KünstlerInnen lernen für die Kulturelle Bildung
Abstract
Dieser Beitrag gibt einen Einblick in die Begleitforschung des pädagogischen Weiterbildungsprojekt „d’art“. Ergänzend zu dem Beitrag „d.art – Eine pädagogische Weiterbildung zur Selbstverständigung über das Verhältnis von Kunst und Pädagogik“ von Joachim Ludwig, welcher charakteristische Spannungsverhältnisse und Bildungsprozesse von KünstlerInnen in pädagogischen Weiterbildungen bei der Entwicklung ihres pädagogisch-künstlerischen Selbstverständnis verdeutlicht, fokussiert sich dieser Artikel auf zwei Fallbeispiele und deren lerntheoretische Analyse. Die beiden Fälle verdeutlichen, wie sich Beteiligte mit dem Weiterbildungsangebot auseinandersetzen und dabei Lern- bzw. Bildungsprozesse in einem Weiterbildungskontext vollziehen können. Entsprechend des d.art-Weiterbildungskonzepts wird davon ausgegangen, dass Lernprozesse von außen nicht herbeigeführt, wohl aber dann unterstützt werden können, wenn die Handlungsproblematiken, Lernanliegen, Lernausgangslagen und Lernwege der Lernenden verstanden werden. Der Beitrag entstand unter Mitarbeit von Martin Prüter und Rosana Sikora
Kulturelle Bildung für SchülerInnen hat Konjunktur (siehe Tom Braun „Kulturelle Schulentwicklung“) und gerne wird dabei statt auf KunstlehrerInnen auf aktive KünstlerInnen zurückgegriffen. Wenn in diesem Zusammenhang hervorgehoben wird, dass das Subjekt im Mittelpunkt stehen müsse (siehe Heiner Keupp „Subjektgenese, Enkulturation und Identität“), dann sind meistens die Menschen gemeint, für die Kulturelle Bildung arrangiert wird. Beteiligte Subjekte sind aber immer auch die, die arrangieren. Von besonderem Interesse ist deshalb die Frage, wie KünstlerInnen, ohne ein kunstpädagogisches Studium oder sonstige pädagogische Ausbildung, das Gestalten von Angeboten anspruchsvoller Kultureller Bildung erlernen können. Zur Frage der Zusammenarbeit von KünstlerInnen und PädagogInnen wird durchaus geforscht (siehe Silke Ballath „Ein (Zwischen)Raum für die Möglichkeit des Unmöglichen“) und verschiedentlich wird auch nach wünschenswerten Kompetenzen von Kunstschaffenden gefragt. Eine Forschung zu KünstlerInnen als lernende Subjekte ist dagegen rar.
In der Begleitforschung zum Projekt d.art (siehe Joachim Ludwig „d.art – Eine pädagogische Weiterbildung zur Selbstverständigung über das Verhältnis von Kunst und Pädagogik“) wurde untersucht, ob und wie Kunstschaffende als pädagogische Laien ihre Selbstverständnisse von pädagogischem Handeln, insbesondere im außerunterrichtlichen Bereich von Schulen, im Kontext einer pädagogischen Weiterbildung verändern. Im vorgenannten Artikel werden charakteristische Spannungsverhältnisse aufgezeigt, mit denen sich KünstlerInnen auseinandersetzen, wenn sie in pädagogischen Weiterbildungen ihr pädagogisch-künstlerisches Selbstverständnis entwickeln. In dem vorliegenden Artikel wird entlang von Einblicken in die Lernbewegungen zweier Künstlerinnen aufgezeigt, wie solche Prozesse konkret aussehen können.
Die beiden Fälle verdeutlichen, wie sich KünstlerInnen mit einem Weiterbildungsangebot auseinandersetzen und dabei Lern- bzw. Bildungsprozesse in einem Weiterbildungskontext vollziehen können. Für diejenigen, die Weiterbildungen konzeptionieren oder durchführen wird exemplarisch sichtbar, wie derartige Bezugnahmen im konkreten Fall aussehen können. Entsprechend des d.art-Weiterbildungskonzepts wird davon ausgegangen, dass Lernprozesse von außen nicht herbeigeführt, wohl aber dann unterstützt werden können, wenn die Handlungsproblematiken, Lernanliegen, Lernausgangslagen und Lernwege der Lernenden verstanden werden. Dazu ist eine hohe Sensibilität für subjektive Lernzugänge und Lernbewegungen erforderlich. Die dargestellten Fälle machen exemplarisch deutlich,
- dass sich Teilnehmende zu typischen Bedeutungsstrukturen eines künstlerisch-pädagogischen Handelns immer in irgendeiner Weise positionieren und dass diese Positionierungen als Ausgangspunkt für eine Lernunterstützung verstanden werden können,
- wie solche Positionierungen in einer konkreten Ausprägung aussehen können,
- wie Veränderungen der Positionierungen im Verlauf einer Weiterbildung von den lernenden KünstlerInnen eingeleitet oder vollzogen werden und
- dass die Positionierungen zu einem pädagogischen Handeln in vielfältiger Weise in biographische, künstlerische und alltagsweltliche Kontexte eingebettet sind.
Die beiden Fälle stellen in ihren Beschreibungen Annäherungen an subjektive Veränderungsprozesse dar, die letztlich auf einem Außenstandpunkt verbleiben (zu methodologischen Fragen einer subjektwissenschaftlichen empirischen Forschung vergleiche Ittner 2016). Dennoch – und hierin liegt der Nutzen derartiger Annäherungen – ermöglichen sie ein Verständnis der beteiligten KünstlerInnen hinsichtlich ihres Lernprozesses, das sehr viel tiefer reicht, als dies bei üblichem didaktischen Handeln der Fall ist.
Da der Schwerpunkt auf der Darstellung der beiden Einzelfälle liegen soll, wird nur sehr knapp auf die theoretischen Grundlagen und methodischen Vorgehensweisen eingegangen. Ausführlicheres findet sich dazu an anderer Stelle (vgl. Ittner/Ludwig 2018).
Theoretische Grundlagen und Forschungsmethodik
Grundlage ist ein theoretisches Verständnis, das Lernen als Selbst- und Weltverständigung des Subjekts fasst, mit dem Ziel, die eigene Handlungsfähigkeit zu erweitern. Kommt es in der alltäglichen oder beruflichen Lebenswelt zu Handlungsproblematiken, so kann das Subjekt eine Lernschleife beginnen. Dieses Lernen umfasst sowohl einen vertieften Aufschluss des sachlich-sozialen Lerngegenstandes als auch neue Positionierungen und Deutungsschemata. Ein solches Lernen kann nicht herbeigeführt, wohl aber unterstützt werden, wenn sich die Unterstützung auf die inhaltlichen Interessen und operativen Anliegen des lernenden Subjekts bezieht (vgl. Holzkamp 1995; Ludwig 2008, 2016).
