Kommunale Politik für Kulturelle Bildung
Kultur ist kommunal – Bildung auch
Bildungspolitik gilt gemeinhin als Ländersache, Kulturpolitik dagegen ist in den Verfassungen fast aller Bundesländer gemeinsame Aufgabe von Ländern und Kommunen. Dabei tragen die Kommunen jedoch im föderalen System die finanzielle Hauptlast. Nach einer von Michael Söndermann vorgelegten Studie übernehmen die Gemeinden mit jährlich 3,66 Milliarden Euro 44 % der 8,3 Milliarden Euro öffentlicher Kulturausgaben, unter Einschluss der Stadtstaaten sogar 52,7 %. Der Anteil der Flächenländer beschränkt sich dagegen auf 32,6 % (2,7 Milliarden Euro), der des Bundes gar auf nur 14,7 % (Söndermann 2008:399).
Auch die Orte Kultureller Bildung sind weitgehend kommunal: Musikschulen, Jugendkunstschulen, Bibliotheken und Volkshochschulen sind ganz überwiegend in Trägerschaft der Städte oder doch wesentlich von ihnen finanziert. Zudem tragen auch die nicht primär auf Bildung orientierten Kultureinrichtungen der Städte wie Museen, Galerien und Theater mit eigenen pädagogischen Angeboten zur Kulturellen Bildung bei. Auch die allgemeinen Bildungseinrichtungen wie Kindertagesstätten und Schulen, zu deren Auftrag die Kulturelle Bildung gleichfalls gehört, werden erheblich von den Kommunen getragen oder finanziert, in Bayern teilweise sogar durch kommunales Lehrpersonal.
Auf dem Weg zur kommunalen Kulturellen Bildung
In der Geschichte der Bundesrepublik haben sich die meisten Städte lange Zeit auf die Erbringung des schulischen Sachaufwands beschränkt. Daneben trat die Einrichtung eigener Institutionen Kultureller Bildung sowie der Erwachsenenbildung. Nach lokalen Vorstößen erkannten die Städte seit Beginn des 21. Jh.s die Bedeutung lokaler Vernetzungen für den Bildungsprozess und forderten eine kommunale Beteiligung ein.
Nach einer Empfehlung zur kommunalen Weiterbildungspolitik von 1996 (Deutscher Städtetag 1996) legte der Deutsche Städtetag 2005 „Thesen zur kulturellen Jugendbildung“ vor, in denen Kulturelle Bildung als notwendiger Teil der allgemeinen Bildung beschrieben wird. „Ziel muss es sein, ein integriertes Ganztagesangebot kognitiver, kultureller und sozialer Bildung zu erreichen.“ Dieses ganzheitliche Konzept, das von der gegenseitigen Ergänzungsfähigkeit und Ergänzungsbedürftigkeit sowohl der Bildungsinstitutionen als auch der dort beschäftigten Professionen ausgeht, hat sich seither zur eingeforderten Grundlage kommunaler Bildungspolitik entwickelt (Rossmeissl 2009).
Gezielte Aussagen zur Kulturellen Jugendbildung erfolgten durch den Kulturausschuss des Städtetags 2003. Hier wurde Kulturelle Bildung nicht nur als „unverzichtbarer Teil einer umfassenden Persönlichkeitsbildung“ beschrieben, sondern als „Basis für die Zukunft der Städte“ bezeichnet (Deutscher Städtetag 2003:6). Durch ihre partizipativen Elemente vermittle sie Identitätsangebote und trage zur Stärkung der lokalen Demokratie bei (ebd.:7).
2010 legten die kommunalen Spitzenverbände gemeinsame „Leitlinien“ für Musikschulen vor, in denen auch der soziale Aspekt Kultureller Bildung thematisiert sowie eine Verantwortungs- und Finanzierungsgemeinschaft von Ländern und Kommunen eingefordert wurden (Deutscher Städtetag 2010:3).
