Kulturelle Bildung als Koproduktion: Wie unterschiedliche Akteursgruppen Kinder und Jugendliche durch kulturelle Bildungskooperationen fördern
Abstract
Zur Diskursvertiefung über Kooperationen und Bildung als Koproduktion wird in diesem Beitrag ein fiktives Interview vorgestellt. Die Antworten geben die an kulturellen Bildungskooperationen beteiligten Akteursgruppen: kulturbeauftragte Lehrer*innen (Kulturbeauftragte*r), Schulleiter*innen, kulturelle Bildungspartner aus Kunst- und Kultureinrichtungen, Vereinen und Verbänden, Jugend- und Sozialarbeit sowie Kulturagent*innen als Mittlerpersonen zwischen den Kooperationspartnern und Mitarbeiterinnen des Transferprojektbüro im Landesprogramm Kulturagenten für kreative Schulen NRW, angesiedelt bei der BKJ. Die Sichtweisen wurden durch Aussagen aus explorativen Gesprächen des Transferbüros mit Schulen, deren kulturellen Bildungspartner*innen und den Kulturagent*innen aus NRW gewonnen. Jede Akteursgruppe steht somit exemplarisch für sich und gibt wichtige Impulse, wie Kinder und Jugendliche durch Kulturelle Bildungskooperationen gefördert werden können.
Erfahrungen, Expertisen und Sichtweisen aus dem Landesprogramm „Kulturagenten für kreative Schulen NRW“
„Kulturelle Bildung hat durch ihre Konzepte und Potenziale an bildungspolitischer Bedeutung gewonnen (Bildungsberichterstattung 2012, BMSFSJ 2017). In Ländern und Kommunen wurden vielfältige Programme entwickelt, um kulturelle Bildungsbündnisse zwischen Schulen und kulturellen Bildungspartnern zu unterstützen. Hierzu gehören u. a. die Programme Kulturagenten für kreative Schulen NRW (Fink et al. 2017) und Kreativpotentiale und Lebenskunst NRW, die im Bundesland Nordrhein-Westfalen von der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e. V. zusammen mit dem Schulministerium in Nordrhein-Westfalen umgesetzt und durch die Stiftung Mercator wesentlich gefördert werden, oder aber auch der Bundeswettbewerb für kulturelle Bildungspartnerschaften zwischen Jugendarbeit, Kultur und Bildung MIXED UP der BKJ und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMSFSJ). Unter dem Leitmotiv „Kulturelle Teilhabe gemeinsam verantworten“ setzt sich der Geschäftsbereich Kooperationen und Bildungslandschaften der BKJ für eine umfassende und kooperativ gestaltete Ganztagsbildung ein (BKJ 2015; Fuchs 2013/14; Kelb 2012/13).
Im Folgenden werden die vielfältigen Erfahrungen, Expertisen und Sichtweisen der unterschiedlichen Akteursgruppen, die im Transferprogramm Kulturagenten für kreative Schulen NRW zusammenarbeiten, um kulturelle Bildungskooperationen umzusetzen, in einem fiktiven Interview vorgestellt. Zu den Akteursgruppen gehören kulturbeauftragte Lehrer*innen (Kulturbeauftragte*r), Schulleiter*innen, kulturelle Bildungspartner (wie Kultureinrichtungen, außerschulische kulturelle Bildungsinstitutionen oder Jugendeinrichtungen, Vereine, Verbände und Initiativen aber auch einzelne Akteur*innen wie Kunst- und Kulturschaffende), Kulturagent*innen (vgl. das Arbeitsprofil Kulturagent*in) als Mittlerpersonen zwischen den Kooperationspartnern und das Transferprojektbüro im Landesprogramm Kulturagenten für kreative Schulen NRW, angesiedelt bei der BKJ. Diese Sichtweisen wurden durch Aussagen aus explorativen Gesprächen des Transferbüros mit Schulen, deren kulturellen Bildungspartnern und den Kulturagent*innen aus NRW gewonnen. Jede Akteursgruppe steht somit exemplarisch für sich und ihre Rolle im Programm Kulturagenten für kreative Schulen NRW.