Den sinnhaften Zugang zur Welt erschließt sich das Subjekt über Bedeutungen als subjektiv selektierte und modifizierte Repräsentanzen gesellschaftlicher Bedeutungsstrukturen. Mittels Bedeutungen begründet das Subjekt seine Handlungen. Diese sind damit nicht durch äußere Bedingungen oder innere Gegebenheiten (Anlagen, Persönlichkeitsmerkmale, Kompetenzen usw.) determiniert, sondern resultieren aus - bewussten oder impliziten - Entscheidungen. So gibt es stets die Alternative, die Welt anders zu verstehen und begründet anders zu handeln (vgl. Holzkamp 1985; Ittner/Ludwig 2018).
Die Begleitforschung zum d.art-Projekt untersuchte die Selbstverständnisse Kunstschaffender zu ihrem künstlerisch-pädagogisches Handeln und die lernende Veränderung dieser Selbstverständnisse. Für diesen Zweck wurden die Bedeutungs-Begründungs-Zusammenhänge für das künstlerisch-pädagogische Handeln rekonstruiert. Diese sind eingebunden in Befindlichkeiten, die Biographie, die Position und die Lebenslage des Subjekts. Zugleich sind derartige Zusammenhänge immer ein Ausdruck gesellschaftlicher Bedeutungsstrukturen, mit denen sich die KünstlerInnen als gesellschaftliche Subjekte zu erkennen geben. Anders formuliert: Die individuellen Bedeutungs-, Begründungszusammenhänge sind letztlich biographisch gerahmter Ausdruck von Positionierungen zu gesellschaftlich verfügbaren Bedeutungsstrukturen und verweisen deshalb auch immer auf diese Bedeutungsstrukturen.
Die folgende Systematik gibt die wesentlichen drei Bedeutungsstrukturen als Spannungsverhältnisse wieder, die aus dem empirischen Material (u.a. Eingangs- und Abschlussinterviews zu 42 Teilnehmenden einer einjährigen pädagogischen Weiterbildung) rekonstruiert werden konnten.
- Bei den „sinnlich-sozialen Bedeutungsstrukturen“ stehen einem Arrangieren von individuellen ästhetischen Erlebnissen pädagogische Interventionen bzw. das Initiieren von Kontrasten sinnhafter Welterschließung gegenüber. So setzt ein künstlerisch-pädagogisches Handeln entweder primär auf Arrangements, die ein (individuelles) sinnliches Erleben ermöglichen oder primär auf ein Geschehen, bei dem subjektive sinnhafte Welt- und Selbstzugänge dadurch irritiert oder fraglich werden, dass Zugänge anderer Subjekte artikuliert oder in anderer Weise erkennbar werden.
- Bei den „gegenständlich-operativen Bedeutungsstrukturen“ stehen Arrangements, die auf die Eigenheiten der Kunst setzen, solchen gegenüber, die eine Offenheit für Lebensweltbezüge gewährleisten. Die Alternative dabei ist, dass das Bildungsangebot entweder auf Methoden, Techniken oder ein Wissen fokussiert ist, das für das jeweilige Kunstgenre unerlässlich ist oder dass der Fokus auf dem liegt, was aus Sicht der Beteiligten ein ‚naheliegendes‘ Anliegen ist, das mit einem künstlerischen Zugang bearbeitet werden sollte.
- In der „Bedeutungsstruktur Gewissheit-Kontingenz“ bildet sich ab, inwieweit ein bewusstes Eingehen auf die damit verbundenen Spannungen und Widerspruchsverhältnisse dem künstlerisch-pädagogische Handeln zugrunde gelegt wird, bzw. von Gewissheiten ausgegangen wird.
Spannungsverhältnis muss dabei so verstanden werden, dass auf keinen der beiden Pole letztendlich komplett verzichtet werden kann, dass in konkreten praktischen Arrangements aber eine pädagogische Entscheidung zugunsten des einen Pols immer auch mit einer Entscheidung gegen den anderen Pol verbunden ist.
In den folgenden beiden Einzelfallbeschreibungen geht es darum, die Entwicklung dieser Kategorien als lernenden bzw. lernwiderständigen Prozess exemplarisch anschaulich zu machen. Mittels der ersten Beschreibung (Fallstudie Antonia – die Namen sind Pseudonyme) soll darüber hinaus deutlich gemacht werden, wie eine konkrete Veränderung von Positionierungen zu den Spannungsverhältnissen künstlerisch-pädagogischen Handelns im Kontext einer pädagogischen Weiterbildung für Kunstschaffende praktisch verlaufen kann. In der zweiten Beschreibung (Fallstudie Johanna) liegt der Fokus hingegen auf dem Auftreten einer Handlungsproblematik, der darauf bezogenen Ausgliederung einer Lernschleife durch die Künstlerin und der Auseinandersetzung mit den Lernwegen und -inhalten im Rahmen eines Lernprozessbegleitungsgesprächs (LPBG). Bei beiden Fallstudien wurde auf Auswertungen der Eingangs- und Abschlussinterviews, bei der zweiten Studie zudem auf Protokollierungen der Seminarsequenzen der Weiterbildung und auf Audioprotokolle der LPBG zurückgegriffen. Letzteres war Teil des Angebots der Weiterbildung und orientierte sich an Prinzipien einer Lernberatung (vgl. Ludwig 2014).
Kulturagentin statt Trainerin mit Lebensberatung (Fallstudie Antonia)
Kurzportrait: Fallstudie Antonia
Zum Zeitpunkt des Eingangsinterviews ist Antonia überwiegend als Tänzerin aktiv und arbeitet nebenbei als Tanztrainerin in einem Schulverweigerungsprojekt, an einer Schule und in einem Tanzstudio. Für ihr künstlerisches Verständnis spielt das Durchlaufen einer ‚klassische‘ Tanzkarriere und die Relevanz der Person des Trainers / der Trainerin bei der tänzerischen Zielerreichung die entscheidende Rolle. Für ihre eigene Arbeit betont sie das enge Verhältnis zu den Lernenden, das weit in ein sehr persönliches Verhältnis bis hin zu einer ‚Idol-Funktion‘ jenes Trainers hineinreicht. Zum Zeitpunkt des Abschlussinterviews hat sie kürzlich eine eigene Tanzcompany gegründet, wo sie nun TänzerInnen ausbildet. Ihre eigene aktive Karriere sei aber noch nicht vorbei.
