Kulturkarten für Jugendliche können mehr! Ein Plädoyer für vielschichtige Modelle kultureller Teilhabeförderung
Abstract
Von 2021 bis 2023 fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Jugend-Budgets der Jugendstrategie der Bundesregierung Modellvorhaben, die erproben, wie Zugänge zu kulturellen Angeboten und Einrichtungen für Jugendliche auf lokaler Ebene erleichtert werden und wie kulturelle Angebote von jungen Menschen mitgestaltet sowie ihre Teilhabe und Mitbestimmung an Kultur nachhaltig gesichert werden können. Dieser Beitrag fasst zentrale Ergebnisse der Expertise „KulturKarten als Weg zu mehr Teilhabe?“ (Kelb 2022) zusammen und lotet Möglichkeiten und Grenzen solcher Instrumente aus, um kulturelle Teilhabemöglichkeiten zu verbessern. Die im Rahmen der Expertise erarbeiteten Gelingensbedingungen und Herausforderungen von Kulturkarten werden explizit auf die Zielgruppe von Jugendlichen bezogen. In seiner jugendpolitischen Perspektive stellt der Beitrag mögliche Wege zur beteiligungsorientierten Umsetzung von Kulturkarten vor Ort dar und plädiert dafür, Kulturkarten-Modellen mit Maßnahmen zur Teilhabeförderung zu koppeln, die über finanzielle Barrieren hinaus auch weitere Dimensionen von Benachteiligung intersektional in den Blick nehmen. Kulturkarten, die i. d. R. kulturpolitisch verankert sind, können – ganz im Sinne von Jugendpolitik als Querschnittspolitik – Kulturpolitik anregen, einen jugendpolitischen Beitrag zu leisten.
Einleitung
Ob Pass, Karte oder App: Das Jahr 2023 scheint der geeignete Zeitpunkt zu sein, um die Möglichkeiten und Grenzen von Kulturkarten-Modellen fachlich auszuloten und praktisch weiterzuentwickeln. Nicht nur, aber auch weil die Bundesregierung mit der Einführung des KulturPasses für 18-Jährige auf ein „Gutschein-Modell“ setzt, brauchen wir eine kritisch-konstruktive Perspektive auf Instrumente, die kulturelle Teilhabemöglichkeiten für junge Menschen durch Preiserlasse verbessern wollen.
Der folgende Text enthält zentrale Ergebnisse aus der Expertise „KulturKarten als Weg zu mehr Teilhabe?“ (Kelb 2022), die Ende 2022 von der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) herausgegeben wurde. Die im Rahmen der Expertise erarbeiteten Gelingensbedingungen und Herausforderungen von Kulturkarten werden im Folgenden explizit auf die Zielgruppe von Jugendlichen bezogen.
Zudem stellt der Beitrag mögliche Wege zur beteiligungsorientierten Umsetzung von Kulturkarten vor Ort dar und fasst Gelingensbedingungen von Kulturkarten für Jugendliche zusammen. Dies geschieht auf Grundlage der analysierten Praxisbeispiele aus der genannten Expertise sowie aus den Praxiserfahrungen von vier Modellvorhaben, die im Rahmen des BKJ-Projekts „KulturKarte: Gemeinsam Zugänge für junge Menschen öffnen“ unterschiedliche Kulturkarten-Modelle beteiligungsorientiert umgesetzt haben (BKJ 2022). Da dieses Projekt als Teil des Jugend-Budgets des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in die Jugendstrategie der Bundesregierung eingebettet war, verfolgte die BKJ mit der Durchführung des Projekts, mit der Expertise, den begleitenden Denkwerkstätten bzw. Workshops und mit diesem Beitrag eine dezidiert jugendpolitische Perspektive. Kulturkarten, die i. d. R. kulturpolitisch verankert sind, können – ganz im Sinne von Jugendpolitik als Querschnittspolitik – Kulturpolitik anregen, einen jugendpolitischen Beitrag zu leisten. Zugleich kann damit der aktuell im Prozess befindliche Nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung um ein kulturpolitisches Instrument bereichert werden.
Abschließend plädiert der Artikel für die Kopplung von Kulturkarten-Modellen mit Maßnahmen zur Teilhabeförderung, die über finanzielle Barrieren hinaus auch weitere Dimensionen von Benachteiligung intersektional in den Blick nehmen. „Die resümierende Empfehlung lautet, kulturelle Teilhabeförderung beteiligungsorientiert zu konzipieren und „holistische“ Kulturkartenkonzepte umzusetzen.“ (Viola Kelb)
Aktuelle Modelle in Deutschland: Einige lokal etablierte Kulturkarten und ein bundesweiter „KulturPass“
Als Instrument zur Förderung von Zugängen zu Kulturangeboten sind Kulturkarten in Deutschland mancherorts bereits etabliert. In der Regel adressieren sie Menschen mit geringem Einkommen und bieten Ermäßigungen oder kostenlose Eintritte zu kulturellen Veranstaltungen und Einrichtungen wie Museen, Theatern, Konzerten und anderen kulturellen Angeboten. Dazu gibt es bereits in Städten und Regionen Kooperationen von Kommunen und sozialen Trägern für Kulturkarten, die von verschiedenen Organisationen, Institutionen und Einrichtungen herausgegeben werden. Dies zeigt insbesondere die Liste der Mitglieder der „Bundesvereinigung Kulturelle Teilhabe“. 2008 wurde der erste Verein mit dem Namen „Kultur für Alle e. V.“ in Frankfurt am Main durch den Musikproduzenten Götz Wörner gegründet, zahlreiche gleichnamige Vereine gründeten sich nach diesem Beispiel in weiteren Städten wie Osnabrück, Stuttgart und Nürtingen (Wikipedia 2022).