Bereits 2007 hat der Deutsche Städtetag in seiner Aachener Erklärung festgestellt: „Ausgangspunkt für Bildungsprozesse in den verschiedenen Lebensphasen ist die kommunale Ebene“, und deshalb bei der Steuerung und Moderation eine zentrale Rolle für die Städte im Rahmen kommunaler Bildungslandschaften eingefordert. Ausdrücklich heißt es dabei: „Die kulturelle Bildung wird als wichtiger Teil ganzheitlicher Bildung einbezogen.“
Für diese Entwicklung müssen sich die Schulen ebenso zur Stadt öffnen wie die Kultureinrichtungen zur Schule und sich auf der Basis gegenseitiger Anerkennung ihrer unterschiedlichen Strukturen und Kompetenzen begegnen. Damit dies gelingt, müssen die Städte Gesamtkonzepte Kultureller Bildung entwerfen (Rossmeissl 2008; BKJ 2011e:30-33). Der Schulsozialarbeit kommt dabei als Motor einer Öffnung der Schule zum sozialen und kulturellen Umfeld der Stadt eine wesentliche Rolle zu, ohne dass sie selbst kulturpädagogische Aufgaben übernehmen müsste. „So tritt Kulturpädagogik als dritte Kraft neben Schul- und Sozialpädagogik […] und vermittelt neue Kompetenzen für persönliche und soziale Entwicklung“ (Rossmeissl/Przybilla 2006:108).
Kulturelle Bildung als kommunale Aufgabe erfordert somit Fachpersonal mit kultureller und pädagogischer Qualifikation, ein Selbstverständnis aller Kultureinrichtungen als Teil von Bildung (ohne sich auf diese zu beschränken) und eine dazu ausreichende Finanzausstattung. Die Städte bestehen deshalb auf einer „staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft“, die auch finanzielle Konsequenzen einschließt.
Aktuelle Lage kommunaler Kultureller Bildung
Bibliotheken gehören überall zur kommunalen Grundstruktur (siehe Jan-Pieter Barbian „Öffentliche Bibliotheken als gesellschaftliche Orte Kultureller Bildung“). Mit besucherspezifischen Vermittlungsangeboten wie Lesungen, Einführung in Internet-Nutzung, Onleihe, Lesekisten für Kitas und Grundschulen u.a. stellen sie nicht nur Medien zur Verfügung, sondern nehmen aktiv an der Kulturellen Bildung teil. Ihre Angebote sind oft sinnvoll mit denen der Volkshochschulen gekoppelt, in deren Kursspektrum Kulturelle Bildung zwar keine dominante, wohl aber eine ständige Präsenz aufweist (siehe Hans-Hermann Groppe „Kulturelle Bildung an den Volkshochschulen“). Sing- und Musikschulen sind im ländlichen Raum zwar nicht flächendeckend etabliert, sind in den Städten jedoch eigenständige Einrichtungen in direkter kommunaler Trägerschaft oder der Rechtsform von GmbH bzw. e.V. mit städtischer Finanzausstattung. Defizitär ist immer noch die Verbreitung von Jugendkunstschulen, von denen die meisten zudem ihre Existenz in freier und damit ungesicherter Trägerschaft gründen, wenn auch mit Unterstützung durch kommunale Zuschüsse.
Darüber hinaus wird Kulturelle Bildung seit den 1990er Jahren zunehmend von nahezu allen Kultureinrichtungen, welche die Städte vorhalten, als integraler Teil ihres kulturellen Auftrags anerkannt und institutionell verankert. Museums- wie Ausstellungspädagogik als aktive Vermittlungsformen, Theaterpädagogik, oft mit eigenen Jugendclubs, gehören zur Normalausstattung der Stadttheater. Der frühere Trend zu eigenen Kinder- bzw. Jugendtheatern ist zugunsten der Integration in die „Erwachsenen-Theater“ zurückgegangen, wodurch Kulturelle Jugendbildung erfreulich in das „normale“ kulturelle Angebot eingefügt wurde.
Die pädagogisch notwendige und kommunal mögliche Vernetzung traditionell „außerschulischer“ Angebote Kultureller Bildung mit der Institution Schule führen zu einer größeren Abhängigkeit jeder Seite von der Entwicklung der anderen. Für die Träger Kultureller Bildung – wie für die kulturell engagierten Jugendverbände – stellt deshalb die Ausweitung der Ganztagsschule ein erhebliches Problem dar, da sie den zeitlichen Spielraum der Kinder und Jugendlichen für außerschulische Aktivitäten minimiert. Zugleich ist die Ganztagsschule durch den Wegfall außerschulischer Ergänzungen in Sport, Freizeit und Kultur auf einen wesentlich umfassenderen Bildungsbegriff verwiesen. Für beide ist also die Integration ihrer Angebote notwendig.