Die folgende Interpretation beruht auf den Auswertungen des Eingangs- sowie des Abschlussinterviews, sodass die Veränderungen in ihren Positionierungen deutlich werden. Zunächst werden erstens die Sicht Antonias auf ästhetische Erlebnisse, zweitens auf ihre pädagogischen Interventionen und drittens auf Kontraste sinnhafter Welterschließung in den Blick genommen. Dem folgt die Betrachtung des Abschlussinterviews und den damit einhergehenden Veränderungen in den Positionierungen Antonias zu ihrem künstlerisch-pädagogisches Handeln.
Bildungspotenzial der eigenen Kunst/Vermittlungsanliegen: Fallstudie Antonia
Hinsichtlich der Kategorie ästhetischer Erlebnisse wird eine Vorstellung Antonias sichtbar, in der es erforderlich ist, sinnliche, körperliche Erlebnisse zu machen, um diese dann einordnen zu können. Dieser Selbsterfahrung misst sie einen eigenständigen Wert bei. Antonia selbst spricht jedoch nicht von ästhetischen Erlebnissen. Zu Begrifflichkeiten wie Sinnlichkeit, Körperlichkeit und einem selbstreferenziellen Bezug zu Erlebnissen lassen sich Bezugspunkte in ihren Aussagen finden, diese werden jedoch nur implizit mit einer gesellschaftlichen Bedeutung von Tanz als kulturelle Ausdrucksform in Verbindung gebracht, sodass bei Antonia kein bestimmtes Konzept von ästhetischen Erlebnissen erkennbar wird.
„[ich; R.S.] hab die halt, gelockt mit so ein paar Break-Dance-Elementen die ich halt kann, weil das finden Jungs in dem Alter natürlich am coolsten“ (Antonia – E [Eingangsinterview] – Z [Zeile] 209)
Die implizite Verbindung sinnlich-körperlicher Erfahrungen mit der gesellschaftlichen Bedeutung von Tanz als eine kulturelle Ausdrucksform z.B. in Form von Breakdance-Elementen lässt in der Rekonstruktion dennoch auf das Ermöglichen ästhetischen Erlebens in der konkreten Praxis schließen. Konkrete Überlegungen dazu, wie es zu einem Ergebnis erzieherischer (pädagogischer) Bemühungen kommen kann, gehen aus dem Eingangsinterview nicht hervor. Sie formuliert allerdings diverse Vermittlungsanliegen wie beispielsweise Spaß haben, den eigenen Körper besser kennen lernen etc.
„Und auch Teamarbeit. Also wir machen ja viele Sachen in, Teamwork, und dann, wenn sie natürlich auf die Bühne gehen, halt Erfolg, also, dass sie merken sie sind was Tolles, und äh, sie können was... Ach, Zielstrebigkeit ist noch wichtig! Also, es dauert ja immer ein bisschen länger, bis man dann letztendlich ein Resultat hat beim Tanzen dauert es wirklich etwas länger … Und nicht gleich immer, sagen ich kann es nicht und abbrechen“ (Antonia – E – Z 279).
Aus der Aufzählung der Vermittlungsanliegen wird keine genaue Vorstellung darüber erkennbar wie sich die beabsichtigten Wirkungen aus dem tänzerischen Prozess ergeben sollen. Unabhängig davon, ob sie einen zweckfreien oder mit funktionalen Zielen behafteten Prozess denkt, sieht sie sich als Pädagogin als richtungsweisend an (siehe auch: pädagogische Intervention). Pädagogische Veränderungsanliegen und tänzerische (bzw. ästhetische) Prozesse stehen - soweit erkennbar - unverbunden nebeneinander.
Pädagogische Intervention
Der zweite Aspekt umfasst Antonias Positionierungen zu pädagogischen Interventionen. Dabei versucht sie auf die spezifischen Lebensumstände der Kinder und Jugendlichen wie beispielsweise ihre Pubertät, Schönheitsideale und das Geschlechterverhältnis einzugehen. Diesbezüglich bietet sie den Kindern und Jugendlichen alternative Bedeutungshorizonte an. Je nach Situation lassen sich in ihren Aussagen zu pädagogischen Interventionen zwei Modi rekonstruieren. Sie agiert teils im Modus einer Trainerin, teils im Modus einer Beraterin/Erzieherin.
Handeln als Pädagogin im Modus der Trainerin: Fallstudie Antonia
Ihr Handeln als Pädagogin im Modus einer Trainerin ist mit konkreten auf die Bewegungsabläufe gerichteten Hinweisen und Anforderungen, die von ihr als Vorgaben eindeutig gefasst sind, verbunden. So ist sie im Modus der Trainerin und im Prozess des Tanzens trotz des Spannungsverhältnisses zwischen der Gebundenheit an die Eigenheiten der Kunst und den Lebensweltbezügen handlungsfähig, da sie dann widerspruchslos klare Erwartungen wie Zielstrebigkeit erbitten kann. Im inszenierten Training lässt sich ein Bezug zur generalisierten Lebenswelt rekonstruieren. Dieser Lebensweltbezug der SchülerInnen und TänzerInnen beim Training ist ein anderer als in den beratenden Gesprächen, die sie mit den Jugendlichen abseits des Trainings führt. Dabei steht der sinnlich-tänzerische Prozess als Bezugspunkt zwischen der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen und ihr als Trainerin. Im Eingangsinterview ist das Training nicht Medium oder Gegenstand der Überwindung oder Thematisierung aus der Lebenswelt entspringender Sinnkrisen der SchülerInnen und TänzerInnen, sondern Konzept einer sinnlich-körperlichen Auseinandersetzung über kulturelle Bezugspunkte der Jugendlichen wie dem Break-Dance-tanzen. Es erfolgt jedoch keine Kontrastierung, Thematisierung, Hinterfragung von Break-Dance in seiner gesellschaftlichen und/oder künstlerischen Bedeutung. Zu der Kontextualisierung des Break-Dance-Tanzens oder der damit verbundenen generalisierten Lebenswelt der Jugendlichen lassen sich keine Aussagen Antonias finden. Vielmehr lassen Antonias Selbstverständnisse darauf schließen, dass sie über die Break-Dance-Elemente Akzeptanz aufbaut und sich bei der Wahl für Break-Dance der Zustimmung der Jugendlichen gewiss ist und somit auf eine generalisierte Lebenswelt Bezug nimmt.
