Komponieren an Schnittstellen: Organisationsstrukturen und Ziele der Akteure in Response-Projekten
Abstract
Response-Projekte, bei denen Jugendliche in Anlehnung an ein Referenzwerk eigene Stücke komponieren, haben sich inzwischen im konzertpädagogischen Portfolio von Konzerthäusern und Ensembles – insbesondere in Deutschland – etabliert. Zu den Besonderheiten dieses Formats zählte von Anfang an sein kooperativer Charakter, so führen Kultur- und Bildungseinrichtungen solche Projekte in der Regel gemeinsam durch, häufig unterstützt durch freischaffende Künstler*innen. Eine derartige Zusammenarbeit stellt einerseits eine besondere Chance, andererseits auch eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar, da sie von verschiedenen Akteuren häufig mit unterschiedlichen Zielen verknüpft wird. Dieser Artikel fasst Ergebnisse eines empirischen Forschungsprojekts zu Response-Projekten zusammen, indem er die Ziele der Projektbeteiligten rekonstruiert und systematisiert. Abschließend entwickelt der Verfasser eine Checkliste, die Projektleiter*innen zukünftiger Response-Projekte für typische Stolperfallen sensibilisieren soll.
Exportschlager Response
Das Musikvermittlungsformat „Response“, bei dem Schüler*innen in Anlehnung an ein Referenzwerk eigene Stücke komponieren und öffentlich aufführen, wurde Mitte der 1980er Jahre von Gillian Moore gemeinsam mit Musiker*innen der London Sinfonietta konzipiert und erstmals durchgeführt (vgl. Meyer 2003:225 f.; zur geschichtlichen Entwicklung des Formats vgl. Voit 2018a). Zu einer Zeit, in der Musikvermittlung an Orchestern und Konzerthäusern im deutschsprachigen Raum noch nicht etabliert war – von festen Stellen oder gar Abteilungen für Musikvermittlung ganz zu schweigen –, fiel das Konzept aus England auch hierzulande auf fruchtbaren Boden. Auf der einen Seite war die Idee neu, Konzerte mit anspruchsvoller Neuer Musik gezielt für Kinder und Jugendliche zu öffnen, waren die Konzertprogramme für Kinder in Deutschland doch bis in die 1990er Jahre hinein von einer überschaubaren Anzahl bekannter, meist programmatisch orientierter Kompositionen wie Prokofjews Peter und der Wolf, Mussorgskys Bilder einer Ausstellung oder Vivaldis Vier Jahreszeiten geprägt (vgl. Eberwein 1998:72). Auf der anderen Seite war das didaktische Konzept, Kinder nicht durch theoretische Einführungen, sondern durch eine kreative Auseinandersetzung (in diesem Fall das Komponieren eigener Stücke) an Werke Neuer Musik heranzuführen, anschlussfähig an die damals auch im deutschsprachigen Raum diskutierten „Konzepte des Musikunterrichts, die vor dem Hintergrund der Forschung zur Kreativität in den siebziger Jahren entstanden waren und die praktisch-kreative Anteile in den Musikunterricht eingebracht hatten“ (Mautner-Obst 2012:52f.).
Ein weiterer zentraler – in den 1980er Jahren als innovativ wahrgenommener – Aspekt des Formats bestand in seinem kooperativen Charakter. Die konzeptionell notwenige Zusammenarbeit zwischen Künstler*innen und Pädagog*innen sowie zwischen Schulen und außerschulischen Partnern (Ensembles, Konzertveranstalter etc.) brachte zwar einen erheblichen organisatorischen Aufwand mit sich, barg jedoch auch ein besonderes pädagogische Potential:
- Professionelle Komponist*innen und Musiker*innen begleiten den Kompositionsprozess der Schüler*innen, der meist in Kleingruppen (mitunter auch individuell oder im Klassenverband) stattfindet. Sie übernehmen damit eine Aufgabe, der sich manche Lehrer*innen allein (nicht zuletzt aufgrund des Mangels entsprechender Inhalte in der universitären Ausbildung) nicht gewachsen sehen.
- Die öffentliche Aufführung der eigenen Kompositionen in einem Konzerthaus bietet einen würdigen Rahmen und stellt neben der Möglichkeit, mit Profis zusammenzuarbeiten, einen zusätzlichen motivationalen Faktor für die Schüler*innen dar.
