Kultur Kollaborateure – Kulturelle Bildung durch nachhaltige Kooperationen in Bildungseinrichtungen verankern

Einordnung und Reflexion eines kulturpolitischen Förderprogramms in Leipzig

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von Wiebke Pranz

Erscheinungsjahr: 2025

Abstract

Der Beitrag geht aus Perspektive der Programmverantwortlichen der Frage nach, wie die Stadt Leipzig Kooperationen in Schulen, Horten und Kitas im Rahmen des Förderprogramms Kultur Kollaborateure umsetzt, um kulturelle Teilhabe zu fördern. Er beschreibt die fachpolitischen Überlegungen und strukturellen Bedingungen, die zum Start des Programms durch das Kulturamt Leipzig führten, und beleuchtet das Verhältnis zwischen Programmkonzeption, den umgebenden Rahmenbedingungen und dem Anliegen, Kulturelle Bildung stärker in Bildungseinrichtungen zu verankern, um sie für Kinder und Jugendliche unabhängig ihres sozioökonomischen Hintergrunds zugänglicher zu gestalten. Der Beitrag geht außerdem darauf ein, warum stabile Beziehungen den Mittelpunkt des Programms bilden und beleuchtet Beziehungen als wichtigen Gelingensfaktor von Kooperationen.

Hinweis: Das Förderprogramm Kultur Kollaborateure wurde in Kooperation mit der Prozessbegleiterin Katja Gähler entwickelt. Ihre Perspektive ist auch in den vorliegenden Beitrag eingeflossen.

Kulturelle Teilhabe durch Kulturelle Bildung als Anliegen

Das Leipziger Programm Kultur Kollaborateure fördert langfristige Partnerschaften von Bildungseinrichtungen mit Kulturpartner*innen. Aktuell befinden sich 19 Partnerschaften im Programm, darunter zehn Schulen, vier Horte und fünf Kitas. Die Förderung umfasst ein Budget in Höhe von 4.000 Euro pro Kalenderjahr und Partnerschaft zur Umsetzung künstlerischer Projektvorhaben, die Begleitung durch eine Prozessberaterin und ein Rahmenprogramm mit Netzwerktreffen, Reflexionsgesprächen und Methodenweiterbildungen. Zentrales Anliegen des Programms Kultur Kollaborateure ist es, Kulturelle Bildung schrittweise in die jeweiligen Bildungseinrichtungen zu integrieren und dadurch Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund, Erfahrungsräume zum Entdecken und Entwickeln eigener kultureller und ästhetischer Interessen und Praxen zu bieten.

Dieser kulturpolitische Anspruch ist nicht neu: Kinder haben ein Recht auf Kultur und Kulturelle Bildung. Dies ist kein Zugeständnis von erwachsenen Personen an Kinder, sondern geltendes Recht (vgl. Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung 2021:2), welches sich aus den Artikeln 28, 29 und 31 der UN-Kinderrechtskonvention und den Artikeln 26 und 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ableitet (vgl. Deutsches Kinderhilfswerk o.J.; vgl. Amnesty International o.J.).

Das Verständnis von Kultur, das im Rahmen der Kultur Kollaborateure gefördert wird, lehnt sich an die Cultural Studies an, welche Kultur als dynamische Praxis, als doing culture und whole way of life verstehen (vgl. Klaus / Zobl 2020:1). Die Cultural Studies rücken eine Vielzahl unterschiedlicher künstlerischer, medialer und alltagskultureller Praktiken in den Blick und hinterfragen damit ein traditionell westliches, bürgerliches Verständnis von Kultur, das durch Abgrenzung und Hierarchisierung zwischen gesellschaftlichen Schichten geprägt ist und ‚Kultur‘ mit ‚Hochkultur‘ gleichsetzt. Sie verweisen auf die Verflochtenheit von Kultur mit Macht, auf Zuschreibungen und Ungleichheiten, aber auch auf die Möglichkeiten von Ermächtigung, Selbstrepräsentation und gesellschaftlicher Verantwortung (vgl. ebd.). In Anlehnung an dieses umfassende Kulturverständnis fördert das Programm Kultur Kollaborateure eine Vielzahl künstlerischer und kultureller Ausdrucksformen, darunter Musik, Klang, Tanz, Bewegung, Theater, Performance, Medien, Literatur, Erzählen, Gestaltung, Streetart, Spiel und Zirkus.

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Kultur Kollaborateure © Tabea Hörnlein

 

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Kultur Kollaborateure © Tabea Hörnlein

 

Damit lehnen die Kultur Kollaborateure zugleich an ein Verständnis von Kultureller Bildung als stärken- und ressourcenorientierten Prozess der Selbstbildung durch kulturelle Praxen im Sinne von Kunst, Kultur und Spiel an, wie es die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung vertritt (vgl. BKJ o.J.). Kulturelle Bildung ermutigt dazu, der eigenen Neugier zu folgen, eigene Haltungen und Positionen zu entwickeln und individuelle Ausdrucksformen auszubilden (vgl. BKJ o.J.). Gleichzeitig soll sie Chancen für gesellschaftliche Teilhabe eröffnen (BKJ 2011:14).

