Ladenprojekte als third places? Auswirkungen urbaner Dynamiken auf kulturelle Projekte
Abstract
Mit der Bedeutung und Funktion von Ladenprojekten als Beispiel öffentlich und kulturell genutzter urbaner Räume und wie sie auf das Management von kulturellen Projekten wirken, befasst sich dieser Artikel. Exemplarisch wird eine Aufführung der Performance ‚No Service’ des Kollektivs Kahi Kalena in einem Leipziger Ladenprojekt untersucht, an der die Autorin als Produzentin beteiligt war. Mit Blick auf die kulturelle Stadtentwicklung sowie die Bedeutung öffentlich genutzter Räume wird der Rahmen des Artikels bezüglich der Theorie der third places analysiert. Die Ergebnisse können als Wegweiser für die Organisation kultureller Projekte und die künstlerische Praxis dienen und möchten außerdem ein Weiterdenken kulturpolitischer und stadtplanerischer Entscheidungsprozesse anregen.
„Kunst thematisiert, kommentiert und verändert Räume. In den besten Fällen definiert und schafft sie neue Orte. [...] Kunst spielt damit einerseits eine wichtige Rolle im Prozess der Umwertung von Stadtgebieten und leistet andererseits einen wichtigen Beitrag zur Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit der Situation vor Ort.”
(Büttner 2013:140)
Dieses Zitat verdeutlicht, wie die künstlerische Praxis auf den Raum, in dem sie agiert, wirkt. Für mich ist es infolgedessen interessant zu überlegen, ob diese Effekte auch in anderer Richtung funktionieren und räumliche Gegebenheiten auf künstlerische und kulturelle Projekte einwirken können. Diese Frage wird vor allem dann wichtig, wenn Räume als Ressource von kulturellem Projektmanagement verstanden werden. In der Überlegung soll es sich aber nicht um irgendwelche Räume, sondern um Ladenprojekte als öffentlich genutzte Räume in der Stadt handeln, die angeeignet und kulturell genutzt werden. Dieser Artikel beschreibt, wie Ladenprojekte die kulturplanerische Praxis beeinflussen. Dafür betrachte ich Planungsprozesse der Performance ‚No Service’, die im Leipziger Ladenprojekt Die Fuge im Sommer 2021 aufgeführt wurde und an deren Produktion ich beteiligt war. Das Zitat zeigt, dass der urbane Kontext eine entscheidende Rolle spielt. Die Forschungsfrage lautet demnach: Wie wirken sich die Bedeutung und Funktion eines Ladenprojektes in der Stadt auf das Management einer in ihm stattfindenden Performance aus?
Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist notwendig, da öffentliche und freie Kulturräume durch Gentrifizierungsprozesse zunehmend verdrängt werden oder schwer fortzuführen sind, obwohl sie für die Kulturszene eine Bereicherung darstellen und die Attraktivität der Stadt steigern. Der Artikel widmet sich dieser Problematik, indem neben einer theoretischen Auseinandersetzung aus Erfahrungen im Projektmanagement von ‚No Service’ in der Fugeberichtet wird. Die Erkenntnisse dienen als Praxistipp für zukünftige Performance-Kollektive oder Projekte anderer Kunstsparten, die sich die Frage stellen, in welchem Raum sie auftreten sollen und natürlich als Anstoß, kulturelle Stadtentwicklungspolitik zu überdenken.
Zum Forschungsdesign
Um die Forschungsfrage zu beantworten, habe ich zwei Unterfragen entwickelt. Die Erste fragt nach der Bedeutung von Ladenprojekten innerhalb der Stadt. Zur Beantwortung habe ich einen interdisziplinären Zugang gewählt und Literatur aus der Stadtentwicklung und Geisteswissenschaft herangezogen. Zuerst fasse ich Kenntnisse zur Entwicklung von öffentlichen und kulturell genutzten Räumen in der Stadt zusammen und vergleiche sie dann mit Theorien zu third places. Die Zweite handelt davon, wie Prozesse der Planung und Durchführung einer Performance in Ladenprojekten gestaltet sind. Dafür habe ich zwei Interviews geführt: mit Henry E., einem Mitglied der Fuge und mit Mohini G., einer Künstlerin des Performance-Kollektivs ist. Die Auswahl der Interviewpartner*innen ist dadurch begründet, verschiedene Perspektiven und Erfahrungen – die eines Ladenprojekt-Mitglieds und die einer Performerin und Produzentin – in die Arbeit einfließen zu lassen.