- Zum Abschluss des Projekts hören die Schüler*innen das Referenzwerk in einem Konzert oder einer Generalprobe live von professionellen Musiker*innen gespielt. Ein unschätzbarer Vorteil – insbesondere bei Werken der Neuen Musik, die sich nicht selten aufgrund feinster klanglicher Nuancierungen, extremer Dynamikunterschiede, ungewöhnlicher räumlicher Konstellationen und anderer Faktoren auf CD (oder gar als mp3-Datei) nur unvollständig reproduzieren lassen.
- Die Musiker*innen auf dem Podium sind häufig die gleichen, die auch den Kompositionsprozess in der Schule begleiten, so dass die Schüler*innen bereits vor dem Konzert die Gelegenheit bekommen, eine persönliche Beziehung zu ihnen aufzubauen.
Gegenstand und Methode der Untersuchung
Inzwischen gilt Response „als etabliertes Vermittlungsmodell“ (Mautner-Obst 2012:53), das sich heute in den Musikvermittlungsprogrammen mehrerer Konzerthäuser, Festivals und Ensembles – insbesondere in Deutschland – wiederfindet. Seit dem ersten deutschen Response-Projekt im Jahr 1988 hat sich die Musikvermittlungslandschaft grundlegend verändert: Die Professionalisierung des Berufsfelds ist vorangeschritten, die Methoden, Akteure, Zielgruppen und Kooperationsformen sind vielfältiger geworden. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Entwicklung sich auch auf das Vermittlungsmodell Response ausgewirkt hat. Doch wie hat sich das Format seit seiner Initialzündung weiterentwickelt? Was verbindet die heutigen Projekte und worin unterscheiden sie sich? Wer führt heute Response-Projekte durch und welche Ziele verknüpfen die Akteure damit? Im Rahmen einer empirischen Studie wurden die Organisationsstrukturen sowie die Ziele der Beteiligten in sechs aktuellen Response-Projekten aus Deutschland und Österreich untersucht (Voit 2018b). Dabei wurden die Projektleiter*innen, die künstlerischen Leiter*innen und – sofern vorhanden – die Projektmanager*innen der jeweiligen Kooperationspartner mittels teilstandardisierter Leitfadeninterviews und die beteiligten Lehrer*innen und Komponist*innen per Fragebogen befragt. Die Auswertung des transkribierten Materials erfolgte nach den Prinzipien einer inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Lamnek 1993:110ff.). Durch einen Fallvergleich der untersuchten Projekte konnten einerseits Unterschiede in den Organisationsstrukturen herausgearbeitet und andererseits zentrale Bausteine identifiziert werden, die wesentliche Bestandteile aller Projekte sind. Zudem wurden die Ziele der Projektbeteiligten rekonstruiert und in Anlehnung an die von Udo Kuckartz vorgeschlagene Guideline (vgl. Kuckartz 2016:83ff.) durch induktiv am Material entwickelte Kategorien strukturiert.
Im Folgenden werden zunächst die Untersuchungsergebnisse dargestellt, ehe zum Schluss des Beitrags einige praxisbezogene Schlussfolgerungen gezogen werden. Diese können keinesfalls unmittelbar aus dem Material abgeleitet werden, sondern stellen persönliche Hinweise des Verfassers dar, die neben den Untersuchungsergebnissen auch auf eigene Erfahrungen mit Response-Projekten rekurrieren.
Organisationsstrukturen der untersuchten Projekte
Seit dem ersten Response-Projekt im deutschsprachigen Raum im Jahr 1988 hat sich das Format gewandelt und diversifiziert. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der Vielfalt der jeweils unterschiedlichen Konstellationen von Projektpartnern und Teammitgliedern sowie der Projektverläufe. In den Fallvergleich wurden folgende Projekte einbezogen. Berücksichtigt wurden ausschließlich aktuelle Kompositionsprojekte (2016 und 2017) in Deutschland, Österreich und der Schweiz, an denen mindestens eine Schule und ein außerschulischer Partner beteiligt waren und bei denen es sich nach Aussage von Projektleiter_in oder künstlerischem_r Leiter_in um ein „Response-Projekt“ handelte (für weitere Informationen zur Auswahl der Projekte vgl. Voit 2018b).