Kulturelle Teilhabe gilt als Grundprinzip von Kultureller Bildung (siehe Jens Maedler und Kirsten Witt 2014 „Gelingensbedingungen Kultureller Teilhabe“). Jedoch erfüllt sich dieser Anspruch in der Praxis nicht ohne weiteres Zutun. Im Gegenteil: Die Zugangsmöglichkeiten zu Kultureller Bildung sind höchst ungleich verteilt und im Bereich der Freizeit „stark von den Lebenslagen (ökonomisch-finanziell, sozial, kulturell) abhängig“ (siehe Bianca Fischer und Kerstin Hübner 2019 „Kulturelle Bildungskooperationen: Freiräume für Kinder und Jugendliche im Fokus“). Der Rat für Kulturelle Bildung hat 2017 ermittelt, dass 67 Prozent aller Eltern mit geringem Haushaltsnettoeinkommen (unter 2.500 Euro) ihren Kindern außerschulische kulturelle Angebote gar nicht (12 Prozent) oder nur sehr eingeschränkt (55 Prozent) ermöglichen können. Bei Alleinerziehenden steigt dieser Wert sogar auf 73 Prozent (vgl. Rat für Kulturelle Bildung 2017a:25). Auch die Erhebungen des Jugend-KulturBarometers führen diese Chancenungleichheit in Abhängigkeit von der sozioökonomischen Herkunft beziehungsweise vom kulturellen und finanziellen Kapital der Eltern sichtbar vor Augen (siehe Keuchel/Larue 2012 herangezogen durch Michael Retzar 2021/2020 „Abbau von sozialen und regionalen Bildungsnachteilen durch Kulturelle Bildung“).

Der Deutsche Städtetag betont in diesem Zusammenhang die Verantwortung der öffentlichen Hand für Bildung: Diese ist den Zielen der Chancengerechtigkeit und der Teilhabe besonders verpflichtet. „Alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen müssen von Anfang an und lebensbegleitend Zugang zu Bildung und kulturell-künstlerischer Entfaltung erhalten. Eigenbeiträge dürfen keine selektiv-ausgrenzende Wirkung haben“ (Deutscher Städtetag 2019). Da Kulturelle Bildung ein integraler Bestandteil von allgemeiner Bildung ist (vgl. ebd.), gilt dieser Anspruch selbstverständlich auch für Kulturelle Bildung und lässt sich auf öffentliche Kultureinrichtungen und die öffentliche Kulturförderung übertragen.

Kulturelle Bildung als kommunale Aufgabe in Leipzig

Leipzig hat Kulturelle Bildung 2011 als einen Schwerpunkt des kulturpolitischen Handelns gesetzt, indem die Stadt Kulturelle Bildung als eigenständige Fördersparte innerhalb des Kulturamts sowie eine Personalstelle in Teilzeit eingerichtet hat. Die Leipziger Netzwerkstelle Kulturelle Bildung vertritt die Belange der Kulturellen Bildung innerhalb und außerhalb der Stadtverwaltung, koordiniert das Förderverfahren, berät Akteur*innen, initiiert (über-) regionale Vernetzung und setzt verschiedene Maßnahmen zur Stärkung der Kulturellen Bildung in Leipzig um.

Ein kommunales Entwicklungskonzept, das regelmäßig (2012, 2016, 2024) fortgeschrieben wird, bildet die Basis der fachlichen Arbeit. Das Entwicklungskonzept zeigt Strukturen auf, setzt Handlungsschwerpunkte und gibt Entwicklungsziele in Anlehnung an bestehende Herausforderungen vor. Die Stärkung von Kultureller Bildung in formalen Bildungseinrichtungen stellt dabei einen von insgesamt acht Handlungsschwerpunkten in dem Konzept dar.

Übergeordnetes Ziel der strategischen Bemühungen ist eine vielseitige, qualitativ hochwertige Angebotslandschaft, in der gleichberechtigte Möglichkeiten zur Teilhabe und Mitgestaltung des kulturellen Lebens bestehen. Ein Blick in die Praxis zeigt, dass gezielte Maßnahmen erforderlich sind, um diesem Anspruch gerecht zu werden: Es reicht nicht aus, öffentliche und öffentlich geförderte Angebote der Kulturellen Bildung vorzuhalten. Die Angebote müssen auch so gestaltet sein, dass sie authentisch an unterschiedlichen Lebenswelten anknüpfen und ungleiche Zugangsvoraussetzungen explizit adressieren. Ein Mehr an Chancengleichheit ergibt sich nicht aus Gleichbehandlung, sondern aus dem gezielten Ausgleich von Benachteiligung. Es gilt, Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. El-Mafaalani 2020:14).

Förderung Kultureller Teilhabe durch kommunale Kulturpolitik

Für Städte bieten sich verschiedene Möglichkeiten, ungleiche Ausgangsbedingungen gezielt zu adressieren und kulturelle Teilhabe zu fördern. Eine davon ist das Fokussieren von Schwerpunkträumen der Stadtentwicklung, denn ungleiche sozioökonomische Chancen bilden sich in der stadträumlich ungleichen Verteilung von Ressourcen wie dem Kulturangebot ab. Kulturangebote ballen sich in privilegierten, oft zentrumsnahen Stadtteilen und fehlen in sozioökonomisch benachteiligten, oft peripheren Stadtgebieten. Diese Ungleichverteilung bedingt und reproduziert zugleich ungleiche soziale (Klassen-)Lagen. (vgl. Kemper 2018). Entsprechend ist der Ausbau von Angeboten in Schwerpunkträumen der Stadtentwicklung eine wichtige Strategie zur Förderung kultureller Teilhabe, die auch beim Programm Kultur Kollaborateure genutzt wird. Allerdings ist dieser Ansatz im Rahmen der öffentlichen Kulturförderung sehr komplex und lässt sich, was die Quantität und Qualität der Angebote betrifft, unserer Erfahrung nach bisher nur bedingt steuern.