Öffentliche Räume in der Stadt und deren Aneignung
Zwischennutzung, temporäre Nutzung oder alternative Nutzung
Das zeitlich befristete Beziehen und nutzungsveränderte Bespielen von Orten trägt verschiedene Namen. In Städten blicken sie auf eine lange Geschichte zurück und hatten ihre kulturellen Höhepunkte, als in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts Squatters und Künstler*innen in verlassenen Gebäuden happenings veranstalteten oder die freie Theaterszene leerstehende öffentliche Orte besetzte, um in ihnen alternatives Theater zu betreiben (vgl. Reijndorp 2013:132; vgl. Sharifi 2016:358). Aber auch wenn die Konzepte der alternativen bzw. temporären Raumnutzung unterschiedlich sind, verfolgen sie jedoch das gleiche Ziel: „städtische[s] Leben neu zu bewerten, die Planungsverfahren zu demokratisieren, nachhaltige Architektur zu schaffen und dem öffentlichen Raum neue Bedeutung zu verleihen” (Reijndorp 2013:132). Es werden Nischen belebt, die von der Stadt vergessen zu sein schienen. Durch die sozialpolitische Spannung, die dabei erzeugt wurde, wurden gesellschaftliche (Lebens)Verhältnisse reflektiert und Strukturen infrage gestellt (vgl. Kohoutek, Kamleithner 2006:32; vgl. Reijndorp 2013:137f.). Temporalität kann hierbei nicht nur an einem Ort, sondern auch an einen Verwendungszweck wie ein kulturelles Projekt oder eine Veranstaltung gebunden sein, die sich konträr zu vielen Beispielen in der hegemonialen Kulturpraxis als temporärer Raum konstituieren (vgl. Temel 2006:64f.; vgl. Lang 2015:184). Doch wie hat sich dieser Paradigmenwechsel der öffentlichen Raumnutzung stadtplanerisch, kulturpolitisch und gesellschaftlich entwickelt?
Öffentliche Räume in der Stadt sind seit jeher Metaräume mit fließenden Grenzen, die einem ständigen Prozess der Aushandlung und Aneignung unterliegen (vgl. Haydn 2006:72). Jedoch gehen mit diesen Prozessen oft Mechanismen der ungleichen Machtverteilung, Verdrängung und Ausgrenzung einher. Dies geschah auch, als während der Entwicklung des Wirtschaftssektors Innenstädte modernisiert und die Bevölkerung in die Vororte gedrängt wurde. Aus Protest an diesem Planungskonzept formierte sich eine Bewegung, die städtisch geprägten Lebensweisen und -räumen wieder mehr Bedeutung zuschrieb. Die Energien dieser Bewegung haben wiederum Stadtplaner*innen aufgegriffen und strategisch für eine Revitalisierung der Städte genutzt. Auf diese Weise sollte die Attraktivität von Städten für vor allem Zuzugsinteressierte und Tourist*innen gesteigert werden (vgl. Reijndorp 2013:132; vgl. Richards, Palmer 2010:3). Eine entscheidende Maßnahme war hierbei auch die Aufstockung von Kulturangeboten, wobei diese aber in erster Linie, wie andere urbane Versammlungsorte, dem kommerzialisierten Konsum und der Unterhaltung ausgerichtet waren (vgl. Reijndorp 2013:133; vgl. Hoppe 2019:36). Durch Slogans wie „Die kreative Stadt” und „Die innovative Stadt” wurden Kreativität, Kunst und kulturelle Praxis zum Kapital der Stadtentwicklungspolitik und wesentlichen Bestandteil der Stadterneuerung (vgl. Reijndorp 2013:132ff.; vgl. Bingel 2019:15). Diese Entwicklungen begünstigten die Entstehung einer alternativen, freien Kulturszene.
