Kulturelle Bildung an Volkshochschulen in ländlichen Räumen: Ergebnisse einer programmanalytischen Untersuchung am Beispiel des Landes Niedersachsen
Abstract
Volkshochschulen sind mit über 900 Einrichtungen und über 3000 Außenstellen die öffentliche Institution der Erwachsenenbildung in Deutschland und wertvolle Träger Kultureller Bildung. Wenn es gilt, professionell organisierte und institutionalisierte kulturelle Bildungsarbeit zu leisten, kommt ihnen in ländlich geprägten, mitunter strukturschwachen und/oder schrumpfenden Regionen eine wesentliche Aufgabe und Bedeutung zu: Sie offerieren kulturelle (Erwachsenen-)Bildungsangebote und fungieren ferner als Kulturveranstalter. Umso erstaunlicher ist es, dass Volkshochschulen in der kulturpolitischen Diskussion eine bisweilen randständige Position einnehmen und noch zu selten in den Blickpunkt der kulturellen Bildungsforschung gerückt sind. Um diesem Desiderat entgegenzuwirken, wurden Volkshochschulen des Landes Niedersachsen einer quantitativ-qualitativen Untersuchung unterzogen. Dieser Beitrag erörtert auf Grundlage einer exemplarischen Programmanalyse, inwiefern Volkshochschulen die regionale kulturelle Infrastruktur mitgestalten können und auf welche Art und Weise kulturelle Teilhabe ermöglicht werden kann.
Forschungsfragen und methodisches Vorgehen
Ausgangspunkt der diesem Beitrag zugrunde gelegten Masterarbeit zum Thema Kulturelle Bildung an Volkshochschulen in ländlichen Räumen war die Grundannahme, dass Volkshochschulen aufgrund ihres demokratischen Selbstverständnisses, eines integrativen Leitbildes (Bildung für alle), der flächendeckenden Verbreitung sowie der kontinuierlichen Angebotsstruktur im Bereich Kunst und Kultur wertvolle Träger Kultureller (Erwachsenen-)Bildung in ländlichen Räumen sein können. Auf dieser Basis wurden folgende Forschungsfragen formuliert:
- Welche kulturellen Bildungsangebote offerieren ländlich verortete Volkshochschulen bzw. in welche Programmstruktur sind diese Angebote eingebunden?
- Inwiefern können Volkshochschulen die regionale kulturelle Infrastruktur mitgestalten und auf welche Art und Weise kann kulturelle Teilhabe ermöglicht werden?
Der empirische Forschungsteil basierte auf einem inhalts- bzw. programmanalytischen Verfahren (vgl. Mayring 2015 und Robak 2012), welches quantitative sowie qualitative Arbeitsschritte beinhaltete. Mithilfe eines theoretisch hergeleiteten Klassifizierungsmodells zur Bestimmung ländlicher Räume konnte das Sampling für die Untersuchung zusammengestellt werden. Final lagen der Forschungsarbeit 32 Programmhefte zugrunde. Herzstück der Untersuchung war ein Kategoriensystem, das aus insgesamt 19 Einzelkategorien bestand. Um ein gegenstandsadäquates Erhebungsinstrument zu erhalten, wurden jene Kategorien induktiv (d.h. aus dem Material heraus) und deduktiv (d.h. bereits theoretisch fundiert) erarbeitet. Auf Basis des Kategoriensystems wurden die Daten erhoben, aufbereitet und ausgewertet.
Dem empirischen Forschungsteil ging eine ausführliche theoretische Fundierung voraus. Der Themenstellung entsprechend galt es, drei inhaltliche Bezugsfelder zu bearbeiten:
- Ländliche Räume
- Kulturelle Bildung
- Volkshochschulen.
Diese drei Bezugsfelder lassen sich theoretisch wie folgt umreißen:
Ländliche Räume
Insbesondere in politischen Kontexten werden ländliche Räume regelmäßig auf Grundlage eines geografischen Raumverständnisses bzw. unter dem Blickpunkt formal-administrativer Ordnungsstrukturen beleuchtet. Das primäre Anliegen jener – meist auf territoriale Bezugseinheiten rekurrierende – Konzepte ist es, Beziehungen zwischen Standorten, Lagemerkmalen und Distanzen her- bzw. kartografisch darzustellen (vgl. Blotevogel 2005:833f.). Formale Strukturdaten dieser Art werden beispielsweise vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) ermittelt. Zur Identifizierung ländlicher Räume sieht das Institut eine kombinierte Betrachtung der Basisstrukturmerkmale Besiedelung und Lage vor. Angaben zum Indikator Besiedelung beruhen auf Informationen zu Bevölkerungsdichte und Siedlungsflächenanteil. Werden entsprechende Daten auf Ebene der Landkreise übertragen, unterscheidet das Bundesinstitut zwischen vier sogenannten siedlungsstrukturellen Kreistypen: kreisfreie Großstädte, städtische Kreise, ländliche Kreise mit Verdichtungsansatz, dünn besiedelte ländliche Kreise (vgl. BBSR o.J.a). Aus BBSR-Sicht bilden alle kreisfreien Großstädte und die städtischen Kreise den städtischen, alle ländlichen Kreise mit Verdichtungsansatz und die dünn besiedelten ländlichen Kreise den ländlichen Raum (vgl. BBSR o.J.b).
Abbildung 1: Siedlungsstrukturelle Kreistypen (BBSR)
Dem zweiten Basisstrukturmerkmal Lage liegt ein Erreichbarkeitsmodell zugrunde, das die Nähe von Wohnort zu Beschäftigungsmöglichkeiten und anderen Versorgungseinrichtungen errechnet sowie (Berufs-)Pendlerbewegungen in die Datenlage miteinbezieht. Hinsichtlich dieses Indikators unterscheidet das BBSR zwischen sehr zentraler, zentraler, peripherer und sehr peripherer Lage (vgl. BBSR o.J.c).
