Mit Kultureller Bildung durch die Krise
Abstract
Kinder haben das Recht auf Ruhe und Freizeit, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben. Seit über 30 Jahren ist es nun eine festgeschriebene Aufgabe der internationalen Vertragsstaaten und damit der Gesellschaft weltweit, barrierefreie kulturelle und künstlerische Spielräume für Kinder und Jugendliche zu schaffen – vor allem in Krisensituationen. Kulturelle Bildung trägt dabei einen wertvollen Teil zu einer gesunden Entwicklung und vielseitigen Resilienz junger Menschen bei. Sie bietet experimentelle Freiräume und fördert darin den selbstbestimmten Umgang mit individuellen und globalen Krisenereignissen. Kulturelle Spiel- und Erfahrungsräume unterstützen Kinder und Jugendliche dabei, in Krisensituationen psychisch und seelisch stabil zu bleiben. Denn je früher sie ihren rechtlich begründeten und barrierefreien Zugang zu Kultureller Bildung erhalten und in kulturell-kreativen Tätigkeiten Selbstwirksamkeit erfahren, umso mehr sorgt die dabei entstehende persönliche und gesellschaftliche Resilienz für einen selbstbewussten und bereichernden Umgang mit Krisen.
Kulturelle Bildung als globaler Auftrag
Kulturelle Bildung, definiert als „Persönlichkeitsbildung mit kulturellen Ausdrucksformen, mit Künsten und im Spiel“ (BKJ 2020:5), ist seit Jahren ein festgeschriebener Auftrag an alle, die Lebenswelten anderer Menschen gestalten. Angefangen bei den Jüngsten, denn Kinder haben laut dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Convention on the Rights of the Child) der Vereinten Nationen das Recht „auf Ruhe und Freizeit, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben“ (BMFSFJ 2019:23). „Seit 30 Jahren ist es nun eine festgeschriebene Aufgabe der Gesellschaft, Kindern kulturelle, künstlerische und erholsame Spielräume zu schaffen“ (Dietrich 2020a). In Nummer 4 der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen wird die Forderung einer inklusiven, gleichberechtigten und hochwertigen Bildung, was eine Voraussetzung für den Bereich der Kulturellen Bildung ist, auf ein lebenslanges Lernen für alle ausgeweitet: „Eine qualitativ hochwertige Bildung ist die Grundlage, um nachhaltige Entwicklung zu schaffen. Neben der Verbesserung der Lebensqualität kann der Zugang zu integrativer Bildung dazu beitragen, Menschen mit den notwendigen Werkzeugen auszustatten, um innovative Lösungen für die größten Probleme der Welt zu entwickeln“ (Vereinte Nationen 2015). Die UNESCO und das International Institute for Capacity Building in Africa fokussierte 2019 mit der Publikation Play & Resilience – A Toolkit for Teachers, Caregivers, and Other Stakeholders die Auswirkungen von Spiel auf die Resilienzbildung junger Menschen und beschrieb: „Play-based learning is an evidence-based and universal pathway to building resilience in children, that functions as a supportive chain of developmental processes in a universal fashion for children across the globe“ (UNESCO/IICBA 2019:15). Und die International Play Association verfasste aus den Erfahrungen mit lokalen Krisensituationen einiger Mitglieder (z.B. Japan oder Indien) schon 2017 ein Toolkit für Mitarbeitende, Führungskräfte und politische Entscheidungsträger*innen mit dem Titel Access to Play for Children in Situations of Crisis. Darin wird die Bedeutung des Spielens für Kinder – besonders in Krisensituationen – ausführlich beschrieben und für Verantwortliche auf verschiedenen Ebenen Handlungsempfehlungen formuliert (vgl. IPA 2017).