Während die städtisch verwaltete Kulturbranche als städtische Revitalisierungsmaßnahme aufgewertet wurde, ließen sich freie Kunst- und Kulturschaffende in oft heruntergekommenen Gegenden oder leerstehenden öffentlichen Orten nieder, wo sie unabhängige und selbstorganisierte Räume der Kunst und Kultur schufen (vgl. Büttner 2013:140). In den neu entstandenen kulturellen Mittelpunkten sollte es nicht nur um die Produktion und den Konsum von Kunst, sondern auch um den Kontakt mit den Stadtbewohner*innen und der Auseinandersetzung mit ihrer sozialen Situation und ihren Bedürfnissen gehen (vgl. ebd.:145f.). Aber auch für die kulturelle Bedeutungsproduktion haben alternative Formen von Öffentlichkeit einen hohen Stellenwert, da sie „eine Zwischenzone zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte” (Lang 2015:87) darstellen. Durch den emanzipatorischen Prozess der räumlichen Aneignung erschloss sich die Bevölkerung lebenswerte Bedingungen in der Stadt (vgl. Drews o.D.). Henri Lefebvre beschrieb diese Aneignungsprozesse als transformativ, bei denen zivile Aktivität, Freiheit und Teilhabe bedeutsam sind (vgl. Lefebvre 1968:125f.; siehe: Angela Dreßler/Stefanie Kiwi Menrath „In Bewegung setzen – Ethnographie im Feld des Urbanen Lernens”). Die Stadt wurde kulturell und politisch dezentralisiert und es entstanden neue Nachbarschafts- bzw. soziokulturelle Zentren, die die öffentliche Kultur belebten und Perspektiven und Optionen der Lebensrealität in der Stadt anboten. Selbstbestimmtheit und -organisation in der kunstschaffenden Praxis sowie auf programmatischer Ebene zeichnen soziokulturelle Zentren aus (vgl. Heinrichs 1999:156f.). Die neuen öffentlichen Räume ermöglichten, was an anderen Orten in der Stadt schwieriger wurde: eine Begegnung auf Augenhöhe, der niedrigschwellige Austausch zwischen Menschengruppen mit unterschiedlichen Hintergründen und das Nachgehen eines kulturellen Interesses, das nicht (nur) auf Konsum ausgerichtet war. Josef Kirchner schrieb zur kulturorientierten Nutzung von leeren Räumen:
„Aus dem physischen Raum wird dabei auch ein sozialer, häufig mit eigenen, meist partizipativen Strukturen. Durch das soziale Handeln im Raum bekommt dieser eine gesellschaftliche Bedeutung über den monetären Wert hinaus. Dies drückt sich auch in den hauptsächlichen Nutzergruppen von Freiräumen aus: Neben der aktuell stark umworbenen Kreativindustrie sind es vor allem soziale Randgruppen und nicht auf Profit ausgerichtete kulturelle Einrichtungen, die ein hohes Bedürfnis nach Raum haben, aber am normalen Mietmarkt keine Chance haben.” (Kirchner o.D.)
Trotzdem können sich diese Räume oft nicht vollkommen von institutionellen Strukturen lösen, da sie beispielsweise finanziell von Fördergeldern und den Kommunen abhängig sind (vgl. Heinrichs 1999:156f.). Des Weiteren hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die kulturelle Nutzung von urbanen Räumen die Quartiere aufwertet, was nicht lange von Investor*innen unbeachtet blieb. Die kulturelle Nutzung von öffentlichen Räumen wird deshalb zunehmend für kommerzielle Zwecke und die Wertsteigerung von Grundstücken genutzt, womit wiederum die Ziele und Absichten der damaligen Protestbewegung untergraben werden (vgl. Büttner 2013:149f.; vgl. Kirchner o.D.). Durch ihre Rolle im Gentrifizierungsprozess, die Anbindung an große und etablierte Institutionen und ihre Stellung und Funktionalität für die Stadtplanung hat die freie Kulturszene allerdings auch großen Einfluss auf die Mitgestaltung urbanen Lebens (vgl. Büttner 2013:149). Sie sind Instrument und Faktor der städtischen Kulturpolitik, die versucht, ihr Image und ihre Identität über die in der Stadt vorhandene kulturelle Praxis zu definieren (vgl. Richards, Palmer 2010:310). Wie zu erkennen ist, befinden sich die Instanzen der Stadtentwicklungsplanung und die freie Kulturszene in einer Wechselbeziehung, in der stetig über den öffentlichen Raum und den darin stattfindenden Kulturbetrieb verhandelt wird.