Handeln als Pädagogin im Modus der Beraterin: Fallstudie Antonia
Im Handeln als Pädagogin im Modus der Beraterin bezieht sie sich auf konkrete Anliegen oder Interessen der Jugendlichen, verbunden mit Sinnkonstitutionen, die sie für sich selbst als wesentlich und teilweise als Kontrast zu gängigen gesellschaftlichen Bedeutungsstrukturen als alternative Bedeutungshorizonte einbringt. Im verbalen Austausch mit den Jugendlichen folgt sie eher einem beratend-erzieherischen Handeln, indem sie eine auf die je konkrete Lebenswelt der Jugendlichen bezogene Offenheit zeigt.
„Und ähm, ja, halt sich selber zu lieben … Besonders so meine jüngeren Mädchen, oder wenn sie dann in die Pubertät kommen, ist ja alles neu für sie und, fühlen sie sich immer nicht so sicher, die eine ist dann schon, drei Köpfe größer als die andere, die andere ist noch ganz klein und die andere ist dann unzufrieden, weil, sie hat jetzt gerade so viele (grinst) Pickel oder so, (lacht) und dann, da versuche ich halt denen klarzumachen dass das, äh, gerade, voll, unwichtig ist. Weil, dass sie halt, schön sind so wie sie sind“ (Antonia – E – Z 50)
Abseits des Trainings und im Gespräch mit den Kindern und Jugendlichen ist der Lebensweltbezug unmittelbar. Diesen verbindet sie in dem Modus der Beraterin mit einer Offenheit für subjektive Bezugnahmen. Eventuelle Krisen der Kinder und Jugendlichen werden in ihrer beratend-erzieherischen Tätigkeit angesprochen und Gegenhorizonte in Form von Ratschlägen eröffnet. Dadurch schafft sie einen Raum, in dem Fremdverständigungsprozesse möglich werden. Während der (selbstzweckhafte) ästhetische Prozess an das Medium Tanz gekoppelt ist, bleiben die Fremdverständigungsprozesse, in denen Antonia den SchülerInnen alternative Deutungen anbietet, an sie als Freundin/Beraterin gebunden und finden außerhalb des Mediums Tanz statt.
Die Sichtbarkeit im Wechsel der Modi tritt gerade durch die Änderung des Sachbezugs im pädagogischen Arrangement Antonias hervor, während sich zeitliche und situative Aspekte nicht verändern (vgl. Koring 1992: 63f.). Als Beraterin liegt der Sachbezug auf den lebensrelevanten Themen der Kinder und Jugendlichen. Als Trainerin bezieht sie sich auf den Tanz als Ausdrucksform.
Die Pädagogin als Idol: Fallstudie Antonia
Der dritte Aspekt bezieht sich auf Kontraste sinnhafter Welterschließung und ist ein beide Modi übergreifender Aspekt. Antonia als Trainerin und als Beraterin ist Medium zur Kontrastierung der Lebenswelt der Schüler.
„habe ich, denen auch gezeigt wie man eigentlich mit Mädchen umgeht in dem Alter... Also vorher war das wirklich auch immer so ein Rumgemeckere und da meinte ich auch immer ‚eigentlich findet ihr die doch toll, und dann macht ihr die so komisch an, was denkt ihr denn was da zurückkommt... was sollen die Mädchen denn da machen jetzt überlegt doch mal!‘ Und, ja. Ich würde schon sagen dass es, viel gebracht hat für die Jungs.“ (Antonia – E – Z 243)
Über die Herstellung der Nähe zu ihren SchülerInnen, die von ihr kaum als spannungsvoll gesehen wird, knüpft sie die Kontrastierung sinnhafter Welterschließung somit an sich als Person, wodurch sich die Fremdverständigungsprozesse außerhalb des künstlerischen Mediums platziert werden.
„Mädchen … Ich liebe sie und sie lieben mich auch. Und ich hab einen, unglaublich guten Draht zu ihnen, also die kommen jetzt auch schon mit Problemen, von zuhause oder mit der Schule, zu mir, und äh, ja...“ (Antonia – E; siehe Aspekt: Voraussetzungen für Bildung/Erziehung)
Abschlussinterview und Veränderungen: Fallstudie Antonia
Im Abschlussinterview wird eine stärkere Positionierung Antonias hinsichtlich der Kontraste sinnhafter Welterschließung deutlich, da besonders gesellschaftliche Themen, wie beispielsweise Fluchterfahrungen als Anlass für eine künstlerisch-pädagogische Auseinandersetzung dienen. Damit bewegt sich Antonia weg von den im Eingangsinterview formulierten Entwicklungsaufgaben, die auf ihren Interpretationen generalisierter Lebensproblematiken Jugendlicher basieren. Über das Medium Tanz, wird das Fühlen einer bestimmten Rolle möglich, sodass sich in dem Prozess der Perspektivenübernahme neue Horizonte neue Bedeutungen erschließen können. Nun kommt es von Seiten Antonias zu einer gedanklichen Verbindung des ästhetischen Erlebens und den Kontrasten sinnhafter Welterschließung im Medium des Tanzes und parallel zu einer Veränderung bzw. zu einer Auflösung der aus ihren Schilderungen rekonstruierten Dichotomie im pädagogischen Handeln (Trainerin-Beraterin).
„…ein paar natürlich leichter als andere, aber mir ist es schon wichtig auch, dass das natürlich Themen sind, die aktuell sind und auch Themen, die die Mädchen halt ansprechen. Ich weiß jetzt nicht, vielleicht in blödes Beispiel, aber jetzt so irgendwie Raumfahrt oder so, würde die jetzt glaube ich nicht so interessieren. Also natürlich schon Sachen, die sie halt selber auch fühlen und wo es auch wichtig ist, dass sie das auch gefühlt haben, um dann besser damit umzugehen oder es auch aus nem anderen Blickwinkel dann auch zu sehen…“ (Antonia –A [Abschlussinterview] – t [Zeitmarke] 08:24)
Dennoch bleibt sie als pädagogisch Handelnde verantwortlich für die Themenfindung und Initialisierung der Projekte. In dem Modus der Trainerin bleibt sie einem operativen Charakter verhaftet. Dabei wird aus ihren Äußerungen kein routiniertes Bewusstsein über Kontingenz in ihrem pädagogischen Handeln ersichtlich. Lag im Eingangsinterview bezüglich des künstlerischen Prozess Antonias Vermittlungsanliegen auf der Schulung und Entwicklung bestimmter Fähigkeiten wie dem Durchhaltevermögen oder der Sensibilisierung für ein Körper- und Selbstbewusstsein, so ist im Abschlussinterview der künstlerische Prozess Ausgangspunkt für ästhetisches Erleben und Sinnkonstitutionen, deren auslösendes Element nicht nur Kontraste darstellen, die Antonia einbringt, sondern durchaus auch von den Kindern und Jugendlichen selbst eingebracht werden können. Es wird nun möglich sich über den Gegenstand des Tanzens, der Medium und Bezugspunkt der Auseinandersetzung von ästhetischem Erleben und Kontrasten sinnhafter Welterschließung ist, aufeinander zu beziehen. Der diskursive Austausch über die Bedeutung des Einsatzes von Körpersprache beispielsweise zeigt, was Meyer-Drawe unter „[der; R.S.] paradoxe[n] Aufgabe des sprachlichen Ausdrucks“ versteht. „[Die; R.S.] (…) besteht in diesem Kontext darin, das zur Erscheinung zu bringen, was, um zu existieren, seiner nicht bedarf, das aber, um verstanden zu werden, auf ihn angewiesen ist.“ (Meyer-Drawe 2015: 35).
