Kindermuseen als Museen der Subjekte: Reflexionen vor dem Erfahrungshintergrund des Berliner MACHmit! Museums
Abstract
Wieso sind Kindermuseen wichtig? Wie kann es gelingen, Kindermuseen nicht nur anzusehen als zusätzliche Kultureinrichtungen, die einen gesellschaftlich vorhandenen Bedarf an Kultureller Bildung abdecken? Warum sind Kindermuseen so besonders geeignet, mit ganz eigenen Impulsen in die Zivilgesellschaft hineinzuwirken? Was macht Kindermuseen zu „contact zones“ (Kontaktzonen)? Wie können Kindermuseen Menschenmuseen sein, werden und bleiben? In diesem Artikel geht es darum, das MACHmit! Museum in seinem Selbstverständnis als Museum der Subjekte vorzustellen und zu beschreiben. Alles, was im Haus an Wissen entsteht, formt freie, denkende und starke Subjekte in alle Richtungen.
Kindermuseen
Wenn wir „Museum der Subjekte“ schreiben, beziehen wir uns – aus Erfahrungsgründen – auf das MACHmit! Museum für Kinder. Wobei wir aus der Arbeit im Bundesverband Deutscher Kinder- und Jugendmuseen wissen, dass alle Kindermuseen ein ähnlicher „Spirit“ bewegt. Immer geht es darum, einen Ort zu schaffen, der die besonderen Bedürfnisse dieser Besuchergruppe nicht nachgeordnet bedient, sondern zur Grundlage hat. Kinder suchen im Museum andere Erfahrungen als Erwachsene.
Das MACHmit! Museum wird von seinem Publikum wahrgenommen, mitgestaltet und entdeckt. Alle bringen eigene Vorstellungen mit. Alle können über das reflektieren, was „Wissen“ meint und wie wir dieses „Wissen“ gebrauchen können. Für das Museum ist jede und jeden von Bedeutung. Kulturelle Bildung wird lebendig. „Hier wird gelernt, aber anders.“ (Lorbeer 2016:264) Wir alle können Kultur!
Sharon Macdonald ist eine ausgewiesene Kennerin der aktuellen Debatte um die Frage nach der Bedeutung von Museen in der Gegenwart. Sie hat derzeit die Alexander-von-Humboldt-Professur inne, ist die Leiterin des Instituts für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität und beschäftigt sich mit dem internationalen Forschungsprojekt CARMaH (Center for Anthropological Research into Museums and Heritage), u. a. mit dem Humboldt-Forum. Als Kultur- und Sozialanthropologin untersucht sie dabei die Aushandlungsprozesse der sich dort entwickelnden Ausstellungskonzepte und deren Auswirkung auf die Auswahl der musealen Objekte (Macdonald 2000). Welche Definitionen von Kultur werden dort verwendet? Welche Ansätze werden sich durchsetzen? Für uns Kinder-Museums-Menschen ist diese internationale Aufmerksamkeit eine große Chance, auf die Stärken unserer Häuser hinzuweisen.
Anfang der 1990er Jahre setzte eine Trendwende in der Museumslandschaft ein. Der „educational turn“ (Macdonald 2016:99f) brach los. In den Fokus der Aufmerksamkeit rückten die Besucher*innen! Dabei führte diese Neuausrichtung nicht zu einer allgemeinen Besserstellung der Abteilungen, die sich um Bildung und Vermittlung oder Museumspädagogik bemühten. Museumspädagogik blieb weiterhin eher ein „add-on“, ein Zusatz, das, was nach der Ausstellungsplanung noch berücksichtigt wurde. Vielleicht. Wenn es denn sein muss. Das „educational department“, so Macdonald, blieb der „poor cousin“. War der „educational turn“ doch kein Paradigmenwechsel?