Eine andere Möglichkeit, die in kommunalen Kontexten erfolgreicher koordiniert werden kann, ist der Weg in formale Bildungseinrichtungen. Hier sind potenziell alle Kinder und Jugendlichen von 6 bis 18 Jahren anzutreffen. Zudem sind Bildungseinrichtungen die Orte, an denen sich Interessen bilden können. So zeigt etwa das 2. Jugend-KulturBarometer, dass Kooperationen von Schulen mit außerschulischen Partner*innen die Nutzung von Kulturangeboten fördern und neben der Familie wichtige Impulse für Bildung und Teilhabe setzen können (siehe Susanne Keuchel 2014 „Quo Vadis nachhaltige Kulturvermittlung? Aktuelle Ergebnisse aus der Reihe 'Jugend-KulturBarometer'“). Auch bieten Schulen die Möglichkeit, Kultur gemeinsam mit Peers und Gleichaltrigen zu erleben (siehe ebd.).

In Leipzig hat der Stadtrat im Jahr 2019 beschlossen, Kulturelle Bildung in formalen Bildungseinrichtungen zu stärken und stellt dafür seither jährlich 40.000 Euro bereit. Diese Mittel werden als Eigenanteil genutzt, um eine Förderung beim Sächsischen Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus einzuwerben. Die Förderung des Landes ermöglicht Leipzig den Ausbau der Netzwerkstellenarbeit und die Stärkung Kultureller Bildung in formalen Bildungseinrichtungen unter anderem über das Förderprogramm Kultur Kollaborateure.

Kulturelle Bildung in Schule = Kulturelle Teilhabe?

Aber führen Kooperationen zwischen Bildungseinrichtungen und Kulturpartner*innen per se zu mehr kultureller Teilhabe? Dies gilt es durchaus kritisch zu hinterfragen, denn Schulgemeinschaften spiegeln unsere Gesellschaft wider - mitsamt ihren Ungleichheiten (vgl. El-Mafaalani 2020:10ff). „Schulische Bildung in Deutschland findet unter den Bedingungen von sozialer Ungleichheit statt, wobei sich sozialstrukturelle Unterschiede reproduzieren und Ungleichheiten langfristig verfestigen“ (siehe Michael Retzar 2021/2020 „Abbau von sozialen und regionalen Bildungsnachteilen durch Kulturelle Bildung“). Insofern ist durchaus fraglich, wie ein im Hinblick auf Teilhabe ungleiches System (Kulturelle Bildung) die Ungleichheiten eines anderen Systems (Schule) ausgleichen kann – und umgekehrt (siehe Kerstin Hübner 2024 „Bildungsort Schule: Spannungsfelder für Kulturelle Bildung“). Damit ist gemeint, dass Kulturelle Bildung in Schulen nicht automatisch mit einem Mehr an kultureller Teilhabe gleichgesetzt werden kann, beziehungsweise dass die eingangs beschriebenen ungleichen Zugänge zu Kultureller Bildung durch Kooperationen mit Bildungseinrichtungen nicht automatisch entfallen. Gerade wenn Akteur*innen der Kulturellen Bildung kein selbstreflexives Bewusstsein für Ausschlüsse, die eigene Positioniertheit, eigene Privilegien und die Einbindung in Machtverhältnisse mitbringen und es versäumen, sich diskriminierungs- und klassismussensibel weiterzubilden, kann Kulturelle Bildung Diskriminierungen und Ungleichheiten sogar verstärken, zum Beispiel dann, wenn Kinder und Jugendliche in Kulturprojekten nur auferlegte Ideen umsetzen, anstatt eigene Ideen realisieren zu können und zu selbst gewählten Aushandlungen ermutigt zu werden (siehe Francis Seeck und Yasmina Bellounar 2023/2022 „Macht und Klassenbewusstsein in der Kulturellen Bildung. Ein Gespräch“; siehe Kiwi Menrath 2023 „Klassismuskritische Kulturelle Bildung vor dem Horizont der Cultural Studies. Warum »Zugang schaffen« keine Lösung, sondern das eigentliche Problem ist“).

Viola Kelb greift die Annahme, Kulturelle Bildung in Schule würde automatisch zu mehr Teilhabe führen, als realitätsferne Erwartung auf und fragt, inwiefern strukturell benachteiligte Milieus „ausgerechnet per mittelschichtsorientierter Kultureller Bildung erreicht werden können“ (siehe Viola Kelb 2013/2012 „Kulturelle Bildung und Schule“). Auch die Daten des 2. Jugend-KulturBarometer legen bei genauerer Betrachtung nahe, dass Kulturelle Bildung in Schule das Interesse an außerschulischen kulturellen Aktivitäten nicht zwangsläufig steigert, sondern sogar verringern kann (siehe Susanne Keuchel 2019 „Chancen und Herausforderungen für kulturelle Bildungskooperationen im Ganztag“). Und zwar insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, die ausschließlich formale kulturelle Bildungsimpulse erhalten (siehe ebd.), das heißt, die keine non-formalen bzw. informellen Zugänge haben. Ein Zusammenhang durch das Ausbleiben von Prinzipien der Freiwilligkeit, der Selbstbildung und der Partizipation bei Kultureller Bildung im schulischen Kontext, das einen Transfer dieser Erfahrungen in die Freizeit und den Alltag verhindert, kann hier angenommen werden (siehe ebd.).

Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es nicht nur darum gehen kann, Kulturelle Bildung in Schule anzubieten. Vielmehr ist die Ausrichtung im Sinne eines breiten und lebensweltorientierten Kulturverständnisses entscheidend, damit Kulturelle Bildung in Schule langfristige kulturelle Interessen weckt, anstatt abzuschrecken. Gerade hier - wo Kinder und Jugendliche sich nicht entziehen beziehungsweise nicht frei entscheiden können - kommt es besonders darauf an, wie das jeweilige Angebot gestaltet wird. Auch ist bedeutsam, wer von den Angeboten tatsächlich angesprochen und erreicht wird.