Die Tragweite qualifizierter (Kultureller) Bildungslandschaften sollte demnach schon einige Zeit im Bewusstsein der Regierungsverantwortlichen von mindestens 193 Staaten sein. Dennoch hat die globale Pandemie mit Covid-19 erschreckende Defizite in der bisherigen Umsetzung der vereinbarten Ziele vor allem im Hinblick auf Kinder und Jugendliche aufgezeigt. Dabei postulierte 2020 nicht nur das Deutsche Kinderhilfswerk, dass es besonders in Krisenzeiten wichtig ist, die Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nicht aus dem Blick zu verlieren und der Einhaltung der Kinderrechte gerade in Ausnahmesituationen höchste Priorität zu geben (vgl. DKHW 2020), sondern auch zahlreiche Verbände, Initiativen und Vereine haben weltweit in Positionspapieren auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen aufmerksam gemacht. Dabei kommt die Präsidentin des Deutschen Kulturrates zu der Erkenntnis: „Die Belange der Kinder und Jugendlichen haben in unserer Gesellschaft oft keine Stimme“ (Keuchel 2021).
Erkenntnisse aus der Krise
Die Covid-19-Pandemie stellte die Umsetzung der internationalen Vereinbarungen zur Kulturellen Bildung für Kinder und Jugendliche auf die Probe. Studien bestätigen zum Beispiel, dass junge Menschen während der Covid-19-Pandemie deutschlandweit einer erheblichen zusätzlichen psychischen Belastung ausgesetzt waren. Dabei waren Kinder mit niedrigem sozioökonomischem Status, Migrationshintergrund und begrenztem Wohnraum stärker betroffen (vgl. Ravens-Sieberer et al. 2021). „Zwei Drittel von ihnen geben eine verminderte Lebensqualität und ein geringeres psychisches Wohlbefinden an. Vor Corona war dies nur bei einem Drittel der Kinder und Jugendlichen der Fall gewesen“ (UKE 2020). Regionale Umfragen bestätigen das Ergebnis auch in der Kommune. So stellt die Zusammenfassung der 3. Online-Jugendbefragung des Stadtjugendamts München und dem Aktionsbündnis Wir sind die Zukunft fest: „Rund ein Drittel beschreibt negative Auswirkungen auf Schule und Studium, Lernen wird auf Distanz und ohne persönlichen Kontakt als schwieriger erlebt, macht weniger Spaß, erfordert viel mehr Selbstmotivation und -organisation. […] Hinzu kommen gesundheitliche Sorgen und die Konsequenzen der so lange währenden psychischen Belastung, die vielfach in Depression oder tiefer Traurigkeit mündet“ (vgl. Aktionsbündnis Wir sind die Zukunft 2021:20). Die Ergebnisse der Befragung in München klingen vergleichsweise harmlos im Vergleich zu Studienergebnissen anderer Länder. In Japan zum Beispiel stieg die Suizidrate 2020 bei Schulkindern gegenüber dem Vorjahr um 41,9% an (AsiaNews 2021).
Resilienzfaktoren und Schlüsselkompetenzen
Für Kinder und Jugendliche war und ist die Covid-19-Pandemie eine schwerwiegende Krisensituation, für die in einigen Fällen vermutlich weniger seelische Widerstandsfähigkeit im Sinne der Resilienztheorie vorhanden war. Hilfreich für den Umgang mit Krisensituationen, definiert als einmalige exogene Ereignisse, sind sogenannte Resilienzfaktoren. Resilienzfaktoren sind dabei „Eigenschaften, die das Kind in der Interaktion mit der Umwelt sowie durch die erfolgreiche Bewältigung von altersspezifischen Entwicklungsaufgaben im Verlauf erwirbt; diese Faktoren haben bei der Bewältigung von schwierigen Lebensumständen eine besondere Rolle“ (Wustmann 2021:46). Zu diesen Resilienzfaktoren zählen nach Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse:
- Selbst- und Fremdwahrnehmung
(angemessene Selbsteinschätzung und Informationsverarbeitung) - Selbstwirksamkeit(-serwartung)
(Überzeugung, Anforderung bewältigen zu können) - Selbststeuerung
(Regulation von Gefühlen und Erregung: Aktivierung oder Beruhigung) - Soziale Kompetenz
(Unterstützung holen, Selbstbehauptung, Konfliktlösung) - Problemlösefähigkeit
(allg. Strategien zur Analyse und zum Bearbeiten von Problemen) - Adaptive Bewältigungskompetenz
(Fähigkeit zur Realisierung vorhandener Kompetenzen in der Situation)
(vgl. Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2015:43).