Die Idolfunktion Antonias im pädagogischen Handeln rückt somit in den Hintergrund. Zwar ist das Verhältnis zu „ihren Mädchen“ (Eingangsinterview) immer noch für ihr Handeln als Pädagogin prägend, im Abschlussinterview jedoch wird von Antonia ihre Vorbildfunktion betont. Die Vorbildfunktion nimmt sie nun als (Reflexions-)Anlass den Blick auf ihr pädagogisches Handeln zu schärfen. Dies stellt eine wesentliche Veränderung zum Eingangsinterview dar.
„…also ich denke auch viel über mich nach oder beschäftigen sich auch mit mir als Person extrem viel so und dis ist für mich auch noch mal stärker geworden so, meine Vorbildfunktion oder wie wirke ich auf die Kinder und wie bin ich deshalb auch und wer bin ich deshalb auch…“ (Antonia – A – t 50:00)
Während im Eingangsinterview Zielvorstellungen eher diffus formuliert und an unspezifischen Entwicklungsaufgaben orientiert sind, werden im Abschlussinterview konkretere Veränderungsanliegen formuliert.
„Was macht das mit den Mädchen(…)?“
„Naja, also das verändert die natürlich, positiv, also wie gesagt, manche waren halt, also alle haben das gelebt in dem Moment die Rolle, die sie gespielt haben, aber die sind ja eh noch, also die verändern sich ja, wir alle, aber die verändern sich ja extrem schnell noch von Tag zu Tag. Ganz viele neue Eindrücke und erleben so viel und äh, ja, die sind da auf jeden Fall alle verändert rausgegangen. Das war mir ja auch so wichtig, also auch in [>Ort<] jetzt natürlich auch durch die Geschichte, die es dort gibt, das ist ja auch Brandenburg und es gibt da doch schon noch auch n paar, ja, nicht so, also natürlich Nazis und so, kann man schon sagen. Und es ist mir natürlich schon wichtig, dass schon die Jugend von heute sozusagen ganz anders groß wird damit, mit viel toleranter ist und ja auch versteht, dass jeder Mensch gleich ist, egal woher er kommt und alle die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben sollten…“ (Antonia – A – t 13:33)
Die thematische Ausweitung einerseits und ihre Konkretisierung hinsichtlich des Veränderungsanliegens andererseits, erlaubt es ihr eine ganz andere Tragweite der Kontraste sinnhafter Welterschließung im Medium Tanz zu entwickeln.
„…mein Kunstverständnis ist halt eigentlich Menschen zu zeigen, was man alles mit Tanz machen kann, statt einfach nur zu Tanzen. Da geht dann doch noch mehr…“ (Antonia – A – t 03:07)
In den von Antonia im Eingangsinterview beschriebenen Projekten werden bereits Bildungspotenziale erkennbar. Im Abschlussinterview jedoch lassen sich bei Antonia veränderte – hinsichtlich des Bildungspotenzials bewusstere – Positionierungen rekonstruieren, die auf einer stärkeren Akzentuierung der Kontraste sinnhafter Welterschließung beruhen. Dies steht in Einklang mit dem Anliegen der Weiterbildung, einen veränderten Blick auf die Bildungspotenziale der eigenen Kunst zu ermöglichen. Bei Antonia wird ein Prozess der Professionalisierung im pädagogischen Handeln sichtbar, in dessen Zuge sie die Modi des pädagogischen Handelns und ihre Vorbildfunktion einzuordnen lernt. Es lässt sich ein Verschränken beider Modi als Begründung eines veränderten künstlerisch-pädagogischen Handelns rekonstruieren. Dieses ist mit einem Bildungsanspruch und damit mit veränderten Bedeutungsanordnungen verknüpft, die es nahelegen, ästhetisches Erleben und die Kontraste sinnhafter Welterschließung zu verbinden.
Vertrauen als antizipierte Handlungsproblematik (Fallstudie Johanna)
Kurzportrait: Fallstudie Johanna
Johanna ist heute als Kunstschaffende im Bereich der Bildenden Kunst/ Objektkeramik und Malerei tätig. Rückblickend betrachtet könne sie sich nicht genau an den Zeitpunkt erinnern, an dem sie eine künstlerische Prägung erfahren hätte. In ihrer Familie habe Kunst keine Rolle gespielt. Jedoch sei ihr ein Ereignis im Gedächtnis geblieben, bei dem sie als Kind – angetrieben von einem Interesse für „die kleinen Dinge“ (Johanna – E – t 01:23) – in einem Kieshaufen beim Haus ihrer Eltern kleine Fossilien gesucht habe. Fasziniert hätten sie die unscheinbaren Strukturen und Formen der gefundenen Objekte, die noch immer ein Thema ihrer Arbeiten bildeten. Die Durchbrechung eines zur Gewohnheit gewordenen Blicks auf Unscheinbares sei dabei ihr übergreifendes Anliegen. Sie habe so Objekte geschaffen, die zu Assoziationen über Meere anregten und ihre detailreichen Gestalten dem Meer zu verdanken hätten. Solche Strukturen erkenne man jedoch nur unter Zuhilfenahme von technischem Gerät – durch Mikroskope – oder mit „sehr gute[n; M.P.] Augen“ (E – t 09:02).
Johannas eigener künstlerischer Prozess weist Merkmale ästhetischen Erfahrens (Zill 2015:3f.) auf, welche sich hier insbesondere festmachen lassen an sinnlich-visuellem Erleben, Momenten des Versinkens, die durch ein gegenwartsorientiertes, fokussiertes Arbeiten mit inzidentell ablaufenden Prozessen gekennzeichnet sind, und an der Entstehung von Bedeutsamkeit von Objekten durch ästhetische Ereignisse. Die Bedeutsamkeit ihrer Produkte ist dabei eine biographisch begründete, die in Verbindung mit der Bewältigung spannungsvoller Selbst- und Weltverhältnisse steht.