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Kultur Kollaborateure © Tabea Hörnlein

 

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Kultur Kollaborateure © Tabea Hörnlein

 

Praxisbeispiel Kultur Kollaborateure

Im Folgenden wird das Leipziger Förderprogramm Kultur Kollaborateure in seinen Instrumenten und Prozessen vorgestellt. Dabei wird insbesondere das wechselseitige Verhältnis zwischen inhaltlicher Programmkonzeption, strukturellen Rahmenbedingungen und dem kulturpolitischen Anspruch, Kulturelle Bildung zugänglicher zu gestalten, beleuchtet. Zudem wird beschrieben, warum das Programm den Fokus auf Beziehungen legt – sowohl als Gelingensfaktor für Kooperationen als auch Grundlage für die Handlungsfähigkeit der beteiligten Akteur*innen.

Gezielter Ausgleich struktureller Benachteiligung

Anliegen des Förderprogramms Kultur Kollaborateure ist es, ungleiche Zugangsvoraussetzungen zu Kultureller Bildung durch Kooperationen mit formalen Bildungseinrichtungen auszugleichen, da viele Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch benachteiligten Haushalten von öffentlich zugänglichen Projekten weniger profitieren.

Dieser Anspruch erfüllt sich jedoch, wie zuvor ausgeführt, auch im Kontext Kultureller Bildung in Schule nicht ohne Weiteres. Dies zeigte auch die erste Ausschreibung der Kultur Kollaborateure: So erfuhr die Ausschreibung zwar eine große Resonanz, jedoch vor allem bei Schulen in sozioökonomisch bessergestellten Lagen, Gymnasien und privaten Schulen. Hingegen gab es trotz direkter Ansprache deutlich weniger Bewerbungen von Oberschulen, Förderschulen und Schulen in Schwerpunkträumen.

Mögliche Gründe hierfür liegen in den besonderen strukturellen Herausforderungen dieser Schulen: Schulen in sozial benachteiligten Gebieten haben größere Schwierigkeiten, qualifizierte Lehrkräfte zu gewinnen und zu halten (vgl. Beierle/Hoch/Reißig 2019:13-15, 53-54). Zugleich müssen diese Schulen zusätzliche Kompensationsleistungen erbringen, um den erhöhten Unterstützungs- und Förderbedarf ihrer Schüler*innen zu decken. Dazu zählen Sprachförderung, individuelle Förderung sowie Maßnahmen zur sozialen Integration (vgl. ebd:13-14). Der Schulalltag in diesen Einrichtungen erfordert daher eine größere Anstrengung oder zumindest eine stärkere Priorisierung, um zusätzliche Projekte wie Kooperationen mit externen Partner*innen umzusetzen. Gleichzeitig finden sich auf Gymnasien vor allem Kinder und Jugendliche aus bildungsbürgerlichen oder wohlhabenden Haushalten, da Eltern aus höheren sozialen Schichten gezielt Gymnasien für ihre Kinder wählen, unabhängig von deren tatsächlicher Eignung oder Leistung. Das Selektionsverhalten der Eltern über die freie Schulwahl leistet somit einen erheblichen Beitrag zu einer horizontal segregierten Schülerschaft entlang von Klassenzugehörigkeit (vgl.ebd:13-14).

Um das Ungleichgewicht in der Bewerberlage auszugleichen, wurden bei der Auswahl der Projekte für das Programm Kultur Kollaborateure daher neben inhaltlichen Auswahlkriterien auch strukturelle Kriterien wie der Sozialindex aufgenommen. Dadurch war es mit dem Programm möglich, Kinder und Jugendliche mit erhöhten Förderbedarfen zu erreichen, ohne bestimmte Bildungsformen oder Stadtteile von vornherein auszuschließen. Dies ist relevant, da die Lage oder Form einer Schule, wie zuvor beschrieben, oft – aber nicht immer – Rückschlüsse auf die Schülerschaft oder Teile der Schülerschaft zulässt (vgl. Beierle/Hoch/Reißig:14f), z.B. im Fall von Gymnasien mit DaZ (Deutsch als Zweitsprache) Klassen oder bei Privatschulen in Schwerpunkträumen. Zudem ermöglicht diese Herangehensweise, auch Kooperationen aufzunehmen, die aus inhaltlicher Sicht gewinnbringend für das Netzwerk der Kultur Kollaborateure sind, zum Beispiel, weil sie innovative Methoden oder Haltungen einbringen.

Mittlerweile hat sich das Bewerberverhältnis für das Programm deutlich verändert: Oberschulen, Förderschulen und Bildungseinrichtungen aus Schwerpunkträumen stellen einen erheblichen Teil der Anträge. Das Programm hat sich somit auch in der öffentlichen Wahrnehmung gewandelt und etabliert. Aktuell befinden sich 15 der 19 geförderten Kooperationen in Schwerpunkträumen der Stadtentwicklung. Daneben sind mehrere DaZ Klassen, Förderklassen und zahlreiche Kinder mit Migrationshintergrund oder Inklusionsbedarfen beteiligt.

Haltung der Offenheit in der Programm- und Projektgestaltung

Während die Kultur Kollaborateure auf Ebene der Zielgruppen und des übergeordneten Programmanliegens sehr konkret gefasst sind, verzichtet das Programm ganz bewusst auf Vorgaben, was Inhalte, Methoden, Gruppengrößen, Formate und die Organisationsstruktur der einzelnen Kollaborationen betrifft. Stattdessen werden die Partnerschaften ermutigt, ihre eigenen Wege der Kooperation zu gehen. Sie werden eingeladen, die Interessen und Bedarfe der beteiligten Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt zu stellen, die besonderen Potenziale der jeweiligen Kulturpartner*innen zu nutzen und die individuelle Ausgangslage der Bildungseinrichtung zu berücksichtigen. So ergibt sich im Programm eine breite Vielfalt an künstlerischen Ausdrucksformen und Formen der Zusammenarbeit.

