zum forschenden Umgang mit diesem Material, auch hinsichtlich einer Präsentationssituation aussehen und als forschende Verfahren vermittelt werden können.
In Abgrenzung zu recherchebasierten Theaterformen, die dokumentarisches Material im Hinblick auf eine inhaltlich und künstlerisch stimmige oder innovative Aufführung bearbeiten (vgl. Hinz 2018), kreieren die genannten unterschiedlichen forschenden Ansätze experimentelle Settings und Prozesse mit den Mitteln und Formaten des Theaters. Wissenschaftlich werden sie als „Forschendes Theater in Sozialen Feldern“ (Hinz et. al 2018) oder als „Forschen im Kinder- und Jugendtheater“ (Website Netzwerk Forschen im Kinder- und Jugendtheater 2023) untersucht. Die bisherige theoretische Forschung in diesem Feld ist (noch) in legitimatorische Debatten verstrickt und fokussiert die Beweisführung, dass Theater Forschung sein kann, dass diese Forschung über kunstimmanente Fragestellungen hinausgehen und dass und wie sie Kinder, Jugendliche und Erwachsene an der transdisziplinären Untersuchung gesellschaftlicher Fragestellungen beteiligen kann. Im Fokus stehen hier bislang die produktionsästhetische Untersuchung von experimentellen Settings in theatralen und theaterpädagogischen Rahmungen (vgl. Hinz et. al 2018, Peters et. al 2020), ihrer bildenden Potenziale (Pinkert 2018; Hruschka 2018; Westphal 2018), sowie ihrer Möglichkeiten für die Partizipation von Kindern und Jugendlichen an gesellschaftlichen Fragen und Prozessen (Peters 2013; 2018; Gunsilius und Kowalski 2021).
Ansatz und Formate der Participatory Art-based Research
Ich möchte im Folgenden den Ansatz des partizipativen künstlerischen Forschens (Participatory Art-based Research – PABR) in den Fokus setzen, der Forschen als transdisziplinäre, partizipative Praxis im Dreieck zwischen Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft denkt und praktiziert (Peters et. al 2020). Methodisch basiert er auf dem Ansatz des Forschungstheaters und zielt auf eine Demokratisierung von Forschung und Kunst. Grundlage dafür ist ein Verständnis von Forschung, das mit dem Soziologen Bruno Latour davon ausgeht, Wissen über Gesellschaft könne am besten mit statt im Abstand zu ihr generiert werden (vgl. Latour 1998; Peters 2013: 11-13). Aktionsforschung (Action Research) (Lewin 2009/1946) und andere partizipative Ansätze (vgl. Unger 2014) fordern schon lange die Beteiligung unterschiedlicher Alltagsexpertisen, u.a. von Kindern und Jugendlichen an Forschungsprozessen (vgl. Liebel 2020, Wöhrer 2017). Aus der Überzeugung, dass insbesondere die performativen Künste eine große Expertise in der Organisation partizipativer Prozesse haben und darüber hinaus in der Lage sind, neben rationalen auch andere, implizite Formen von Wissen (Polanyi 1985) zu zeigen und hervorzubringen, werden mithilfe ihrer Formate, Verfahren und Prozesse experimentelle Settings eingerichtet, in denen unterschiedliche Bürger*innen mit ihren unterschiedlichen Expertisen in (intergenerationellen) Konstellationen gemeinsam forschen können (Peters 2013).
Partizipatives künstlerisches Forschen (Participatory Art-based Research/PABR) beginnt mit der Einrichtung eines Forschungssetups, das sich – methodisch ausgehend vom Ansatz des Forschungstheaters – in einem Dreieck abbilden lässt: Ein Wunsch oder Anliegen der mitforschenden Kinder (Gesellschaft), eine diskursive Frage der mitforschenden Erwachsenen (Wissenschaft), sowie ein künstlerisches Mittel bzw. Verfahren (Kunst) bilden die drei Punkte des Dreiecks, in dem sich das Forschungssetup entfaltet. Wünsche bilden hier den Ausgangspunkt für gemeinsames Forschen, weshalb Theatermacher*innen, bevor sie ein künstlerisches Forschungsprojekt für einen bestimmten sozialen Kontext entwerfen können, dessen Herausforderungen und ihre potenziell Mitforschenden kennenlernen – und dafür im Prozess entsprechend Zeit einplanen müssen.