Vielleicht bringt die Frage nach den Aufgaben von Museen Klarheit. Per definitionem ist ein Museum dem Sammeln, Bewahren, Forschen und Ausstellen verpflichtet. Die Sammlung bestimmt die Zuordnung des Hauses (Naturkunde, Asiatische Kunst, Currywurst). Es geht also darum, einen bestimmten Umgang mit der eigenen Sammlung nach außen zu bringen. Innerhalb dieses Verständnisraums besitzt das Museum Objekte und pflegt dieses objektbezogene Wissen. Der Museumspädagogik kommt – nachgeordnet – die Aufgabe zu, dieses Objektwissen weiterzuvermitteln. Der „educational turn“ kratzt an diesem Verständnis. Die Museen kommen in Bewegung (siiehe Thomas 2015; Schorch 2013). Wir fürchten, dass es sich doch leider in den meisten Fällen weiterhin um ein Top-down-Verständnis von Wissensvermittlung handelt (siehe Bisky 2016). Wer nach neuen Ansätzen der Vermittlung in Museen sucht, fragt nach dem jeweiligen Umgang mit den eigenen Sammlungen. Wer verstehen will, welche Bedeutung Kindermuseen haben, entwickelt andere Fragen.
Kindermuseen sind Orte der Kulturellen Bildung. Sie haben – im herkömmlichen Sinn – keine eigenen Sammlungen und entkommen damit der oben beschriebenen Falle der nachgeordneten Wissensvermittlung. Kindermuseen begreifen Kultur als soziale Praxis und fühlen sich keinem kulturellen Kanon verpflichtet. „Die Kultur ist der Bereich, in dem die Strukturen erfahren und gelebt, reproduziert, aber auch transformiert werden“ (Winter 2004:4) über Cultural Studies, jener kritischen Denktradition, die aus der außeruniversitären Erwachsenenbildung stammt, dann im Center for Cultural Studies (CCCS) in Birmingham gelehrt wurde. Es ging und geht darum, den Subjekten die eigene Handlungskompetenz aufzuzeigen. Auf unsere Situation übertragen: Das Kindermuseum definiert nicht, was Kultur ist, sondern wie Kultur menschliches Handeln formt. Das Individuum steht im Zentrum. Ein Kindermuseum braucht keine Sammlung, um als Museum anerkannt zu werden; Was es aber braucht, sind Menschen. Im Kindermuseum geht es zentral nicht um die Sammlung und deren Objekte, sondern um die Besucher*innen als Subjekte.
In diesem Artikel argumentieren wir dahingehend, dass innerhalb der aktuellen Diskussion über die Bedeutung von Museen dem Kindermuseum als „Museum der Subjekte“ eine besondere Bedeutung zukommen sollte.
Die Entdeckung der Kindheit
Kindermuseen sind ohne ein „neues Bild vom Kind“ nicht denkbar. Gesamtgesellschaftlich von Bedeutung wurde diese Sicht auf das Kind auch durch die Anerkennung der UN-Kinderrechtskonvention durch die Vereinten Nationen 1989. Das Kind war nicht länger nur ein unfertiger Erwachsener, sondern sozialer Akteur, Konstrukteur der eigenen Persönlichkeit (Hurrelmann/Bründel 2003). Erste Bemühungen gab es direkt nach dem ersten Weltkrieg, der zu viele kriegsgeschädigte, elternlose, rechtelose Kinder zurückließ. Zunächst ging es darum, die Staaten dazu zu bringen, Schutz- und Förderrechte zu formulieren und einzuhalten. Die Diskussion der letzten Jahre fokussierte mehr den partizipatorischen Aspekt der Kinderrechte. Wir meinen, dass dies vor allem deswegen zu begrüßen ist, weil Partizipation das Herz der Kinderrechte ist.
Kinderrechte sind kein Geschenk
„Es reicht nicht aus, Kindern Rechte ‚zu geben‘. Sie müssen sie auch als ihre eigenen wahrnehmen, das heißt, einen Bezug zu ihrer Lebenswelt herstellen können.“ (Liebel 2013:17) Kinderrechte sind kein Geschenk der Erwachsenen an die Kinder. Es ist also auch nicht nötig, das Wissen über die Kinderrechte pädagogisch so zu bearbeiten, dass die Kinder diese Rechte verstehen können. Die Kinder sind nicht die Adressaten. Sie sind die Rechte-Inhaber*innen.