Mittels telefonischer Vermittlung von kostenlosen Eintrittskarten verfolgen auch die „Kulturlogen“ seit 2010 das Ziel der Verbesserung kultureller Teilhabe. Die im Rahmen der „Kultur für alle-Bewegung“ entstandenen Kulturkarten nehmen als Zielgruppe überwiegend Erwachsene mit geringem Einkommen in den Blick. Für Kinder und Jugendliche spielen Kulturkarten bisher eine untergeordnete Rolle. In einigen Städten wurden jedoch für jüngere Zielgruppen eigene Instrumente entwickelt, wie zum Beispiel in Frankfurt am Main, Berlin, Stuttgart oder Hamburg. Bisher fokussieren Kulturkarten vor allem die Rezeption von Kulturangeboten wie Theatervorstellungen, Konzerte, Museen oder Lesungen. Dementsprechend sind Kulturkarten für die Förderung von aktiver Teilnahme an kulturellen Bildungsangeboten wenig verbreitet. Als gutes Beispiel sei hier das Projekt „kultur AKTIV!“ von KAOS e. V. in Osnabrück genannt, das die Möglichkeit der aktiven Teilnahme an kulturellen Angeboten wie zum Beispiel Chören, Tanzgruppen oder Musikunterricht bietet (KAOS o. J.).
Insgesamt hat sich bundesweit eine vielfältige lokale Kulturkarten-Praxis etabliert, die überwiegend aus lokalen Initiativen entstanden ist und unterschiedlichste Lösungsansätze für die Herausforderung der kulturellen Teilhabegerechtigkeit entwickelt hat. Mit der geplanten Einführung des bundesweiten „KulturPass“ für 18-jährige Jugendliche ab 2023 rückt ein Modell nun junge Zielgruppen stärker in den Fokus (Bundesregierung: 2022). Und damit nimmt auch die Debatte um Möglichkeiten und Grenzen von Kulturkarten bzw. -pässen für die Förderung von kultureller Teilhabe junger Menschen deutlich an Fahrt auf.
Nach dem Vorbild anderer europäischer Länder führt die Staatsministerin für Kultur und Medien einen bundesweiten „KulturPass“ ein. Unter der Überschrift „200 Euro Guthaben für Platten, Kino oder Museum“ etabliert die Bundesregierung eine digitale Plattform (App und Website), über die alle Jugendlichen, die im Jahr 2023 18 Jahre alt werden, ein Guthaben in Höhe von 200 Euro für Kulturangebote einlösen können. Mit der Förderung in Höhe von 100 Millionen Euro sollen etwa 750.000 Jugendliche erreicht werden. Zum geplanten Kulturangebot heißt es von Seiten der Bundesregierung: „Auf der Plattform können sich Kulturanbieter registrieren und dort beispielsweise Konzerte, Theater- und Kinovorstellungen anbieten. Auch Eintrittskarten für Museen oder Ausstellungen sowie Bücher oder Vinylplatten sollen zum Angebot gehören. Die Registrierung ist beschränkt auf lokale Kulturanbieter. Große Verkaufsplattformen und Online-Versandhändler sind ausgeschlossen“ (ebd. 2022). Bei der Entwicklung und Umsetzung dient der Bundesregierung vor allem das französische Modell als Vorbild.
Parallel zu dieser bundesweiten Initiative setzen die Städte Berlin und Stuttgart eigene Gutschein-Modelle um:
- In Berlin erhalten rund 218.000 Jugendliche zwischen 18 und 23 Jahren bis Ende April 2023 jeweils 50 Euro für Vergünstigungen an Kulturorten wie Museen, Kinos oder Theatern. Nach einer Online-Registrierung erhalten Jugendliche die Kulturkarten in einer der zahlreichen Berliner Stadtbibliotheken (berlin.de 2023).
- In Stuttgart erhalten ab dem Jahr 2023 alle Jugendlichen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, zum Geburtstag einen Kulturpass im Wert von 100 Euro. Auch hier kann die Summe innerhalb von zwei Jahren für Kulturtickets zum Beispiel in Museen, Theatern, für Konzerte, Kino oder auch für Sachmittel wie Bücher eingesetzt werden. Konzeption und Einführung erfolgen unter enger Beteiligung von Jugendlichen (Landeshauptstadt Stuttgart o.J.). Einzelne Ergebnisse – kurz kommentiert
Von der Zukunft aus gedacht: Die Vision der kulturellen Teilhabe für junge Menschen
Die bestehende Kulturkarten-Praxis in Deutschland stellt sich also aktuell eher als Flickenteppich aus unterschiedlichsten, nicht aufeinander abgestimmten oder aufeinander aufbauenden Modellen von Kulturkarten dar. Deshalb drängt sich einmal mehr die Wirksamkeit dieser Instrumente auf. Angenommen, im ganzen Land gäbe es flächendeckend Kulturkarten für alle Kinder und Jugendliche (nicht nur für 18-Jährige), die kostenfreie Zugänge zu Kunst- und Kulturangeboten ermöglichen: Wäre die Vision „Kultur für alle Kinder und Jugendlichen“ damit umgesetzt?