Im Rahmen des Forschungsprojektes Participatory Art-based Research (2019-2020) wurden neun unterschiedliche künstlerische Formate herausgearbeitet, die sich im Kontext des Ansatzes als produktiv und ergiebig für partizipatives performatives Forschen erwiesen haben, z.T. auch kombiniert miteinander (Peters et. al 2020). So wird beispielsweise mit einer „Intervention ins Reale“ (Intervention into the Real) (Matthias/Wildner 2020) mit einer künstlerischen Aktion ein Impuls in ein soziales Feld gegeben (und damit möglicherweise gar ein praktischer Lösungsvorschlag erprobt) – beispielsweise wenn Kinder im Projekt Die Kinderbank (2012) ihr eigenes Geld entwerfen und in ihrer Nachbarschaft in Umlauf bringen und so gemeinsam mit anderen (erwachsenen) Expert*innen zu alternativen Währungen forschen.
Ein weiteres zentrales Format ist das Forschen in einer „(unwahrscheinlichen) Versammlung“ (Improbable Assembly) (Gunsilius/Peters (2020): Eine unwahrscheinliche Konstellation von Menschen wird in alternativen (Macht-)Verhältnissen versammelt, um gemeinsam eine oder mehrere Fragen zu untersuchen. Ein Beispiel wäre das Projekt Unterscheidet Euch! (2019) des Kollektivs Turbo Pascal, in dem soziologische Forschungsergebnisse zu Kinderarmut durch Befragungen von Berliner Schulkindern erweitert und so in ein interaktives Forschungssetting eingeschrieben werden. Mit diesem untersuchen Performer*innen und Schüler*innen im Theater gemeinsam Fragen von (Kinder)armut, sozialer Ungleichheit und Bildungs(un)gerechtigkeit.
Ein drittes Format ist die „Institution auf Probe“ (Try-out Institution) (Gunsilius/Peters 2020). Hier wird eine zukünftige bzw. alternative Institution gegründet, beispielsweise ein Institut, eine Akademie et cetera Im Namen dieser Institution werden Dienstleistungen und Handlungen vollzogen, die sowohl bestehende Institutionen, Körperschaften und deren Repräsentationen befragend untersuchen und zugleich alternative Repräsentationen erproben können. So beispielsweise mit dem Forschungsprojekt KAPUTT – Die Akademie der Zerstörung (FUNDUS THEATER/Forschungstheater 2018), in dem Kinder und Erwachsene gemeinsam Akte von kreativer Zerstörung praktizieren und untersuchen: So lädt beispielsweise der Künstler Mathias Anton dazu ein, das Auto seiner Träume mit ihm zu bauen – um es danach gemeinsam zu zerstören. Die Künstlerin Eva-Meyer-Keller seziert gemeinsam mit Kindern Früchte, während Sammy Pompomps aus geschredderten Mathebüchern baut, Abraham Wetten entgegennimmt, ob Handy oder Mixer länger halten und Devran und Jolina eine Playstation kaufen, um sie zu zerstören (und ihre Einzelteile dann an alle anwesenden Kinder zu verteilen).
Im Format der „One-on-One-Begegnung“ (One-on-One Encounter) (Gunsilius/Wildner 2020) kann eine intime Situation geschaffen werden, in der ungesichertes Wissen geteilt oder hervorgebracht werden kann während oder weil etablierte Begegnungsverhältnisse von Kindern und Erwachsenen unterlaufen werden. So untersuchen beispielsweise im Forschungsprojekt Die Schule der Mädchen II (Maike Gunsilius 2017) Mädchen und Frauen als intergenerationelle 1:1-Teams, wie sie (gemeinsam) als Bürger*innen ihrer postmigrantischen Stadtgesellschaft handeln können und wollen und teilen ihre Ergebnisse am Abend desselben Tages in der Öffentlichkeit des Theaters.
Das Theater entlehnt schon lange Begriffe aus dem Kontext der Wissenschaft wie Labor, Untersuchung, Test et cetera und nutzt sie entweder in einem metaphorischen Sinne eines ‚wie Forschung‘ (vgl. Pinkert 2018), um seine Rechercheorientierung, seine diskursive Verortung oder seine Prozessoffenheit zu betonen oder indem es seine Verfahren und Formate einsetzt, um experimentelle Anordnungen zu kreieren, forschende Prozesse zu initiieren und zu rahmen. Für eine Abgrenzung wird neben dem Selbstverständnis der künstlerisch Forschenden auch das Verhältnis von Prozess und Präsentation entscheidend. Damit ein forschender Prozess nicht kurz vor seinem Veröffentlichungsmoment in eine Aufführungslogik kippt, bleibt folgender Hinweis wichtig: Es geht hier nicht (nur) um die (abschließende) Präsentation von Forschungsergebnissen, sondern darum, (Zwischen-)ergebnisse des Forschungsprozesses zu teilen und in der ko-präsentischen Situation zu testen, zu überprüfen und weiter zu untersuchen. Die Präsentation ist selbst Teil des Forschungsprozesses. Insbesondere, wenn es darum geht, implizite, beispielsweise körperbasierte, und explizite, beispielsweise begriffliche Formen des Wissens in Austausch zu bringen, kann die künstlerisch eingerichtete Präsentationssituation Rahmen und Form dafür sein und sollte deshalb (regelmäßig) als immanenter Teil des Forschungsprozesses mitgedacht und entsprechend gerahmt werden.
