Maker-Literacy. Digitale Kulturelle Bildung
Abstract
Derzeit steht in Frage, welche Konsequenzen Digitalität für eine zeitgemäße Kulturelle Bildung hat. Um hierauf eine Antwort zu skizzieren, entwickelt dieser Text eine Perspektive auf die Makerkultur mithilfe des Konzepts der Maker-Literacy. Damit sollen konkrete kulturelle Praktiken nicht nur vor- und dargestellt werden, sondern vielmehr auch die damit verbundenen Vermittlungsaspekte, also Möglichkeiten der Bildung und der Einübung in Digitale Kultur in den Fokus gerückt werden. Hintergrund dieser hier eingenommenen Perspektive ist die medienwissenschaftliche Literalitätsforschung einerseits und die Medienphilosophie Vilém Flussers andererseits.
Der Literacy-Begriff ist auch in der deutschsprachigen Diskussion zu digitaler Medienbildung immer häufiger anzutreffen. Literacy verweist auf spezifische Fähigkeiten, Kompetenzen und Skills, die nützlich sind, oder gar als notwendig erachtet werden, um in unserer digital gewordenen Welt zurecht zu kommen. Also um nicht nur in ihr zu bestehen, sondern vielmehr, um diese zu verstehen und um diese mitgestalten zu können.
Aus diesem Grund scheint es angemessen, von einer Digitalen Kultur, anstatt von Digitalisierung zu sprechen, denn Digitalisierung bricht über uns herein; wir müssen irgendwie darauf reagieren. Digitale Kultur dagegen verweist darauf, dass unsere Lebenswelt, d.h. die uns fraglos umgebende Welt der Selbstverständlichkeiten, dass diese Lebenswelt ohne Digitalität überhaupt nicht mehr zu denken ist. Damit kann auch Kultur, im Sinne der alltäglichen Praktiken, nicht mehr ohne Digitalität gedacht werden. Digitale Kultur umfasst damit unsere selbst gewählten, gleichwohl schon gewohnten Lebens-, Orientierungs- und Erwartungsweisen, die Digitalität einerseits gestalten, die andererseits aber auch von ihr gestaltet werden.
In Frage steht damit jedoch, welche Konsequenzen dies für eine zeitgemäße Kulturelle Bildung hat. Um hierauf eine Antwort zu skizzieren, entwickelt dieser Text eine Perspektive auf die Makerkultur mithilfe des Konzepts der Maker-Literacy. Damit sollen konkrete kulturelle Praktiken nicht nur vor- und dargestellt werden, sondern vielmehr auch die damit verbundenen Vermittlungsaspekte, also Möglichkeiten der Bildung und der Einübung in Digitale Kultur in den Fokus gerückt werden. Hintergrund dieser hier eingenommenen Perspektive ist die medienwissenschaftliche Literalitätsforschung einerseits und die Medienphilosophie Vilém Flussers andererseits.
Kulturelle Bildung und Makerkultur
Wie Benjamin Jörissen und Lisa Unterberg (2019:18f.) anmerkten, gibt es mindestens vier Schnittstellen von Kultureller Bildung und der gegenwärtigen digitalen Transformation: Erstens haben beide einen unmittelbaren Lebensweltbezug, zweitens erweitert Digitalität die ästhetischen (Alltags-)Praktiken, drittens bedarf es aufgrund der Schnelligkeit, Vielstimmigkeit und Heterogenität von Digitalität mehr als bloße kognitiv-informatorische Medienkompetenz und viertens könne die Kulturelle Bildung zu einer kritisch-reflexiven Haltung gegenüber der digitalen Transformation beitragen.
In Frage steht nun, wie der Umgang mit Digitaler Kultur gelernt, aber auch gelehrt werden kann. Also konkret: Wie könnte eine digitale Kulturelle Bildung aussehen, die nicht auf nutzenmaximierende Effizienzsteigerung ausgerichtet ist, sondern die einerseits die Bedingungen der Möglichkeit derselben in den Blick nimmt und damit reflexiv-kritisch mit Digitaler Kultur inmitten von Digitaler Kultur umgeht und die andererseits eine Brücke vom Verstehen-Können zu einem Machen-Können schlägt, die eine selbstwirksame kulturelle Teilhabe an Digitalität ermöglicht?
Für diese Form digitaler Kultureller Bildung soll hier der Literacy-Begriff genutzt werden, weil er den doppelten Anspruch an Bildung – gerade im deutschsprachigen Kontext – stärker betont. Denn Literacy umfasst einerseits ganz konkrete Fertigkeiten, routinisiert gehandhabte Praktiken, andererseits aber auch die Reflexion darauf. Es richtet damit das Augenmerk auf die adäquaten Kulturtechniken einer digitalen Kulturellen Bildung.