Die Antwort auf diese hypothetische Frage lautet nach eingehender Betrachtung der bereits realisierten Modelle: „Nein“. Selbst wenn wir uns mit der Zielrichtung zunächst auf rezeptive kulturelle Teilhabe beschränken, wird diese allein durch Preisreduzierungen oder Erlasse nicht gelingen. Warum ist das so?
Fest steht zwar, dass sozioökonomische Barrieren für viele Menschen in Deutschland eine wichtige Rolle spielen. Denn Kulturangebote sind zumeist schlichtweg zu teuer – sowohl kommerzielle, als auch sozio- oder hochkulturelle Angebote. Kulturkarten, die einen ermäßigten oder kostenfreien Eintritt zu Kulturveranstaltungen ermöglichen, fokussieren deshalb diese ökonomischen Barrieren ganz gezielt. In Anbetracht der Tatsache, dass mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut aufwächst (vgl. Bertelsmann Stiftung 2021: 1), eine naheliegende Strategie.
Jedoch reicht die Herabsenkung finanzieller Barrieren als alleinige Maßnahme nicht aus, um mehr Zugänge zu schaffen und zur Nutzung dieser Angebote zu motivieren. So weist Max Fuchs (2014) darauf hin, „dass im Hinblick auf eine kulturelle Teilhabe aller Menschen der Preis eine zwar wichtige, aber nicht allein entscheidende Rolle spielt. Denn man hat in anderen Ländern, zum Beispiel in England, den Niederlanden und in skandinavischen Ländern, die Erfahrung gemacht, dass bei einem Wegfall von Eintrittspreisen zwar die Anzahl der Besucher vergrößert wird, es kommen allerdings auch dann nur die Besucher aus derselben Gruppe der Bevölkerung. Das heißt, man braucht weitere Anstrengungen und weitere Ideen, um über den Kreis der traditionellen Kulturbesucher hinauszukommen“ (ebd. 2014: 20).
Tatsächlich existieren in vielen öffentlichen Kulturhäusern wie Museen, Bibliotheken oder Theatern bereits Vergünstigungen für Kinder und Jugendliche, teilweise entfällt der Eintritt bis zu einer bestimmten Altersgrenze komplett. Trotzdem gehören von Armut betroffene Menschen nicht zu der gängigen Klientel dieser Kulturhäuser. Die Nichtbesucherforschung zeigt, dass Preiserlasse vor allem mehr Gelegenheitsbesucher*innen anlocken, weniger jedoch die sogenannten „Nie-BesucherInnen” (Renz 2016). In Bezug auf diese Zielgruppe schließt demzufolge die Frage an, inwiefern die Information über die Preisreduzierungen bzw. -erlasse überhaupt bei Familien und jungen Menschen ankommen bzw. diese zur Nutzung motivieren, die zur Kategorie der „Nie-BesucherInnen” gehören.
Laut Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss (2022: 9) setzt kulturelle Teilhabe „ein grundsätzliches Interesse, eine Informiertheit und ein Grundverständnis über die Angebote sowie letztlich dann den tatsächlichen Besuch von kulturellen und sozialen Veranstaltungen voraus”. Alle genannten Voraussetzungen hängen eng mit dem Bildungsgrad einer Person zusammen, die wiederum unmittelbar mit ökonomischen Bedingungen verbunden ist. Voraussetzungen bzw. Barrieren für kulturelle Teilhabe sind intersektional miteinander verwoben und können kaum getrennt voneinander reflektiert werden. Soziologisch lässt sich dieses Phänomen der Mehrdimensionalität von mangelnden Zugängen zu Bildung und Kultur mit der Habitus-Theorie nach Pierre Bourdieu (1987) begründen. Bourdieu stellt einen engen Zusammenhang zwischen kultureller Praxis und Distinktion her, indem er Abgrenzungsmechanismen und die permanente Reproduktion von „feinen Unterschieden” (1987) beschreibt. Die Gründe für fortbestehende soziale Ungleichheiten und die Aufrechterhaltung von „Klassen” auch in der heutigen Gesellschaft begründet er, über den fehlenden Zugang zu ökonomischen Ressourcen hinaus, in mangelnden Zugängen zu „kulturellem, sozialem und symbolischem Kapital” (Bourdieu 1983: 2ff). Der Bildungsbericht 2020 zeigte die Verschärfung der Bildungsungerechtigkeit in Deutschland, auch in Folge der Corona-Pandemie, auf. Die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen entwickeln sich immer noch in starker Abhängigkeit von sozialen und regionalen Ungleichheiten (Autorengruppe Berichterstattung 2020: 22). So verwundert es nicht, dass die Nicht-Besucherforschung der „Barriere Bildung” den größten Einfluss auf kulturelles Interesse zumisst. Studien zufolge verfügen „formal bildungsferne Menschen auch über wenig Wissen bezüglich der Rahmenbedingungen und des Ablaufs von Kulturveranstaltungen. Die Motivation zum Besuch kultureller Veranstaltungen entsteht am ehesten in Kindheit und Jugend, wobei die Hinführung zu Kunst und Kultur durch die Eltern nachhaltigere Konsequenzen auf das Kulturinteresse hat als die Aktivitäten der Schulen (Mandel 2008: 28, Keuchel 2012)“ (Renz 2016).