- Response: Was sehe ich, wenn ich höre? – Was höre ich, wenn ich sehe? (Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main, 2016)
- Response: Raumwege (Kölner Philharmonie, 2017)
- MaulAffenFeil (ACHT BRÜCKEN | Musik für Köln, 2017)
- Klangwellen (Landesmusikrat Hamburg e.V., 2017)
- Junge Oper Wien: Das Missverständnis (Neue Oper Wien, 2017)
- Klingende Konzerteinführungen (Wiener Philharmoniker, 2017)
Ablauforganisation: Zentrale Bausteine des Projektverlaufs
- Vorbereitungstreffen mit den Lehrer*innen: Je nachdem, welche Rolle den Lehrer*innen zukommt, gehen den Projekten mehr oder weniger umfangreiche Konzeptionstreffen voraus. Die ersten Response-Projekte in England begannen mit einem einwöchigen (!) Einführungskurs (vgl. Meyer 2003:226), sodass die Lehrer*innen umfassend vorbereitet als gleichberechtigte Teampartner mit den Komponist*innen zusammenarbeiten konnten. Bei Response Frankfurt, wo die Lehrer*innen ebenfalls in die künstlerische Arbeit eingebunden sind und mit den Schüler*innen in Abwesenheit der Komponist*innen selbständig weiterarbeiten, findet ein eintägiges Auftakttreffen statt, bei dem die Komponist*innen ihr jeweiliges Konzept vorstellen und sich die Teams (bestehend aus Lehrer*in, Komponist*in und Student*in) bilden (die weiteren Absprachen werden dann individuell innerhalb der Teams getroffen). Das Hamburger Projekt Klangwellen startet mit einem Kick-off-Meeting für die Lehrer*innen und Komponist*innen. Zusätzlich finden projektbegleitend zwei Fortbildungen von externen Dozent*innen statt, an denen Komponist*innen und Lehrer*innen gemeinsam teilnehmen. Erwähnenswert ist auch, dass es ein zweites Kick-off-Meeting für die Schüler*innen gibt, in dem diese nach der Projektvorstellung entscheiden können, ob sie als Klasse an dem Projekt teilnehmen möchten. Andere Projekte, bei denen die Lehrer*innen lediglich Aufsichts- und Organisationsaufgaben übernehmen, kommen entweder ganz ohne Vorbereitungstreffen aus (ACHT BRÜCKEN) oder mit einem kurzen Treffen, bei dem die Ziele und organisatorischen Details des Projekts erläutert werden (Response Köln). Eine derart umfangreiche Vorbereitungsphase mit den Lehrer*innen wie bei den frühen englischen Projekten findet bei keinem der heutigen Response-Projekte statt.
- Kompositionsprozess: Die zentrale Phase des Projekts besteht aus dem Kompositionsprozess, der oft in Kleingruppen, mitunter aber auch in Großgruppen oder individuell stattfindet. Der Zeitumfang variiert von Fall zu Fall beträchtlich und liegt bei den untersuchten Projekten zwischen insgesamt acht Stunden an zwei aufeinanderfolgenden Vormittagen (ACHT BRÜCKEN) und sieben zwei- oder mehrstündigen Workshop-Terminen, die über mehrere Monate verteilt sind (Response Frankfurt, Response Köln, Junge Oper Wien). Die Schulprojekte in Vorbereitung auf die Klingenden Konzerteinführungen der Wiener Philharmoniker umfassen zwischen zwölf und 18 Stunden, die entweder über einen mehrmonatigen Zeitraum verteilt sind oder als Block im Rahmen einer Projektwoche stattfinden.
- Zwischenpräsentation: Wesentlicher Bestandteil der frühen wie auch der aktuellen Frankfurter Response-Projekte ist eine Zwischenpräsentation in der Mitte der Arbeitsphase, in der jeweils zwei Klassen aufeinandertreffen, sich ihre Ergebnisse vorstellen, den bisherigen Prozess reflektieren und erste Erfahrungen im Präsentieren ihrer Stücke sammeln. In Hamburg (Klangwellen) findet ein gegenseitiges Präsentieren der Zwischenergebnisse regelmäßig innerhalb der einzelnen Klassen statt, während in anderen Projekten (Response Köln) die erste gegenseitige Präsentation der Stücke erst bei der Generalprobe erfolgt.