Diese Resilienzfaktoren korrelieren unter anderem mit dem Modell der Schlüsselkompetenzen wie sie die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung für ihren Kompetenznachweis Kultur zusammengestellt hat, der seit 2005 von dafür fortgebildeten Berater*innen an tausende Jugendliche vergeben und ständig weiterentwickelt wurde (vgl. BKJ Über den KNK). Die Schlüsselkompetenzen setzen sich demnach zusammen aus:
- Selbstkompetenzen
(Selbstbewusstsein, Selbststeuerungsfähigkeit, Belastbarkeit/Durchhaltevermögen, Eigeninitiative, Entscheidungsfähigkeit und Flexibilität) - Sozialkompetenzen
(Einfühlungsvermögen, Verantwortungsbereitschaft, Teamfähigkeit/Kooperationsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Kritikfähigkeit) - Methodenkompetenzen
(Lernfähigkeit, Planungsfähigkeit, Organisationsfähigkeit, Problemlösefähigkeit, Reflexionsfähigkeit, Kontextuelles Denken, Medienkompetenz)
(vgl. Timmerberg 2006).
Durch die inhaltliche Nähe der Resilienzfaktoren zu den Schlüsselkompetenzen in der Kulturellen Bildung werden die Chancen und Potentiale Kultureller Bildungsangebote für junge Menschen deutlich. Die Verbindung stellt indirekt auch Welter-Enderlin her, wenn sie schreibt: „Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen“ (Welter-Enderlin 2016:15). Es ist also der große Wert der Kulturellen Bildung, Ressourcen für den Umgang mit Krisensituationen zu vermitteln.
Corina Wustmann stellte zum Thema Resilienz ein dreiteiliges Schutzfaktorenkonzept auf, mit sogenannten
- kindbezogenen Faktoren
(Eigenschaften, die das Kind von Geburt an aufweist), - Resilienzfaktoren
(Eigenschaften, die das Kind in der Interaktion mit seiner Umwelt erwirbt) - umgebungsbezogenen Faktoren
(Merkmale innerhalb der Familie und im weiteren sozialen Umfeld)
(vgl. Wustmann 2021:46f.).
Das bedeutet, dass sich zwei von drei Faktoren zur Ausbildung von Resilienz auf die Lebens(um)welt der Menschen beziehen. Die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen kann man grob in die Bereiche Schule und Ausbildung einerseits sowie Familie und Freizeit andererseits aufteilen. Aus der Verbindung von Resilienzfaktoren, Schlüsselkompetenzen und Schutzfaktoren erschließt sich für Ausbildungsinstitutionen, Familien- und Freizeiteinrichtungen inkl. Kinder- und Jugendhilfe die Aufgabe, in den jeweiligen Bereichen Räume, konkret Orte und Zeit, für Künste und Spiel zu schaffen, in denen sich Resilienz entwickeln kann. Denn bei „Lichte besehen sind alle Künste große Spielarrangements, mit denen wir spielerisch unsere Welt so einrichten, dass wir uns in ihr zu Hause fühlen, sie bejahen und gutheißen können, ja glücklich sind“ (vgl. Hüther/Quarch 2018:9).