Forschende Verfahren in Theater und Kultureller Bildung wurden bislang vor allem im Hinblick auf ihre subjekt-bildende Wirkung als erfolgreich wahrgenommen. Im Diskurs der Kulturellen Bildung wird ein transformatorisches Bildungsverständnis, das das zentrale Moment von Bildung in der Transformation von Selbst- und Weltverhältnissen des Subjekts verortet (vgl. Koller 2012), an den Begriff der ästhetischen Erfahrung, im theaterpädagogischen Diskurs zusätzlich an den Begriff der Differenzerfahrung (vgl. Hentschel 1996), angebunden. Damit verorten die Diskurse sowohl des Theaters für junges Publikum als auch der Theaterpädagogik ihre transformatorischen Potenziale bislang vor allem in Subjektivierungsprozessen. In einem transformativen Verständnis von Bildung werden Bildungsprozesse fokussiert, die kulturelle und soziale Strukturen, Institutionen, Praktiken und Verhältnisse reflektieren – und dabei auch die eigene Involviertheit in gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse befragen (vgl. Peukert 2000; Lingenfelder 2020).
Forschen als Intervention im Kontext Kultureller Bildung
Bislang nicht untersucht wurde partizipatives Forschen im Kinder- und Jugendtheater als spezifische Transformationsforschung bezüglich gesellschaftlicher Umbrüche (wie Klimafragen, anthropozentrischer Fragen, Gender- und Diversitätsgerechtigkeit, Generationenverhältnisse et cetera). Angesichts intergenerationeller Konfliktlinien, die sich an diesen Fragen entzünden, kann es nicht (mehr) nur darum gehen, ob und inwiefern Kinder und Jugendliche als Zielgruppe von den Angeboten und Erfahrungen kultureller Bildung profitieren, sondern darum, wie Anliegen und Expertisen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen zusammengebracht werden können, um gemeinsam Prozesse gesellschaftlicher Transformation zu untersuchen. Damit werden auch traditionelle Konzeptionen Kultureller Bildung infrage gestellt. Zukünftig gilt es daher zu untersuchen, ob und inwiefern eine handlungsorientierte, partizipativ und inklusiv angelegte, kritische Praxis des intergenerationalen Forschens im Theater (vgl. Peters 2013; Gunsilius 2019; Gunsilius/Kowalski 2021) einen Beitrag zu gesellschaftlichen Transformationsfragen leisten kann. Und: inwiefern dies zugleich das Verhältnis zwischen Forschung und (Kultureller) Bildung neu bestimmt. Dabei ist zu beachten, dass solche Forschungsprozesse bislang im Rahmen (und der Logik) künstlerischer Projektstrukturen und -förderungen umgesetzt werden und daher finanziell und zeitlich nicht adäquat ausgestattet sind. Wenn Theater- und Performancemacher*innen in den Institutionen und Kontexten Kultureller Bildung partizipativ forschen wollen, benötigen sie andere zeitliche Abläufe, personelle Konstellationen und möglicherweise neue Partner*innen und Finanzierungsmodelle. Ihrer Arbeit muss ein offenes und kritisches Vermittlungs- und Bildungsverständnis, sowie ein transdisziplinäres Theater- und Forschungsverständnis zugrunde liegen. Sie müssen bereit sein, die eigene künstlerische Expertise als eine neben anderen Expertisen zu sehen und als solche für den Bau eines experimentellen Settings einzubringen, das einen partizipativen, transdisziplinären Prozess des Forschens zu kreieren und zu rahmen vermag. Einen Prozess, der fachliches, alltägliches und ungesichertes Wissen versammelt, in Dialog bringt, ganzheitlich wahrnehmbar macht und hervorbringt. Aktuelle gesellschaftliche Transformationsprozesse sind drängend und umfassend. Ihre lösungsorientierte Untersuchung fällt mit ihrer gesellschaftlichen Vermittlung und Bewältigung zusammen. Theater und Performance als handlungsorientierte, ganzheitliche ästhetische Praxis können Forum und Form für diese Forschung sein.