„[…] ich bin durch mein Leben und das was ich geschaffen hab oder von mir aus auch Fundstücke, die mich an Situationen erinnern, die mir gefallen haben, ja? Die schön waren, die machen mich stark und die, wenn ich das verinnerlicht habe, kann ich ganz viele Situationen eben bewältigen, auch wenn es mal schwer wird […].“(LPBG 1 – t 22:59).
Antizipierte Handlungsproblematik: Fallstudie Johanna
Johanna sieht sich zum Weiterbildungsbeginn bei der Projektplanung mit einer möglichen Handlungsproblematik konfrontiert und bringt dies ins zweite LPBG ein. Sie vermutet eine fehlende Freiwilligkeit derjenigen zumal auch wenigen SchülerInnen, die vermeintlich ihrem Projekt zugewiesen wurden.
„So, und dann der Punkt, dass nur drei Schüler da sind. Also ich hab auch gelesen, dass (lacht) dass, ähm, drei, drei Schüler im Grunde nicht gezwungen wurden, aber wurden irgendwo, ähm, mit Absicht verteilt und ich vermute mal, dass das die drei Schüler sind, die ich jetzt hab.“ (LPBG 2 – t 12:26).
Sie sucht nach Gründen der geringen Frequentierung und Gründen dafür, dass sie voraussichtlich überhaupt Teilnehmende haben wird.
„[…] also ich hab überlegt, woran liegt’s? Hab mir das Ding [das Anschreiben; M.P.] nochmal durchgelesen und weiß, und weiß inzwischen, dass, dass ich zu dem Zeitpunkt als ich das geschrieben hab überhaupt noch nicht richtig nachgedacht hab darüber[…].“LPBG 2 – t 10:03).
Sie führt die fehlende Entwicklung von Interesse(n) auf ihr Anschreiben zurück, in welchem sie den SchülerInnen einen Eindruck vermittelt, worum es in ihrem Projekt gehen wird. Dieses Anschreiben steht im Zusammenhang mit der Anforderung der Weiterbildung, ein Projekt kultureller Bildung an einer Schule anzubieten und stellt eine Komponente dar, die in die Herausbildung der Handlungsproblematik eingeht. Mit einem Anschreiben, das das Ergebnis eines „richtig[en; M.P.]“ (ebd.), möglicherweise eines intensiveren, differenzierteren Nachdenkens über das Projekt wäre, d.h. eine eventuell deutlichere Vorstellung der Projektidee vermitteln würde, verspräche sie sich Interessensbildung bei SchülerInnen für ihr Projekt und Teilnahme. Das Anschreiben ist Bestandteil der Konzeption der Weiterbildung, wurde in den Seminaren zum Thema gemacht und vom Lernprozessbegleiter in diesem LPBG hinsichtlich der Bedeutsamkeit insofern bestätigt, als es nicht durch eine alternative (Relevanz-)Deutung relativiert und als Gesprächsthema, das von Johanna eingebracht wird, angenommen wird. Die Vermittlung einer Vorstellung vom Projekt für die SchülerInnen wird damit zum potenziell problematischen Aspekt in der Projektplanung und -durchführung. Dass es Maßstäbe gibt, entlang derer Defizite gemessen werden können, wird durch die Bekräftigung vom Lernprozessbegleiter gegenüber dem Anschreiben von Johanna deutlich. Dieses sei sehr differenziert und konkret.
Die zweite Komponente, die zur Handlungsproblematik führt, indem sie erst ein Setting zur Reflexion über die Projektplanung bietet, ist das LPBG selbst.
Hinsichtlich der Bezugnahme von Johanna auf die Weiterbildung kann den Seminarprotokollen entnommen werden, dass Johanna kaum eigenaktiv Beiträge in den Gruppendiskurs einbringt. Auf die LPBG, die zwischen zwei Personen telefonisch stattfinden, greift sie in weitaus größerem Maße zu als die meisten anderen Teilnehmenden. Die LPBG nutzt sie vor allem zur Auseinandersetzung mit der Planung ihres Angebots. Die Bezugnahme auf die Weiterbildung kennzeichnet damit nicht allein die Beteiligung in und an Formaten, sondern ein inhaltlich-gegenstandsbezogenes In-Beziehung-Setzen von eigenen Vorstellungen pädagogisch-künstlerischen Handelns an Schulen zu den Vorgaben der Weiterbildung. In den Seminaren der Weiterbildung werden bestimmte als relevant für die Planung eines Projekts kultureller Bildung erachtete Aspekte thematisiert, wie u.a. die Formulierung eines Anschreibens für SchülerInnen, das Ermöglichen subjektiver Bezugnahmen von Teilnehmenden auf den Gegenstand des künstlerischen Prozesses oder die Reflexion des eigenen künstlerischen Selbstverständnisses im Zusammenhang der künstlerisch-pädagogischen Arbeit mit SchülerInnen.
Durch die Vorhaben von Johanna, den eigenen künstlerischen Prozesses in ihrem Projekt anzubieten und das Thematisieren sowie die sozial-emotionale Anerkennung von persönlich Bedeutsamen bewegen sich ihre Positionierungen zu einem künstlerisch-pädagogischen Handeln an Schulen im Bedeutungsraum der Relevanzen und Anforderungen der Weiterbildung. Problematisch wird für sie nicht eine mögliche Differenz zwischen eigenen Selbstverständnissen auf künstlerisch-pädagogisches Handeln und den vermuteten Anforderungen durch die Weiterbildung, sondern die handelnde Realisierung der auch in den LPBG als bedeutsam erachteten Selbstverständnisse in der antizipierten oder erfahrenen sozialen Wirklichkeit der Praxis. Im Bestreben, ihr Projekt gemäß dieser Selbstverständnisse zu realisieren, und in Verbindung mit der antizipierten Handlungsproblematik, greift sie auf orientierende Relevanzen zurück, die in der Weiterbildung eingeführt und im zweiten LPBG durch den Beratenden bestätigt wurden. Eine dritte Komponente stellt so der eigene, aber auch von Seiten der Weiterbildung gestützte Anspruch dar, lebensweltliche Bezüge der SchülerInnen im Projekt zu ermöglichen. Ausgehend von ihrem künstlerischen Selbstverständnis gedenkt sie dies über eine inhaltliche Vorgabe umsetzen zu können, indem sie von den SchülerInnen verlangt, für sie persönlich bedeutsame Objekte mitzubringen, sich selbst über die damit verknüpften Erinnerungen den anderen Anwesenden vorzustellen und im weiteren Verlauf auf diese Gegenstände im künstlerischen Prozess zurückzugreifen. Dies ist insofern paradox, als durch die Vorgabe eben nur solche subjektiven Bezugnahmen ermöglicht werden, die genau diesen Vorgaben entsprechen. Mit der Vorgabe ergibt sich ein Spannungsverhältnis zum Rahmen Schule, das Johanna bewusst wird und das sie über eine Positionierung zur pädagogischen Intervention bearbeitet:
„Also ich hab mir gedacht, […] ich werde ein oder zwei Objekte mitnehmen und so’nen kleinen Weg erklären, wie ich vielleicht dazu gekommen bin oder so. […] Und hab ja die, die Kinder gebeten, ähm, äh, dass jeder vielleicht irgendein Fundstück, was auch immer, mitbringt […]. Und dann würde ich halt wollen äh, oder gerne, oder würde mir wünschen (lacht), dass die Jugendlichen sich auch vorstellen und hoffentlich dann auch so, weil es ja auch was persönliches, äh, persönlich ist, was sie dann mitbringen, dass sie nach meinem Vorbild auch dann auch erzählen können, ohne dass sie Angst haben müssen, dass da irgendwie der, ähm, vielleicht die Augen verdreht, oder so.“ (LPBG 1 – t 01:21).
