Kulturelle Bildung und Resonanzerfahrungen im Ganztag
Abstract
Der Beitrag soll aufzeigen, welche Bedeutung Angebote im Feld der Kulturellen Bildung für Kinder und Jugendliche haben. Darüber hinaus wird auf Grundlage des Resonanzkonzeptes von Hartmut Rosa und der soziologischen und erziehungswissenschaftlichen Perspektive von Aladin El-Mafaalani argumentiert, dass es einer klaren Grenzziehung zwischen Angeboten der Kulturellen Bildung und dem schulischen Unterricht bedarf, wenn es darum geht, solche chancengerecht und nachhaltig in den Ganztag zu integrieren. Abschließend werden Chancen und Hürden einer Kulturellen Bildung im Ganztag angesprochen.
Einleitung
Mit dem 2026 in Kraft tretenden Recht auf einen Ganztagsplatz gehen viele Herausforderungen einher: Viele Schulen, die bislang in einem Vormittagsbetrieb organisiert waren, müssen sich nun umstellen. Nicht nur ein gesundes Mittagessen wird benötigt, sondern auch Räumlichkeiten sowie Personal – und ein stimmiges Konzept. Auf der anderen Seite können Kinder non-formale, außerschulische Bildungsangebote (wie z. B. Musikschulen) erst nach der Schule am Ende eines langen Tages wahrnehmen. Es liegt daher auf der Hand, Angebote der non-formalen Bildung, die Kinder bislang nur nachmittags oder am Wochenende aufsuchen können, in den Ganztag zu integrieren.
Es ist oft von einer sinnvollen ‚Verzahnung‘ die Rede, doch wie können völlig verschiedene Systeme – Schule, Kinder- und Jugendhilfe, Kulturelle Bildung – mit ihren eigenen Logiken gut ineinandergreifen? Wo liegt die Steuerung des Getriebes? Oft sind derzeit lediglich die Bereiche Schule und Hort oder Nachmittagsbetreuung im Blick, wenn es um die Ausgestaltung des neuen Ganztags geht. Der so wichtige Bereich der Kulturellen Bildung und ihrer spezifischen Orte wird dabei weniger beachtet. Im Folgenden soll daher zunächst dargelegt werden, wie wichtig Angebote der Kulturellen Bildung für die Kinder und Jugendlichen sind. Anschließend wird auf Gelingensbedingungen fokussiert. Die Suche nach Lösungen in diesem komplexen Gefüge führt zu Überlegungen von Hartmut Rosa und Aladin El-Mafaalani, die hier aufgegriffen werden.
Die Bedeutung von Kultureller Bildung für Kinder und Jugendliche
In viererlei Hinsicht sind die Überlegungen und Schlussfolgerungen Hartmut Rosas zum Zustand unserer Gesellschaft und zu unseren Bedürfnissen im Hinblick auf die Bedeutung von Kultureller Bildung für Kinder und Jugendliche relevant und hilfreich. Dies sind insbesondere seine Darlegungen zu Resonanz und Resonanzfähigkeit, zu deren Unverfügbarkeit und zu Entfremdung als Folge von Verfügbarkeitsillusionen und Resonanzunfähigkeit.
Resonanz vs. Beschleunigung
Da ist zunächst seine Feststellung, dass wir in einem „Zeitalter der Beschleunigung“ leben (Rosa, 2012). Nicht Entschleunigung, sondern Resonanz setzt er dagegen (Rosa, 2020b, S. 13). Die Merkmale von Resonanz hat Rosa in seinem Essay „Unverfügbarkeit“ noch einmal anschaulich zusammengefasst. Neben den Momenten der „Berührung (Affizierung)“ und der „Selbstwirksamkeit (Antwort)“ ist das Moment der „Anverwandlung (Transformation)“ hervorzuheben (Rosa, 2020a, S. 38-41): „Wann immer wir mit der Welt in Resonanz treten, bleiben wir nicht dieselben. Resonanzerfahrungen verwandeln uns, und eben darin liegt die Erfahrung von Lebendigkeit.“ (Ebd., S. 41) Und genau das ist es, was gelebte Kulturelle Bildung ausmacht: Sie bietet Resonanzerfahrungen der vielfältigsten Art (Rosa, 2020b, S. 472-500). Daher sollte Kulturelle Bildung selbstverständlicher Teil institutioneller Bildung von Kindern und Jugendlichen sein (Engels, 2022).
