Kulturelle Bildungskooperationen: Freiräume für Kinder und Jugendliche im Fokus
Eine Reflexion individueller und systemischer Perspektiven auf die Zusammenarbeit von Kunst- und Kulturschaffenden mit Schulen und Bildungseinrichtungen
Abstract
Kooperationen von Kunst- und Kulturschaffenden mit Bildungseinrichtungen sind Fakt. Sie werden bundesweit in vielfältigen Modellen umgesetzt, für welche die jeweiligen Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich sind. Sie beruhen auch auf einer Vielzahl von künstlerisch-ästhetischen und pädagogischen Konzepten, die geprägt sind von den verschiedenen Professionen und Kompetenzen der kooperierenden Fachkräfte und den jeweiligen (idealerweise gemeinsamen) Vor- und Zielstellungen. Der folgende Beitrag versucht aus Sicht der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) als Dachverband, für die diversen Kooperationen zwei zentrale Perspektiven einzubringen und zu beleuchten: Zum einen fragt er auf der Zielebene danach, warum Kinder und Jugendliche mit ihren Lebenslagen, Sichtweisen, Anliegen und Bedürfnissen Grundlage aller Kooperationskonzepte sein sollten und setzt dabei einen jugendpolitischen Impuls. Grundlage bilden die letzten Kinder- und Jugendberichte. Auf der Umsetzungsebene reflektiert der Beitrag zum anderen die Herausforderungen, die mit diesen Kooperationen verbunden sind und sich in den jeweiligen Systemen und Professionen begründen.
Mehr Zusammenarbeit – mehr Komplexität
Kunst- und Kulturschaffende arbeiten vermehrt als außerschulische Partner mit Schulen zusammen und realisieren dort oder in Kultur- oder Jugendeinrichtungen gemeinsame kulturelle Bildungsprojekte. Sie schaffen gemeinsam mit ihren Partner*innen Erfahrungs- und Erlebnisräume, die Kindern und Jugendlichen die Begegnung mit und Gestaltung von Kunst und Kultur ermöglichen. Die Motivationen und Hintergründe für diese Entwicklungen sind unterschiedlich. Auf der einen Seite gehen sie zurück auf persönliche Beweggründe der Kunst- und Kulturschaffenden selbst (vgl. Hohmaier/Speck 2017) und auf der anderen Seite beruhen sie in Entwicklungsprozessen von Schulen und Kultureinrichtungen, welche die Attraktivität Kultureller Bildung erkannt haben bzw. für die eigene Profilierung und Legitimierung nutzen. Sie sind nicht zuletzt auf die wachsende Bedeutung Kultureller Bildung im politischen und medialen Kontext zurückzuführen, was sich in Programmen und Fördermöglichkeiten gerade auch für Kooperationen von Kunst- und Kulturschaffenden mit schulischen und außerschulischen Bildungseinrichtungen ausdrückt. Im Rahmen der Entwicklung von Ganztagsschulen und Bildungslandschaften wird zunehmend der Weg hin zu einer strukturellen Verankerung der Zusammenarbeit unterschiedlicher Felder beschritten; für Kulturelle Bildung sind dabei die drei Felder Bildung/Schule, Kulturarbeit und Jugendarbeit relevant. Die damit verbundene Neujustierung beschreibt spätestens seit dem 11. Kinder- und Jugendbericht eine zukunftsorientierte Bildung als gemeinsame Aufgabe außerschulischer und schulischer Akteure. Die so entstehenden Bildungskooperationen, -netzwerke und -landschaften sind komplexe Gebilde, die von allen Akteuren verlangen, sich ihrer Rolle als Bildungsträger bewusst zu sein und diese konzeptionell zu untersetzen. Dazu gehört, dass diese Akteure
- ihre jeweils besonderen Potenziale selbstbewusst einbringen und behaupten,
- sich dabei für eine Zusammenarbeit und in den Sozialraum öffnen, diesen mit einbeziehen bzw. sich darin verorten (siehe „Kerstin Hübner und Viola Kelb „Kulturelle Bildung und Sozialraumorientierung: Kontexte, Entwicklungen und Herausforderungen"),
- sich als Organisation inhaltlich und strukturell entwickeln und professionalisieren etc.