In NRW betreuen neun Kulturagent*innen jeweils ein lokales Netzwerk von drei bis vier Schulen. Gemeinsam mit Schulen, Künstler*innen und Kulturinstitutionen entwickeln sie Kulturfahrpläne, Angebote der kulturellen Bildung sowie künstlerische Projekte. Das Programm greift die Potenziale Kultureller Bildung auf, mit denen Bildungsbiografien und Bildungsgerechtigkeit gefördert werden: Mit Kunst, Kultur, Spiel und Medien erschließen sich Kinder und Jugendliche* die Welt. Sie entwickeln ihre Identität und Kompetenzen, finden und artikulieren ihre Position. Kulturelle Bildung unterstützt so die Persönlichkeitsentwicklung und stärkt Lebens- und Berufsorientierung. Um dies zu erreichen, braucht es Kooperationen, die an den Interessen und Lebenslagen der jungen Menschen ansetzen. Deshalb werden im Programm Schulen nicht nur darin unterstützt und begleitet, ihr kulturelles Bildungsangebot systematisch zu erweitern und Schritte einer kulturellen Schulentwicklung zu gehen, sondern auch durch Kooperationen mit außerschulischen Partnern den Schüler*innen mittels unterschiedlicher Professionen und Perspektiven weitere Erfahrungsräume und Lern- und Arbeitsweisen zu eröffnen. Neben der kontinuierlichen Arbeit der Kulturagent*innen tragen die Vernetzungs- und Qualifizierungsangebote des Landesbüros dazu bei.
Am Beitrag beteiligt haben sich Herrmann Dietsch, Schulleiter a.D. (Gesamtschule Weierheide, Oberhausen), Sibylle Keupen, Leiterin der Jugendkunstschule Bleiberger Fabrik (Aachen), Andrea Wegener, kulturbeauftragte Lehrerin an der Friedensreich Hundertwasser Schule (Münster), und das Transferbüro Kulturagenten für kreative Schulen NRW, angesiedelt bei der BKJ, mit den Mitarbeiterinnen Maria Norrenbrock und Lena Marie Freund.
Kulturelle Bildung und Bildungsbiografien
Frage: Kinder und Jugendliche* stehen im Fokus von Bildungskooperationen. Was ist eine gelungene Bildungsbiografie?
Kulturbeauftragte*r: Die Bildungsbiografie eines Kindes bzw. Jugendlichen* kann als die Gesamtheit seiner Erfahrungen beschrieben werden. Auf der einen Seite sind es die informellen Lernerfolge, die das Kind oder der Jugendliche* – von sich aus intrinsisch motiviert – gesucht oder aber elterlich erhalten hat. Auf der anderen Seite kommen die Erfahrungen der institutionellen Bildung hinzu. Im Idealfall ergänzen sich die Erfahrungsfelder und prägen den jungen Menschen ganzheitlich und nachhaltig positiv.
Kultureller Bildungspartner: Dafür gilt es, Gelegenheiten zu schaffen. Der Schlüssel zu gelungenen Bildungsbiografien ist aus unserer Sicht eine Ermöglichungspädagogik, die den Kindern und Jugendlichen* eine selbsttätige Erschließung des Selbst und der Welt erlaubt. Das bedeutet, den Kindern und Jugendlichen* zu vertrauen, für sich intuitiv entscheiden zu können: Ich steige darauf ein oder ich lasse es liegen. Wenn wir – die Vertreter*innen der formalen und informalen Bildung – ihnen die richtige „Nahrung“ geben, dann gehen sie auch ihren Weg. Das bedeutet, es auch auszuhalten, wenn es einmal Tiefs gibt. Aus dem Tal kommen sie auch wieder heraus. Das müssen die Kinder und Jugendlichen* lernen, und die Gesellschaft hat die Aufgabe, den Weg so zu gestalten, dass sie möglichst viel mitnehmen.
Frage: Wie können Bildungsbiografien von Kindern und Jugendlichen* durch Kulturelle Bildung gefördert werden?