Resonanzfähigkeit als Charakteristikum von Begabung
Eine weitere Erkenntnis Rosas ist bemerkenswert: Rosa meint, nicht Intelligenz, sondern Resonanzfähigkeit sei das entscheidende Charakteristikum von Begabung (Rosa, 2020b, S. 418). Dies hat er vielfach in seiner Arbeit mit Jugendlichen in einer Sommerakademie beobachten können. „Wenn überhaupt durch etwas, dann zeichnen sich hochbegabte Jugendliche gegenüber anderen dadurch aus, dass sie fast allen Weltdingen […] genuines Interesse entgegenbringen und dass sie zugleich davon überzeugt sind, dass sie diese Dinge zum Sprechen bringen können, dass sie sie in ein Antwortverhältnis zu bringen vermögen, an dem sich ihre Selbstwirksamkeit entfaltet und entwickelt.“ (Ebd.) Eine grundlegende Förderung der Resonanzfähigkeit ließe sich daraus für den Auftrag von Bildungseinrichtungen ableiten.
Unverfügbarkeit
Rosa beschreibt anschaulich ein weiteres zentrales Merkmal von Resonanz: das Moment der Unverfügbarkeit (vgl. zum folgenden Abschnitt Engels, 2023, S. 33-35). Resonanzerfahrungen lassen sich nicht instrumentell herstellen. „Selbst wenn wir alle subjektiven, sozialen, räumlichen, zeitlichen und atmosphärischen Hintergrundbedingungen zu kontrollieren und ganz auf die Ermöglichung einer Resonanzerfahrung ein- und auszurichten versuchen, kann es sein [...], dass wir nicht berührt werden und keine Verbindung herzustellen vermögen.“ (Rosa, 2020a, S. 43.) Es lässt sich nicht vorhersagen, ob sich Resonanz einstellt und von welcher Dauer sie ist. „Ein Spezifikum der Resonanz ist es [...], dass sie sich weder sicher erzwingen noch garantiert verhindern lässt. Konstitutiv unverfügbar ist Resonanz aber noch in einem zweiten, wichtigeren Sinne: Wenn sie eintritt, verwandeln wir uns, aber es ist unmöglich vorherzusagen, in welche Richtung wir uns verändern oder was das Ergebnis der Verwandlung ist. [...] Die transformativen Effekte einer Resonanzbeziehung entziehen sich stets und unvermeidlich der Kontrolle und Planung der Subjekte, sie lassen sich weder berechnen noch beherrschen [...].“ Sie ist „konstitutiv ergebnisoffen“, sie lässt sich „nicht akkumulieren, nicht speichern und nicht instrumentell steigern“ und steht damit in einem „grundlegenden Spannungsverhältnis zur sozialen Logik der unablässigen Steigerung und Optimierung“ (ebd., S. 44). Empirische Bildungsforschung ist seit dem ersten sogenannten PISA-Schock zu Beginn des 21. Jahrhunderts genau darauf ausgelegt: die Stellschrauben zu finden und daran zu drehen, um die Ergebnisse zu verbessern. Von daher ist es wenig überraschend, dass Rosas Versuche, „schulische Bildungsprozesse verfügbar, das heißt messbar und steuerbar, zu machen“ (ebd., S. 78) kritisch sieht. Rosa bezweifelt nicht, dass Kompetenzen „hilfreich und oft notwendig“ sind, um „die Dinge [...] zum Sprechen zu bringen“. „Kompetenzen sind aber niemals der Endzweck von Bildung – dass sie es für die Bildungspolitik werden konnten, liegt einfach daran, dass sie sich im Gegensatz zur Bildung exakt messen und weitgehend verfügbar machen lassen.