Im Museum suchen wir nicht nach ewiggültigen Antworten, sondern wollen gemeinsam das Fragenstellen üben. Wir sagen nicht: „Weißt du, dass du ein Recht auf Spiel hast.“ Wir fragen: „Was spielst du?“ Kinder sollen sich frei fühlen, heute die Definition von „Das spiele ich gerne.“ zu finden und morgen eine ganz andere. Die Kinderrechte können nur unsere Welt beeinflussen und helfen, verkrustete Strukturen einzureißen, wenn sie von den handelnden Subjekten selbst mit Inhalt gefüllt werden. Kinder müsssollten auch die Möglichkeit haben, eigene Rechte zu entwickeln und die Kinderrechtskonvention zu erweitern. Dies bedeutet, dass die Arbeit mit den Kinderrechten prozesshaft ist. Das gemeinsame Gespräch ist bereits Teil des Ergebnisses. Es gibt keinen Punkt, an dem sich sagen lässt: „So, nun wissen diese Kinder Bescheid. Jetzt müssen sie das nicht mehr lernen.“ Kinderrechte lassen sich nicht abhaken. Denn die Kinderrechte sind darauf aus, von jeder und jedem Einzelnen von uns neu interpretiert zu werden. So entsteht ein lebendiger Dialog, den eine offene Gesellschaft braucht, um sich zu entwickeln. „Es soll nicht heißen: Jugendliche werden beteiligt. Sondern Jugendliche beteiligen sich.“ (Ebd.:44)
Das Museum ohne Sammlung
Theoretisch kann ein Kindermuseum alles sammeln. Praktisch ist dies aber weder machbar noch sinnvoll. Welches Objekt wäre für eine Kindermuseums-Sammlung unwichtig? Gibt es wirklich Themen, die Kinder nicht interessieren oder aber, die es nicht wert sind, sie mit Kindern zu besprechen? Das Museum weiß, dass seine Besucher*innen alle Sammler*innen-Erfahrung haben. Kinder hüten Schätze in Hosentaschen, unter dem Kissen oder in ihren Köpfen. Diese Art der Weltaneignung nimmt das Museum als Ausgangspunkt: Was meinen wir, wenn wir davon sprechen, dass Objekte Bedeutung für uns haben? Die Themen der Ausstellungen entstehen aus der Lebenswelt der Besucher*innen, aus eigenen Erfahrungen, aus dem Bedürfnis, bestimmte Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. Keine Ausstellung ist kontextlos. Jeder Mensch hat einen ganz eigenen Blick auf die Welt.
Auch das Kindermuseum arbeitet mit Objekten. Auch wir suchen nach dem, was Nicholas Thomas „spiritual uplifting“ nennt. Als sammlungsfreies Museum ist die Suche nach geeigneten Objekten in alle Richtungen offen. Im MACHmit! Museum ist die Abteilung Museumspädagogik immer auch im Kuratorenteam. Pädagogik ist kein Add-on, sondern ein Immer-schon-dabei.
Für die aktuelle Ausstellung „geboren & willkommen“ wurde eine Künstlerin beauftragt, eine begehbare Gebärmutter zu bauen – aber nicht als anatomisch korrekten Nachbau, sondern als ein Kunstobjekt. Von außen sieht die Gebärmutter aus wie eine goldene Halbkugel. Sie ist ca. 1,50 Meter hoch, also für Kinder nicht zu übersehen, für die Erwachsenen ein interessanter Blickfang. Auf dem Boden weist eine Leuchtschrift den Weg: „Wieder zurück in die Gebärmutter?“ Wer hineinwill, muss hineinkrabbeln ins gedämpfte Licht. Blassrot ist die dominante Farbe. Viele Kinder finden Platz. Der Boden ist weich gepolstert. Die Gebärmutter als schützende Höhle. Mit rosafarbenem Stoff ist sie von innen ausgeschlagen, die genähte Nabelschnur führt zum Mutterkuchen. Über versteckte Lautsprecher wird erlebbar, was der Fötus im Bauch der Mutter hört. Ein Wohlfühlort, der zum Weiterdenken anregt. Wie fühlt sich ein Baby im Bauch der Mutter? Wie war das bei mir? Wie ist es bei dir gewesen? Was weiß ich über meine eigene Geburt? Auf welche Fragen bin ich noch gar nicht gekommen? Geburt – ein universelles Thema. Wird nicht auch der Müll irgendwie „geboren“? Und neben allem anderen, was wir selbst an Gedanken zur Welt bringen, werden eben auch alle Säugetiere geboren. Jede und jeder von uns hat dazu eigene Gedanken, eigene Fragen. Der Satz „Es gibt keine dumme Fragen“ ist zwar abgedroschen, aber dennoch wahr. Manche Fragen sind langweilig, manche peinlich und manche geheimnisvoll. Das hängt eben immer von der*m Betrachter*in ab. Es kommt darauf an, wer die Frage stellt, wer eine Antwort geben möchte und was dann geschieht. Wir haben keinen Keller, in dem wir unsere Fragen an die Welt sammeln können. Dafür haben wir ein Museum.