(Ladenprojekte als) third places
Anna Babka und Gerald Posselt beschreiben Dritte Räume – im Vorwort zu Homi K. Bhabhas „Über kulturelle Identität” – als Räume der Kritik und Transformation, in denen Menschen verschiedener Hintergründe unter der Aufhebung hierarchischer Machtkonstrukte zusammenkommen und wo Neues entstehen kann (vgl. Babka, Posselt 2012:11). Ray Oldenburg versteht third places als informell konstituiert, da es keine formellen Ausschlusskriterien, wie Mitgliedschaften, gibt. Seiner Auffassung nach sind sie für diejenigen öffentlich, die sie betreten wollen (vgl. Oldenburg 1999:14ff.,24). Wie für Babka und Posselt entziehen sich auch für Oldenburg third places gesellschaftlicher Machtstrukturen – es wird sich auf neutralem Boden begegnet und sich in ihm selbstbestimmt fortbewegt (vgl. Oldenburg 1999:22): „Third places exist on neutral ground and serve to level their guests to a condition of social equality” (Oldenburg 1999:42). Machtstrukturen werden seiner Meinung nach vor allem in den zwei anderen räumlichen Kategorien konstruiert, die er neben den third places beschreibt: den domestischen und den produktiven Räumen. Erstere umfassen Räumlichkeiten der Familie, Wohngemeinschaften o.ä. – Orte, die wir Zuhause nennen. Zweitere sind auf den Arbeitsplatz bezogen bzw. auf den Ort, an dem nach kapitalistischem Verständnis Lohnarbeit verrichtet wird (vgl. Oldenburg 1999:14f.). Je nachdem, was die Stellung einer Person in diesen räumlichen Gefügen ist, verfügt sie über eine Rolle und Aufgaben in der Gesellschaft (vgl. Oldenburg 1999:22ff.). Diese Zuschreibungen sowie individuelle Konflikte werden beim Betreten von third places abgelegt. Im Vordergrund stehen Anerkennung und Teilhabe sowie Bedürfnisse der Erholung, Freude und Unterhaltung in Gesellschaft (vgl. Oldenburg 1999:25,37f.). Oldenburg beschreibt diese Charakteristika der Transformation und des sozialen Ausgleichs als „universal and essential to a vital informal public life” (Oldenburg 1999:42).
Third places charakterisiert außerdem, dass sie zeit- und ortsunabhängig immer erreichbar sind. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob der Ort alleine oder in einer Gruppe betreten wird (vgl. Oldenburg 1999:32). Auch Bernhard Hoppe bemerkt: „Wenn sich die Third Places in den Alltag der Bevölkerung problemlos einfügen sollen, setzt dies eine gute Erreichbarkeit und einen niederschwelligen und einen serviceorientierten Zugang voraus” (Hoppe 2019:37). Dabei müssen sie sich teilweise an die Gewohnheiten und Bedürfnisse der Menschen anpassen. Gleichzeitig sollten sie sich aber nicht zu sehr nach ihnen richten, da third places den Ausbruch aus alltäglichen Routinen bewirken sollen (vgl. ebd.). Im Gegensatz zu den vielen öffentlichen Räumen in der Stadt, die zum kommerzialisierten Konsum anregen, sind Aktivitäten in third places größtenteils unstrukturiert und ungeplant (vgl. Oldenburg 1999:33). Auch die Architektur und Ausstattung der Räume sind eher einfach gehalten, um keine Machtstrukturen zu repräsentieren und ein bestimmtes Verhalten im Raum zu suggerieren. Dies beinhaltet, dass sie nicht nur einem Zweck hin ausgerichtet und gebaut sein sollten, da so die Bewegung und das Verhalten im Raum vorgegeben werden (vgl. Oldenburg 1999:36).