Wenn es gilt, ländliche Räume beschreibbar zu machen, gewinnen vermehrt auch sozio-demografische und sozio-ökonomische Strukturmerkmale an Bedeutung. Jene Konzepte gehen weniger von einem geografischen, vielmehr von einem gesellschaftlich-sozialen Raumverständnis aus. Bei einem gesellschaftlich-sozialen Ansatz geht aus einem physikalischen Realraum ein subjektbezogener Sozialraum hervor. Zum sozialen Raum transferiert er aufgrund seiner Bedeutung für die soziale Welt – als Wirtschaftsraum, als Kulturraum, als politisch-administratives Territorium oder als Raum gesellschaftlicher Identifikation. Derartige Raumkonzepte werden insbesondere im Kontext der Kulturanthropologie, Sozialgeografie, Philosophie oder Umweltpsychologie bearbeitet (vgl. Blotevogel 2005:834ff.) und als Erklärungsmodell für die Entstehung räumlicher und sozialer Ungleichheiten – zum Beispiel als Folge sozialer Peripherisierung (vgl. Beetz 2008, Keim 2006 und Barlösius/Neu 2008) – herangezogen.
Zusammenfassend ist festzuhalten: Der ländliche Raum als einheitliche Kategorie existiert nicht. Ländliche Räume sind bestimmt von diversen sozio-demografischen und sozio-ökonomischen Einflüssen und unterliegen einem Wirkungsgefüge von räumlicher Lage, ökonomischer Nutzung und gesellschaftlich-sozialer Prägung. Diesem Wirkungsgefüge zufolge wurden ländliche Regionen im Rahmen der hier vorgestellten Forschungsarbeit als in sich heterogene und von pluralen Strukturen gekennzeichnete soziale Räume definiert.
Kulturelle Bildung und Teilhabe
Kulturelle Bildung kann als Ästhetische Bildung verstanden werden, die sich in der und durch die Kunst vollzieht (vgl. Bamford 2010). Miteinbezogen sind Bildungsangebote bzw. Zugänge, welche kreativ-selbsttätig (vgl. ausführlich Fleige/Gieseke/Robak 2015:111ff.), systematisch-rezeptiv (vgl. ausführlich Fleige/Gieseke/Robak 2015:85ff.) und verstehend-kommunikativ (vgl. ausführlich Fleige/Gieseke/Robak 2015:131ff., Robak/Petter 2014) die Reflexion von Welt, Sinn und Ästhetik initiieren. Dieses Konzept vereint eine humanistische, diversitätsbewusste gesellschaftliche Haltung mit dem Ziel, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.
Kulturelle Teilhabe steht damit paradigmatisch für das Konzept Kultureller Bildung und ist nicht allein aus diesem Grund politisch motiviert. Das Recht auf kulturelle Teilhabe ist in Artikel 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) verankert:
„Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben“ (Vereinte Nationen 1948).
Unter dem Aspekt der kulturellen Teilhabe zeigt sich die Anschlussfähigkeit der Kulturellen Bildung an eine Vielzahl sozial, politisch und gesellschaftlich relevanter Ideen und Zukunftsfragen. Zu nennen sind demografischer Wandel, Einwanderung, Flucht und Migration, Digitalisierung sowie nachhaltige Entwicklung. In Hinsicht auf ländliche Räume sind genannte Aspekte um das Thema der Erreichbarkeit zu erweitern. Um kulturelle Teilhabe flächendeckend und milieuübergreifend zu ermöglichen, gilt es, kulturelle Infrastruktur mithilfe von Vernetzung und Kooperation – zum Beispiel im Rahmen lokaler Bildungslandschaften (vgl. ausführlich Mack 2012) bzw. lernender Regionen (vgl. ausführlich Reupold/Strobel/Tippelt 2011) – zu schaffen.
Kulturelle Bildung in der Volkshochschule
Seit ihrer Entstehung – die erste große Gründungswelle ist auf das Jahr 1919 zu datieren – sind Volkshochschulen Träger Kultureller (Erwachsenen-)Bildung. Im Unterschied zu ehrenamtlich organisierten Anbietern sind sie öffentlich geförderte Organisationen, die flächendeckend, kontinuierlich und regional arbeiten (siehe: Hans-Hermann Groppe „Kulturelle Bildung an den Volkshochschulen“). Sie agieren auf Grundlage eines demokratischen und integrativen Bildungsverständnisses, dem die Idee Kultur für alle grundsätzlich eingeschrieben ist (vgl. DVV 2011).
Der Begriff Kultur ist im Konzept der Volkshochschulen ein mehrschichtiger. Auf Dachverbandsebene findet er auf dreierlei Arten Anwendung.
- Ein ästhetisch-künstlerisches Kulturverständnis liegt dem Fachbereich Kultur-Gestalten zugrunde. Seit Beginn existiert dieser Programmbereich als integraler Bestandteil der Volkshochschulen und stellt seit jeher eine unablässige Säule innerhalb deren Programmplanung dar. Aktuell erfasst der Programmbereich 14 Fachgebiete, wobei Malen, Zeichnen, Drucktechniken vor Musikalischer Praxis und Tanz die höchsten Kurs- und Belegungswerte aufweist (vgl. Huntemann/Reichart 2016:30).
