Kulturelle Bildung in kommunalen Gesamtkonzepten
Der entscheidende Ort für eine gelingende Kulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen ist die Kommune (siehe Benedikt Sturzenhecker „Kulturelle Bildung in der Kinder- und Jugendarbeit“). Als ressortübergreifende Querschnittsaufgabe ist sie in den kommunalen Handlungsfeldern Jugend, Bildung, Schule und Kultur verortet. Aufgrund der Vielzahl von Akteuren und Strukturen und der kommunal sehr unterschiedlichen Absichten der einzelnen Ressorts, was Kulturelle Bildung ist und bewirken soll, verlaufen Aktivitäten und Prozesse häufig unkoordiniert, punktuell und ohne langfristige Perspektive. Dies verringert die Wirkung einzelner Prozesse und führt nicht selten zu einer Verdichtung der Angebote an der einen Stelle bzw. dazu, dass bestimmte Zielgruppen oder Stadtteile selten oder gar nicht von den Angeboten Kultureller Bildung profitieren. Es bedarf eines abgestimmten kommunalen Gesamtkonzepts, um kulturelle Bildungsprozesse allen Kindern und Jugendlichen, allen BürgerInnen einer Stadt zugänglich zu machen, ihre Qualität zu sichern und die Vielfalt und Verbreitung ihrer Angebote langfristig zu verankern (siehe Christiane Liebald „Qualitätsstandards und Qualitätssicherung in der Kulturellen Bildung“).
Entwicklungen
Bundesweit wird der Aufbau von lokalen und regionalen Gesamtkonzepten und Netzwerken für Kulturelle Bildung diskutiert. Spätestens seit dem Aachener Kongress des Deutschen Städtetags 2007 haben die Städte den Anspruch formuliert, Gestalter kommunaler Bildungslandschaften zu sein und die Vielfalt und Potentiale der örtlichen Einrichtungen und Akteure in planvollen Handlungsmodellen zu verzahnen. Kulturelle Bildung wird als wichtiger Teil ganzheitlicher Bildung explizit genannt und einbezogen (Deutscher Städtetag 2007). Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ wirbt 2007 in ihrem Schlussbericht für eine aktive Rolle der Kommunen: „Der öffentliche Auftrag zum Aufbau und Erhalt einer Infrastruktur der kulturellen Bildung bedarf aktiven staatlichen und kommunalen Handelns. Förderleistungen in diesem Bereich liegen im öffentlichen Interesse“ (Deutscher Bundestag 2007).
In der Rückschau ist der Ergänzungsplan zum Bildungsgesamtplan der Bund-Länder-Kommission von 1977 ein erster systematischer Versuch, das kulturpädagogische Feld zu beschreiben und die Verzahnung mit anderen Bildungseinrichtungen zu fordern. Eine der ersten Kommunen, die ein Gesamtkonzept für Kulturelle Bildung entwickelte, war die Stadt München. Bereits Ende der 1970er Jahre arbeitete man dort an der Entwicklung systematischer Infrastrukturen. Es folgten zahlreiche Initiativen in einzelnen Städten und Gemeinden, Bildungs-, Jugendhilfe und Kulturentwicklungsplanungen aufeinander abzustimmen. Richtungweisend war neben dem Münchener Konzept, das sich bis heute dynamisch weiterentwickelt, auch das „Rahmenkonzept Kinder- und Jugendkulturarbeit“ der Stadt Hamburg, das 2004 veröffentlicht wurde. 2008 machten sich auch Berlin und Dresden auf den Weg, ein ressortverzahnendes Rahmenkonzept für Kulturelle Bildung zu etablieren. Seit 2007 schreibt das Land Nordrhein-Westfalen den Förderwettbewerb für „Kommunale Gesamtkonzepte für Kulturelle Bildung“ aus. So trägt hier die Politik eines Bundeslandes maßgeblich dazu bei, dass immer mehr Kommunen versuchen, ein kulturelles Gesamtkonzept umzusetzen – und das in den Städten ebenso wie im ländlichen Raum.