In urban strukturierten und kapitalistisch geprägten Lebensräumen verlieren zwischenmenschliche Momente zunehmend an Wert. Oldenburg hebt eben diese Bedürfnisse nach Gemeinschaft als bedeutungsvoll hervor und sagt, dass öffentliche und neutrale Orte, die die Kriterien der third places erfüllen, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt entscheidend sind, da in ihnen ein offener und regelmäßiger Austausch ermöglicht wird (vgl. Oldenburg 1999:23,33,48f.). Der gemeinschaftliche Austausch und soziale Anknüpfungsoptionen in der Nachbarschaft – öffentlich zugänglich für alle, die daran interessiert sind – sind auch zentrale Anliegen von Ladenprojekten. Individuelle Hintergründe fallen weder in Ladenprojekten, noch in third places ins Gewicht. Ihre oft auf gemeinschaftlicher Praxis beruhenden Struktur lässt nicht nur Raum für Teilhabe, Partizipation und Improvisation – diese Prinzipien begünstigen eine hierarchieflache Projektorganisation, in der Machtstrukturen kritisch betrachtet und aufgelöst werden sollen. Jede*r ist eingeladen, sich einzubringen und den Raum mitzugestalten. Genau diese offene und niedrigschwellige Haltung macht Ladenprojekte und third places für eine Stadt und die dort lebenden Menschen bedeutsam. Es liegt kein Fokus auf einem bestimmten Zweck: Ladenprojekte sind meistens interdisziplinär aufgestellt und verfügen über ein vielseitiges Programm und unterschiedlich ausgerichtete Kollaborationen. Darüber hinaus bedienen Ladenprojekte meiner Meinung nach nicht nur die dritte Ebene von Oldenburgs Räumen, sondern können marginalisierten und in Prekarität geratene Menschengruppen teilweise als Wohnort und vielen Kreativschaffenden als Arbeitsplatz dienen. Es ist vieles möglich – im Zentrum stehen aber vor allem die Lebensbedingungen der Stadtbewohner*innen und ihre Bedürfnisse, die oft in alltäglichen Routinen, im schnelllebigen Stadtgeschehen und bei Stadtentwicklungsprozessen vergessen werden. Third places sowie Ladenprojekte sind Räume der Kritik an Verhältnissen, z.B. an der urbanen Raumverteilung oder der etablierten Kulturbranche. In den Dritten Räumen werden bestehende Bedingungen aufgegriffen und in ihrer Praxis sowie durch ihr Bestehen zu einer neuen Öffentlichkeit transformiert. Sie zeigen, wie Umstände sein könnten und sind somit für gesellschaftliche und politische Veränderungsprozesse relevant. Diese Möglichkeiten, Kritik üben zu können, Alternativen zu bieten und Lebensbedingungen zu diskutieren, sind für eine demokratische (Stadt)Gesellschaft essentiell.
In der Praxis: ‚No Service’ in der Fuge
Um die Frage zu beantworten, wie Prozesse der Planung und Durchführung einer Performance in einem Ladenprojekt gestaltet sind, führte ich Expert*innen-Interviews mit einem Mitglied der Fuge, Henry, und einer Performerin, Mohini. Im Folgenden werde ich zentrale Aussagen der Interviews zusammenfassen und sie mit Bezug zum vorherigen Teil und meinen Beobachtungen als Mitglied der Produktion von ‚No Service’ interpretieren.
Henry erzählte von der Entstehung des Ladenprojektes, das sich über die Zeit von einem gemeinsamen Bauprojekt hin zu einem kulturell und künstlerisch genutzten Raum entwickelt hat. Durch diese Aussage wird deutlich, dass sich das Ladenprojekt organisch entwickelt hat, anstatt in eine vorher festgelegte Struktur hinein. Außerdem gab er Einblicke in interne Projektstrukturen, wie, dass es neben der wöchentlichen Plena längere Treffen gibt, in denen u.a. jede*r für einen Monat das Programm gestaltet und verschiedene Programmvorstellungen ausgetauscht werden. Es scheint, als wären in dem Projekt Entscheidungs- und Organisationsprozesse demokratisch strukturiert. Die gleichberechtigten Beteiligungsstrukturen wirken sich auch auf die Zusammenarbeit mit externen Kollektiven aus. Mohini berichtete, dass die Organisation der Performance in Absprache mit der Fuge sehr unkompliziert war und sie als Team viele organisatorische Freiheiten hatten, beispielsweise die Requisiten lange zu lagern.
Die Niedrigschwelligkeit in der organisatorischen Partizipation und Kommunikation ist auch ein Anliegen des Ladenprojektes, um verschiedene Klientels zusammenzubringen und als Publikum eine breite Masse an Menschen erreichen zu wollen, die nicht nur künstlerisch-kulturell interessiert sind. Ladenprojekte sind wegen der günstigen Mieten und verfügbaren Flächen oft in weniger gentrifizierten Gegenden angesiedelt, in denen zumeist auch der Anteil marginalisierter oder Menschengruppen mit geringen Einkommen höher ist. Durch die Rolle der Ladenprojekte als Nachbarschaftszentren scheint das Erreichen des Anliegens einfach zu sein.