Kulturbeauftragte*r: Kulturelle Bildung verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Die Begegnung mit Künsten und Kultur bietet Kindern und Jugendlichen* Erfahrungsräume, die ihre Lebensperspektiven, ihre Sicht der Dinge verändern können. Damit dies gelingt, gilt es individuelle Lernräume zu schaffen, in denen die Kinder und Jugendlichen* nach ihren jeweiligen Lerntypen gefördert werden können und in denen ihnen Wahlmöglichkeiten angeboten werden. Zugleich können Kunst und Kultur Sinnstifter sein; sie können Kindern und Jugendlichen* neue Ausdrucksmöglichkeiten anbieten. Von daher gehören Kunst und Kultur schon von jeher zum Menschsein. Damit ist Kulturelle Bildung Teil der individuellen Identität, aber auch der Identität einer Gesellschaft. Um diese zu entwickeln bzw. kennenzulernen, sollten alle Kinder und Jugendlichen* in ihrer Schullaufbahn die Möglichkeit haben, verschiedene Kultursparten auszuprobieren. Dadurch können sie Erfahrungen sammeln, mit denen sie häufig sonst nicht in Kontakt kommen würden.
Schulleiter*in: Kulturelle Bildung kann Kinder und Jugendliche* in ihrer Bildungsbiografie unterstützen, indem sie Gestaltungsspielräume in ihren Lebens- und Lernräumen erhalten. Schüler*innen können sich z. B. in der Steuergruppe einbringen oder zu Schuljahresbeginn zusammen mit ihren Lehrer*innen oder Theaterpädagog*innen die Unterrichtsinhalte gestalten. Der Unterricht kann im kulturellen Bereich, anders als in anderen Bereichen, viel mehr prozess- als produktorientiert organisiert werden. Dies ermöglicht auch, dass Schüler*innen stärker Mitsprache haben können. Dies genießen die Schüler*innen in der Regel sehr.
Kulturagent*in: Kulturelle Bildung hat das Potenzial Kinder und Jugendliche* anders zu erreichen, um sie in ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen: Theater spielen, Videos drehen, kreativ Schreiben, Musik komponieren oder Tanzen eröffnen vielfältige Zugangsweisen zur Welt. Im künstlerischen Prozess betrachtet man Gewohntes auf ungewohnte Weise, lernt „quer“ zu denken und erfährt, dass es auf eine Frage verschiedene Antworten und für ein Problem verschiedene Lösungen geben kann. Kunst und Kulturprojekte vermitteln nicht nur Kenntnis über Inhalte, sondern fördern zudem Schlüsselkompetenzen.
Frage: Wie könnte eine solche Förderung konkret umgesetzt werden?
Schulleiter*in: Für die Förderung von Bildungsbiografien durch Kulturelle Bildung ist es wichtig, verbindliche Strukturen zu schaffen und situationsgerechte Unterrichtsformate zu finden. Im Kulturagentenprogramm war die verbindliche Struktur z. B. die Entwicklung eines Kulturfahrplans (siehe die Definition eines Kulturfahrplans sowie Praxishinweise zur Erstellung und Nutzung von Kulturfahrplänen) ,der Teil des Schulprogramms ist. Als Planungsinstrument bietet er in nachvollziehbaren Schritten konkrete Handlungsanleitungen für die an der Umsetzung beteiligten Akteure und vereinfacht zudem die Information und Kommunikation unter den unmittelbar Beteiligten sowie in die Schulöffentlichkeit. Als Evaluationsinstrument schließlich hilft er, den Prozess zu dokumentieren, Ziele zu überprüfen, Qualität zu sichern und damit auch eine Weiterentwicklung anzustoßen. Der Kulturfahrplan enthält u. a. obligatorische Angebote und Wahlangebote. Innerhalb dieses Rahmens können Angebote für eine kulturelle Förderung für Schüler*innen mit besonderen Bedürfnissen angesiedelt werden. Externe Kooperationspartner*innen haben häufig einen anderen Zugang zu Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen* sowie zu anderen Einrichtungen in der Region, sie können Schüler*innen somit spezifisch fördern und fordern. Zudem können sie den Kindern und Jugendlichen* gegenüber eine andere Rolle als wir Lehrer*innen einnehmen.