Ihre Positionierung in der Dimension pädagogischer Intervention zeigt sich hier anhand des über ihre Vorbildfunktion zu realisierenden Veränderungsanliegens, ein durch persönliches Vertrauen, Rücksichtnahme und emotionale Anerkennung charakterisiertes soziales Verhältnis zwischen allen Beteiligten zu ermöglichen. Die SchülerInnen sollen anhand ihres beispielhaften, authentischen Vorstellens ihrer Kunst und Person weniger Angst bei der Erwartung verspüren, dass MitschülerInnen ihnen negative Bewertungen entgegenbringen, die von Missachtung und Missfallen zeugen.
Eine vierte Komponente, die zur Handlungsproblematik führt und uns zu den eingangs erwähnten antizipierten Beweggründen von SchülerInnen zurückbringt, betrifft den Anspruch, den SchülerInnen ein für sie ansprechendes Angebot zu machen. Durch das Anschreiben wollte sie die Anforderung vermitteln, dass die Teilnehmenden von Persönlichem sprechen sollen. Diese Anforderung problematisiert sie nun, sieht sie als Argument dafür, warum sich vermeintlich niemand aus eigenem Interesse für ihr Projekt entschieden hat.
„[…] könnte ich mir vorstellen, ähm, dass ich zu viel, ich erwarte zu viel Vertrauensvorschuss von ihnen, weil sie sollen ja was von sich persönlich […].“(LPBG 2 – t 11:00).
Die SchülerInnen seien nicht dazu bereit, vorab ein bestimmtes Maß an Vertrauen den ihnen unbekannten Personen, aber auch dem konkreten Setting (zu Vertrauensbegriffen und –bezugspunkten siehe Tiefel & Zeller 2014: 347f.) entgegenzubringen, in denen sie Persönliches von und für sich mitbringen und darüber sprechen sollen. Aus Johannas Perspektive: Wie auch? Ich sorge doch erst mit meinem Agieren als Vorbild dafür, dass die SchülerInnen keine Befürchtungen voreinander haben brauchen, wenn es darum geht, Persönliches zu äußern. Mit der empfundenen Problematik geht die Erkenntnis einher, dass Vertrauen und angstfreie Kommunikation als relevante Größen in einem solchen Arrangement nicht erst im Projekt, sondern bereits davor von Bedeutung sind und mit dem Anschreiben aufgerufen werden. Das Problem ergebe sich an jener Stelle, „wo man dafür [für das Projekt; M.P.] wirbt“ (LPBG 2 – t 12:16). Man erreiche keine Menschen mit Forderungen und Angeboten, die „ins Persönliche“ (LPBG 2 – t 12:06) gehen.
Vertrauen stellt eine „riskante Vorleistung“ (Luhmann 2000: 27) dar, bleibt mit dem Schenken von Vertrauen doch zunächst ungewiss, ob Erwartungen auf ihre Erfüllung treffen. Werner Helsper (2002: 82f.) beschreibt die gegenseitigen Vertrauensvorschüsse in LehrerInnen-SchülerInnen-Beziehungen als Vertrauensantinomie anhand des Umgangs mit Fehlern, Unwissenheit und Versagen bei Lösungen, die vor dem Hintergrund einer Wissens- und Machtasymmetrie verschärft wird.
Mit der von den SchülerInnen ausgehenden Entscheidung für ihr Projekt werden Vertrauenshandlungen bereits vor dem Projekt relevant und sind in der Anmeldung für die Teilnahme und der damit für Johanna angezeigten Bereitschaft, Persönliches zu äußern, aufgehoben. In anderen Projekten würden die SchülerInnen Dinge mitbringen sollen, die allenfalls „so’n bisschen ins Persönliche“ (LPBG 2 – t 11:53) gehen. Je persönlicher einzubringende Dinge seien, desto mehr Vertrauen müsse vorweggeschickt werden. Johanna zieht soziale Vergleiche zu Projekten anderer Kunstschaffender in der Weiterbildung, wägt aus ihrer Sicht von SchülerInnen ab und reflektiert, wie künstlerisch-pädagogische Angebote für (Schutz-)Bedürfnisse oder Interessen (zur Abwehr von der Zumutung über Persönliches sprechen zu sollen) zu einer Passung finden. In konkreter Weise würden sich die SchülerInnen auf einzubringende Dinge beziehen, wie sie in Johannas Anschreiben aufgerufen werden. Im Zusammenhang der Bildung persönlichen Vertrauens, die Johanna zu Beginn des Projekts zwischen allen Beteiligten ermöglichen möchte, kann vermutet werden, dass sie sich vorstellt, die SchülerInnen würden sich aus der Befürchtung heraus, negative Bewertung seitens anderer SchülerInnen bei der Preisgabe von zu Persönlichem zu erfahren, gegen ihr Projekt entscheiden. In der antizipierten Handlungsproblematik schlagen sich das Spannungsverhältnis und das Bewusstsein darüber zwischen der Gebundenheit an die Eigenheit ihrer Kunst und dem Rahmen Schule wieder, wobei die Eigenheiten ihrer Kunst über die pädagogische Intervention im Akt der Projektvorstellung im Anschreiben vermittelt und in Hinblick auf die Teilnehmendengewinnung problematisiert werden.
