Kulturstatistiken und Kulturberichte in der Kulturellen Bildung
Es gibt einfachere Aufgaben als die Orientierung im Feld der Kulturellen Bildung, geht es doch um nicht weniger als um Kunst, Kultur und Ästhetik im Kontext von Bildung, Pädagogik und sozialer Arbeit. Dieser Eindruck des Labyrinthischen, der sich bei theoretischen Verortungen aufdrängt (vgl. Zacharias 2001:91), setzt sich fort, wenn man die Praxis der Kulturellen Bildung betrachtet. Kulturelle Bildung geschieht auf der Basis öffentlicher Förderung und privaten Engagements, sie findet statt in Einrichtungen der Länder und Kommunen ebenso wie bei kommerziellen Anbietern. Zu den Institutionen wiederum gehören unter anderem Theater, Museen, Musik- und Kunstschulen sowie Ganztagsschulen. Und auch die Zielgruppen sind sehr vielfältig und umfassen z.B. Kinder, Jugendliche, MigrantInnen sowie SeniorInnen. Entsprechend komplex gestaltet sich das Vorhaben, Kulturelle Bildung aus einer Makroperspektive heraus in quantifizierbaren Dimensionen und Beziehungen zu erfassen, zu dokumentieren und Entwicklungen über längere Zeiträume über sogenannte Monitorings zu analysieren. Ausgehend von Hinweisen zur Relevanz des Themas sollen im Folgenden zentrale Statistiken und Berichte in Kultur- und Bildungskontexten vorgestellt werden.
Kulturstatistiken und Kulturberichte als Voraussetzung für strategisches Handeln
Kulturelle Bildung hat in den letzten Jahren einen enormen Bedeutungsgewinn erfahren. Fristete sie lange Zeit ein zwar überaus aktives, kulturpolitisch gleichwohl eher randständiges Dasein in einer angebots- und institutionsorientierten Kulturlandschaft, so avanciert sie aufgrund vieler Problemlagen in Kultur und Bildung – als Stichworte seien hier z.B. der demografische Wandel (siehe Karl Ermert „Demografischer Wandel und Kulturelle Bildung in Deutschland“), die Ergebnisse der PISA-Studien oder die soziale Schere genannt – zum zentralen Hoffnungsträger. Um mit diesen Problemlagen angemessen umgehen zu können, bedarf es vor allem Informationen über bisherige Entwicklungen und die aktuelle Situation der Kulturellen Bildung. Nur auf der Basis verlässlicher Daten über laufende Aktivitäten, bestehende Rahmenbedingungen und Infrastrukturen, vorhandene Ressourcen sowie erschlossene Zielgruppen lassen sich Erreichtes, aber auch Defizite ermitteln, um in einem nächsten Schritt eindeutige Ziele für die Zukunft zu entwickeln. Kulturstatistiken und -berichte sind hierbei eine wichtige Grundlage, darüber hinaus helfen sie – im Falle einer regelmäßigen Fortschreibung in Form von Monitorings – dabei, die Zielerreichung kontinuierlich zu überprüfen bzw. frühzeitig Fehlentwicklungen zu erkennen (siehe Tobias Fink „Evaluationen im Feld der Kulturellen Bildung“).
Versuch eines Überblicks
Die einleitend beschriebene Vielfalt an Kontexten, in denen Kulturelle Bildung stattfindet, geht einher mit einer großen Anzahl an öffentlichen Statistiken und Berichten sowie Verbandserhebungen. Diese erfassen zum einen allgemein die Entwicklungen in der deutschen Kultur- und Bildungslandschaft, zum anderen gehen sie mitunter spezifischen Fragestellungen nach, ohne dabei aber immer die Situation der Kulturellen Bildung explizit zu analysieren. Im Folgenden wird zunächst eine Auswahl an Statistiken bzw. Berichten zu allgemeinen Entwicklungen der Kulturlandschaft vorgestellt. Sodann wird ein Überblick über zentrale Erhebungen von Verbänden sowie zu speziellen Fragestellungen in Bezug auf die Kulturelle Bildung gegeben.
Einen Überblick über die öffentliche Förderung von Kultur in Deutschland vermittelt der jährliche Kulturfinanzbericht der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (2010:14). Hier finden sich im Wesentlichen Informationen zur Entwicklung der allgemeinen Haushaltsmittel für den Kulturbereich, zur Verteilung der Kulturausgaben auf Bund, Länder und Gemeinden sowie zur Verteilung der Mittel auf die diversen Sparten. Kulturelle Bildung wird jedoch keiner eigenen Betrachtung unterzogen. Anders ist dies bei den Kulturberichten der Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur 2011; Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen 2010). Beide Berichte widmen sich ebenfalls umfassend der allgemeinen Landeskulturförderung, gehen darüber hinaus aber auch explizit auf die Ziele und die aktuelle Fördersituation der Kulturellen Bildung ein.