Durch die Gestaltung der Netzwerktreffen, aber auch durch die Reflexionsgespräche und die individuelle Prozessbegleitung werden die geförderten Projekte darin bestärkt, ergebnisoffene Prozesse und Erfahrungsräume für die Beteiligten auf allen Ebenen zu ermöglichen: für die Kinder und Jugendlichen, für das Kollegium der Bildungseinrichtungen und für die Bildungseinrichtungen als Gesamtorganisation (Schul- bzw. Organisationsentwicklung). Diese Offenheit in der Gestaltung wird seitens der Kollaborateure als große Bereicherung im Schulalltag, insbesondere im Kontakt mit den Kindern erlebt. Sie ermöglicht bedarfsorientierte Entwicklungen im Sinne der Kinder, aber auch für die beteiligten Fachkräfte und Institutionen.

Die Kultur Kollaborateure verstehen sich entsprechend als lernendes Programm: Erkenntnisse und Rückmeldungen der Teilnehmenden werden stetig genutzt, um das Programm weiter zu entwickeln und so bestmögliche Rahmenbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten für die Kooperationen zu schaffen.

Förderung gemeinsamer kreativer Prozesse

Das geteilte Anliegen, Kindern und Jugendlichen ästhetische Erfahrungsräume zu bieten und sie diese aktiv (mit)gestalten zu lassen, verbindet die Kultur- und Bildungspartner*innen meist von Anfang an. Das Programm betont diese Verbindung und die gemeinsame Gestaltung der Kooperation, indem es gemeinsame Bewerbungen, gemeinsame Konzeptionen und gemeinsame Durchführungen durch Kultur- und Bildungspartner*innen fordert. Damit beugt das Programm einer ungleichen Verteilung von Verantwortung und Rollen vor. Nicht die Kulturpartner*innen sind es, die die Verantwortung für das künstlerische Projekt tragen, sondern Kultur- und Bildungspartner*innen zusammen.

In Netzwerktreffen und kollaborationsübergreifenden Reflexionsgesprächen werden Räume der Begegnung und der gemeinsamen Reflexion der Kultur- und Bildungspartner*innen geschaffen, die das persönliche Erleben der Zusammenarbeit in den Fokus rücken. Diese Gestaltung unterstützt das Entstehen von Beziehung: Kultur- und Bildungspartner*innen erleben sich als Team mit gemeinsamen Anliegen und gemeinsamer Verantwortung für kreative Prozesse, in die das Wissen und die Fähigkeiten aller Beteiligten einfließen. Unterstützende, gleichberechtigte Partnerschaften können entstehen.

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Kultur Kollaborateure © Tabea Hörnlein

 

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Kultur Kollaborateure © Tabea Hörnlein

 

Wichtig für stabile Partnerschaften ist aus Programmsicht auch, dass die Kulturvermittler*innen faire Vergütungen erhalten, die neben der eigentlichen Durchführung auch Vor- und Nachbereitungszeiten, Reflexionsphasen und die Netzwerktreffen umfassen. Dies sichert nicht nur Qualität und Prozessorientierung, sondern setzt ein wichtiges Signal an die Kooperationen hinsichtlich der Wertschätzung freiberuflicher Leistungen und der Einhaltung von Honorarempfehlungen.

Die beteiligten Kinder und Jugendlichen werden als Mitgestalter*innen kreativer Prozesse ernstgenommen: Bereits mit der Bewerbung fragt das Programm nach den konkreten Formen der Beteiligung der Kinder und Jugendlichen und gerade in den mehrjährig geförderten Projekten vergrößern sich ihre Gestaltungsräume sukzessiv: Die Kinder und Jugendlichen entscheiden, um welche Themen es geht, was in den Projekten umgesetzt wird oder treten als Vermittler*innen im Sinne von Peer-to-Peer Ansätzen in Erscheinung. Dieser Aspekt ist im Hinblick auf eine an Teilhabe orientierten Kulturellen Bildung bedeutsam: Denn wenn Kinder und Jugendliche ernsthaft beteiligt werden und als Gestaltende auftreten, lassen sich adultistische und klassistische Reproduktionen in den Projekten eher vermeiden (vgl. Richter 2013:10ff, siehe Francis Seeck und Yasmina Bellounar 2023/2022 „Macht und Klassenbewusstsein in der Kulturellen Bildung. Ein Gespräch“).

Zeit für Entwicklung und Individuelle Ausdehnung

Der Aufbau tragfähiger und gleichberechtigter Kooperationen erfordert Zeit. Statt der oft anzutreffenden „Projektitis“ im Kultur- und Bildungsbereich (siehe Johanna Borchert und Franka Luise Deister 2022 „Wer macht was? Rollenverständnisse bei multiprofessioneller Zusammenarbeit in der Kulturellen Bildung am Beispiel von Musikunterricht“; siehe Viola Kelb 2014 „Mehr Teilhabe durch Vernetzung. Rahmenbedingungen für Qualität und Kulturelle Bildung in lokalen Bildungslandschaften“) setzen die Kultur Kollaborateure bewusst darauf, langfristige Entwicklungsprozesse zu ermöglichen. Eine mehrjährige Förderung ist daher nicht nur möglich, sondern ausdrücklich erwünscht. Ziel ist es, neben der Projektarbeit mit den Kindern und Jugendlichen nachhaltige Wege zu finden, um Kulturelle Bildung schrittweise in den Alltag der Bildungseinrichtungen zu integrieren. Dafür gilt es seitens des Programms, die Beziehung zwischen Kultur- und Bildungspartner*innen zu stärken – und zwar im Sinne einer Kollaboration, in der sich beide Seiten gleichberechtigt in den gemeinsamen Prozess einbringen.