In der Realität scheint es jedoch anders zu sein: Henry kritisierte, dass Ladenprojekte generell immer noch von einem sehr kleinen und homogenen Teil der Viertel- und Stadtbewohner*innen besucht werden, bestehend aus eher jungen Leuten und Studierenden aus eher alternativen Kreisen. In diesem Fall scheinen Ladenprojekte verglichen mit etablierten Kultureinrichtungen ein ähnliches Problem zu haben. Dieses Verhältnis muss im Projektmanagement berücksichtigt werden – beispielsweise sollte die Öffentlichkeitsarbeit in der Hinsicht überdacht werden, wo und wie Veranstaltungen beworben werden. Auch der Zugang zum Ladenprojekt, der für eine Performance als Veranstaltungsraum fungiert, muss niedrigschwellig und für alle einladend gestaltet sein, da sie oft elitär und dadurch abschreckend wirken können. Ein Problem, das Henry hinsichtlich der Öffentlichkeitsarbeit angesprochen hat, ist die Situation von Ladenprojekten, die sich oft in legalen Grauzonen befinden. Meistens sind es Lizenzen oder Sicherheitsmaßnahmen, die fehlen, und eine Durchführung von frei zugänglichen Veranstaltungen und öffentliche Werbung behindern. Beworben wird, wie im Fall der Fuge, über private Kanäle, womit nur Menschen aus bestimmten Kreisen erreicht werden, die über eine bestimmte App, ein Gerät (z.B. Smartphone) und den Einladungslink zum Kanal verfügen. Entgegen dem Anspruch von third places, ohne formale Kriterien zugänglich zu sein, sind am Beispiel der Fuge Ausschlussmechanismen vorhanden, die den Zugang zu Kulturveranstaltungen und die räumliche Teilhabe und Mitgestaltung einschränken. Es gibt im übertragenen Sinn Mitgliedschaften, die auf digitaler Ebene abgeschlossen werden. Henry fordert, dass Gemeinden solche Ladenprojekte fördern sollten, anstatt ihnen die Legalität zu nehmen, um sie auf langer Sicht mehrheitsfähiger zu gestalten. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, bis dahin die Bedürfnisse von Ladenprojekten, in dem Fall der nicht-öffentlichen Bewerbung von Veranstaltungen, in der Veranstaltungsplanung zu berücksichtigen.
Die Fuge wird derzeit nur durch private Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert, was eine von institutionellen Vorgaben unabhängige Tätigkeit gestattet. Fördergelder von Stadt- oder Kulturbüros werden noch nicht gebraucht, was sich aber laut Henry in naher Zukunft ändern könnte. Die geringe finanzielle Unterstützung ermöglicht nicht dieselbe technische Ausstattung wie in kommunalen Veranstaltungsräumen. Auch Mohini bemerkte, dass die dürftige technische Ausstattung und die kleine Raumgröße nachteilig für die Performance waren. Wer also eine Aufführung in einem unabhängigen Raum plant, sollte damit rechnen, dass technische Geräte und Equipment sowie Bühnenrequisiten selbst organisiert werden müssen. Dafür kann die Verankerung der Ladenprojekte im Viertel und der Stadt allgemein meiner Meinung nach wieder von Vorteil sein, da auf Netzwerke mit anderen Ladenprojekten und Unterstützer*innen zugegriffen werden kann. Insbesondere die institutionelle Unabhängigkeit und der niedrige Grad an Professionalität bieten in künstlerischer und planerischer Hinsicht Gestaltungsfreiheit bzw. -freiraum.
Fazit
Wer eine Performance für ein Ladenprojekt anstelle eines etablierten Theaterhauses plant, wird sich anderen Herausforderungen und Aufgaben stellen müssen. Eine öffentliche Werbung für Kulturveranstaltungen kann aufgrund legaler Hindernisse wie fehlende Lizenzen schwierig sein. Zudem gibt es eine begrenzte technische Ausstattung und Auswahl an Requisiten, weshalb für deren Besorgung und Installation mehr Zeit eingeplant werden muss. Ein Paradox ist: Die Besucher*innen von Ladenprojekten bestehen zumeist aus kunstinteressierten jungen Menschen und Studierenden, obwohl diese Orte vornehmlich ein heterogenes und vielfältiges Publikum ansprechen wollen. Um das zu ändern, muss man eigene Wege finden.