Ausgliedern einer Lernschleife: Fallstudie Johanna
Infolge einer Handlungsproblematik und der damit einhergehenden Diskrepanzerfahrung besteht die Chance, dass das Subjekt lernend unter Aneignung von Bedeutungen eine Lernschleife ausgliedert (vgl. Ludwig 2012: 24f). Bei Johanna zeigt sich dies in den folgenden Aspekten.
Durch das LPBG kann eine Distanz zum Alltagsgeschehen hergestellt werden. Johanna ergreift diese Möglichkeit für sich, indem sie mehrfach um ausführliche Beratungen bittet.
Das Subjekt „muss Gründe haben, die Lernanforderung als seine Lernintention, oder – wie wir uns ausdrücken – als seine Lernproblematik zu übernehmen.“ (Holzkamp 1992: 7f). Johanna könnte der Handlungsproblematik auch ausweichen, sie ignorieren oder umgehen. Die Inhalte und Formate der Weiterbildung lassen eine soziale Auseinandersetzung über eine Handlungsproblematik ausdrücklich zu, d.h. es gibt eine prinzipielle Kompatibilität zwischen den Anforderungen und möglichen Lernabsichten.
Klaus Holzkamp (1995) betont, dass das Ausgliedern einer Lernschleife einhergeht mit einem „irgendwie gearteten Gefühlszustand des Ungenügens, der ‚Frustration‘, der Beunruhigung, Angst o.ä., als emotionale Komplexität“ (214). Diese Diskrepanzerfahrung hat „eine emotional-motivationale Qualität“ (ebd.), die als Triebfeder zum Einlegen einer Lernschleife fungiert. Johanna problematisiert deutlich die antizipierte Situation in Verbindung eines zu großen Vertrauensvorschusses, den sie den Teilnehmenden abverlangt. Ein damit verbundenes Unbehagen, eine Sorge kommt in dem LPBG zum Ausdruck, auch wenn Johanna als konkrete Problematik zunächst nur eine Zurückweisung ihres Angebots in Form einer marginalen Anwahl erfährt. Eine damit verbundene als problematisch erlebte Vertrauensproblematik, die über den konkreten Anlass hinausreicht, könnte den intensiven Wunsch nach einer ausführlichen Auseinandersetzung erklären.
In jedem Fall ringt Johanna in dem LPBG um eine Veränderung ihrer Bedeutungsanordnungen indem sie für sich die Übernahme angebotener alternativer Bedeutungshorizonte im Dialog mit dem Berater prüft. So deutlich das Eintreten in eine Lernschleife damit erkennbar wird, so offen bleibt in den vorliegenden Daten wie weit die lernende Auseinandersetzung Johannas reicht.
Resümee
Die gezeigten Einblicke in Lern- und Bildungsprozesse sind an die konkreten Subjekte gebunden und können nicht unmittelbar auf andere KünstlerInnen in pädagogischen Weiterbildungen übertragen werden. Auch der Kontext einer Weiterbildung, die auf vom Subjekt ausgehende Lernprozesse setzt, muss bei Überlegungen zu einer Nutzung der Erkenntnisse berücksichtigt werden. Übertragbar ist allerdings durchaus das verstehende Erschließen der Lernschritte in ihrer Begründetheit, um die Lernprozesse zu unterstützen und zu begleiten.
Inhaltlich – und das verdeutlichen beide Fallstudien – wird die thematische Akzentuierung des Ausgliederns einer Lernschleife oder der Veränderung von Positionierungen von den lernenden KünstlerInnen gesetzt.
Den Lernprozessen zugrundeliegende Handlungsproblematiken oder das Ausgliedern von Lernschleifen werden nur dann für eine Beratung erkennbar, wenn die lernenden KünstlerInnen sich entscheiden, das Angebot der Weiterbildung anzunehmen und ihre Lernschleifen in den sozialen Kontext der Weiterbildung bzw. der Lernberatung aktiv einzubringen.
In der Fallstudie Antonia wird ein Professionalisierungsprozess deutlich, der einerseits Merkmale pädagogischer Professionalität wiedererkennen lässt, anderseits aber den Besonderheiten entspricht, die der Lebenslage Antonias und ihrem künstlerisch-beruflichen Werdegang geschuldet sind.
In der Fallstudie Johanna wird das Ausgliedern einer Lernschleife sichtbar, die sich auf eine für sie höchst konkrete Handlungsproblematik bezieht und gleichzeitig – etwa mit dem Aspekt Vertrauen – Elemente enthält, die allgemeine pädagogische Antinomien betreffen. Das je Besondere der subjektiven Problematik kann – etwa in einer Lernberatung – von der lernenden Künstlerin in Bezug gebracht werden zu dem angebotenen allgemeinen Wissen als einem alternativen Bedeutungshorizont.
Für viele teilnehmende KünstlerInnen hat die Weiterbildung ein Angebot dargestellt, das Bezugnahmen ausgehend von dem eigenen künstlerischen Handeln und einem eigenen Vorverständnis von pädagogischem Handeln ermöglicht hat. Die Teilnehmenden haben die verschiedenen angebotenen Lernformate in unterschiedlicher Weise für sich genutzt. Eine einsetzende Professionalisierung wird teils erkennbar, teils können die damit verbundenen Zugänge zu einem pädagogischen Handeln nicht in Übereinstimmung mit dem eigenen Selbst- und Weltverständnis gebracht werden.
Auf Basis der dargestellten Forschungsergebnisse in Form der drei Spannungsverhältnisse können diejenigen, die Lernende in Weiterbildungen unterstützen oder beraten, versuchen, sich – gemeinsam mit den Lernenden – den konkreten Positionierungen entlang der drei Spannungsverhältnisse als Ausgangslagen für Lernprozesse zu nähern. Wie vielfältig und unvorhersehbar begründet ein pädagogisches Selbstverständnis bzw. ein pädagogisches Handeln sein kann, illustrieren die Fallbeispiele und verdeutlichen damit, dass ein vorschnelles Einsortieren in Fallschemata geradewegs an der konkreten subjektiven Lernausgangslage vorbeiführen kann. Gleiches gilt für einsetzende Lernprozesse und ein Verstehen dieser Prozesse. Angebote künstlerisch-pädagogischer Weiterbildungen und eine darauf bezogene Lernunterstützung sind Möglichkeiten, die bestenfalls den Lernenden einen Kontext bieten innerhalb dessen sie ihre eigenen Positionierungen reflektieren und verändern können; sie sind keine Maßnahme zur Herbeiführung bestimmter Qualifikationen oder Kompetenzen.