- In direkter Verbindung zum Fachbereich Kultur-Gestalten steht das Schwerpunktthema Kulturelle Bildung. Kultur in diesem Zusammenhang folgt einem anthropologischen bzw. ethnologischen Verständnis, das über operative Aktivitäten des Programmbereichs Kultur-Gestalten hinaus- und in alle weiteren Programmbereiche hineinreicht. Von den einzelnen Organisationen häufig als Synonym-Begriff für den Fachbereich Kultur-Gestalten verwendet, wird Kulturelle Bildung auf Dachverbandsebene als gesellschaftliche Querschnittsaufgabe begriffen.
- Unter dem Aspekt der Lebenskultur ist dem Konzept Kultureller Bildung aus Sicht des Deutschen Volkshochschulverbands (DVV) zudem eine explizit inter- bzw. transkulturelle Dimension eingeschrieben (vgl. DVV 2011:35f.).
Zuletzt ist zu konstatieren, dass das hier angedeutete System Volkshochschule selbst als kultureller Ausdruck der gegenwärtigen Gesellschaft anzuerkennen ist (vgl. Schlutz 2011:621).
Volkshochschule unter organisationstheoretischer Perspektive
Im Rahmen der hier vorgestellten Forschungsarbeit wurden Volkshochschulen aus einer organisationstheoretischen Perspektive betrachtet; insbesondere Ansätze des Neo-Institutionalismus konnten für die Themenstellung fruchtbar gemacht werden. Beim soziologischen Neo-Institutionalismus handelt es sich um ein vielseitig diskutiertes Theoriemodell, das sich mit Strukturen und Operationsweisen von Organisationen unter dem Einfluss gesellschaftlicher Umfelder auseinandersetzt (vgl. Hasse/Krücken 2005, Senge/Hellmann 2006). Zunächst kann dieser organisationstheoretische Theorieansatz fruchtbar gemacht werden, um zu einer begrifflichen Klärung der Termini Organisation und Institution beizutragen:
„Institutionen sind eine besondere Art sozialer Regeln für typisierte soziale Handlungen […]. Eine soziale Regel ist dann eine Institution, wenn sie maßgeblich für ein empirisches Phänomen ist, wenn sie in sozialer Hinsicht für einen oder mehrere Akteure verbindlich ist und wenn sie zeitlich von langer Dauer ist. Institutionen sind also Handlungsregeln, die maßgeblich, verbindlich und von Dauer sind“ (Senge 2006:44).
Während Institutionen „gewachsene und dauerhafte gesellschaftliche Erwartungsstrukturen [darstellen], die bestimmte Formen des Verhaltens bestimmen“ (Mickler 2013:86), gelten Organisationen als soziale Gebilde, die zu einem spezifischen Zweck gegründet werden und durch Mitgliedschaft, normierte Kommunikationswege und Programme definiert sind (vgl. Schrader 2010:271 in Anlehnung an Luhmann 2000). Aus neo-institutionalistischer Sicht agieren Organisationen stets in institutionellen Feldern und orientieren sich an deren sozialen Normen und gesellschaftlichen Regeln (vgl. Kirchner 2012:33f.). Unter dieser Perspektive weisen Organisationen eine gewisse Flexibilität auf; im Einklang mit institutionalisierten Erwartungen bleiben sie ihrer gesellschaftlichen Umwelt entsprechend stabil oder passen sich an (vgl. Kirchner 2012:8). Ziel dieser Anpassung ist immer der Gewinn an Legitimität, Ressourcen und Überlebenschancen (vgl. Mense-Petermann 2006:66 nach Scott 1987).
Die Relation von Organisationen und Institutionen erweist sich im spezifischen Falle der Volkshochschulen als besonders interessant, denn
„[…] jede einzelne Einrichtung der Volkshochschule [kann] als Organisation bezeichnet werden. Doch gleichzeitig ist die Volkshochschule längst zu einer Institution […] geworden, da gesellschaftlicher Konsens über die Notwendigkeit und Nützlichkeit dieser Institution besteht. Jede einzelne Volkshochschule ist als Organisation am Prozess der Institutionalisierung der Volkshochschule beteiligt“ (Mickler 2013:86).
Im Rahmen der empirischen Untersuchung wurde der Neo-Institutionalismus insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Umweltabhängigkeit thematisiert. Der Terminus Umwelt subsumiert zunächst alle Einflussfaktoren, die auf Organisationen einwirken können. Unter einer neo-institutionalistischen Perspektive werden jedoch vor allem weiche bzw. kulturelle Faktoren wie Werte, Normen und Ideale als entscheidende Auslöser für organisationalen Wandel erachtet (vgl. Hasse 2006:150).
Werden ländliche Regionen – verstanden als soziale Räume – als durch Werte, Normen und Ideale geprägte gesellschaftliche Umwelten betrachtet, ist davon auszugehen, dass sich regionalspezifische Einflussfaktoren auf das Planungshandeln, Arbeitsweisen und innere Strukturen von Volkshochschulen auswirken. Unter dem Blickpunkt eines wechselseitigen Verhältnisses von Umwelt und Organisation ist ferner anzunehmen, dass nicht nur die von gesellschaftlichen Umfeldern geprägte Region auf die Organisation einwirkt, sondern die Organisation auch auf den Sozialraum Einfluss nimmt.
Unter dieser Perspektive agieren Volkshochschulen als Bestandteil kultureller Infrastruktur in ländlichen Regionen. Im wechselseitigen Austausch mit gesellschaftlichen Umwelten können sie soziale Räume (mit)gestalten. Als lernende Organisationen richten Volkshochschulen ihre Potentiale an gesellschaftlichen Aufgaben aus und sind gleichzeitig Empfänger gesellschaftlicher Herausforderungen.
Einführung in das Kategoriensystem der programmanalytischen Untersuchung von Volkshochschulen in Niedersachsen
Das der Untersuchung zugrunde liegende Kategoriensystem umfasste 19 Kategorien, die den vier Themenfeldern Formalia, Organisation, Pädagogik und Inhalt zuzuordnen sind.