Der sozioökonomische Status sowie der Bildungshintergrund stellen also zwei grundlegende Barrieren in Bezug auf kulturelle Teilhabemöglichkeiten dar. Sie bedingen einander und sind intersektional verwoben. Mangelndes kulturelles und soziales Kapital in Verbindung mit strukturellen Hürden und damit einhergehenden Mängeln an Informationen und gesellschaftlicher Teilhabe insgesamt erschweren kulturelle Teilhabe massiv. Darüber hinaus bringen auch die Kulturangebote Barrieren mit sich, wie zum Beispiel die mangelnde Repräsentanz vieler kultureller Ausdrucksformen und Werke aus anderen Ländern und Kulturen (Stichwort: Eurozentrismus) oder auch bauliche und Vermittlungshürden, die insbesondere für Menschen mit körperlichen Einschränkungen Hürden darstellen.
- Die Vielfältigkeit und die Verschränkung von unterschiedlichsten Barrieren sollte bei der Konzipierung von Kulturkarten unbedingt in den Blick genommen werden.
- Eine eindimensionale Fokussierung auf finanzielle Barrieren wird das Ziel kultureller Teilhabe nicht umfassend einlösen können.
- Vielmehr sollten Kulturkarten so konzipiert bzw. mit weiteren Maßnahmen verknüpft sein, dass sie an den vielschichtigen Ursachen von Benachteiligung anknüpfen.
10 Thesen zu Kulturkarten als Instrument für mehr Teilhabe
Die folgenden Thesen sind im Rahmen der Expertise „KulturKarten als Weg zu mehr Teilhabe?“ (Kelb 2022) entstanden und beziehen sich auf die Teilhabeförderung insbesondere jugendlicher Zielgruppen. Sie zeigen auf, wie das Instrument mit erweiterten konzeptionellen Ansätzen, über rein finanzielle Unterstützung hinaus, umfassendere Wirkungen entfalten kann.
Kulturkarten als rein monetäre Unterstützung eignen sich für Zielgruppen, die über wenig finanzielles, wohl aber über kulturelles Kapital verfügen
Die Analyse des Münchener Jugendprogramms von KulturRaum München e. V. zeigt deutlich, dass eine kulturinteressierte jugendliche Zielgruppe erreicht wird, die sich in ihrer aktuellen Lebensphase hohe Eintritte nicht leisten kann. Dies trifft vor allem auf junge Freiwillige und Student*innen zu. Eine Zielgruppe also, die in dieser Lebensphase über kaum finanzielles, wohl aber über kulturelles Kapital verfügt. Die Kulturkarte stellt für diese Zielgruppe also eine gelungene Unterstützungsmöglichkeit dar. Gleichzeitig wird die Grenze des Instruments deutlich, solange es ausschließlich auf die Überwindung der finanziellen Barrieren abzielt.
Kulturkarten sind ein geeignetes Instrument für Jugendliche, weil diese Lebensphase überwiegend von mangelnden finanziellen Ressourcen geprägt ist
In den überwiegenden Biografien ist die jugendliche Lebensphase durch knappe finanzielle Ressourcen geprägt. Schule, Ausbildung oder Studium lassen eine finanzielle Unabhängigkeit noch kaum zu – obwohl es gerade im Jugendalter als Lebensphase darum geht, Autonomie zu erlangen. Daher scheint es mit Blick auf jugendliche Zielgruppen sinnvoll, die finanziellen Barrieren für Kulturangebote gezielt herabzusenken. Hier liegt ein starkes Argument für Modelle wie den „Kultur-Pass“, die jenseits von Einkommensgrenzen oder anderen Zugangsfaktoren „alle Jugendlichen“ adressieren. Dies forderten auch die Jugendlichen im Rahmen eines BMFSFJ-Hackathons, in dessen Rahmen sie sich für ein Projekt mit dem Titel „Deine Culture-Card − Ein Pass für jeden Anlass.“ entschieden (BMFSFJ 2021). Denn Instrumente, die „allen“ zur Verfügung stehen, laufen weniger Gefahr, Stigmatisierungen zu reproduzieren und sind zudem niederschwelliger zugänglich.
Mit „erweiterten Kulturkarten-Konzepten“ können die Zielgruppen ausgeweitet werden
Wie die Nicht-Besucherforschung aufzeigt (Renz 2016), eignen sich Preisreduzierungen oder -erlasse nicht dafür, die Gruppe der sogenannten „Nie-BesucherInnen” zu erreichen. Das heißt, um mit Kulturkarten-Initiativen wirklich neue Zielgruppen für die Kultureinrichtungen zu erschließen, sind Konzepte notwendig, die auch weitere Barrieren in den Blick nehmen, allen voran die Barriere „Bildung“. Wie es gelingen kann, durch erweiterte Kulturkarten-Konzepte Hürden zu überwinden, die nach der Theorie Pierre Bourdieus (Bourdieu 1983: 2ff) mit mangelndem kulturellem und sozialem Kapital zusammenhängen, haben die einzelnen Kulturkarten-Beispiele deutlich gezeigt (Kelb 2022). So erweisen sich aufsuchende Modelle als sinnvoll, innerhalb der Stadtteile gezielt Zielgruppen zu adressieren. Das „Kulturlotsen“-Modell in Osnabrück (KAOS e. V. o. J. b) setzt auf persönlichen Kontakt zwischen Kulturkarteninhaber*innen und ehrenamtlichen Scouts, die diese zu Kulturveranstaltungen begleiten und damit helfen, Hemmschwellen zu überwinden.