Aber warum eigentlich?
Bildung und Teilhabe – zentrale Ziele Kultureller Bildung
Der aktuellen Bildungsberichte für Deutschland und weitere empirische Befunde belegen, dass soziale Herkunft und Bildungserfolg immer noch eng verknüpft sind (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016, Bertelsmann Stiftung 2017). An diesem Zusammenhang konnten auch die bisherigen und vielfältigen Bemühungen, Bildungsangebote zu stärken und zu institutionalisieren, wenig ändern. Beides muss auch für den Bereich der Kulturellen Bildung konstatiert werden (vgl. Keuchel/Larue 2012; Rat für Kulturelle Bildung 2015) – und dies nicht nur für den Bereich der formalen Bildung, sondern ebenso für den Bereich der non-formalen und informellen Bildung. Das heißt, dass sich Ungerechtigkeiten nicht nur im schulischen Kontext zeigen, sondern Zugänge zu und Nutzung von Kultureller Bildung auch im Bereich der Freizeit und der Familie stark von den Lebenslagen (ökonomisch-finanziell, sozial, kulturell) abhängig sind. Zugleich belegen empirische Forschungen, wie etwa das 2. Jugend-KulturBarometer (vgl. Keuchel/Larue 2012), dass kulturelle Teilhabemöglichkeiten vor allem in Kooperationen von Schulen mit außerschulischen Partnern erweitert werden und „Dritte Lernorte“ neben formalen Bildungseinrichtungen und der Familie wichtige Impulse für Bildung und Teilhabe setzen (vgl. z. B. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012).
Kernziele Kultureller Bildung bleiben daher die Ermöglichung kultureller Teilhabe und die Erhöhung von Bildungsgerechtigkeit durch ein System, das die unterschiedlichen Bildungsqualitäten zur Förderung junger Menschen in den Blick nimmt und diese vernetzt (vgl. BKJ 2015). Bereits im 13. Kinder- und Jugendbericht wurde etwa eine gelingende Vernetzung und multiprofessionelle Kooperation als Mittel zur Erreichung dieser Ziele angesehen (vgl. BMSFSJ 2009), bevor im 14. Kinder- und Jugendbericht die gemeinsame Verantwortung verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche (Staat, Zivilgesellschaft, Markt und Eltern/Familie/Peers) für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen* hervorgehoben wurde (vgl. BMFSFJ 2013).
Kinder und Jugendliche – Subjekte ins Zentrum
Nicht nur diese teilhabeorientierte Begründung, aus der sich für öffentliche bzw. öffentlich geförderte Einrichtungen und Projekte ein Auftrag ableitet, bildet Grundlage der bisherigen Praxis von sektorenübergreifender und interprofessioneller Zusammenarbeit. Im Zentrum stehen dabei Kooperationen unterschiedlicher Felder (z. B. Schule, Jugendarbeit, Kultur- und Kunstbereich) und Fachkräfte (z. B. Pädagog*innen und Künstler*innen). Vielmehr werden Kooperationen aus vielerlei Gründen und Motivationen umgesetzt, die zumeist aus den Systemen heraus begründet sind: Will die einzelne Schule vielleicht ihre Leistungsfähigkeit verbessern und sich zu einem attraktiven Standort für Schüler*innen entwickeln, möchten sich Kunst- und Kultureinrichtungen beispielsweise stärker legitimieren oder das Publikum von morgen erreichen. Jugend- und Sozialeinrichtungen oder kulturpädagogische Einrichtungen wiederum suchen in Zeiten des Ganztags oft nach Möglichkeiten, ihre (außerschulischen) Angebote für die Zielgruppe zu sichern; Kunst- und Kulturschaffende sondieren vielfach neue Betätigungsfelder und Einnahmemöglichkeiten im Rahmen ihrer Selbstständigkeit.