Da sich die genannten Berichte auf das Förderengagement beschränken, liefern sie keine Informationen zur Kulturnutzung und zum Kulturinteresse in der Bevölkerung. Repräsentative Informationen zur Kulturnachfrage sind insbesondere zu finden bei den KulturBarometern des Zentrums für Kulturforschung (z.B. Keuchel 2012b). Mit Blick auf die Kulturnutzung und die Interessen von Jugendlichen und Kindern kann außerdem auf die regelmäßig erscheinenden Shell-Jugendstudien (Shell Deutschland 2010) sowie auf die Studie „Kinder in Deutschland 2010“ (World Vision Deutschland e.V. 2010) hingewiesen werden. Der Vollständigkeit halber erwähnt seien zudem die Kinder- und Jugendberichte des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ 2009) sowie die Berichte zur Bildung in Deutschland (siehe Mariana Grgic/Thomas Rauschenbach „Kulturelle Bildung im Horizont der Bildungsberichterstattung des Bundes“), bei denen Kulturelle Bildung jedoch kaum eine nennenswerte Rolle spielt.
Auch wenn die bisher dargestellten Kulturberichte und -statistiken vielfältige Informationen liefern, ist doch zu problematisieren, dass Rahmenbedingungen, Angebote, Finanzierung und Nutzung getrennt voneinander erhoben und nicht aufeinander bezogen werden (vgl. Glogner-Pilz 2011). Eine wichtige Ausnahme ist hier der Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ (Deutscher Bundestag 2007), der auch ein ausführliches Kapitel zur Kulturellen Bildung in Deutschland enthält. Abhilfe schafft ferner – zumindest für einen ersten Gesamtüberblick – das Statistische Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland (2011a). Hier sind zum einen für Theater, Bibliotheken, Museen und Musikschulen die Anzahl an Institutionen, Spielstätten, Ausstellungen und Kursen zu finden, zum anderen werden die Besuche, Kursanmeldungen, Ausleihen etc. gezählt.
Für vertiefende Informationen können folgende, regelmäßige Statistiken und Berichte empfohlen werden:
>> Theaterstatistik: Deutschland, Österreich, Schweiz (zuletzt: Deutscher Bühnenverein 2011)
>> Statistische Gesamterhebung an den Museen der Bundesrepublik Deutschland 2009 (zuletzt: Institut für Museumsforschung 2011)
>> Bericht zur Lage der Bibliotheken des Deutschen Bibliotheksverbands (zuletzt: dbv 2011)
>> Jahresbericht des Verbandes deutscher Musikschulen (zuletzt: VdM 2010a)
>> Zudem gibt es beispielsweise Einzelerhebungen zur Situation Soziokultureller Zentren (Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. 2011) und Jugendkunstschulen (Bundesverband der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen e.V. (bkje) 2010) oder zu spezifischen Themenfeldern wie Kultur und Schule der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ 2011f).
Ausschließlich der Kulturellen Bildung und hiermit verbundener Spezialfragen widmen sich sehr umfassend und differenziert folgende Erhebungen:
>> Lernorte oder Kulturtempel: Ziel dieser Infrastrukturerhebung ist eine systematische Bestandsaufnahme von Aktivitäten der klassischen Kultureinrichtungen (Theater, Orchester, Musiktheater, Museen und Bibliotheken) im Bereich Kultureller Bildung. „Im Fokus standen neben strukturellen und inhaltlichen Merkmalen die Zahl der außerhalb des regulären Programms im Rahmen von Bildungsangeboten erreichten Besucher“ (Keuchel/Weil 2010:5).
>> mapping//kulturellebildung: Die Studie setzt sich zum einen „eine Kartographierung der kulturellen Bildung zum Ziel: Welche Akteure sind an kulturellen Bildungsprozessen für Kinder und Jugendliche auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene beteiligt?“ (Keuchel 2011b:49). Zum anderen soll auf explorativem Weg die kulturelle Bildungsarbeit quantitativ vermessen werden, z.B. in Bezug auf finanzielle Partner, Zielgruppen, Sparten oder Personal (vgl. Keuchel 2011b:49).
>> Arts Education Monitoring System: „Ziel des AEMS Projekts ist es, nachhaltig eine Struktur in Europa zu implementieren, die die Erfassung nationaler Daten zu den Beschäftigten im Sektor der kulturellen Bildung zulässt und auf europäischer Ebene einen Datenaustausch ermöglicht. Nachhaltig soll dies den Sektor in seiner Entwicklung unterstützen und ihn transparent darstellen“ (EDUCULT 2011a).
Schluss
Es wurde deutlich, dass Kulturelle Bildung über viele Jahre nur ein Randdasein in den zentralen Kulturstatistiken und -berichten geführt hat. Umso erfreulicher sind die abschließend aufgeführten Projekte zur breiten und differenzierten Bestandsaufnahme des Feldes. Nur mit Hilfe regelmäßig und zuverlässig erhobener Daten ist es möglich, den Aufbau von Programmen und Infrastrukturen aktiv zu steuern: zum einen, um systematisch Leerstellen zu füllen, zum anderen aber auch, um Fehlentwicklungen zu korrigieren bzw. die – ohnehin immer knapperen – Ressourcen zielgerichtet einzusetzen und damit die Voraussetzungen für eine breitere kulturelle Teilhabe schaffen zu können.