Der persönliche Kontakt von Ehrenamtlichen und Fachkräften zur Zielgruppe kann Hürden abbauen
Die Osnabrücker Kulturlotsen könnte beispielsweise als konzeptionelle Antwort auf diese Erkenntnis gelesen werden. Denn Hürden wie Bürokratie, Scham und Stigma scheinen den aktiven Gebrauch der Kulturkarten häufig zu verhindern, insbesondere wenn sie auf Kultureinrichtungen und dortige -veranstaltungen zielen. Diese Hürden, insbesondere die „Hürde des ersten Besuchs“, können vor allem im Rahmen persönlicher Begleitung überwunden werden. Auch die Tatsache, dass in einigen Städten rege ehrenamtliche Vereinsarbeit rund um Kulturkarten existiert, obwohl es in den meisten Städten Teilhabe-Pässe gibt (Sozialkarten o. Ä.), die bereits Preisreduzierungen für Kulturangebote beinhalten, könnte diese These stützen. Der persönliche Kontakt der Ehrenamtlichen zur Zielgruppe macht zudem Interessenlagen, Bedarfe und Sorgen der Menschen transparent. Dadurch können die Angebote bedarfsgerecht weiterentwickelt werden.
Elternarbeit ist besonders wichtig, um „Nie-Besucher*innen-Kinder“ zu erreichen
Der Bildungshintergrund der Eltern gilt als stärkster Faktor für das kulturelle Interesse von Kindern und Jugendlichen (Renz 2016). Deshalb sollten Kulturkarten-Konzepte, die jüngere Zielgruppen adressieren, einen Fokus auf Elternarbeit setzen. Und dies betrifft nicht ausschließlich die Kommunikationsstrategie. Insbesondere sollten alle Akteure, die auf kulturelle Teilhabe von Kindern abzielen, Familienbildung konzeptionell stärker integrieren. Wenn es gelingt, über die Kulturkarten positive Kulturerfahrungen zu ermöglichen und so mehr kulturelles Interesse bei Eltern zu wecken, dann könnte dieser Weg langfristig auch bei den Kindern zum Ziel führen.
Kommerzielle Angebote können Brücken zu „Nie-Besucher*innen“ schlagen
Die Vertreter*innen der untersuchten Kulturkarten-Initiativen aus München und Osnabrück begründen ihren Erfolg unter anderem damit, dass sie ein sehr breites Kulturangebot vorhalten. Auch die Jugendlichen des BMFSFJ-Hackathons legen Wert auf ein breites Kulturangebot, das zum Beispiel Technofestivals und Pop- und Rockkonzerte einschließt. Insbesondere für die erstmalige Nutzung einer Kulturkarte scheinen sich kommerzielle Angebote wie Kinobesuche oder eine Zaubershow in der Olympiahalle besonders zu eignen. Das Frankfurter „KUFTI“ (Stadt Frankfurt am Main o. J.) erhöht seine Attraktivität durch den freien Eintritt in den Zoo und zieht damit viele Teilnehmer*innen an. In Anbetracht dieser Erfahrungen scheint es ratsam, die Grenzen zwischen strukturiertem Kulturangebot und Freizeit sowie zwischen „Hochkultur“, „Breitenkultur“ und „Kommerz“ aufzuweichen und das Angebot möglichst interessenorientiert und vielfältig zusammenzustellen.
Kulturkarten könnten sich durch mehr Beteiligung junger Menschen stärker an deren Interessen ausrichten
Alle hier vorgestellten Modelle weisen durch die Zusammenarbeit mit Sozialpartnern und die starke lokale Expertise der Träger und Kommunen eine hohe Kenntnis der Lebenslagen ihrer Adressat*innen auf. Dennoch gibt es in der Entwicklung, Implementierung und Umsetzung der Kulturkarten keine systematischen Befragungen junger Menschen nach ihren (kulturellen) Interessen und keine weitergehenden Beteiligungsformate, die es ermöglichen, die Reichweite und Wirksamkeit der Kulturkarten zu erhöhen. Die Träger der Kulturkarten schaffen ein Angebot, das die vorhandenen Kulturstrukturen und -angebote nutzt und sichtbar, zum Teil auch zugänglich macht. Dahinter scheint die Annahme zu stehen, dass diese für alle jungen Menschen attraktiv sind. Die Öffentlichkeitsarbeit für die Kulturkarten ist darauf ausgerichtet, dieses Angebot bekannter zu machen. Die Expertise von Jugendlichen bezüglich ihrer Bedarfe findet wenig Raum – nicht zuletzt aufgrund mangelnder Ressourcen.
Kulturkarten eignen sich auch für aktive kulturelle Bildungsangebote
In Bezug auf das Handlungsfeld der Kulturellen Bildung stellt sich die Frage, inwieweit sich Kulturkarten auch für die aktive Teilhabe an kulturellen Prozessen eignen. Denn die regelmäßige Teilnahme an außerschulischen kulturellen Bildungsangeboten ist häufig mit monatlichen Kosten verbunden, die für Adressat*innen in sozioökonomischen Risikolagen hoch sind, und grenzt damit einkommensschwache Zielgruppen aus. Das Osnabrücker „Kultur AKTIV!“-Programm (KAOS o. J.a), das die kostenfreie Teilnahme an Angeboten wie der Kunst- und Musikschule ermöglicht, stellt in diesem Zusammenhang ein Good-Practice-Modell für ein „erweitertes Kulturkartenkonzept“ dar. Das schwerpunktmäßig rezeptive Kulturangebot wird durch aktive Kulturelle Bildung erweitert und steht damit für ein besonders holistisches Konzept der kulturellen Teilhabe.