In den ersten beiden Jahren liegt der Fokus auf dem gegenseitigen Kennenlernen. Es geht um das Etablieren geeigneter Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit und die Entwicklung gemeinsamer Zielsetzungen. Diese Phase ist essenziell für die zwischenmenschliche, inhaltliche und organisatorische Annäherung der Kultur- und Bildungspartner*innen und wird von Seiten des Programms intensiv begleitet, da hier wichtige Grundlagen für die Partnerschaft gelegt werden. In den Auftakt- und Netzwerktreffen wird vor allem diese Beziehungsebene gestärkt.

Ab dem dritten Programmjahr geht es darum, der Zusammenarbeit eine tiefere Qualität und stabilere Strukturen zu verleihen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Einbindung des pädagogischen Teams der Bildungseinrichtung und der Erforschung von Wegen, Kulturelle Bildung konzeptionell und strukturell in den Bildungseinrichtungen zu verankern. Die zentrale Frage lautet: Wie kann der Wert Kultureller Bildung im Alltag der Bildungseinrichtung nachhaltig lebendig werden? Das Programm macht diesbezüglich keine Vorgaben, begleitet und berät die Projekte aber individuell auf ihrem Weg. Auch die Netzwerktreffen und die Impulse durch die anderen Kollaborationsteams unterstützen diese Entwicklung von Jahr zu Jahr.

Ab dem fünften Jahr sind die Partnerschaften eingeladen, etwas von ihrem Erfahrungsschatz in das Netzwerk zurückzugeben. Gleichzeitig wird die Initiativkraft für die Kooperation schrittweise an die Bildungseinrichtungen übergeben. Das Programm versteht sich als Mutmacher*in und Wegbereiter*in für eine nachhaltige Eigenständigkeit – mit dem langfristigen Ziel, sich selbst überflüssig zu machen. Inwiefern dies in der Breite gelingen kann, solange Kulturelle Bildung als gefördertes Extra in Schule andockt, kann dabei durchaus kritisch hinterfragt werden und stellt eine offene Frage des Programms dar, das aktuell in sein sechstes Programmjahr geht.

Klar ist: Die langfristige Zusammenarbeit ist wichtig für die Qualität der Partnerschaften und wichtig für die Kinder und Jugendlichen. Zum einen im Sinne der Beziehungsarbeit, zum anderen weil Kulturelle Bildung nach und nach in den Bildungsalltag einzieht und dort einen selbstverständlicheren Raum jenseits von Projekten einnimmt.

Statistisch gesehen wäre es für das Programm attraktiv, jährlich neue Schulen, Horte und Kitas aufzunehmen oder Bewerbungen zu priorisieren, die eine hohe Zahl an Teilnehmenden einbringen. Im Sinne der Kinder und für die Entwicklung der Bildungseinrichtungen ist es jedoch sinnvoll, genau das Gegenteil zu tun: Bewerbungen für mehrere Jahre in Folge zu priorisieren und womöglich auch kleinere Gruppengrößen zu ermöglichen, weil sie der jeweiligen Zielgruppe angemessen sind und deren Entwicklung fördern.

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Kultur Kollaborateure © Tabea Hörnlein

 

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Kultur Kollaborateure © Tabea Hörnlein

 

Lokales Netzwerk als Unterstützung

Ebenso wichtig ist das Netzwerk aller Kultur Kollaborateure: Es dient den Einzelkollaborationen als Impulsgeber*in, Wissensspeicher und Unterstützungssystem. Dem Wunsch der Partnerschaften nach Austausch und gemeinsamer Reflexion wird in Netzwerktreffen und kooperationsübergreifenden Reflexionsgesprächen Raum geboten. Für Projekte, die sich innerhalb der mehrjährig möglichen Förderung an einer wichtigen Orientierungs- oder Entwicklungsstufe befinden, stehen Beratungen und Austauschformate zur Verfügung, die Orientierung für die weitere Entwicklung bieten.

Zu dem Netzwerk der Kultur Kollaborateure gehört auch die Verwaltung: das Kulturamt Leipzig in seiner Funktion als Programmleitung sowie die Partnerämter: das kommunale Amt für Schule, das kommunale Amt für Jugend und Familie sowie das Landesamt für Schule und Bildung. Zwar fördern die drei Partnerämter das Programm nicht finanziell, doch ist die kollegiale Unterstützung und Begleitung des Programms und seiner Partnerschaften wichtig für das Gesamtgelingen. Die ämterübergreifende Zusammenarbeit ermöglicht Abstimmungsprozesse sowie die Vereinbarung gemeinsamer Ziele und verleiht Kultureller Bildung einen signifikanten Stellenwert innerhalb der Bildungseinrichtungen. Dies ist auch für die Kollaborateure ein wichtiges Signal: Kulturelle Bildung wird dadurch nicht als Extra, sondern als wichtiger Bestandteil von Bildung bestätigt.

Die Kraft der Leitungen

Die Leitung der Bildungseinrichtung spielt eine zentrale Rolle für das Gelingen der Kooperationen, obwohl sie vor dem Hintergrund ihrer zeitlichen Ressourcen und sonstigen Aufgaben nur selten in die praktische Durchführung der Kollaborationen eingebunden ist. Die praktische Durchführung seitens der Bildungseinrichtung wird meist durch eine Lehrkraft, die Schulsozialarbeit oder eine andere pädagogische Fachkraft übernommen.

Die Schulleitung hingegen ist wichtig für den Rahmen, in dem die Kooperation stattfindet, sie sichert die notwendigen Voraussetzungen und Gestaltungsspielräume für die Kooperation. Auch gibt sie dem Gesamtvorhaben Bedeutung innerhalb der Bildungseinrichtung und sorgt für dessen Akzeptanz und Wertschätzung. Dies ist vor allem dann entscheidend, wenn strukturelle Herausforderungen auftreten, beispielsweise, weil Personalengpässe die Beteiligung der Bildungspartner*in an den Netzwerktreffen oder die Fortführung des Gesamtprojekts in Frage stellen.