Von Vorteil sind jedoch die weitestgehend institutionelle Unabhängigkeit, künstlerischen und planerischen Gestaltungsfreiräume und die demokratischen, internen Kommunikationsstrukturen sowie externen Kollaborationen, in denen Machtstrukturen bewusst reflektiert und beseitigt werden (können). Zusätzlich verfügen Ladenprojekte durch ihren urbanen Standort sowie den Verbindungen zu anderen Ladenprojekten und zur Nachbarschaft über ein gutes, lokales Netzwerk, das für das Projektmanagement nützlich sein könnte. Um die Korrelation zwischen den besonderen Gegebenheiten des Projektmanagements und Ladenprojekten zu verstehen, muss der urbane Kontext mitgedacht werden.
Third places und Ladenprojekte sind Orte, die nicht nur Bedürfnisse der Unterhaltung, Erholung und Teilhabe stillen und einen sozialen Ausgleich bieten, sondern auch unkompliziert Menschen mit ähnlichen Interessen zusammenbringen. Für kulturelle Projekte bedeutet das eine Möglichkeit, losgelöst von der hegemonialen Kulturwirtschaft mit künstlerischen Mitteln und Methoden zu experimentieren, Kritik zu äußern und Freiheit ohne festgelegte Normen auszuleben. Als Treffpunkt und geteilter Arbeitsort für Kreativschaffende kann eine Gemeinschaft entstehen, die gegenseitig als Inspirationsquelle dient. Gegenüber der third places können Ladenprojekte für Kreativschaffende also auch die produktive Dimension von Räumen abdecken, d.h. künstlerischer Spiel- und Experimentierraum sein.
Ladenprojekte nehmen in der Stadt eine besondere Rolle ein, da sie Anschluss an strukturell wenig erschlossene und marginalisierte Nachbarschaften und ihren Bewohner*innen bieten (können). Es können Zugänge zu Menschengruppen eröffnet werden, die in etablierten Kultureinrichtungen eher unterrepräsentiert sind, bewusst oder unbewusst ausgeschlossen werden. Dennoch existieren weiterhin Barrieren, die Zugang und Teilhabe an diesen Räumen beschränken. Ladenprojekte sind also gegenüber third places bestimmten Ausschluss- und Machtmechanismen ausgeliefert, die es zu identifizieren und beheben gilt.
Durch niedrigschwellige Planungs- und Kommunikationsstrukturen werden neue Formen der Zusammenarbeit etabliert, die auch für den gesellschaftlichen Wandel wichtig sein können. Für die Entwicklung der Städte, ob kulturell oder bezogen auf die Bevölkerungsstruktur und -wachstum, ist es essentiell, dass verschiedene Stimmen und Bedürfnisse berücksichtigt werden.
Ladenprojekte haben sich anfangs aus Protest zu etablierten Kultureinrichtungen und der Stadtentwicklungspolitik konstituiert und machen durch ihre Existenz auf soziale Missstände in der Stadt und der Gesellschaft aufmerksam. Eine Zusammenarbeit mit solchen Räumen auf Projektebene würde also bedeuten, ihnen und von ihnen angestoßenen Diskursen mehr Bedeutsamkeit und Sichtbarkeit einzuräumen und somit Entwicklungsprozesse im Viertel oder vielleicht sogar in der Stadt zu beeinflussen. Ich sehe die Bedeutung und Funktion von Ladenprojekten in der Stadt und die Zusammenarbeit mit ihnen als eine Option, Werte kultureller und gesellschaftlicher Vielfalt an Besucher*innen zu vermitteln. Zudem kann mittels der Ladenprojekte erreicht werden, die Nachbarschaft zu vernetzen, Mitgestaltungsmöglichkeiten zu bieten und den Austausch zu fördern.
Weiterführend wäre es interessant und wichtig zu untersuchen, welche Maßnahmen zu ergreifen wären, die das Spektrum der Besucher*innen und Nutzer*innen von Ladenprojekten vielfältiger gestalten. Dieser Diskurs kann aber nicht alleine oder losgelöst, sondern muss gemeinsam mit der Legitimität von solchen Räumen geführt werden.