“ Nicht dort, wo eine bestimmte Kompetenz erworben wird, ereignet sich nach Rosa Bildung, „sondern dann, wenn ein gesellschaftlich relevanter Weltausschnitt ‚zu sprechen beginnt‘“ (ebd., S. 78). In Rosas Idee von Unterricht gibt es Situationen, in denen es im Klassenraum „knistert“ und Lehrer:innen an dem Leuchten der Kinderaugen erkennen können, ob sich Resonanzerfahrungen einstellen (Rosa & Endres, 2016, S. 16, S. 28). In dem Moment jedoch, in dem Schulnoten ins Spiel kommen, wird es schwierig, unbefangen auf ‚Knistermomente‘ zu warten. An Schulnoten hängen immer Kriterien und die müssen transparent, also verfügbar sein. Aus alldem folgt, dass Resonanzerfahrungen in schulischem Unterricht immer gewünscht sind, doch nicht messbares Unterrichtsziel sein können (Engels, 2017, S. 187-189). Weiter zu folgern ist, dass jene Angebote, die auf Resonanzerfahrungen zielen, nicht mit der Logik von Unterricht verwoben werden sollten. „Angebote der Kulturellen Bildung haben einen spielerischen Charakter. Es geht darum, freiwillig und gemeinsam mit anderen etwas zu tun, das uns Spaß und Freude bereitet, worauf wir neugierig sind, was uns fasziniert oder stark beschäftigt.“ (BKJ, 2020b, S. 4.) Genau das müssen sie auch unbedingt bleiben, damit sie wirksam sein können. Wenn es nun um eine Verzahnung im Ganztag geht, ist also sorgsam darauf zu achten, dass sie ihren spielerischen Charakter nicht verlieren.
Entfremdung
Schließlich beschreibt Rosa einen Effekt, der sich gegenteilig zur Resonanzerfahrung verhält: Entfremdung. Diese entsteht dann, wenn sich Resonanz nicht einzustellen vermag und Verfügbarkeit sich als Trugschluss erweist (Rosa, 2020a, S. 28 f., S. 126 f.). Schule habe, so Rosa, in erster Linie die „bildungsbürgerlich vorgeprägten Kinder“ im Blick, bei denen die „Ausbildung und Etablierung von Resonanzachsen“ gelingen (Rosa, 2020b, S. 417). Wie Aladin El-Mafaalani (s. u.) weist Rosa darauf hin, dass sich Entfremdungserfahrungen auf die Lebensqualität auswirken und überdies die Sozialstruktur verfestigen, in der die Herkunft den Bildungserfolg prägt (ebd.). Jens Beljan, der in seiner Studie „Schule als Resonanzraum und Entfremdungszone“ u. a. diesem Punkt nachgeht, schlägt vor, Stoff und Lehrer:innenverhalten entsprechend anzupassen, wobei dann in der „Schul- und Unterrichtskultur […] etwa nicht nur die ‚bürgerlich‘ geprägten Resonanzachsen (Kunst, Musik, Theater, Museum usw.) angeboten werden“ (Beljan, 2019, S. 235 f.). Ob dies den gewünschten Erfolg verspricht (Engels, 2023, S. 38) oder ob eine frühe und umfängliche Kulturelle Bildung hier etwas bewirkt (s.u.), wäre genauer zu ergründen.