Die Leitung der Bildungseinrichtung beeinflusst maßgeblich das, was innerhalb der Einrichtung möglich ist, und was nicht. Dabei kommt es weniger auf die Quantität als auf die Qualität ihrer Unterstützung an.

Das Programm bindet die Leitung daher an allen neuralgischen Punkten der Kooperation ein und führt dafür separate Leitungstreffen durch: So setzt die Aufnahme in das Förderprogramm voraus, dass sich die Leitung mittel- und langfristig zur Kooperation bekennt und die notwendigen Rahmenbedingungen schafft. Der Übergang ins dritte Programmjahr ist wichtig, da es hier darum geht, Strukturen für die weitere Integration Kultureller Bildung in die Bildungseinrichtung zu entwickeln.

Umgang mit hinderlichen Rahmenbedingungen

Wie eingangs erwähnt finanziert sich das Programm aus Eigenmitteln der Kommune und aus Fördermitteln des Landes. Diese programmimmanente Förderlogik – von der das Programm selbst abhängig ist – bringt strukturelle Herausforderungen mit sich. Diese betreffen zunächst die Partnerschaften und in weiterer Folge die beteiligten Kinder und Jugendlichen. Ein zentrales Problem liegt in der unterschiedlichen zeitlichen Logik der Finanzierungsstrukturen: Während die Fördermittel an das Kalenderjahr gebunden sind, orientieren sich formale Bildungseinrichtungen am Schuljahresrhythmus.

Die Förderbescheide des Landes werden häufig erst zum Ende des ersten oder sogar im zweiten Quartal erteilt. Dadurch verzögert sich der Projektbeginn der Kultur Kollaborateure erheblich. Aufgrund der dem Förderbescheid nachgeordneten Zeitschienen von Ausschreibung, Auswahlverfahren, Bewilligungsprozess und den Sommerferien startet ein großer Teil der Projekte erst in der zweiten Jahreshälfte. Neue Doppelhaushalte oder ausstehende Haushaltsbeschlüsse erschweren die Planungssicherheit zusätzlich. Diese Förderlücken führen zu inhaltlichen Unterbrechungen, die für die beteiligten Kinder und Jugendlichen problematisch sind. Nicht allen Bildungseinrichtungen gelingt es, in dieser Übergangszeit alternative Lösungen – etwa über Ganztagsangebote – zu entwickeln.

Schwerer noch wiegen herausfordernde Rahmenbedingungen in den Bildungseinrichtungen selbst: Die Überlastung des Bildungswesens, insbesondere der Personalmangel, stellt die Möglichkeiten kontinuierlicher Kooperationen mit externen Partner*innen in den formalen Bildungseinrichtungen regelmäßig auf die Probe – und den Stellenwert Kultureller Bildung in Frage. Wenn bereits die Absicherung des Fachunterrichts gefährdet ist, rücken Kulturelle Bildung und Kooperationen mit Externen in der Priorisierung oft in den Hintergrund. In den Projekten wird dies spürbar, wenn Zeiten für Reflexion und Austausch verloren gehen und die Bildungspartnerseite bei den Netzwerktreffen fehlt. Solche Ungleichgewichte sind vorübergehend zu verkraften, werden sie aber zum Normalzustand, geht das Beziehungsgefüge verloren und die Partnerschaften scheitern.

Auch vor dem Hintergrund des bevorstehenden Ganztagsanspruchs ab 2026 ist zu bedenken, dass Kooperationen mit externen Partner*innen, wie sie schon seit langem gefordert und konzeptionell vorgesehen sind (in Sachsen beispielsweise im Qualitätsrahmen Ganztagsangebote), personell abgesichert werden müssen. Es braucht die personellen Ressourcen, um diese Angebote in hoher Qualität in die Bildungseinrichtungen zu integrieren und sie mit den jeweiligen Schulkonzepten zu verbinden. Die angespannte Personalsituation an Schulen und die wenigen vorgesehenen Entlastungsstunden für die Lehrkräfte zur Planung der Ganztagsangebote bieten bereits jetzt keinen verlässlichen Rahmen. Auch externe Fachkräfte könnten diese Aufgabe in Abstimmung mit der Schulleitung übernehmen, damit sich Lehrkräfte auf den Unterricht und ihre zahlreichen anderen Aufgaben fokussieren können.

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Kultur Kollaborateure © Tabea Hörnlein

 

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Kultur Kollaborateure © Tabea Hörnlein

Im Rahmen des Programms Kultur Kollaborateure gibt es starke Bemühungen die strukturellen Herausforderungen, die sich in den Bildungseinrichtungen zeigen, so weit wie möglich aufzufangen und die eigenen Rahmenbedingungen so unterstützend wie möglich zu gestalten. So sind beispielsweise die Antragstellung und Verwendungsnachweisführung niedrigschwellig gestaltet. Weitere Unterstützungsinstrumente sind die Formate der Reflexion und des Austauschs innerhalb des Programms: Sie sichern den Erhalt der Partnerschaften, weil sich Kultur- und Bildungspartner*innen hier als starkes Team und Teil eines größeren Netzwerks erleben, das auf gemeinsame Ziele im Sinne der beteiligten Kinder und Jugendlichen hinwirkt. Die Beteiligten werden sich des Sinns ihres Schaffens bewusst und können wahrnehmen, was sie mit dem, was sie tun, bewirken können.