Kulturelle Bildung als Realitätstraining
Gerade der spielerische Umgang mit Kunst und Kultur bietet eine Art Fahrsicherheitstraining für das Leben. Unter Rahmenbedingungen, in denen das leibliche Wohl nicht gefährdet ist, können bisherige Erfahrungen, Strukturen und Werte ins Schleudern gebracht und im wiederholenden Ausprobieren neue Fähigkeiten, Denkstrukturen oder Erwartungen ausgebildet werden. Im kreativen Schaffen von zum Beispiel Bildern, Skulpturen, Landschaften, Fotos, Filmen und Musik stellen sich die Kinder und Jugendlichen neuen Herausforderungen durch das Betreten von unbekanntem Terrain. Dank einer der Kulturellen Bildung immanenten positiven Fehlerkultur, also dem Begrüßen von vermeintlichen Fehlern als Ursprung von Lernerfahrungen oder neuen Handlungsmöglichkeiten, üben die Spielenden, Herausforderungen und Schwierigkeiten nicht zu vermeiden, sondern damit umzugehen und Entwicklungspotentiale zu erkennen. Mayrhofer und Zacharias haben schon 1973 nach der Initiative erster mobiler Spielangebote in Form von Spielbussen in München formuliert: „Spielräume ermöglichen einerseits ein größeres Maß an selbstbestimmten Handlungsansätzen, ermöglichen Probehandlungen und Erfindungen, weil ihre Realität die modellhafte Abbildung von Umwelt ist und damit dem kontrollierenden Zugriff jener Interessensgruppen, die die Verfügung über Umwelt für sich in Anspruch nehmen, etwas entzogen ist. Andererseits ist soviel an gesellschaftlicher Realität in den Spielraum einbezogen, daß die darin gewonnenen Erfahrungen übertragbar sind auf reale Lebenssituationen“ (Mayrhofer/Zacharias 1973:9).
Illustrierend seien hier die künstlerisch-kreativen Auseinandersetzungen mit Medien des Geschichtenerzählens genannt. Vom mündlichen Erzählen bis zum Spielfilmdreh werden beim Erfinden von Geschichten Wirklichkeiten simuliert, Handlungsmöglichkeiten ausgehandelt und schließlich inszeniert, dargestellt und erlebt. Klassische Strukturen spannender Erzählungen beinhalten per se ein herausforderndes Problem für die Hauptfigur, die oft eine selbstgeschaffene Identifikationsfigur für die jungen Menschen darstellt. Damit hat am Ende der Geschichte nicht selten nur der/die fiktive Protagonist*in, sondern auch der/die Künstler*in einen bereichernden Lerneffekt. Hier spielt die emotionale Komponente des Geschichtenerzählens und -erlebens eine entscheidende Rolle. Die Kenntnis über persönliche emotional-körperliche Reaktionen in Problem- oder Krisensituationen verschafft dem jungen oder erwachsenen Menschen eine gewisse Sicherheit und die Möglichkeit, sich auf sein redensartliches „Bauchgefühl“ zu verlassen. In unvorhersehbaren Krisensituationen ist schließlich Improvisation und Spontaneität gefragt. Oder in den Worten von Stephen Nachmanovitch aus Free Play – Kreativität entstehen lassen: „Die Früchte des Improvisierens, Komponierens, Schreibens, Erfindens und Entdeckens können spontan sprießen, aber sie wachsen aus dem Boden, den wir bereitet, gedüngt und gepflegt haben […]“ (vgl. Nachmanovitch 2013:196).