Das Museum als „contact zone“
Das Bild ist klar: Kontaktzone. Das Museum ist kein Ort der Wissensvermittlung von oben nach unten, sondern ein Ort des Dialogs. Die Gedanken zur „contact zone“ stehen im Zusammenhang mit dem „educational turn“. Wobei aber anzumerken ist, dass „contact zone“ zunächst aus der „ethnologischen Ecke“ kommt und sich auf die Auswirkungen eines neuen Umgangs mit Kolonialismus bezieht. Museen schaffen Bedeutungszusammenhänge. Wer bestimmt über das, was im Museum ausgestellt wird? Für wen „spricht“ das Museum? „Thus, the multiplication of contexts becomes less about discovery and more about negotiations, less a metter of creative curators having good ideas […] and more a matter of responding to actual pressures and calls for representation in a culturally complex civil society.“ (Clifford 1997:210) Tobias Nettke beschreibt etwas Ähnliches, wenn er bei seiner Übersicht über die Aufgaben moderner Museumspädagogik auch von „Vermittlung als ‚museum interpretation‘“ spricht (Nettke 2016:37). Ein Museum als „contact zone“ entsteht, wenn die Fragen der Vermittlung neu gestellt werden. Ein lebendiges Museum jenseits der Problematik von top-down oder bottom-up. Wie das geht? Wir setzen uns täglich damit auseinander.
Kindermuseen begreifen ihre Besucher als Expert*innen ihrer Lebenswelt. Wir interessieren uns dafür, was sie an Ideen mitbringen und wollen einen Raum der Möglichkeiten schaffen. Der Dialog steht im Zentrum. In der Ausstellung „geboren & willkommen“ präsentieren neun Kinder ihre ganz individuelle Geschichte rund um die eigene Geburt. Neben den großformatigen Fotos gibt es auch einen kurzen Text. Neun Kinder erzählen ihre Geschichte und laden die*en Betrachter*in zum Mitdenken ein. Bei der Konzeptionierung der Ausstellung wurden verschiedene Workshops zum Thema Geburt durchgeführt. Wir haben uns Geschichten erzählen lassen und die Kinder aufgefordert, selbst etwas über die eigene Geburt herauszufinden. Wer hat dir deinen Namen gegeben? Wer hat dich das erste Mal auf dem Arm gehalten? Welches Wetter war am Tag deiner Geburt usw.? Diese Art von Teamarbeit ist immer partizipatorisch. Das gemeinsame Entdecken neuer Fragen steht im Fokus. Die Lebenswelt unserer Expert*innen soll generationenübergreifend zur Sprache kommen. Viele Kinder haben zum ersten Mal mit ihren Eltern über die Bedeutung des eigenen Namens gesprochen und mit Freunden sowie entfernten Verwandten über die eigene Geburt und die Zeit danach kommuniziert. Wir schaffen also nicht nur gemeinsam „neues Wissen“ für die Ausstellung.
Das Museum als Anfang
Ins Kindermuseum kommen keine Einzelbesucher*innen. Alle sind in Begleitung unterwegs. Das bedeutet, dass – anders als dies im „Erwachsenen-Museum“ der Fall ist – ausstellungsrelevante Kommunikationsangebote leichter aufgegriffen werden können. Der historische Seifenladen bietet Großeltern die Möglichkeit, eigene Erfahrungen zur Sprache zu bringen und generationsübergreifend zu wirken. In der Museumsdruckerei können Eltern und Kinder gemeinsam alte Drucktechniken ausprobieren. Objekte werden nicht nur angesehen, sondern können selbst ausprobiert werden.