Diese durch die Strukturen und Personen motivierten „Kooperationsanlässe“ sind aus den jeweiligen Situationen heraus absolut nachvollziehbar, sie sollten aber die kulturelle Bildungspraxis nicht bestimmen, denn sie verlieren die Kooperationsbegründungen für die eigentliche Zielgruppe aus den Augen. Sie sind daher keine adäquate Antwort auf die Frage, welche zentralen Grundlagen, Ziele und Perspektiven kooperative kulturelle Bildungspraxis mit Blick auf die Kinder und Jugendlichen haben bzw. einnehmen sollte: nämlich vor allem die beschriebene Bildung, Persönlichkeitsentwicklung und gesellschaftliche Teilhabe der Kinder und Jugendlichen*.
Wenn in unserem Verständnis von Bildung die Entwicklungsprozesse des „Menschseins“ und der Persönlichkeit im Mittelpunkt stehen und das Ziel ist, junge Menschen zur Selbstbestimmung, zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und sozialem Engagement anzuregen und zu befähigen, dann rückt eine zentrale Dimension ins Zentrum: Konzeptionen für Kooperationsvorhaben sollten immer von den Kindern und Jugendlichen, von ihren Interessen und Lebenslagen bestimmt sein und sich zu ihren konkreten Lebenssituationen ins Verhältnis setzen. Einen wichtigen Orientierungsrahmen dafür – neben den unterschiedlichen ethnologischen, anthropologischen, soziologischen oder normativen Begründungslinien, warum Kulturelle Bildung für jede*n Einzelne*n wichtig ist – gibt der aktuelle, mittlerweile 15. Kinder- und Jugendbericht, der sich auf die Lebensphase der Jugend fokussiert: In einer Zeit und Gesellschaft, die das Aufwachsen vornehmlich unter der Perspektive der Qualifizierung betrachtet und bewertet, und in der dieses Aufwachsen sehr stark in Institutionen und pädagogischen Kontexten stattfindet, geht es v. a. darum, durch die Zusammenarbeit unterschiedlicher Bereiche Jugendliche darin zu unterstützen, eigene Standpunkte zu entwickeln, sich in der Gesellschaft zu verorten und diese zu gestalten sowie kritisch, selbstständig und widerstandsfähig zu werden. Der Bericht fasst diese Aufgaben unter den Begriffen der Selbstpositionierung und Verselbstständigung und macht sich dafür stark, dass Jugendliche nicht nur entsprechende Freiräume für ihre Entwicklung erhalten, sondern dass auch die pädagogischen Kontexte, in denen sie sich bewegen, z. B. die Ganztagsschule, sich in diese Richtung verändern (vgl. BMFSFJ 2017).
Dies bildet eine entscheidende Grundlage dafür, die Potenziale der Künste für in diesem Sinne verstandene Bildungsprozesse beispielsweise durch Kunst- und Kulturschaffende wirksam werden zu lassen, denn künstlerische und kulturpädagogische Praxis schafft nicht nur entsprechende Freiräume und Entfaltungsmöglichkeiten, sondern hat das Potenzial, Handlungskompetenzen für ein gelingendes Leben zu entwickeln und dabei Widerständigkeit von Kindern und Jugendlichen zu unterstützen (vgl. BKJ 2017a).
In Bezug auf die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Künstler*innen und Pädagog*innen zieht das bereits eine Konsequenz nach sich: Die Partner*innen müssen diesen gemeinsamen Auftrag annehmen und dabei jenseits der Pole „Künste“ und „Qualifizierung“ vor allem Kinder und Jugendliche* für ihre eigenen Entwicklungsbedürfnisse stärken!
Interprofessionelle Zusammenarbeit – Grundprinzip und Grundlagen
Die Idee hinter der interprofessionellen Zusammenarbeit ist, dass die unterschiedlichen Perspektiven und Kompetenzen sich synergetisch ergänzen und bereichern. Dies soll nicht nur für Kinder und Jugendlicheneue Erfahrungs- und Möglichkeitsräume eröffnen, sondern für die künstlerischen wie pädagogischen Fachkräfte impulsgebend, erweiternd und entlastend sein. Die Erfahrungen mit dem Gelingen von Zusammenarbeit indes sind sehr unterschiedlich und reichen von sehr positiver Resonanz bis zu kritischen Sichtweisen und Erfahrungen des Scheiterns.