Die hier auszutestende These lautet, dass insbesondere Maker-Literacy diejenigen Fertigkeiten und Fähigkeiten umfasst, die sowohl für einen adäquaten Umgang mit Digitaler Kultur als auch für individuelle Gestaltungsmöglichkeiten von Digitaler Kultur sorgen. Maker-Literacy umfasst damit diejenigen Kulturtechniken, die sowohl in Digitale Kultur einüben als auch mit ihr gestaltend umzugehen erlauben.
Maker-Literacy vermittelt also nicht nur Orientierungsmöglichkeiten in unserer Digitalen Kultur, sondern vermittelt darüber hinaus Möglichkeiten des Eingriffs, der Gestaltung und damit der eigensinnigen Ermächtigung gegenüber Digitaler Kultur.
Damit diese These wenigstens Plausibilität, wenn schon nicht Evidenz erlangen kann, muss zunächst das damit verbundene Verständnis von Making und damit von Makerkultur eingeführt werden. Making wird hier im Sinne eines digitalen Bastelns, Selbermachens und Ausprobierens (vgl. auch Wunderlich 2019:31) verstanden, also als durchaus gängige und verbreitete Praktiken, die sich von einfachen Werkzeugen über elektrotechnische Anordnungen bis hin zu digitalen Tools erstrecken. Makerkultur wird hier in einer unauflösbaren Spannung zwischen Making und Hacking begriffen. Während das Making eher die durchaus markt- und stromlinienförmige Anschlussfähigkeit des digitalen Bastelns unterstreicht, so markiert das Hacking stärker die selbstbestimmte Unangepasstheit des spielerischen Ausprobierens der „autodidaktischen Bastler“ (Richterich/Wenz 2017; Pias 2002: 254). Aus meiner Sicht stellen diese beiden Pole zugleich das Spektrum unterschiedlicher Komplexitätsgrade beim digitalen Basteln dar. Am Anfang werden die eigenen Praktiken eher im Makerbereich verortet sein, doch mit zunehmender Übung, Erfahrung und Gekonntheit werden die eigenen Praktiken zunehmend respektloser gegenüber den vorgesetzten Dingen – die Selbstermächtigung steigt. Zunächst sind alle Maker und können dies aufgrund der geringen Eintrittsbarrieren auch wirklich werden; später können daraus zunehmend Hacker werden, die sich mit den vorgefundenen Dingen nicht zufriedengeben und ein reflexiv-kritisches Bewusstsein entwickeln können.
Making in diesem Verständnis ist also keineswegs so neu wie die Bezeichnung. Doch was macht nun dieses Making so interessant für ein Verständnis von und eine Einübung in Digitale Kultur? Dies soll nun mithilfe eines kleinen Umwegs, und zwar mithilfe der Doppeldeutigkeit des Literacy-Konzepts, aufgezeigt werden. Denn einerseits meint Literacy ja ein Vermögen und eine Fähigkeit, andererseits ist es als Literalität immer auch in Differenz zur Oralität bestimmt.
Wir machen also einen kurzen Ausflug in die Oralitäts- und Literalitätsforschung und in die Medienphilosophie Flussers, damit vor diesem Hintergrund die spezifische Literalität der Maker-Literacy herausgearbeitet werden kann.
Sprache – Schrift – Making
Sprache und Schrift sind sehr verschiedene Medien. Demzufolge beschreiben Oralität – als primär sprachliches Weltverhältnis – und Literalität – als primär schriftliches Weltverhältnis – auch sehr unterschiedliche Dinge. Aus der Vielzahl von Differenzen beider Weltverhältnisse werden hier nur zwei ausgewählt. Erstens ermöglicht Schrift im Gegensatz zur Sprache Distanz und zweitens ermöglicht unser griechisches Alphabet eine restlose Übersetzung von Grunz- und Zischlauten in Zeichen. Diese beiden Differenzen zwischen Oralität und Literalität sollen nun kurz beschrieben werden, um sodann Fragen zu können, welchen Unterschied dann eine Maker-Literalität machen könnte.