Spielen als lebensnotwendiger Erfahrungsraum
Vor allem in der Vorbereitung auf zukünftige kleinere oder größere, persönliche oder globale Krisen stellen kulturelle und spielerische (Bildungs)Angebote für junge Menschen einen sinnvollen oder sogar überlebenswichtigen Beitrag dar. In einem Zukunftsausblick von 1994 ins Jahr 2021 ahnt Wolfgang Zacharias bereits, dass es immer aktueller „ums ‚Überleben‘ – nicht mehr ums gute Leben“ (Liebich/Zacharias 1994:73) geht, so dass aus der Not heraus Spielen zur Pflicht erklärt und in der Konsequenz unter anderem das große Spielparadies Nach Herzenslust in München gebaut wurde (vgl. ebd.:74). Gerald Hüther und Christoph Quarch verdeutlichen die lebensnotwendige Bedeutung des Spielens indem sie schreiben: „Nach allem, was wir wissen, spielen Menschen schon so lange, wie es Menschen gibt. […] Dass wir die Herausforderungen einer sich ständig verändernden Lebenswelt überhaupt zu meistern vermochten, uns an neue Gelegenheiten anpassen, neue Möglichkeiten erschließen konnten – und nicht irgendwann im Zuge der Evolution ausgestorben sind –, verdanken wir unserer Fähigkeit zu spielen“ (vgl. Hüther/Quarch 2018:10f.). Die International Play Association appeliert deshalb an die Zuständigen für die Gestaltung von Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen: „Play is a vital element in children’s development and can be a strong protective factor in children’s lives. It can, to an extent, shield children from the negative aspects of situations of crisis. It allows them to develop their inner resources and build resilience to the difficulties and uncertainties they experience through crisis“ (IPA 2017:23). Vermutlich ist hier nicht die Verpflichtung zum Spielen gemeint, aber in jedem Falle die Pflicht der „Erwachsenen“, vielfältige Spiel- und Kreativräume zu schaffen, um Menschen ausreichend Entwicklungsmöglichkeiten von Resilienz für potentielle Krisensituationen zu bieten.
Die Corona-Pandemie hat den existentiellen Bedarf an Handlungsmöglichkeiten in Krisensituationen deutlich gemacht. Aber auch andere schnelle „gesellschaftliche und politische Entwicklungen verlangen neue Definitionen von Qualität und laufende Professionalisierung der Akteure in Theorie und Praxis“ (Brand et al. 2019:7). Dabei bezieht sich die Professionalisierung nicht nur auf die rein strukturellen, räumlichen und materiellen Ressourcen, sondern vor allem auch das Bewusstsein der präventiven Potentiale von Kultur-, Kunst- und Spielpädagog*innen. Auch wenn Angebote nicht explizit als „resilienzbildend“ konzipiert sind, tragen sie dennoch einen großen Teil zur Entwicklung von Resilienz bei. Kinder bilden, allein durch ihre täglichen Herausforderungen aufgrund ihres individuellen sozioökonomischen Hintergrunds, Resilienz aus, wenn sie durch Akzeptanz, Liebe und Rückhalt, sinnvolle Grenzen und Vertrauen gestärkt werden (vgl. Käpper 2015:35).
Kulturelle Bildung als Krisenvorbereitung
Im Endeffekt sind Entscheidungsträger*innen in Politik und Verwaltung sowie verantwortliche Gestalter*innen der Lebenswelten für Kinder und Jugendliche in Ausbildung und Freizeit gut damit beraten, Angeboten der Kulturellen Bildung präventiv und in akuten Krisensituationen finanzielle und strukturelle (Spiel)Räume zu ermöglichen. Durch die Corona-Pandemie und deren anfangs beschriebenen Konsequenzen für junge Menschen hat sich die „Wahrnehmung Kultureller Bildung in Bayern und auch das (Selbst-)Bewusstsein dafür […] verändert. [...] Der Wunsch an Verwaltung und Politik ist, in die Kulturelle Bildung zu vertrauen, ihre Wirksamkeit wahrzunehmen und den positiven gesellschaftlichen Einfluss – gerade auf die jüngeren und zukünftigen Generationen – entsprechend anzuerkennen“ (vgl. LKB:BY 2021:3). Die positiven Effekte liegen mittlerweile auf der Hand bzw. wurden unter anderem in dieser Publikation zusammengetragen. Dabei wird ersichtlich, dass es für eine Krisenprävention durch eine Auseinandersetzung mit Spiel und den Künsten keine neuen Konzepte, teure Studien oder planungsintensive Neubauten braucht. Viele Strukturen, Kompetenzen und Menschen, die mit Leidenschaft Kunst und Kultur vermitteln sind bereits weltweit aktiv. Schließlich war es schon 1973 wünschenswert, „daß in allen Umweltbereichen (der Kinder) Spielräume für selbstbestimmtes Handeln beansprucht oder geschaffen werden können“ (Mayrhofer/Zacharias 1973:9).