Grundlegende Voraussetzungen
Beim Vergleich der kommunalen Gesamtkonzepte für Kulturelle Bildung werden einige grundlegende Voraussetzungen sichtbar, die in allen Kommunen trotz ihrer Unterschiedlichkeit für den Erfolg unverzichtbar sind. Als wichtigste Grundlage wird die politische Akzeptanz, Wahrnehmung und Wertschätzung durch die politischen Fachgremien Kultur-, Jugendhilfe- und Schulausschuss sowie den Rat der Stadt benannt. Diese Gremien müssen das Gesamtkonzept beschließen und dauerhaft unterstützen; entsprechend ist die Kulturelle Bildung im kommunalen Leitbild verankert. Daneben ist eine ressortübergreifende Koordinierungsstelle wichtiger Garant des Erfolgs. Von hier aus werden Kooperationen angebahnt, Bildungsangebote planvoll umgesetzt und Strukturen für die Verankerung entwickelt. Den Fachstellen werden Steuerungs- oder Lenkungsgruppen an die Seite gestellt, in denen die betroffenen Ressorts vertreten sind. Regelmäßig kommen darüber hinaus alle Akteure in sogenannte Bildungskonferenzen oder auf stadtteilbezogenen Arbeitsplattformen zusammen. Hierbei werden auch die freien Trägerstrukturen berücksichtigt. Freie Träger sind zwar anfälliger für personelle und finanzielle Diskontinuitäten, sie sind in der Regel aber flexibler in der Reaktion auf die aktuellen Interessenslagen und Bedürfnisse ihrer Zielgruppe. Neben der kommunalen Trägerverantwortung sind die freien Trägerstrukturen unverzichtbarer Bestandteil kultureller Bildungsplanung.
Es werden somit Strukturen auf drei Ebenen geschaffen: auf der ressortübergreifenden Entscheidungsebene, der operativen Arbeitsebene und der fachlichen Beteiligungsebene. Gemeinsam und auf der Grundlage mehrheitsfähiger Spielregeln und schriftlichen Kooperationsvereinbarungen wird eine transparente und verlässliche Kommunikationskultur entwickelt. Dem politisch legitimierten Auftrag zur Kooperation und Vernetzung müssen neben professionellen UmsetzerInnen in den Fachstellen auch die nötigen finanziellen Mittel bereitgestellt werden, aus denen konkrete Maßnahmen finanziert werden können.
Die Entwicklung von Gesamtkonzepten Kultureller Bildung braucht eine mehrjährige Erprobungs- und Reifezeit. Der Erfolg ist abhängig von einer dynamischen Entwicklung, die auf Weiterentwicklung und ständige Qualifizierung angelegt ist. Ein hilfreicher Bestandteil des Entwicklungsprozesses ist die Evaluation. Nur durch Evaluation können die gemachten Fortschritte beobachtet, Weichenstellungen initiiert und Neuerungen integriert werden. Evaluationsprozesse sollten von Beginn an (nach einer umfassenden Bestandsaufnahme) die Netzwerkarbeit begleiten. Die Ergebnisse geben Anlass zur notwendigen, gemeinsamen Reflexion. Jährlich erstellte Bildungsberichte dokumentieren den Prozessverlauf. Die konzeptionellen Grundlinien eines einmal festgelegten kommunalen Gesamtkonzepts müssen permanent fortgeschrieben werden, sie müssen sich immer neu anpassen an die kulturelle Vielfalt in Städten und Gemeinden, die sich rasant entwickelt.
Ein besonderes Augenmerk wird auf die fortwährende Qualifizierung der Akteure Kultureller Bildung gelegt. Fortbildungen in diesem Feld werden verknüpft und aufeinander abgestimmt. Kultureinrichtungen werden dabei unterstützt, kulturelle Bildungsprogramme umzusetzen. Vernetztes, institutionsübergreifendes Arbeiten erfordert neben den fachspezifischen Kenntnissen von KünstlerInnen, von ErzieherInnen und LehrerInnen ein Arbeiten in multiprofessionellen Teams, auf das in sogenannten Tandemfortbildungen vorbereitet wird. Die Ausrichtung lokaler Fachtage zu bildungsbezogenen Fragestellungen begleitet die Entwicklung des kommunalen Gesamtkonzepts.
Die Ergebnisse kultureller Bildungsarbeit in den Jugend- und Kultureinrichtungen, in den Kindertagesstätten und Schulen werden regelmäßig im politischen Raum, in den Medien, für Eltern und die Fachöffentlichkeit öffentlich präsentiert. Nur so entwickelt sich ein Bewusstsein für die Bedeutung und Wirksamkeit Kultureller Bildung.
Nicht in allen Kommunen mit Gesamtkonzept für Kulturelle Bildung spielt die Partizipation von Kindern und Jugendlichen eine Rolle. Doch einige Städte wie z.B. Dortmund betonen, wie wichtig es ist, die Konzepte Kultureller Bildung nicht über die Köpfe der Subjekte hinweg zu entscheiden, sondern die betroffenen Kinder und Jugendlichen aktiv einzubeziehen. Um diese Beteiligung konkret zu gewährleisten, lädt die Stadt Dortmund Jugendliche regelmäßig zu Jugendkulturkonferenzen ein. Die Berücksichtigung jugendlicher Interessen und Lebenswelten, ihrer Bedürfnisse und kulturellen Ausdrucksformen ist Grundvoraussetzung umfassender Bildungskonzepte.