Kindermuseen sind daran interessiert, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenzubringen. Dies liegt schon an der Spezifik der Besucher*innen. Unser Hauptpublikum ist zwischen drei und zwölf Jahre alt. Sie sind nicht erst morgen die Menschen von heute. Sie sind es bereits jetzt und in der Auseinandersetzung über die aktuellen Ausstellungen schwingt die eigene Zukunft immer mit. Uns ist sehr wohl bewusst, dass viele unserer Gäste, wenn sie ins MACHmit! kommen, vielleicht zum ersten Mal im Leben ein Museum betreten. Welch ein erhebendes Ereignis für alle.
Das Museum als politischer Ort
Wir begreifen das Museum als politischen Ort. Da wir vom Subjekt ausgehen, interessieren wir uns dafür, jeden Menschen mit Respekt und Empathie zu begegnen und ihn als Bedeutungsproduzenten ins Gespräch zu holen. Natürlich gibt es keine Garantie, dass dieser Ansatz 100 Prozent demokratisches Denken befördert. Aber wir gehen schon davon aus, dass sich im MACHmit! alle als eigeständig handelnde Subjekte wahrnehmen können.
„Our questions about culture […] were concerned with the changing ways of life of societies and groups and the networks of meanings that individuals and groups use to make sense of and to communicate with one another […] cultural studies insists on the necessity to address the central, urgent, and disturbing questions of a society and a culture in the most rigorous intellectual way we have available.“ (Hall 1996:336f.)
Das Museum als Brutstätte
Das Kindermuseum ist ein Ort der außerschulischen Bildung: Einerseits traut die öffentliche Meinung – wer auch immer das sein soll – dem Museum nicht viel zu –„Ist ja nur für Kinder.“, „Ein Indoor-Spielplatz mit ein bisschen Ausstellung.“. Andererseits kommen unsere Besucher*innen gern und zahlreich. Sie fühlen sich wohl und schenken uns Aufmerksamkeit. Und immer ist es so, dass unsere Gäste nicht allein sind. Die Kinder bringen ihre Erwachsenen mit: Erzieher*innen Lehrkräfte, Eltern, Freunde und Verwandte. Hier lässt sich Neues ausprobieren. Das Kindermuseum als Experimentierfeld für gesamtgesellschaftlich relevante Prozesse. Veränderung, Kritik und Erneuerung sind im Kindermuseum zuhause. Kindermuseen sind Menschenmuseen. Sie lieben den Dialog.
Das Museum als Möglichkeit
Wir sind offen dafür, die Kooperation zwischen den Museen zu intensivieren. Sammlungen leihen Objekte an das Museum aus, so entstand z. B. für die Klee-Ausstellung „Tausend Punkte treffen sich“ eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Zentrum Paul Klee in Bern und dessen Abteilung CREAVIVA. Externe Fachkräfte arbeiten bei jeder Ausstellungskonzeption mit dem Kindermuseum zusammen. Ein Dialog entsteht.
Das Kindermuseum als „contact zone“ oder Kontaktzone meint Partizipation. Gemeinsam wird Neues und Unerwartetes produziert. Das Kindermuseum als Spiel der Möglichkeiten heißt, die Expert*innen stärker als partizipatorische Partner*innen in die Pflicht zu nehmen. Nicht Kinder als Adressat*innen, als Empfänger*innen, als Unwissende. Kinder wie Erwachsene begegnen sich in einem solchen Setting als gleichberechtigte Bedeutungs-Erzeuger*innen. Partizipation ist immer – für alle – ein Gewinn.
Das Museum als Haltung
Wir sind davon überzeugt, dass jede Ausstellung zuallererst eine eigene Haltung haben muss. Sie darf sich nicht verstecken hinter einer angeblichen Wahrheit. Wir wissen, dass es um Welt-Interpretationen geht. Dies wollen wir nicht verheimlichen, sondern zur Diskussion stellen.