Mit Walter Ong (2016), Eric Havelock (1990) und anderen kann behauptet werden, dass Schrift zu einer Ausbildung von Distanz führte. Sprache ohne Notation taugt nicht zu analytischer Präzision (Ong 2016:97). Auch konnten historische Forschungen zeigen, dass ohne Schrift kein Bedürfnis nach hierarchisch geordnetem, kategorialem Denken oder nach formalen Abstraktionen aufkam (vgl. Havelock 2007:32). Sprache ist reine Präsenz. Ein orales Weltverhältnis ist durch Distanzlosigkeit zum eigenen Denken und Sein geprägt; es äußert sich in einer auditiven Kakophonie von gleichzeitigen Geräuschen und Lauten – wie man sie zumindest etwas nachvollziehen kann, wenn man einen Kindergarten betritt und dessen Geräuschkulisse wahrnimmt.
Literalität bedeutet daher zunächst Individuierung, man erkennt sich in Distanz zur Gruppe. Literalität bedeutet aber auch analytisches, d.h. zerlegendes Denken und damit ein auf Formalismen, Kategorien und Abstraktionen beruhendes Denken. Damit verbunden ist auch die spezifische Herausbildung eines historischen Bewusstseins: „Das Schreiben der alphabetischen Schrift verwandelt das Denken in einen logischen Prozeß und den Sachverhalt in Geschichte.“ (Flusser 1993b:34) Das sind Fähigkeiten und Kompetenzen, die durch die Einführung von Schrift entstanden. Welches besondere Vermögen entsteht nun beim Making?
Während Oralität die Menschen in Gruppen verortet und Literalität im engeren Sinne zu Individuierung des Menschen führt, bildet Making eine Beziehung zu technischen Artefakten aus. Dafür müssen viel rigidere Formalismen und eine viel größere Definitionsschärfe ausgebildet werden. Beim Making muss die Welt übersetzt werden, ja noch weiter: sie muss berechenbar gemacht werden. Dabei entsteht ein Bewusstsein gegenüber Operationalisierung und Modellierung der Welt. Selbst einfachste Programmierleistungen wecken die Aufmerksamkeit hinsichtlich der notwendigen Modellhaftigkeit und damit auch Konstruktionsbedürftigkeit von Welt. Dabei geschehen zwei gegenläufige Dinge: Einerseits wird die wahrnehmbare Mannigfaltigkeit der Welt – zum Beispiel soziale Interaktionsformen – derart operationalisiert und mithin abstrahiert, dass diese im Programm nur noch arg begrenzt und reduziert wieder aufscheinen. Sichtbares wird demnach unsichtbar gemacht. Andererseits jedoch wird auch – und zugleich – Unsichtbares sichtbar gemacht, weil beispielsweise die Dauer und Anzahl der Interaktionskontakte gemessen werden. Durch Modellierung der Welt beim Programmieren wird die Aufmerksamkeit auf spezifische Auslösereize, eben Trigger, und auf einige wenige Variablen gelenkt. Jede Programmierung beim Making zeigt damit die Vielzahl von kontingenten, d.h. auch anders möglichen Konstruktionsentscheidungen auf. Während wir mit Schrift Distanz zur Situation und damit einen Überblick gewinnen, der Vollständigkeit und die Perspektivenlosigkeit präferiert, macht uns Making bewusst, wie voraussetzungsreich, wie stark vereinfachend und wie konstruiert alles ist.
Dies kann mit Flusser gar noch weiter zugespitzt werden. Während die Schrift-Literalität einem Fädeln von Elementen auf einen Faden gleicht – wir müssen stets die Buchstaben nacheinander lesen und einen Text Wort für Wort, um am Ende einen Sinn zu erhalten (Flusser 1993a:15) –, so beschreibt er die Digitale Kultur, ohne sie so zu bezeichnen, als Punkte-Universum (vgl. u.a. Flusser 1993a:11). Der literale Leitfaden zerfällt und es bleiben Punkte, die „zwar genaugenommen nichts, aber virtuell alles“ sind, da sie „Möglichkeiten“ sind (Flusser 1993a:17). Diese höchst abstrakten Punkt-Wolken (Flusser 1993c:40) eignen sich jedoch hervorragend zum Modellieren, denn: „Modellieren ist […] eine Geste, welche die im Nichts schwirrenden Punkte zu Formen zusammenfügt: Es ist eine ‹informierende Geste›.“ (Flusser 1993c:43)