Die formalen Kategorien beinhalteten Rahmeninformationen wie die räumliche Verortung und den Namen der Einrichtung. Die Programmstruktur wurde anhand der drei weiteren Hauptkategorien – Organisation, Pädagogik, Inhalt – erfasst.
Die hier skizzierte dreigliedrige Einteilung rekurriert auf ein Kategoriensystem von Gieseke/Opelt/Stock/Börjesson (2005). Im Zuge dieser Forschungsarbeit wurden Inhalte, Strukturen und Organisationsformen Kultureller Erwachsenenbildung anhand der Länder Berlin und Brandenburg umfassend analysiert und eine grundlegende Theorie Kultureller Erwachsenenbildung abgeleitet. Den Forscherinnen zufolge unterliegen spezifische Bildungsangebote unterschiedlichen Zugangsformen, die als Partizipationsportale bezeichnet werden können. Jene Portale implizieren Aneignungswege zu Kultur und Bildung und stellen eine Beziehung zwischen Themen, Sparten, Wissens-, Lern-, Veranstaltungs- sowie Sozialformen her (vgl. Fleige/Gieseke/Robak 2015:18). Zu unterscheiden sind das selbsttätig-kreative, das systematisch-rezeptive und das verstehend-kommunikative Portal (siehe: Steffi Robak/Marion Fleige Kulturelle Erwachsenenbildung: (Bildungs-)Interessen, Strukturen, Partizipationsformen – und ihre Übersetzung in Wissensstrukturen für Programmentwicklung).
Um eine wissenschaftliche Anschlussfähigkeit zu ermöglichen, wurde die Grundstruktur der hier knapp vorgestellten Grundlagenforschung übernommen, für die Zwecke und Ziele der Arbeit jedoch folgendermaßen angepasst und erweitert:
Die organisatorischen Kategorien erhoben den Angebotstitel, Informationen zu Haupt- und Außenstellen, Räume und Veranstaltungsorte, Kooperationspartner sowie Aufgabe und Funktion der Einrichtung. Die pädagogischen Kategorien umfassten die Organisations- und Sozialformen der einzelnen Angebote; ferner fragten sie nach Lehr-Lern-Arrangements und untersuchten die Zielgruppenansprache. Elementarer Bestandteil der inhaltlichen Kategorien waren die Portale. Neben dem selbsttätig-kreativen, dem systematisch-rezeptiven und verstehend-kommunikativen Zugang wurden jedoch zwei weitere Einzelkategorien erarbeitet, nämlich Kulturveranstaltungen sowie Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote. Diese fünf Angebotstypen implizieren eine Vielzahl an künstlerischen Feldern, die ebenfalls kategorisiert wurden (z.B. Kunstgeschichte, kunsthandwerkliches Gestalten oder Tanz). Das spezifische Forschungsinteresse der Arbeit wurde durch zwei weitere Kategorien sichtbar: Zum einen wurden regionale Bezüge erhoben, zum anderen themenspezifische Aspekte, die gegenwärtig im Kontext Kultureller Bildung bzw. kultureller Teilhabe diskutiert werden (z.B. nachhaltige Entwicklung und Digitalisierung).
Untersuchungsergebnisse
Im Zuge der Analyse von insgesamt 32 Programmheften des zweiten Kurshalbjahres 2016/2017 konnten 3991 Ausschreibungen als kulturelle Bildungsangebote identifiziert und in die Untersuchung miteinbezogen werden – im Rahmen dieser Forschung wurde das kulturelle Bildungsangebot von ländlich geprägten Volkshochschulen nicht ausschließlich anhand des Fachbereichs Kultur-Gestalten, sondern bereichsübergreifend untersucht. Mit insgesamt 2822 Angeboten wird das Programm der untersuchten Volkshochschulen vom selbsttätig-kreativen Portal dominiert. Mit nur 449 bzw. 386 Ausschreibungen spielen das systematisch-rezeptive sowie verstehend-kommunikative Zugangsportal eine eher untergeordnete Rolle. 90 Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote sowie 244 Kulturveranstaltungen komplettieren das kulturelle Bildungsangebot der untersuchten ländlich geprägten Volkshochschulen des Landes Niedersachsen (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2: Gesamtangebot nach Angebotstypen
Im folgenden Part werden die Untersuchungsergebnisse ausschnitthaft vorgestellt. Ziel ist, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabepotentiale zu skizzieren, weiterführende Fragen zu stellen und kontextbezogene Annahmen zu formulieren.
Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote
Innerhalb der erhobenen Programmstruktur können interorganisationale Differenzen konstatiert werden. Dies gilt insbesondere für Kulturveranstaltungen sowie Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote. Die Untersuchungsergebnisse bilden ab, dass insbesondere zuletzt genannte nicht übergreifend, sondern ausschließlich von einzelnen Einrichtungen offeriert werden. Vor dem Hintergrund etwaiger Teilhabepotentiale gewinnt dieser spezifische Angebotstyp dennoch an Relevanz. Einrichtungen, die Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote anbieten, nehmen einen Aufgabenbereich wahr, der traditionell nicht zu ihrem Aktivitätsspektrum zählt; mit entsprechenden Qualifizierungen können sie den Weiterbildungssektor ländlicher Regionen jedoch bereichern. Die Ergebnisse zeigen, dass lokal agierende AkteurInnen in der eigenen Vermittlungsarbeit gestärkt werden können wie Lehrerinnen in Schulen oder Personal in sozialen bzw. Sozialhilfeeinrichtungen, Pflege- und Altenheimen. Weiterhin können Ausbildungsangebote dazu beitragen, bürgerschaftliches Engagement zu initiieren, zum Beispiel über eine Weiterbildung zum/zur StadtführerIn. Es ist zu konstatieren, dass Volkshochschulen mit einer Aktivität im Weiterbildungssektor als Multiplikator fungieren können: Indem sie Wissen und künstlerische Kompetenz dezentral weitergeben, können sie indirekt zur Ausdifferenzierung kultureller Infrastruktur in ländlichen Regionen beitragen sowie kulturelle Teilhabemöglichkeiten in diversen Bildungskontexten (formal, non-formal) und für unterschiedliche Zielgruppen erhöhen.