Dabei ist es aus Programmsicht wichtig, die Erwartungen an das, was mit den Kooperationen erreicht werden kann, nicht zu hochzusetzen: Der Anspruch, gesellschaftliche Probleme durch Kulturelle Bildung in Schulen lösen oder zumindest verringern zu wollen, birgt das Risiko der Überlastung, wenn sichtbare Erfolge kurz- und mittelfristig ausbleiben. Kulturelle Bildung ist kein Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Herausforderungen oder die spezifischen Strukturprobleme des Bildungswesens. Vielmehr finden Kooperationen von Kultureller Bildung an Schule in diesem Spannungsfeld statt und müssen so konzipiert werden, dass sie die Herausforderungen mitdenken, ohne sich von ihnen bestimmen zu lassen.

Wichtig hierfür ist, dass die Ansprüche an Kooperationen ermutigend gestaltet werden und die Handlungsfähigkeit der einzelnen Subjekte betont wird. Auch bietet sich an, kleinere Einheiten in den Blick zu nehmen (einzelne Bildungseinrichtungen, einzelne Gruppen oder einzelne Kinder) und den Fokus auf das zu richten, worum es Kultureller Bildung im Kern geht: Kindern und Jugendlichen Erfahrungsräume zu bieten, in denen sie neugierig und forschend ihre Interessen, Fähigkeiten und Persönlichkeiten entwickeln können.

Fazit

Die Erfahrungen aus dem Programm Kultur Kollaborateure zeigen, dass Kooperationen mit Bildungseinrichtungen eine gute und vergleichsweise gut zu steuernde Möglichkeit sind, um kulturelle Teilhabe zu fördern und Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund Räume für kulturell-ästhetischen Praxen zu bieten – zumindest wenn das Wie dieser Kooperationen klug gestaltet wird. So gilt es, die Voraussetzungen für Teilhabe auch im Kontext von Kooperationen mit Bildungseinrichtungen gezielt zu benennen und entsprechend zu adressieren.

Das Programm Kultur Kollaborateure wurde etabliert, um sozialer Ungleichheit in der Kulturellen Bildung in Leipzig entgegenzuwirken. In seinem sechsten Programmjahr stellt es eines der wichtigsten Instrumente der Stadt dar, um Kulturelle Bildung chancengerechter zu gestalten und sie in die Breite zu tragen. Besonders wertvoll ist es, einzelne Partnerschaften über mehrere Jahre zu begleiten und zu erleben, wie sich deren Qualität im Programmverlauf entwickelt und dies strukturelle Entwicklungen in den Bildungseinrichtungen ermöglicht.

Trotz dieser positiven Bilanz muss gesagt werden, dass das Programm an einer Lücke ansetzt, die es in einer gerechten Gesellschaft und einem gerechten Bildungswesen eigentlich nicht geben sollte. Kulturelle Bildung ist integraler Bestandteil ganzheitlicher Bildung und muss allen Kindern und Jugendlichen offenstehen. Förderprogramme wie die Kultur Kollaborateure stellen einen wichtigen Anfang dar. Es ist aber essenziell, Kulturelle Bildung unabhängig von projektgebundenen Förderungen in Bildungseinrichtungen zu verankern. Dies zeigt sich im Falle der Kultur Kollaborateure gerade im Jahr 2025: Aufgrund des ausstehenden Haushaltsbeschlusses in Sachsen ist vor dem dritten Quartal kein Bescheid zu erwarten, zugleich könnte es zu erheblichen Mittelkürzungen kommen. Die Projekte können demzufolge erst im September starten – mit langen Wartezeiten für die beteiligten Kinder und Jugendlichen. Angesichts der ungewissen Förderlage hat das Programm entschieden, in diesem Jahr keine neuen Kollaborationen aufzunehmen, sondern sich auf die bisherigen Projekte zu fokussieren und diese zu sichern.

Die Situation verdeutlicht, wie wichtig es ist, Kulturelle Bildung und Kooperationen mit externen Partner*innen strukturell in den Bildungseinrichtungen zu verankern. Hierfür müssen Politik, Verwaltung und Praxis zusammenwirken. Es braucht eine gemeinsame Verantwortungsübernahme und ein abgestimmtes Handeln der verschiedenen Ressorts und Ebenen: auf Ebene der Länder durch die Ministerien für Bildung und Kultur, auf Ebene der Kommunen durch die verschiedenen Fachämter, durch die Akteur*innen der Kulturellen Bildung und durch die Bildungseinrichtungen selbst.

Veränderungen im Bildungswesen – wie der bundesweite Ganztagsanspruch ab 2026 und in Bezug auf Sachsen die Strategie Bildungsland 2030 – bieten wertvolle Chancen, sich der eigenen Rolle und den eigenen Möglichkeiten innerhalb dieses Verantwortungsgeflechts aus gestaltenden Akteur*innen bewusst zu werden. Es ist ein geeigneter Moment, Veränderungen anzustoßen, Kulturelle Bildung stärker in Schulen zu verankern und Bildung damit ganzheitlicher, gerechter und nachhaltiger zu gestalten.

Erfahrungen aus Programmen wie den Kulturagenten für kreative Schulen, den Kultur Kollaborateuren oder dem Forschungsprojekt Kulturkomplizen (KULKOM) können wertvolle Impulse für die Gestaltung solcher Entwicklungen liefern. Sie zeigen, wie Kooperationen aufgebaut werden können, damit Kinder und Jugendliche tatsächlich von den besonderen Qualitäten Kultureller Bildung profitieren. Gleichzeitig verdeutlichen sie, wie diese Kooperationen gestaltet werden müssen, um sozialer Ungleichheit wirksam zu begegnen. Denn darum sollte es gehen: dass Kinder und Jugendliche – unabhängig von ihrem Hintergrund – alles in Bildungseinrichtungen erleben können, was unsere Gesellschaft zu bieten hat (vgl. El-Mafaalani 2020).

Jedes Kind hat dieses Recht.