Kultureller Bildungspartner: Kinder und Jugendliche* brauchen die Chance sich auszuprobieren. Dazu braucht es Freiräume, in denen sie unabhängig von Leistungsanforderungen selbstbestimmt agieren können. Eine Möglichkeit wäre, in der Schule Ateliers anzusiedeln und Kinder und Jugendliche* selbst entscheiden zu lassen, welches der Angebote sie wann ausprobieren möchten. Nur so kann der Funke von Begeisterung auch wirklich überspringen. Selbstwirksamkeit und Selbststärkung können nur erfahren werden und Kinder und Jugendliche* stärken, wenn diese Freiräume existieren.
Kulturelle Bildungskooperationen und die Förderung von Bildungsbiografien
Frage: Welche besondere Rolle spielen bei dieser Förderung die Kooperationen?
Schulleiter*in: Im Zusammenspiel von schulischen und außerschulischen Akteuren können Potenziale entfaltet werden, die eine Schule nur schwer allein erreichen kann. Für Schule bedeutet die Zusammenarbeit mit Künstler*innen und Kulturinstitutionen, dass andere Haltungen, Sicht- und Herangehensweisen hereinkommen. Für die Schüler*innen ist es ein besonderer Wert, mit anderen Professionen in Kontakt zu kommen.
Kulturbeauftragte*r: Bei den Angeboten von Künstler*innen oder auch von Kulturpädagog*innen im Museum, Theater, Zirkus etc. können sich Kinder und Jugendliche* anders als im eher leistungsbezogenen 45-/60-Minuten Rhythmus des curricularen Fächerkanons erleben. Wenn Schulen mit kulturellen Bildungspartnern auch im Bereich der Unterrichtsentwicklung kooperieren, setzen sie im Idealfall ihre Bildungsaufträge zusammen im Team um, verlagern zum Teil den Lernort raus aus der Schule und eröffnen so Zugang zu anderen Erfahrungsräumen, die das Kind oder der Jugendliche* mit dem jeweiligen Ort und den menschlichen Begegnungen verknüpft. Das Verlassen des Klassenraums beispielsweise birgt abwechslungsreiche Lern- und Lebenserfahrungen. Für die Persönlichkeitsentwicklung ist gerade der bewertungsfreie Lernraum von großem Wert, z. B. für selbstgesteuertes Lernen.
Kultureller Bildungspartner: Kooperationen geben außerdem die Möglichkeit Systeme aufzubrechen und Freiräume für Kinder und Jugendliche* zu schaffen. Dazu bedarf es Prozessoffenheit, Flexibilität und auch Vertrauen, einmal nicht zu wissen, was dabei herauskommt. Alles Dinge, die in der Kulturellen Bildung ganz starke Motivatoren sind. Diese Lernerfahrungen sind zwar nicht über herkömmliche Noten abfragbar, aber für das Erwachsenwerden sehr wichtig.
Kulturagent*in: Die Lebens- und Lernerfahrungen in der Kulturellen Bildung sind, wenn nicht in Noten erfassbar, dennoch dokumentierbar und wertvoll. Der Kompetenznachweis Kultur ist als Bildungspass ein bundesweit anerkanntes Instrument, der Schlüsselkompetenzen und Entwicklungen stärkenorientiert aufzeigt und damit dem prozesshaften Mehrwert der Kulturellen Bildung Rechnung trägt. Er wird an Jugendliche ab zwölf Jahren vergeben, die aktiv an künstlerischen und kulturpädagogischen Angeboten teilnehmen. Wichtig ist, dass der Nachweis die subjektiven Entwicklungen in den Blick nimmt und in einem dialogischen Verfahren von Jugendlichen* und Pädagog*in/Künstler*in etc. erstellt wird.
Rahmenbedingungen kultureller Bildungskooperationen
Frage: Welche Rahmenbedingungen braucht es für kulturelle Bildungskooperationen in einer Schule?