Da der Bildungsort Schule als einziger alle Kinder und Jugendlichen erreicht, bietet seine Vernetzung mit den weiteren Kultur- und Bildungsinstitutionen in der Differenziertheit und lokalen Dichte der Stadt die dreifache Chance, unterschiedliche Vermittlungskompetenzen, die im kommunalen Raum vorhanden sind, zu nutzen, durch abwechselnde Zugänge Bildungsmotivation zu stärken und schließlich Kulturelle Bildung über das Schulangebot hinaus allen zu öffnen. Der pädagogische Begriff der „Ko-Konstruktion“ von Wassilios Fthenakis (2009:6) erhält damit eine Ausweitung auf die unterschiedlichen Bildungsorte im kulturellen Kontext der Stadt.
So gibt es bereits zahlreiche Ansätze kommunaler Gestaltung lokaler oder übergreifender Konzepte kultureller Bildungsprozesse. Als Beispiele seien genannt:
>> „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi) als Programm der Kulturstiftung des Bundes, des Landes NRW und der schultragenden Städte;
>> „Kinder zum Olymp!“ Initiative der Kulturstiftung der Länder für Schulen im Rahmen kommunaler Bildungslandschaften (Rossmeissl 2009);
>> „Kultur- und Schulservice“ (KS:KOM): „kommunale Kooperation Kultur und Schule“ in München, Nürnberg, Coburg, Bamberg, Augsburg sowie „Kulturservice für Schulen und Kindertagesstätten“ in Erlangen (BKJ 2011e:34-42);
>> „schule@museum“ als Gemeinschaftsinitiative des Deutschen Museumsbundes, des Bundesverbandes Museumspädagogik und des BDK Fachverbands für Kunstpädagogik in Kooperation mit einzelnen Museen;
>> „denkmal aktiv“ als Initiative der Deutschen Stiftung Denkmalschutz zur Vernetzung kultureller Schulbildung mit Geschichtsdenkmälern vor Ort.
Perspektiven Kultureller Bildung in den Kommunen
Problematisch für die Realisierung kommunaler Gesamtkonzepte und die Weiterentwicklung Kultureller Bildung sind die getrennten sachlichen wie finanziellen Zuständigkeiten von Land und Kommune, das unterschiedliche Selbstverständnis der Einrichtungen und eine unkoordinierte Ausbildung der Akteure, die in der Regel ohne jede Kenntnis der jeweils anderen Kompetenzen und Arbeitsweisen erfolgt.
Die Auflösung der nur mehr historisch begründbaren Trennung der Finanz- und Bildungszuständigkeit von Ländern und Kommunen zugunsten einer strukturellen, freilich auch finanziell fundierten Verantwortungsgemeinschaft ist für die weitere Entwicklung Kultureller Bildung unerlässlich. Allerdings hat die zukunftsweisende Forderung des Niedersächsischen Städtetags (Niedersächsischer Städtetag 2007:12) nach Grundschulen in kommunaler Trägerschaft, um ein einheitliches Bildungskonzept für alle Kinder bis zehn Jahren in lokaler Gestaltungsverantwortung zu ermöglichen, bisher nicht zu konkreten Umsetzungsschritten geführt. Auch die verengte Bindung der Aufgaben von Schulsozialarbeit an die Integration devianten Verhaltens lässt für die notwendige Vernetzungs- und Präventionsarbeit zu wenig Raum.
Die Städte verfügen seit jeher über die meisten personellen wie institutionellen Ressourcen sowohl der Kulturarbeit als auch der Kulturellen Bildung, orientiert am Bedürfnis der Menschen, die dort leben. Sie sind bereit, diese in ein ganzheitliches Bildungskonzept zu integrieren, und haben dafür erhebliche Vorleistungen erbracht. Ihre zukunftsfähige Weiterentwicklung hängt nun allerdings von einer angemessenen und d.h. wesentlich verbesserten Finanzausstattung durch die Länder ab.
Nach Art. 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 hat jeder „das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen“. Diese Teilhabe jedoch setzt Kulturelle Bildung voraus. „Der Verfassungsauftrag, der die Kommunen zur Mitgestaltung des Kulturstaatsauftrags verpflichtet, ist von den Städten nicht nur aufgegriffen worden, sondern war schon immer Teil ihrer Identität und ihren Profils“ (Rossmeissl/Przybilla 2006:106). In diesem Selbstverständnis der Kommunen liegt ein wesentliches Entwicklungspotential Kultureller Bildung für die Zukunft.