- Abschlusskonzert: Höhepunkt aller Projekte ist die öffentliche Aufführung der eigenen Kompositionen in einem professionellen Rahmen. Die Schüler*innen spielen ihre Eigenkompositionen in der Regel selbst, teilweise werden sie dabei von Musiker*innen unterstützt, die den Kompositionsprozess (wenigstens punktuell) begleitet haben.
- Bezugskonzert: Der zweite Höhepunkt ist der Besuch eines Konzerts oder einer öffentlichen Probe, in der das Referenzwerk bzw. die Referenzwerke von professionellen Musiker*innen dargeboten werden. Dieses Bezugskonzert kann vor oder nach der Aufführung der Schülerkompositionen stattfinden, beim Frankfurter Response-Projekt findet die Aufführung der Referenzwerke durch die Profis und die Präsentation der Schülerkompositionen in einem gemeinsamen Konzert statt. In anderen Fällen sind die Schülerpräsentationen Teil der Konzerteinführung für das reguläre Publikum des Bezugskonzerts (Klingende Konzerteinführungen, Response Köln).
Aufbauorganisation: Projektpartner und Teamzusammensetzung
Response-Projekte werden in der Regel von einer Kulturinstitution initiiert und in Kooperation mit einer oder mehreren Schulen und ggf. weiteren außerschulischen Partnern (Ensemble, Rundfunkanstalt etc.) durchgeführt. Als Projektträger kommt ein Konzerthaus in Frage, welches das Projekt an ein Konzert des hauseigenen Orchesters oder eines Partnerorchesters anbindet (Kölner Philharmonie), ein Festival (ACHT BRÜCKEN) oder ein Ensemble, das über regelmäßige Proben- oder Aufführungsorte verfügt (Wiener Philharmoniker). Die kompositorische bzw. musikvermittlerische Expertise holen Veranstalter oft von außen dazu, sei es durch eine freischaffende Komponistin bzw. einen Komponisten oder durch die Kooperation mit einem der inzwischen etablierten professionellen Anbieter wie dem Büro für Konzertpädagogik (Eine Ausnahme stellen die Wiener Philharmoniker dar. Die Klingenden Konzerteinführungen werden von der hauseigenen Musikvermittlerin und von Musiker*innen des Orchesters durchgeführt.). Kooperationen mit weiteren Partnern ergeben sich in der Regel, wenn der Projektträger über kein eigenes Ensemble und keine Räumlichkeiten verfügt, wie im Falle des Frankfurter Response-Projekts (Träger: Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Partner: Alte Oper Frankfurt, Junge Deutsche Philharmonie, Hessisches Kultusministerium) oder des Projekts Klangwellen (Träger: Landesmusikrat Hamburg e.V., Partner: jeweils wechselnde Klangkörper und Konzertveranstalter). Die Zusammensetzung der jeweiligen Partner beeinflusst keineswegs nur die organisatorische, sondern auch die inhaltliche Ausgestaltung der Projekte, etwa die Auswahl des Bezugskonzerts: So sind künstlerische Leiter*innen, die Ensembles gezielt für das Projekt auswählen und anfragen (Response Frankfurt, Klangwellen), in der Regel freier bei der Auswahl der Referenzwerke und können gezielt Stücke aussuchen, die ihnen für die jeweilige Zielgruppe und ein eventuell existierendes Oberthema besonders passend erscheinen. In Institutionen, die mit einem festen Ensemble arbeiten, ist die Auswahl von vornherein begrenzt, so etwa in der Kölner Philharmonie, wo das Bezugskonzert aufgrund einer Kooperation mit dem WDR-Sinfonieorchester bis 2017 immer ein Konzert der WDR-Reihe „Musik der Zeit“ war, oder bei der Neuen Oper Wien, die nur wenige Produktionen pro Saison realisiert. Berücksichtigt man dann noch die Schul- und Ferienzeiten, ergibt sich in einer solchen Konstellation in der Regel nur eine sehr begrenzte Auswahlmöglichkeit.