Kulturbeauftragte*r: Für Schule heißt das, dass Kulturelle Bildung zu einem wesentlichen Bestandteil wird. Wenn Schule als Ganztagsschule zu einem Raum werden soll, in dem sich Lernen und Leben gleichermaßen abspielen, so kann dieses Anliegen wesentlich durch Kulturelle Bildung gefördert werden. Kulturelle Bildung ist nicht ein einzelnes Unterrichtsfach, sondern realisiert sich eher als eine Querschnittsaufgabe von Fachunterricht und außerunterrichtlichen, offenen Angeboten. Auch Mathematik oder Chemie können durch kulturelle Zugänge vermittelt werden. Als eine solche Querschnittsaufgabe sollte Kulturelle Bildung ins schulinterne Curriculum und in das Schulprogramm aufgenommen werden. Es braucht außerdem im schulischen Jahresplan verankerte Strukturen, die auch mit entsprechenden Ressourcen z. B. für die Einbindung von externen Kunst- und Kulturschaffenden unterlegt sind. Zusätzlich sind wiederkehrende Elemente wie Museumstage für die ganze Schule, Workshop-Phasen ohne Überschneidungen zum Klausurenplan etc. sinnvoll.
Kulturagent*in: Grundlegend für eine erfolgreiche Kooperation mit Kulturpartnern ist die Haltung: Offenheit, Experimentierfreude, Flexibilität sowie die Bereitschaft, sich mit dem Partner in einen gemeinsamen Prozess zu begeben. Hinzu kommen natürlich auch verlässliche Strukturen, z. B. im Rahmen der Schulentwicklung einen Kulturfahrplan zu entwickeln und eine Steuergruppe einzurichten, Ansprechpartner*innen zu benennen oder Kooperationsvereinbarungen auszuarbeiten.
Schulleiter*in: Auch wenn eine Schule Projekten gegenüber offen steht, so lösen Prozesse kultureller Schulentwicklung immer auch kontroverse Diskussionen aus. Häufig geht es dabei um Umstrukturierungen und Ressourcenfragen. Wenn für Kulturelle Bildung Zeit geschaffen und dazu in den Stundenplan eingegriffen wird, dann stehen nicht zusätzliche Stunden bereit, sondern an anderer Stelle fällt etwas weg. An den Gesamtschulen zum Beispiel gibt es ein sogenanntes Ergänzungsstundenband, in dem u. a. Förderung für die Berufswahlvorbereitung, die Hauptfächer und die Methodenkurse betrieben wird. An dieser Stelle kann z. B. teilweise eine Priorität für Kulturelle Bildung gesetzt werden. Natürlich ruft dies Diskussionen hervor. Sie führen im günstigsten Fall zu Mehrheitsbeschlüssen in Konferenzen, die die Ideen fest verankern und dazu, dass sich Lehrer*innen aus den verschiedensten Fachbereichen engagieren. Eine solche breite Basis wird allerdings nur erreicht, wenn die Schulleitung Hilfestellungen und Fortbildungen anbietet. Solange Lehrer*innen Unterstützung angeboten wird und sie sehen, dass sich die Mehrarbeit lohnt, können sie die damit verbundenen Herausforderungen bewältigen.
Kulturbeauftragte*r: Das ganze Kollegium sollte immer wieder mitgenommen werden. Zum Beispiel kann auf der ersten Lehrerkonferenz mit einem Kreativteil ins Schuljahr gestartet werden. Hier können alle etwas für sich mitnehmen, entweder als Unterrichtsanregung oder als eigene künstlerische Erfahrung. So können Lehrer*innen selber die Erfahrung sammeln, was es bedeutet, mit Kultureller Bildung oder ästhetisch-künstlerischen Zugängen zu lernen.
Kultureller Bildungspartner: Durch Weiterbildungen, in denen Lehrer*innen eigene ästhetische Erfahrungen machen, können diese motiviert werden, die Ansätze der Kulturellen Bildung in ihren Unterricht einzubeziehen. Es existiert z. B. die Fortbildungsreihe KUPLAB (Kulturpädagogisches Laboratorium für Pädagog*innen) in Aachen, in der Pädagog*innen Kunst und Kultur erleben können. Sie können dann auch mit den Künstler*innen in den Diskurs darüber gehen, wie das im pädagogischen Alltag umgesetzt werden kann.
Frage: Und welche Rahmenbedingungen braucht es für die kulturellen Bildungspartner?