Zusammenfassend müssen Angebote der Kulturellen Bildung grundlegender Teil einer ganztägigen Bildung sein, weil sie vielfältig Resonanzerfahrungen bereithalten, die unverzichtbar für die Bildung von Kindern und Jugendlichen sind. Doch angesichts von Unverfügbarkeit und Entfremdungsgefahr muss gut überlegt werden, wie sie in den Ganztag integriert werden können. Dass die Aspekte Schulnoten und unmittelbare Verfügbarkeit sowie ein Bedürfnis nach Eindeutigkeit unter Umständen eine sehr große Rolle spielen und daher unbedingt Beachtung finden sollten, wird im Folgenden anhand von Überlegungen und Erkenntnissen Aladin El-Mafaalanis dargelegt. Drei Kernbereiche sind dabei besonders relevant: Leben in Armut, Bedeutung von Zeugnissen und Erkennen von Potenzialen.
Kulturelle Bildung als Möglichkeitsraum und dritter Ort
Auch Aladin El-Mafaalani weist darauf hin, dass „sich das deutsche Schulsystem traditionell durch (implizite) Normalitätsannahmen im Hinblick auf unterstellte kulturelle und familiale Voraussetzungen der Kinder aus[zeichnet].“ (El-Mafaalani, 2023, S. 93.) El-Mafaalani erklärt, dass Familien heute superdivers sind und Schule sich daher von den Normalitätsannahmen verabschieden sollte, und legt zudem ausführlich dar, inwiefern Kinder, die in Armut aufwachsen (und das sind nicht wenige in Deutschland), besonders benachteiligt sind.
Habitus und Prägung
El-Mafaalani beschreibt anschaulich den Habitus von Kindern und Jugendlichen, die in Armut aufwachsen und merkt an, dass dieser sich in frühen Lebensphasen entwickelt und später kaum noch wandelbar ist (El-Mafaalani, 2022, S. 132). Sie sind „Insolvenzverwalter des Alltags“: ihr Denk- und Handlungsmuster ist von „Kurzzeitorientierung, Nutzenorientierung, Funktionslogik und Risikovermeidung“ geprägt; „der Umgang mit Optionen [wird] nicht erlernt“ (ebd., S. 134 f.). „Man sucht gern nach eindeutigen Situationen, nach Klarheit und Übersichtlichkeit.“ (El-Mafaalani, 2023, S. 97.) Diesen Kindern gegenüber stehen Kinder aus privilegierten Verhältnissen mit einer „habituelle[n] Prägung, die sich mit den Begriffen Langzeitorientierung, Abstraktionsfähigkeit, einem Denken in Alternativen, Experimentier- und Risikofreudigkeit umschreiben lässt. […] Die Kreativität bezieht sich auf Ziele und nicht auf den Mitteleinsatz.“ (El-Mafaalani, 2022, S. 136.) Damit einher geht ein unterschiedlicher Lernbegriff: Benachteiligte Kinder haben einen funktionalen Lernbegriff. „Im Modus des Mangels ist der Zugang zu Bildung als Selbstzweck weitgehend habituell versperrt […] Offene Lernarrangements, bei denen also Aufgabenstellungen und Lösungswege offengehalten werden, führen zu Unsicherheit.“ (Ebd., S. 137.) So könnte geschlussfolgert werden, dass solchen Kindern Angebote mit klarer Nutzenorientierung und Funktionslogik unterbreitet werden sollten. Überzeugender erscheint dagegen ein möglichst früher und umfangreicher Kontakt mit Angeboten der Kulturellen Bildung, welche ergebnisoffen, partizipativ und spielerisch sind, um ein Denken in Alternativen und Experimentierfreudigkeit anzuregen und so den Einfluss der Herkunft auf den Bildungserfolg möglichst gering zu halten.