Die Kommune kann ihre Verantwortung für kulturelle Teilhabe auch durch die Unterstützung von Kulturkarten umsetzen
Stadtverwaltungen können Kulturkarten als Träger zahlreicher Kultureinrichtungen auf kurzem Wege selbst umsetzen und damit einen wichtigen Beitrag für mehr kulturelle Teilhabe leisten. Aber auch wenn die Kulturkarten von freien Vereinen getragen werden, ist es wichtig, dass die Kommune ideell und finanziell unterstützt. So kann die Kommune, wie etwa in Frankfurt am Main, die erlassenen Eintrittsgelder an die Kulturveranstalter erstatten. Auch kann sie die Vereinsarbeit finanziell unterstützen. Zudem sollte die Kommune in der Zusammenführung von Kulturanbietern und Sozialpartnern eine vernetzende und moderierende Rolle einnehmen.
Kulturkarten befördern die Vernetzung von Kultur- und Sozialpartnern
Die Zusammenarbeit mit Anlaufstellen aus dem Sozialbereich stellt eine wichtige Gelingensbedingung für Kulturkarten dar. Zum einen werden die Kulturkarten in einigen Kommunen von Einrichtungen wie Sozialämtern ausgestellt und vermittelt, weil diese in unmittelbarem Kontakt zur avisierten Zielgruppe stehen und auch die Kontrolle über Bedingungen wie Einkommensgrenzen haben. Zum anderen werden Institutionen wie Essensausgaben und soziale Beratungsstellen als Ort genutzt, um für Kulturkarten-Angebote zu werben. Soziale Einrichtungen sind für Kulturkarten also unerlässliche Kooperationspartner, um die Zielgruppe zu erreichen. Deshalb können Kulturkarten als Motor für die Weiterentwicklung von Netzwerken für kulturelle Teilhabe in Kommunen betrachtet werden.
Beteiligungsformate für Kulturkarten von und mit Jugendlichen
Die Frage, wie hoch das Interesse an kultureller Teilhabe in Form von Rezeption institutionell organisierter Kulturangebote ist bzw. wie es geweckt werden kann, bleibt wenig beforscht und deshalb schwer zu beantworten. Laut einer Studie des Rates für Kulturelle Bildung (2015: 14) geben etwa 27 Prozent der Jugendlichen an, kein besonderes Kulturinteresse zu haben. Als Gründe nennen sie, Kultur sei langweilig, wenig spannend und nicht altersgemäß. Hinzu kommt, dass lokale Kulturangebote wie Museen oder Theater in der heutigen digitalen Welt in Konkurrenz zu einer Vielzahl von digitalen Unterhaltungsmöglichkeiten wie Online-Spielen, sozialen Medien und Streaming-Diensten stehen. Wie kann es also gelingen, das Interesse von Kindern und Jugendlichen für die Kulturangebote ihrer Stadt oder Region zu steigern?
Die naheliegende Antwort lautet, diese gemeinsam mit ihnen interessengerichtet zu entwickeln und auszugestalten. Wenn Jugendliche aktiv in kulturelle Aktivitäten einbezogen werden und eine Möglichkeit haben, ihre eigenen Ideen und Meinungen einzubringen, steigt ihr Interesse und ihre Motivation für die Kulturaktivitäten. Eine aktive Rolle in der Gestaltung und Planung von kulturellen Aktivitäten führt oft zu einem stärkeren Engagement und einer höheren Identifikation. Grundsätzlich lassen sich die aus der Jugendarbeit bekannten, gängigen Qualitätsstandards für Jugendbeteiligung (BMFSFJ/DBJR 2022) auf die Entwicklung und Umsetzung von Kulturkarten und dazugehörige Begleitformate anwenden.
An dieser Schnittstelle setzte auch das bundesweite Projekt „KulturKarte: Gemeinsam Zugänge für junge Menschen öffnen“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2022) an. An vier Standorten wurden Modellvorhaben umgesetzt, die Zugänge zu kulturellen Angeboten und Einrichtungen für Jugendliche auf lokaler Ebene erleichtert sollten.
Aus den Modellstandorten dieses Projektes sowie der in der Expertise (Kelb 2022) analysierten Fallbeispiele lassen sich einige Formate ableiten, die förderlich für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen von Kulturkarten-Formaten sind:
Jugendliche in die Planung und Durchführung von kulturellen Veranstaltungen einbeziehen
Wenn Zielgruppen von Anfang an in die Planung und Umsetzung von kulturellen Veranstaltungen einbezogen werden, können ihre Interessen und Bedürfnisse bestmöglich Berücksichtigung finden. So wurde in Stuttgart ein jugendliches „Kulturpass-Team“ bestehend aus 24 Jugendlichen für die Entwicklung des Kulturpasses eingerichtet. Auch die Kooperation mit lokalen Beteiligungsstrukturen wie Jugendbeiräten oder die Durchführung von Zukunftswerkstätten, Beteiligungsworkshops oder Barcamps bieten geeignete Partizipationsmöglichkeiten.