Kultureller Bildungspartner: Freie Träger zum Beispiel sind häufig nur minimal ausgestattet. Immer wieder müssen sie sehen, woher sie Projektgelder erhalten, um überhaupt ihre Existenz zu sichern. Aber um Projekte zu beantragen, Ideen zu entwickeln und auch abzuwickeln, braucht es eine solide strukturelle und personelle Grundausstattung. Schulen verfügen zumindest über eine verlässliche Grundausstattung. Insofern besteht ein institutionelles Ungleichgewicht. Ein Gleichgewicht ist aber notwendig, um eine Kooperation auf Augenhöhe eingehen zu können. Dieses kann nur erreicht werden, wenn kontinuierliche, verbindliche und angemessene Grundförderungen für Kulturinstitutionen und Künstler*innen existieren, die eine langfristige und nachhaltige Zusammenarbeit mit dem System Schule ermöglichen. Darüber hinaus ist es begünstigend, wenn alle ausreichend Kenntnis und Verständnis für das System des Kooperationspartners haben.
Frage: Wie könnten die Bedingungen der Kooperationspartner so aufeinander abgestimmt werden, dass die Kooperation zu einem befriedigenden Ganzen wird?
Schulleiter*in: Eine wesentliche Gelingensbedingung ist Langfristigkeit. Die Mehrzahl der Kooperationen gelingt es, wenn beide Seiten ihre Erwartungshaltungen formulieren, die Bedingungen der Zusammenarbeit aushandeln und eine Win-win-Situation entsteht. Das erfordert Zeit sowie genügend Mitarbeiter*innen und Ansprechpartner*innen. Hilfreich für die gemeinsame Zusammenarbeit ist auch eine Mittlerperson, wie z. B. die Kulturagent*innen. Weiterhin ist Geld notwendig. Darüber hinaus bedarf es einer Absicherung des Handelns, beispielsweise durch innerschulische Konferenzbeschlüsse oder durch Kooperationsverträge. Schließlich ist die Unterstützung der Stadt, der Kommune und von Akteuren wie einem Bildungsbüro immens förderlich. Dann bleibt es nicht nur ein Augenblicksprojekt.
Kulturbeauftragte*r: Kooperationen sind in der Regel verbindlicher, wenn sie vertraglich verankert sind. Eine gemeinsame Vertragserstellung setzt Kommunikation voraus, die für den Kooperationsprozess und die Haltungen der beteiligten Personen wichtig ist. Kooperationsverträge müssten z. B. mit einem Museum den Eintritt regeln, die zeitlichen Strukturen der Partner aufeinander anpassen, den regelmäßigen institutionellen Austausch zwischen den Kooperationspartnern und Partizipationsmöglichkeiten von Schüler*innen und Eltern absichern sowie Fortbildungsplanungen enthalten.
Kulturagent*in: Außerdem sollte möglichst ein gemeinsames Bildungs-, Kunst- und Kulturverständnis ausgehandelt werden. Das ist eine Kernfrage, die unter Umständen auch im Kooperationsprozess immer wieder neu beleuchtet werden sollte. Es ist wichtig, von Beginn an miteinander zu reden, was man sich vorstellt und voneinander erwartet. Dazu gehören zudem wiederkehrende Austauschtreffen und gemeinsame Reflexionen des Prozesses. Darüber hinaus sind die Systemkenntnis des jeweils anderen (Kultur oder Schule) und eine wertschätzende Haltung Grundlage der Zusammenarbeit.
Kultureller Bildungspartner: Beide Systeme müssen echte Kooperationen zulassen. Gewisse Anteile in die Hände anderer Profis zu geben, ohne zu wissen, was dabei rauskommt, kann eine Herausforderung sein. Die Kooperationspartner sollten sich im Idealfall als Bildungsteam verstehen, das durch unterschiedliche Ausgangssituationen und Angebote die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen* unterstützt. Dazu ist es unerlässlich, die Kompetenzen der Partner zu kennen und wertzuschätzen.