Noten und Zeugnisse
Einen weiteren, nicht zu unterschätzenden Punkt bilden Zeugnisse und Schulnoten, die für benachteiligte Kinder sehr wichtig sind und die die Ausrichtung ihres Handelns in der Schule bestimmen. „Sie haben das Leistungsprinzip, nach dem der Erfolg in der Schule und später im Beruf einzig in der eigenen Hand liegt, verinnerlicht.“ (Ebd., S. 136.) Zeugnisse haben, wie El-Mafaalani beschreibt, ihren spezifischen Wert in unserer Gesellschaft (ebd., S. 28, S. 108 f.), und nicht zuletzt durch die PISA-Studien geht von ihnen ein großer Druck aus (ebd., S. 32). Sich ‚Knistermomenten‘ hinzugeben, kritische Fragen zu stellen oder Selbstwirksamkeit zu proben, ist für diese Kinder unter dem Druck der Schulnoten wohl weniger realisierbar. Es ist naheliegend, diese Momente und Situationen durch Personen zu ermöglichen, die nicht irgendwann in der Schullaufbahn eine Note vergeben.
Erkennen von Potenzial und Begabung
Für eine Trennung der Aufgaben spricht ein weiterer Aspekt: das Erkennen von Potenzial und Begabung. Lehrpersonen würden nicht dazu ausgebildet, Potenziale zu erkennen und versagen hier regelmäßig, so El-Mafaalani (ebd., S. 80, S. 162). Der Umstand, dass für Kinder aus benachteiligten Milieus oft die Lehrkräfte die einzigen erwachsenen Personen aus einem anderen Milieu sind (ebd., S. 199), spricht ebenfalls dafür, systematisch weitere erwachsene Personen in einen guten Kontakt mit den Kindern zu bringen, die überdies weniger auf die kognitiven Fähigkeiten achten, dafür aber die motivationalen, volitionalen und sozialen Fähigkeiten fördern (ebd., S. 200). Lehrkräften sollte das Kerngeschäft, der Fachunterricht, überlassen werden (ebd., S. 234).
Die genannten Zusammenhänge illustriert eine Publikation im Umkreis von Gerald Hüther (vgl. Engels, 2023, S. 38 f.). Darin erklärt Hüther, dass die anstehende gesellschaftliche und ökologische Transformation nicht mit dem bestehenden Schulsystem zu vollziehen sei und insbesondere die Lehrkräfte nicht dazu imstande seien, die Kinder darauf vorzubereiten (Hüther, Heinrich & Senf, 2020b, S. 99). Das Buch legt dagegen Beispiele vor, wie (Selbst-)Bildungsprozesse gelingen können. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die „Befreiung von Leistungsdruck“, dessen negative Auswirkungen einfühlsam beschrieben werden (ebd., S. 187-194). In einem der Beispiele geht es um einen Jungen, der durch Breakdance seine Bestimmung fand und in einem anderen, wie ein vernachlässigter Schulverweigerer mit Rap auch ohne Schulabschluss ein erfolgreicher Lebenskünstler wurde (ebd., S. 279-300). Breakdance und Rap zeigen sich dabei als lebenswichtige Ausdrucksformen, und die Begleiter, die die Jungen mit den Künsten in Kontakt gebracht haben, als „Mentoren“ (ebd., S. 139). Die Publikation lässt sich als nachdrückliches Plädoyer für außerunterrichtliche Lernorte für Kinder und Jugendliche lesen (Engels, 2023, S. 39). Hier genau ins Bild passt die Überschrift eines Beitrags in der aktuellen Ausgabe infodienst. Das Magazin für Kulturelle Bildung über die Arbeit im Internationalen Jugend- und Kulturzentrum in Duisburg-Marxloh: „Kreativ werden ohne Leistungsdruck“ (Bajur, 2024, S. 28). Zu solchen wertvollen Angeboten haben nicht alle Kinder leicht Zugang (Keuchel, 2021). Da Schule die Institution ist, die alle Kinder gleichermaßen erreicht, scheint es folgerichtig, die Angebote in geeigneter Form systematisch an die Schule anzubinden. Der Ausbau des Ganztags erweist sich dafür als eine sehr gute Gelegenheit, wie auch El-Mafaalani aufzeigt (El-Mafaalani, 2022, S. 227, S. 241).