Die dadurch entstehenden Modelle können nun aber nicht mehr an konkrete Sachverhalte angepasst werden, sondern erhalten ihren Eigensinn durch ihre innere Konsistenz. Daher können solche Modelle auch nicht mehr epistemologisch, sondern nur noch ästhetisch kritisiert werden (Flusser 1993c:37). Und weiter: „Der Erzeuger von Modellen […] befindet sich in einem Schwarm von Möglichkeiten […]; er ›erfindet‹ Strukturen.“ (Flusser 1993c:43f.) Und diese erfundenen Modelle sind damit „wahrscheinlich gewordene Möglichkeiten: Simulationen des Wahren.“ (Flusser 1993c:44) „Wir sind nicht mehr Forscher, sondern Erfinder, nicht mehr Wissenschaftler, sondern Künstler. […] Im historischen Universum wurden die Kunst und das Künstliche verdächtigt, ein Rückfall ins magische Universum zu sein. Gegenwärtig wird die Wissenschaft verdächtigt, selbstgesponnene, erfundene Fäden ins Universum hineinzuschmuggeln. Gerade aber als Kunst, als Erfinderin von Leitfäden, ist die Wissenschaft für uns noch wirksam.“ (Flusser 1993c:46)
Nimmt man diese Andeutungen, die allesamt aus der frühen Blüte des Digitalen, aus den 1980er Jahren stammen, nicht nur hin, sondern ernst, dann wäre Maker-Literacy vor allem in der Fähigkeit zu sehen, Modelle entwerfen zu können, um Möglichkeiten zu verwirklichen. Hintergrund wäre dafür nicht mehr die Linearität historischen Bewusstseins oder gar ein Fortschrittsgedanke, sondern vielmehr ein spielerisches „Komputieren“, also ein temporäres Zusammensetzen von künstlichen Elementen, um etwas zu modellieren, zu gestalten, zu verwirklichen. Und zuletzt wären es genuin ästhetische Praktiken, die das „Modellieren“ und „Komputieren“ der Punkt-Wolken der Möglichkeiten anleiten. Maker-Literacy wäre mithin eine spezifische Form Kultureller Bildung inmitten digitaler Lebenswelten.
Alphabet und Blockprogrammiersprachen
Damit komme ich zum zweiten Unterscheidungsaspekt zwischen Oralität und Literalität: dem griechischen Alphabet und weiterführend zur Frage nach dem funktionalen Äquivalent dessen beim Making. Das griechische Alphabet erlaubt die Notation eines jeden Lautes in ein Zeichen. Daher können wir, die wir diese Schrift nutzen, auch unbekannte Wörter laut lesen, um über das Hören des Lautbilds zum Verstehen des Worts zu gelangen. Unsere Schrift fühlt sich für einmal Literalisierte trotz ihrer prinzipiellen Künstlichkeit unglaublich natürlich an. Dennoch: Schrift formiert das Denken. So ließe sich mit Flusser sagen: „Mit der Zeit gewann die logisch disziplinierte Schriftsprache eine so starke Oberhand im okzidentalen Denken, daß ihre Regeln, die Logik, mit den Denkregeln überhaupt gleichgesetzt wurden. Man begann zu vergessen, daß wir auch außersprachlich denken können.“ (Flusser 1993e:113)
Was wäre nun das funktionale Äquivalent zum griechischen Alphabet beim Making und inwieweit formt dies unser Denken? Aus meiner Sicht wären das die sogenannten Blockprogrammiersprachen wie beispielsweise Scratch. Denn diese visualisieren die verschiedenen Funktionen beziehungsweise allgemeiner die Elemente eines Algorithmus derart, dass das Programmieren nun in der Form eines puzzelnden Verknüpfens und Anpassens vordefinierter Elemente besteht.
Programmieren als Puzzeln? Wie ist das gemeint? Programmieren wird einerseits mit Schreiben übereinandergelegt; man schreibt Code oder man codet halt. Andererseits wird Programmieren auch mit Rechnen zusammengedacht; Computer heißen ja auch Rechner und können nichts anderes als rechnen (Höltgen 2020:98). Mit Sybille Krämers (2014) Perspektive der „Schriftbildlichkeit“ können diese beiden Attributionen übereinandergelegt werden und dadurch dem Programmieren seine eigene Dignität verleihen. Dann erkennt man im Programm nicht nur die repräsentierende Funktion, sondern zudem auch die herstellende, erzeugende – oder in der Perspektive von Dan Verständig und Juliane Ahlborn (2020:88) eine performative – Funktion.