Konsens scheint jedoch zu sein, dass zentrale Faktoren für das Gelingen der interprofessionellen Zusammenarbeit
- eine offene und neugierige Haltung,
- die Bereitschaft und die Zeit für Aushandlungsprozesse und Kompromisse sowie
- die Anerkennung der Kompetenzen und Arbeitsbedingungen der*s jeweils anderen sind; d. h. nicht gegen die Systeme zu arbeiten, sondern deren Stärken zu sehen und zu nutzen: „Die jeweils eigenständigen Qualitäten und Potenziale der inner- und außerschulischen Kulturellen Bildung müssen daher Berücksichtigung finden und erhalten bleiben“ (BKJ 2015:3).
Dazu zählt zunächst, sich dessen bewusst zu sein bzw. zu werden, was die jeweiligen Aufträge, Ziele und Logiken des*r Partners*in sind. In der 1. Phase der Zusammenarbeit geht es daher häufig um das Verstehen der jeweiligen professionellen Haltungen und des persönlichen Selbstverständnisses sowie um das gegenseitige Kennenlernen und Annähern an die u. U. unterschiedlichen Bildungsverständnisse. Oft treten dabei (Vor-)Urteile und Zuschreibungen der*m jeweils anderen gegenüber zutage. Es hilft, diese Stereotype, die den jeweiligen Berufsgruppen landläufig zugeschrieben werden, zu reflektieren und zu korrigieren (vgl. Roth 2013:122). Im 15. Kinder- und Jugendbericht heißt es, um die „[...] Kooperationshemmnisse abzubauen und Struktur- bzw. Kulturunterschiede zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Schule zu überwinden, braucht es einen Perspektivwechsel hin zu einer gemeinsamen, multiprofessionell und auf Augenhöhe wahrgenommenen Verantwortung“ (BMSFSJ 2017:18). Dieser Bericht bezieht sich hier v. a. auf die Unterschiede zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Schule, dies lässt sich aber ebenso auf freie Kunst- und Kulturschaffende oder Akteur*innen aus Kultureinrichtungen übertragen.
Weitere Grundlagen für eine gute Zusammenarbeit hat die BKJ in ihren Gelingensbedingungen und Qualitätsdimensionen formuliert (vgl. BKJ 2017b). Sie reichen
- von konzeptionellen, d. h. künstlerischen und pädagogischen Dimensionen (z. B. Bildungsziele, Inhalte, Methoden),
- über die Kooperationskultur (z. B. Transparenz, Erreichbarkeit, Kompetenzen, Kommunikation, Haltungen), Führung und Management (z. B. Leitung, Personalentwicklung, Finanzen)
- bis hin zu den Rahmenbedingungen (z. B. Infrastruktur, Ressourcen, Rechtsrahmen).
Spannungsverhältnis unterschiedlicher Handlungsfelder
Barrieren und Probleme in der Kooperation von Kunst- und Kulturschaffenden mit Schulen und Bildungseinrichtungen sind zum einem auf persönliche und professionelle Haltungen zurückzuführen. Um hier nicht Zuschreibungen und Differenzen in Bezug auf Haltungen und Persönlichkeiten zu betonen („der“ Künstler oder „die“ Lehrerin), ist eine andere Betrachtungsweise entscheidend, nämliche jene, die strukturelle Spannungsverhältnisse zwischen den Systemen und ihren Logiken beleuchtet. Diese Divergenzen drücken sich in den Einrichtungen und bei den Fachkräften in unterschiedlichen Zwängen und Zwecken, Selbstverständnissen und Selbstverortungen, Aufträgen und Zielen aus.