Kulturveranstaltungen
Ähnlich der Aus-, Fort und Weiterbildung erweist sich auch das Angebotsaufkommen von Kulturveranstaltungen als interorganisational divergent. Diejenigen Organisationen, die in diesem Bereich ein gesteigertes Engagement aufweisen und Kulturveranstaltungen im Bildungsprogramm offerieren, können jedoch – als Veranstalter und Gastgeber fungierend – die kulturelle Infrastruktur in ländlichen Kommunen gestalten. Deren Kulturprogramm ist weit gefächert und reicht von der Präsentation von Ergebnissen der TeilnehmerInnen über die Förderung lokaler KünstlerInnen bis hin zu Darbietungen internationaler Gäste sowie Gastspielen. Die erhobenen Daten zeigen, dass die von Volkshochschulen offerierten Kulturveranstaltungen keiner Hierarchie unterliegen; die schönen Künste – z.B. klassische Musik – sind ebenso Bestandteil des Kulturprogramms wie populärkulturelle Phänomene – z.B. Kino, Kabarett. Als professionell agierende Akteure können Volkshochschulen dazu beitragen, gesellschaftliche Diskurse und künstlerische Impulse in ländliche Sozialräume hineinzutragen; auf diese Weise können sie kulturelle Teilhabemöglichkeiten bieten, welche das lokale (breiten-)kulturelle Angebotsspektrum ergänzen.
Zugangsportale und künstlerische Felder
Weitaus weniger interorganisationale Unterschiede zeigen sich im Hinblick auf die drei Zugangsportale. Das verstehend-kommunikative, systematisch-rezeptive sowie selbsttätig-kreative Portal sind im Programmangebot der untersuchten Einrichtungen übergreifend und kontinuierlich vertreten. Allerdings weisen die zwei zuerst genannten Zugangsportale ein weitaus geringeres Angebotsaufkommen als das zuletzt genannte Portal auf. Im Mittelpunkt der kulturellen Bildungsarbeit von ländlich geprägten Volkshochschulen stehen ein gestalterischer und explizit soziokultureller Ansatz, die Eigenproduktivität und das Erlernen einer künstlerischen Technik. Hervorzuheben ist, dass Kulturelle (Erwachsenen-)Bildung an den untersuchten Einrichtungen keine Bildung in den klassischen Künsten bzw. durch die klassischen Künste ist. Während das systematisch-rezeptive Portal – wie auch das verstehend-kommunikative – von kulturhistorischen Themen bestimmt ist, die häufig regionale/lokale Bezüge aufweisen, überwiegen im selbsttätig-kreativen Portal Angebote zum handwerklichen Schaffen (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3: Angebote im selbsttätig-kreativen Portal
Weil Volkshochschulen (auch) nachfrageorientiert arbeiten, kann davon ausgegangen werden, dass diesen Bildungsangeboten lebensweltliche Bezüge und ein hohes Identifikationspotential inhärent sind, weshalb sie nicht unterschätzt und in ihrem kulturellen und künstlerischen Wert nicht minder bewertet werden sollten. Doch obwohl diese Bildungsangebote kulturelle Teilhabe in besonderem Maße befördern mögen und eine Hierarchisierung der Künste zu vermeiden ist, sollten die benannten Befunde auch kritisch bewertet werden – insbesondere mit Bezug auf das integrative Selbstverständnis von Volkshochschulen. Ob Kulturelle Bildung für alle durch eine einseitige Programmstruktur verwirklicht werden kann, muss bezweifelt werden; vielmehr weist sie auf eine einseitige Zielgruppenreichweite hin.
Kulturelle Bildung und Distinktion
In diesem Kontext sollen die Zugangsportale auf ihr Distinktionspotential hin überprüft werden. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass den erhobenen künstlerischen Feldern spezifische Zeichensysteme inhärent sind, die zu lesen und entschlüsseln differente Vermittlungsformate verlangen. Vor diesem Hintergrund mag es nicht verwundern, dass ein konkreter Zusammenhang zwischen Angebotstyp bzw. Zugangsportal, künstlerischer Sparte sowie Organisations- und Sozialform besteht. Es ist davon auszugehen, dass Angebote des systematisch-rezeptiven Portals andere Zielgruppen und soziale Milieus erreichen, als die des selbsttätig-kreativen Zugangs. Dies mag auch mit der AdressatInnenansprache und den entsprechenden Ausschreibungstexten zusammenhängen. Damit Kulturelle Bildung keine milieustabilisierende Wirkung hat und um gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozessen wie Digitalisierung und demografischer Wandel in ländlichen Regionen adäquat zu begegnen, müssen sich ländlich verortete Volkshochschulen womöglich für neue Lehr-Lern-Formate öffnen und Zielgruppenansprachen hinterfragen.