Schulleiter*in: Probleme ergeben sich auch aus den systemischen Bedingungen. Da prallen manchmal Erwartungen aufeinander, die nicht so einfach zu erfüllen sind. Eine Schule kann die Freiräume, die die Künstler*innen oder die Kultur-Kooperationspartner gerne hätten, oft nicht einfach schaffen. Es hilft dann, nach Kompromissen zu suchen, indem z. B. der Kulturfahrplan zusammen mit den Kooperationspartnern erarbeitet wird. Für eine gelingende Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern sollte Schule ebenso „aushalten“ bzw. beschließen, dass das Lernen auch in fachunabhängigen Formaten und außerhalb der Schule stattfinden kann. Dies zu ermöglichen, ist zwar eine Herausforderung für die gesamte Schulgemeinde, aber dennoch möglich und erstrebenswert.
Frage: Gibt es Problematiken, die trotz guter Voraussetzungen Kooperationen immer wieder erschweren?
Kultureller Bildungspartner: Kooperationen, die eine gleichwertige Zusammenarbeit anstreben, werden erschwert, wenn sie als Dienstleistungen gesehen werden, die dann parallel zum schulischen Alltag laufen. Andererseits gibt es natürlich auch Kooperationspartner, die nur die Dienstleisterrolle suchen.
Kulturbeauftragte*r: Aus Sicht der Schulen erschwert die Dienstleisterrolle die eigenverantwortliche Nutzung einer Kulturinstitution, wie z. B. eines Museums. Bei einer ernstgemeinten Kooperation braucht es mehr, als nur das Servicepaket des Museums buchen zu können. Ein anderes Problem ist der Zeit- und Organisationsaufwand, wenn ein*e Lehrer*in einen außerschulischen Lernort besucht, aber auch das Unverständnis des Kollegiums, wenn dadurch der Schulablauf gestört wird.
Schulleiter*in: Oftmals fehlen einer Schule auch die notwendige Flexibilität und Souveränität, die ihr nicht zugebilligt werden, so z. B. in der Mittelverwaltung. Es finden sich immer noch eine Menge bürokratischer Hemmnisse. Hier könnte den Schulen mehr Eigenständigkeit gegeben und mehr Vertrauen entgegen gebracht werden.
Kultureller Bildungspartner: Meiner Erfahrung nach liegt eine Problematik darin, wenn die Partner nicht gemeinschaftlich über Projektgelder verfügen und ihren Einsatz aushandeln können. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, dass mit den finanziellen Mitteln sinnvolle Kooperationen gestaltet werden können.
Kulturagent*in: Je intensiver die Kooperationen aufgebaut sind, desto besser funktioniert auch die Drittmittel-Akquise. Das ist auch ein Garant dafür, dass die Schulen auf bestimmte Fördertöpfe zugreifen können. Es kommt dann zur klassischen Win-win-Situation. Aber auch wenn das Finanzielle und Organisatorische geklärt ist, läuft nicht immer alles so, wie gewünscht. Da können z. B. unterschiedliche Erwartungshaltungen an Projektergebnisse oder persönliche Befindlichkeiten im Wege stehen. Aber auch in diesen Fällen gilt es, konstruktiv und wertschätzend auf einer Sachebene zu diskutieren und auch ein Scheitern zuzulassen. Man lernt gemeinsam und wächst mit jeder Erfahrung in einer Kooperation.
Kulturagent*innen als Mittler*innen
Frage: Welche Rolle spielen Kulturagent*innen im Kooperationsprozess?
Kulturagent*in: Kulturagent*innen stellen Kontakte zwischen den Schulen und dem Künstler*innen-Netzwerk oder (Jugend)Kultureinrichtungen her. Mit den Kulturinstitutionen sollten sie immer im Gespräch bleiben, was gerade virulent ist und welche Kooperationen sich anbieten. Sie initiieren Kooperationen und helfen bei der Vertragsschließung. Den anschließenden Kooperationsprozess begleiten und moderieren sie. Häufig leiten sie anfangs auch die jährlichen Planungssitzungen der Kooperationspartner und geben diese dann in deren Eigenverantwortlichkeit.