Max Fuchs hat dies für die Felder des Bildungssystems (Schule) und der Jugendarbeit wie folgt zusammengefasst:
Unterschiedliche Qualitätsansprüche, z. B. von Künstler*innen und Schulen, differenziert Keuchel wie folgt:
Hollenstein (nach Maykus 2011:22) nennt im Konkreten in Bezug auf die Konfliktlinien der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule vier Aspekte, die sich auch auf die Kooperation mit Kunst- und Kulturschaffenden übertragen lassen:
- Differenz zwischen der fachlichen „Beheimatung“ (unterschiedliche Ausbildungswege, Studium, disziplinäres Wissen und professionelle Kulturen),
- systembedingte Wahrnehmungs- und Interpretationsschemata (unterschiedliche Handlungsstrategien der Professionen und die Tatsache, dass Pädagogik in der Schule in organisiert-strukturierter Form vollzogen wird, in der Jugendhilfe eher offen und frei gestaltbar),
- Vereinzelung in komplexen Situationen (ein*e Sozialpädagog*in steht einem Kollegium von Lehrer*innen gegenüber) sowie
- biografische Erfahrungen der eigenen Schulzeit (Abwehrhaltung der Sozialpädagog*innen).
Ein modernes Verständnis von Kooperationen, das auf die Gleichwertigkeit der Akteur*innen aus dem Kunst- und Kulturbereich, aus dem Schulsystem und aus dem Feld der außerschulischen Träger zielt, steht vor dem Hintergrund dieser Unterschiede vor großen Herausforderungen und ist daher noch selten. Die Schwierigkeit liegt dabei vor allem in der Geschichte fortschreibender Trennung der institutionellen Kontexte und Machtgewichtungen – angefangen mit der zumeist unterschiedlichen Entlohnung bis hin zu formalen Vorgaben, die einer gleichberechtigten Zusammenarbeit scheinbar im Wege stehen.
Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an Kooperationen von und mit Kunst- und Kulturschaffenden, die in sehr unterschiedlicher Art und Weise in die Gestaltung des Bildungsalltags von Kindern und Jugendlichen – im schulischen wie im außerschulischen System – einbezogen werden. Allerdings sind diese häufig relativ fragil, u. a. weil die Akteure immer wieder um die Dauer, Formen der Zusammenarbeit, Stabilität und nicht zuletzt die eigenständige Rolle der Kunst- und Kulturschaffenden ringen müssen. Eine selbstverständliche Zusammenarbeit ist noch selten erkennbar (vgl. BMFSFJ 2017:63).
Vom Jetzt zur Weiterentwicklung von kulturellen Bildungskooperationen
Eine wichtige Grundlage im Konzept Kultureller Bildung der BKJ ist, Kinder und Jugendliche als starke Subjekte zu sehen, die nicht nur ihre eigene Zukunft, sondern auch die gesellschaftliche Zukunft gestalten sollen und können. Dieses Können setzt voraus: Es braucht zum einen adäquate Rahmenbedingungen, die es jungen Menschen ermöglichen, verantwortliche, eigenständige und demokratische Bürger*innen dieser Gesellschaft zu werden. Zum anderen benötigen Jugendliche dafür entsprechende Kompetenzen, die sie aber nicht auf ihr „Funktionieren" in den aktuellen oder zukünftigen sozialen, ökonomischen und politischen Systemen beschränken dürfen. Denn: Selbstpositionierung und Verselbstständigung als wichtige Bildungsziele ziehen nach sich, dass junge Menschen ihren eigenen Weg gehen und ihre Zukunft eigenständig gestalten.