Zielgruppenansprache
Die Forschungsergebnisse verdeutlichen, dass Zielgruppen zu einem großen Teil über Interessen und weniger über soziodemografische Merkmale, soziale, milieuspezifische oder gesellschaftlich-kulturelle Zuschreibungen konstituiert werden, was zunächst bedeutet, dass alle Bildungsangebote allen Interessierten offenstehen und kulturelle Teilhabe grundsätzlich ermöglicht werden kann. Ob dies ausreicht oder unter welchen Umständen gesellschaftliche Minderheiten und Randgruppen wie MigrantInnen, Menschen mit Handicap, ältere Menschen ebenso in künstlerischen Kontexten explizit angesprochen werden sollten, um dem integrativen Leitbild Kulturelle Bildung für alle zu entsprechen, wird von den einzelnen Organisationen different beantwortet. Es ist aber davon auszugehen, dass diversitätsbewusste bzw. inklusive Lehr-Lern-Umfelder nicht obligatorisch bestehen, sondern infrastrukturell geschaffen und personell getragen werden müssen. Ob entsprechende Vermittlungskompetenzen stets lokal verfügbar sind, darf bezweifelt werden.
Kooperationsarbeit
Dass die praktische Umsetzung politisch begründeter Handlungsanweisungen bezüglich Diversität und Inklusion die untersuchten Volkshochschulen vor Herausforderungen und den Anspruch Kultur für alle auf die Probe stellt, kann vermutet werden. In diesem Kontext ist zu fragen, inwiefern Kooperationen dazu beitragen können, die Möglichkeit zu kultureller Teilhabe zu sichern. Um kulturelle Infrastruktur in ländlichen Gebieten zu gestalten und Teilhabechancen zu erhöhen, scheinen Kooperationen grundsätzlich probates Mittel zu sein, weil spezielle Kompetenzen gebündelt und vernetzt werden können. Basis für eine optimale Ausschöpfung der genannten Teilhabepotentiale sind wohl die Kontinuität und Qualität der planerischen und operativen Zusammenarbeit, die aber stets unter dem Einfluss divergenter Organisationsformen und organisationalen Selbstverständnissen steht, die es in Einklang zu bringen gilt. Ob und inwiefern Kooperationen nachhaltig gestaltet werden, hängt wohl auch vom persönlichen Engagement einzelner MitarbeiterInnen ab. Anzunehmen ist, dass diese neben der nötigen Motivation auch zeitliche Ressourcen zur Netzwerk-Pflege mitbringen müssen. Mit Blick auf die mitunter schwierige Beschäftigungssituation von pädagogischen MitarbeiterInnen an Volkshochschulen kann vermutet werden, dass der Faktor Zeit den Faktor Motivation bisweilen unterläuft. Von diesen Herausforderungen abgesehen, können Kooperationspartnerschaften einen finanziellen Mehrwert darstellen. Die ermittelten Daten legen stellenweise offen, dass insbesondere private StifterInnen oder Unternehmen mit den nötigen monetären Ressourcen zu einer Ausdifferenzierung des Programmangebots bzw. zur Sicherung der Angebotsvielfalt von ländlich verorteten Volkshochschulen beitragen können. Im Hinblick auf den Rückgang der Kernfinanzierung durch Länder und Kommunen können alternative Finanzierungsquellen dieser Art auch zukünftig von großem Interesse sein.
Zentralität und Dezentralität: Bedeutung der VHS-Außenstellen
Volkshochschulen brauchen zum Erhalt der dezentralen, kulturellen Infrastruktur in kleinen Kommunen und dörflichen Strukturen sowie zur Teilhabe aller – nicht nur in den Kreisstädten – die nötigen finanziellen Mittel. Insbesondere Volkshochschulen, die über einen weiten räumlichen Zuständigkeitsbereich verfügen wie VHS Osnabrücker Land, scheinen Außenstellen an Bedeutung zu gewinnen. Auf Basis der Untersuchungsergebnisse kann gleichzeitig den VHS-Häusern, welche meist in den Kreisstädten verortet sind, ein hohes Teilhabepotential zugeschrieben werden. Über den Kursalltag hinaus können diese als kulturelles Zentrum, als öffentlicher Veranstaltungs- und Ausstellungsraum sowie Ort der Gesellschaftlichkeit und Begegnung fungieren. Weiterführend wäre jedoch zu fragen, welche Rolle Außenstellen für ländlich geprägte Volkshochschulen tatsächlich (noch) spielen, wie sie sich unter fehlenden finanziellen und personellen Ressourcen bzw. mit Blick auf demografische Veränderungen und etwaige Peripherisierungsprozesse entwickeln und inwieweit im Volkshochschulwesen Zentralisierungstendenzen zugunsten der Hauptstellen zu verzeichnen sind.
Organisationale Funktionen und Rollen
Volkshochschulen fungieren in unterschiedlichen Rollen: Im Allgemeinen sind sie in der Funktion des Administrators tätig. Das heißt, sie verwalten und planen die operativen Aktivitäten der freien DozentInnen. Darüber hinaus fungieren sie als Organisator und gleichzeitig als Netzwerker. Sie initiieren Veranstaltungen, die jedoch von Partnerorganisationen durchgeführt werden. Die Rolle des Gastgebers nehmen Volkshochschulen häufig im Zuge von Kulturveranstaltungen ein und treten dabei öffentlich in Erscheinung. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass Volkshochschulen Mittler sind. Sie schreiben Angebote von Kooperationspartnern oder anderen regionalen Akteuren aus, verantworten aber weder deren Anmeldung noch deren Durchführung. Bereits hingewiesen wurde auf die Rolle des Multiplikators, die Volkshochschulen im Kontext von Weiterbildungsangeboten einnehmen. Teils sind die Volkshochschulen selbst Träger anderer Einrichtungen, beispielsweise führt die RegioVHS Ganderkesee-Hude ein Kulturzentrum, die Kreisvolkshochschule Norden ein Mehrgenerationenhaus sowie die Volkshochschule Wildeshausen eine Kunstschule. Diese hier nur schemenhaft dargestellten Funktionen und Rollen schließen sich nicht gegenseitig aus; vielmehr weisen sie darauf hin, dass Volkshochschulen lokal agierende Organisationen sind, die auf divergente Weise in den Sozialraum hineinwirken und kulturelle Infrastruktur offensiv gestalten können.