Wirkungen
Die strukturbildenden Wirkungen kommunaler Gesamtkonzepte Kultureller Bildung wurden bislang nicht systematisch evaluiert. Und doch gibt es Zeichen für deren Wirkung, die sich z.B. an der Zahl von Schulen messen lässt, die sich für Kooperationen mit kulturpädagogischen Einrichtungen öffnen und ein umfassendes kulturelles Schulprofil entwickeln. Oder an der Zahl der Museen, Bibliotheken, Theater oder Opernhäuser, die ihre vermittelnden Bildungsprogramme entwickeln bzw. weiterqualifiziert haben. An den bundesweiten Wettbewerben „Mixed up“ oder „Kinder zum Olymp“ kam eine deutlich erhöhte Zahl von Wettbewerbsbeiträgen aus eben solchen Regionen und Städten mit Vernetzungsstrukturen (Keller/Keuchel 2011).
In der Stadt München, die im Bestreben um ein kommunales Gesamtkonzept Kultureller Bildung die meisten Erfahrungen hat, werden folgende Wirkungen erkannt, die sich in anderen Städten ähnlich darstellen:
>> „gestiegenes politisches und öffentliches Image der Kinder- und Jugendkulturarbeit,
>> viele Einrichtungen und Träger wurden von Kürzungen verschont,
>> neue Formate und fachspezifische Netzwerke entstanden, z. B. ein Kultur- und Schulservice,
>> es gibt regelmäßige Treffen, Fachveranstaltungen, vernetzte Schwerpunktprogramme und Veranstaltungen,
>> andere Städte arbeiten nach ähnlichen Modellen, und es besteht ein regelmäßiger Austausch, und
>> die Landesebene steht prinzipiell positiv zu den kommunalen Netzwerken kultureller Kinder- und Jugendbildung“ (Zacharias 2011).
Überall dort, wo sich aufgrund paralleler Entwicklungen innerhalb der Kommunen regionale Bildungsnetzwerke und kommunale Bildungslandschaften entwickeln, müssen kommunale Gesamtkonzepte Kultureller Bildung integrativer Bestandteil des Ganzen sein bzw. werden. Dass dies nicht immer der Fall ist, zeigen Beispiele in München, Dortmund oder Rheine, wo die kommunalen Gesamtkonzepte Kultureller Bildung in den Bildungskonzepten der kommunalen bzw. regionalen Bildungsbüros kaum eine Rolle spielen und die Aktivitäten nicht oder nur zögernd miteinander verzahnt werden.
Fazit
Es gibt keine „Patentrezepte“ für die Entwicklung von Gesamtkonzepten für Kulturelle Bildung – sie sind immer entsprechend der örtlichen Gegebenheiten differenziert zu entwickeln. Dies erfordert die Überwindung eines Denkens in Schablonen/Ressorts und den Mut, neue, kooperative Wege zu gehen. Sicherlich ist eine starke und aktive Basis im Kinder- und Jugendkulturbereich die Voraussetzung für gute Netzwerke mit einer entsprechenden nachhaltig wirksamen Praxis. Und doch ist der Auf- und Ausbau von Strukturen für Kulturelle Bildung keine Frage von Einwohnerzahlen oder einer städtischen Infrastruktur. Denn Akteure, die in das Feld Kultureller Bildung gehören, gibt es in der Stadt ebenso wie auf dem Land. Die Akteure sind andere, und ihre Dichte ist ebenfalls sehr unterschiedlich. Doch – das zeigen gelungene Gesamtkonzepte für den ländlichen Raum – das Bemühen um Verzahnung und gegenseitige Unterstützung ermöglicht gerade in den infrastrukturell schwächeren Regionen eine Steigerung der Attraktivität von Angeboten und die Realisierung neuer Projekte und die Nutzung bislang unbeachteter Ressourcen.
Kommunale Gesamtkonzepte Kultureller Bildung müssen vor allem auf der operativen Ebene funktionieren, um erfolgreich Konzepte und Ideen umsetzen zu können, müssen aber auch auf der Konzeptions- und Leitungsebene durch bindende Absprachen verankert sein. Erst das schafft die notwendige Verbindlichkeit unabhängig von persönlichen Netzwerken und dem Engagement Einzelner. Ihr Nutzen muss für alle Akteure erkennbar sein und ihre Entwicklung muss aufbauen auf Transparenz und Partizipation. Nur dann realisieren kommunale Gesamtkonzepte nicht nur ein Handlungspaket zur Umsetzung bestimmter Maßnahmen, sondern sind die Klammer für kulturelle Teilhabe und Chancengerechtigkeit.