Der Münchner Trichter – die Kooperationsgemeinschaft verbandsunabhängiger freier Träger der Münchner Kinder- und Jugendhilfe formulierte im Mai 2020 inmitten ein- schneidender Maßnahmen zum Infektionsschutz vor allem in der Lebenswelt junger Menschen: „Kinder und Jugendliche brauchen für ein gelingendes Aufwachsen und ihr persönliches Wohlbefinden neben der schulischen Bildung vor allem Möglichkeiten der Selbstentfaltung und der Beziehungsgestaltung, des kulturellen Ausdrucks und der körperlichen Betätigung sowie Räume, die sie jenseits von Schule und Elternhaus selbst gestalten können“ (Münchner Trichter 2020). Darin sollten ebenso digitale (Spiel)Räume eingeschlossen werden, die sich rasant entwickeln und im Besonderen in der Corona- Pandemie einen deutlichen Vorschub bekommen haben. „Produzenten digitaler Angebote schaffen umfassende Lebenswelten, in denen sich Kinder und Jugendliche entwickeln. Hieraus ergibt sich für die Zukunft unserer Gesellschaft eine große Verantwortung der Macher digitaler Angebote. […] Doch diese verfolgen in erster Linie wirtschaftliche Ziele und sehen deren pädagogische Aufgabe nicht an erster Stelle – wenn überhaupt“ (vgl. Dietrich 2020b:80).
Kulturelle Bildung als lebenslanger, Resilienz fördernder Erfahrungsprozess
Mitzudenken sind natürlich auch die Erwachsenen als grundlegende Gestalter*innen der kindlichen Lebenswelten. Resiliente Menschen können auch besser Resilienzbildung initiieren. Erwachsene, die sich um die eigenen Fehler sorgen und dabei ein enges Sicherheitsnetz um Kinder und Jugendliche spannen, wenig kulturellen Austausch pflegen und Kreativität keinen Raum geben, nehmen ihren Schützlingen zwangsläufig die Freiheit, an Herausforderungen zu wachsen, ihre Kreativität zu entdecken und Selbstwirksamkeit zu erleben. Folgerichtig formuliert auch die Landeshauptstadt München in ihrer Konzeption Kulturelle Bildung für München: „Kulturelle Bildung muss im Sinne des lebensbegleitenden Lernens allen Altersgruppen zugänglich sein. Idealerweise machen Menschen während ihres ganzen Lebens immer wieder Bildungs-, Lern- und Entwicklungserfahrungen. Gerade an den Übergängen zu neuen Lebensphasen oder in persönlichen Krisen können künstlerisch-kulturelle Erfahrungen Orientierung und Lebensmut vermitteln.“ (Landeshauptstadt München 2020:22)
Oder – noch globaler gefasst – bietet Kulturelle Bildung „[…] Perspektiven und Werkzeuge für einen resilienten, d.h. positiven, aktiven und reflexiven Umgang mit den Herausforderungen und Chancen unserer Zeit – seien es nun globale Pandemien, der menschengemachte Klimawandel, kriselnde Wirtschaftssysteme oder die fortschreitende Digitalisierung“ (vgl. LKB:BY 2020). Kulturelle Bildung ist also nicht nur eine lebensbegleitende Zusatzqualifikation im Feld der schönen Künste, sondern eine überlebenswichtige Grundausbildung mit Anspruch auf lebenslange Entwicklungsprozesse als Krisenprävention und emotionaler Werkzeugkasten für den individuellen Weg durch die Krise.