Umweltbezüge
Inwiefern Volkshochschulen nicht nur in den Sozialraum hineinwirken, sondern ebenso Impulse aus gesellschaftlichen Umwelten aufnehmen, konnte auf Grundlage des gewählten Forschungsdesigns nicht adäquat untersucht werden. Mit Blick auf die punktuell erhobenen interorganisationalen Unterschiede sowie die Vielzahl an lokalspezifischen Angeboten kann jedoch weiterhin von einer Wechselbeziehung zwischen Organisation und gesellschaftlicher Umwelt ausgegangen werden. Werden jene Wechselbeziehungen nicht lokal, sondern global gedacht, gewinnen in diesem Kontext auch gesellschaftspolitische Schwerpunkthemen an Relevanz. Unter der Annahme, dass Volkshochschulen lernende Organisationen sind, die ihr Handeln an gesellschaftlichen Herausforderungen ausrichten, wurde das Programmangebot von ländlich verorteten Volkshochschulen auf aktuelle gesellschaftspolitische Diskurse hin untersucht, die im Kontext kultureller Teilhabe zu bearbeiten sind. Inter-/Transkulturalität, Inklusion/Diversität sowie Demografischer Wandel wurden im Zuge der Forschung implizit über die Auseinandersetzung mit Zielgruppen und deren Ansprache bzw. über das verstehend-kommunikative Portal verhandelt. Punktuell zeigen die Ergebnisse, dass diesen Angeboten das Potential inhärent ist, globales Denken zu fördern – entweder über einen selbsttätig kreativen oder systematisch-rezeptiven Zugang, doch weisen sie ein vergleichsweise niedriges Angebotsaufkommen auf. Die untersuchten Organisationen agieren hier (noch) recht zurückhaltend. Mit Blick auf die zunehmenden demografischen Veränderungen in ländlichen Gebieten ist jedoch anzumerken, dass die ästhetisch-künstlerische Bildung in inter- und transkulturellen Kontexten eine in Zukunft noch präsentere Rolle spielen kann.
Digitalisierung und nachhaltige Entwicklung
Aspekte von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung wurden explizit untersucht und auf Teilhabepotentiale hin überprüft. Beide Themen verbinden sich über die Frage, in welchen Zusammenhängen Künste für kunstferne Zwecke eingesetzt und fruchtbar gemacht werden: Bildung durch die Künste. Mit Bezug auf den Digitalisierungsprozess ist zu fragen, ob und inwiefern digitale Medien speziell in künstlerisch-ästhetischen Kontexten Mehrwert entfalten und welchen Beitrag sie zu einer nachhaltigen Vermittlungspraxis leisten können. Die erhobene Datenlage spiegelt wider, dass digital organisierten Lehr-Lern-Formaten ein hohes Maß an Flexibilität innewohnt. Online-Kurse bieten ein Mehr an Unabhängigkeit, da Lernzeiten und -orte individuell bestimmt werden können. Sowohl für gesellschaftliche Gruppen – wie Berufstätige, Eltern, immobile Menschen – als auch speziell in ländlichen Regionen, wo räumliche Distanzen Besuchsbarrieren darstellen können, sind derartige Lehr-Lern-Arrangements in den Fokus der Diskussion zu rücken. Überdies kann die digitale Alternative ebenso für KursleiterInnen und ReferentInnen reizvoll sein, da sie von zeitlicher und räumlicher Flexibilität profitieren. Dass der Faktor Zeit an Relevanz verliert und räumliche Distanzen eine untergeordnete Rolle spielen, kann weiterhin aus programmplanerischer Perspektive von Interesse sein. Die ExpertInnen können raumunabhängig in das Programmangebot eingebunden werden. Auf diese Weise können das Angebotsspektrum erweitert und neue Zielgruppen angesprochen werden. Letztendlich können digitale Lehr-Lern-Konzepte auch aus finanzieller Sicht attraktiv sein, da mehrere Volkshochschulen dasselbe Bildungsangebot zeitgleich offerieren können. Ästhetisch-künstlerische Tun lebt grundsätzlich von Körperlichkeit, sinnlicher Aneignung, Diskurs und persönlichem Austausch. Dies mag einer positiven Bewertung digitaler Lehr-Lern-Formate entgegenstehen. Gleichwohl ist zu betonen, dass vom Digitalisierungsprozess – unter der Voraussetzung einer Breitbandversorgung – Teilhabepotentiale ausgehen, die von den untersuchten ländlich verorteten Volkshochschulen bislang nicht ausgeschöpft werden.
Das Themenfeld Nachhaltigkeit wird auf Natur- und Ökologiethemen bezogen im Programmangebot implizit und explizit verhandelt. Die Ergebnisse legen dar, dass Volkshochschulen mit entsprechenden Bildungsangeboten für die natürliche Umwelt und deren Ressourcen sensibilisieren können. Vor allem über das eigene künstlerische Schaffen wie der Arbeit mit natürlichen Werkstoffen wird TeilnehmerInnen die Möglichkeit geboten, an globalen Veränderungsprozessen teilzuhaben und Welt durch das eigene Handeln zu gestalten. Aus der weiten Nachhaltigkeitsperspektive heraus wäre zudem zu fragen, inwiefern das organisationale Handeln von Volkshochschulen dem Vier-Säulen-Nachhaltigkeitsmodell entspricht (siehe: Bianca Fischer „Kulturelle Bildung für nachhaltige Entwicklung“) und inwieweit sie ihrer gesellschaftlichen Vorbildfunktion auch auf institutioneller Ebene gerecht werden können.