Die Projekte unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der jeweiligen Kooperationspartner, sondern auch bei der Zusammensetzung der Teams, die den Kompositionsprozess in der Schule begleiten. Die denkbare Minimalbesetzung bestehend aus einer Komponistin bzw. einer Musikvermittlerin und einem Lehrer wurde in allen untersuchten Projekten durch mindestens eine weitere Person erweitert: Die kompositorische Arbeit wird entweder von freischaffenden Komponist*innen oder der hauseigenen Musikvermittlerin angeleitet, teilweise unterstützt durch den Musiklehrer (Response Frankfurt, Klangwellen) oder externe Assistent*innen (ACHT BRÜCKEN). In einigen Projekten finden zusätzlich punktuell Besuche von Musiker*innen statt, die auch an der Aufführung des Referenzwerks beteiligt sind (Klangwellen und Klingende Konzerteinführungen). Das persönliche Kennenlernen der beteiligten Musiker*innen kann Identifikationsangebote mit den Künstler*innen und somit letztlich auch mit der von ihnen präsentierten Musik schaffen, ein Aspekt, der bereits in den englischen Response-Projekten der 1980er Jahren eine wesentliche Rolle gespielt hat, wie Gillian Moore ausführt: „Then they come into the concert, where we hope that […] they will feel part of this creative community because they have been working with the players.“ (zit. nach Meyer 2003:229.). Eine Besonderheit in Frankfurt ist die Einbeziehung von Student*innen als Musiker*innen, die ihre Beteiligung am Projekt als Studienleistung verbuchen können. Damit wird das Ziel verfolgt, methodisches Wissen im Sinne der Nachhaltigkeit an die nächste Musikergeneration weiterzugeben. In interdisziplinär angelegten Projekten werden zudem Künstler*innen anderer Sparten einbezogen, was unterschiedliche Hintergründe haben kann: So können andere Kunstsparten hinzugezogen werden, um den Schüler*innen vielfältige Möglichkeiten zu eröffnen, sich kreativ mit dem Referenzwerk auseinanderzusetzen (etwa beim Malen zu Musik wie bei Response Köln). Im Fall der Jungen Oper Wien wird das Ziel verfolgt, die Jugendlichen auf umfassende Weise an die Gattung Oper heranzuführen; die Projektteilnehmer*innen beschäftigen sich daher mit einer Vielzahl unterschiedlicher Aspekte wie Schauspiel, Regie, Maske, Kostüme, Bühnenbild und -technik sowie Marketing.
Ziele der Projektbeteiligten
Angesichts der Vielfalt möglicher Konstellationen von Partnern und des Zusammentreffens von Menschen aus unterschiedlichen Berufsfeldern (Pädagog*innen, Künstler*innen, Kulturmanager*innen) liegt die Vermutung nahe, dass die verschiedenen Akteure auch jeweils andere Ziele mit Response-Projekten verknüpfen. In der Tat wurden bereits die ersten deutschen Response-Projekte mit höchst unterschiedlichen Zielen der Akteure verbunden, die von der Heranführung an die Musik eines bestimmten zeitgenössischen Komponisten bis zu humanistischen Bildungsidealen – wie der Erziehung zum mündigen Hörer – reichten. Dass die erklärten Ziele der Beteiligten ein und desselben Projekts dabei durchaus divergieren konnten, zeigen die Äußerungen von Richard McNicol, einem der künstlerischen Leiter des Berliner Projekts von 1988 und der frühen Frankfurter Projekte, sowie von Dieter Rexroth, dem damaligen künstlerischen Leiter der Frankfurt Feste und Initiator des ersten Frankfurter Response-Projekts:
McNicol: „Our aim […] was to give youngsters, quite small youngsters, the chance to understand the music of Luciano Berio. And we did this by taking elements from Berio’s music and helping the children to use those elements to make their own music.“ (McNicol 2012:1’16“)
Rexroth: „Response ist ein Versuch, junge Menschen zu einer kreativen Auseinandersetzung mit den sie bewegenden Fragen und Problemen, Erlebnissen und Erfahrungen zu ermutigen. Response zielt in diesem Sinne darauf hin, die Selbstwahrnehmung und die Fähigkeit zur ebenso sensiblen wie kritischen Beschäftigung mit den eigenen Erlebnissen zu schärfen. Das Medium dieser Auseinandersetzung ist Musik, ist die Welt des Klingenden. Diese Welt gleichsam differenziert wahrzunehmen und damit auch Fähigkeiten zu entwickeln, sich gegen die rücksichtslose und brutale Geräusch- und stimulativ-funktional bestimmte Musikkulisse unserer Alltagswelt zur Wehr setzen zu können, ist heute ein dringend gebotenes Erfordernis.“ (zit. nach Müller-Hornbach 2011:164)
Dass auch die Akteure heutiger Response-Projekte eine Vielzahl unterschiedlicher Ziele verfolgen, wird durch Ergebnisse einer empirischen Untersuchung bestätigt. Aus den transkribierten Äußerungen der Projektleiter*innen, künstlerischen Leiter*innen und – sofern vorhanden – Projektmanager*innen der Kooperationspartner wurden induktiv Kategorien entwickelt, die eine thematische Sortierung der genannten Ziele ermöglichen. In der folgenden Übersicht werden die Kategorien anhand von gekürzten und teilweise paraphrasierten Aussagen der Projektbeteiligten dargestellt. Anschließend werden die einzelnen Kategorien erläutert und durch Zitate veranschaulicht.