Wenn Träger der Kulturellen Bildung ebenso wie die Lehrer*innen der künstlerischen Fächer in Schule Teil eines Systems sind, das Jugendlichevornehmlich dem Zugriff von Erwachsenen „aussetzt" und wenn Kunst- und Kulturschaffende in diesen Systemen aktiv sind, dann muss sich die kulturpädagogische Arbeit noch stärker darauf ausrichten, Kindern und Jugendlichen offene und explorative Erfahrungsräume und Bildungsgelegenheiten zu ermöglichen. Dazu zählen informelle und eigenständige Freiräume ebenso wie non-formale Angebote und Settings wie auch Schul-Kultur-Kooperationen, in denen sie soziale und kulturelle Anerkennung erfahren, eigene Positionen entwickeln können und Freiheitsgewinne gegenüber Verhaltens- und Nutzungserwartungen erlangen. Dabei gilt es für Kunst- und Kulturschaffende wie für Lehrer*innen und (Kultur-)Pädagog*innen, in ihren Bildungskonzepten die Differenz der Systeme, Professionen, Haltungen und Rahmenbedingungen zugunsten der Kinder und Jugendlichen zu überbrücken und Strukturen des Zusammenwirkens zu entwickeln. Aber nicht nur die Kinder und jungen Erwachsenen sollten stärker in den Fokus gerückt werden. Es sind die Rahmenbedingungen für Kooperationen selbst, die in gemeinsamer Verantwortung von Bildungs-, Kultur- und Jugendpolitik, von Staat und Zivilgesellschaft, von Akteur*innen und Gestalter*innen vor Ort, in den Ländern und auf Bundesebene weiterentwickelt werden müssen. Als bundesweiter Dachverband hat die BKJ entsprechende Forderungen formuliert, die sie an sich selbst, die Trägerlandschaft ebenso wie an Politik und Verwaltung richten (vgl. BKJ 2015).
In den Aktivitäten der BKJ und ihrer Mitglieder spielt die Zusammenarbeit mit Kunst- und Kulturschaffenden eine zunehmend wichtige Rolle. Die hohe Dynamik, welche die Kooperationslandschaft in den letzten Jahren entfaltet hat, weicht einer Phase der Konsolidierung. Dies gilt es, zu flankieren, z. B. indem
- Begegnungs- und Diskursflächen geschaffen werden, die dem gegenseitigen Kennenlernen, der interprofessionellen Vernetzung und dem gemeinsamen Entwickeln dienen;
- interprofessionelle Qualifizierungsangebote unterbreitet und verbreitert werden, sodass Interprofessionalität und sektorenübergreifende partizipative und gleichberechtigte Zusammenarbeit systematisch gestärkt werden;
- einrichtungsinterne Kooperations- und Qualitätsentwicklungen befördert und angeregt werden (z. B. in Schulen durch die Erweiterung der Handlungs- und Kooperationskompetenzen von Lehrer*innen, Einführung von kulturbeauftragten Lehrer*innen und Kultur-/Steuergruppen, Förderung der konzeptionellen und systematischen Schulprogrammarbeit, Unterrichtsentwicklung, Anregung von Schüler*innen-Kulturbotschafter*innen etc.);
- interdisziplinäre Unterstützungs- und Beratungssysteme geschaffen und gestärkt werden, etwa Prozessbegleiter*innen, Mittlerpersonen oder Moderator*innen von Kooperationsprozessen (z. B. kommunale Kulturkoordinator*innen, Kulturagent*innen) sowie Beratungs- und Anlaufstellen für Kooperationen in den Kommunen, Regionen und Ländern, die sich sowohl als Partner für außerschulische Einrichtungen, für Kunst- und Kulturschaffende sowie für Schulen verstehen;
- Informationsmaterialien, Vernetzungsplattformen, Arbeitshilfen, Instrumente und Erfahrungen geteilt bzw. zur Verfügung gestellt werden, die schulischen und außerschulischen Einrichtungen ebenso wie Kunst- und Kulturschaffenden Orientierung und Unterstützung bieten;
- die Umsetzung und Erprobung sowie Verstetigung und Finanzierung gemeinsamer Angebote von Kunst- und Kulturschaffenden und Bildungseinrichtungen befördert werden und deren Zusammenwirken strukturell gesichert wird;
- die zentralen Ministerien und kommunalen Strukturen (aus Jugend, Bildung/Schule, Kultur) unterstützt werden, Kulturelle Bildung in den zentralen Steuerungsinstrumenten ihrer (Bildungs-/Kultur-/Jugend-)Systeme zu implementieren und eine interministerielle und intersektorale Zusammenarbeit angeregt wird;
- die Verantwortlichen für Kulturelle Bildung dafür Sorge tragen, dass die unterschiedlichen systemischen Bedürfnisse berücksichtigt werden – in finanzieller, organisatorischer und konzeptioneller Hinsicht.