Lokalität, Regionalität und Globalität
Abgesehen von den erhobenen Verteilungswerten der unterschiedlichen Angebotstypen spiegeln die Forschungsergebnisse wider, dass die Programmstruktur der ländlich geprägten Volkshochschulen häufig zwischen Lokalität, Regionalität und Globalität oszilliert. Globale Perspektiven eröffnen neben dem verstehend-kommunikativen Portal, dem eine weltoffene und interkulturelle Perspektive eingeschrieben ist, auch Angebote im Kontext nachhaltiger Entwicklung und der Medienbildung sowie eine Vielzahl an weiteren Veranstaltungen und den entsprechenden Organisations- und Sozialformen wie (Kultur-)Reisen, Exkursionen, Reisevorträge, kulturgeschichtliche Seminare, Konzerte mit internationalen KünstlerInnen, Kunstausstellungen. Diesen Angeboten ist das Potential zuzuschreiben, Blicke zu weiten sowie globales Denken zu fördern bzw. zu fordern. Aber auch regional- und lokalspezifische Bildungsangebote, die lebensweltliche Bezüge herstellen und identifikationsstiftend wirken können, sind Bestandteil der Volkshochschulprogramme. Angebote zum regionalen Brauchtum, zur lokalen Kulturgeschichte und nicht zuletzt zur plattdeutschen Sprache bzw. Kulturhistorie sind organisationsübergreifend vertreten. Der an dieser Stelle skizzierte Ansatz kann als Globalität-Regionalität-Lokalität-Kontinuum bezeichnet werden. Die Bewahrung von Brauchtum und Tradition zum einen sowie die Auseinandersetzung mit künstlerischen Impulsen und die Diskussion globaler und gesellschaftlicher Themen zum anderen sind grundsätzlich als fruchtbares Teilhabekonzept herauszustellen.
Mehrdimensionalität
Mit Blick auf alle bisher dargestellten Untersuchungsergebnisse ist zu rekapitulieren, dass die beschriebene Mehrdimensionalität ein charakteristisches Merkmal der untersuchten ländlich verorteten Volkshochschulen ist. Mehrdimensionalität kann auf Basis der ermittelten Programmstruktur auf organisatorischer, pädagogischer und inhaltlicher Ebene konstatiert werden. Sie bildet sich ab in einer Vielzahl an künstlerisch-ästhetischen Ausdrucksformen, die in hoch-, populär-, breiten- und soziokulturelle Kontexte eingebettet sind. Der breitenkulturelle Ansatz spiegelt sich in vereinsähnlich organisierten festen Gruppen und der Ausübung eher traditionell orientierter künstlerischer Techniken wider, der soziokulturelle Ansatz nimmt im selbsttätig-kreativen Portal Gestalt an. Populärkulturelle Phänomene zeigen sich bei Kulturveranstaltungen, die Auseinandersetzung mit den schönen Künsten vollzieht sich hingegen durch einen Theater-/Opernbesuch oder die rezeptive Aneignung klassischer Kunstwerke.
Mehrdimensionalität zeigt sich auch in entsprechenden Lehr-Lern-Arrangements, denen diverse Spielstätten und Lernorte zugrunde liegen, in der Ansprache von differenten Zielgruppen, in der Vernetzung mit unterschiedlichen lokalen und überregionalen Partnern, in den vielfältigen Funktionen von Volkshochschulen, in digitalen Lernumwelten, in gesellschaftspolitischen Kontexten, in interdisziplinär gedachten Angebotsstrukturen und nicht zuletzt im Globalität-Regionalität-Lokalität-Kontinuum. Schlussendlich steht die hier nachgezeichnete Idee kulturelle Teilhabe durch mehrdimensionales Denken paradigmatisch für das humanistisch-integrative Leitbild von Volkshochschulen bzw. stellt die Voraussetzung für dessen Umsetzung dar.
Fazit und Ausblick
Diese auf einer gesamtinstitutionellen Ebene nachgezeichnete Mehrdimensionalität auf jede einzelne Einrichtung zu übertragen und zu verallgemeinern, ist auf Basis der Ergebnisse nicht anzuraten. Eher kann die dargelegte Vielfalt als Abbild der Teilhabepotentiale gelesen werden, die den untersuchten Organisationen grundsätzlich innewohnen. Ob und inwiefern jede Volkshochschule diese Potentiale ausschöpfen kann, hängt mit Sicherheit von unterschiedlichen Komponenten ab. Organisationale Rahmenbedingungen wie finanzielle Mittel, Art der Trägerschaft, Verfügbarkeit von personellen Ressourcen und Kompetenzen sind ebenso mitzudenken wie raumspezifische Einflüsse wie räumliche Lagegunst, sozio-demografische und sozio-ökonomische Faktoren. Damit die analysierten ländlich geprägten Volkshochschulen nicht nur verwalten, sondern gestalten und in ländliche Transformationsprozesse eingebunden werden können, ist zu fordern, sie als bildungs- und kulturpolitische Akteure anzuerkennen und ihre Bildungsarbeit entsprechend zu fördern. Die Aktivitäten von Volkshochschulen sind nicht als selbstverständlich und obligatorisch zu verstehen; ohne die nötigen Fördermittel werden ländlich verortete Volkshochschulen ihre Potentiale in Zukunft nicht ausschöpfen können. Sie werden nicht professionell, regional sowie dezentral agieren, künstlerische Impulse nicht initiieren, dem integrativen Leitbild nicht entsprechen und ihren öffentlichen Bildungsauftrag nicht erfüllen können.