Musikbezogene Ziele
Das Ziel, junge Menschen an Neue Musik (in einigen Fällen auch klassische Musik) heranzuführen, wurde insbesondere von Lehrer*innen, Komponist*innen und Musiker*innen häufiger genannt (seltener von Projektleiter*innen und künstlerischen Leiter*innen). Einige Lehrer*innen formulierten auch das Ziel, den Schüler*innen durch das Projekt Anlässe für musikbezogenes Handeln bieten zu wollen. Im Gegensatz zum zuvor genannten Ziel „(Neue) Musik vermitteln“ ist in diesen Fällen die Beschäftigung mit Neuer Musik nicht Ziel, sondern Mittel zum Zweck, um andere musikpädagogische Ziele zu erreichen, etwa weil Neue Musik experimentelle Zugänge beim Musizieren ermöglicht oder weil das Fehlen tonaler Bindungen den Einstieg in einen Kompositionsprozess für Jugendliche ohne große musikalische Vorbildung erleichtern kann. Auch wenn das dritte Ziel, ästhetische Erfahrungen zu ermöglichen, nur in einem Fall explizit genannt wurde, so lassen sich doch viele der von Projektbeteiligten formulierten Ziele dem Bereich der ästhetischen Erfahrung zuordnen, wenn man die drei von Elias Zill herausgearbeiteten Kernmomente ästhetischer Erfahrung in produktionsorientierten Schulprojekten zugrunde legt (vgl. Zill 2016:224): selbstzweckhafte Wahrnehmung (Bsp.: „Einfach mal etwas ganz Anderes kennenlernen“), ästhetische Bedeutsamkeit (Bsp.: „Die Erfahrung, Komponist eines Stückes zu sein, das auch aufgeführt wird“) sowie ästhetische Einstellungsänderung (Bsp.: „Die im weitesten Sinne ‚NEUE‘ – d.h. für die jungen Menschen ungewohnte – Musik auf praktische Weise vertraut zu machen“). Das Ziel, „enge schulische Arbeitsprozesse aufbrechen“ zu wollen, verweist zudem auf die Bereitstellung von „unverplanter Zeit und zweckfreien Räumen“ (Rolle 1999:157), die Christian Rolle bezugnehmend auf Wolfgang Schulz als eine wesentliche Voraussetzung für die Einnahme einer ästhetischen Einstellung nennt. Der Stellenwert des Ziels der ästhetischen Erfahrung wird dadurch unterstrichen, dass nahezu alle befragten künstlerischen Leiter*innen und Projektleiter*innen ausgewählte Episoden berichteten, in denen einzelne Teilnehmer*innen ästhetische Erfahrungen gemacht haben. Dies sind häufig Momente, die ihnen besonders bedeutsam und als Indikator für ein gelungenes Projekt erschienen. Interessant ist, dass diese Erfahrungsberichte sich auf unterschiedliche Momente im Projekt beziehen: meist auf den Auftritt der Schüler*innen beim Präsentieren der eigenen Kompositionen, manchmal jedoch auch auf ein Aha-Erlebnis im Bezugskonzert, wenn den Schüler*innen die Verbindung ihres eigenen Tuns zum gerade gehörten Werk schlagartig klar wurde.