„Über indianische Kulturen und die Kunst des Kennenlernens“, so heißt die Unterzeile der Jahres-Ausstellung 2017. Der Obertitel lautet „Der weite Horizont“. Wir setzen uns dafür ein aufzuzeigen, wie kulturelle Identität historisch geformt und gelebt wird, wie diese sich aber auch immer verändert. Unser (europäisches) Bild vom Indianer*innen ist ohne die Eroberung des amerikanischen Kontinents nicht denkbar. „Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung“, schreibt Lichtenberg im 18. Jahrhundert in seinen Sudelbüchern. Lichtenberg spöttelt über den Entdecker-Stolz der Europäer*innen. Wollten sie wirklich entdecken? Oder nicht lieber nur absahnen?
Das gängige (europäische) Klischee vom Indianer ist wie folgt: Ein Indianer hat ein Pferd, lebt im Tipi, ist würdevoll und naturliebend. Was entdecken wir als Besucher*innen, wenn wir feststellen, wie unsere Vorstellungen über den Indianer historisch geformt wurden – wenn wir die Entdeckung machen, uns geirrt zu haben? Das Publikum im Kindermuseum ist zwar sehr jung, bringt aber bereits eigene Konzepte des Verstehens mit. Kinder sind nicht ideologisch unbelasteter. Sie sind aber durchaus eher bereit, eigene Bilder zu hinterfragen und neugierig zu bleiben. Dieses Interesse nutzt das Museum und will in der Ausstellung – angelehnt an Lichtenberg – die Perspektive verschieben. Wir wollen gemeinsam darüber nachdenken, wie es wohl gewesen sein könnte, als „native american“ – also als Lichtenbergs Amerikaner – das erste Pferd zu entdecken.
Kulturen sind keine Inseln. Sie sind weder homogen noch statisch, noch unveränderlich. Sie sind nicht in sich kohärent. Das Kindermuseum ist bemüht, nicht dieses oder jenes Bild zu unterbinden. Vorurteile müssen zur Sprache kommen können und im Dialog Reflexion ermöglichen. Kinder interessieren sich für die kulturellen Praktiken anderer Menschen. Sie sind neugierig: „Putzen sich alle Menschen die Zähne?“
Wenn wir eine Ausstellung zu indianischen Kulturen machen, greifen wir die Begriffe wie „Tradition“ auf. Die Irokesen mit ihren Langhäusern. Die Sioux im Tipi. Wer wohnt im Wigwam? Wie leben indianische Kulturen heute? Wer legt fest, wann ein Mensch ein Indianer, ein American Indian, ein Mohawk und ein Arzt ist? Werde ich durch meine Vorfahren zum Pawnee? Bin ich ein Pawnee, weil ich mich dafür interessiere? Weil mich andere als Pawnee bezeichnen? Welchen kulturellen und sozialen Zuschreibungen unterliegt ein Mensch? Von was sprechen wir, wenn wir von einem „syrischen Flüchtlingskind“ sprechen? Wie beschreibt sich dieses Kind selbst? Wir wollen die Durchlässigkeit, die inhärente Veränderung kultureller Konzepte sichtbar machen. In alle Richtungen.
Viele unserer Besucher*innen sind heute „Kinder mit Migrationshintergrund“. Ist das eine Kultur? Ist diese Zuschreibung identitätsstiftend? Welche Fremd- und welche Selbstzuschreibungen (und in welchen Kontexten) folgen, wenn das Label „Kinder mit Migrationshintergrund“ abgelaufen ist? Was meinen wir, wenn wir von „Kulturen“ sprechen und was bedeutet „Tradition“? Sind „native americans“ traditionell naturverbundener? Wie lange hält eine Tradition? Wer bestimmt, ob ich mich traditionell verhalte?
„I think that one needs to recognize that when one talks about tradition, one should be talking about, in a sense, a dimension of social life and not a stage of social development. In an important sense, tradition and modernity are not really two mutually exclusive states of a culture or society but different aspects of historicity. Many of the things that are thought of as modern belong to traditions which have their roots in Western history. A changing tradition is often developing rapidly but a tradition nevertheless.“ (Asad 1996)
Eine schwierige Aufgabe für ein Kindermuseum, meinen sie? Wir meinen: Das Museum ist ein guter Ort, um gemeinsam Fragen zu stellen und Wahrheiten in Zweifel zu ziehen.