Kulturbeauftragte*r: Kulturagent*innen sind Türöffner*innen und Vermittler*innen. Sie haben bei den Kulturorganisationen einen anderen Stellenwert als eine Lehrer*in, da sie als Expert*innen der Kulturellen Bildung wahrgenommen werden. In den Schulen können sie den Prozess der kulturellen Schulentwicklung initiieren und vorantreiben. Sie können beim Kulturfahrplan unterstützen und Steuergruppensitzungen moderieren. Die Kulturagent*in kann auch immer wieder die Transparenz ins Kollegium schaffen und dadurch die*den kulturbeauftragte*n Lehrer*in stärken.
Kultureller Bildungspartner: Die Kulturagent*innen sollten von keinem der beiden Systeme (Schule und Kultur) soweit vereinnahmt werden, dass sie für die Vernetzung der Kooperationspartner keine Zeit mehr haben oder sie ihre neutrale Vermittlerrolle aufgeben. Generell sollten sie keinem der beiden Systeme immanent sein, um ihren Mehrwert als Externe zugunsten beider Systeme nicht zu verlieren.
Frage: Warum meinen Sie, dass Kulturagent*innen diese Prozesse anders oder besser regeln können als eine Schule alleine?
Kulturbeauftragte*r: Das ist der Bonus der externen Person. Sie darf einen anderen, externen Blick haben. Sie darf auch künstlerisch denken und völlig absurd einen Gedanken spinnen. Sie wird von allen Fächergruppen ernst genommen, weil sie eben nicht ein bestimmtes Fach vertritt. Dadurch wird ein ganz klarer Blick auch auf Schulentwicklung geworfen, der alle Kolleg*innen betrifft.
Schulleiter*in: Ein*e Kulturagent*in ergänzt die Expertise der Lehrer*innen. Sie hat Kontakte, Erfahrungen und nimmt eine Mittlerrolle ein. So eine Mittler*in kann helfen, wenn Erwartungen auseinandergehen. Er*Sie hat die Zeit, gemeinsam Projekte zu planen. Alles Dinge, die uns in Schule in dem Umfang und in der Qualität nicht alleine gelingen können.
Zukunft kultureller Bildungskooperationen
Frage: Was wünschen Sie sich in Zukunft, damit Kooperationen diejenigen Erfahrungen bei Kindern und Jugendlichen* bewirken können, die Sie eingangs beschrieben haben?
Schulleiter*in: Schule sollte die Spielräume und die flexiblen Möglichkeiten, die sie hat, nutzen. Es gibt ein paar, wenn auch nicht viele. Schulpolitik hingegen sollte den Schulen weitere Wege und Spielräume eröffnen.
Kulturbeauftragte*r: Die Begleitung durch Mittlerpersonen wie ein*e Kulturagent*in sollte weiterhin angeboten werden. Die finanzielle Sicherung der Kooperationen ist natürlich auch ein großer Wunsch. Eine weitere Vision wäre, wenn durch öffentliche Verkehrsmittel, wie z. B. einem Kulturbus für Schulen, beide Kooperationspartner einfacher zueinander finden könnten. Ebenso sollte ein unbürokratischer Umgang zwischen Kooperationspartnern möglich sein. Hierzu gehört die Anmeldung, aber auch, dass die Lehrer*innen in den Kulturinstitutionen selbstständig mit ihren Lerngruppen arbeiten können. Ebenso sollte es selbstverständlich sein, diese regelmäßig besuchen zu können. Auch die schon genannten Vertragspunkte gehören zu einer Zukunftsvision. Als letztes könnte noch einen Schritt weiter gegangen werden: Im Grunde gehört das Aufgabenfeld einer ganzheitlichen Kulturellen Bildung schon in die Lehrerausbildung.
Kultureller Bildungspartner: Wenn es einmal die vorgeschlagenen Freiräume in Schule gibt, dann hat das auch eine Wirkung auf Schule. Alleine dadurch, dass z. B. ein*e Künstler*in ihr*sein Atelier in Schule hat und jeden Tag dort arbeitet oder die Schüler*innen regelmäßig an außerschulischen Jugend-Kultureinrichtungen der Region lernen, verändert sich auch Schule. Die Freiräume sollten verbindlich im Lehrplan verankert sein und es sollte Räume dafür geben. Schließlich ist es wichtig, dass die Kulturelle Bildung alle Fächer durchdringt. Von daher sollte dies ein fester Bestandteil der Lehrerausbildung sein.