Transparenz zu Angebotsvielfalt herstellen
Kulturelle Teilhabe kann auch an mangelndem Informationsgrad der Zielgruppen scheitern. So erinnert sich Katrin Hinze von der Koordinierungsstelle „Engagierte Stadt“ Dessau-Roßlau, dass ihr einer der Jugendlichen im Rahmen des BKJ-Modellvorhabens (2022) auf die Frage, warum denn bisher das Angebot nicht genutzt würde, antwortete: „Ich dachte, das Bauhaus sei nur für Touristen“. Offensichtlich mangelt es an zielgerichteter Kommunikation von Möglichkeiten, die prägende lokale Kulturorte für junge Menschen potenziell bereithalten. Auch werde die Sprache der Kulturanbietenden häufig als unverständlich empfunden, so eine Workshopteilnehmerin. In Dessau diente ein Aktionstag im Stadtpark als Auftakt des Modellprojektes zunächst dazu, Kulturangebote bekannter und im Sozialraum erlebbar zu machen.
Identifikation über die gemeinsame Entwicklung von Wort- und Bildmarken schaffen
In Dessau wurde auch das Logo für das Label gemeinsam mit Jugendlichen entwickelt. Die Aussage, „das Wort Bildung turnt uns ab“, war in diesem Zusammenhang der Anlass, auch die Wortmarke gemeinsam neu zu kreieren. Entwickelt wurde das Label „CoolTour“, das Kulturhäusern zukünftig als Erkennungsmerkmal an die Eingangstür gehaftet wird. Der gemeinsame Entwicklungsprozess schaffte bei der kleinen Gruppe an beteiligten Jugendlichen einen hohen Grad an Identifikation und trug dazu bei, dass diese das Instrument als Multiplikator*innen in ihre Peergruppen hineingetragen haben.
Nutzung von digitalen Medien
Digitale Räume stellen wichtige Ressourcen dar, um Jugendliche zu erreichen und für kulturelle Angebote zu begeistern. Vor allem Social-Media-Kanäle und Chat-Gruppen eignen sich hier. So kommuniziert Kulturraum München im Rahmen der Kulturkick-Klubkarte mit den Jugendlichen über eine interne WhatsApp-Gruppe (Kelb:2022: 31).
Online-Workshops oder virtuelle Ausstellungen können für Kultureinrichtungen gute Möglichkeiten darstellen, Jugendliche in die Konzeption und Umsetzung von Angeboten einzubeziehen und die ihnen vertrauten Plattformen so für kreativen Ausdruck zu nutzen.
Jugendbefragungen und Testings durchführen
Vor der Konzeptionsphase lohnen sich Zielgruppen-Befragungen, die Interesse und Bedarfe systematisch abfragen. Ob über Online-Formulare oder im persönlichen Gespräch, ob standardisiert oder informell und spontan, grundsätzlich gilt: Alle Varianten sind besser als gar kein Austausch mit der Zielgruppe. Auch Testing-Phasen und Feedbackschleifen zu ersten Konzept- oder Produktideen sind eine gute Möglichkeit zu prüfen, ob die geplanten Maßnahmen auf das Interesse der anvisierten Zielgruppe stoßen.
Formate für Perspektivwechsel finden
Im Rahmen der Entwicklung des „Kulturpasses Stuttgart“ erstellten Jugendliche einen Bewerbungsbogen für Kultureinrichtungen, über den sich diese als „Akzeptanz-Ort“ für den Kulturpass bewerben konnten. Über diesen „Rollenwechsel“ wurden die Erwartungen, Ideen und Wünsche der Jugendliche an die Kultureinrichtungen weitergegeben.
Peer-Orientierung als Ausgangspunkt nehmen
„Aber ich möchte nicht alleine dahingehen!“ – dieser Satz aus jugendlichem Munde wurde im Expertenworkshop mehrfach zitiert. Die soziale Dimension von kultureller Teilhabe spielt nicht nur für junge Menschen eine entscheidende Rolle. Frei nach dem Motto: Wo meine Clique hingeht fühle auch ich mich wohl“ spielt insbesondere in der jugendlichen Lebensphase Peer-Bezug eine erhebliche Rolle. Hat eine Gruppe sich einen Raum erstmal angeeignet weitet sich der Kreis schnell aus. Für Kulturorte sollte es also auch darum gehen, Raum für Begegnungen und soziales Miteinander zu kreieren.
Gelingensbedingungen für Kulturkarten und ein besonderer Ausblick auf den „KulturPass“
Für Kulturkarten, die sich an jugendliche Zielgruppen richten, lassen sich zusammenfassend folgende Gelingensbedingungen ableiten:
Gelingensbedingungen von Kulturkarten für Jugendliche
Kulturkarten fördern kulturelle Teilhabe von Kindern und Jugendlichen besonders gut, wenn sie:
- von und mit Jugendlichen beteiligungsorientiert entwickelt und umgesetzt werden,
- ein breites Spektrum an kulturellen Angeboten von „Popkonzerten über Klassik bis Gaming“ bieten,
- konzeptionell nicht ausschließlich finanzielle, sondern auch weitere Barrieren, allen voran Bildungsbenachteiligung, in den Blick nehmensowohl rezeptive als auch aktive Teilhabe an kulturellen Angeboten fördern,
- Begegnungen ermöglichen und Gruppen wie Peers und Familien einbeziehen,
- angemessen finanziell ausgestattet sind
- im Sinne guter Vernetzung lokal verortet und
- kommunalpolitisch unterstützt sind.