Das Museum als Spiel
Im Kindermuseum geht es immer kreativ zu. Jede Ausstellung – wie könnte es anders sein – ist interaktiv. Das Museum wird erinnert als ein identitätsstiftender Aspekt der eigenen Kindheit. Zur jeder Ausstellung gibt es thematisch passende Werkstattangebote, so dass alle Kinder auch gestalterisch tätig werden können. Während der Ausstellung „geboren & willkommen“ gibt es die Möglichkeit, mongolische Schutzfüchse, Geburtstagskerzenlichter oder Wickelbabys selbst herzustellen. Die Besucherkinder sind begeistert. Sie sind neugierig und wollen neue Techniken kennenlernen. Dabei ist es uns wichtig, dass wir „machbare“ – nicht einfache! – Angebote haben. Die Kinder sollen selbstständig arbeiten können. Wir bilden keine neuen Künstler*innen aus. Wir wollen jeder und jedem ermöglichen, ein gutes Erlebnis zu haben. Es geht also auch bei den Werkstattangeboten nicht darum, dass Expert*innenwissen an Unwissende weitergegeben wird. Das Museum versteht Kulturelle Bildung als Möglichkeit, Teilhabegerechtigkeit zu fördern und persönlichkeitsbildend zu wirken. Wer bei uns die Erfahrung gemacht hat, dass Malen Spaß macht und das Fingerhäkeln nicht schwierig ist, der ergreift hoffentlich die nächste Möglichkeit, sich mit Ölfarben zu beschäftigen, einen Schal selbst zu stricken oder in der Druckerei an einem Kurs teilzunehmen. Wir wollen Anreize liefern, Freiräume sichtbar machen.
Das Museum „on the road“
Viele Kindermuseen starteten ihre museumspädagogische Arbeit in einem Bauwagen, in leeren Ladenbüros wurde gemalt oder der „Museumsinhalt“ in einem Koffer transportiert. Im Zuge der vielen Geflüchteten, die auf der Suche nach Hilfe und Solidarität nach Deutschland kommen, geht das MACHmit! neue alte Wege. Mit einem eigenen MACHmit!-Bauwagen stehen wir seit Juni 2016 vor einem Hangar in der Notunterkunft Flughafen Tempelhof in Berlin. Unter ganz anderen Voraussetzungen hat sich das Museum der eigenen Ursprünge erinnert. Wieder ein Bauwagen. Wieder ist alles anders. Wieder eine neue Herausforderung.
Schnell haben wir gemerkt, dass die Kunst-Angebote von den Museumswerkstatt-Tischen nicht einfach auf das Tempelhofer Feld übertragen werden können. Diese Kinder hier haben große Lust am Bauen, Hämmern und Sägen. Oft wissen unsere neuen Besucher*innen im MACHmit!-Bauwagen ganz genau, wie sie sich kreativ betätigen wollen. Sie basteln eigenständig Jo-Jos, Spielhäuser, kleine Tische oder lassen Drachen steigen. Aber es kommt genauso oft vor, dass wir als Gruppe gemeinsam überlegen, was denn nun für den heutigen Nachmittag am meisten Spaß machen könnte. Der MACHmit!-Bauwagen ist ein weiterer Versuch, zusammen Bedeutungsräume zu erforschen: Kultur als soziale Praxis. Während wir Nägel verteilen oder Schnüre entwirren, unterhalten wir uns miteinander. Die einen nennen es Sprachförderung. Wir nennen es Kommunikation.
Das Museum der Subjekte
Wir wissen, dass Subjekte seit der Postmoderne als höchst fragil, multivokal erlebt werden. Wir sind viele. Jede und jeder von uns lebt mehrere Identitäten. Aber immer ist Identitätsbildung dialogisch. Der Mensch braucht ein Gegenüber. Er lebt in Beziehungen. Das Museum lebt durch seine Besucher*innen. Durch sie kommt das Kindermuseum zu sich selbst. Im Kern geht es darum, dass es keine echte Trennung zwischen dem Museum und seinem Publikum gibt. Ohne Besucher*innen kein Museum. Jedes Kindermuseum ist ein Museum der Subjekte.