Diese Dopplung von Repräsentation und Erzeugung konnte von Krämer (2016) sehr gut am Beispiel des schriftlichen Rechnens auf einer Fläche durch Anordnung von Zahlen aufgezeigt werden. Ebenso ermöglichen es Blockprogrammiersprachen verschiedene Elemente auf einer Programmieroberfläche spezifisch miteinander zu verknüpfen. Scratch kann daher als Medium begriffen werden, das ein flächliches, puzzelndes Programmieren ermöglicht. Nicht mehr das Auffädeln von Buchstaben oder das Springen zwischen linearen Zeilen – wie beim Schreiben – oder das Anordnen von Zahlen auf der Fläche – wie beim Rechnen – ist nunmehr der kognitive Leitfaden für das Programmieren, sondern vielmehr geht es um die Anordnung und Verknüpfung unterschiedlich komplexer Blöcke, im Sinne von Puzzleteilen auf einer Fläche. Programmieren wird damit zu einem puzzelnden, das heißt tastend-testenden Rätsellösen.
Auch bei diesem zweiten Aspekt kann Flusser zur klärenden Zuspitzung verhelfen, wenn er beispielsweise fragt: „[W]ie verändert sich die Struktur des Denkens beim Umkodieren der Schriftsprachen in andere, neue Codes?“ (Flusser 1993e:111)
Flusser begreift die Praktik des Computers als „komputieren“ und damit als etwas „zuerst Beschnittenes zusammenzudenken“ (Flusser 1993d:251). Es geht damit um einen Prozess, die Dinge aus ihrem Kontext herauszuziehen, sie zu Einzelteilen zu zerschmettern, um sie schließlich umgestalten und neu modellieren zu können (vgl. Flusser 1993d). Die narrative oder auch diskursive Struktur der Literalität wird dementsprechend durch das Digitale aufgebrochen; sie wird granularisiert (vgl. Kucklick 2016). Die sinngebende Struktur eines Textes ähnlich einer Perlenkette wird auseinandergerissen. „Das neue Universum der Punkte entsteht, wenn wir die Linien, die Prozesse, mit den Fingerspitzen betasten und dabei die auf die Leitfäden gefädelten Steinchen herausfädeln, um sie dann spielerisch zu rekombinieren.“ (Flusser 1993a:18) Im Umgang mit dem Digitalen bedarf es daher im wahrsten Sinne des Wortes „Fingerspitzengefühl“ für das „kombinatorische Denken“. Aus der Linearität des Textes und aus der Flächigkeit des Rechnens wird eine kombinatorische Suche nach neuen Möglichkeiten.
Die Programmiercodes erlauben daher „ein neues, nicht mehr sprachliches Denken, das für das Bedenken der Welt adäquater ist als das logische, alphabetische Denken“ (Flusser 1993e:115). Statt einer Verarmung unserer Wirklichkeit durch das rein kalkulatorische Denken, stellt sich heraus, „daß es dank dieser Codes möglich ist, eine simulierte Welt in allen Dimensionen, auch bisher unerlebbaren, nicht nur zu denken, sondern auch zu erleben.“ (Flusser 1993e:115)
Programmieren erlaubt mit anderen Worten bisher unerlebbare Welten überhaupt erfahrbar zu machen; sei es in der minimalen Programmierung von animierten Figuren oder Robotern oder in den simulierten VR-Welten oder 3D gedruckten Objekten. Das puzzelnde Rätsellösen bleibt also nicht bei der Erfassung von Welt stehen, sondern erlaubt die Gestaltung und Simulation bisher ganz ungeahnter, aber nun erfahrbar zu machenden Welten.
Insofern würde das tastend-testende Rätsellösen weniger im Sinne eines Solutionismus (vgl. Morozov 2013) die Welt als zu lösende Aufgaben begreifen, sondern vielmehr im alten Sinne der Problemlösung, die ja im gekonnten Umschiffen besteht (Reuß 2012:65f.).
Fazit
Maker-Literacy beschreibt damit eine spezifisch neue Literalität, die sich von unserer Schrift-Literalität in zumindest zwei entscheidenden Punkten absetzt. Making setzt an unserer digital gewordenen Lebenswelt an, regt zur kritisch-reflexiven Auseinandersetzung mit Digitaler Kultur an und übt in diese auf ästhetisch-spielerische Weise ein. Makerprojekte ermöglichen daher einen Einblick in Digitale Kultur; sie verhelfen zur Ausbildung einer spezifischen Komplexitätskompetenz, die sich mit der Erfahrung und der Zeit entschieden steigern kann. Doch schon bei den ersten Eingriffen und Interventionen erfahren die Maker*innen eine Selbstwirksamkeit und Empowerment, das zu einer weitergehenden Auseinandersetzung mit unserer Digitalen Kultur motiviert. Kulturelle Bildung sollte daher die Makerkultur als Verbündete für mehr kulturelle Teilhabe begreifen lernen.