Allgemein pädagogische Ziele
Neben dem Ziel, die Schüler*innen beim Entdecken und Entwickeln ihrer kreativen Ausdrucksmöglichkeiten zu unterstützen, das im Zusammenhang mit Kompositionsprojekten nicht überrascht, wurde auch die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung mehrfach genannt. Darunter fallen Aspekte wie Selbstbewusstsein sowie Konzentrations- und Kritikfähigkeit, die – so das Ziel von Projektbeteiligten – durch das Verhandeln ästhetischer Entscheidungen in der Gruppe, die konzentrierte Probenarbeit, die Präsentation der eigenen Komposition auf einer großen Bühne und die Zusammenarbeit mit Profis gestärkt werden sollen. Die dem Bereich soziale Kompetenzen zuzuordnenden Ziele wurden insbesondere von Lehrer*innen genannt, die bereits an Response-Projekten teilgenommen und dabei eine Verbesserung des Klassenklimas und des wertschätzenden Umgangs der Schüler*innen untereinander beobachtet hatten. Diese Erfahrung war für sie häufig ein ausschlaggebender Motivationsgrund, sich zum wiederholten Mal für die Teilnahme an einem Response-Projekt anzumelden.
Auf die eigene Institution bezogene Ziele
Während in den ersten beiden Kategorien in allen Projekten ähnliche Ziele genannt wurden (wenngleich in unterschiedlicher Gewichtung), fielen bei den insbesondere von Projektleiter*innen geäußerten Zielen in der dritten Kategorie grundlegende Unterschiede auf. So haben einige der Veranstalter neben den teilnehmenden Jugendlichen weitere Zielgruppen im Blick, sei es das Abo-Publikum, das durch eine von Schüler*innen gestaltete Konzerteinführung einen neuen Blick auf die Referenzwerke erhält, seien es die Musiker*innen oder Mitarbeiter*innen der eigenen Verwaltung, die durch die Ideen der Jugendlichen neue Impulse für die eigene Arbeit bekommen, oder Student*innen, die mit ihrem erworbenen methodischen Wissen und einem gewandelten Selbstverständnis als „Teaching Artists“ eine neue Generation von Musiker*innen prägen sollen.
Der Aspekt der Publikumsentwicklung wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Spielt er nach Aussage einiger Projektleiter*innen eine untergeordnete oder gar keine Rolle, „weil ich ja nicht garantieren kann, ob ein 13-Jähriger in zehn Jahren wieder Abo-Publikum wird“, so erhoffen sich andere Veranstalter durchaus kurz- oder langfristige Effekte. Sofern ein Konzertbesuch verpflichtender Bestandteil des Projekts ist, bedeutet „es immer natürlich eine kurzfristige Publikumsentwicklung, dass die Leute einfach im Saal sitzen und sich das auch im Publikum niederschlägt“. Die Hoffnungen auf langfristige Effekte speist sich aus Rückmeldungen von Teilnehmer*innen anderer Projekte oder von Praktikant*innen, die „in irgendeiner Form über Geschwister oder selber durch das Projekt […] auf uns aufmerksam geworden sind. Das heißt, das hat einen […] nachweisbaren Effekt langfristig für die Publikumsgewinnung. Es entsteht eine Beziehung mit der Musik und mit uns.“ Neben den Schüler*innen selbst werden teilweise auch die Eltern als Zielgruppe genannt: „Natürlich haben wir aber auch die Eltern im Haus, die nehmen sich vielleicht ein Programmheft mit, vielleicht tut sich da was.“ Jenseits von der Hoffnung auf eine konkrete Steigerung der Besucherzahlen hebt ein/e Projektleiter_in auch den Imagegewinn hervor, von dem der Veranstalter insgesamt durch die Ausrichtung eines groß angelegten und in der Öffentlichkeit positiv wahrgenommenen Vermittlungsprojekts profitiert.
Bei öffentlich geförderten Kultureinrichtungen spielt stets auch der Aspekt der gesellschaftlichen Verantwortung eine Rolle. Alle Projektleiter*innen gaben an, dass sie bei der Auswahl der teilnehmenden Schulen das soziale Milieu berücksichtigen und entweder auf eine repräsentative Durchmischung achten oder Schulen bevorzugen, die besonders viele Schüler*innen mit Migrationshintergrund oder aus sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen haben. In einem Fall wurde durch die Kooperation mit einer Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gezielt jungen Menschen mit Fluchterfahrung kulturelle Teilhabe ermöglicht.