Bezug zum KulturPass der Bundesregierung
Was bedeuten die gewonnenen Erkenntnisse zu Gelingensbedingungen von Kulturkarten nun mit Blick auf den KulturPass der Bundesregierung (2022), der 2023 allen 18-jährigen Jugendlichen ein Kulturguthaben im Wert von 200 Euro zur Verfügung stellt?
Der neue KulturPass erfüllt eine zentrale Forderung, die Jugendliche im Rahmen eines BMFSFJ-Hackathons 2021 bereits formuliert hatten: „Vielfalt, Teilhabe und Gemeinschaft. Kultur für dich überall. Ein Pass für jeden Anlass.“ (BMFSFJ 2021) und knüpft, über das Alter hinaus, keine weiteren Bedingungen an die Teilnahme wie zum Beispiel Einkommensgrenzen oder Wohnort. Damit vermeidet das Modell stigmatisierende Nachweisverfahren, die in Verbindung mit der Inanspruchnahme von öffentlichen Unterstützungsmaßnahmen häufig als beschämend und ausgrenzend empfunden werden (Kelb 2022: 37). Der KulturPass ermöglicht einer Kohorte, die im Zuge der pandemiebedingten Lockdowns im Teenager-Alter kaum Möglichkeiten zu kultureller Teilhabe und sozialem Miteinander hatte, erleichterte Zugänge zu ausgewählten Kulturangeboten.
Ein weiterer Vorteil des KulturPass-Modells ist die selbstbestimmte und freie Verwendung des Kultur-Budgets. Interessenorientierung und Wahlfreiheit als wichtige kulturpädagogische Grundprinzipien (BKJ o.J.) scheinen damit gegeben. Der Deutsche Bundesjugendring bezeichnet dieses Modell sogar als „partizipative Umsetzung, durch die die jungen Menschen selbst entscheiden können, wofür sie ihr KulturPass-Guthaben in Höhe von 200€ einsetzen“ (DBJR 2022). Eine entsprechende Evaluation, wofür dieses Guthaben genutzt wird, ließe Rückschlüsse auf weitere Implementierungs- und Unterstützungsmaßnahmen zu.
Inwiefern sich diese Entscheidungsfreiheit im konkreten Fall entfalten kann, steht und fällt mit der Kommunikation, Breite und Attraktivität des zur Verfügung stehenden Angebots. Je vielfältiger die Auswahl an kulturellen Angeboten, desto größer ist auch die Chance, dass das Budget interessenorientiert genutzt werden kann.
In diesem Zusammenhang stellt die 19-jährige Charlotte Zinke, die seit September 2022 als Bundesfreiwilligendienstleistende im Kulturbüro der Stadt Wuppertal arbeitet, in ihrem Blogbeitrag zum KulturPass die entscheidende Frage:
„Was braucht es, damit die Jugendlichen mit ihrem neuen Kultur-Pass-Budget die lokalen Kulturangebote nutzen?“ (Zinke 2023).
Grundvoraussetzung für eine rege Teilnahme an lokalen Kulturveranstaltungen wird zunächst einmal sein, dass sich unterschiedlichste Anbieter auf der KulturPass-Plattform registrieren.
Darüber hinaus wirft die oben gestellte Schlüsselfrage zu diesem Zeitpunkt (März 2023) statt konkreter Antworten eine Reihe weiterer Fragen auf:
- Welchen Beitrag können lokale Kulturakteure, Netzwerke, Initiativen leisten, damit Kultur und Jugend gut zusammenkommen? Welche Rolle können die Kommunen dabei spielen?
- Welche Formate können dazu beitragen, dass die Jugendlichen den KulturPass und seine Möglichkeiten kennenlernen?
- Was macht die auf der Plattform angebotenen Kulturangebote für Jugendliche attraktiv?
- Inwiefern können Kulturanbieter Jugendliche einbeziehen, um KulturPass-Angebote interessenorientiert zu entwickeln?
- Welche Begleitformate könnten rund um den KulturPass konzipiert werden, die neben Finanzen weitere Barrieren senken?
- Wie kann es gelingen, nachhaltig zu wirken und im Sinne der „Magie des ersten Besuchs“ Lust auf mehr zu machen, auch auf aktive Kulturelle Bildung?
Wünschenswert wäre, dass der KulturPass mit weiteren Maßnahmen der Bundesregierung, wie der Jugendstrategie oder dem Nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung, verbunden wird, damit es zu einer gegenseitigen Befruchtung von diesen Diskursräumen und Umsetzungsstrategien kommt.
Wie oben beschrieben, existieren bereits zahlreiche gelungene Beispiele dazu, wie Kulturkarten mit weiteren teilhabefördernden Formaten verknüpft werden können. Vor allem Beteiligungsmodelle öffnen Wege zu mehr Teilhabe und unterstützen auch die Kulturanbieter, sich zielgruppenorientiert zu entwickeln. Es lohnt sich also, bestehende Kulturkarten zu holistischen Fördermodellen zu erweitern und mit Beteiligungsformaten zu verknüpfen. Und für alle zukünftigen Kulturkarten-Modelle sollte es zum Standard werden, Jugendliche bereits an der Konzeption zu beteiligen.
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