Fazit: Verzahnen, Integrieren, Rhythmisieren – und vor Allem: Finanzieren
Wenn Bereiche zusammenfinden sollen, die an unterschiedlichen Orten stattfinden und die unterschiedliche Absichten verfolgen, bedarf es einer gelungenen Abstimmung. Dies betrifft das Organisatorische sowie gemeinsame Zielvorstellungen, bzw. ein gemeinsames Verständnis von Teilzielen. Erweiterte Schulleitungen, denen u. a. Kindheitspädagog:innen und Schulsozialarbeiter:innen angehören, erscheinen hier sinnvoll, wenn es um die Konzipierung und die Steuerung des Ganztags geht. Fragen der Kooperation nicht nur in multiprofessionellen Teams im Haus, sondern auch im Sozialraum, gilt es auf Augenhöhe zu verhandeln. Vor allem ist die Perspektive der Kinder stets miteinzubeziehen. Sie sind es, die einen ganzen Tag in von Erwachsenen vorgedachten Settings verbringen.
Über einen ganz wichtigen Aspekt wird in den Überlegungen, wie der Ganztag gut gelingen kann, bislang zu wenig gesprochen: die Finanzierung und damit einhergehend die unterschiedlichen Ausgangslagen in den einzelnen Kommunen. Die verschiedenen Finanzierungsmodelle von Jugendhilfe und Schule erschweren ein Zusammenkommen. Während sich das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und das Bundesministerium für Bildung und Forschung bereits auf den Weg gemacht haben, gemeinsam zu denken und Gelder bereit zu stellen, scheint das Bundesministerium für Gesundheit noch nicht im Boot, um die Kindergesundheit im Blick zu halten und systematisch Präventionsmaßnahmen zu fördern, etwa u. a. hinsichtlich Resilienz, die durch Resonanz- und Selbstwirksamkeitserfahrungen in Projekten Kultureller Bildung gestärkt werden kann. Was das Engagement in Schulen jener Stellen, die sich mit Kultur befassen, angeht, so ist bereits gemutmaßt worden, dass Bildungspläne den Terminus „Kulturelle Bildung“ vermeiden, um Zuständigkeitsfragen pekuniärer Natur zu umgehen (Schulze, 2021). Es wäre also eine Art Runder Tisch gefragt, an dem offen über die relevanten Posten verhandelt wird. Die Kommunen damit allein zu lassen und so große Ungerechtigkeiten innerhalb einer Region und innerhalb des ganzen Landes zu provozieren, ist nicht hinnehmbar.
Abschließend sei noch der Faktor Zeit angesprochen. Sicher können Bewegungsangebote oder gemeinsames Musizieren über den Tag verteilt in kleineren Einheiten große Wirkung entfalten, doch eignen sich einige Angebote aus dem Bereich der Kulturellen Bildung nicht für ‚zwischendurch‘. Sie benötigen Zeit und Freiraum. So wäre zu überlegen, ob neben regelmäßigen Projekt- und Exkursionstagen die Schulferien systematisch als Räume für Kulturelle Bildung genutzt werden könnten. In zwölf Wochen Ferien kann viel stattfinden! Wenn Eltern für die Schulferien nicht erst Programme von verschiedenen Anbietern ausfindig machen und ihre Kinder gebührenpflichtig anmelden müssen, sondern Kinder über die Schule kostenlose Angebote der Kulturellen Bildung in den Ferien wahrnehmen können, werden wirklich alle Kinder erreicht. Darüber hinaus sollte insgesamt der Idee einer „Kulturschule“ (vgl. zur Entwicklung Braun, 2023) viel mehr Beachtung geschenkt werden – weniger im Hinblick auf eine Kompensation mangelnden kulturellen Kapitals (Burow, 2019) als vielmehr im Sinne einer subjektorientierten, ganzheitlichen Bildung für alle.