Resümee und Schlussfolgerungen für die Praxis
In heutigen Response-Projekten lassen sich wesentliche Bausteine des ursprünglich im Umfeld der London Sinfonietta entwickelten Konzepts wiederfinden. Gleichzeitig unterscheiden sich aktuelle Projekte untereinander wesentlich im Hinblick auf die Projektverläufe, die Auswahl der Projektpartner und die Zusammensetzung der Teams. Diese Unterschiedlichkeit kann unter anderem als Ausdruck der äußerst verschiedenen Ziele gewertet werden, die Akteure mit Response-Projekten verknüpfen. Es handelt sich bei Response somit keineswegs um ein klar definiertes Format, dessen organisatorische Struktur und methodisches Konzept sich eins zu eins auf andere Projekte übertragen ließen. Bei der Initiierung eines neuen Projekts ist es vielmehr erforderlich, die konkret gewünschte organisatorische Struktur und inhaltliche Ausrichtung vorab neu zu erarbeiten. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Auswahl der Projektpartner zu.
Nur die Beteiligung mehrerer Projektpartner ermöglicht in Response-Projekten die Schaffung der professionellen Bedingungen für die künstlerische Arbeit, den Konzertbesuch und die Aufführung der Schülerkompositionen, die seit jeher ein Qualitätsmerkmal dieses Vermittlungsformats sind. Eine solche Kooperation stellt jedoch besondere Herausforderung an alle Beteiligten. Als wesentliche Voraussetzung für das Gelingen einer Kooperation sind neben der wohlüberlegten Auswahl der Projektpartner auch die unmissverständliche Absprache der Zuständigkeiten und die Verständigung auf die gemeinsamen Projektziele zu nennen. Die Ziele, die Akteure mit Response-Projekten verbinden, sind nicht nur äußerst vielfältig, sondern divergieren – wie aus Äußerungen von Beteiligten der untersuchten Projekte hervorgeht – teilweise auch innerhalb eines Projektes stark. In einem konkreten Fall führte eine nicht erfolgte Absprache zum Ausscheiden eines langfristigen Kooperationspartners, der seine Ziele – die er allerdings den Partnern gegenüber nicht kommuniziert hatte – nicht erreicht sah.
Auch innerhalb der Teams, die die Projekte vor Ort in den Schulen umsetzen, müssen die Ziele kommuniziert und sollte die Rollenverteilung klar geregelt sein, um Enttäuschungen und Konflikten vorzubeugen. Bei der Rollenverteilung unterscheiden sich die untersuchten Projekte insbesondere mit Blick auf die Rolle der Lehrerin bzw. des Lehrers, die sich in einigen Projekten auf Aufsichts- und Organisationsaufgaben beschränkt und in anderen Projekten die aktive Mitarbeit im künstlerischen Prozess mit einschließt. Insgesamt ist anzustreben, dass sich alle Teammitglieder mit ihren jeweiligen Stärken und Kompetenzen im Projekt einbringen können.
Besonderes Augenmerk sollte auch auf die beiden Höhepunkte des Projekts – das Abschluss- und das Bezugskonzert – gelegt werden. Für das Abschlusskonzert ist ein (für das konkrete Projekt!) geeigneter Rahmen zu wählen, der von den Schüler*innen einerseits als wertschätzend erfahren wird und in dem sie sich andererseits wohlfühlen. Ein prunkvoller Saal mit großer Bühne kann als würdigender Rahmen motivierend wirken, er kann aber auch einschüchtern, insbesondere wenn die Zeit für die Erarbeitung knapp bemessen war und nicht alle Schüler*innen rundum zufrieden mit ihren Kompositionen sind. Die Wahl eines in Bezug auf Länge und Konzertprogramm für die jeweilige Altersgruppe geeigneten Bezugskonzerts ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Dies mag wie eine Selbstverständlichkeit klingen, die Untersuchung hat jedoch ergeben, dass Bezugskonzerte nicht selten in erster Linie nach anderen Faktoren ausgewählt werden (Datum, Bestandteil einer bestimmten Konzertreihe, erwartete Ticketverkäufe etc.). Dies ist umso fataler, als vier der sechs befragten Projektleiter*innen berichtet haben, dass die Schüler*innen nur schwer zum Besuch des Bezugskonzerts zu motivieren waren. Da es sich in vielen der Fälle um den ersten Kontakt von jungen Menschen mit Neuer Musik handelt, sollten durch eine bewusste Konzertauswahl die Weichen so gestellt werden, dass der erste Kontakt nicht der einzige bleibt.
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